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Tatort Dangast

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tatort Dangast

 

Ein Mord und der Gesang von Melodie

 

 

Gitte Jurssen

 

Kriminalroman

 

 

Über dieses Buch:

 

Ein neuer Mord hält Dangast in Atem. Wieder handelt es sich um eine alte Frau, die getötet und anschließend vergewaltigt wurde. Ist es vielleicht derselbe Täter, der schon früher sein Unwesen getrieben hat? Angeblich hat die niederländische Polizei den doch geschnappt.

Wie sich jedoch herausstellt, hat man ihm Taten zugeordnet, die er gar nicht begangen hat. Erneut machen Kim und Koller sich an die Arbeit. Koller wurde eigentlich zurück nach Oldenburg beordert, aber die Entscheidung wird umgehend rückgängig gemacht.

Zur gleichen Zeit treibt ein Pferdeschänder sein Unheil. Milla Fuchs, eine Kommissarin aus Kims Team, ist außer sich. Auch ihr eigenes Reitpferd ist verletzt worden. Die „Soko Pony“ wird ins Leben gerufen. In beiden Fällen wird ein Mann mit Cowboyhut verdächtigt. Kims Team unterstützt die Sonderkommission, so gut sie kann. Hängt vielleicht alles miteinander zusammen?

 

Copyright: © Gitte Jurssen 2022 – publiziert von telegonos-publishing

www.telegonos.de

(Haftungsausschluss und Verlagsadresse auf der Website)

Covergestaltung: Kutscherdesign auf Grundlage einer Fotografie von

Anja Zervoß www.anjazervosspixelgrafie.de

 

ISBN der Printversion: 978-3-946762-62-1

 

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

Samstag, den 31.08.2019

Marietta Großkopf atmete auf. Nicht nur die Morde an der hessischen Touristin in Dangast und an dem Vareler Frisör waren aufgeklärt worden, sogar der Vergewaltigungstäter, der sich an Frauen in ihrem Alter vergangen hatte, war inzwischen mit Hilfe von Europol in den Niederlanden geschnappt worden. Erleichtert legte Marietta die Nordwest-Zeitung zur Seite. Endlich konnte sie wieder ohne Ängste das Haus verlassen. Die furchtbaren Taten hatten ganz Dangast und Umgebung in Atem gehalten.

Der heiße Sommer hatte sich noch nicht verabschiedet, aber am frühen Morgen ließ es sich aushalten. Marietta war Frühaufsteherin und sie liebte es, den Tag mit dem Sonnenaufgang zu beginnen. Ihre Wohnung lag so günstig in der Danksteder Straße von Dangast, dass sie den ganzen Tag über die Sonne auf ihrem Balkon genießen konnte. Aber die langen Spaziergänge hatte sie vermisst. Sie sog genüsslich die frische Morgenluft ein, als sie ihre Wohnung, die im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses lag, verließ.

Sie hatte sich vorgenommen, den Weg auf dem Deich bis zum Petershörner Schöpfwerk zu nehmen. Den Rückweg würde sie außendeichs bis zum Dangaster Siel gehen und nach den fünf Gänsen Ausschau halten, die sich dort eingemietet hatten. Sie erfreuten sich schon viele Jahre ihres Lebens und gehörten genauso zu Dangast wie das Ausflugsschiff Etta samt Kapitän.

Danach hätte sie sich gern mit einem Bad am Kurhausstrand belohnt, aber leider war erst gegen Mittag wieder Hochwasser. Dennoch hatte sie sich Kaffee aufgebrüht, ihn in eine Thermoskanne gefüllt, ein leckeres Sandwich in eine Tupperdose gepackt und sich auf den Weg gemacht, um ihr Frühstück auf einer Bank am Strand anstatt auf ihrem Balkon einzunehmen.

Sie war schon ein ganzes Stück auf der Deichkrone entlang gegangen, als sie sich über die zahlreichen Schafsköttel ärgerte, die an ihren Schuhen klebenblieben. Es war kaum möglich, ihnen auszuweichen. Warum bin ich nicht gleich unten gelaufen? dachte sie. Aber jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als bis zum Ende der Betonplatten weiterzugehen, weil sie sonst über den Zaun hätte klettern müssen, und das war ihr, immerhin war sie gerade 79 Jahre alt geworden, nicht möglich. Außerdem liebte sie die Nähe der Schafe, die sich so gar nicht von ihr stören ließen. Gemächlich kauten sie ihr Frühstück, einige schienen noch zu schlafen oder dösten vor sich hin.

Auf dem Rückweg, am Fuße des Außendeichs, blendete sie die Sonne so stark, dass sie zunächst an eine Fata Morgana dachte, als ihr eine Gestalt mit einem großen Rucksack entgegenkam. Hatte der- oder diejenige wirklich einen Cowboyhut auf?

Marietta erschauderte, weil ihr sofort wieder der Unhold in den Sinn kam, der reihenweise alte Frauen vergewaltigt hatte. Aber der war doch geschnappt worden! Sie beruhigte sich. Es wird nur ein ganz normaler Wanderer sein, redete sie sich ein und ging langsam weiter, denn ein Ausweichen war unmöglich. Sie spürte ihren Puls bis zum Hals, als sie auf gleicher Höhe waren. Sie warf einen schrägen Blick auf die merkwürdige Gestalt, aber das Gesicht des Mannes konnte sie nicht richtig sehen. Er hatte den Hut tief in die Stirn gezogen und sah auf den Boden. Sie wollte zunächst freundlich grüßen, aber es sah so aus, als nehme er die Umgebung gar nicht wahr. Daher ließ sie es und ging, so schnell es ihr möglich war, an ihm vorbei.

Am Siel angekommen hörte sie die Gänse laut schnattern. Sie sah über das Geländer aufs Wasser, wo sie sich um ein paar Brotstücke zankten. Sie freute sich, dass noch alle fünf wohlauf waren, und beobachtete fasziniert das Schauspiel. Nach einer Weile spürte sie ihren Magen knurren. Sie sah auf die Uhr und dachte, am besten suche ich mir jetzt eine Bank und frühstücke selbst erst mal.

Sie wollte sich gerade zum Gehen umdrehen, als sich jemand von hinten über sie beugte. Zwei Arme schlangen sich um ihren Oberkörper. Zu Tode erschrocken versuchte sie zu schreien, aber der Mann drückte so fest zu, dass sie kaum Luft bekam und der Schrei sich eher wie ein Krächzen anhörte. Sie wand sich hin und her, versuchte nach hinten zu treten, aber es war vergeblich. Er war zu stark. Gewaltsam schob er sie zu der Treppe, die zum Mosaik in der Einbuchtung der Sielmauer führte. Sie war höchstens vier bis fünf Meter entfernt. Er schob sie brutal die Stufen hinauf und drückte sie mit seiner Körperkraft an die Fliesen des Sgraffitos. Sie spürte seine Erregung durch die dünne Jogginghose und wusste, was er vorhatte. Aber bevor es dazu kam, zog er ihren Kopf ein Stück zurück und schnitt ihr die Kehle durch. Sie röchelte. Das Letzte. was sie spürte, war das warme Blut, das aus der Wunde quoll.

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2

 

Hauptkommissar Jannek Koller knurrte mürrisch vor sich hin. Das Schicksal war gegen ihn. Montag sollte er zu seiner alten Dienststelle in Oldenburg zurückkehren. Das war anfangs auch sein größter Wunsch gewesen, aber dann hatte er sich in Milla, seine Kollegin, verknallt und wäre gern in Varel geblieben. Doch nun wollte sie nichts mehr von ihm wissen und sein Einsatz in Varel war für beendet erklärt worden. Dabei hatte er mit dem Gedanken gespielt, sich irgendwo zwischen Dangast und Varel niederzulassen. Da Milla in einer geräumigen Wohnung im Erdgeschoss eines ehemaligen Bauerngehöftes in Dangastermoor wohnte, wäre er gern bei ihr eingezogen. Er hätte sogar seinen geliebten Hund Kobold mitnehmen können. Aber das konnte er jetzt wohl vergessen.

Nachdem Milla und er sich gestritten hatten, hatte er sich wieder seiner Ex-Freundin Thea angenähert und Milla hatte es mitbekommen. Seitdem herrschte Funkstille zwischen Milla und ihm. Die Beziehung zu Thea war inzwischen ebenfalls endgültig auf dem Nullpunkt angelangt. Deshalb wollte er seinen Hund ungern länger in ihrer Obhut lassen. Kobold lebte seit Kollers Einsatz in Varel bei Thea. Er war fester Bestandteil der Oldenburger Hundestaffel, die Thea anführte. Weil Koller wegen seines Einsatzes in Varel so selten zu Hause war, war sie einverstanden gewesen, Kobold so lange aufzunehmen, bis Koller endgültig nach Oldenburg zurückkehren würde.

Die Teamleiterin, Hauptkommissarin Christin Kim, holte ihn abrupt aus seiner Grübelei. Es war Wochenende und er wunderte sich, dass sie plötzlich auftauchte. Er hatte nur ein paar private Dinge aus seinem Büro holen wollen, um sich dann endgültig zu verabschieden.

„Eine alte Frau ist vergewaltigt und ermordet worden. Komm! Wir müssen los!“, war ihre Ansage, während sie lediglich den Kopf durch seine Bürotür gesteckt hatte.

„Wieso? Ich bin doch raus!“

„Meisner hat mich angerufen und gesagt, du sollst mitkommen. Ist sonst niemand von unserer Truppe da.“

Koller schüttelte den Kopf. Was sollte das denn nun wieder?

Nach dem Abschluss der Mordermittlungen an Renate Stöckel und Akpinar Erdem hatten alle in Kims Team ihre vernachlässigten Routinearbeiten wieder aufgenommen. Kim hatte trotz des Widerspruches der Tochter der ermordeten Renate Stöckel das zuständige Dezernat des BKA über den Missbrauchsfall Vera Jansing informiert. Die Kollegen hatten versprochen, den Fall zu prüfen und sie auf dem Laufenden zu halten.

Dass nun schon wieder ein Mord geschehen war, hatte sich niemand gewünscht und auch nicht vorstellen können. Und wie sollte es anders sein, es war Samstag und alle hatten über das Wochenende etwas vor.

 

Kim ignorierte ihre Bauchschmerzen. Seit ihre Freundin, die Gynäkologin Dr. Katrin Bruckner ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie es mit dem Sport übertreibe, haderte sie mit sich und der Welt. Katrin hatte es für möglich gehalten, dass das harte Kickbox-Training dafür verantwortlich sein könnte, dass Kim frühzeitig in die Wechseljahre gekommen war. Aber Kim liebte ihren Sport und wollte ihn nicht freiwillig aufgeben. Warum in Gottesnamen muss ich so bestraft werden? Nur weil ich keine Kinder will? Ich habe diesen Job doch nur unter dieser Voraussetzung angenommen. Wie viele meiner Kolleginnen sind schon an der Doppelbelastung gescheitert? Kim seufzte.

Nach ihrer Entscheidung, auf Kinder zu verzichten, hatte sie das Training im Kickboxen so weit ausgeweitet, dass sie es bis zur Meisterin gebracht hatte. Sie war stolz darauf. Ihr Lebensgefährte Michael hätte gern Kinder. Aber er war beruflich viel unterwegs und sah schließlich ein, dass es für sie beide einfacher ohne Kinder wäre. Seit ihrer gemeinsamen Entscheidung unterstützte er sie in allem, so gut er konnte. Aber Kim hatte ihm verschwiegen, wie sehr sie schon seit längerem starke Schmerzen im Unterleib quälten und ihr buchstäblich das Leben versauerten. Nächste Woche hatte sie wieder einen Termin bei ihrer Freundin. Mal sehen, ob die ihr endlich helfen könnte.

 

Die Fachleute des Kriminaltechnischen Instituts (KTI) waren schon von Weitem in ihren weißen Overalls sichtbar. Ein paar Kollegen der Schutzpolizei hatten den Tatort gesichert und gaben den Fall jetzt an ihre Kollegen von der Kripo ab. Einige Schaulustige hatten sich eingefunden, hielten aber Abstand. Auf dem Deich saß eine frierende Joggerin. Eine junge Kollegin reichte ihr gerade eine Wolldecke und kümmerte sich um sie. Hatte sie die Tote gefunden?

Kim und Koller verschafften sich einen Überblick und der Leiter der Spurensicherung, Frieder Soltau, kam ein paar Schritte auf sie zu.

„Der Doc ist schon wieder weg“, sagte er. „Wenn meine Leute fertig sind, könnt ihr euch die Leiche ansehen. Ein glatter Schnitt durch den Hals. Wahrscheinlich mit einem scharfen Messer.“

Eine große Blutlache hatte sich unter der Leiche gebildet.

„Welcher Arzt war hier?“, fragte Kim.

„Der Dangaster Badearzt. Er musste noch zu einem Patienten, der wohl einen Herzinfarkt hatte.“

„Schon klar“, sagte Kim.

„Hat er was zur Vergewaltigung gesagt. War sie post mortem?“, fragte Koller.

„Wahrscheinlich. Aber er wollte sich nicht festlegen.“

„Hm, okay“, murmelte Kim. „Und wer hat sie gefunden?“

„Die Dünne dahinten, auf dem Deich.“ Soltau zeigte zu der Joggerin.

„Kann man schon sagen, ob die Frau hier umgebracht worden ist?“, fragte Koller.

„Es sieht danach aus.“

„Hat sie schon lange hier gelegen?“

„Nein, die Wunde ist noch ganz frisch.“

„Wie alt mag das Opfer sein“, fragte Kim.

„Ende 70, würde ich schätzen.“

Koller veranlasste, dass die Personalien aller Schaulustigen aufgenommen wurden und befragte den einen oder anderen selbst. Vielleicht hatte jemand etwas beobachtet, was weiterhelfen könnte. Kim ging zu der Joggerin, deren Nerven offensichtlich blank lagen.

„Hallo“, grüßte sie. „Ich bin Kriminalhauptkommissarin Kim aus Varel. Sagen Sie mir bitte auch Ihren Namen?“

Die Joggerin zitterte und hatte ihre Hände vors Gesicht geschlagen. „Jule. Jule Fisser.“

„Wie haben Sie die Tote entdeckt, Frau Fisser?“

Sie sah auf und sagte: „Ich war ganz normal laufen, wie jeden Morgen.“ Sie machte eine Pause und starrte auf den Boden, bevor sie weitersprach. „Ich trainiere für den Marathon in Berlin. ... Wer macht so was?“, heulte sie plötzlich auf. „Ich kannte die Frau nicht wirklich, aber ich habe sie öfter morgens getroffen, wenn sie ihren Spaziergang gemacht hat. Wir haben uns immer gegrüßt. In letzter Zeit habe ich sie allerdings nicht mehr gesehen. Erst heute wieder.“ Ein erneuter Tränenausbruch stockte ihren Redefluss.

„Wissen Sie, wie sie hieß?“, fragte Kim.

Die Joggerin schüttelte den Kopf.

Kim hatte sich neben sie gesetzt und versuchte sie zu beruhigen, indem sie ihre Hand auf ihren Rücken legte.

„Erzählen Sie mir doch bitte genau, wie Sie sie gefunden haben.“

„Ich war bis Cäciliengroden gelaufen und befand mich auf dem Rückweg zu meinem Auto. Ich hörte die Gänse schnattern und blieb an der Mauer zum Siel stehen, um nachzusehen, warum sie so einen Lärm machen. Sie hatten sich aber schon wieder beruhigt, so dass ich die paar Stufen zum Mosaik hochlief. Da entdeckte ich die Frau. Ich sah das Blut und auch, dass ihr Rock hochgeschoben war. Ich habe mich furchtbar erschrocken und sofort die Polizei angerufen. Dann musste ich mich übergeben. Ich konnte doch nichts mehr für sie tun!“ Sie fing erneut an zu schluchzen.

„Haben Sie jemanden in der Nähe gesehen? Oder haben Sie auf Ihrem Weg jemanden getroffen?“

„Auf dem Rückweg von Cäci war ein Jogger vor mir. Sonst war niemand auf der Straße.“

„Wo genau haben Sie ihn gesehen? Sagen Sie mir aber bitte zuerst, wo Sie genau gelaufen sind.“

„Ich bin bis Cäciliengroden außendeichs gelaufen und habe eine Runde durch den Ort gedreht. Dann bin ich auf der Straße zurückgelaufen, weil das nicht so langweilig ist wie immer nur am Deich entlang. Auf dem Rückweg sah ich den Jogger vor mir. Der ist aber auf einem Querweg zum Deich abgebogen, während ich auf der Straße geblieben bin. Ich weiß nicht, ob er dann weiter Richtung Wilhelmshaven oder Richtung Dangast gelaufen ist.“

Jule sah Kim jetzt direkt in die Augen, so, als ob ihr ein Licht aufgegangen wäre.

„Meinen Sie, der war das?“

„Kann ich noch nicht sagen. Aber ich möchte Sie bitten, zum Polizeirevier nach Varel zu kommen, damit ich Ihre Aussage festhalten kann. Dort können Sie mir anhand einer Karte auch genau zeigen, wo Sie gelaufen sind und wo der andere Jogger abgebogen ist.“

„Okay, ich werde kommen.“

Kim gab ihr eine Visitenkarte und sie vereinbarten einen Zeitpunkt am kommenden Montag. Anschließend ging Kim zu Koller, der gleich abwinkte. „Niemand hat angeblich etwas gesehen“, sagte er. „Aber ein Herr“ ... Koller sah auf seine Notizen ... „Hans Krämer glaubt, die Tote hätte in der Danksteder Straße gewohnt. Er hätte sie dort öfter gesehen. Er wohne ganz in der Nähe. Ich hatte den Gaffern ein Foto gezeigt, das ich mit Soltaus Einverständnis gemacht hatte. Wir haben darauf geachtet, dass man nur ihr Gesicht sehen konnte, ohne den Schnitt.“

„Gut gemacht“, sagte Kim. „So haben wir schon einen Anhaltspunkt.“

 

 

 

 

 

Kapitel 3

 

Kim hatte ihre Kollegen über den neuen Fall informiert und sie hatten sich mehr oder weniger mürrisch zu einem Briefing zusammengefunden.

Koller hatte die von ihm gefertigten Fotos des Tatorts und der Toten auf den Bildschirm im Konferenzraum übertragen. Kim bat ihn, ein paar ausgewählte auszudrucken und an das Whiteboard zu pinnen.

Felix, der junge Kommissar, der gleichzeitig mit Koller zum Team gestoßen war, stöhnte: „Wir wollten eine Woche mit den Zwillingen an die Ostsee und jetzt das. Esther wird begeistert sein.“

Koller konnte den Blick nicht von Milla lassen, die ihre Haare bis auf Kinnlänge hatte abschneiden lassen. Die roten Locken wuselten sich um ihr Gesicht und stellten einen zauberhaften Kontrast zu ihren grünen Augen da. Er fand sie hinreißend schön. Ich muss sie unbedingt zurückgewinnen, dachte er. Ich werde sie bei günstiger Gelegenheit zum Essen einladen. Aber ich muss mir etwas Besonderes einfallen lassen, um sie zu locken. Nur was?

Kommissar Felix Henrich und Oberkommissar Andreas Bremer gehörten neben Koller mit zu Kims Team. Genau wie Oberkommissarin Milla Fuchs. Alle hatten sich auf ein paar entspannte Tage gefreut und waren nicht begeistert, dass der neue Fall schon wieder Wochenendarbeit bedeuten würde. Kim schickte Felix und Bremer sogleich nach Dangast, um in der Danksteder Straße und Umgebung Erkundigungen über das Opfer einzuholen.

Milla, die Expertin in Computerfragen war, würde sich mit der Identität der toten Frau befassen und alles zusammensuchen, was sie im Internet finden konnte. Bei der alten Dame dürfte das allerdings nicht allzu viel sein.

Erster Kriminalhauptkommissar Holger Meisner, Chef der Kripo Varel, war alles andere als erfreut über den neuen Fall. Vor ein paar Tagen hatte er von seinem Vorgesetzten in Wilhelmshaven die Nachricht erhalten, dass Koller gegen dessen Willen wieder abgezogen werden sollte, und zwar zum 02.09. Das wäre heute gewesen. Durch den neuen Mordfall sah alles wieder anders aus. Koller würde bleiben, bis der Fall abgeschlossen war. Meisner stöhnte. Er mochte den Kerl einfach nicht. Allein, wie der schon immer rumlief. Nie richtig rasiert, nun gut, Dreitagebärte waren scheinbar noch in, aber dann diese Klamotten. Genau das Gegenteil zu Felix Henrich. Der junge Mann bestach durch korrektes Auftreten und würde nie mit einem kaputten T-Shirt auf der Arbeit erscheinen.

Koller war wegen des plötzlichen Todes von Fritz Meier, dem Vorgänger von Christin Kim, nach Varel beordert worden, um bei der Aufklärung der vorigen Mordfälle zu helfen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4


Billy war stinksauer. Seine Freundin Rena hatte gelacht. Besser gesagt, sie hatte ihn schallend ausgelacht. Er hatte allen Mut zusammengenommen, um ihr das Cheyenne schmackhaft zu machen. Er hatte ihr gegenüber seine Mitgliedschaft bisher verschwiegen, weil er sie noch nicht so lange kannte und nicht alle Menschen sich für ein Westerndorf begeistern konnten. Das Dorf in Zetel gab es schon seit etwa zwanzig Jahren und er war, nachdem er 2016 den Tag der offenen Tür besucht hatte, so begeistert gewesen, dass er sofort in den Verein eingetreten war. Seitdem nannte er sich Billy, obwohl er eigentlich Onno Fischer hieß.

Er ließ den letzten Abend noch einmal Revue passieren, um über seinen Entschluss nachzudenken Rena zu verlassen. Er hatte seinen Cowboyhut aufgesetzt, um Renas Reaktion zu testen. Auch sein neues kariertes Sommerhemd, das so gut unter die hellbraune Weste mit den Fransen passte, zog er an. Die Weste steckte er jedoch in den Rucksack, weil es noch immer sehr warm war, als er sich Freitag nach Feierabend zu Fuß auf den Weg machte. Er besaß kein Auto, aber weil er ein begeisterter Wanderer war, machte es ihm nichts aus, den weiten Weg zu laufen. Mit dem Fahrrad fuhr er nur zur Arbeit oder um Einkäufe zu erledigen.

Gegen Abend kam er in Dangastermoor an und klingelte an Renas Tür. Sie wohnte im Meedenweg, etwas abseits von der Straße. Er wollte bei ihr übernachten und ihr die Sache mit dem Westerndorf schmackhaft machen. Wäre doch toll, wenn sie auch in den Verein eintreten würde. Unterwegs fing er heftig an zu schwitzen. Es war richtig heiß unter seinem Rucksack, der sehr schwer war, weil er eine Kühltasche mit Grillsachen darin verstaut hatte. Damit wollte er sein Vorhaben sozusagen würzen.

Nachdem Rena die Tür geöffnet hatte, starrte sie ihn einen Augenblick lang sprachlos an. Dann fing sie an zu grinsen und fragte:

„Is Karneval?“

Er schluckte. „Ne, das nicht. Ich wollte dich mit was überraschen!“

Sie starrte gespannt auf seinen Rucksack.

„Ne, nicht so. Im Gepäck hab ich nur was zum Grillen mitgebracht, aber das mein ich nicht.“ Er war unsicher geworden und lächelte sie von unten herauf an.

„Na, denn bin ich ja mal gespannt, Cowboy“, lachte sie und ihre Tochter Malina tauchte hinter ihr auf. Auch sie starrte zunächst mit offenem Mund auf seinen Cowboyhut. Aber die Kleine mochte ihn und er vermutete, dass sie eher eine Verbündete bei dem Vorhaben sein würde als eine Gegnerin.

„Hallo Malina! Na, Lust zum Grillen?“, fragte er und sie fing an zu strahlen.

„Oh super! Wir haben aber keine Grillkohle mehr!“

„Hab ich dabei! Is doch klar!“

Nachdem er ausgepackt hatte, brachte er den Grill in Gang. Dabei suchte er nach den richtigen Worten, aber ihm wollte nichts einfallen. Rena scharwenzelte um ihn herum. Sie war neugierig, das war sichtbar. Dann wurde es ihr wohl zu bunt. Nach der dritten Flasche Bier fragte sie jedenfalls:

„Was is denn nu mit der Überraschung? Willst du bei mir einziehen und traust dich nich zu fragen?“

Insgeheim hatte er tatsächlich schon mit dem Gedanken gespielt und er wusste, sie wäre nicht abgeneigt. Seine Wohnung in Zetel war winzig und sie hätten dort niemals zu dritt leben können. Aber erst mal wollte er das mit dem Cheyenne abklären. Er nahm allen Mut zusammen und rückte mit der Sprache heraus. Ihre Augen wurden immer größer. Sie prustete das Bier, das sie gerade noch im Mund hatte heraus und wollte sich halb totlachen.

„Ah, daher der Cowboyhut! Ich glaubs ja nich! Das sind doch alles Vollidioten, die da mitmachen!“, sagte sie.

Er war geschockt, blieb aber ruhig. Er wollte ihr Zeit geben, um sich die Sache noch mal durch den Kopf gehen zu lassen. Malina, die gespannt zugehört hatte, war neugierig geworden und wollte wissen, was es mit dem Cheyenne auf sich hatte und ob die da alle so einen Hut aufhätten. Aber Rena schickte sie nach dem Essen ins Bett und sie zog maulig ab.

Rena fing an zu lamentieren und zog ihn die halbe Nacht mit dem Cheyenne auf. Sie tranken beide zu viel Bier und irgendwann wurde es ihm zu viel. Schließlich sagte er wütend, sie könne ihn mal. Aber da war sie schon so voll gewesen, dass sie auf dem Campingstuhl eingenickt war. Er kam ins Grübeln, ob sie wirklich die Richtige für ihn sei. Dabei fielen auch ihm die Augen zu.

Gegen Morgen war ihm so kalt geworden, dass er wach wurde. Er beobachte Rena eine Weile. Sie schlief noch. Dann stand sein Entschluss fest. Er würde sie verlassen, und zwar für immer. Er verstaute seine Kühlbox im Rucksack, setzte seinen Cowboyhut auf und marschierte los. Er wollte nur noch nach Hause.








Kapitel 5


Montag, 02.09.2019

Weil Koller mit einem Gesicht wie Regenwetter umherlief, fragte ihn Edda, langjährige Sekretärin und gute Seele des Vareler Kommissariats, ob sie etwas für ihn tun könne. Sie mochte ihn und freute sich, dass er nun doch in Varel bleiben würde. Sie konnte nicht verstehen, warum anscheinend alle etwas gegen ihn hatten. An seinen wunderschönen Augen, die mal wie harter Stahl und mal wie der blaue Himmel aussahen, konnte es nicht liegen. Nun gut, er war nicht gerade ein Dressman. Aber, obwohl er eigentlich immer nur grummelte, war ihr seine gute Seele hinter der gekräuselten Stirn nicht verborgen geblieben.

„Ach Edda“, antwortete er, „du weißt doch: Milla! Ich habe sie verärgert. Ich hab Thea mehrmals getroffen, ohne es ihr zu erzählen. Aber eigentlich war das immer nur wegen Kobold. Milla hat es missverstanden und gesagt, sie will Abstand. Stell dir vor, sie will plötzlich anfangen zu reiten.“

„Nein,“ sagte Edda und schüttelte den Kopf. „Ist nicht plötzlich.“ Sie atmete tief durch, bevor sie weitersprach. „Weißt du, vor ungefähr zweieinhalb Jahren ist Milla vom Pferd gefallen. Sie war am Rücken verletzt und es sah lange so aus, als ob sie was davon zurückbehalten würde. Aber Gott sei Dank ging es ihr bald wieder besser. Trotzdem beschloss sie, das Reiten aufzugeben. Zu tief hatte der Schock gesessen. Sie hatte sich dann in den Kopf gesetzt, Hundetrainerin zu werden. Mittlerweile hat sie es ja sogar zur Staffelführerin geschafft. Aber wie sie mir vor Kurzem anvertraut hat, gingen ihr die Pferde nicht aus dem Kopf. Ich verstehe das. Pferde sind nun mal etwas ganz Besonderes.“

„Hunde aber doch auch“, konterte Koller, der nichts auf seinen Kobold kommen ließ. Er war überrascht, weil Milla ihm gegenüber nie etwas von der Geschichte erwähnt

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 21.02.2022
ISBN: 978-3-7554-0821-5

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