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1.

Meine Mama war so wunderschön.

 

Ich erinnere mich gerne an sie. Sie hat mir viel beigebracht und mir immer neue, kleine Wunder gezeigt. Sie liebte die Natur, sie liebte das Leben und ich liebte sie.

 

Ich sitze gerne stundenlang im ehemaligen Zimmer meiner Mama und betrachte die Bilder von ihr. Sie war so wunderschön. Ich kann sie hier überall spüren und mir vorstellen sie würde neben mir stehen und stolz auf mich herabsehen.

Wir haben den Raum gelassen wie er war. Weder ich, noch meine Großmutter brachten es über uns, irgendetwas zu verändern. Wir versuchten uns wohl beide damit einzureden, sie hätte uns nie verlassen.

 

Oft setze ich mich an ihren Frisiertisch.

Dann sehe ich wieder vor mir wie sie da sitzt und sich die Haare bürstet. Ihre Haare rochen gut. Ich stelle mir vor, wie ich sie bürste und ihren süßen Geruch einatme. Dieses Aroma von Rosen und Sommer, das mich immer an unserer gemeinsamen Ausflüge erinnert. Die riesige Wiese hinter unserem Herrenhaus und der angrenzende Wald waren voll von den schönsten Naturschauspielen. Besonders die Schmetterlinge haben es uns angetan. Ihre filigranen Flügel, die die außergewöhnlichsten Flugbahnen steuern können. So klein und zerbrechlich, doch auch so stark und perfekt konstruiert. Wir beobachteten die verschiedensten Falterarten, während wir auf einer Decke saßen und über alles Mögliche sprachen.

Als besondere Überraschung für einen Geburtstag meiner Mama, habe ich ihr eine Sammlung der heimischen Schmetterlinge geschenkt. Was ich dabei nicht bedacht habe, war ihre absolute Hingabe zur Natur. Es sei grausam von mir gewesen, ihnen die Flügel auszureißen und ihre kleinen Körper mit so vielen Nadeln zu spicken. Aber so war es nun mal viel leichter gewesen sie aufzukleben und es hat auch mehr Spaß gemacht.

Ich hab es ausprobiert. Es macht lange nicht so viel Spaß ein Album anzulegen, wenn man die Schmetterlinge erst in kleinen Gläsern ersticken lässt.

Es folgte eine lange Rede über Tierquälerei und Respekt gegenüber Lebewesen und der Natur.

Weil sie mich liebte, verzieh sie mir mein Geschenk und freute sich über die gute Absicht. Weil ich sie liebte, verzieh ich ihr ihre Undankbarkeit.

 

Manchmal bürste ich mir mit ihrer Bürste die Haare. In der Hoffnung, dass meine irgendwann ebenso nach Rosen riechen wie ihre.

Meine Großmutter hat mich dabei einmal erwischt. Sie hat mir die Bürste aus der Hand gerissen und gesagt, dass ich das nicht tun soll. Ich soll mein Leben leben und das ihrer Tochter endlich ruhen lassen, statt es zu verschandeln.

Aber sie ist doch auch meine Mama. Ich glaube meine Großmutter ist über ihren Tod immer noch nicht hinweg.

Ich nehme an, sie hat eine schlechte Phase, weil ständig ihre Katzen verschwinden. Kaum ist eine weg, schafft sie sich eine neue an. Als könnten die meine Mama ersetzen. Niemand ist so wertvoll wie sie und das sollen die kleinen Viecher ruhig wissen.

Großmutter hat mir verboten in Mamas Zimmer zugehen und die Tür verschlossen. Aber ich weiß wo der Schlüssel ist. Die alte Frau versteckt in immer an derselben Stelle, wahrscheinlich weil sie Angst hat, irgendwann zu vergessen wo er liegt.

Sobald sich die Gelegenheit bietet, schleiche ich mich heimlich in das Zimmer meiner Mama. Ich will Großmutters Gefühle nicht verletzen. Irgendwann, wenn sie das alles überwunden hat, können wir vielleicht gemeinsam in Mamas Zimmer gehen.

 

Heute sitze ich wieder vor Mamas wunderschöner Holztruhe.

Sie sieht richtig wertvoll aus mit dem ganzen Gold und Nieten. Ich weiß nicht ob sie wirklich etwas wert ist, aber sie steht hier seit dem ich denken kann. Ich glaube, es war ein Geschenk von meinem Papa an meine Mama.

Einige Zeit bevor er starb. Aber es war nicht so schlimm, dass er gestorben ist. Ich hatte ja meine Mama.

Ich war immer ihr Liebling. Die fleischgewordene, sorgsam gehütete, Erinnerung an ihren verstorbenen Mann. Viel zu früh aus ihrem Leben gerissen, durch einen Unfall. Ich war gerade erst 5 als dieses tragische Unglück sie zu einer alleinerziehenden Witwe machte.

Ich bin ihm vor die Füße gerannt, er fiel die Treppe runter und brach sich bei seinem spektakulären Sturz das Genick. Ich hatte das bei unserer langen Mamortreppe auch nicht anders erwartet.

Mama war jetzt ohne Mann, aber sie hatte mich an ihrer Seite und konnte mir nun ihre volle Liebe widmen. Im Laufe der Zeit wurde ich auch immer weniger eifersüchtig, wenn sie sehnsüchtig auf diese Kiste starrte und sich Erinnerungen an ihn hingab.

 

Den Schlüssel für die Holztruhe musste ich auch wieder suchen.

Großmutter hat mal gesehen, wie ich Mamas Kleid aus der Truhe genommen habe. Sie ist völlig ausgerastet und hat gebrüllt, dass mich das überhaupt nicht anginge und ich das Kleid nicht anfassen soll, es gehörte ihrer Tochter.

Arme Großmutter, sie kommt einfach nicht darüber hinweg. Manchmal werde ich böse auf sie, weil sie sich so egoistisch verhält, schließlich hat nicht nur sie einen Menschen verloren.

Dabei wollte ich doch nur mal diesen wunderschönen weißen Seidenstoff anfassen. Es fühlt sich so wunderbar kühl an wenn man es über die Haut streifen lässt. Es war immer Mamas Lieblingskleid gewesen. Sie hatte es nur bei besonderen Anlässen angezogen. Ich glaube, deswegen liegt es auch in der Truhe und nicht, wie ihre anderen Sachen, im Schrank.

 

Heute ist Großmutter ausgegangen, ich glaube zu ihrem Priester. Da ist sie jetzt öfter. Sie sagt kaum noch etwas und mit mir reden will sie auch nicht mehr so richtig. Die meiste Zeit, schließt sie sich in ihrem Zimmer ein. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich meiner Mama so ähnlich sehe. Das tut ihr weh.

Arme Großmutter.

Ich setze mich an Mamas Frisiertisch und kämme mir die Haare.

Jetzt, da meine Haare genauso schön glänzen wie die von meiner Mama setze ich mich auf ihr Bett, genieße das Gefühl der Decke auf meinem Körper und den vertrauten Geruch. Hier habe ich, als ich kleiner war, so oft mit meiner Mama zusammen gelegen und sie hat mir Geschichten vorgelesen, mich sanft gestreichelt und wir sind zusammen eingeschlafen.

Ich bleibe eine Weile hier liegen und denke an meine Mama. Sie war so wunderschön, so zärtlich und immer für mich da.

Bis zu ihrem Tod.

 

Ich stehe wieder vom Bett auf und setze zurück mich an Mamas Frisiertisch. Ich sehe mich um und betrachte die Tapete. Kleine, zarte und wunderschöne Rosen sind auf ihr verstreut. Meine Mama liebte solche Muster, ihre Bettdecke und jeder Stuhlbezug in diesem Raum haben fast genau dasselbe Muster. Alles an Rosen erinnert mich an meine Mama. Der Geruch, das Aussehen, das Gefühl etwas Schönes zu sehen.

Ich sehe mir die Sachen an, die sie immer benutzt hat um sich Ausgehfertig zu machen.

Hier liegen ihr Mascara, Lidschatten, Puder, ihr Lippenstift und andere Dinge die ich nicht benennen kann.

Wir fanden es immer so lustig, wenn sie mir einen dicken Kuss auf die Wange gab und die Hälfte ihres Lippenstiftes mein Gesicht verschönerte.

 

Ich nehme ihren Lippenstift und fange ganz langsam an mir die Lippen anzumalen. Fast fühle ich mich wie Mama. Schön, erwachsen und stark.

Großmutter fände das gar nicht gut. Aber sie ist ja nicht hier.

Wie im Rausch von diesem Anblick, beginne ich mein gesamtes Gesicht mit ihren Utensilien zu schminken. Augen, Mund, Wangen, ich sehe genauso aus wie Mama.

Arme Großmutter, das würde ihr bestimmt das Herz brechen.

 

Ich gehe wieder an die Holztruhe.

Mamas Kleid würde so gut zu meinem MakeUp passen.

Ganz langsam streife ich es mir über die Schultern. Als der Saum meine Beine berührt fühle ich mich wie eine richtige Frau. Ich fühle mich fast wie Mama. Ich bin so wunderschön.

 

Plötzlich reißt Großmutter die Tür zu Mamas Zimmer auf. Das ist nicht nett, ich darf das auch nicht.

Aber ich will nett zu ihr sein, ich will dass sie Mamas Tod überwindet.

Ich sage: „Schau, ich sehe genauso aus wie meine Mama!“

2.

Meine arme, arme Großmutter.

Ich glaube sie ist verrückt geworden. Genau wie meine Mama.

Vielleicht liegt es in der Familie?

Meine Mama sagte, wir müssen uns langsam voneinander trennen. Weil ich doch langsam erwachsen werde. Da können wir auch nicht mehr zusammen in einem Bett schlafen oder zusammen baden. Wir dürfen uns auch in der Öffentlichkeit nicht mehr so oft anfassen.

Ich war doch damals erst 15. Ich war eben ein Mamakind.

Aber meine Mama wollte nicht mehr.

Ich sehe mich im Spiegel mit dem wunderschönen Seidenstoff, der meinen Körper umspielt und dem MakeUp, das mich so viel erwachsener wirken lässt.

Leider hat das weiße Kleid blutige Flecke. Ich habe Mama noch gesagt, sie soll es ausziehen, es wird sonst schmutzig. Aber sie hat nur geschrieen. So wie Großmutter jetzt. Vielleicht ist es keine Familienkrankheit? Mir geht es schließlich sehr gut. Vielleicht ist es aber ansteckend.

 

Mama hat kaum etwas gespürt. Ich wollte doch einfach nur für immer mit ihr Zusammensein und ihre Nähe genießen. Ein tiefer Schnitt in die Kehle und meine Mama schlief für immer. Ich habe mich lange neben sie gelegt. Ich wollte nicht dass wir getrennt werden. Dann habe ich sie in der Nacht in unser Familiengrab gebracht.

Man hat lange nach Mama gesucht. Nur nicht hier, in diesem dunklen Mausoleum, mit den vielen Grabkammern. Großmutters Katzen hat man dort schließlich auch noch nicht gefunden.

Zum Glück. So kann ich mich jetzt noch neben Mama legen, wenn Großmutter ihr Nickerchen macht.

Man hat nur ihr weißes Kleid gefunden. Dieses wunderschöne Kleid aus Seide.

 

Ich glaube, ich werde meine Großmutter neben meiner Mama begraben. Sie soll nicht so allein sein.

Spürt man ohne Herz, dass man allein ist? Sehen kann sie es ja ohne Augen auch nicht. Aber ich möchte sie ja glücklich machen. Ich weiß das meine Großmutter sich freuen würde und meine Mama auch.

 

Bin ich nicht ein guter Sohn?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.03.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Schnabeltier - einfach weil du es verdient hast, erwähnt zu werden.

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