Buch 2
Die geheimnisvolle Kadra
Diese Geschichte ist frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Handlungsorte sind teils fiktiv.
Kelowna, Gemeinde von Santa Barbara - (Santa Barbara County, Kalifornien)
Einführung
Mein Name ist Adrica, und ich habe beschlossen, die Ereignisse vor und seit meinem zwölften Geburtstag aufzuschreiben.
Die mysteriösen Ereignisse begannen zur Adventszeit in der Gemeinde Tanglewood, die zu Santa Maria in den kalifornischen Santa Barbara Countys gehört.
Als ich wegen einer Kleinigkeit ins Krankenhaus musste, ergab es sich, dass meine Mutter das Leben eines anderen retten konnte. Sie stimmte zu, wir konnten nicht ahnen, was das für unser zukünftiges Leben bedeuten würde.
Als ich Daria kennenlernte, ahnten wir beide nicht, was auf unsere Familien zukommen würde.
Waren es nur Zufälle oder Teil eines uralten Plans? Gemeinsam mit Daria versuche ich der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Die Ereignisse, die mir von allen beteiligten Personen erzählt wurden, bilden die gesamte Geschichte, in deren Verlauf ich als Adrica darüber schreiben werde.
Mit meiner Cousine Daria hatte ich einen unglaublichen Geburtstag und ebenso ein Weihnachtsfest hinter mir.
Durch die geheimnisvolle Kadra Kathner, die unseren Familien ein sagenhaftes Angebot gemacht hatte, gelangen wir in ein neues Zuhause, wo alle unter einem Dach leben können. Das betrifft auch unsere Großeltern und Freunde der Familie. Wir lernen unsere alten Freunde wieder kennen und machen viele neue Freunde. Aloha Hawaii, so lautet das Motto meiner Eltern auf ihrer Hochzeitsreise, und Mahalo an Darias Angehörige, die ihr bisheriges Leben auf der Insel aufgeben. Endlich klären sich die scheinbaren Zufälle auf, und Daria und ich werden gebeten, eine Legende niederzuschreiben, die die Missionen von Kadra und ihrem Geheimbund beschreibt.
Zur Erinnerung
An der Zufahrtsstraße angekommen, waren Adrica und Daria sprachlos. Genau das hatte man ihnen im Reisebüro gezeigt. Die Gemeinde machte einen guten Eindruck, das zeigte sich auf dem Weg zur Kirche. Dort warteten die Reverent Mariano und Kadra Kathner. Wie in Tanglewood lagen die Schulen und die Kirche dicht beieinander. Auch die Lage an einem Feld war identisch.
Auf dem Parkplatz standen die Autos der Gospelsingers: „Ich bin gespannt, was uns erwartet“, flüsterte Daria.
Adrica schaute zur Kirche hinüber: „Ich bin auch gespannt“, flüsterte sie und riskierte einen Blick auf die andere Seite. „Die Leben hier bestimmt von den Obstgärten.“
„Wie kommst du darauf?“ Daria überlegte, musterte die Umgebung und nickte beiläufig. „Du könntest recht haben“, stimmte sie ihrer Cousine schließlich zu. Sie stieg aus dem Auto. „Aber hier gibt es bestimmt Pferde!“, fluchte sie leise, nachdem sie mit einem Schuh in etwas Weiches getreten war.
Paolo ging zu Carlos ans Auto: „Da sind wir. Der erste Eindruck ist der beste, sagt man.“
Carlos lächelte: „Deine Tochter hat schon erste Bekanntschaft mit den hiesigen Sitten gemacht.“
„Das glaube ich nicht!“ Adrica verschlug es fast die Sprache, denn was sie vor der geöffneten Kirchentür sah, hätte jedem anderen die Sprache verschlagen.
Carlos stieß Ricarda leicht an. „Das sind Conrad und Susan.“
„Ja“, bestätigte Ricarda. „Und seine Eltern. Ich will nicht sagen, dass sie nur meine Chefs sind. Das wäre schon richtig, aber durch das, was damals mit meiner Mutter und ihrem ersten Fall passiert ist, ist es mehr als eine gemeinsame Kanzlei geworden.“
Estella hörte ihrer Tochter aufmerksam zu. „Dann ist es also wahr“, bemerkte sie in traurigem Ton.
„Du hast davon gewusst? Ich meine, dass sie heute hier sind? Mama, ich kenne deinen Tonfall, er sagt mir ...“
„Nein, Ricarda. Wir haben schon lange darüber gesprochen. Erinnerst du dich an den zwielichtigen Texaner, der vor Wochen in der Kanzlei aufgetaucht ist?“
„Du hast mir von ihm erzählt. Ich habe ihn nicht gesehen. Wir haben uns in unserem Gespräch auch nicht weiter über ihn unterhalten. Ich nehme an, er war mehr als nur ein Besucher. Er war kein Mandant, oder?“
Estella schaute zur Kirchentür: „Nein, er war kein Mandant. Wenn ich ihn so nennen darf, dann begrüßen wir unsere Freunde. Ich bin sicher, sie sind hier und es hat etwas mit dem Texaner zu tun.“
Estella hatte recht. Die Familie Walker musste dem Texaner das Land und das Haus überlassen. Er handelte im Auftrag eines Kunden, der im Hintergrund agierte und bisher unerkannt geblieben war.
„Ich habe euch eine Überraschung versprochen, mehr brauche ich wohl nicht zu sagen“, begrüßte Kadra Kathner die Familien. „Die Anwaltskanzlei in Kelowna sucht Fachanwälte. Keine Sorge, die Gemeinde ist sicher, niemand hat keine Ansprüche auf das Land. Familie Walker hat schon zugesagt und wird bald in der kleinen Siedlung wohnen. So nennen wir das gesamte Gelände, auf dem einst der Gründer der Gemeinde und seine Bediensteten lebten. Heute wird Reverent Mariano seine erste Messe feiern. Eure Anwesenheit gibt ihm Kraft in dieser neuen Umgebung.“
Adrica hatte ihre eigenen Gedanken. Auf der Fahrt zu der kleinen Siedlung klangen ihr die Lieder der Gospelsänger in den Ohren: Amazing Grace bis Oh Happy Day. Würde es ein glücklicher Tag werden? Versprach man den Familien nicht zu viel?
In der kleinen Siedlung
„Ich nehme alle Bedenken bezüglich des Anwesens zurück“, gab Daria kleinlaut zu.
„Ich hoffe, du willst nicht das Gegenteil behaupten“, entgegnete Adrica.
Nach kurzem Nachdenken stieß Daria ihre Cousine an.
Ricarda stand fassungslos vor dem Gebäude. Der Eingang lag in der Mitte.
Der Weg führte am Haus vorbei zu den Nebengebäuden und dem ehemaligen Pferdestall, er endete vor einer zwei Meter hohen Mauer, die das Anwesen begrenzte. Durch eine Tür gelangte man zum Steg, der über den künstlichen Bewässerungskanal zu den Erdbeerfeldern führte. Der Weg endete bei der Kirche.
Ricarda sah sich verträumt um. „Hier hätten wir alle Platz.“
„Das könnte sein“, bestätigte Carlos die Bemerkung seiner zukünftigen Frau. „Auch für die Kinder wäre es gut.“
„Und dann könnten die Nebengebäude für unsere Eltern, die Walkers, Josy und Robin sein?“, wollte Ricarda wissen.
„Wenn wir dieses ‚Erbe‘ annehmen, wäre alles möglich. Die Meinung der Mädchen müssen wir natürlich auch einholen, obwohl wir das müssen.“
Kadra Kathner ging den Schotterweg vor der Haustür entlang und hielt das Klemmbrett mit dem Kugelschreiber vor ihrem Körper. Sie war in Gedanken versunken. Sie wusste alles über dieses Anwesen, nicht nur aus jüngster Zeit. Die Lesebrille war nicht das, wofür sie gedacht war. Es waren einfache Gläser ohne Stärke und der Rahmen war etwas zu groß. Gelegentlich schob sie sie an die richtige Stelle auf ihrer Nase.
„Ich hoffe, Sie konnten sich einen ersten Eindruck verschaffen. Sie kennen das Sprichwort vom ersten Eindruck. Wissen Sie, warum das eigentliche Sprichwort ein ganzer Satz ist?“, lächelte sie. „Ganz ehrlich, haben Sie mit all dem hier gerechnet?“
Ricarda konnte ihren Blick nicht vom Haus abwenden. Als sie schließlich bereit war, sah sie sich nach ihrer Familie um. Ihre Antwort war ein leichtes Kopfschütteln.
„Die Gebäude sind seit ihrer Errichtung im Originalzustand, der einzige Umbau betrifft den Glockenturm. Die Innenausstattung ist topmodern, was Elektrik und Sanitär betrifft. Wenn Sie etwas nach Ihren Wünschen ändern möchten, steht es Ihnen frei. Auf jeden Fall ist alles energieeffizient, wo es nur geht.“ Kadra bemerkte Ricardas Interesse, das im Moment auf die Außenbeleuchtung und das rote Alarmsignal gerichtet war. „Auch die Sicherheit wurde nicht vernachlässigt. Ich habe bemerkt, wie Sie alles inspizieren. Übrigens gehört die Säule auf dem Weg von der Landstraße zum Anwesen zu einem Überwachungssystem.“
Ricarda klammerte sich an Carlos, der bisher kein Wort verloren hatte, denn auch er war von all dem fasziniert. Sie fand die Worte, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. „Es ist einfach unbeschreiblich. Die Farbabstimmung und nicht nur das. Ich glaube, es ist ein Außengang, den ich in der oberen Etage erkennen kann. Das Grün des Brüstungsgitters passt zur Umzäunung. Genauso wie die schmiedeeiserne Tür vor dem Eingang. Besonders gefallen mir die Palmen, die hier im Einklang mit den heimischen Bäumen stehen.“
Vielleicht waren ‚der Wahnsinn‘ die einzigen Worte, die Daria in dieser Situation finden konnte.
„Haupthaus“, flüsterte Adrica in der Hoffnung, dass Daria etwas dazu sagen würde.
„Was meinst du? Standen die Bäume schon 1881 hier? Hat Kadra nicht von Nebengebäuden gesprochen? Ich möchte wissen, wie es hier damals aussah“, sagte Daria, während sie die Pflanzen am Wegesrand genau betrachtete.
„Ich muss dir von meinem Traum letzte Nacht erzählen“, sagte Adrica beiläufig.
„Traum“, wiederholte Daria und fand nichts Gefährliches am Boden. Sie wandte sich ihrer Cousine zu. „Es heißt, dass der Traum in der ersten Nacht in einem neuen oder fremden Bett die Wahrheit enthält. Okay, lass uns darüber reden. Wo sind eigentlich meine Eltern?“
„Sie sind bei Kadra“, sagte Adrica absichtlich besorgt. „Zumindest habe ich sie dort das letzte Mal gesehen.“ Sie betonte ihre Sorge.
„Ich bitte alle Familienmitglieder zu mir“, rief Kadra und öffnete eine grüne Metallgittertür.
Die Cousinen flüsterten wieder, während sie die Umgebung im Auge behielten.
„Lassen wir das Gespräch auf später verschieben. Ich bin gespannt, was uns drinnen erwartet“, sagte Daria.
Kadra blieb vor der Haustür stehen: „Dies ist der große Moment“, sagte sie und sorgte dafür, dass alle Familienmitglieder ihr Aufmerksamkeit schenkten. „An der seitlichen Türverglasung befindet sich ein Fingerabdruckscanner. Scannen und die Alarmanlage wird deaktiviert.“ Sie zeigte eine weiße Plastikkarte. „Es steht nichts darauf, kein eingebauter Chip, einfach nichts, ganz schlicht. Ihr legt die Karte mit der oberen, schmalen, farblich markierten Kante in die Ausbuchtung. Hört ihr das? Ein Stromausfall? Keine Sorge, das Passwort lautet: Notstrom. Es wurde auch Solarenergie in Betracht gezogen. Ich hoffe, ich langweile niemanden?“
„Ist ja ...“, begann Daria, aber sie unterbrach sich selbst, da sie wusste, dass Adrica sich an ihren Sprachgebrauch gewöhnt hatte. Umso erstaunter war sie über Adricas nächste Bemerkung.
„Irre“, sagte Adrica und wandte sich an Daria. „Du weißt, ich bastle gerne. Ich habe meine Zimmergestaltung selbst entworfen. Ich denke, unsere Generation interessiert sich für elektronische Gadgets. Sie hat auch von Energiesparen gesprochen.“
„Das werden wir gleich sehen“, sagte Daria und stupste Adrica leicht an. „Ich frage mich nur, was passiert, wenn wir diese Karten vergessen.“
„Dann schlafen wir draußen und hoffen auf gutes Wetter. Es wird schon eine Lösung geben, wir müssen nur fragen.“
„Eine unbeantwortete Frage habe ich noch. Nicht jeder Tag ist gleich. Manche Tage möchte man wiederholen, bei anderen hofft man auf ein baldiges Ende. Was ich sagen möchte, ist, dass wenn ihr aus irgendeinem Grund die Karte vergessen habt, ist es nicht weiter tragisch. Ich hoffe, jeder kennt sein Geburtsdatum. Einfach über die Zahlen am Bedienfeld eingeben“, erklärte Kadra.
„Und die Tür öffnet sich. Unbeantwortete Frage beantwortet“, murmelte Daria.
„Ich frage mich langsam, ob Kadra Gedanken lesen kann“, sagte Adrica und atmete tief ein. „Aber warte nur, bis ich dir von meinem Traum erzählt habe“, erinnerte sie Daria.
„Stimmt, das habe ich fast vergessen. Ich hoffe nur, dass es unsere Ferien nicht beeinflusst. Ich erzähle dir von meinem Traum lieber nicht, vor allem nicht meinen Eltern“, sagte Daria und bewegte nur ihre Augen.
„So schlimm?“, fragte Adrica nach. „Aber es hat Zeit. Irgendwann wird der Trubel hier vorbei sein und dann haben wir Zeit.“
Im Haus
In der Küche ging es nicht weniger um moderne Technik, was die Hausfrauen interessierte. Bei Fragen halfen die Bedienungsanleitungen.
Adrica und Daria trennten sich von ihren Eltern und begannen ihre Erkundungstour in der oberen Etage des Hauses, die aufgrund des Außengangs große Neugier weckte.
„Das ist der letzte Raum“, sagte Daria und öffnete die Balkontür. „Hier ist es genauso. Du kommst immer auf diesen Gang. Moment mal. Auf der anderen Seite gibt es keine Tür?“
„Nein“, bestätigte Adrica. Sie gewöhnte sich langsam an das Unglaubliche. „Egal, ich kann mich gut einrichten. Wie ist es bei dir?“
„Alles machbar. Wenn wir es nicht alleine schaffen, haben wir unsere Eltern. Ich bin sicher, Kadra würde uns helfen. Das würde bedeuten ...“, Daria hob die Augenbrauen, „dass du nichts gegen einen Umzug hättest.“
„Habe ich auch nicht. Das liegt alles bei meinen Eltern.“
„Ich kenne meinen Onkel. Ich bin sicher, wir werden bald hier wohnen. Lass uns mal sehen, was sich hinter der Tür verbirgt“, sagte Daria und deutete mit dem Kopf auf eine Entdeckung. „Was denkst du? Noch ein Raum?“
„Es gibt hier genug Räume, auch Badezimmer und Gäste–WCs. Warum stehen wir hier rum? Wenn sich die Tür öffnen lässt, werden wir herausfinden, was dahinter ist“, sagte Adrica und betrachtete die Tür, die dieselbe Sicherung hatte wie die Eingangstür des Hauses.
Die Blicke der Cousinen trafen sich und sagten dasselbe: Hier geht es nur mit der Karte weiter. Adrica teilte ihre Gedanken mit Daria und schlug vor: „Kadra hat von Nebengebäuden gesprochen. Ist es möglich, dass wir über diesen Außengang zu einem weiteren Gebäude gelangen?“
Daria konzentrierte sich. „Ich konnte vor dem Haus nicht viel erkennen. Der Außengang umschließt nicht das ganze Haus.“
Adrica stimmte ihrer Cousine wieder zu. „Stimmt. Eine Seite sieht aus wie ein Turm. Das wäre der zweite Teil meines Traums.“
Daria kratzte sich am Kopf.
Kadra hatte auf die Mädchen gewartet und hielt ihre Abschlussworte. „Habt ihr alles gesehen? Ich denke, man fühlt sich auf diesem Anwesen wirklich wohl. Es ist einfach traumhaft angelegt. Habt ihr auch beide Teile des Haupthauses besichtigt? Entschuldigt, ich habe euch nicht gesagt, dass sich die Zwischentür genauso wie die Haustür öffnen lässt. Sie wird ebenfalls von der Alarmanlage gesteuert. Jetzt zeigen wir euch die anderen Gebäude. Ihr werdet im Haupthaus und in den Zimmern über den Garagen übernachten. Dort gibt es auch eine kleine Küche. Alles für das Frühstück morgen befindet sich in der Kühl–Gefrierkombination im Haupthaus.“
Kadra führte die Familien durch das Haus zum Hofeingang und blieb hinter der Tür stehen.
„Hier befand sich früher der Glockenturm. Jetzt sind dort in zwei Ebenen Bibliotheken eingerichtet. Hinter den oberen Fenstern gibt es einen großen Konferenzraum mit Medientechnik und einer Miniküche.“ Kadra machte eine kurze Pause. „Die Begrenzungsmauer hat eine Tür, die zu den Garagen führt. Eine weitere schmiedeeiserne Tür verbindet das Haus mit der inneren Begrenzungsmauer. Das Gebäude dort war früher ein Hühnerstall, und dahinter befindet sich die äußere Befestigung des Anwesens. Jetzt werden dort Grillutensilien aufbewahrt, einfach gesagt, ein Grillhäuschen. Der Brunnen in der Mitte des Hofes ist nicht ausgetrocknet.“
„Wo sind die Nebengebäude? Oder meintest du damit nur das Grillhäuschen und die Garage?“, fragte Daria.
„Dafür müsst ihr mir folgen. Wir benutzen die Tür zu den Garagen, der breitere Weg dahinter führt zu den sechs Häusern, in denen die ausgewählten Familien leben werden. Jedes Haus hat eine große Garage, einen Keller und eine obere Etage. Als die Gemeinde hier gebaut wurde, waren das die Nebengebäude, in denen die Arbeiter untergebracht waren.“
„Also ... normale Einfamilienhäuser“, flüsterte Adrica.
Der Rundgang dauerte bis zum Nachmittag, danach wurden die Zimmer für die erste Übernachtung vorbereitet, sowohl in den Garagen als auch im Haupthaus.
Montagmorgen in der Küche des Haupthauses
Kadra Kathner frühstückte mit den anderen. Sie erfuhr, dass die Gästebetten nicht unangenehm waren, aber jeder hatte seine eigenen Schlafgewohnheiten.
Kadra legte ihr Klemmbrett auf den Küchentisch. „Wie ihr seht, ist die Küche komplett ausgestattet. Die meisten Geräte in beiden Haushälften sind vom gleichen Hersteller. Das Display in der Kühlschranktür schaltet sich ein, wenn jemand von der Straße zum Anwesen fährt.“ Kadra lächelte.
„So wie jetzt?“, fragte Adrica.
Kadra bestätigte. „Das gibt einem ein sicheres Gefühl, findet ihr nicht?“
Das Fahrzeug wurde von vorne und hinten erfasst, als es sich dem Haus näherte.
„Eure erste Handlung im Haus. Wenn ihr möchtet, begleite ich euch zur Tür“, sagte Kadra und beruhigte die angehende Hausbesitzerin.
„Da steht Post auf dem Fahrzeug. Ist das die nächste Überraschung?“, fragte Ricarda.
„Das werden wir nur erfahren, wenn wir die Tür öffnen“, drängte Adrica ihre Mutter.
„Das macht mich nervös. Das hier fühlt sich immer noch wie ein Traum an“, sagte Ricarda.
Das Klingeln war in den Fluren beider Etagen und in der Küche zu hören.
„Los“, forderte Adrica ihre Mutter auf.
„Ich habe eine Lieferung für Mrs. Alejandro.“
„Das bin ich“, sagte Ricarda, immer noch nervös. Der Absender würde gleich auf der Sendung zu sehen sein.
Der Mitarbeiter des Zustelldienstes übergab die Sendung, die quittiert werden musste.
„Sie sind die Neuen? Wir werden uns bestimmt öfter sehen. Ich habe das Anwesen als Anlaufstelle in unserer Zustelltour.“
„Das ist etwas voreilig“, flüsterte Ricarda. Adrica legte ihren Zeigefinger auf den Mund und nickte. „Danke, das ist sehr nett. Ich hoffe, Sie haben alle Wohnhäuser übernommen? Die Briefkästen sind bereits aufgestellt. Hausnummer und Namen sind darauf vermerkt. Bei größeren Sendungen, egal für wen auf dem Anwesen, klingeln Sie einfach hier, es ist immer jemand zu Hause. Sagen Sie, wie funktioniert die Postnachsendung von den alten Adressen?“
„Stellen Sie einen Antrag bei einer Postfiliale. Vergessen Sie nicht, alle Familienmitglieder anzugeben.“
„Kann man Änderungen vornehmen?“, fragte Ricarda, ihre Stimme wurde fester.
„Sie erhalten eine Registrierung, mit der Sie Änderungen vornehmen können. Das geht telefonisch oder online.“
Ricarda begleitete den Postzusteller bis zu seinem Fahrzeug.
„Wo ist das nächste Postamt? In der Gemeinde? Wir hatten noch nicht viel Zeit, uns umzusehen.“
„Es ist leicht, zu finden. Es befindet sich beim Einkaufspark an der Landstraße“, sagte der Fahrer, als er die Tür seines Fahrzeugs öffnete. „Sie werden sehen, Sie haben nette Nachbarn.“
„Das könnte uns helfen“, bestätigte Ricarda mit einem seufzenden Abschluss. „Ich will Sie nicht weiter aufhalten. Ich weiß noch nicht, wohin uns die Zukunft führen wird.“
„Es wird schon klappen. Sie werden sehen. Es gibt gute Möglichkeiten, die Nachbarn kennenzulernen. Veranstaltungspläne gibt es im Schaukasten des Rathauses oder in der Kirche.“
„Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Tag“, sagte Ricarda.
„Danke, Mrs. Alejandro.“
Adrica und Daria verfolgten das sich entfernende Fahrzeug auf dem Display.
„Liveübertragung“, scherzte Daria. „Das ist nur am Anfang aufregend. Das wird bald normal werden.“
Adrica hatte etwas anderes im Blick. „Ich nehme mir ein paar Kekse, die auf dem Tisch stehen. Die Erdbeeren sind gut. Bestimmt aus dem Discounter.“
„Diese sind wahrscheinlich aus dem hauseigenen Gewächshaus“, bestätigte Adrica. „Es gibt hier Erdbeerfelder gleich hinter den Schulen und der Kirche.“
Ricarda hatte die Autoschlüssel in der Hand. „Wenn die Damen fertig sind, können wir losfahren. Die Herren der Familie begleiten Mrs. Kathner in die Kanzlei. Sophia und ich werden euch in der Schule anmelden.“
„Stella, Sarah und ich bleiben hier“, sagte Lucia. „Es gibt viel zu planen und zu organisieren. Jemand muss hier sein, um das Mittagessen vom Lieferservice entgegenzunehmen.“
Rechtsanwaltsbüros in Kelowna
Während Ricarda und Sophia mit ihren Töchtern auf dem Weg zur Schule waren, besprach Kadra Kathner mit den Männern der Familien die Verträge. Bereits am vergangenen Sonntag hatten sie zugestimmt, Kelowna als ihre neue Heimat anzusehen.
Schule in Kelowna
Für einen Moment hatten Adrica und Daria dieselben Gedanken, als sie vor der Anmeldung standen und sich anlächelten.
„Zum Glück sind Ferien. Eine Schülerin mit einem bockigen Fahrrad wird nicht kommen“, scherzte Adrica.
„Wenn doch, hätten wir freie Sicht auf das Spektakel. Lass uns lieber einen Schritt nach links gehen, es könnte sein, dass jemand das Büro verlässt“, ergänzte Daria. „Wie fühlst du dich?“, fragte sie Adrica, die sich mit der Umgebung vertraut machte.
„Ziemlich merkwürdig. Nicht die Gebäude, die sind anders, aber nicht viel. Die Kirche ist fast eine Kopie von der in Santa Maria, sogar am Feld. Ich hoffe nur, dass dahinter kein Flugplatz ist.“
„Da kann ich dich beruhigen“, erklärte Daria. „Der Flugplatz liegt ganz in der Nähe des Ozeans. Hinter dem Feld liegt unsere kleine Siedlung.“
Sophia hielt eine Collegemappe in der Hand und erweiterte die Erklärungen ihrer Tochter: „Es ist wirklich bemerkenswert, dass du nicht 'unsere kleine Farm' gesagt hast. Daria hat die Lage des Flugplatzes gut beschrieben, er ist bestimmt doppelt so groß wie der in Santa Maria. In den nächsten Tagen haben wir Zeit, die wichtigsten Orte näher kennenzulernen.“
„Da habe ich ein Problem“, unterbrach Ricarda. „Ich konnte die Einstellungen für das neue Navi nicht einmal mit Carlos lösen. Früher gab es eine Lösung namens Anoki, aber jetzt haben wir ein anderes Problem.“
Daria drehte am Türknauf: „Ein ähnliches Problem, das 'verschlossen' bedeutet.“
Adrica richtete ihren Blick auf den Parkplatz, auf dem mehrere Kleintransporter von Handwerkern standen. „Da muss jemand sein. Ich meine, es kommt jemand.“
Eine Frau, die Daria etwas jünger als ihre Großmutter schätzte, fuhr inzwischen auf den Parkplatz, stieg aus ihrem Fahrzeug aus und näherte sich der Anmeldung.
„Georgina Reyes“, begrüßte die Frau die Besucher vor der Anmeldung. „Ich bin die Direktorin beider Schulen. Die Familien Alejandro und Káilani wurden mir von Mrs. Kathner angekündigt. Das Wichtigste wurde mir bereits mitgeteilt“, schloss sie aus ihrem ersten Eindruck von den Mädchen. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es sind wieder Zwillinge, nach Anne und Mary, die ihren Abschluss im letzten Schuljahr gemacht haben. Lasst uns in mein Büro gehen.“
Ein Bereich im Flur des Hauptgebäudes war mit Folie abgedeckt.
„Wir haben Handwerker im Speisesaal. Das Mädchen vor der Tür ist Linda Oldman. Ihre Eltern und Verwandten betreiben Handwerksbetriebe. Sie glauben gar nicht, wie kreativ das Mädchen ist. Sie hat Kadra Kathner bei der Gestaltung der Wohnsiedlung geholfen. Nicht, dass Sie denken, sie hätte die handwerkliche Arbeit gemacht, nein, sie hat Vorschläge für die Gestaltung gemacht. Sie hat viel Freude daran“, erklärte die Direktorin. Daria nickte in der Hoffnung, dass die Direktorin sie verstand.
Adrica freute sich: „Jetzt passen meine neuen Möbel perfekt in das Zimmer. Ich meine nicht nur von der Größe her, sondern auch von der Gestaltung. Daria teilt meine Begeisterung, auch für die Gestaltung unserer und der anderen Häuser. Ich frage mich, wie sie von den Farben wusste“, sagte sie und richtete ihren Blick auf die Direktorin. Ihre Gedanken gingen zu Kadra Kathner. „Hier liegt der Ursprung all dieser scheinbaren Zufälle. Sie kennt die junge Frau noch nicht lange, aber sie scheint das Leben jedes Familienmitglieds zu kennen, sogar meine Vorlieben für Farben.“
Linda warf mehrmals einen Blick auf die Mädchen und konzentrierte sich gleichzeitig auf die Arbeiten im Speisesaal. Jemand rief ihr etwas zu, worauf sie nur mit einem Daumen hoch antwortete.
„Mrs. Reyes, hätten wir einen Moment Zeit? Daria und ich möchten uns bei Linda für ihre ‚Arbeit‘ bedanken“, sagte Adrica.
„Aber natürlich.“
„Hallo, ich bin Adrica und das ist Daria, mein zweites Ich neben mir.“
„Hallo. Kadra hat nicht übertrieben. Mit dem zweiten Ich, stimme ich zu. Ihr kennt euch erst seit Mitte des Monats? Unglaublich.“
„Nachdem wir uns vorgestellt haben, möchte ich mich auch im Namen von Adrica bei dir bedanken. Du weißt schon, für unsere kleine Siedlung."
„Kein Problem. In unserer Handwerkerfamilie besteht fast schon eine Verpflichtung, dass ich meinen Traumjob erfülle. Danke für eure Anerkennung. Es war schön, euch kennenzulernen. Jetzt muss ich darauf achten, dass meine Verwandtschaft hier alles richtig macht“, zwinkerte Linda mit einem Auge. „Daria, noch einen Moment. Ich weiß von Kadra, dass du heute Geburtstag hast. Also herzlichen Glückwunsch. Ich muss bis Ende Februar warten, und das meine ich wörtlich.“
„Mrs. Kathner ist also eine gute Bekannte eurer Familie?“, fragte Adrica.
„Ja, schon seit langer Zeit. Wir haben zu Beginn des Jahres mit dem Ausbau eurer Häuser begonnen. Ihr werdet sie schnell kennenlernen und Freundschaft mit ihr schließen“, erklärte Linda.
Daria hatte einen Vorschlag: „Ich denke, wir schaffen den Umzug bis zum Wochenende. Ich werde eine kleine Party veranstalten“, sagte sie und warf einen kurzen Blick zu ihrer Mutter.
Sophia hatte die Bilder der Baseballmannschaften an der Wand betrachtet. Ohne Einwände antwortete sie ihrer Tochter, bevor sie ihren Blick änderte: „Oh, das ist eine gute Idee. Wie wäre es, wenn wir das mit einer Einweihungsfeier verbinden?“
„Hört sich gut an. Oh Mann, Silvester steht vor der Tür. Daran habe ich nicht gedacht.“
„Zum Mittagessen und dann für ein paar Stunden“, schlug Sophia vor und wartete auf die Antwort auf ihr Angebot.
„Das sollte machbar sein“, bestätigte Daria. „Linda, würden deine Eltern es erlauben?“
„Die Internet– und Telefonleitungen wurden letzte Woche geschaltet. Habt ihr die Rufnummern?“
„Nein, noch nicht“, sagte Ricarda und reichte Linda eine Visitenkarte. „Achte nicht auf die Adresse, die Mobilfunknummer ist aktuell. Ich habe bereits den Empfang getestet.“
Nach einer Woche in der Tanglewood–Schule würde Daria nach den Ferien erneut die Schule wechseln, diesmal zusammen mit ihrer Cousine.
Mrs. Reyes verabschiedete ihre Besucher in ihrem Büro.
Auf dem Parkplatz zeigte Ricarda auf das Armaturenbrett. „Ein neues Radio mit Navi. Im Moment funktioniert nur das Radio, aber glaub mir, Anoki hat mir in einem gefühlten Semester alles erklärt.“
Linda war mit ihrem Bruder auf dem Parkplatz und hatte Ricardas Problem gehört. Sie stellte sich an die Beifahrertür: „Mein Opa kann helfen. Entschuldigung, habe ich Sie erschreckt? Das war nicht meine Absicht. Mein Opa hat ein Elektro– und Elektronikgeschäft gleich außerhalb der Stadt. Seit der Supermarkt an der Landstraße die ehemaligen Geschäftsräume von O'Niels übernommen hat, nutzt er sie.“
„Ich glaube, wir sind gerettet“, bedankte sich Ricarda.
„Mein Opa auch. Unsere Familie dachte schon, dass dies sein letztes Jahr im Geschäft sein würde. Er wollte aufgeben. Aber Kadra konnte ihn davon überzeugen, einen neuen Teilhaber zu finden. Beide standen vor dem gleichen drohenden Schicksal. Was den nächsten Freitag betrifft, mein Bruder bringt mich hin. Ich darf ein paar Stunden kommen. Dort drüben ist er, ein Elektriker im zweiten Lehrjahr. Ich muss jetzt gehen. Wir essen im Hotelrestaurant.“
„Ihr seid herzlich eingeladen. Wir wollen euch nicht aufhalten“, lud Daria ein.
„Los gehts“, forderte Daria ihre Tante auf. „Den Ortsausgang findest du auch ohne Navi.“
Adrica versuchte, die Umgebung vom Rücksitz aus im Blick zu behalten: „Bevor du zur Landstraße fährst, würde ich an der nächsten Kreuzung nach links abbiegen.“
„Wie es aussieht, Ricarda, brauchen wir die Hilfe von Lindas Opa nicht. Wir haben Navi–Addy", antwortete Adrica ihrer Tante.
„Navi–Dary ist für die rechte Straßenseite zuständig“, erwiderte Adrica.
Daria bewunderte die Einfahrten zu den Häusern und die wunderschön angelegten Vorgärten. In wenigen Augenblicken würde sie dieselbe Straßenkreuzung sehen, die auch Adrica aufgefallen war. Auf ihrer Seite würde die Straße weitergehen. „Bei der nächsten Kreuzung nach links. Sie haben Ihr Ziel erreicht, es befindet sich auf der rechten Seite“, scherzte Daria.
„Da kommen wir nicht weit oder
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Peter Fleischer
Bildmaterialien: Pixabay
Cover: Gestaltung: Peter Fleischer
Tag der Veröffentlichung: 12.01.2022
ISBN: 978-3-7554-0519-1
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