Cover

Intro

 

Wolfslegenden

 

von

 

Eden Barrows

 

 

Die Magierin

 

Die weiße Wölfin Isuzu rettet dem Menschenmädchen Yenene das Leben, nicht ahnend, dass dadurch der gesamte Wald in Gefahr schwebt, denn das Mädchen verfügt über dunkle, magische Fähigkeiten. Nur wenn Isuzu die Fehde mit dem alten Bären Yana beendet, können die Tiere überleben.

 

 

Die Hüterin

 

Die junge Studentin Jenna Robbins verbringt zur Selbstfindung ein paar Tage in den kanadischen Wäldern. Nach einem Sturz lernt sie einen geheimnisvollen Wolf kennen und erfährt lang gehütete Geheimnisse aus

ihrer Vergangenheit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wolfslegenden

von Eden Barrows

 

Copyright: © Eden Barrows – publiziert von telegonos-publishing  

Cover: © Coverkiste

(Beate Geng http://www.geschenkbuch-kiste.de/die-cover-kiste/) 

 

www.telegonos.de  

(Haftungsausschluss und Verlagsadresse auf der website) 

Kontakt zur Autorin:

http://www.telegonos.de/aboutEdenBarrows.htm 

avapink73@gmail.com 

 

 

Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen, sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Inhalt:

Inhalt:

 

Die Magierin

Die Hüterin

Persönliche Worte über die Wolfslegenden

weitere Titel der Autorin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Magierin

Die Magierin

 

Prolog

 

Der Tag ihrer Geburt war ein langersehntes und freudiges Ereignis. Ihre Eltern hatten schon vier Kinder an den eisigen Winter verloren und beteten zu den Ahnen, dass dieses Kind das Licht der Welt erblicken durfte. Sie kam in einer frostigen Winternacht zur Welt. Die Kälte konnte ihr nichts anhaben, sie schien geradewegs zu verschmelzen mit dem Schnee, der tanzend vom Himmel zur Erde fiel.

Beim ersten Blick in ihre Augen wussten ihre Eltern bereits, dass dieses Mädchen zu etwas Großem auserkoren war. Niemand zweifelte daran, dass sie auch die nächsten Winter überleben würde. Es schien ihre Natur zu sein, der Erstarrung der kalten Jahreszeit zu trotzen. Eines ihrer Augen war so blau, wie die Gletscher in den Höhen der Berge und so tief, wie die eiskalten Seen, in denen sich das Schmelzwasser sammelte. Das andere hingegen war bernsteinfarben, so undurchdringlich und geheimnisvoll wie das eines Wolfes. Als sie älter wurde, fiel ihre Außergewöhnlichkeit auf. Oft starrte sie stundenlang in den Himmel und keiner der Dorfbewohner wusste, was sie dort suchte. Auch ihr Äußeres veränderte sich mit der Zeit. Ihre Haut schimmerte wie die ihrer Sippe in einem sanften Bronzeton. Sie hatte ebenholzschwarze Haare und war mit einem anmutigen und schlanken Leib gesegnet. Ihre Augen jedoch flößten den Menschen Furcht ein, denn sie strahlten mystisch, waren stets wachsam und hatten einen alten, weisen Ausdruck. Sie passten so gar nicht zu einem jungen Mädchen, denn das Wissen vergangener Tage lag in ihnen. Ihr Totem, der Wolf, sprach aus diesen lebensklugen Augen. Eines Tages, sie zählte gerade einmal fünfzehn Sommer, bemerkten ihre Eltern, dass sie sich davongeschlichen hatte und in den Wald gegangen war. Die ganze Sippe geriet in helle Aufregung, denn es war gefährlich für jedermann, alleine in die Wälder zu gehen, und erst recht für ein junges Mädchen. Als sie gefunden wurde, saß sie inmitten eines Wolfsrudels und hielt scheinbar Zwiesprache mit den Tieren. Die Jäger zögerten keine Sekunde, legten ihre Bögen an und beschossen die Wölfe mit ihren tödlichen Pfeilen. Andere gingen auf die wehrlosen und völlig perplexen Tiere mit Speeren los, bis kein Wolf mehr lebte. Das Kind schrie kummervoll und rührte sich nicht vom Fleck. Eine Blutlache breitete sich um sie herum aus und der Lebenssaft der toten Tiere verfärbte den Schnee rot. Mit leeren Augen und gebrochenem Herzen starrte sie auf die geschundenen Körper der Tiere, und auch in ihr starb etwas an jenem Tag. Sie spürte den Schmerz, den die Wölfe erlitten, als wäre es ihr eigener. Sie fühlte, wie die Seelen des Rudels zu den Ahnen schwebten und nichts vermochte sie zurück zu halten.  

Die Sippe brachte sie ins Dorf und isolierte sie in ihrem Zelt. In dieser Zeit saß sie nur auf einer Stelle und murmelte ununterbrochen Worte in einer fremden Sprache. Ihre Fingernägel begannen zu wachsen, und schneeweiße Strähnen durchzogen ihr Haar. Als ihre Eltern sie nach einigen Tagen ins Freie zerrten, wichen die Menschen geschockt und angsterfüllt von ihr ab. Nun wurde allen offenbar, was das Mädchen so besonders machte: Sie war von den Geistern verflucht wurden, denn alles Menschliche an ihr begann langsam zu schwinden. Ihre Augen funkelten vor Zorn, als sie auf ihre Sippe schaute. Kleine Flammen flackerten in den Fenstern ihrer Seele, und die Menschen drohten darin zu versengen. Sie stellte sich inmitten des Kreises, den die Menschen um sie bildeten, öffnete ihre Handflächen und hob die Hände gen Himmel. Wieder begann sie, in dieser fremden Sprache zu sprechen, und ihre Stimme schwoll immer mehr an. Ihre Augen verdunkelten sich zu einem tiefen schwarz. Die Sippe vernahm Geräusche aus dem Wald, die wie das Trampeln von tausenden Füßen klang. Angsterfüllt und panisch rotteten sie sich zusammen. Mütter scharten ihre Kinder um sich und hielten sie fest in den Armen. Die Jäger waren bereit zu einem Kampf, wenngleich sie nicht wussten, wogegen sie kämpfen sollten.  

Um das Mädchen herum bildete sich Rauch, und am Himmel zuckten Blitze auf. Doch sie sprach unbeirrt weiter. Wie die Zungen tausender Dämonen, sprudelten die Worte aus ihr heraus. Aus ihren Handflächen schossen blaue, eisige Blitze und ließen alles um sie herum erstarren. Ein kalter Nordwind fegte über die Ebene und durch das Dorf. Die Menschen erschauerten. Nie zuvor war es kälter gewesen als an jenem Tag, und das Eis knackte und krachte bedrohlich. Die Erde begann zu beben, wie bei dem Galopp einer Horde Wildpferde, die sich ihren Weg durch den Wald bahnten. Alle in der Sippe schrien entsetzt auf und liefen auseinander, um sich zu retten. Doch mit Grauen stellten sie fest, dass ihr Dorf von unzähligen Wölfen umzingelt war. Mit gefletschten, zum Töten geschaffenen Zähnen, tropfnassen Lefzen und blutunterlaufenen Augen, kam ein tiefes, hungriges und wütendes Knurren aus dem Innersten ihrer Leiber. Ihre Körper waren bereit zu einem Angriff, doch das Mädchen gebot ihnen Einhalt. Winselnd und gehorsam legten die Wölfe ihre Häupter nieder und warteten auf Befehle. 

„Solltet ihr jemals wieder einen Wolf töten“, sprach das Mädchen zu seiner Sippe, „werde ich ihnen befehlen, euch zu töten.“ 

Die Menschen stimmten verängstigt zu, und auf eine Handbewegung des Mädchens wurden die Wölfe eins mit dem Rauch und verschwanden, als wäre nichts geschehen, in dunstigen Nebelschwaden. 

Nur langsam wurde den Menschen klar, womit sie es zu tun hatten. Es war dunkle Magie, so wie sie nur von Schamanen ausgeführt werden konnte. Doch selbst die größten Schamanen, bedienten sich nicht den schwarzen Dämonen, denn auch sie fürchteten deren Macht. Die Dorfbewohner beschlossen den Tod des Mädchens.

Als das Mädchen in dieser Nacht in seinem Zelt lag, vernahm es die Schritte und gedämpften Stimmen ihres Volkes. Sie ahnte bereits, dass ein Unglück auf sie zukommen würde, doch bevor sie nachsehen konnte, was die Sippe im Schilde führte, ging ihr Zelt in Flammen auf. Für sie gab es keinen Ausweg mehr. Panisch hustend versuchte sie, ins Freie zu gelangen. Ihre unmenschlichen, gequälten Schreie durchschnitten die Nacht, doch niemand eilte ihr zur Hilfe. Mit stoischer Selbstzufriedenheit beobachtete die Sippe ihr grausiges Verbrechen. Mit letzter Kraft schleppte sie sich aus dem Zelt. Sie brannte lichterloh und lief kreischend und vor Schmerz halb wahnsinnig, wie eine lebende Fackel in den Wald. Die Menschen der Sippe brüllten ihr aufgebracht hinterher und hofften, sie möge für alle Zeit im Tal der bösen Geister schmoren. Als ihre Schreie verebbt waren, blieb nur ein Haufen Asche übrig, die sich wie eine Spur in den Wald zog.  

Seit dieser Zeit sprach man nur noch vom Eisherz, jenem bösen Menschen aus ihren Legenden,  der Unheil über sie bringen wollte. Yenene, die Magierin, war für alle Zeit tot und mit ihr das Erscheinen der bösen Wölfe vorbei. Die Menschen schlossen einen Pakt, der es verbot, sich einem Wolf zu nähern. Von diesem Tag an sollte der Wolf nicht länger das Totem der Sippe sein. Sie waren sich einig, dass das Mädchen mit den Geistern der Wölfe verschmolzen war und damit einen Fluch über die Ebene und den Wald gebracht hatte.  

Nur einer von ihnen zog sich sorgenvoll zurück und ahnte bereits, dass ein Sturm über sie alle kommen würde. Ein Krieg würde ausbrechen, so wie ihn weder Mensch noch Tier jemals erlebt hatte. Dieses Schicksal ließ sich nur aufhalten, wenn sich jeder Clan, jede Sippe und jede Rasse ihrer Bestimmung bewusst wurde. Doch die Zeit des Eingreifens war noch nicht da, und die Ahnen teilten dem alten Schamanen mit, dass noch viele Monde ins Land gehen würden, ehe wieder Frieden herbeigeführt wurde.

Und so sollte es geschehen. Es vergingen Jahre, in denen man nichts von der Magierin und den Wölfen sah. Bis das Unglück seinen Lauf nahm.

 

 

Kapitel 1

 

Es war Winter und der Wald schien zu schlafen. Eine dicke Schneeschicht bedeckte den Boden und verwandelte die Gegend in einen magischen Ort. Hier und da äste ein Elch, und ein paar aufgeschreckte Schneehühner flatterten aufgeregt durch die morgendliche Kälte. Immer wieder rieselte Schnee von den hohen Baumwipfeln auf die Erde. Wie eine sanfte Umarmung legten sich die zarten Flocken über die ruhenden Sträucher. Kleine Fußspuren, die im Zickzackmuster durch den Schnee verliefen, zeugten davon, dass der Wald nicht vollständig ausgestorben war. In der Ferne erschallte das donnernde Rauschen des Wasserfalles, der in Sturzbächen aus den Bergen ins Tal floss, um in stiller Duldsamkeit eins zu werden mit dem Fluss. Kleine Tautropfen stoben über dem Wasser auseinander und verwandelten sich in eisige Tränen. Die Eiszapfen begannen langsam zu schmelzen und tropften. Die Welt um das Flussbett herum schimmerte wie Kristall in der noch schwachen Sonne des letzten kalten Monats. In den Höhlen am Fuße der Berge schliefen die Bären und warteten auf das erste Grün des Frühlings. Erwartungsvoll steckten sie hin und wieder ihre Nasen aus der Höhle, um zu sehen, wie weit die Schneeschmelze vorangegangen war. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Ebene zu neuem Leben erwachte. Doch die Natur brauchte Ruhe und schlummerte noch eine Weile unter dem Eis. 

 

Mit geschmeidigen Schritten lief eine junge Frau durch die mystisch anmutende Talebene. Es schien als würde sie lustwandeln. Der Schnee und die Kälte konnten ihr nichts anhaben. Wie eine Luftspiegelung bahnte sie sich mühelos ihren Weg durch das kalte Element. Hier und da blieb sie stehen und lauschte. Ein Lächeln huschte über ihr zartes, fein geschnittenes Gesicht, als sie den Ruf ihrer Freunde vernahm. Es ging ihnen gut und ihr Herz frohlockte. Sie lief weiter, denn sie wollte bis zum Mittag ihr Lager erreichen. Mit ihren schlanken Fingern strich sie sanft durch den Schnee und hinterließ feine Furchen, die von ihrer Existenz erzählten. Sie liebte diese eisige Stille und fühlte sich mit ihr verbunden. Ihr Name war Yenene, was Zauberin bedeutet. Sie hatte frohe Kunde für ihre Freunde und eilte sich, um ihnen so schnell wie möglich davon zu berichten. In der Ferne konnte Yenene etwas ausmachen. Es war nur eine kleine, fast schemenhafte Bewegung, doch ihren scharfen Augen entging nichts. Ein verschreckter Hase versuchte bei ihrem Anblick, schnellstens das Weite zu suchen. Yenene spannte ihren Körper und schlich sich geduckt näher. Ihr Gesicht verwandelte sich in eine Wolfsfratze, ihre Zähne wuchsen und in ihr erwachten die Instinkte eines Tieres. Ihre Sinne waren nicht länger die eines Menschen, sie wichen dem Jagdtrieb eines wilden Geschöpfes. Noch ehe das kleine Tier eine Möglichkeit zur Flucht hatte, sprang Yenene mit einem einzigen Satz auf den Hasen zu, und packte ihn mit ihren gewaltigen Reißzähnen am Genick. Der Hase fiepte panisch und zappelte wie wild in Yenenes Fängen. Dann knackten die dünnen Knochen des unterlegenen Opfers und der Morgen hatte seine Vollkommenheit wieder. Nur ein paar Blutstropfen im Schnee zeugten von dem Mord, der soeben begangen wurde. Yenenes Gesicht entspannte sich und sie war die Schönheit von zuvor. Sie band den Hasen an ihren Gürtel, reinigte sich das blutverschmierte Gesicht mit Schnee und lief weiter. Endlich erreichte sie den Wald. Sie kannte ihn in - und auswendig. Jeder Baum und jeder Strauch hatte seine eigene Geschichte. Uralte, stumme Wesen, die viele Generationen von Mensch und Tier überlebten. Die stattlichen Zedern und Kiefern flüsterten ihre Geschichten und ihr Wissen im sanften Rauschen des Windes. Nur denjenigen mit dem Herz des Waldes  gelang es, ihre Botschaften zu verstehen. Fast ehrfurchtsvoll betrat Yenene das Gebiet der weisen Bäume und vernahm den Ruf eines Kauzes. Sie begrüßte ihn, indem sie seinen Ruf imitierte. Yenene war mit jedem Tier im Wald und in den Bergen vertraut und besaß die Fähigkeit, mit jedem von ihnen zu sprechen. Der alte Kauz Waban war der allwissende Wächter des Waldes. Ihm entging nichts, sein Ruf schallte weit über die Talebene und den Wald der Plains.  

Yenene erblickte das erste zarte Grün an einer Kiefer. Ein noch junger, feinfädiger Spross, der im Laufe der nächsten Monde ein starker Zweig wurde. Der Winter war bald zu Ende und der Frühling würde mit all seinem neuen Leben anbrechen. Ein leiser Anflug von Wehmut erfasste Yenene, wenngleich sie wusste, dass ihre Freunde ausgezehrt waren und den Frühling so dringend brauchten. Die Zeit der Jagd würde hereinbrechen und es sollte für alle ein Fest der Freude werden. Schon bald wollte sie ein neues Mitglied in ihrer Gemeinschaft Willkommen heißen, und diese Gewissheit ließ Yenenes Herz höher schlagen. Die Luft war nun nicht mehr so schneidend wie zum Anfang des Winters. Mit dem Eintreten des Frühlings würde diese weiße Vollkommenheit zerstört werden.  

Ihre Füße trugen sie weiter und sie hielt die Nase in den Wind. Die Wölfe waren nun so nah, dass Yenene sie riechen konnte. Ihre Spur lag wie ein unsichtbarer Schleier über dem Wald und der Ebene. Das gesamte Territorium war frisch abgesteckt, um Feinde fernzuhalten. Sie waren Yenenes Familie geworden, ihre Freunde und Verbündeten. Als Yenene damals zu ihnen stieß, war das Rudel nicht sehr groß. Zu viele Opfer forderte der Krieg und ein Teil von ihnen wurde ins Tal der Ahnen verbannt. Doch Yenene sorgte dafür, dass das Rudel unaufhörlich wuchs. In all den Jahren, in denen sie nun schon bei den Wölfen lebte, kamen jedes Jahr ein bis zwei neue Tiere hinzu. Mittlerweile gehörte das Rudel zu den größten und schönsten der Plains. Niemand wagte es, sich mit ihnen anzulegen. Es lag nun sieben Winter zurück, dass Yenene aus ihrem Dorf in die Wildnis gejagt wurde. Ihre alte Sippe hatte sie angezündet und geglaubt, sie wäre gestorben. Doch schon bald war ihnen klar geworden, dass Yenene keinesfalls tot war. Das Mädchen hatte mit ihrem Leben abgeschlossen, als sie brennend und halb wahnsinnig vor Schmerz am Flussufer zusammenbrach. Auch damals war es Winter gewesen und Yenene rettete sich, indem sie die Flammen im Schnee erstickte. Ihre Verletzungen waren so entsetzlich, dass sie kaum mehr eine Überlebenschance hatte. Ihr Körper war verkohlt, entstellt und schmerzte furchtbar. Sie nahm den Gestank ihrer verbrannten Haut wahr und flehte um die Erlösung des Todes. Yenene legte sich zum Sterben nieder und schwor ewige Rache für ihr Volk. Sie würde aus der Geisterwelt zurückkommen und Vergeltung an jenen üben, die ihr dieses Leid angetan hatten. Zwei Tage und zwei Nächte wand sie sich im Todeskampf, doch die rettende Umarmung von Gevatter Tod wollte sich nicht zeigen. Als Yenene endlich bereit war, den letzten Atemzug zu tun, trat ein Wolf an sie heran. Mit gesenktem Haupt und demütigem Blick schnupperte der Schwarze an ihr. Nun war sich Yenene sicher, bei ihren Ahnen aufgenommen zu werden, denn sie schickten ihr den Wolf als Schutzgeist. Doch der Wolf legte seinen Kopf in den Nacken und begann zu heulen, dass es Yenene durch Mark und Bein ging. Immer wieder stieß er seinen klagenden Gesang aus und wich Yenene nicht von der Seite. Schließlich legte sich der Schwarze zu ihr und wärmte sie mit seinem Körper. Angelockt durch seinen Ruf kamen weitere Wölfe und leisteten ihr Gesellschaft. Eine prachtvolle weiße Wölfin, mit Namen Izusu, schritt würdevoll und erhobenen Hauptes durch das Rudel und richtete das Wort an das sterbende Mädchen. 

„Fürchte dich nicht, Tochter des Waldes. Wir haben von deiner Tat gehört. Dir ist großes Unrecht geschehen und ich sehe es als meine Pflicht an, dir etwas zu schenken. Als Belohnung und Dank dafür, dass du versuchst hast, unseresgleichen zu retten, gebe ich dir das Leben. Aber es bedeutet, dass du nie wieder unter den Menschen weilen kannst, sondern ein Teil von uns wirst. Einst wurdest du unter dem Stern des Wolfes geboren, und du besitzt große Magie in dir. Ich frage dich daher, Yenene aus dem Stamm der Ni-tsi-ta-pi, Tochter des Ourag und der Kamata, bist du bereit, die Gabe anzunehmen?“ 

Yenenes verkohlte Lider flatterten und sie nickte schwach.

„So soll es geschehen“, sagte Izusu und wies ihr Rudel an, einen Kreis um Yenene zu bilden.

Izusu setzte sich zu dem Mädchen und wartete, bis diese für ihren letzten Atemzug Luft in ihre Lungen sog. Dann beugte sich Izusu zu Yenene hinunter, umschloss mit ihrem Maul Yenenes Lippen und hauchte der Sterbenden ihren eigenen Odem ein. Die Seelen vieler Generationen von Anführern und Kämpfern gingen auf Yenene über. Die Geister der großen Wölfe durchströmten sie, und Yenene wurde erfüllt vom prallen Leben des Waldes. Sie spürte die Kraft der weißen Wölfin in ihrem Leib, in ihren Adern und ihrem Blut. Sanft wurde sie in eine andere Welt hinüber getragen, weit weg von Schmerz und Leid. Sie sah ihre Vorfahren tanzen und singen, und sie reichten Yenene die Hände, um sie in ihrer Mitte aufzunehmen. Die Leiber verschmolzen mit denen der Wölfe und sie wurden eins. So tat Yenene ihren letzten Atemzug als Mensch. Als der Mond hoch am Himmel stand und die Talebene in ein sanftes, kaltes Licht tauchte, wurde Yenene wiedergeboren. Die furchtbaren Entstellungen an ihrem Körper verschwanden, zurück blieb nur eine Narbe, die sich über ihre linke Gesichtshälfte zog. Yenenes Sinne wurden die eines Tieres und sie spürte eine unbändige Lust am Leben in sich pulsieren. Die Geister verflogen und Yenene erhob sich. Die Wölfe hießen sie in ihrer Mitte willkommen, verbeugten sich ehrfurchtsvoll und Yenene stimmte in ihren Mondgesang ein. So zog sie mit den Wölfen von dannen, in deren Heimat tief in den Wäldern. Im Laufe der Zeit lernte Yenene alles, was ihr neues Leben an Anforderungen mit sich brachte. Durch ihre immer noch schwach vorhandene menschliche Seite wuchs ihre Magie und sie erlernte die Fähigkeit, diese zu nutzen. Ihr wölfischer Teil wurde so ausgeprägt, dass auch sie sich auf die Jagd begab und sich bei Bedarf in ihr Totem verwandelte. Izusus Kraft in ihr war einzigartig. Die weiße Wölfin war Yenene eine treue Begleiterin und Freundin. Der schwarze Wolf Motega wurde Yenenes Seelenbruder, denn ihm verdankte sie ihre Rettung. 

 

Das alles lag lange zurück und Yenene dachte kaum noch an diese Nacht. Doch wenn sie es tat, berührte sie ihre entstellte Gesichtshälfte, und der alte Hass auf ihre Sippe keimte in ihr auf. Die Menschen, welche die Plains bewohnten, wussten sehr wohl von ihr, wenngleich niemand es wagte, von ihr zu sprechen. Sie hielten Zeremonien ab, um die Dämonen des Waldes von den Dörfern fernzuhalten. Opfergaben wurden in den Wald gebracht, um die darin lebenden Geister zu besänftigen. Zu Beginn waren Jäger ausgesandt worden, um dem Unheil Einhalt zu gebieten. Doch niemand kam lebend zurück. Stattdessen wuchs das Wolfsrudel immer weiter an, und die Menschen konnten sich keinen Reim darauf machen. Als keine Jäger mehr in den Wald geschickt wurden, verschwanden plötzlich die Söhne und Töchter der Sippen. Die Schamanen machten sich zu den Geistern auf, um in Erfahrung zu bringen, wohin ihre Erben verschwunden waren. Sie kehrten mit der Antwort zurück, die Geister des Waldes hätten die Kinder zu sich genommen. Nun wusste sich niemand einen Rat mehr, und die Sippe begann zu wehklagen und zu verzweifeln. Die Frauen wurden fortgeschickt, um ihre Kinder in der Ferne zu gebären, doch auch diese Lösung brachte nichts. Sobald die Kinder das Licht der Welt erblickten, verschwanden sie spurlos. Die Sippe reduzierte sich stetig. Es gab kaum noch lebende Nachkommen und niemanden mehr, den die Dorfältesten und Krieger hätten ausbilden können. Jetzt war Yenene am Ziel ihrer Rache. Einen noch wollte sie zu sich nehmen. Noch einen Sohn sollte sie schon bald ihr Eigen nennen und ihn im Sinne der Wölfe erziehen. Nicht mehr lange, und die Ehefrau von Häuptling Hinun würde ein Kind zur Welt bringen. Dieser Sohn trug die lange Blutlinie großer Häuptlinge in sich und Yenene wollte ihn großziehen wie ihr eigenes Kind, welches ihr aufgrund der schändlichen Tat der Sippe verwehrt geblieben war. Nur noch wenige Wochen würde es dauern, dann endlich war sie am Ziel. Yenene hatte keineswegs Gewissensbisse, dass sie im Begriff war, die Sippe fast vollständig auszulöschen. In ihren Augen war es ausgleichende Gerechtigkeit, und auch die Wölfe hielten sie zunächst nicht von ihrem Plan ab. Zu groß war die Verführung, eines der mächtigsten Rudel aller Zeiten zu werden, und Izusu verpasste den Zeitpunkt,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 12.10.2015
ISBN: 978-3-7396-1770-1

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