Cover

Anmerkung. Bitte lesen

 Das Buch war bereits einmal veröffentlicht. Ich habe es vor langer Zeit angefangen und nach und nach zu Ende geschrieben. Allerdings hat mir die Geschichte und auch meine Schreibweise nicht mehr gefallen und ich habe das Buch inhaltlich komplett überarbeitet. Ich hätte gerne mehr umgeändert, aber dann wäre es eine komplett andere Geschichte geworden. 

 

Man wird also noch merken, dass das Buch älter ist und ich dort jünger war, aber ich habe trotzdem versucht dies ein bisschen zu kaschieren und nicht den gesamten Inhalt zu verändern. 

 

Die Grundstory ist also die selbe, aber viele Einzelheiten sind weggelassen, oder hinzugekommen. Das letzte Dritte der Geschichte wurde beinahe komplett verändert. 

 

 

Viel Spaß beim Lesen. :-)

Liebe auf den ersten Blick

 

„Sam!“ Ungeduldig sah ich dabei zu, wie mein bester Freund einen Stein nach dem anderen aufhob.

„Sam, komm schon!“ Grinsend huschte er zu dem nächsten Steinhaufen, der am Rand des Weges lag.

„Sam!“ Erschrocken fuhr er zu mir herum und verlor dabei so gut wie alle Steine, die er auf dem Arm hatte. Wenn ich nicht wüsste, dass er das absichtlich machte um mich zu nerven, würde ich ihn eindeutig für zurückgeblieben halten.

„Komm schon, wir haben für so einen Mist keine Zeit. Wir sind jetzt schon zu spät!“ Seufzend hob er einen der Steine auf und schob ihn sich in die Jackentasche.

„Sei kein Spaßverderber. Außerdem sind wir immer zu spät.“ Lachend klopfte er mir auf die Schulter, ehe er endlich los lief.

„Hast du es auch schon gehört?“, fragte er. Stirnrunzelnd sah ich ihn an.

„Was denn?“ Wenn hier mal was los war, wussten es meistens alle auf einen Schlag.

Außer ich. Ich hatte keine Ahnung wieso, aber der ganze Klatsch und Tratsch kam einfach nicht bei mir an. Zumindest nicht der Teil für den ich nicht mit verantwortlich war.

„Wir bekommen einen Neuen“, rief er voller Euphorie. Ich sah ihn verwirrt an.

„Einen Neuen was?“, fragte ich.

„Einen neuen Mitschüler, was sonst?“ Ich blieb verdattert stehen. Das war mal wirklich etwas Interessantes und eindeutig spannenderes als Sams blöder Stein.

„Woher weißt du das?“ Fragend sah ich ihn an, während wir weiter liefen.

„Habe ich von Tim gehört. Der hat es angeblich von Marie gehört und die von … ach, ist ja auch egal. Herr Steinart hat es gestern auch angekündigt. In der ersten Stunde. Wo warst du da nochmal? Auf jeden Fall nicht im Unterricht!“ Lachend trat ich nach ihm, doch er wich geschickt aus.

„Soweit ich mich erinnere, warst du in der ersten Stunde auch nicht in der Schule. Ich saß da nämlich bei dir in der Küche und hab darauf gewartet, dass du endlich mal fertig wirst“, konterte ich. Grinsend streckte er mir die gepiercte Zunge raus, die in einer schlimmen Nacht voller Alkohol, Freunden, bekloppten Wetten und schlechten Entscheidungen gestochen wurde. In Gedanken fuhr ich über meine Brustwarze, in der die zweite schlechte Entscheidung und eine verlorene Wette steckten. So ganz genau erinnerte sich niemand mehr an die Entstehung, oder allgemein an die Nacht. Nur soweit das es ums Piercing stechen ging und dass der Verlierer diesen deutlich sichtbar und ein Jahr lang tragen musste. Offensichtlich hatten Sam und ich verloren, wie wir am nächsten Tag im Spiegel feststellten mussten.

„Ach ja, er heißt Marc, Marco oder so ähnlich. Irgendetwas mit M und er kommt morgen.“, erzählte Sam lautstark und riss mich somit aus meinen Gedanken.

„Morgen schon?“ Nach einem Blick auf meine Armbanduhr, beschleunigte ich meinen Schritt.

„Ja, wir sind schon zu spät, oder?“, sprach Sam das Offensichtliche aus. Deswegen ersparte ich mir auch die Antwort und nickte nur. Jeden Tag dieselbe Frage und jedes Mal dieselbe Antwort. Man sollte doch meinen dass wir es irgendwann lernen würden …

 

Gehetzt kamen wir auf dem Schulgelände an, überquerten dieses schnell und rannten durch den Flur zu unserem Klassenzimmer. Außer Atem blieben wir vor der Tür stehen. Grinsend schaute Sam, den ich schon seit meinem zweiten Lebensjahr kannte, zu mir herüber.

„Das ist deine schuld!“, zischte ich ihn an.

„Erzähl doch keinen Mist. Ich war heute pünktlich bei dir! Wenn du nicht noch drei Brötchen gegessen hättest wären wir jetzt pünktlich!“, raunte er zurück. Unsere alltägliche Diskussion entstand. Und wie immer ging es nur um einen Punkt: Wer die Tür öffnete und die Schuld auf sich nahm. Und bei der heutigen Lehrerin würde ich das ganz Gewiss nicht tun.

„Pünktlich? Du warst wie immer auf den letzten Drücker da! Und das Brötchen habe ich mit auf den Weg genommen also hat uns das jawohl kaum aufgehalten!“

„Ich war pünktlich! Ich bin immer pünktlich!“, erwiderte er. Ich zog eine Augenbraue hoch und wartete. Seufzend nickte er.

„Na gut, ich bin vielleicht ab und zu mal unpünktlich. Das war es aber auch schon. Das ist ja nicht der Weltuntergang.“ Wütend starrte er mich an, worauf ich nicht anders konnte als loszulachen. Wenn es hoch kam, war er vielleicht zwei Mal die Woche pünktlich. Und wenn dieses Phänomen einmal auftrat, war ich derjenige der zu spät dran war. Also kamen wir so gut wie jeden Tag zu spät. Wir kamen auch nur damit durch, weil unser Klassenlehrer der beste Lehrer war, den man sich nur vorstellen konnte. Sam grummelte etwas vor sich hin, bevor er mich triumphierend ansah:

„Du hast noch deine Schuhe gesucht. Das hat uns mindestens fünf Minuten gekostet.“ Mein Blick verdüsterte sich augenblicklich. Ohne ein weiteres Wort hob ich meine Hand und klopfte kräftig an. Auf das laute: „Herein.“, schlenderten wir in den Raum. Erstaunt blieb ich stehen, als ich sah, dass statt der allseits gehassten Lehrerin – der Tasse, Herr Bolze unser Klassenlehrer unterrichtete. Aus den Augenwinkeln sah ich wie Sam schnell zu seinen Platz huschte. Ich warf ihm einen letzten bösen Blick zu, ehe ich zum Lehrerpult trat.

„Luke, wie schön, dass du uns auch noch mit deiner Anwesenheit beehrst. Dasselbe gilt für dich Sam!“ Er ließ seinen Blick über die Klassenuhr schweifen.

„Seid ihr nicht fünf Minuten zu früh dran?“, fragte er scheinheilig, worauf vereinzeltes Gelächter aus der Klasse erklang. Lachend verbeugte ich mich tief.

„Es ist mir eine Ehre und ja, wir haben uns heute extra beeilt.“

„Aha, dürfte ich netterweise auch noch den Grund erfahren warum ihr trotzdem zu spät seid?“ Prüfend sah er zu Sam herüber.

„Uns ist ein Frosch über den Weg gelaufen und Luke wollte ihn unbedingt küssen. Ich habe noch versucht ihn davon abzuhalten, aber es ließ sich nichts machen. Sie müssen wissen, dass er der festen Überzeugung ist dass, mit ein bisschen Glück, eine Prinzessin heraus kommen könnte.“ Theatralisch seufzte er auf.

„Mit welchen Kräften willst du mich denn aufhalten?“, warf ich zurück.

„Und wir sind nur zu spät gekommen, weil du mit deinen Steinen rumgeturtelt hast!“ Empört blickte Sam mich an.

„Ich werfe dir meinen Stein gleich gegen den Kopf!“ Amüsiert hörte der Bolzen unserer Unterhaltung zu.

„Nein danke. Nicht dass du dann noch neidisch wirst.“ Sam lachte einmal laut auf, bevor er mir einen gekonnt verführerischen Blick zuwarf.

„Wir können ihn uns ja teilen.“ Bevor ich etwas erwidern konnte, unterbrach mich der Bolzen:

„So, das reicht jetzt! Mach, dass du auf deinen Platz kommst.“ Kichernd schlurfte ich zu meinen Platz und ließ mich auf den harten Holzstuhl plumpsen, aber nicht ohne Sam vorher noch einmal kräftig über den Hinterkopf zu hauen. Der Unterricht verging nur schleppend. Trotzdem versuchte ich so gut wie möglich mitzuarbeiten. Gute Noten kamen schließlich nicht vom Nichts tun. Außer in Mathe, da konnte ich machen was ich wollte. Es blieb immer bei einer Vier. Sogar als ich Nachhilfe in Mathe hatte, wurde meine Note nicht besser. Als die Schulklingel endlich erschien, stieß ich ein erleichtertes Seufzend aus. Endlich Pause. Nach und nach wurde unser Tisch belagert. Keine Minute später unterhielten sich meine Freunde kreuz und quer über den Tisch hinweg. Leo, meine beste Freundin kam auf mich zum und schloss mich in eine Umarmung. Ich drückte sie kurz, ehe ich den anderen zuhörte.

„Gehen wir nachher wieder eine Pizza essen?“, fragte Jack in die Runde. Worauf ein zustimmendes Gemurmel entstand.

„Ich kann leider nicht, ich muss zu Hause sein“, sagte ich als es etwas leiser geworden war. Sascha klopfte mir mitleidig auf die Schulter. Und dieses Mitleid konnte ich gut gebrauchen. Seit ungefähr drei Jahren war ich so selten wie es ging zu Hause und der Grund dafür trug den Namen Tessa. Sie war die Freundin von meinem Vater. Anfangs hatte ich mich noch für meinen Vater gefreut, dass er nach der anstrengenden Trennung mit meiner Mutter endlich wieder jemanden gefunden hatte. Diese Meinung änderte sich aber schnell wieder, als ich herausfand was für eine hinterhältige, geldgierige Schlampe sie in Wirklichkeit war. Sie warf das Geld von meinem Vater raus, wo es nur ging. Steuerte selber nichts zum Haushalt dazu und sonderlich nett war sie auch nicht. Sobald mein Vater uns den Rücken zudrehte spuckte sie wie eine Furie um sich. Was ihr auch den selbigen Spitznahmen einbrachte. Als ich meinen Vater offen und ehrlich darauf ansprach, bekam ich die erste Ohrfeige in meinem Leben. Ich versuchte sie mit allen Mitteln und Wegen loszuwerden. Aber anscheinend ließ sich mit genug Geld so einiges aushalten. Seitdem war einfach alles anders. Ich verbrachte mehr Zeit bei meinen Freunden und ging so selten wie möglich nach Hause. Mein Vater und ich entfernten uns immer weiter, bis wir uns nicht mehr wirklich unterhielten. Meistens ging es nur um den Haushalt oder um meine Noten. Jetzt wartete ich nur noch darauf, dass Leo endlich Achtzehn wurde und dann würde ich mit Sam und ihr zusammen in eine WG ziehen. Das hatten wir schon in der achten Klasse besprochen und wir hielten immer noch daran fest.

„Lukas!“ Verärgert blickte ich auf als ich meinen vollen Namen hörte. Ich mochte es nicht, so genannt zu werden. Viel lieber war mir Luke. Mein Blick traf auf Leos. Fragend sah sie mich an.

„Was ist?“, fragte ich sie verwirrt. Genervt verdrehte sie die Augen.
„Ich habe dich gefragt ob ich heute nach der Schule mit zu dir kommen kann. Ich habe keine Lust auf meine kleine Schwester aufzupassen, deswegen habe ich gesagt, dass ich heute mit dir an einem Chemieprojekt arbeite.“

„Du hast Chemie abgewählt. Das weißt du aber?“, fragte ich sie lachend. Grinsend nickte sie.

„Ja, aber meine Eltern nicht.“

„Dann bist du gerne dazu eingeladen mir zu helfen den heutigen Tag zu Hause zu überstehen.“ Leo verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

„Können wir uns nicht einfach unauffällig hoch schleichen? Das würde niemand mitbekommen“, flehte sie.

„Würde ich liebend gerne machen, aber mein Vater hat mir heute beim Frühstück gesagt, dass sie nach der Schule mit mir sprechen möchten.“ Timo sah mich mitfühlend an.

„Das gibt bestimmt wieder Ärger für etwas, dass du gar nicht gemacht hast.“ Seufzend nickte ich.

„Hundert pro. Aber was soll's“, seufzte ich.

Als es klingelte huschten alle schnell zu ihren Plätzen. Der Rest des Schultages ging erstaunlich schnell vorbei. Vor den letzten beiden Stunden, hatten wir eine längere Pause, damit wir in der Mensa etwas essen konnten. Obwohl unsere Mensa diesen Namen noch nicht einmal verdiente. Von Haaren bis zu Fingernägeln war bei uns schon alles dabei gewesen. Eigentlich rührte das Essen so gut wie niemand an. Bis auf ein paar Hungrige, die ihr Brot zu Hause vergessen hatten. Nachdem wir uns von Allen verabschiedet hatten, liefen Leo und ich zu mir nach Hause. Kaum das ich die Haustür aufgeschlossen hatte, kam mir auch schon die Furie entgegen.
„Lukas, warum bist du denn heute so spät dran? Oh und du hast Besuch mitgebracht?“ Nase rümpfend sah sie Leo von oben bis unten an. Diese war das schon gewohnt und lief einfach an ihr vorbei in den Flur. Ich folgte ihrem Beispiel, ehe ich antwortete.

„Ja, der Besuch heißt Leo. Das weißt du auch, schließlich ist sie so gut wie jeden Tag hier.“ Nachdem ich aus meinen Schuhen geschlüpft war, wandte ich mich an Leo.
„Willst du auch etwas trinken?“
„Ja, bring mir bitte meinen Eistee mit“, bat sie mich. Oh ja, man merkte deutlich das Leo hier oft war, sogar unseren Kühlschrank nahm sie schon für sich ein. Grinsend holte ich unsere Getränke und ließ mich dann neben Leo auf die Designercouch sinken. Lange hielt unsere Ruhe nicht an.

„Luke wir müssen mit dir reden“, sagte mein Vater. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck stand er, mit verschränkten Armen vor mir.

„Okay.“ Abwartend sah ich ihn an.

„Unter vier Augen“, meinte er während seine Augen zu Leo huschten. Überrascht blickte diese auf.

„Du kannst das auch vor Leo sagen, ich werde es ihr am Ende so oder so erzählen.“

„Schon gut, ich warte oben in deinem Zimmer“, meinte Leo und stand auf. Ohne ein weiteres Wort setzte sich mein Vater neben mich. Eine Weile starrte er vor sich hin, ehe er anfing zu sprechen.

„Ich weiß, dass es in letzter Zeit nicht einfach für dich ist, daher wirst du diese wundervollen, fantastischen Nachrichten wahrscheinlich auch nicht begeistert aufnehmen. Aber ich möchte, dass du dich damit anfreundest und keinen Aufstand deswegen machst. Das ist das Beste was seit langem passiert ist.“ Streng sah er mich an. Wenn das schon so anfing, waren das mit Sicherheit keine guten Nachrichten.

„Tessa ist schwanger!“, platzte es auch schon aus ihm heraus. Verschwitzt sah er mich an und wartete auf meine Reaktion, die auch prompt kam.

„Dann soll sie abtreiben!“, war das erste was mir dazu einfiel. Schwanger! Tessa war schwanger. Kalter Schauer liefen über meinen Rücken. Jetzt hatte sie es endgültig geschafft meinen Vater an sich zu binden. Wütend sprang mein Vater auf. Schweißperlen liefen ihm über das Gesicht.

„Lukas! Was erlaubst du dir! Wir werden das Kind ganz sicher nicht abtreiben. Du bekommst einen Bruder. Interessiert dich das denn überhaupt nicht?“, rief er aufgebracht. Damit mein Vater noch mehr Geld an diese Schlampe verschwendete? Noch mehr Zeit von seinem Leben wegschmiss?

„Nein. Du musst mir glauben. Sie ist eine Furie! Sie will nur an dein Geld. Merkst du das denn nicht mal? Sie liebt dich verdammt nochmal nicht! Und ein Kind? Was wollt ihr in eurem Alter noch mit einem Kind? Und was soll ein Kind mit Eltern die so alt sind wie ihr? Wenn er fünfzehn ist, seid ihr wie alt? Wenn du mir nicht glaubst, denk wenigstens daran. Tessa ist schrecklich! Sie schiebt alle Schuld auf mich und außerdem hat sie noch nie einen einzigen Finger für dich gekrümmt“, schrie ich ihn an.

Aufgeregt sprang ich ebenfalls auf.

„Sie ist das Beste was mir in meinem ganzen Leben passiert ist!“, spuckte er mich an.

„Nein! Das Beste was dir passiert ist war Mom! Du hast sie einfach nur vergrault. Und bei Tessa funktioniert das nur nicht weil sie dein Geld haben will. Aber hier geht es gar nicht darum, sondern darum das sie dich nur ausnutzt! Du machst doch alles! Du machst sogar den Haushalt. Du gehst arbeiten, du kochst! Und was macht sie? Sie verarscht dich und wirft dein Geld zum …“

Laut hallte der Knall durch meine Ohren. Stumm fuhr ich mich meiner Hand zu meiner pochenden Wange. Tränen traten mir in die Augen, während ich geschockt zu meinem Vater aufsah. Mit erhobenem Finger kam er auf mich zu.

„Denk nicht einmal daran Tessa zu beleidigen. Du hast doch gar keine Ahnung. Du bist doch sowieso nie zu Hause!“ Nicht einen Funken Reue konnte ich in seinen Augen erkennen. Wütend stieß ich seinen Finger, mit meiner freien Hand beiseite.

„Drei Mal darfst du raten wieso! Außerdem bin ich volljährig, wenn Leo Achtzehn ist, bin ich hier sowieso weg. Die zwei Wochen machen doch auch nicht mehr viel aus!“, sagte ich ohne jegliche Emotionen. Er hatte mich geschlagen, schon wieder.
Wütend packte mich mein Vater am Kragen.
„Oh mein Freundchen, ich denke da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden.“

Grob löste ich seine Hand von mir.

„Ich denke es ist besser wenn ich jetzt gehe“, flüsterte ich. Schnell drehte ich mich um und lief nach oben.

Leo saß oben auf meinem Bett und sah mich interessiert an, erst als ihr Blick auf meine rote Wange fiel, sprang sie auf.

„Irgendwann bring ich diese Frau noch um“, schrie sie aufgebracht. Augenblicklich unterbrach ich sie.

„Das war mein Vater“, erklärte ich ihr wodurch Ihr Ausdruck noch wütender wurde.

„Den mache ich gleich mit fertig. Was ist in deiner Familie los? Warum zur Hölle hat er dich geschlagen?“ Aufgebracht lief sie auf mich zu und fuhr vorsichtig über meine schmerzende Wange.

„Er war anscheinend mit meiner Meinung nicht ganz einverstanden. Sie hat ihn. Scheiße sie hat ihn.“ Tränen schossen mir erneut in die Augen.

„Ich dachte eigentlich, dass es nicht mehr schlimmer werden kann. Aber sie beweist mir immer wieder das Gegenteil.“ Die erste Träne rollte über meine Wange.

„Ich weiß nicht wie lange ich das noch aushalte Leo. Sie zerstört meinen Vater und er bemerkt es nicht einmal! Das einzige was ich tun kann ist mit ihm zu sprechen, aber er hört ja nicht mal zu, er löst alles auf seine eigene Art und Weise.“ Vorsichtig wischte sie die Tränen aus meinem Gesicht.

„Wieso hat sie ihn? Sie wird ihn niemals nur für sich haben Luke. Er ist immer noch dein Vater und er wird auch ganz sicher …“

„Sie ist schwanger“, unterbrach ich Leo. „Sie ist Gott verdammt nochmal schwanger!“ Wütend drehte ich mich von ihr weg und fuhr mir übers Gesicht.

„Das ist …“

„Scheiße, der Weltuntergang? Das Schlimmste was überhaupt passieren konnte?“ Aufgebracht sah ich sie an.

„Ich wollte eigentlich unerwartet sagen. Aber ja, deine Punkte treffen auch so ziemlich zu.“ Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen.

„Ich habe ja mit vielem gerechnet. Aber nicht damit“, seufzte ich traurig. Vorsichtig legte sie sich neben mich auf das Bett. Sofort zog ich sie in meine Arme. So wie wir es früher immer gemacht hatten, wenn sich jemand verletzt hatte, oder wenn jemand von uns traurig war.
„Scheiß auf sie“, flüsterte Leo. „Scheiß auf Tessa, scheiß auf deinen Dad, aber Luke dein Bruder oder deine Schwester kann nichts dafür. Du kannst nicht auf sie wütend sein.“

„'ihn'. Mein Vater meinte es wird ein Junge.“ Schwach lächelte ich sie an. „Dabei wollte ich immer eine kleine Schwester.“

„Das wird schon alles“, meinte sie, ehe sie über meinen Kopf griff und das Licht ausschaltete. Müde schloss ich meine Augen, dankbar dass Leo mir Zeit gab nachzudenken.

 

 

Kapitel 2:

 

Gähnend schlug ich meine verklebten Augen auf.

„Steh endlich auf Luke!“ Eine kleine Hand schlug etwas zu kräftig gegen meinen Kopf. Verwirrt sah ich sie an, ehe ich meine Augen wieder schloss und die Decke über meinen Kopf zog. Was auch immer Leo grade von mir wollte, es war mir so was von egal. Außerdem brauchte ich meinen Schlaf, vor allem nach dem Gespräch mit meinem Vater. Eigentlich wollte ich nur noch schlafen und alles andere um mich herum vergessen.

„Komm schon. Du bekommst auch Schokolade“, lockte sie mich. Vorsichtig lugte ich unter der Decke hervor.
„Was für Schokolade?“, ging ich darauf ein. Leo sah mich genervt an.

„Keine Ahnung, Zartbitter? Ich weiß ja, dass du mit Sam eine unausgesprochene Abmachung hast, aber ich würde schon ganz gerne noch pünktlich kommen. Würdest du also bitte aufstehen?“ Prüfend musterte ich sie, dann schloss ich wieder meine Augen.

„Ich hasse Zartbitter. Du kannst schon gehen, du kennst den Weg doch in und auswendig“, nuschelte ich an die Matratze. Mit einem Ruck zog sie mir die Decke vom Körper.

„Was soll das denn jetzt?“, fragend sah ich sie an.

„Wir kommen heute pünktlich. Das soll das jetzt. Und jetzt bewege endlich deinen süßen Hintern unter die Dusche oder ich mach das für dich!“ Ich warf ihr einen wütenden Blick zu, ehe ich mich aufsetzte.

„Du kannst manchmal ganz schön tyrannisch sein, weißt du das?“ Sie nickte lachend und zog mich nach oben. Ohne ein weiteres Wort lief ich in mein Badezimmer und zog mir auf den Weg dahin schon mein Oberteil aus. In Klamotten schlafen ist wirklich das wahre. Hinter meinem Rücken hörte ich wie Leo vor sich hin summte. Wie konnte man morgens nur schon so eklig gut drauf sein? Das Einzige was ich morgens schaffte war ein „Morgen“ und „Tschüss“ zu nuscheln. Mehr war auch meistens nicht nötig. Das Shirt und meine Hose landeten achtlos auf dem Boden, ebenso wie meine Boxer. Nur meine Kette und mein Armband legte ich vorsichtig auf die Kommode. Sam und Leo hatten sie mir zu meinem vierzehnten Geburtstag geschenkt, seitdem trug ich sie so gut wie immer. Danach stieg ich gähnend unter die Dusche und genoss das warme Wasser, welches mir über den Rücken lief. Wer auch immer behauptet hatte, dass man wach werden würde wenn man morgens duschte, hatte eindeutig gelogen. Fünf Minuten später, stellte ich das Wasser ab, schnappte mir ein Handtuch und trocknete mich ab. Dann schlang ich mir das Handtuch um die Hüfte und betrachtete mich im Spiegel. Zwei hellblaue Augen sahen mich an, die skeptisch zu dem nassen, dunkelblonden Haaren wanderten. Meine Nase würde eher zu einer Frau passen und meine Stirn war sicher einen Tick zu hoch. Im Gegensatz zum Rest von meinem Körper. Seufzend sah ich an mir herunter. Mit Eins-siebenundsechzig gehörte ich nicht gerade zu den größten Leuten. Allgemein war ich ziemlich feminin gebaut, trotz der zahlreichen Besuche im Fitnesscenter. Ich wandte mich von meinem Spiegelbild ab, zog das Armband und die Kette wieder an und lief zurück in mein Zimmer. Leo hatte es sich auf meinem Bett mit meinem Laptop gemütlich gemacht. Sie warf mir einen Blick zu, ehe sie sich wieder auf den Bildschirm konzentrierte.

„Wie spät ist es?“, fragte ich sie während ich zu meinem Kleiderschrank lief.
„Zu spät“, war ihre schlichte Antwort. Augen verdrehend angelte ich nach einer frischen Boxer, ließ das Handtuch achtlos fallen und schlüpfte hinein.

„Ich finde es immer noch lustig das …“

„Leo!“, rief ich empört aus. Das Thema kam einfach immer wieder auf.

„Was denn?“ Unschuldig blinzelte sie mich an. „Es ist nun mal überraschend das du bei deiner Körpergröße so einen großen …“

„Das hat rein gar nichts mit der Körpergröße zu tun, dass weißt du auch! Nur weil eine Frau klein ist, heißt das doch auch nicht automatisch, dass sie kleine Brüste hat“, schnaubte ich. Schnell zog ich mich ganz an, bevor noch weitere Körperteile von mir unter die Lupe genommen wurden. Noch bevor ich das Shirt fertig übergezogen hatte, klingelte es.

„Ich gehe schon, du kannst den Laptop einfach zuklappen“, rief ich schon auf den Weg nach unten. Mit Schwung riss ich die Haustür auf und begrüßte Sam. Er ließ einen Blick über meinen halbnackten Oberkörper gleiten, ehe er an mir vorbei ging, seine Tasche in die Ecke feuerte und sich im Wohnzimmer vor den Fernseher warf. Das war auch schon Alltag. Schnell zog ich mir mein Shirt ungelenk über den Kopf und lief dann wieder nach oben, um meine Tasche zu holen. Leo saß immer noch auf meinem Bett.

„Ich dachte, du wolltest pünktlich kommen? Sam ist schon unten, ich bin gleich auch fertig und …“ Das erste Mal Heute sah ich sie genauer an. Ihre braunen Locken fielen weich über ihre Schulter auf mein T-Shirt.

„Wieso sieht mein T-Shirt bei dir besser aus als bei mir?“, beschwerte ich mich. Leo war ungefähr genauso groß wie ich, weswegen sie sich gerne mal bei meinen T-Shirts bediente. Sie schlug den Laptop zu und stand auf.

„Ich habe es halt einfach drauf.“ Breit grinsend marschierte sie an mir vorbei nach unten. Aus ihrem Hosenbund schaute ein Zipfel von meiner Boxershorts raus. Hatte das Mädchen nicht mal eigene Unterwäsche? Kopfschüttelnd holte ich zu ihr auf, stopfte den Zipfel zurück in die Hose und erntete dafür ein empörtes Aufkreischen. Geschickt wich ich ihrer Faust aus und holte unsere Schuhe. Sam ließ seine praktischer Weise immer an. Er musste hier ja auch nicht sauber machen.

„Seid ihr soweit?“, ertönte es aus dem Wohnzimmer.

„So gut wie!“, rief Leo zurück und schnappte sich noch schnell eine Flasche Wasser. Ich ging schon zur Tür und wartete zusammen mit Sam auf Leo.

„Wer wollte noch mal pünktlich kommen?“, fragte ich sie grinsend, als sie drei Minuten später zu uns stieß. Sie erwiderte nichts, sondern lief schwer atmend an uns vorbei. Wir folgten ihr und machten uns zügig auf den Weg.

 

Nicht wirklich überrascht, sahen wir auf die geschlossene Tür, als wir vor dem Klassenraum ankamen. Ich warf einen kurzen Blick auf meine Uhr. Nur fünf Minuten, immerhin. Diesmal war es aber weder meine, noch Sams schuld gewesen. Ich grinste Sam an, welcher anscheinend an dasselbe zu denken schien, denn er deutete auf Leo und sah mich fragend an. Ich nickte, klopfte an und riss fast noch im selben Moment die Tür auf. Sam schob Leo Richtung Lehrerpult und flüchtete dann genau wie ich, zum Sitzplatz. Leo quiekte überrascht auf und warf uns einen bösen Blick zu. Wir zuckten lediglich mit den Schultern und grinsten sie an.

„Leo, warum bist du denn so spät? Das bist du doch sonst auch nicht“, freundlich lächelte die Tasse sie an.

„Ja, tut mir Leid, mein Vater musste heute Morgen noch etwas mit mir besprechen und dann habe ich es nicht mehr rechtzeitig geschafft. Vor der Klassentür bin ich auf Sam und Luke getroffen“, log sie wie gedruckt und lächelte unsere Lehrerin entschuldigend an. Kurz darauf saß sie wieder auf ihrem Platz und Sam und ich wurden mit zusammengekniffenen Augen taxiert.

„Luke, Sam was für eine Ausrede habt ihr heute wieder auf Lager?“, fragte sie genervt und klopfte mit ihrem Kugelschreiber nervtötend auf den Pult. Ich hielt den Mund und schielte zu Sam. Ihm schien auch nichts einzufallen, denn er stammelte unverständlich vor sich hin, bis er von der Tasse unterbrochen wurde.

„Ihr müsst euch genau wie jeder andere an den Stundenbeginn halten. Das nächste Mal geht’s zum Rektor! Vor allem du Sam. Luke hat wenigstens noch die entsprechenden Noten, um sich das leisten zu können.“ Sie rümpfte die Nase und Sam sah sie so angewidert an, dass ich nicht anders konnte als loszulachen.

„Was gibt es denn da zu lachen?“, wandte sie sich jetzt an mich. Unruhig rutschte ich auf meinem Platz umher.

„Ich … ähmm.“ Verlegen kratzte ich mich am Kopf.

„Ich warte“, ungeduldig sah sie mich an und ließ statt des Kulis, ihre Finger auf den Pult knallen. Sam knuffte mich unauffällig in die Seite.

„Tut mir leid, ich war anscheinend in Gedanken“, nuschelte ich undeutlich und wich ihrem Blick aus.

„Na dann wird es dich bestimmt freuen zu hören, dass du heute unseren neuen Schüler herum führen darfst. Damit du etwas aus deinen Gedanken herauskommst. Als Klassensprecher ist das ja eigentlich sowieso deine Aufgabe.“

Ergeben nickte ich. Genau das hatte mir heute noch gefehlt, irgendeinen Kerl an der Backe kleben zu haben, der wahrscheinlich nach Schweiß roch und nicht bis Zehn zählen konnte. Müsste er nicht eigentlich schon längst da sein? Erster Tag und schon zu spät? Nicht das er noch zur Konkurrenz für Sam und mich wurde.

„Er dürfte jeden Moment hier auftauchen“, beantwortete die Tasse meine unausgesprochene Frage. Kurz darauf klopfte es auch schon an der Tür und der Rektor kam zusammen mit dem neuen Schüler durch die Tür.

Er sah definitiv nicht so aus als würde er stinken. Augenblicklich stoppten alle Gespräche und jeder sah ihn neugierig an. Auch ich musterte ihn überrascht. Er musste an die Achtzehn sein und mindestens Ein Meter Neunzig. Verdammt, der Kerl war riesig! Schokoladenbraune Augen blickten selbstbewusst in die Klasse und überflogen meine Klassenkameraden. Sein Blick blieb kurz an mir kleben, musterte mich intensiv, ehe er weiterwanderte. Schließlich ging er geschmeidig auf unsere Klassenlehrerin zu und reichte ihr die Hand. Gebannt blickte ich auf sein schwarzes Shirt, welches mehr zeigte als verbarg. Seine langen Beine steckten in einer dunklen Jeans. Etwas zu begeistert schüttelte die Tasse seine Hand. Um mich herum begann bereits das Getuschel. Jeder hatte etwas zu seinen dunkelbraunen Haaren oder seiner Größe zu sagen. Ich hingegen saß einfach nur stumm da und betrachtete ihn mit offen stehendem Mund, während ich mich fragte seit wann ich überhaupt darauf achtete, ob ein Kerl gut aussah oder nicht.

„Ich hoffe du findest dich hier gut zurecht. Ich bin mir sicher, dass du hier gut aufgenommen wirst“, verabschiedete sich der Rektor.

„Ich würde sagen wir machen eine kurze Vorstellungsrunde, damit Marcy euch ein bisschen kennenlernt“, rief die Tasse laut, woraufhin wieder Ruhe herrschte. Aha, Marcy hieß er also.

„Also Marcy, willst du dann direkt mal anfangen? Danach kannst du dich neben Luke setzen, er wird dich nachher auch ein bisschen herumführen.“

„Aber Sam sitzt doch neben mir!“, protestierte ich lauthals. Neben mir grummelte Sam zustimmend. Wir saßen seit der achten Klasse nebeneinander, das würde sich jetzt ganz sicher nicht ändern!

„Das passt doch perfekt. Dann erinnert ihr euch in Zukunft daran, dass man auch pünktlich zur ersten Stunde kommen kann. Sam du setzt dich bitte neben Oliver“, wies sie ihn streng an. Wütend räumte Sam seine Sachen zusammen.

„Aber das eine hat mit dem anderen doch überhaupt nichts zu tun!“, wagte ich erneut einen Einwurf. Die Tasse sah mich nicht einmal an, als sie meinen Versuch neben Sam sitzen zu bleiben, niederschmetterte. Geräuschvoll stand Sam auf, schnappte sich seine Tasche und ließ sich zwei Reihen vor mir auf seinen neuen Platz fallen.

Ich mochte den Neuen jetzt schon nicht.

„Also“, sagte Marcy mit tiefer Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken jagte und sofort die ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. „Ich bin Marco Dryer, werde aber von allen Marcy genannt. Ich bin grade Neunzehn geworden und vor einer Woche hier her gezogen.“ Freundlich lächelte er mich an. „Und ab heute gehe ich in eure Klasse“, beendete er seine Vorstellung und lief zu mir rüber. Elegant ließ er sich auf Sams Platz nieder.

„Luke, du bitte als nächster und danach im Uhrzeigersinn weiter.“ Streng sah meine Lehrerin mich an.
„Ich bin Luke Prescher, achtzehn Jahre alt und ich finde es äußerst ungerecht das Sam sich von mir wegsetzten musste. Eigentlich hätte Dryer sich auch neben Olly setzen können“, meinte ich eingeschnappt und funkelte Dryer, obwohl er überhaupt nichts dafür konnte, böse an.

„Lukas!“, mahnte mich die Tasse.

„Ich wollte es nur einmal gesagt haben“, zischte ich und zuckte unschuldig ich mit den Achseln, löste meinen Blick aber nicht von meinem neuen Sitznachbarn. Überrascht zog dieser eine Augenbraue hoch, ging aber nicht weiter darauf ein. Ich wusste, dass es gemein von mir war, aber genauso gemein war es meinen besten Freund von mir wegzusetzen, nur damit irgendein Neuer sich seinen Platz unter den Nagel reißen konnte.

 

Ich hörte gelangweilt den Anderen zu wie sie sich vorstellten. Da jeder nur seinen Namen und sein Alter sagte, war Sam schnell an der Reihe. Er sagte fast genau dasselbe wie ich, was mich aber nicht wirklich überraschte. Wenigstens musste er nicht neben dem, zugegeben gut riechenden, Neuen sitzen. Der Unterricht kam danach nicht wirklich in Gange, da sich jeder mit seinem Sitznachbar unterhielt und Dryer anscheinend interessanter war. Die Tasse stand vorne und versuchte vergeblich ihre Klasse wieder unter Kontrolle zu bekommen. Da konnte sie noch lange warten, für die meisten war der Unterricht in dieser Stunde gelaufen.

 

Ich versuchte Dryer so gut es ging zu ignorieren, was gar nicht so einfach war wie gedacht. Andauernd stieß sein Bein gegen meines, wodurch ich immer weiter zum Tischrand rutschte. Von überall hörte ich die Mädchen und wenigen schwulen Jungs tuscheln wie gut er doch aussah. In unserer Klasse gab es zwei geoutete Jungen, die einfach keine Lust mehr gehabt hatten, zu verbergen wer sie sind. Anfangs gab es deswegen ziemlich Stress, doch mittlerweile hatte sich alles wieder beruhigt. Natürlich gab es immer noch ein oder zwei Jungen die ihre Meinung lauthals verkünden mussten. Meiner Meinung nach war es egal. Als ob Timo mir jetzt beim Umziehen auf den Schwanz starren würde. Und falls doch, was soll's. Die anderen konnten mir nicht erzählen, dass sie nicht auch schon mal einen Blick riskiert hatten, wenn es auch nur sei um zu gucken wer den größten Schwanz hatte. Wieder stieß Dryer gegen mich. War er etwa näher an mich heran gerutscht? Ich saß doch schon so nah an der Kannte wie möglich! Genervt ließ ich meinen Kopf auf die Tischplatte sinken. Das konnte ja noch lustig werden.

 

Als es zum Ende der Stunde klingelte, sprang ich erleichtert auf und lief zu Sam. Er sah genauso genervt aus wie ich.

„Ich glaube Olly ist stumm“, meinte er laut und sah auffällig zu Oliver rüber. Kopfschüttelnd packte dieser seine Sachen zusammen, ehe er sich uns zuwandte.

„Manche Leute wollen einfach den Abschluss schaffen, Sam“, erwiderte Oliver. Ich hörte ihnen lachend bei ihrem Geplänkel zu, bis sich jemand hinter mir räusperte. Als ich mich umdrehte, blickte ich in das lächelnde Gesicht von Dryer, welcher sich vorsichtig auf sich aufmerksam gemacht hatte. Stimmt ja, da war ja noch etwas. Etwas das sehr gut roch, stellte ich lautlos seufzend fest. Vielleicht sollte ich ihn mal nach seinem Aftershave fragen?

„Dryer, das sind Sam und Olly“, stellte ich die beiden vor, da er sich bestimmt nicht alle Namen merken konnte, worauf ich ein dankbares Lächeln erntete.

„Tut mir leid, dass ihr euch wegen mir auseinandersetzen musstet und ich werde lieber Marcy genannt“, meinte er freundlich, dennoch bestimmt. Ich zuckte nur mit den Schultern und wandte mich wieder Sam zu. Olly fragte Dryer sofort aus, warum er denn umgezogen ist und wieso er grade auf diese Schule gekommen ist. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu und blickte Sam genervt an. Dieser verdrehte nur die Augen und reichte mir die Hälfte von seinem Brötchen. Dankend nahm ich es entgegen und unterhielt mich mit ihm für den Rest der Pause. Kurz vor dem Klingeln wandte ich mich unwillig an Dryer.
„Weißt du welches Fach du als nächstes hast?“ Er warf einen kurzen Blick auf seinen Stundenplan.

„Mathe, bei Herrn Pleng“, sagte er und sah mich fragend an. Seufzend nickte ich. War ja klar, dass ich ihn nicht so schnell loswerden würde. Er bemerkte, dass sich mein Blick verfinsterte und lächelte mich entschuldigend an.

„Ich glaube so schnell wirst du mich nicht mehr los.“ Ich grummelte nur etwas Undeutliches und deutete ihm an mir zu folgen. Ich lief schnell voraus, sodass ich ein paar Schritte vor ihm ging. Unhöflich, ich weiß. Aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich saß nun mal lieber neben Sam als Dryer. Kurz blickte ich mich um, nur um ihn dabei zu erwischen wie er mich auf den Hintern glotze. Abrupt blieb ich stehen.

„Du hast … Warum guckst du mir auf den Hintern?“, fragte ich ihn baff.

Schnell hob er seinen Blick. Er und schwul? Irgendwie passte das nicht zusammen. Vielleicht hatte ich mir den Blick auch nur eingebildet? Oder er hing in Gedanken? Eine fast nicht sichtbare Röte zog sich über seine Wangen. Irgendwie süß. Was? Nein! Er war nicht süß! Er war zwar freundlich und gut riechend aber ganz sicher nicht süß! Verwirrt über meine Gedanken schüttelte ich den Kopf. Doch genauso schnell wie die Röte erschien war, verflog sich auch schon wieder.

„Sorry, ich konnte nicht widerstehen. Da musste ich einfach einen Blick drauf werfen“, flüsterte er mir mit rauer Stimme in mein Ohr und ging dann an mir vorbei in den Raum. Was war das denn? Überrascht stand ich einfach nur da und sah ihm hinterher. Dass er sich das traute, bei jemandem den er überhaupt nicht kannte. Er wusste doch noch nicht mal wie unsere Klasse so drauf war. Vielleicht waren wir ja alle Schwulenhasser und schlugen jeden zusammen, der uns über den Weg lief? Erst als der Lehrer kam, riss ich mich aus meiner Starre. Er hatte mir doch tatsächlich auf den Hintern gestarrt! Ich folgte dem Lehrer in den Klassenraum und steuerte auf Sam zu. Er saß neben Dryer und schien sich köstlich zu unterhalten. Schlagartig verschlechterte sich meine Laune noch mehr. Geradewegs lief ich auf ihn zu und baute mich zu voller Größe auf. Was wirklich nicht viel war, trotzdem lenkte es die Aufmerksamkeit auf mich.

„Hi, du sitzt auf meinem Platz.“ Auffordernd sah ich ihn an. Als er sich nicht rührte, ging ich einfach hinter ihn und zog den Stuhl vom Tisch weg. Oder ich versuchte es.

„Gott bist du schwer!“, keuchend stützte ich mich auf die Lehne. Dann zog ich mit voller Kraft. Der Stuhl rührte sich nur einige Zentimeter.

„Vielleicht hast du auch einfach keine Kraft“, grinste Dryer mich an. Ich ging einen Schritt nach vorne und sah zu ihm runter.
„Vielleicht bist du auch einfach nur fett!“ Er sah an mir hoch und runter, dann erhob er sich, sodass ich meinen Kopf immer weiter in den Nacken legen musste. Mir wurde bewusst wie nahe ich bei ihm stand und ging einen Schritt nach hinten.

„Wenn ich fett wäre, hätte ich wohl kaum ein Sixpack“, herausfordernd sah er mich an. Schluckend senkte ich meinen Blick zu seinem Bauch. Oh ja, er hatte eindeutig eins. Als er lachte ließ ich meinen Blick wieder nach oben schnellen.

„Ich sehe da nichts“, meinte ich schlicht, grinste ihn an und hockte mich schnell auf den Stuhl. Süß sanft grinste ich zu ihm hoch und drehte mich dann zu Sam und somit ihm den Rücken zu. Kaum das Dryer sich einen neuen Sitzplatz gesucht hatte, fing der Lehrer auch schon an zu reden. Ich beugte mich leicht zu Sam.

„Sag mal, wie findest du Dryer?“, flüsterte ich leise. „Ich meine er ist irgendwie komisch, oder? Ist die aufgefallen wie groß er ist? Also ich meine wirklich groß! Ich gehe ihm grade mal bis zu den Kniekehlen!“ Das er mir auf den Hintern gestarrt hatte, ließ ich absichtlich unter den Tisch fallen.

„Luke, pass auf“, wurde ich vom Lehrer ermahnt. Es war ja nicht so, dass so gut wie die ganze Klasse redete.

„Er ist ganz nett und so groß ist er nun auch nicht. Aber das wir nicht mehr nebeneinander sitzen ist wirklich der letzte Scheiß“, regte Sam sich laut auf.

„Wir setzten uns einfach morgen wieder nebeneinander, okay? Die Tasse es hat bis dahin doch sowieso wieder vergessen.“ Unauffällig linste ich zu ihm hinüber.

„Geht klar, sag mal warum nennst du ihn eigentlich Dryer?“, fragte Sam etwas zu laut.

„Sam, dasselbe gilt auch für dich!“ Mahnend blickte der Lehrer uns an. Wir entschuldigten uns kurz und warteten bis er seinen Unterricht weiterführte, ehe wir weiter redeten.

„Also?“ Abwartend sah er mich an.

„Hmm?“ Fragend blickte ich von meinen Heften auf.

„Er hat doch deutlich gesagt, dass er lieber Marcy genannt wird, also warum nennst du ihn Dryer?“, fragte er mich.

Nachdenklich kaute ich auf meinem Bleistift herum.

„Ich weiß es gar nicht so genau. Passt irgendwie besser“, flüsterte ich ihm stirnrunzelnd zu. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht ihn so zu nennen.

„Findest du, dass Marcy weiblich klingt?“, raunte Sam mir leise zu. Lachend sah ich ihn an.

„Eigentlich nicht, nein. Wie kommst du darauf?“ Nachdenklich sah Sam zu Dryer herüber.

„Na ja …“

„Jungs! Das hier ist der Matheunterricht und kein Kaffeekränzchen. Also würde ich euch bitten, eure Aufmerksamkeit auf die Tafel zu richten, ansonsten könnt ihr euch gerne draußen weiter unterhalten!“, ermahnte uns der Lehrer. Betreten nuschelten wir beide eine Entschuldigung und folgten dem Unterricht. Als die Stunde endete, kam Leo aufgeregt zu uns rüber.

„Bin ich die Einzige, oder findet ihr den Neuen auch super süß? Und diese Augen“, schwärmte sie. Verwirrt sah Sam sie an.

„Ich glaube ich muss dich enttäuschen, er hat mir eindeutig zu viel zwischen den Beinen hängen und zu wenig auf der Brust.“ Sam sah mich an, als hätte sie nicht alle Tassen im Schrank. Ich verdrehte nur die Augen und warf dann einen genervten Blick zu Dryer herüber, der schon von anderen Mädchen aus unserer Klasse umzingelt war.

„Kann es sein das du ihn nicht magst?“ Aufmerksam sah Leo mich an. Vor ihr konnte man aber auch nichts verheimlichen.

„Ich weiß auch nicht. Findest du nicht das er irgendwie merkwürdig ist?“, fragte ich. Überrascht zog sie eine Augenbraue hoch.
„Nein, eigentlich nicht. Er ist doch freundlich und er sieht echt gut aus!“, schwärmte Leo. Ihre Augen fingen an zu strahlen. Nach dem Motto: „Hauptsache er sieht gut aus, alles andere ist mir egal.“ Typisch Leo. Ich grinste nur wissend und räumte meine Sachen zusammen. Aus den Augenwinkeln sah ich wie Dryer auf uns zukam.

„Hey“ Verlegen sah er uns an. „Ich wollte euch fragen, ob ihr jetzt noch Zeit habt um mir die Stadt zu zeigen.“ Überlegend sah ich zu ihm hoch. Sollte ich mir irgendeine Ausrede ausdenken oder einfach sagen, dass ich keine Lust hatte, ihm irgendwas zu zeigen? Leo nahm mir die Entscheidung ab.

„Klar, wir wollten heute sowieso noch in die Stadt fahren.“ Verwirrt sah ich sie an.

„Wollten wir das?“, fragte ich durcheinander. Sie warf mir einen flehenden Blick zu. Mit einem erzwungenen Lächeln wandte ich mich an Dryer.
„Wollten wir. Oder besser gesagt Leo wollte das, ich habe heute leider keine Zeit, aber ich denke Leo und Sam können dir auch zusammen die Stadt zeigen. Viel Spaß.“ Ich schob mir die Tasche auf die Schulter und klopfte Sam beim Rausgehen grinsend auf die Schulter. Der Weg nach Hause zog sich ewig. Meinen IPod hatte ich in der Eile heute Morgen vergessen und so blieb mir nichts anderes übrig, als monoton vor mich hinzustarren.

 

***

 

Als ich am nächsten Tag auf meinen Platz zuging, saß Dryer schon dort. Also war das alles kein böser Traum gewesen. Schnell huschte ich zu meinem Platz, während Sam mit dem Bolzen redete. Ich nuschelte ein: „Morgen“, und ignorierte ihn dann für den Rest der Stunde. In der Pause setzte sich Dryer wie selbstverständlich zu uns und wurde auch schon freudig von Leo und Sam empfangen. Ich kam mir vor wie im schlechten Film als sie anfingen sich zu unterhalten als würden sie sich schon Jahre kennen. Musste ja gestern in der Stadt gut gelaufen sein. Gelangweilt sah ich auf den Holztisch, der schon ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Kanten waren abgenutzt, die Oberfläche zerkratzt und in der rechten Ecke hatte sich jemand mit einem Edding zu Gange gemacht. Die anderen Tische hier sahen auch nicht besser aus. Aber die Schule legte ihr Geld anscheinend lieber woanders an. Neue Toiletten könnten wir hier nämlich auch mal gebrauchen. Da pinkelte ich lieber hinter einen Busch auf dem Schulgelände. Auch die Fenster sahen aus, als wären sie seit längerer Zeit nicht mehr geputzt wurden. Gedankenversunken kaute ich auf meinen Brötchen herum, bis es mir aus der Hand gerissen wurde. Erschrocken rutschte ich nach hinten. Drei Augenpaare sahen mich an.

„Wo bist du denn in deinen Gedanken?“, kicherte Leo.

„Sorry, ich habe nur nachgedacht“, meinte ich und streckte meine Hand nach meinen Brötchen aus. Sam gab es mir wieder, sah mich aber mit hochgezogenen Augenbrauen an. Verwirrt erwiderte ich seinen Blick.

„Was ist los?“, flüsterte er leise. „Du wirkst so als wärst du lieber wo anders.“

Auch Leo und Dryer sahen mich fragend an. Wahrscheinlich hatte Sam nicht so leise gesprochen wie gedacht.

„Nichts“, sagte ich in normaler Lautstärke. „Ist wohl einfach nicht mein Tag heute.“ Er nickte schlicht, behielt mich aber, wie es mir schien weiter im Auge. Auch Dryer schien mich immer anzuschauen. Jedes Mal wenn ich meinen Blick in seine Richtung wandte sah er mich an. Er setzte sich auch immer neben mich. Der Rest der Woche verlief genau in demselben Muster. Leo und Sam schienen sich immer besser mit Dryer zu verstehen und ich saß daneben, aß mein Brötchen und fühlte mich, trotz meiner Freunde um mich herum, irgendwie allein gelassen.

 

 

Kapitel 3:

 

„Wollt ihr wirklich da hin?“ Seufzend durchwühlte ich meinen Kleiderschrank. Wo zur Hölle war mein Lieblingsshirt hin?

„Na klar, die Party soll richtig gut werden“, meinte Leo grinsend. Fluchend warf ich ein Teil nach dem anderen, aus meinem alten, verschlissenen Schrank.

„Also ich will auf jeden Fall hin, ich habe gehört das Ella auch kommen soll“, brüllte Sam aus meinem Badezimmer. Warum genau hatte ich den beiden nochmal erlaubt sich hier fertig zu machen? Ach ja, hatte ich ja gar nicht. Ich lag ahnungslos auf meinem Bett, als die beiden einfach hier rein geplatzt kamen, ihre Sachen auf meinen Boden verstreuten und mir mitteilten, dass sie heute auf eine Party gehen würden. Mich mit eingeschlossen. Mein Zimmer sah mittlerweile aus wie das reinste Schlachtfeld.

„Wer ist Ella?“, brüllte Leo zurück.

„Dsch die hische ausch der Parallelklasche“, kam es nuschelig von Sam.

„Was?“, fragte sie als Sam mit meiner Zahnbürste im Mund und lediglich mit einer Boxershorts bekleidet, in mein Zimmer kam. Wenig geistreich sah Leo mich an. Sam war schon eine Note für sich.

„Er hat gesagt, dass das die heiße aus der Parallelklasse ist“, übersetzte ich für sie. „Er steht schon länger auf sie.“ Wenn man mit jemanden wie Sam auswächst, lernt man ihn auch ihn solchen Situationen zu verstehen. Lachend schüttelte Leo ihren Kopf. Wild sprangen die Locken von einer zur anderen Seite.

„Dass du ihn verstehst.“ Ich warf ihr ein breites Grinsen zu.

„Ich habe ihn auch mit einem Sandkuchen á la Sam im Mund verstanden.“ Sam und ich hatten früher viel Mist gebaut, es kam nicht selten vor, dass irgendwer am Ende beim Arzt landete.

„Wann hat Sam denn Sand gegessen?“, neugierig sah sie mich an. Bereit den neusten Klatsch zu hören, der zwar schon mehrere Jahre zurücklag, aber immer noch genauso lustig war.

„Das ist noch gar nicht so lang aau!“Keuchend klappte ich zusammen. Mit zusammengebissenen Zähnen sah ich zu Sam hoch.

„Scheiße hast du einen Schlag drauf“, keuchte ich laut auf. Sam lächelte mich nur scheinheilig an und stapfte zurück ins Badezimmer. Ich sah Leo entschuldigend an.
„Ich würde es dir ja erzählen, aber dann hätte ich die zweite Faust im Magen, heute Abend fällt die Geschichte bestimmt noch einmal auf den Tisch.“ Verschwörerisch zwinkerte ich ihr zu.

„Das habe ich gehört!“, kam es gedämpft aus dem Bad. Lachend stand ich auf und begab mich erneut auf die Suche nach meinem Lieblingsshirt. Es schien wie vom Erdboden verschluckt, dabei war ich mir sicher, dass ich es neulich erst in den Kleiderschrank geräumt hatte.

„Was suchst du eigentlich?“, unterbrach mich Leo bei der Suche.
„Das Shirt das du mir mal geschenkt hast. Ich könnte schwören, dass ich es in den Kleiderschrank gelegt habe.“ Erneut durchwühlte ich ihn.

„Du hast es verloren?“ Mein Kopf ruckte zu ihr herum.

„Bestimmt nicht. Irgendwo in diesem Chaos wird es schon liegen“, meinte ich entschuldigend und lief zur Tür. „Ich gehe mal meinen Vater fragen.“ Dad oder Papa nannte ich ihn schon lange nicht mehr. Warum auch? Er verhielt sich weder wie ein Dad, noch schien er zu wollen, dass ich ihn so nannte.

Als ich ihn das Wohnzimmer kam, wäre ich am liebsten wieder rückwärts raus gelaufen. Auf dieses Bild hätte ich wirklich verzichten können. Mein Vater lag mit der Furie auf dem Sofa und knutschte sie wie verrückt ab. Seine Hand hatte sich schon in ihre Hose gemogelt und auch sie schien nicht untätig geblieben zu sein. Laut räusperte ich mich.

„Könnt ihr nicht aufs Zimmer gehen? Auf den Anblick kann ich gerne verzichten“, meinte ich so neutral wie möglich. Erschrocken fuhren sie auseinander. Ja Hallo, ich bin es. Dein Sohn. Ach ja ich lebe auch noch hier!

„Junger Mann, nicht in diesem Ton!“, schrie mein Vater mich an. Dabei verteilte sich seine Spuckte durch den ganzen Raum. Reizend.

„Tut mir leid, ich fand unser Wohnzimmer nur schöner ohne eure Pornoeinlage.“ Fasziniert beobachtete ich wie sein Gesicht erst weiß und dann wieder rot wurde. Schließlich schien er sich zu beruhigen, denn er sah mich abschätzend an.
„Was willst du denn?“, fragte er sichtlich gepresst. Fast so als müsste er sich zurückhalten mich anzuschreien. Auch wenn das nichts Neues für mich war, versetzte es mir doch einen Stich. Früher war er ganz anders gewesen. Früher war er der coole Dad, den alle Freunde cool fanden und den sich alle auch als Vater wünschten. Heute war er lediglich jemanden den man in seiner Familie hatte, mit dem man aber eigentlich nicht wirklich was zu tun hatte.

„Ich wollte fragen wo mein Bandshirt hin ist?“

„Meinst du diesen alten Lappen mit dem Logo von irgendeiner Band?“, mischte sich die Furie ein. Ich sah sie überrascht an und brachte ein Nicken zustande.

„Ich habe es mir erlaubt ein paar von deinen alten Sachen auszumisten. Schrecklich was da alles in deinem Kleiderschrank herumlag. Damit kann sich ja keiner sehen lassen“, meinte sie hochnäsig und sah mich gewinnend an. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass auch mein Dad sie missbilligend ansah.

„Du hast was?“ Wütend ging ich einen Schritt nach vorne. „Das war aber ganz zufällig kein altes Kleidungsstück! Ganz zufälligerweise war das mein Lieblingsshirt und was nimmst du dir überhaupt heraus in meinen Sachen herumzuschnüffeln? Das ist Privateigentum, falls dir bekannt ist was das ist. Du wirst mir verdammt nochmal jedes einzelne Kleidungsstück ersetzen! Ich fasse es nicht das du sie wirklich noch einem Kind antun willst!“, wandte ich mich jetzt an meinem Vater. „Siehst du was sie tut? Sie ist verdammt nochmal in mein Zimmer gegangen und hat Klamotten aus meinem Kleiderschrank genommen! Was hast du noch gemacht, hm?“ Ich drehte mich wieder in ihre Richtung. „Hast du auch schön alles durch schnüffelt? Mein Tagebuch gelesen? An meiner Bettwäsche gerochen? Was …“

„Junger Mann, was nimmst du dir hier eigentlich raus? Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass sie deine Sachen weggeworfen hat, aber sie meinte es bestimmt nur gut mit dir! Und seit wann schreibst du bitte Tagebuch?“, fragte er mich skeptisch.

Wütend funkelte ich ihn an.

„Tue ich nicht! Aber das tut hier gar nichts zur Sache, es geht ums Prinzip. Eigentlich könnte ich sie jetzt anzeigen, das ist dir bewusst, oder?“ Auch wenn ich es nicht wirklich konnte, schadete es bestimmt nicht ein bisschen Druck zu machen.

„Sie zerstört dich! Was denkst du tut sie, wenn du kein Geld mehr hast? Bei dir bleiben und mit dir zusammen hungern? Mach verdammt nochmal deine Augen auf!“, schrie ich. Aufgebracht stand mein Vater auf und kam auf mich zu. Kurz vor mir blieb er stehen und hob die Hand.

„Wenn du mich jetzt schlägst, schlage ich zurück. Ich würde mir das gut überlegen“, meinte ich mit frostiger Stimme. Innerlich sah es ganz anders aus. Ich wusste gar nichts mehr. Alle Gedanken stoben durcheinander, fügten sich zusammen, trennten sich wieder und ließen ein völliges Chaos hinter sich. Langsam ließ er die Hand sinken, was mich erleichtert ausatmen ließ. Ich hätte nicht zurück geschlagen. Ich wusste, ich konnte es nicht. Wahrscheinlich hätte ich mich umgedreht und wäre weggerannt. Wäre nicht das erste Mal.

„Mach, dass du nach oben kommst. Und wehe du kommst mir heute noch einmal unter die Augen!“, sagte er schroff. Trotzdem glaubte ich so etwas wie bedauern in seinem Blick zu erkennen. Schnell drehte ich mich um und tat das, was ich schon die ganze Zeit wollte. Flüchten. Schnell lief ich die Treppe nach oben, stolperte leicht und knallte schließlich meine Zimmertür hinter mir zu. Ein betroffenes Gesicht sah mich an.

„Du hast alles gehört, oder?“ Wütend ging ich auf mein Bett zu und warf mich hinein.

„Ja, Ich denke es wird wirklich Zeit, dass wir zusammen ziehen. Ich kann echt verstehen, dass du hier raus willst“, flüsterte Sam. „Ich habe dir schon andere Klamotten rausgesucht.“ Dankbar blickte ich ihn an.

„Du bist echt der Beste. Dann lass uns richtig feiern gehen, damit ich die ganze Scheiße hier vergesse.“ Zustimmend nickte er und warf mir meine Hose zu. Schamlos zog ich mich aus.
„Du hast da einen Leberfleck!“, rief Sam überrascht aus. Ich sah an mir herunter und stellte fest, dass er Recht hatte. Weit oben auf der Innenseite von meinem Oberschenkel, prangerte ein kleiner, unscheinbarer Leberfleck. Mit zusammengekniffenen Augen sah ich ihn an.

„Sag mal wo genau guckst mich denn an? Den sieht man ja mit der Lupe kaum.“ Sam zuckte desinteressiert mit den Armen.

„Also klein ist was anderes“, kicherte er und sah deutlich zwischen meine Beine.

„Sam!“, empört warf ich ihn ein Kissen gegen den Kopf. „Guck mir nicht zwischen die Beine, sonst könnte ich dich noch für schwul halten!“ Sams Lächeln wirkte mehr gequält als echt, als er mir antwortete.

„Mach dich nicht lächerlich. Ich stehe dann doch mehr auf Titten. Aber wenn ich schwul wäre, würde ich mir definitiv so einen Kerl wie dich angeln“, meinte er lachend und sah mich verführerisch an. Mit ausgebreiteten Armen, lief ich so wie Gott mich schuf auf ihn zu und schloss ihn in meine Arme.

„Du hast mich doch schon längst geangelt“, meinte ich spielerisch und drückte ihm einen feucht nassen Kuss auf die Wange. Lachend versuchte er sich aus meinen Armen zu befreien.
„Das war so was von unangebracht, Luke!“ Ich drückte ihn noch fester an mich, was es ihm unmöglich machte sich zu befreien.

„Leute wisst ihr wo … Oh mein Gott, was zur Hölle macht ihr da? Und warum bin ich nicht eingeladen?“ Perplex blickte Leo uns an. „Luke du weißt schon das du nackt bist, ja?“

Ich ließ Sam lachend los und drehte Leo meine Rückseite zu.

„Weißt du dein Hintern ist echt nicht zu verachten!“, kicherte sie. Langsam wurde es dann doch peinlich. Mit rotem Gesicht hob ich schnell meine Hose auf und schlüpfte hinein.

„Zum rein beißen!“, stimmte Sam Leo zu und fing auch an zu lachen.

„Also ich würde ja gerne mal eine Kostprobe haben.“, gab Leo wieder ihren Senf dazu.

„Einen Bissen würde ich mir auch genehmigen!“

„Vielleicht auch nur einmal knabbern?“

„Wenn schon will ich ihn ganz!“, rief Sam aus und beide fingen lauthals an zu lachen.

„Okay Leute, das wird langsam gruselig. Ich bin kurz im Badezimmer.“ Kopfschüttelnd, aber mit einem Lächeln auf den Lippen wandte ich mich von ihnen ab. Schnell richtete ich meine Frisur, obwohl man da nicht wirklich viel machen konnte. Sie stand immer in alle Richtungen ab und wenn man nicht grade ein Bügeleisen zur Verfügung hatte, tat sich da gar nichts. Seufzend verwuschelte ich sie einfach noch ein bisschen mehr, bis es wenigstens etwas gewollt aussah und lief danach zurück.

„Oder … Schlagsahne!“, lachend hockte Sam am Boden, während Leo auf meinem Bett lag. Beide nach Luft ringend und rot im Gesicht.

„Ich will gar nicht wissen worüber ihr noch geredet habt“, meinte ich lachend und ging auf die Tür zu. „Na los, wir wollen doch nicht zu spät zur Party kommen.“

„Auf der Party geht das natürlich auch“, lachte Sam. Kichernd liefen beide an mir vorbei durch die Tür. Irritiert schüttelte ich den Kopf. Früher oder später würde ich wohl oder übel noch erfahren was die beiden so lustig fanden.

Kurz bevor ich die Haustür zuschlug, rief ich meinen Vater noch zu, dass ich heute wahrscheinlich nicht mehr wieder kommen würde. Da er mich nicht mehr sehen wollte, dürfte ihm das doch perfekt passen. Ich zwang mich dazu den Gedanken an meinen Dad aus den Kopf zu verbannen.

„Wir müssen noch Marcy abholen“, rief Sam als ich schon losgehen wollte. Erstarrt blieb ich stehen.

„Warum das denn? Ich dachte wir machen zusammen einen Abend. Also nur wir Drei.“ Ich deutete auf uns.

„Ach komm schon Luke. Er ist neu hier, kennt noch so gut wie keine Menschenseele und er hat keine Ahnung wie er dahin kommen soll. Und bevor zu fragst, ja er wurde auch eingeladen.“, erklärte mir Leo. Na dann konnte der Abend ja nur noch besser werden. Bemüht fröhlich, folgte ich ihnen und versuchte mir meine schlechte Laune nicht anmerken zu lassen. Trotzdem konnte ich mir einen Kommentar nicht verkneifen.

„Aber ich mag ihn nicht. Er hat mir auf den Hintern geguckt!“ Wütend kickte ich einen Stein vom Bordstein. Wahrscheinlich einer von denen die Sam so euphorisch gesammelt hatte. Der Gedanke daran ließ mich lächeln.

„Er hat was?“, schrie Leo worauf Sam und ich zusammen zuckten. Sie hatte aber auch eine laute Stimme! Da konnten Opernsänger glatt neidisch werden.

„Schrei doch nicht so“, wies Sam sie lachend an. Schmollend sah Leo uns an.

„Aber wieso muss es denn schwul sein? Warum sind alle gutaussehenden Kerle schwul?“ Sam und ich warfen ihr gleichzeitig einen bösen Blick zu.

„Ich glaube er hat sich nur einen Scherz erlaubt. Willst du uns damit sagen das wir hässlich sind?“, empört sah ich sie an. Leo redete meistens ohne nachzudenken. Schnell hakte sie sich bei uns unter.

„Ihr zählt doch nicht. Ihr seid wie meine Brüder. Aber eine Menge Jungs können sich was bei euch abgucken. Nur bitte nicht deine Größe Luke, ich bin ja schon fast größer als du!“ Schnell versteckte sie sich hinter Sam, welcher mich gequält ansah.

„Das nimmst du zurück Leo! Ich bin nicht klein! Ich bin kräftig, muskulös und wunderschön!“

„Wie eine Prinzessin!“, rief sie über Sams Schulter hinweg. Oder besser gesagt dagegen. Sam war dann doch ein ganz schönes Stück größer als ich. Er galt nicht umsonst als beliebt bei den Mädels. Mit seinen stechend grünen Augen und den kurzen, braunen Haaren, hat er sich schon die eine oder andere ohne große Mühe geangelt. Warum er immer noch Single war, war uns allen unklar. Seine Antwort bestand meistens daraus, dass er die Richtige noch nicht gefunden hatte. Nachdenklich beobachtete ich Sam wie er einen Arm um Leo schlang. Eigentlich würden die Zwei super zusammenpassen.

„Na dann, musst du dich daran gewöhnen, dass ich dich als meine Schwester vorstelle“, meinte ich und diesmal hakte ich mich bei ihr unter. Sie hatte schon Recht. In der ganzen Zeit sind sie so etwas wie meine Ersatzfamilie geworden.

„Wo treffen wir Dryer eigentlich?“, fragte ich und schloss meine Pulloverjacke. Mittlerweile war der Sommer um und es wurde abends schon wieder frisch.

„Da“, meinte Sam und zeigte auf den vor uns befindenden Sportplatz. „Er wohnt hier irgendwo in der Nähe und das war der einzige Ort, den er auf Anhieb kannte.“ Wir schlenderten ineinander gehakt darauf zu und ließen und auf einer Schaukel nieder.

„Wann wollte er denn hier sein?“, fragte ich ungeduldig, aber die Frage klärte sich von selber als wir eine große Gestalt über den Rasen, auf uns zu laufen sahen.

„Erdbeersoße“, meinte Leo auf einmal und fing an zu lachen. Sam verstand sie anscheinend genau, denn er stimmte auf der Stelle mit ein.

„Hey“, erklang Dryers Stimme hinter mir. Langsam drehte ich mich um und lächelte ihn leicht an.

„Hi.“ Mit gerunzelter Stirn deutete er auf Sam und Leo.

„Was ist mit den beiden?“ Ahnungslos zuckte ich mit den Schultern.
„Ich weiß es auch nicht so genau, aber ich glaube es geht um Erdbeeren?“ Fragend kratzte ich mich am Kopf.

„Marcy … willst du …“ Leo unterbrach sich selber um Luft zu holen. „Sahne von Lukes … Hintern lecken?“ Ruckartig fuhr mein Kopf zu ihr herum. Bitte was? Geht es hier immer noch um die Geschichte aus meinem Zimmer?

„Was?“, fragten Dryer und ich gleichzeitig. Mit großen Augen sah ich zu Sam, als er anfing zu sprechen. Obwohl man es kaum sprechen nennen konnte, eher war es ein lautes Lachen, wo ab und zu vereinzelte Wörter hervor sprudelten.

„Wir konnten vorhin einen sehr langen Blick auf den Hintern von Luke werfen. Und wir haben einstimmig abgestimmt, dass er echt nicht zu verachten ist.“ Verunsichert sah ich auf den Boden. Was sollte das hier bitteschön werden? Wollten sie mich ernsthaft vor Dryer bloßstellen? Dieser stimmte in das Lachen mit ein.

„Ich weiß. Ich habe mir auch schon einen Blick drauf gegönnt“, meinte er und wackelte mit den Augenbrauen. Augenblicklich schoss mir die Röte in die Wangen, woraufhin sie nur noch mehr lachten.

„Wusstest du, dass Luke einen Leberfleck an seinem …“

„Sam!“, rief ich empört und lief womöglich noch röter an. Dryer sah interessiert zu mir herüber.
„Genug auf meine Kosten amüsiert“, unterbrach ich sie. „Wollen wir los?“ Verzweifelt sah ich zu Leo, die schon vor Lachen auf dem Boden saß. Letztendlich war es aber Sam, der sich erbarmte und mir zustimmte. Dankbar nickte ich ihm zu. Bis er mit Leo vorging und mich bei Dryer zurückließ.

„Wie sind sie auf die Sahne gekommen?“, fragte er mich und ich sah den Schalk in seinen Augen aufblitzen. Lächelnd zuckte ich mit den Schultern.

„Ich habe wirklich keine Ahnung.“ Langsam schlenderten wir los. „Die beiden sind einfach ein bisschen verrückt“, erklärte ich verschämt. Wenn ich daran dachte was Leo sonst noch so sagte, war ich froh, dass es bei Sahne vom Hintern lecken geblieben war.

„Aber genau das magst du an ihnen“, stellte Dryer fest. Verblüfft sah ich ihn an, nickte dann aber.

„Ja und vieles mehr. Bessere Freunde kann man sich gar nicht wünschen. Bis auf grade eben“, lachte ich. Er warf mir ein Zahnpasta-Lächeln zu und zum ersten Mal fiel mir auf das er Grübchen hatte.

„Ach und damit das klar ist, du wirst nie, wirklich niemals Sahne von meinem Hintern lecken“, meinte ich lachend. Er grinste mich schelmisch an.
„Wenn du das meinst.“

„Oh ja, das meine ich!“ Fröhlich lief ich weiter. Vielleicht würde der Abend ja doch noch was werden. Wir redeten den Rest des Weges und als wir ankamen war ich erstaunt wie gut man sich mit ihm unterhalten konnte. Keine Spur von dem selbstbewussten, arroganten Kerl, den ich in der Schule immer vor Augen hatte. Nur ein ganz normaler, freundlicher Mensch.

„Ich glaube Sam und Leo sind schon reingegangen“, sagte ich als wir bei dem Haus ankamen.

„Na dann los.“ Er deutete auf die offen stehende Tür und ich lief durch, kämpfte mich durch die tanzende Menge durch, bis zur Bar wo Sam und Leo standen.

„Wieso habt ihr so lange gebraucht?“ Ich zuckte schlicht mit den Schultern und fragte sie, ob sie schon für uns mitbestellt hatten. Fröhlich nickten sie und deuteten auf eine Ecke wo Sitzplätze sein sollten.

„Wollen wir uns erst einmal hinsetzten?“, brüllte Sam gegen die Musik an. Ich nickte und aus den Augenwinkeln nahm ich war, das Dryer es mir nach tat. Kaum das wir die Getränke in der Hand hatten, kämpften wir uns auch schon wieder durch die Mengen. Tatsächlich entdeckten wir noch eine freie Ecke und ließen uns dort schnell nieder.

„Wollen wir 'Ich hab noch nie?' spielen?“, fragend sah Leo in die Runde. Mit zusammengekniffenen Augen sah ich sie an.

„Was hast du vor?“, zischte ich ihr leise zu. Wenn jemand dieses Spiel hasste, dann Leo, denn sie war immer diejenige, die am Ende stockbesoffen unter dem Tisch lag.

„Gar nichts“, rief sie zurück. „Sind alle einverstanden?“, fragte sie in normaler Lautstärke.

Ich und Sam zuckten mit den Schultern.

„Ja, aber ich kenne das Spiel nicht“, meinte Dryer verlegen.

„Kein Problem, ich erkläre es dir“, lächelte Leo und legte ihm eine Hand auf den Arm. Argwöhnisch beobachtete ich sie.

„Also nehmen wir mal an Luke ist grade dran. Dann sagt er etwas was er noch nie gemacht hat zum Beispiel: Ich habe mir noch nie die Unterhose über den Kopf gezogen und bin so durch mein Zimmer gelaufen.“ Sie schielte kurz grinsend zu mir. Auch ich musste mir ein Lachen verkneifen, an den Tag erinnerte ich mich trotz Alkohol noch zu genau. „Und alle die das schon einmal gemacht haben, müssen trinken. Verstanden?“ Dryer nickte und stellte sein Glas auf dem Tisch ab.

„Ich fange an“, rief Sam und rieb sich die Hände aneinander. Na das konnte ja lustig werden. So viele Sachen gab es nicht mehr, die Sam noch nicht gemacht hatte.

„Ich hatte noch nie einen Dreier.“ Abwartend sah er in die Runde. Als keiner etwas trank, fing Leo an zu reden: „Ich hatte noch nie Sex in der Schule“, auffordernd sah sie mich an. Ich warf ihr einen vernichtenden Blick zu und griff, genauso wie Sam und Dryer zum Glas. Grinsend prosteten wir uns zu. Leo sah uns angewidert an.
„Echt jetzt, Sam? Mit wem?“ Lachend nickte Sam.

„Mit der Kleinen aus dem Englisch Kurs. Nathalie heißt sie glaube ich.“ Anerkennend nickte ich ihm zu. „Du bist dran, Luke“, erinnerte er mich.

„Ich habe noch nie jemanden geküsst und es hinterher bereut.“

„Da hast du ganz schön Glück gehabt“, lachte Dryer. Und wieder griffen alle Drei zum Glas. Dryer war an der Reihe.

„Okay, mal sehen. Ich habe noch nie jemanden betrogen“, sagte er nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. Keiner trank etwas.

„Ich bin wieder an der Reihe!“, rief Sam. „Ich habe noch nie jemanden einen Blowjob gegeben!“ Fies grinste er mich an. Zögerlich sah ich Dryer an, ehe ich einen großen Schluck nahm. Ich sollte aufhören den Zweien alles zu erzählen. An dem Tag war ich hacke-dicht, ich weiß nicht mal mehr wie es dazu gekommen war, dass ich bei einem wildfremden Kerl auf dem Sofa lag. Das einzige was ich noch wusste war das ich definitiv seinen Schwanz im Mund hatte. Dryer warf mir einen überraschten Blick zu und trank auch einen Schluck. Also ist er wirklich schwul. Obwohl, ich bin nicht schwul und trotzdem habe ich etwas getrunken. Schnell kippte ich den Rest von meinem Getränk auf Ex runter.
„Ich hole Tequila, okay?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, stand ich auf und lief zur Bar. Ich gab dem Barkeeper ein Handzeichen und er nickte verstehend.

„Bist du schwul, oder habe ich das falsch verstanden?“ Erschrocken fuhr ich herum und sah Dryer an. Ich hatte gar nicht mitbekommen das er mir gefolgt war.

„Durch und durch Hetero“, schrie ich über die Musik hinweg. Enttäuschung blitzte in seinen Augen auf.

„Und was war mit dem Blowjob?“ Seine Augen musterten mich durchdringend. Was sollte ich darauf antworten. Das war aus Versehen? Ein Unfall? Ich bin aufgewacht und hatte auf einmal einen Schwanz im Mund? Letztendlich entschied ich mich dazu einfach mit den Schultern zu zucken. Der Barkeeper rettete mich, indem er den Tequila vor mir hinstellte. Dryer half mir beim Tragen.
„Also Leute, wehe einer nippt nur daran. Wir spielen jetzt Pflicht oder Pflicht und jedes Mal wenn man nicht antworten möchte oder kann, muss einer weg“, klärte Sam uns auf. Dryer nickte nur und ich setzte mich stumm hin. Es war mir ziemlich egal was von beiden wir machten.

„Okay Marcy. Pflicht oder Pflicht?“ Er überging ganz geschickt die 'Wahrheit'.

„Hmm, schwere Entscheidung“, lachte dieser. „Ich denke ich nehme Pflicht.“

„Geh zu dem Kerl dahinten und küss ihn.“ Verwirrt sah ich Sam an. So etwas konnte man doch nicht als Aufgabe stellen. Doch Dryer zuckte lediglich mit den Schultern und stand elegant auf. Geschickt schlängelte er sich durch die Menge, auf den Baumstamm von Kerl hin. Schlicht tickte er ihm auf die Schulter. Ein Mann mit finsterem Gesichtsausdruck drehte sich zu ihm um.

„Du bezahlst die Arztrechnung“, nuschelte ich zu Sam. Dryer redete kurz mit dem Kerl, der ihn daraufhin am Nacken packte und zu sich zog. Baff sahen wir ihn an, als er wieder zu uns in die Ecke kam. Der fremde Mann prostete Dryer noch zu, ehe er sich wieder zu seinen Freunden um wandte.

„So bin ich jetzt an der Reihe?“ Breit grinste er in die Gruppe.

 

***

 

Ein Tequila nach dem anderen verschwand vom Tablett. Der Abend wurde immer lustiger. Inzwischen waren wir alle, bis auf Dryer ziemlich dicht. Gegen zwei Uhr verabschiedeten sich Sam und Leo. Dryer und ich beschlossen noch etwas zu bleiben. Lachend machten wir die Tanzfläche unsicher. Ich trank noch die restlichen Tequila, aber als ich mir neue bestellen wollte, hielt Dryer mich auf.

„Vergiss es, du hast genug für heute.“ Schwankend hielt ich mich an ihm fest.

„Das sehe ich aber nicht so“, lallte ich und stolperte in seine Arme. Lachend fing er mich auf und steuerte mit mir Richtung Ausgang.

„Warte mein Shirt“, rief ich. Ich hatte es irgendwann bei den Pflichtspielen verloren. Er hielt seine Hand hoch, in der mein T-Shirt und meine Pulloverjacke hingen. Er schnappte sich meine Hand und zog mich nach draußen. Ich schwankte ihm hinterher und ließ mir bereitwillig das Shirt über den Kopf ziehen.

„Wo wohnst du?“, hörte ich ihn fragen.

„Ich will nicht nach Hause“, nuschelte ich in meine Hände. Er warf mir einen Blick zu, hakte aber nicht weiter nach.

„Gut, willst du mit zu mir kommen?“ Kräftig schüttelte ich meinen Kopf und folgte ihm durch die Straßen. Teilweise ging ich, teilweise trug er mich huckepack. Mein benebeltes Gehirn bekam nicht mehr allzu viel mit. Vor einem weißen Haus blieb er stehen und schloss auf.

„Meine Eltern sind zwar nicht zu Hause, sei aber bitte trotzdem nicht so laut. Ich kann auf Stress mit den Nachbarn gut verzichten.“ Stumm nickte ich und ließ mich von ihm nach oben in sein Zimmer führen. Es war groß, gemütlich und das was mir als erstes ins Auge stach, war das große Bett. Gähnend torkelte ich darauf zu.

„Luke, du hast deine Schuhe noch an“, rief Dryer. Aber es war zu spät. Mit einem genüsslichen Seufzer warf ich mich auf das Bett und vergrub mein Gesicht in dem Kissen. Es roch so verdammt gut. Genau wie er. Ich sollte ihn mal fragen welches Shampoo er benutzte. Am Rande nahm ich war wie er mir die Schuhe auszog.

„Willst du in den Klamotten schlafen?“ Träge schüttelte ich den Kopf.

„Soll ich dir welche von mir leihen?“, fragte er schmunzelnd. Wieder schüttelte ich den Kopf.

„Einfach auszieh‘n“, nuschelte ich und spürte kurz darauf warme Hände an meiner Hüfte.

„Arme hoch“, befahl er leise und ich befolgte seinem Befehl langsam, in meiner eigenen Welt versunken. Mühselig rollte er mich auf den Rücken und machte sich an meinem Gürtel zu schaffen.

„Aber nicht anfassen“, trichterte ich ihm ein. Lachend hob er die Hände.

„Das würde ich doch niemals machen.“ Vorsichtig zog er mir die Hose von den Beinen. Nur in Boxershorts lag ich auf dem Bett und sah ihn an. Dann rutschte ich hoch und zog die Bettdecke unter mir vor.

„Brauchst du einen Kotzeimer?“ fragend richtete sein Blick sich auf mich. Ich schüttelte verneinend den Kopf. Daraufhin zog er sich auch aus und schaltete das Licht aus. Ich hörte wie er sich den Weg durch das Zimmer bahnte und schließlich über mich rüber, auf die andere Betthälfte krabbelte. Kurze Zeit hörte man nur unseren Atem.

„Mir ist kalt“, nuschelte ich. Unsicher was ich damit erreichen wollte. Er schien auch unsicher.

„Ich habe hier keine Decke mehr“, meinte er leise, rückte aber undeutlich näher zu mir. Seufzend drehte ich mich um und kuschelte mich mit dem Gesicht gegen seine Brust. Warm legte sich ein Arm um mich und ein anderer wurde über meinen Kopf geschoben.

„Du riechst gut“, murmelte ich und dann war ich auch schon weg.

 

 

Kapitel 4:

 

Irgendwer stöhnte laut. Seufzend kuschelte ich mich näher an die Wärmequelle. Was zur Hölle war gestern noch passiert? Mein übermüdetes Gehirn versuchte das Geschehen wieder zusammenzufügen, scheiterte aber erbärmlich. Einzelne Bilder tauchten vor meinen Augen auf, schienen zusammen aber überhaupt keinen Sinn zu ergeben. Ich wusste noch das Dryer uns begleitete hatte und das wir „ich habe noch nie“ gespielt hatten. Aber der Weg zur Party und alles danach war weg. Stöhnend hielt ich mir den Kopf. Ich sollte echt nicht so viel trinken.

„Luke, halt die Fresse!“, nuschelte jemand gegen mein Haar. Erschrocken fuhr ich nach oben, was sofort mit einem stechenden Schmerz im Kopf bestraft wurde. Was zur Hölle? Langsam richtete ich meinen Blick nach vorne. Dryer sah mich verschlafen an. Das war also die Wärmequelle an die ich mich so schamlos gekuschelt hatte. Ein kalter Luftzug ließ mich an mir runter gucken.
Ich war nackt? Nein, stimmte nicht ganz. Ich trug noch meine Boxershorts, die Frage jedoch war warum ich nur noch meine Boxershorts trug. Dryer erschien schon wacher und richtete sich langsam auf. Die Decke rutschte über seine Brust. Seine nackte Brust. Argwöhnisch blieb mein Blick an ihm hängen, bis mir ein Licht aufging. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Scheiße wir hatten doch nicht? Panisch rollte ich mich zu ihm rüber und zog mit ihm einem Ruck die Bettdecke vom Schoß. Fluchend richtete dieser sich ganz auf.

„Verdammt, was ist denn mit dir los?“ Er folgte meinen Blick zwischen seine Beine.

„Was, noch nie einen nackten Mann gesehen? Vielleicht solltest du öfter in den Spiegel gucken.“

Das konnte nicht sein. Wir hatten nicht miteinander geschlafen, oder sonst was gemacht! Ich war nicht schwul. Definitiv nicht. Trotzdem sah die Lage hier anders aus. Dryer bemerkte meinen Blick anscheinend, denn er zog sich die Decke zurück über den Schoß.

„Was ist los?“ Besorgt sah er mich an. Er konnte sich seine Sorge sonst wo hin schieben. Wahrscheinlich hatte er es ja sowieso schon. Wütend griff ich nach meinem Kopfkissen und schlug damit nach ihm.
„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass man betrunkene Menschen nicht ausnutzt!“, schrie ich was meine Kopfschmerzen nur noch verschlimmerte. Erst sah er mich perplex an, dann riss er mir das Kissen aus der Hand.

„Lass das!“, verblüfft fing er meine Hände auf, die die Kissen ersetzten. „Luke! Verdammt, Au!“ Wütend schlug ich auf seine Brust ein, auch wenn es ihm wahrscheinlich nicht sehr wehtun konnte. Als er erneut meine Hände einfangen wollte, riss ich mich los und sprang vom Bett. Wieso hatte ich überhaupt hier geschlafen? Ich sah mich nach meinen Klamotten um, konnte sie aber nirgendwo entdecken.

„Luke wir …“, versuchte er mit mir zu reden. Doch ich unterbrach ihn sofort.

„Halt die Klappe!“, kam es angepisst von mir. Ich hatte jetzt ganz sicher keinen Nerv dazu, mir fadenscheinige Ausreden anzuhören. So wütend war ich schon lange nicht mehr. Aber auch durch die Wut hindurch merkte ich, dass ein großer Teil einfach nur Enttäuschung war.

„Wo sind meine Klamotten?“, fuhr ich ihn an. Er deutete nur stumm auf einen Stuhl, auf dem meine Klamotten ordentlich lagen. Überrascht sah ich ihn an, ehe ich mir schnell meine Hose schnappte und sie anzog. Ein weitere Blick auf den Stuhl zeigte mir, dass mein Shirt fehlte.

„Wo ist mein T-Shirt?“, giftig sah ich ihn an.

„Vielleicht unter den Stuhl gerutscht. Luke jetzt hör mir doch mal zu!“
„Danke“, ich stieß ein verächtliches Lachen aus. „Ich denke ich möchte mich nicht mehr mit dir unterhalten.“ Schnell lief ich zur Tür. Was hatte er sich bitte dabei gedacht? Konnte er sich nicht jemanden suchen der, wie er auch auf Männer steht?

„Lukas! Jetzt bleib doch mal stehen!“ Ich stockte. Woher kannte er meinen ganzen Namen? Hatte ihn irgendjemand mal erwähnt? Ich sah mich nach ihm um, nur um zu sehen wie er wütend und ziemlich nackt auf mich zulief. Mein Blick klebte an seiner Brust und wanderte langsam zu seinem Bauch hinunter. Ja, er hatte ein Sixpack. Und was für eins. Ich wollte gar nicht wissen wie viele Stunden er dafür im Fitnesscenter verbrachte. Grade als ich mit großen Augen noch weiter herunter schaute, fing er an zu sprechen.

„Hör mir zu …“

„Nein!“, unterbrach ich ihn erneut und drehte ihm den Rücken zu. Ruckartig wurde ich zurückgezogen und sanft gegen eine Wand gedrückt. Erschrocken keuchte ich auf und legte den Kopf in den Nacken um ihn wütend anzufunkeln. Hatte er etwa noch nicht genug? Mit einem Wutschrei versuchte ich mich aus seinem Griff zu befreien. Ich trat, biss und kämpfte wie, nun ja wie ein Mädchen.
„Lass mich los! Du bist so ein Arschloch, ich wusste es seitdem ich dich das erste Mal gesehen habe!“ Ich trat ihm auf den Fuß und rammte gleichzeitig meine Faust in seinen Magen. Keuchend beugte er sich etwas nach vorne. Trotzdem ließ er mich nicht los.

„Komm endlich runter!“, schrie er. Ich erwiderte nichts, sondern trat diesmal auf den anderen Fuß.

„Es reicht!“, murmelte er vor sich hin. Einen Augenblick später, schob sich ein Bein zwischen meine und meine Arme wurde von einer kräftigen Hand über meinem Kopf festgehalten. Überrumpelt hielt ich still. Als ich bemerkte, dass es keinen Sinn mehr hatte sich zu wehren, sank ich in mich zusammen. Ich hörte wie Dryer erleichtert ausatmete.

„Es ist nichts passiert? Okay? Rein gar nichts!“ Schwer atmend hing ich an seinen Armen.

„Ach und warum sollte ich dir das glauben? Niemand der noch Verstand ist, legt sich nackt zu einem anderen Kerl ins Bett!“ Kurz spiegelte sich Enttäuschung in seinem Blick, doch dann wurde er entschlossen.

„Ich schlafe immer nackt. Das hat rein gar nichts mit dir zu tun“, wies er mich zurecht. Ungläubig sah ich ihn an.

„Du glaubst mir nicht oder?“ Vorsichtig schüttelte ich den Kopf.

„Luke glaubst du nicht, dass wenn wir letzte Nacht gefickt hätten, das dein Arsch sich jetzt anders anfühlen würde?“ Durch dringlich sah er mich an. Überfordert spannte ich meine Muskeln an. Woher sollte ich das denn wissen? Ich hatte noch nie Sex mit einem Mann! Aber einen Unterschied zu sonst spürte ich nicht. Anscheinend sah er mir an, dass ich überfordert war.
„Wenn ich mit dir geschlafen hätte, wüsstest du es. Glaub mir.“ Als er bemerkte, dass ich mich nicht mehr rührte, ließ er meine Hände los.
„Warum lag ich dann in deinen Armen?“, flüsterte ich verunsichert, immer noch unsicher was ich glauben sollte. Er nahm mein Gesicht fest in seine Hände und sah mir tief in die Augen.

„Ich verspreche dir das ich weder mit dir geschlafen habe, noch das ich dich sonst wie angefasst habe? Okay? Du warst besoffen und du wolltest nicht nach Hause. Das war alles“, flüsterte er leise. Er schien kurz zu überlegen. „Du lagst in meinen Armen weil …, sagen wir mal du warst gestern Abend etwas kuschelbedürftig.“ Meine Wangen färbten sich langsam rot.

„Aber Dryer, wenn …“

„Nenn mich nicht Dryer!“, unterbrach er mich wütend. Erschrocken zuckte ich zusammen. Seine Hände lagen immer noch um mein Gesicht und mir wurde bewusst, wie nahe wir uns eigentlich waren. Sein Bein drückte empfindlich gegen meinen Oberschenkel und ließ mich automatisch weiter an die Wand zurück rutschen.

„Tut mir Leid.“, nuschelte ich. Dann sah ich ihn an. „Danke, dass du mich mitgenommen hast.“ Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Vielleicht sollte ich ein Dankeschön fordern?“, raunte er und ließ seinen Blick zu meinen Lippen schweifen.

„Was meinst du?“, hauchte ich. Warm spürte ich seinen Atem auf meinem Gesicht.

„Das weißt du ganz genau.“ Mit den Worten überbrückte er den Abstand und legte seine Lippen auf meine. Warm presste er seinen Körper gegen mich. Eine Hitzewelle durchfuhr meinen Körper und meine Lippen fingen an zu prickeln. Stöhnend öffnete ich meinen Mund, als er mit seiner Zunge um Einlass bat. Warum ich das tat wusste ich nicht, nur dass es sich gut anfühlte. Mein Kopf war wie in Watte gepackt. Dryers Hand fuhr in meinen Nacken und legte sich fest um ihn. Seine andere Hand wanderte von meiner Hüfte zu meinem Hintern und drückte mich fest an sich. Keuchend schmiegte ich mich an ihn und genoss das Gefühl seiner Stärke. Seit wann turnte mich so etwas an? An ihm gab es keine Weichheit. Deutlich spürte ich die Kraft hinter seinen Armen. Leidenschaftlich ließ ich mich in den Kuss fallen, dachte an nichts anderes mehr. Ich fühlte nur noch. Erst als seine Hand sich von meinem Hintern löste und begann meine Hose zu öffnen, kam ich wieder zu mir. Erschrocken stieß ich ihn von mir. Er ließ es geschehen und ging einen Schritt nach hinten. Stolz reckte sich mir seine Männlichkeit entgegen.
„Ich … ich bin nicht schwul!“, fauchte ich ihn an. Scheiße, das ist doch grade nicht wirklich passiert? Keuchend linste er zu meiner Körpermitte herunter.

„Auf gar keinen Fall!“, meinte er schmunzelnd. In meiner Hose hatte sich ein beachtliches Zelt gebildet. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Mit roten Wangen sah ich zu ihm hoch.

„Es tut mir Leid. Aber ich bin ganz sicher nicht schwul“, flüsterte ich, ehe ich aus dem Raum rannte. Erst als ich die Haustür hinter mir zuschlug, blieb ich stehen. Was war nur in mich gefahren? Ich hatte wirklich nichts gegen Schwule, aber ich gehöre ganz sicher nicht zu ihnen. Ich fand Frauen hübsch! Sie waren nett anzusehen, ich mochte ihre Kurven und trotzdem hatte sich kein Kuss so angefühlt wie der eine mit Dryer. Ich joggte nach Hause. Trotz Kopfschmerzen und meinem schlechten Orientierungssinn war ich in weniger als zehn Minuten in meinem Zimmer. Nachdem ich eine Kopfschmerztablette genommen hatte, warf ich mich auf mein Bett und vergrub den Kopf in meinem Kissen. Ohne nachzudenken griff ich nach meinem Handy. Es klingelte Zweimal ehe Leo abnahm.

„Ja?“

„Kannst du vorbeikommen?“, fragte ich leise. Kurz wurde es in der Leitung still.

„Ist bei dir alles In Ordnung?“ Sie klang besorgt. Ein hysterisches Lachen entkam mir.

„Ja alles super. Ich habe nur Dryer geküsst und es hat mir gefallen“, schrie ich beinahe, ehe ich auflegte und das Handy von mir warf. Eine Viertelstunde später lag sie neben mir.
„Und was findest du jetzt so schlimm?“, fragte sie vorsichtig. Ihr Arm war um meinen Bauch geschlungen und sie sah mich interessiert an.

„Ich mag ihn nicht“, erklärte ich ihr schlicht. Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

„Und?“

„Ich bin nicht schwul!“, motzte ich sie an. „Ich habe in meinen ganzen Leben noch nicht daran gedacht einen Jungen zu küssen!“

„Vielleicht bist du einfach bi?“ Wütend fegte ich ihren Arm beiseite.

„Ich bin weder schwul, noch bi. Ich habe einfach keine Ahnung mehr. Das war einfach ein Ausrutscher, passiert mal.“

„War er denn gut?“, schmunzelnd sah sie mich an. Meine Antwort bestand daraus das ich ihr ein Kissen gegen den Kopf warf. Doch dann ließ ich mich wieder auf den Rücken fallen.

„Der beste Kuss den ich je hatte“, meinte ich beschämt und spürte erneut wie meine Wangen rot wurden. Ich hasste es wie schnell ich rot wurde. Bei Mädchen konnte man es ja süß oder bezaubernd nennen, bei Männern war es einfach nur peinlich.

„Stell dir mal vor was mein Vater machen würde, wenn ich auf einmal mit einem Freund ankommen würde. Dann würde ich mich über eine einfache Ohrfeige freuen“, meinte ich verbittert. „Und was würden alle anderen sagen?“

„Seit wann interessiert es dich was die anderen reden? Du erinnerst dich doch an Timo? Der Kerl der zufällig ein guter Freund von dir ist? Derjenige der auch schwul ist? Du hast dich trotzdem auf seine Seite gestellt. Am Anfang dachten doch sowieso alle das ihr beide was am Laufen habt. Da hat es dich doch auch nicht interessiert.“ Fürsorglich strich sie mir über den Bauch.

„Da war es ja auch nicht wahr“, flüsterte ich. „Schläfst du heute hier?“ Sie nickte schlicht und sprang auf.
„Komm, ich habe Hunger. Ist dein Vater eigentlich nicht da?“ Verneinend schüttelte ich meinen Kopf. Er war heute mit seiner Schnecke auf irgendeiner Berufsveranstaltung. Keine Ahnung was sie da wollte. Es würde sie sowieso niemand einstellen.

 

Überfordert standen wir in der Küche. Grinsend sah ich sie an.

„Ich weiß, dass du genauso wenig kochen kannst wie ich!“ Sie zog eine beleidigte Schnute, wusste aber, dass ich Recht hatte.

„Wie wäre es denn mit Kuchen? Da kann man nicht so viel falsch machen?“ Begeistert stimmte sie zu und wenige Augenblicke später waren alle Zutaten zusammen gesucht.

„Habt ihr Schokostreusel?“ Hoffnungsvoll sah sie mich an. Ich drückte ihr den Mixer in die Hand und lief in unsere Vorratskammer. Grade als ich die Schokostreusel in der Hand hielt, erklang lautes Geklapper aus der Küche und ein spitzer Schrei von Leo. Erschrocken ließ ich die Streusel fallen und lief zurück in die Küche. Abrupt blieb ich stehen. Was zur Hölle war hier passiert? Alles war mit Schokoladenteig bedeckt. Teig tropfte von der Decke und mitten drin in diesem Chaos stand Leo und sah entsetzt auf die leere Schüssel.

„Den wollte ich doch essen!“, fluchte sie und sah mich beschuldigend an. Lachend hob ich meine Hände.
„Meine Schuld war das nicht Leo, guck lieber dich selber an, dann siehst du die Schuldige!“ Kritisch sah sie sich um.

„Wann kommt dein Vater nochmal?“ Ich zuckte mit den Schultern und lief auf sie zu. Dann wischte ich mit dem Finger Teig von ihrer Wange.

„Hmm lecker“, lachte ich. Zwei Sekunden später entbrannte eine Schlacht.

„Das zahle ich dir heim!“, kreischte sie und stürmte auf mich zu. Lachend lief ich um die Kücheninsel.

„Tut mir Leid, du sahst einfach zu lecker aus!“ Ein großer, klebriger Haufen Teig landete auf meiner Wange.

„Du kleines Biest!“, lachend schlang ich meine Arme um. Wir alberten noch eine ganze Weile herum, bis es an der Tür klingelte.

„Wer stört?“, rief ich lachend nach Draußen. Erst dann öffnete ich die Tür. Sam sah mich verwundert an, ehe er in lautes Gelächter ausbrach.

„Du hast da Teig im Gesicht!“, lachte er und quetschte sich dann an mir vorbei ins Haus. „Komm doch rein“, murmelte ich vor mich hin, ehe ich ihm folgte.

„Du kommst perfekt Sam, du darfst uns nämlich helfen sauber zu machen“, hörte ich Leo aus der Küche rufen. Sam pfiff leise auf, als er die Küche sah.

„Nette Sauerei.“ Seufzend griff er nach einem Lappen.
„Wie wär's, ich bestelle Pizza?“, rief ich und griff schon nach dem Telefon. Die Bestellung war schnell aufgegeben und die Küche ließ sich auch schneller säubern als erwartet. Leo und Sam hatten es sich schon in meinem Wohnzimmer gemütlich gemacht, als es an der Tür klingelte.
„Du gehst hin“, rief Sam.

„Ich habe immer noch den scheiß Teig im Gesicht!“, schrie ich zurück. Zum Saubermachen waren wir noch nicht gekommen.

„Du bist trotzdem dran!“, lachte Leo. Kopfschüttelnd ging ich zur Tür und schlug sie direkt wieder zu. Warum steht Dryer vor der Tür? Panisch sah ich mich um. Was sollte ich jetzt machen? Mich entschuldigen? Aber wofür eigentlich? Ich hatte nichts falsch gemacht, er hatte mich einfach überrumpelt. Erneut klingelte es, gefolgt von einem energischen Klopfen.

„Mach die Tür auf!“, rief Dryer. Langsam drückte ich die Klinke herunter. Ich wusste, dass ich mich anstellte, aber ich konnte einfach nicht anders.

„Ja?“ Vorsichtig lugte ich durch den Spalt.

„Ich fresse dich schon nicht!“, meinte er sichtlich genervt. Ich verhielt mich wirklich lächerlich.

„Sorry, was willst du hier?“ Er hielt mir Drei Pizza Schachteln vor die Nase. Er da fiel mir auf das er eine Joes Kappe trug.

„Seit wann arbeitest du bei Joes“, fragte ich ihn überrascht. Er war doch grade erst hergezogen.

„Seit heute“, grinste er mich an. „War aber Gott sei die letzte Lieferung. Darf ich vielleicht reinkommen, oder möchtest du mir lieber wieder die Tür vor der Nase zuschlagen?“ Beschämt ging ich einen Schritt zu Seite.
„Nein, komm rein. Kannst die Pizza ins Wohnzimmer bringen, Sam und Leo sind auch da“, nuschelte ich und deutete Richtung Wohnzimmer. Er folgte meiner Hand und wurde freudig empfangen. Leo umarmte ihn kurz und Sam schlug brüderlich ein.

„Heißes Outfit, Marcy“, neckte Leo ihn. Da konnte ich allerdings nur zustimmen. Anscheinend gab es das Shirt nicht mehr in seiner Größe, denn es sah so aus als würde es gleich aus allen Nähten platzen. Wann habe ich mich das letzte Mal so unwohl gefühlt? Unruhig trat ich von einen Fuß auf den anderen. Ich hatte einfach keine Ahnung wie ich mich verhalten sollte. Wieder erschien es mir sehr verlockend zu fliehen. Und genau das tat ich dann auch.

„Ihr könnte ja schon einmal anfangen zu essen, ich komme gleich wieder“, verabschiedete ich mich schnell und ging möglichst langsam in mein Zimmer. Seufzend ließ ich mich auf mein Bett fallen. Meine Güte ich war doch kein kleiner Teenager mehr! Ich war siebzehn Jahre alt, das muss doch irgendetwas zählen. Wie sollte ich ohne meine Familie leben und ausziehen, wenn ich es noch nicht einmal schaffte Dryer in die Augen zu blicken. Ich konnte es drehen und wenden wie ich es wollte. Ich hatte ihn geküsst und es hatte mir gefallen. Punkt, aus, Ende. Ich war nicht mehr betrunken. Außer vielleicht von ihm. Aber ich hätte es besser wissen sollen, ich hätte einfach nein sagen müssen. Ich hätte ihm die Wahrheit sagen müssen. Habe ich aber nicht, also bin ich selber schuld. Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken.

„Kann ich reinkommen?“ Ich war immer noch überrascht, was für eine tiefe Stimme Dryer hatte.

„Die Tür ist offen“, rief ich und kurz darauf schob sich seine große Gestalt in mein Zimmer.
„Ich dachte es wäre vielleicht besser wenn wir reden“, offen sah er mir ins Gesicht. War ihm der heutige Morgen gar nicht peinlich? Ging es wirklich nur mir so? Aber andererseits war Dryer schwul. Ich nicht. Da braucht man gar nicht drüber zu diskutieren. Das war doch verrückt. Bis gestern hatte ich so gut wie kein Wort mit ihm gewechselt und jetzt wollte er mit mir 'reden'.

„Ich will aber nicht reden“, grummelte ich trotzig. Dann benahm ich mich eben wie ein kleines Kind. Wen interessierte es?

„Okay, dann rede ich einfach und du hörst zu, ja?“ Er schien keine Antwort zu erwarten, denn er fing direkt an zu sprechen.

„Ich werde nicht so tun, als wäre das heute Morgen alles nicht passiert. Ich lasse auch ganz sicher nicht zu, dass du das tust. Und falls du dir Sorgen machst das ich es weiter erzähle, frage ich mich wem ich es hier erzählen kann. Ich wohne hier erst seit zwei Wochen, so viele Leute kenne ich noch nicht.“ Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Eigentlich war es mir auch egal, denn tief in mir drin wusste ich, dass er es nicht weitererzählen würde. Wieso sollte er auch. Murrend zog ich mir die Decke bis zum Kinn. Eine große Hand legte sich auf meinen Kopf und fuhr durch meine Haare.

„Kannst du mich bitte nicht dauernd anfassen?“, knurrte ich, obwohl ich die Berührung genoss. Und genau das machte mir Angst. Verletzt zog er die Hand weg.

„Hör zu Dryer, ich bin nicht schwul. Es tut mir Leid falls ich da einen falschen Eindruck vermittelt habe, aber du hast mich heute Morgen schlicht weg überrumpelt. Ich werde auch ganz sicher nicht schwul. Ich bin einfach ich.“ Entschuldigend zuckte ich unter der Bettdecke mit den Achseln.

„Wenn du nicht schwul bist, warum hat es dir dann gefallen?“, forschend sah er mich an. Das war eine verdammt gute Frage.

„Du bist doch auch ein Kerl, dann sollte dir das Wunder der Morgenlatte ja bekannt sein“, log ich mich heraus. Jetzt nur nicht rot werden.

„Ich wusste gar nicht das Morgenlatten zurück küssen, aber danke für die Information.“ Schief grinste er mich an. Irgendwie sah dieses Grinsen traurig aus. Nichts würde ich grade liebe machen, als ihn zu trösten.

„Ach ja, du hast da Teig an deiner Wange kleben.“ Peinlich berührt wischte ich mir über die Wange. Ich sollte gehen. Ich wollte dich nicht stören. Man sieht sich“, rief er schon auf den Weg nach draußen.

Automatisch glitt mein Blick an ihm nach unten und wurde von seinem Hintern festgehalten. Nachdrücklich schloss er die Tür hinter sich. Ich war nicht schwul. Ich war definitiv nicht schwul. Aber was wusste ich schon nach diesem Kuss?

 

 

Kapitel 5:

 

„Jungs, ihr müsst aufwachen!“, rief Leo und rüttelte unsanft an mir. Grummelnd drehte ich mich von ihr weg. Das wurde ja fast schon zu Gewohnheit. Auch Sam gab etwas Unverständliches von sich.

„Steht auf! Wir haben nur noch fünfzehn Minuten!“, schrie sie so laut, dass ich glaubte mein Trommelfehl platzte gleich. Ohne auf ihr Geschreie einzugehen hievte ich langsam meine Beine aus dem Bett und kroch zur Dusche. Meine Haare standen danach wie üblich zu allen Seiten ab, doch ich zuckte schlicht mit den Schultern. Ändern konnte ich es nicht und es war besser, als mit Achtzehn Haarausfall zu bekommen. Nachdem ich mit meiner Musterung fertig war, zog ich mir frische Klamotten an und stürmte zurück in mein Zimmer. Sam zog sich grade hektisch an und Leo stand wartend an der Tür.

„Heute gibt es kein Frühstück“, rief sie auf den Weg nach unten. Schnell folgten wir ihr, um nicht noch mehr angeschrien zu werden.

„Was wollte Marcy eigentlich gestern noch von dir? Nachdem er wieder runter gekommen ist, konnte er gar nicht schnell genug verschwinden“, fragte Sam, während er schwer atmend den Weg lang joggte. Ich sah hilfesuchend zu Leo, sie zuckte aber auch nur ratlos mit den Schultern.

„Nichts Wichtiges. Warum fragst du?“, antwortete ich und umging seine eigentliche Frage. Gehetzt liefen wir durch die Straßen. Dass wir uns den Wecker auch nicht einfach mal zehn Minuten früher stellen konnten, aber das würden wir wohl nie lernen.

„Weil er mies gelaunt wieder nach unten kam und du bist auch nicht mehr aufgetaucht. Ich habe übrigens deine Pizza aufgegessen. Wegen dir durfte ich auch ohne Bettdecke schlafen. Ich weiß, dass du sie dir immer unter den Nagel reißt, aber diese Nacht wolltest du sie gar nicht hergeben“, beschwerte er sich.

Entschuldigend lächelte ich ihn an.

„Das war die Rache dafür, dass du meine Pizza gegessen hast. Auch wenn ich das da noch gar nicht wusste.“ Erneut beschleunigten wir unser Tempo. Natürlich kamen wir zu spät. Wäre ja auch eine Schande wenn nicht. Nachdem sich Leo mit einer Verwarnung wieder hinsetzten konnte, wurden wir beide angeschnauzt.

„Langsam reicht es mir mit euch beiden“, fing die Tasse auch schon an rum zu zetern. Ab da schaltete ich auf Durchzug. Es war ja sowieso immer wieder dasselbe. Wir kamen zu spät, wurden angeschnauzt und danach setzten wir uns wieder hin, nur damit es am nächsten Tag wieder von vorne losging.

„Luke! Was stehst du denn hier noch rum?“ Streng sah sie mich an, riss mich unsanft aus meinen Gedanken. Ich konnte diese Lehrerin einfach nicht ausstehen. Deswegen lief ich auch ohne ein weiteres Wort zu meinen Platz. An diesem saß schon Dryer und sah mich aus großen Augen an.

„Was machst du denn?“, zischte er mich leise an. Was machte ich wohl? Mich hinsetzten.

„Sitzen. Weißt du das ist mein Platz. Erinnerst du dich? Früher hat Sam neben mir gesessen“, schnauzte ich zurück.

Seine Augen verengten sich.
„Das meinte ich nicht. Du sollst zum Rektor!“ Er zog den Stuhl so zu sich, dass ich mich nicht mehr hinsetzten konnte.

„Wer erzählt denn so eine Scheiße?“, fragte ich laut.

„Ich!“, erklang die schrille Stimme der Tasse in meinen Ohren.

Erschrocken fuhr ich herum.
„Aber warum denn? Wir waren heute doch gar nicht spät. …“ Ich warf einen Blick auf die Uhr. „Nur etwas“, setzte ich mit Verzögerung hinterher. Sie atmete tief durch und zeigte dann auf die Tür.
„Du gehst jetzt zum Rektor. Auf der Stelle! Du kannst ihn gerne sagen, dass du nur etwas Verspätung hattest, ich bin mal gespannt was er dazu sagen wird. Und jetzt raus aus meinem Unterricht.“ Ich schluckte ich schob mir meine Schultasche wieder auf die Schulter.

„Ich gehe ja schon“, meinte ich angepisst.

„Außerdem werde ich deine Eltern informieren“, teilte sie mir schadenfroh mit. Erschrocken blickte ich sie an. Das war doch nun wirklich unnötig. Ich wusste gar nicht wie mein Vater reagieren würde. Bisher hatte ich noch nie Probleme in der Schule.

„Aber …“

„Kein Aber!“ fiel sie mir sofort ins Wort. Sie warf mir einen typischen Lehrer Blick zu. Wütend stapfte ich zur Tür und knallte sie laut hinter mir zu.

„Du kannst dem Rektor gleich sagen, dass du Schuleigentum zerstörst!“, schrie sie mir hinterher. Kindisch wie ich war, zeigte ich der Tür meinen Stinkefinger. Als hätte die Tür in irgendeiner Weise Schaden davon getragen. Meine Tasche zurechtrückend trotte ich zum Rektor. Vor dessen Tür fand ich Sam, welcher wütend er auf mich zu kam und mich an meinem Arm in die entgegengesetzte Richtung zerrte.
„Sam? Was soll das werden?“, fragte ich verwirrt und stolperte fluchend ihm hinter ihm her.
„Danke, dass du mich alleine dem Wolf vorgeworfen hast! Unsere Eltern werden in den nächsten Tagen benachrichtigt und wir haben eine Strafarbeit auf gebrummt bekommen. Das war übrigens nett ausgedrückt. Du hättest ihn hören sollen. Ich dachte der reißt mir gleich den Kopf ab! Anscheinend können es manche Leute nicht leiden wenn man zum Rektor geschickt wird, aber nicht erscheint. Ach, und wir sollen uns heute nicht mehr hier blicken lassen. Das heißt wir haben einen Tag frei. Das sollte ich nur an dich weiter richten“, freute er sich. Auch wenn es eigentlich nicht gut war, freute ich mich ebenfalls. Ich hatte gegen einen freien Tag ganz sicher nichts einzuwenden. Auf einmal fing er über das ganze Gesicht an zu strahlen.

„Noch etwas. Ich habe eine Wohnung für uns gefunden!“, rief er euphorisch aus und machte einen kleinen Luftsprung. Ich blieb überrascht stehen.

„Du hast was?“, fragte ich nochmal nach. Wenn ich es grade richtig verstanden hatte, würde Sam nicht der Einzige sein, der einen Luftsprung gemacht hatte.
„Eine Wohnung. Du weißt schon. Ein Dach, vier Wände“, sagte er lachend, während ich ihm stürmisch in die Arme fiel.

„Das ist die beste Nachricht seit Ewigkeiten. Wie bist du denn zu der Wohnung gekommen? Und wie viel soll sie kosten? Es ist aber auch groß genug für uns alle zusammen, oder? Und sie sieht doch gut aus, also es ist keine Bruchbude? Also ich würde auch in eine Bruchbude ziehen, aber lieber nicht. Können wir sie heute besichtigen?“, überhäufte ich ihn mit Fragen. Lachend drückte er mich von sich.

„Sie gehört meiner Oma. Allerdings sieht sie auch dementsprechend aus, also müssen wir einmal komplett renovieren. Außer du stehst auf pinke Tapete?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue und grinste mich an.

„Aber so was von! Immer her damit!“, freute ich mich.
„Es gibt aber zwei Haken“, dämpfte er meine Freude. Natürlich, es gab immer einen Haken.

Als er mein bedröppeltes Gesicht sah, klopfte er mir kameradschaftlich auf die Schulter.

„Keine Sorge, es sind keine schlimmen Haken. Der erste ist, dass meine Oma das Geld der ersten Miete sofort braucht. Das heißt wir müssten, nun ja eigentlich sofort einziehen. Der zweite ist, dass wir noch einen weiteren Mitbewohner brauchen“, meinte Sam.

„Ich dachte deine Grams macht für uns einen Freundschaftspreis?“, fragte ich verwundert. So freundschaftlich konnte er ja wohl nicht sein.

„Tut sie auch, aber wie gesagt sie braucht das Geld. Auch wenn wir einen vierten Untermieter haben, verzichtet sie noch auf eine Menge“, erklärte er mir und ich nickte verstehend. Vielleicht würden wir ja irgendwen nettes finden, der auch einfach nur von zu Hause weg wollte. Aus welchem Grund auch immer.

„Also müssen wir vor Leo einziehen?“, fragte ihn, worauf Sam bestätigend nickte.

„Es sind ja aber nur zwei Monate, ich denke das wird sie überstehen.“ Grinsend rammte er meine Schulter.

„Wir ziehen endlich zusammen. Wie cool ist das denn!“, freute er sich. Auch auf meinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. So schlecht schien der Tag doch nicht zu werden.

„Ich habe auch schon Flyer aufgehängt. Vielleicht meldet sich ja ein netter Kandidat“, erzählte er mir.
„Du hast auch echt an alles gedacht, oder?“, lachte ich und machte mich auf den zu mir nach Hause. Ich schloss leise die Haustür auf und dann huschten wir so schnell wie möglich in mein Zimmer. Es war zwar unwahrscheinlich das schon jemand zu Hause war, aber ich ging liebe eine Nummer sicher.
„Wollen wir eigentlich jetzt schon Farbe kaufen gehen? Wir haben ja sowieso nichts vor.“ Fragend sah ich ihn an.

„Gute Idee, ich hole schnell das Auto von meinem Dad, dann können wir los!“ Überdreht sprang er auf, lief zur Tür, stolperte und fing sich grade noch wieder. Ein grinsender Blick traf mich, dann war er weg. Lachend schüttelte ich den Kopf. Das konnte auch nur Sam. Wenn wir in den Baumarkt fuhren, würde ich mir auch gleich neue Möbel kaufen, beschloss ich. Meine jetzigen waren zwar nicht reif für den Sperrmüll, aber schön war etwas anderes. Meine Oma hatte mir ein Sparbuch angelegt, auf dem sie jeden Monat Geld draufzahlte. Sie meinte, wenn ich meine erste Wohnung hätte, sollte ich sie mir einrichten können, wie ich es mir wünschte. Grade war ich verdammt dankbar dafür. Viel wollte ich aus diesem Zimmer nämlich nicht mitnehmen.

 

***

 

„Hast du es Leo schon erzählt?“, fragte ich ihn später als wir im Auto saßen. Als er verneinte zog ich mein Handy aus der Hosentasche.

 

„Wir haben eine Wohnung! Bereit umzuziehen? Wir kaufen jetzt gleich die Wandfarben. Irgendwelche Wünsche?“, tippte ich schnell in mein Handy ein.

Kurze Zeit später kam ihre Antwort:

„Na das sind mal gute Nachrichten. Erzählt mir nachher wie es beim Rektor war! Bringt mir erst mal nur einen Eimer weiße Farbe mit.“

„Okay“, antwortete ich schnell.

 

Dann schob ich mein Handy zurück in meine Hosentasche und sah Sam an.

„Erst zum Baumarkt und dann ins Möbelcenter?“ Er blickte konzentriert auf die Straße.

„Sieht nach einem Plan aus“, meinte er. Den Rest der Fahrt verbrachten wir in einvernehmlichem Schweigen. Schnell waren wir an unserem Ziel angekommen und liefen auf den Baumarkt zu. Ein netter Verkäufer half uns alle benötigten Dinge zusammen zu suchen und mischte uns danach unsere Farben zusammen. Am Ende verließen wir den Laden mit zig verschiedenen Farbtöpfen, Pinseln und allen anderen Dingen, die man fürs Streichen brauchte. Wir hievten unsere Eroberungen in den Wagen uns fuhren dann weiter zum Möbelcenter. Mehrere Stunden liefen wir durch das große Gebäude und suchten mir passende Möbel heraus. Wir ließen uns alles nach Hause liefern, da die Möbel sowieso nicht in das Auto passten und die Dekosachen wollten wir nicht im Weg stehen haben.

„Ich hätte nie gedacht, dass das so anstrengend ist“, sagte ich, als ich mich erschöpft in das Auto setzte. Sam sah auch ganz schön geschafft aus.

„Ich denke trotzdem das wir uns das Haus heute noch angucken, oder?“ Fragend sah ich ihn an.

„Na klar, wir können ja warten bis Leo aus der Schule kommt.“ Wir einigten uns darauf, dass wir bis dahin zu ihm fuhren. Ich informierte Leo noch schnell darüber und dann hing ich wieder meinen Gedanken nach. Oder besser gesagt einem einzigen Gedanken. Ich dachte die ganze Zeit nur an Dryer.

 

***

 

„Also von außen finde ich es schon einmal toll“, meinte ich zu Sam als wir vor dem Haus standen.

„Ja, dachte ich mir schon, dass es dir gefällt“, lächelte Sam. Mit vollgepackten Armen klingelten wir an. Leo war schon direkt nach der Schule hergefahren und hatte sich mit dem Schlüssel, welcher unter der Fußmatte lag, selbst eingelassen. Sam und ich hatten noch eine Weile gebraucht, bis wir uns aus seinem Bett aufrappeln konnten. Es war einfach zu gemütlich gewesen.

„Wir hätten zweimal gehen sollen“, fluchte ich und versuchte mein Gleichgewicht zu halten. Sam schwankte auch bedrohlich hin und her. Kurze Zeit später, wurde die Tür aufgerissen und Leo empfing uns über das ganze Gesicht strahlend.

„Ich habe eine Überraschung für euch!“, schrie sie beinahe und ließ uns bedröppelt vor der Tür stehen.

„Danke für deine Hilfe“, rief ich ihr nach. Sam schüttelte lediglich den Kopf und schwankte in den Raum. In einer Ecke ließen wir die Sachen auf den Boden fallen und sahen sie abwartend an.

„Was ist denn die Überraschung?“, fragte ich hibbelig.

„Ich habe einen Mitbewohner gefunden, den wir alle mögen!“, jubelte sie.

Ich wechselte einen überraschten Blick mit Sam. Er schien auch nicht damit gerechnet haben.

„Also, ihr wart ja heute nicht da und da habe ich mich länger mit Marcy unterhalten. Natürlich habe ich mich auch schon vorher mit ihm unterhalten. Das wisst ihr ja, aber eben noch nicht so. Irgendwann hat er mir erzählt, dass er auf der Suche nach einer Wohnung ist, da ihm seine Eltern zu oft herumreisen. Außerdem will er ihnen nicht mehr auf der Tasche hängen. Ist das nicht super? Das passt einfach perfekt! Also habe ich ihm direkt angeboten hier einzuziehen!“, ratterte sie ohne Luft zu holen herunter.

Tolle Überraschung …

Mein Gehirn setzte aus. Die Person die mich geküsst hatte, zufälligerweise ein Mann war und der ich versuchte aus dem Weg zu gehen sollte bei uns einziehen? Wollte ich ihn grade sehen? Auf keinen Fall!

„Cool, Marcy passt hier super mit rein!“, freute Sam sich und ich konnte es mir grade so verkneifen, ihm einen bösen Blick zu schenken.

„Luke?“, wandte Leo sich an mich. Ich wusste beim besten Willen nicht was ich sagen sollte.

Ja?

Nein?

Auf keinen Fall?!

Soll er doch auf der Straße schlafen? Wollte ich ihm wirklich jeden Tag begegnen? fragte ich mich selber. Eigentlich schon, dachte ich nickend und beantwortete mir meine Frage.

„Super! Dann wäre das ja alles geregelt“, rief Leo und sprang auf. „Ich hole ihn schnell!“ Verdattert sah ich ihr hinterher. Wann hatte ich bitte meine Zustimmung gegeben? Ich hatte doch gar nichts gesagt?

„Ich finde das super. Ich weiß, dass du am Anfang nicht mit Marcy klar gekommen bist, aber ich glaube er passt hier gut rein“, meinte Sam und klopfte mir auf die Schulter.

„Kein Ding“, sagte ich schlicht und glaubte es immer noch nicht richtig.

Ich wohnte jetzt in einer WG. Ich war endlich von zu Hause weg! Wir mussten nur noch die Formulare unterzeichnen und dann musste ich nicht mehr zurück! Nicht mehr zu der Furie und auch nicht mehr zu meinem Dad.

Leo kam hüpfend zurück in den Raum, Dryer hinter sich her ziehend.

„Hey Leute. Super das das geklappt hat. Ich freue mich schon“, rief er und strahlte uns an. Seine weißen Zähne blitzten im schummrigen Licht auf. Die Glühbirnen sollten wir unbedingt wechseln! Sam strahlte zurück und ich starrte auf meine Füße.

„Ich wollte auch noch fragen, ob die Küche und das Badezimmer drin bleiben? Oder müssen wir das noch kaufen?“, wandte er sich an Sam, welcher ihm direkt antwortete:

„Das bleibt drin. Die Sachen schenkt uns meine Grams.“, klärte er uns auf. Ich sollte meine Schuhe mal wieder putzen. Sauber war was anderes.

„Wir haben uns auch schon etwas um geschaut. Ich hoffe ihr habt nichts dagegen, aber ich habe mich schon für ein Zimmer entschieden. Natürlich nur wenn ihr alle damit einverstanden seid“, rief Leo und stürmte auch schon aus dem Zimmer. Wir folgten ihr lachend, bis zu einem großen, lichtdurchfluteten Raum. Das was ich bis jetzt vom Haus gesehen hatte, war wirklich schön.

„Das ist mein Zimmer. Ich bin mir sicher!“, rief sie euphorisch.

„Ich würde das daneben nehmen. Ich habe keine Lust jeden Tag Treppen zu laufen“, lachte Sam.
„Du bist richtig faul“, neckte Dryer ihn und ich musste ihm zustimmen. Wo auch immer Sam seinen guten Körperbau her hatte, am Sport lag es definitiv nicht.

„Lasst uns erst mal die Zimmer oben angucken, bevor wir uns entscheiden“, bestimmte Dryer und ich nickte zustimmend. Als er sich mir zuwandte, wich ich seinem Blick schnell aus. Ich wollte nicht wissen, was er in meinen Augen alles lesen konnte. Vor allem wollte ich nicht, dass er erfuhr, dass ich den Kuss wirklich genossen hatte. Eine gewundene Treppe führte nach oben.

„Wir haben hier oben ein eigenes Badezimmer?“, fragte ich erstaunt und blickte zu Sam. Dieser nickte und lief zu den Schlafzimmern. Ich folgte ihm und warf einen Blick hinein. Das erst was mir auffiel, war die pinke Wand. Ich zog eine Augenbraue hoch und Sam zuckte mit den Schultern.

„Das war kein Scherz. Sie hatte tatsächlich pinke Wände“, lachte er. Die Zimmer hatten ungefähr dieselbe Größe wie die beiden unteren, waren aber anders geschnitten. Beide Zimmer waren, bis auf die pinke Tapete identisch.

„Also ihr könnt die Zimmer unten haben wenn ihr möchtet“, sagte ich großzügig. Ich fand es sowieso gemütlicher in der zweiten Etage zu schlafen. Dryer stimmte ebenfalls zu und kurz drauf standen wir beide alleine auf dem Flur. Zusammen gingen wir in ein Zimmer und ich blieb wie angewurzelt stehen als ich die Tür sah, welche unsere beiden Räume verband. Warum war da eine Tür, die war eben aber noch nicht da gewesen! Oder ich hatte sie einfach nur übersehen? Auch Dryer schien sie zu bemerken, denn er ging darauf zu und öffnete sie.

„Kein Schlüssel“, rief er mir über seine Schulter zu. Na das wurde ja immer besser. Wie sollte ich so meine Privatsphäre haben? Oder er? Was ist wenn ich mich umzog oder noch schlimmer, mir einen runter holte? Dann möchte ich ihn nicht wirklich auf einmal in meinem Zimmer stehen haben.

„Immerhin haben wir ein eigenes Badezimmer“, seufzte ich und blinzelte zu der pinken Tapete hoch. Mit großen Schritten kam er auf mich zu.

„Hast du vor mir irgendwann noch einmal in die Augen zu schauen? Was wird das?“, fragte er mich ruhig. Einen Schritt vor mir blieb er stehen.

„Was meinst du?“, stellte ich mich dumm.

„Du gehst mir aus dem Weg“, beschuldigte er mich und hatte damit vollkommen Recht. Nur wie lange konnte ich das noch? Wir hatten eine Tür zwischen unseren Zimmern, die man nicht abschließen konnte. Zumindest hatten wir keinen Schlüssel. Vielleicht sollte ich Sam nachher noch einmal fragen.

„Wieso schaffst du es nicht mich anzugucken? Widert dich der Kuss so sehr an?“, fragte er leise. Überrascht blickte ich auf. Direkt in seine braunen Augen, in denen man sich wahrlich verlieren konnte.

„Nein tut er nicht. Können wir nicht einfach vergessen das das passiert ist?“, flehte ich ihn an und senkte meinen Blick erneut. Wärme schoss mir in die Wangen, als ich an seine warmen Lippen auf meinen dachte.

„Ich habe dir gestern schon gesagt, dass ich es nicht vergesse werde. Du kannst es ja versuchen“, raunzte er, ließ mich mit diesen Worten im Raum stehen und lief durch die Durchgangstür, in den anderen Raum. Verwirrt sah ich ihm hinterher. Was war denn jetzt los? War Dryer beleidigt? Aber warum sollte er beleidigt sein, nur weil ich den Kuss vergessen wollte? Wieder fiel mir die pinke Tapete ins Auge. Ich würde mir ganz sicher nicht doppelte Arbeit machen und alles zweimal überstreichen! Ich atmete tief durch, ehe ich mit hochgekrempelten Ärmeln in das andere Zimmer lief.

„Dryer! Das Zimmer gehört mir. Du kannst das andere haben“, rief ich. Prüfend musterte er mich.

„Ich denke nicht“, sagte er schlicht, woraufhin ich mit zusammengekniffenen Augen stehen blieb.

„Oh, ich denke doch!“, zischte ich und richtete mich zu voller Größe auf. Dann ging ich strikt auf ihn zu. Er beobachtete mein Vorhaben mit hochgezogener Augenbraue.
„Ich sage aber nein“, sagte er in einem Tonfall der keinen Widerspruch duldete. Das klang verdammt dominant! Und es ließ meinen Puls nach oben schnellen.

„Ich, sage aber ja!“, schrie ich ihn förmlich an und schubste ihn ein Stückchen nach hinten. Ich hatte keine Ahnung wo meine Wut auf einmal herkam. Aber ich musste sie raus lassen. Jetzt!

„Willst du dich mit mir anlegen, Kleiner?“ Ein überraschtes Lachen entfuhr ihm, verstummte aber sofort wieder, als er sah, dass es mir ernst war. Es ging hier nicht wirklich um das Zimmer. Mir war es ziemlich egal in welches Zimmer ich zog, hier ging es um etwas ganz anders. Auch Dryer schien es zu bemerken. Er hatte mich geküsst. Einfach so, ohne mich zu fragen, ohne mir Zeit zum Reagieren zu lassen. Die mühselig unterdrückte Wut kroch langsam nach oben. Das war die Konfrontation, der ich der ganzen Zeit ausgewichen war. Nur hätte ich nie gedacht, dass sie von mir ausgehen würde. Ich war nicht schwul und trotzdem sehnte sich alles in mir, mich gegen diesen Mann zu lehnen, ihn an mich zu ziehen und nie wieder loszulassen.

Darum ging es. Es ging nicht um Dryer oder dieses Zimmer. Es ging um mich.

„Was wäre wenn?“, herausfordernd sah ich ihn an.

„Du würdest verlieren“, sagte er schlicht und musterte mich genau. Er wusste, dass etwas los war, nur nicht was. Ich sah genau wie seine Gedanken ratterten, aber zu keinem Ergebnis kamen.

„Das werden wir ja sehen!“, rief ich und ging auf ihn los. Es war noch nicht einmal ein geplanter Angriff. Ich stürmte einfach auf ihn zu, es war fast so als ob ich verlieren wollte. Nur hatte ich keine Ahnung was das für mich bedeutete. Er wich geschickt aus und drückte mich geschickt mit dem Bauch gegen die Wand.

„Ich sage doch du verlierst“, knurrte er in mein Ohr und ein Schauer lief mir über den Rücken. Grob drückte ich meinen Ellenbogen nach hinten, traf ihn in der Magengegend und befreite mich in einer holprigen Drehung aus seinen Armen. Sofort fuhr er zu mir herum und sprang ich keuchend weg und hob meine Fäuste. Er sah mich überrascht an, hob dann aber ebenfalls die Fäuste. Ängstlich musterte ich sie. Ich wusste, dass es nicht gut für mich ausgehen würde, trotzdem siegte meine Wut über meinen Verstand.

Wieder ging ich auf ihn los. Und obwohl sich für ihn eine super Chance ergab mich zu schlagen, tat er es nicht. Stattdessen warf er mich auf den Boden, drehte mir geschickt die Arme auf den Rücken und hockte sich auf mich. Schwer atmend lag ich auf dem Boden und atmete heftig aus, sodass der Staub auf dem Boden aufgewirbelt wurde.

„Das tat weh! Wer hätte gedacht das in so einem kleinen Körper so eine Kraft steckt“, fluchte er. Einen Moment lang tat es mir Leid, doch dann verstärkte er den Druck auf meine Arme und ich zischte vor Schmerz auf. Augenblicklich ließ er den Griff lockerer.

„Scheiße, lass mich los!“, forderte ich ihn auf, schlug meinen Kopf nach hinten und traf ihn an der Nase. Laut stöhnend warf er den Kopf in den Nacken.

„Au!“, fluchte er. Dann änderte er seinen Griff und hielt meine Arme nur noch mit einer Hand zusammen. Die andere umfasste fest meinen Nacken und drückte meinen Kopf auf den Boden. Ein Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus.

„Mach das nicht noch einmal!“, befahl er mir mit rauer Stimme. Zu meiner Schande sammelte sich mein Blut zwischen meinen Beinen. Unruhig rutschte ich herum. Wie konnte ich in so einer Situation geil werden? Ging es noch peinlicher? Aber irgendetwas löste sein dominantes Gehabe in mir aus.

„Wir machen einen Deal“, raunte er an mein Ohr. „Ich gehe in das andere Zimmer, dafür hilfst du mir aber beim Streichen!“ Auch wenn der Deal gerecht war, war ich noch nicht bereit aufzugeben. In mir kämpfte immer noch etwas. Auch wenn ich nicht wusste worum ich kämpfte, konnte ich nicht einfach so zu zustimmen.
„Vergiss es!“, zischte ich dem Boden zu. Meine Muskeln spannten sich an und ich versuchte erneut mich aus seinem Griff zu befreien. Dieser verstärkte sich erneut und ließ wohlige Schauer durch meinen Körper laufen. Wieso gefiel mir das? Hilflos schielte ich zu Dryer hinauf. Er hielt mich mit festem Griff auf den Boden gepresst. Mit zusammengebissenen Zähnen bäumte ich mich auf. Er hielt mich jedoch mühelos unten.
„Du hast doch schon verloren. Gib einfach auf“, flüsterte er in mein Ohr. Störrisch kämpfte ich dagegen an. Ich war nicht schwach. Ich ließ mich nicht so einfach unterkriegen. Doch je länger ich unter Dryer eingeklemmt lag, desto unsicherer wurde ich. Er schien mich ohne Mühe unten zu halten.

Mein steifer Schwanz rieb am Boden und ich biss mir auf die Lippe um nicht aufzustöhnen. Wieso fühlte ich mich so? Das sollte alles gar nicht passieren. Das war falsch! Aber warum fühlte es sich gleichzeitig so richtig an? Ich wusste auch, dass ich jeden anderen schon zur Strecke gemacht hätte, wenn er so auf mir sitzen würde. Und hundert pro wäre ich bei einem anderen Kerl nicht erregt.

„Komm schon“, raunte Dryer mir ins Ohr. „Ich laufe nicht weg.“ Alle meine Muskeln verkrampften sich als ich diese Worte hörte. Das hatte meine Mutter mir auch versprochen. Ebenso wie mein Vater. Trotzdem waren sie mehr oder weniger weggelaufen. Meine Mutter hatte uns komplett hinter sich gelassen und mein Dad suchte Flucht in der Beziehung zu Tessa. Ich war selber ja auch nicht besser. Immer wenn es brenzlig wurde, suchte ich das Weite.

„Versprochen“, flüsterte er. Woher wusste ich, dass ich nicht wieder enttäuscht wurde? Niemand konnte mir das versprechen. Aber Dryer hatte bisher nur positives von sich gezeigt.

Im Gegensatz zu mir. Erst hatte ich ihn dafür verantwortlich gemacht, dass Sam und ich nicht mehr nebeneinander sitzen konnten. Dann hatte ich ihn größtenteils ignoriert. Ich hatte ihn beschuldigt mit mir geschlafen zu haben und letztendlich hatte ich ihn auch noch geschlagen. Und alles was er getan hatte war freundlich zu mir zu sein und mich zu küssen.

„Ich lasse dich nicht los“, versprach er und ich wusste, dass er damit nicht meinte, dass er mich hier festhalten würde, sondern dass er versuchte, mich nicht zu enttäuschen. Langsam entspannte ich mich. Muskel für Muskel wurde weich. Erst als ich, nach einigen Minuten komplett entspannt dalag, ließ er mich los.

„Abgemacht“, flüsterte ich. Meine Arme schmerzten von seinem festen Griff. Ich zog sie vorsichtig vor meine Brust und massierte meine Handgelenke. Er musste doch fester zugepackt haben als ich dachte, noch immer waren weiße Fingerspuren zu sehen. Wahrscheinlich hatte ich mir stärker gewehrt als gedacht. Meine Erregung war inzwischen auch zurück gewichen. Trotzdem wusste ich, dass er sie bemerkt hatte und ich schämte mich dafür. In so einer Situation sollte man nicht erregt sein. Allgemein sollte man gar nicht erst in so eine Situation gelangen. Eine Weile saßen wir einfach nur stumm auf dem Boden, dann unterbrach ich die angenehme Stille.
„Danke“, meinte ich leise, auch wenn ich nicht genau wusste wofür ich mich bedankte. Er schien es trotzdem zu verstehen. Ich konnte ihn zwar nicht als Liebhaber, oder auch nur Affäre sehen, aber er hatte sich einen Platz als Freund verdient.

 

 

Kapitel 6:

 

„Wollen wir schon anfangen zu streichen?“, fragte ich um dem Moment zu entkommen. Wieder entschied ich mich für die Flucht. Dryer schien einen Moment zu überlegen, ehe er nickte.

„Warum wolltest du, dass ich dir beim Streichen helfe?“, fragte ich zögerlich und sah ihm in die Augen.

„Ich wollte mit dir zusammen Streichen. Alleine macht es nur halb so viel Spaß“, erklärte er frei heraus. „Außerdem wollte ich mehr Zeit mit dir verbringen.“ Ich sah ihn überrascht an. Dass er ohne Probleme darüber reden konnte. Ich wurde wenn es gut lief nur rot und stotterte unzusammenhängende Sachen.
Er stand auf und hielt mir die Hand hin. Langsam hob ich meine, zögerte aber kurz. Dann schüttelte ich irritiert den Kopf. Was machte ich hier? Er wollte mir einfach nur hoch helfen. Mehr nicht! Fest griff ich zu und ließ mich nach oben ziehen. Ich fing den Schwung ab, indem ich mich an seiner Brust abstützte. Etwas länger als notwendig ließ ich meine Hand auf ihm ruhen.
„Ich würde sagen, wir fangen mit dem pinken Zimmer an. Da müssen wir bestimmt zweimal drüber streichen“, erklärte er mir. Stumm stimmte ich zu und lief an ihm vorbei nach unten, um die Farbeimer zu holen. Ich spürte, dass er mir folgte, ebenso wie ich spürte, dass sein Blick auf meinem Hintern weilte. Unten angekommen, klemmte ich mir so viel unter den Arm wie ich nur konnte, dann nahm ich zwei Farbeimer und lief wieder zu Treppe. Dryer sah mich nur stirnrunzelnd an, ehe er mir die Hälfte der Sachen wieder abnahm.
„Ich denke ein weißer Farbtopf reicht“, zwinkerte er mir zu und lief nach oben. Ich ging noch schnell Klebeband holen und folgte ihm dann. Als ich in das Zimmer kam, hatte er schon angefangen die Plastikfolie auf dem Boden auszubreiten. Ich warf ihm eins der Klebebänder zu und fing mit dem anderen an das Zimmer streichtauglich zu machen.

„Das ist ganz schön anstrengend“, meinte ich nach kurzer Zeit. Für die Deckenränder war ich zu klein und die ganze Zeit auf den Knien umher zu robben, war auch nicht grade gemütlich.

„Ich hole gleich noch eine Leiter für die Decke, die kannst du erst mal so lassen.“

„Willst du dann gleich einen CD-Player mitbringen? Ich glaube unten in der Küche steht einer“, fragte ich ihn. Er nickte mir zu und lief los. Die Stimmung zwischen uns war komisch, vielleicht würde ein bisschen Musik die bedrückende Stimmung verblassen lassen. Ich wusste nicht wie ich mich zu verhalten hatte und ich hatte keinen blassen Schimmer was da vorhin passiert war, aber so genau wollte ich es auch gar nicht wissen. Ich wusste jetzt schon, dass ich damit nicht umgehen konnte. Es polterte laut und dann kam Dryer auch schon in das Zimmer gestolpert. Die Leiter wurde achtlos an der Wand abgestellt. Er drehte sich ein paarmal um die eigene Achse, ehe er eine Steckdose entdeckte und den CD-Player anschloss.

„Irgendwelche Musikwünsche?“, fragte er und sah mich an. Stumm schüttelte ich den Kopf.

„Gut, wir haben nämlich auch nur Radio als Auswahl“, schmunzelte er und kurze Zeit später erfüllte leise Musik den Raum. Ich ließ mich in den Schneidersitz sinken und betrachtete ihn dabei, wie er den oberen Rand abklebte. Dabei summte er leise vor sich hin und ich musste feststellen, dass er überhaupt nicht singen konnte. Augenblicklich kam er mir sympathischer vor. Als alles abgeklebt war, warf er mir einen Pinsel zu.
„Du kannst ja schon mal an dem unteren Rand anfangen“, stellte er mehr fest, als das er mich fragte. Eigentlich fragte er mich überhaupt nicht, er entschied es einfach. Ich nickte gehorsam und begann den Pinsel aus der Verpackung zu kramen. Dryer schnappte sich eine der großen Rollen und riss das Plastik mit einer Bewegung ab. Dann tunkte er die Rolle in die Farbe, rollte sie ab und begann zu streichen. Wie gebannt sah ich zu als er sich streckte, sein Shirt dabei hoch rutschte und ein Stückchen seiner Haut entblößte. Ich wäre auch gerne so braun, aber so langsam ich auch braun wurde, so schneller verschwand die Farbe wieder. Es konnte halt nicht jeder die perfekte Bräune vorweisen. Ich riss mich zusammen und fing ebenfalls an zu streichen. In der Hocke fing ich an. Die Position wurde aber immer unbequemer, sodass ich mich danach in den Schneidersitz hockte und ab der Hälfte auf dem Bauch lag. Letztendlich ging ich auf alle Viere und versuchte so mein Glück.

„Weißt du ich habe eine gute Selbstkontrolle, aber wenn du so mit deinem Arsch vor meinen Augen herum wackelst, kann ich für nichts garantieren“, raunte mir eine Stimme ins Ohr und ich spürte seinen Atem über meine Haut streichen. Erschrocken fuhr ich nach herum und sah mit roten Wangen zu ihm rauf.

„Irgendwie muss ich ja aber streichen“, meinte ich beschämt. Trotzdem freute sich ein kleiner Teil in mir, das ich ihm anscheinend gefiel.

„Setz' dich einfach anders hin!“, knurrte er und strich weiter und ich gehorchte ihm seufzend, lag einen Moment später wieder auf dem Bauch und strich so weiter. Ich sollte seine Geduld vielleicht lieber nicht überstrapazieren. Obwohl, eigentlich sollte ich auf allen Vieren bleiben, einfach um ihn zu ärgern. Ich tat es aber nicht. Ich blieb brav auf dem Bauch liegen, bis die zweite Wand fertig war. Dann drehte ich mich auf den Rücken und malte Kopfüber. Dryer warf mir nur einen Blick zu, schüttelte den Kopf und malte lachend weiter. Bis zum Ende der Wand hielt ich diese Position durch, dann stand ich auf und strecke mich. Meine Arme knacken bedrohlich.

„Ich dachte immer streichen macht Spaß, aber ich hasse es!“, meinte ich schmollend und drehte die Musik lauter. Irgendein Pop-Lied lief, ich summte selbstvergessen mit und strich weiter. Dabei änderte ich meine Bewegungen und strich im Takt. Meine Hüften bewegten sich zum Rhythmus und allmählich fing es an mir Spaß zu machen.
„Bist du dir sicher, dass du nicht schwul bist?“, rief er mir quer durch den Raum zu. Ich drehte mich überrascht um.

„Ja“, meinte ich, aber es hörte sich selbst in meinen Ohren nicht sehr überzeugend an. Er stieg von der Leiter und kam entschlossen auf mich zu. Ohne großen Prozess zu machen, riss er meine Arme nach oben und drückte mich grob gegen die Wand.

„Dann hast du sicher nichts dagegen wenn ich das nachprüfe, oder?“ Mit großen Augen schüttelte ich den Kopf. Wollte ich das wirklich? Es würde mir so oder so keine Antwort bringen, es ging ganz alleine darum ihn zu küssen. Und ja, ich wollte es. Zentimeter vor meinen Lippen hielt er inne.
„Also darf ich dich küssen?“, fragte er mit rauer Stimme.

„Nein“, flüsterte ich zurück und überbrückte den Abstand. Überrascht stöhnte er auf. Sanft fuhr ich mit der Zunge über seine Unterlippe, saugte daran und bat um Einlass, den ich auch schnell bekam. Seine Hände vergriffen sich an meinen Hintern und hoben mich mit Leichtigkeit hoch. Ich krallte mich erschrocken in seine Schultern, unterbrach den Kuss aber nicht. Mein Rücken wurde gegen die Tür gelehnt, sodass Dryer nicht mein ganzes Gewicht tragen musste. Bestimmt drängte er sich in meinen Mund, forderte mich heraus, worauf ich gerne einging. Ein leises Stöhnen entwich mir, als er meinen Hintern durch die Hose durch knetete. Wieso war das so viel besser, als alles andere? Wieso löste ein einfacher Kuss von ihm mehr aus, als wenn eine Frau mir einen gab? War das nicht schon eindeutig?

Meine Hände vergriffen sich in seinen Haaren und meine Beine drängten sich noch fester um ihn herum. Erneut entwich mir ein Stöhnen. Er ließ von meinem Mund ab und fing an sich meinen Hals entlang zu küssen und ließ gleichzeitig seine Hüften kreisen. Ich legte meinen Kopf zu Seite, sodass er besser ran kam und drängte mich keuchend seinen Bewegungen entgegen. Hände fuhren unter mein Shirt, strichen mir über den Bauch, kniffen mir in die Brustwarze. Als er mir an dem Piercing zog, keuchte ich laut auf.

„Ich stehe auf Piercings“, raunte er gegen meine Haut. Ich war nicht schwul! Wieso fühlte es sich dann so gut an? Es ergab einfach keinen Sinn für mich. Mein Ständer drückte unangenehm gegen die Hose und Dryer schien es nicht anders zu ergehen.

„Mach weiter, ich …“

„Luke? Dryer?“, unterbrach mich Leos Stimme und das darauf folgende Klopfen. Dryer fluchte leise.
„Wehe, du weichst mir jetzt wieder aus!“ Fest sah er mir in die Augen. Eingeschüchtert nickte ich und hatte kurz darauf wieder Boden unter meinen Füßen.

„Wie sehe ich aus?“, fragte ich Dryer und richtete schnell meine Kleidung.
„Durchgefickt“, meinte er amüsiert und riss die Tür auf. Leo stand mit erhobener Hand dort. Bereit erneut zu klopfen. Tränen schwammen in ihren Augen. Sie blinzelte sie aber tapfer weg und sah von mir zu Dryer. Dann fiel ihr Blick auf seine zerzausten Haare, die rot geküssten Lippen und den Ständer, den man deutlich durch die Hose durch sah. Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber direkt wieder. Unruhig wandte sie sich an Dryer.
„Kannst du uns bitte für einen Moment alleine lassen Marcy?“ Er nickte verständnisvoll und lief nach unten. Leo sah mich gequält lächelnd an.
„Möchte ich wissen, was da grade eben passiert ist?“ Ich verneinte lachend und schüttelte zur Verdeutlichung den Kopf. Ich wusste es ja noch nicht einmal selber genau.
„Was ist los?“ Besorgt sah ich sie an. Erst schienen die Worte nicht raus zu wollen, doch dann sprudelte alles wie ein Wasserfall aus ihr heraus.

„Sam hat mich geküsst. Ich weiß nicht was ich machen soll. Ich meine ich stehe schon so lange auf ihn, aber ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass er auch etwas für mich empfinden könnte. Das heißt, ich weiß noch nicht einmal ob er etwas für mich empfindet. Ich weiß nur, dass er mich geküsst hat. Glaubst du er meint es ernst? Oder will er nur jemanden für eine Nacht? So wie immer?“, fragte sie mich hilfesuchend. Überrumpelte stand ich da und wusste nicht wo ich anfangen sollte.
„Du stehst schon länger auf Sam?“, fragte ich sie das erste was mir in den Sinn kam, woraufhin sie verlegen nickte.

„Warum hast du mir nie etwas gesagt?“, fragte ich sie leicht verletzt. Ich erzählte ihr, dass ich einen Kerl geküsst hatte und dass es mir gefallen hatte und sie konnte mir nicht erzählen wenn sie sich in meinen besten Freund verknallte?

„Ich wusste nicht ob du es Sam sagst“, flüsterte sie beschämt. Kopfschüttelnd zog ich sie in meine Arme.

„Das hätte ich nie gemacht“, versicherte ich ihr. Und Sam würde sie nie im Leben küssen, wenn sie ihm nicht wirklich viel bedeutete. Dafür war sie ihm viel zu wichtig, genauso wie mir. Entschlossen packte ich sie an der Hand und riss sie hinter mir her, die Treppe hinunter. Wehrlos stolperte sie hinter mir her. Als ich vor Sams Zimmer stehe blieb, versuchte sie sich zwar aus meinen Griff zu befreien, aber ich ließ es nicht zu. Das musste geklärt werden. Jetzt. Sonst endeten die beiden am Ende noch wie Dryer und ich. Und das wünschte ich den beiden wirklich nicht. Dryer schlich die ganze Zeit um mich herum und ich hatte einfach keine Ahnung wie ich darauf reagieren sollte. Ohne anzuklopfen marschierte ich in das Zimmer. Sam lag mit dem Rücken auf dem Boden, einen Arm über dem Gesicht und alles andere als fröhlich aussehend. Er rührte sich noch nicht einmal als ich reinkam.

„Alles klar, Sam?“, fragte ich ihn vorsichtig.

„Nein“, kam es wütend von ihm. Ich habe es verbockt. Ich wusste das es so kommen würde, aber ich konnte mich einfach nicht zurück halten.“ Leo stand stumm neben mir und hin wie gebannt an Sams Lippen.

„Seit wann stehst du auf sie?“, fragte ich leise. Ich wusste, es war gemein ihn so auszutricksen, aber sonst würden die beiden noch ewig aneinander vorbei laufen. Und ich würde es ihnen gönnen wenn sie zusammen kämen, solange sie mich dann nicht wie das fünfte Rad am Wagen behandelten, aber das würden sie nicht. Da war ich mir sicher.

„Erinnerst du dich noch als wir in der zehnten Klasse Flaschendrehen gespielt haben? Ich musste sie küssen.“ Oh ja, daran erinnerte ich mich noch gut. Sie hatten danach eine Woche lang nicht mehr miteinander gesprochen.

„Seit dem Tag“, meinte er gepresst. „Und ich habe mich nie getraut. Genau aus diesem Grund.“ Immer noch blickte er nicht zu uns auf.
„Warum sagst du es ihr nicht einfach?“, fragte ich leise, mir bewusst das Leo alles mithörte.

„Gott, sie würde mich doch zum Mond schießen. Ich bleibe lieber bei meinem winzigen Funken Hoffnung, anstatt mir in die Eier treten zu lassen“, schnaubte er verzweifelt. Ich lachte leise auf und schüttelte den Kopf.
„Vielleicht ist das die falsche Entscheidung“, meinte ich.

„Wie meinst du das?“, fragend blickte er zu mir auf und erstarrte im nächsten Moment. Erschrocken erhob er sich und sah Leo mit großen Augen an. Dann funkelte er mich wütend an.

„Was soll das?“ Er schien noch mehr sagen zu wollen, doch Leo kam ihm zuvor.

„Ich denke Luke hat Recht“, flüsterte sie leise. Er brauchte eine Weile, bis er das Gehörte verstand. Dann fing er an über das ganze Gesicht zu strahlen. Leise entfernte ich mich aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter mit. Den Rest würden die beiden schon alleine schaffen.

Ich lief los und machte mich auf die Suche nach Dryer und wurde auch schnell fündig. Er stand in der Küche und plünderte den Kühlschrank.
„Hey, bist du mit deinem Auto hier?“, fragte ich ihn verlegen und sah auf meine Füße. Eine warme Hand schloss sich um mein Kinn und zog es nach oben.
„Viel besser. Ja, bin ich. Warum fragst du?“ Ich lächelte ihn schief an.

„Sam hat mich vorhin gefahren und ehrlich gesagt suche ich jemanden, bei dem ich mich mit ins Auto schmuggeln kann“, erklärte ich ihm.

„Du musst dich nicht rein schmuggeln. Ich nehme dich auch so mit“, lachte er und griff sich seine Schlüssel vom Tisch. Schnell zogen wir unsere Schuhe an und stiegen ins Auto.

„Du musst mir aber sagen wo ich lang fahren muss“, meinte er und ich nickte. Er startete den Motor und fuhr los. Zehn Minuten später hielt er direkt vor meiner Haustür an und stieg aus. Verwirrt tat ich es ihm gleich.
„Warum steigst du aus?“ Fragend sah ich ihn an.

„Ich komme noch mit rein“, sagte er selbstverständlich und lief auf die Tür zu.

„Nein Dryer, warte!“, rief ich und hielt ihm am Arm zurück. Ich hatte keine Ahnung ob irgendwer zu Hause war.

„Ich habe schon nicht vor deinen Eltern zu sagen, dass wir was am Laufen haben, okay?“, sagte er und verdrehte die Augen. Wir hatten was am Laufen? Überrumpelt nickte ich und ehe ich mich versah, hatte er mir auch schon den Schlüssel aus der Hand gerissen und schloss auf. Kaum standen wir auf dem Flur, kam mein Vater mir entgegen.

„Lukas! Streng dich gefälligst mehr in der Schule an! Ich komme nach Hause und will mir einen entspannten Tag machen und was bekomme ich stattdessen? Einen Anruf von euren Schulleiter der mir weiß macht, dass du dieses Schuljahr noch nicht einmal pünktlich im Unterricht warst! Weißt du was ich mir alles anhören musste?“, fuhr er mich an und baute sich bedrohlich vor mir auf.

„Dad, das ist Dryer. Ein Freund“, stellte ich ihn beschämt vor und kratzte mich am Nacken. Verblüfft blickte mein Vater zu Dryer, als würde er ihn jetzt erst bemerken. Er ignorierte Dryers ausgestreckte Hand und schrie mich wieder an:

„Sag mir nicht, dass ich den jetzt hier auch noch ertragen muss?“ Ich fuhr bei der Lautstärke erschrocken zusammen. Dryer sah mich erstaunt an und ich warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. So hatte er sich das bestimmt nicht vorgestellt. Wahrscheinlich wollte er einfach nur meine Familie kennen lernen. Und dann das hier.

„Musst du nicht Dad, ich ziehe doch sowieso die Woche aus“, versucht ich ihn zu beruhigen, was aber nach hinten losging.
„Du … Was?“, fragte er bedrohlich ruhig. Unwohl sah ich ihn an.

„Ja, wir haben jetzt eine Wohnung gefunden. Das habe ich dir aber auch schon erzählt.“ Ich versuchte mich an ihm vorbei zu schieben, doch er drückte mich gegen die Wand. Hinter ihm sah ich wie Dryer mit finsterem Gesichtsausdruck auf ihn zuging, doch ich schüttelte den Kopf. Das war mein Kampf. Wie konnte ich Dryer nur wieder in die Augen schauen?

„Vergiss es, du bleibst hier!“, hauchte mein Vater mich an. Roch ich da Alkohol?

„Bist du betrunken?“, fragte ich leise.

„Hast du was dagegen, du kleiner Nichtsnutz?“ Wütend stierte er mich an. Seine Augen wirkten glasig. So verhielt er sich nie! Die eine oder andere Ohrfeige war dazwischen, aber noch nie hatte er mich beleidigt.

„Ja, habe ich. Ich kann deine Fahne bis hier riechen!“, machte ich meiner Wut Luft. Wütend stieß er mich noch einmal hart gegen die Wand, ehe er ins Wohnzimmer torkelte.

„Wie viel hast du getrunken?“, fragte ich ihn. Dryer versuchte mich am Arm zurück zu halten, doch ich riss mich los.

„Das geht dich nichts an!“, schrie er und kam auf mich zu. „Verschwinde aus meinen Augen, Sohn!“ Höhnisch sah er mich an.

„Aber …“, fing ich an zu sprechen, wurde aber sofort durch sein Geschreie unterbrochen.
„Kannst du nicht einmal deine Klappe halten?“, schrie er, holte aus und schlug mir mit geballter Faust ins Gesicht. Mit einem Schrei taumelte ich zurück und hielt mir ungläubig meine Wange. Mein Kopf dröhnte, die Sicht verschwamm vor meinen Augen und ich brauchte erst mal einen Moment, bis dass geschehene meinen Kopf erreichte. Mein Vater hatte mich geschlagen! Er hatte mich wirklich geschlagen. – Mit der Faust!

„Glaub ja nicht, dass du mich hier wieder siehst!“, flüsterte ich erstickt, griff nach Dryers Arm und zog ihn nach oben in mein Zimmer. Ich knallte die Tür so stark zu, dass die ganze Wand bebte. Dieses verdammte Schwein! Wütend schlug ich gegen die Wand. Und weil es sich so gut anfühlte gleich nochmal und nochmal. Den Schmerz, welcher fast augenblicklich in meiner Hand explodierte, ignorierte ich. Stattdessen holte ich erneut aus. Doch grade als ich erneut zuschlagen wollte, schlangen sich kräftige Arme um meinen Körper und zogen mich weg.
„Lass mich los!“, fuhr ich ihn wütend funkelte ihn an. Ich wollte irgendetwas zerstören. Nein, ich musste etwas zerstören! Meine Wut freien Lauf lassen.

„Nein“, war seine schlichte Antwort. Er drehte mich in seinen Armen, so dass ich mit dem Gesicht zu ihm blickte. Vorsichtig strich er über meine Wange. Dabei sah er aus als ob er am liebsten jemanden umbringen wollte. Und ich wusste auch genau wer das war. Ich konnte nicht wiedererstehen und schlang für einen kurzen Moment meine Arme um ihn. Meinen Kopf legte ich an seiner Brust ab. Tief atmete ich ein und versuchte das passierte zu verdrängen. Darin war ich gut. Dinge zu verdrängen war einfacher, als sich ihnen zu stellen. Seine Arme schlangen sich fest um mich und gaben mir für einen Moment Halt. Kurz darauf löste ich mich von ihm.
„Es wäre super wenn du mich wieder zurück fahren könntest“, flüsterte ich und suchte einige Sachen zusammen. Eine Isomatte, ein paar Klamotten und Süßigkeiten und Trinken. Schaden konnte es nicht. Besorgt sah Dryer mich an.

„Ich denke wir sollten erst mal deine Hand versorgen. Dein Auge auch.“ Ich sah auf meine Hand hinunter. Getrocknetes Blut klebte an ihr und die Knöchel verfärbten sich schon jetzt.

„Schlägt dein Vater sich schon länger?“, versuchte er neutral zu fragen, aber ich hörte den frostigen Unterton in seiner Stimme.

„Nein, das war das erste Mal“, flüsterte ich und schulterte meinen Rucksack.

„Komm mit“, sagte Dryer und lief auf die Tür zu.

„Du kommst mit?“, fragte ich und konnte den hoffnungsvollen Ton in meiner Stimme nicht ganz verbergen. Das Letzte was ich grade wollte, war alleine sein.
„Als ob ich dich jetzt alleine lassen würde“, meinte er knapp und hielt mir die Tür auf. Wir schafften es unbemerkt aus dem Haus und ich schloss die Haustür hinter mir zu. Dieses Mal endgültig.

 

 

Kapitel 7:

 

„Fuck!“, zischte ich und zog meine Hand weg. Wieso sagte mir niemand, dass es SO sehr wehtun würde, die Hand zu desinfizieren?

„Halt still“, murmelte Dryer, ehe er meine Hand zurückzog. Obwohl ich nur noch schlafen wollte, bestand Dryer darauf meine Hand zu versorgen. Nun saß ich hier, auf einen Stuhl, mit Dryer zwischen meinen Beinen kniend und einem Ständer der drohte meine Hose zu zerreißen. Es war schon bedenklich, warum ich in so einer Situation überhaupt reagierte.

Er schien von alledem nichts zu bemerken, denn er blickte hochkonzentriert auf meine Verletzung. Diese Position hatte eindeutig etwas Verwegenes an sich. Wenn ich mir nur vorstellte das Dryer sich vor lehnte und … Vorsichtig drehte er meine Hand.
„Das wird einige Tage zum verheilen brauchen“, murmelte er und stützte sich mit der Hand auf meinem Oberschenkel ab. Erstarrt saß ich da und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Aus dem Nichts zauberte er einen weißen Verband und begann ihn um meine Hand zu wickeln. Nicht fähig weiter ruhig zu bleiben, zuckte meine Hand weg. Dryer warf mir einen warnenden Blick zu, sagte aber nichts. Sein Geruch stieg mir in die Nase und ich atmete tief ein. Wie konnte jemand nur so gut riechen? Bildete ich mir das nur ein, oder kam er immer näher? Zum Zerreißen angespannt krallte ich meine freie Hand in den Stuhl. Seine Nähe machte mich nervös, ließ mich unruhig herum zappeln.

„Luke, jetzt halt endlich still!“, mahnte er mich.

„Ich halte doch still“, rief ich und riss die Hand nach oben. Entschuldigend lächelte ich ihn an, ehe ich die Hand zurück in seine legte. Es war wirklich keine gute Idee gewesen gegen die Wand zu schlagen. Meine Hand pochte, schwoll an und war an etlichen Stellen aufgeschürft. Eine kurze Zeit schaffte ich es ruhig auf dem Stuhl zu sitzen, ehe ich wieder anfing herum zu zappeln. Es war mir unangenehm mit einem Ständer in der Hose vor ihm zu sitzen. Innerlich betete ich, dass er es nicht bemerkte. Ruckartig ließ er meine Hand los und knallte seine auf meine Oberschenkel. Erschrocken zuckte ich zusammen.
„Was ist mit dir los? Ich kann dir nicht helfen wenn du nicht mal für eine Minute still sitzen kannst“, fuhr er mich an. Dabei sah er mir fest in die Augen. Augenkontakt war für ihn wichtig, es war mir schon vorher aufgefallen, trotzdem konnte ich seinem Blick nicht standhalten.
„Nichts“, nuschelte ich und hielt ihm meine Hand wieder hin. Erschrocken keuchte ich auf, als sich seine Hand, statt nach meiner zu greifen, auf meinen Schritt legte. Sanft knetete er mich durch die Hose hindurch. Stöhnend wölbte ich mich ihm entgegen.

„Weißt du, ich bin nicht blind. Aber ich werde jetzt ganz sicher nichts machen, was du später wieder bereust“, stellte er entschlossen fest. Ich sah ihn enttäuscht an. Mein Schwanz pochte schmerzhaft in meiner Hose und in diesem Moment wollte ich nichts anderes, als Erlösung. Unwillkürlich stellte ich mir vor wie es wäre, seine Hand auf nackter Haut zu spüren.

„Luke.“ Sanft nahm er mein Gesicht in seine Hände. „Das ist kein gutes Ventil um deine Wut abzubauen.“

„Aber um zu vergessen“, sagte ich leise und war überrascht wie leicht mir die Worte von den Lippen gingen. Normalerweise hielt ich mich immer zurück wenn es um mich oder meine Gefühle ging. Aber Dryer hatte Recht: Ich war wütend.

Ich war wütend auf Tessa. Ich war wütend auf meinen Vater und auf mich selber. Ich war sogar wütend auf Dryer, obwohl es dazu gar keinen Grund gab.
„Willst du reden?“, fragte er vorsichtig und verband meine Hand fertig. Augenblicklich verschloss ich mich vor ihm. Ja, ich wollte reden, aber ich konnte es nicht. Nicht mit ihm. Ich musste mit einem Freund sprechen und Dryer war, ob ich es zugeben wollte oder nicht, mehr als nur ein Freund. Aber auch mit Sam oder Leo wollte ich nicht darüber sprechen. Eigentlich wollte ich mich nur unter meiner Bettdecke verkriechen und weinen. Am besten mit jemanden zusammen, an den ich mich kuscheln konnte. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass mein Vater mich geschlagen hatte. Ich wusste es, ich fühlte es, spürte die Schmerzen, welche sich deutlich in meinem Gesicht und meiner Hand ausbreiteten, aber trotzdem kam es nicht wirklich bei mir an. Wie in Trance ließ ich mich von Dryer hochziehen. Meine Erregung war vergessen, genauso wie alles andere. Wie bestellt und nicht abgeholt stand ich in meinem Zimmer und wartete darauf, dass Dryer mit meiner Isomatte und Bettdecke wieder zurückkam. Erschöpft ließ ich mich an der Wand hinunter rutschen. Ich fing an zu zittern und schlang die Arme um meinen Körper. Kälte strömte auf mich ein, schien jede Zelle von meinem Körper zu besetzen. Mit einem trockenen Schluchzer ließ ich den Kopf nach hinten, gegen die Wand sinken. Ich hasste meinen Vater. Es war das erste Mal, dass ich sicher sagen konnte, dass ich jemanden wirklich hasste. Das Chaos das sonst in meinem Kopf herrschte, wurde von kalter, beklemmender Leere verdrängt. Ausdruckslos starrte ich vor mich hin. Wie sollte es jetzt weitergehen? Mein Vater war immer noch dazu verpflichtet mir Unterhalt zu zahlen. Das würde ich schon alles hinbekommen. Aber was war mit meinen alten Sachen? Den Erinnerungen an meine Mom? Wie sollte ich an meine Sachen kommen, wenn ich ganz sicher nicht mehr einen Fuß in dieses Haus setzten würde?

Dryer kam zurück in den Raum und breitete die kleine Isomatte auf dem Boden aus. Das würde eine unbequeme Nacht werden. Die Bettdecke landete oben drauf und mein Rucksack wurde in eine Ecke verfrachtet. Dryer kam auf mich zu und erst als er vor mit stehen blieb, blickte ich zu ihm auf. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, war mir aber ziemlich sicher, dass er keine Ahnung hatte, was er machen sollte. Umso überraschter war ich, als er mich entschlossen hochzog, mir vorsichtig das Shirt über den Kopf zog und mich dann bestimmt auf die Matte drückte. Stumm ließ ich es über mich ergehen, dass er mir die Hose von den Beinen zog. Wie eine Puppe wurde ich ausgezogen und zurechtgelegt. Erneut fing ich an zu zittern. Nicht weil mir kalt war, sondern weil ich mich komplett überfordert fühlte. Dryer, mein Dad, Tessa, es war einfach zu viel auf einmal. Aus dem Augenwinkel sah ich wie Dryer sich ebenfalls auszog. Dann hob sich die Bettdecke erneut und er schlüpfte darunter.
„Luke.“ Mechanisch drehte ich meinen Kopf zu ihm herum. Ich wollte gar nicht wissen wie mein Gesicht aussah. Durch das rechte Auge konnte ich nicht mehr viel erkennen, da es zugeschwollen war.

„Friss es nicht in dich hinein. Das ist das Schlimmste was du grade tun kannst. Verdrängung ist kein Weg“, flüsterte er einfühlsam. Mein Herz pochte laut, meine Hände waren schweißnass und mein Magen hatte sich zu einem unangenehmen Knoten zusammen gezogen. Vorsichtig wurde ich an eine breite Brust gezogen. Hilflos schlang ich meine Arme fest um ihn herum und drückte mein Gesicht fest gegen seine Haut. Minuten lang lagen wir einfach nur stumm da. Keiner sagte ein Wort, nur seine Hand strich beruhigend über meinen Rücken.

„Möchtest du das ich heute Nacht hier bleibe?“, fragte er leise, sich meiner Antwort wahrscheinlich schon bewusst. Ich antwortete nicht. Ich versuchte es, aber kein Ton kam über meine Lippen. Ich rückte noch näher an ihn heran, versuchte in ihn hinein zu kriechen. Dryer schob ein Bein zwischen meine und legte seine Hand in meinen Nacken. Sanft fing er an meinen Nacken zu kraulen und erst da fiel mir auf, dass ich angefangen hatte zu weinen. Verzweifelt krallte ich mich an ihm fest, versuchte nicht einmal mein Schluchzen zu unterdrücken. Die kräftigen Arme ließen mich nicht wieder flüchten. Sie gaben mir Sicherheit. Völlig fertig mit meinen Nerven ließ ich mich fallen. Dryer würde mich auffangen, da war ich mich sicher.

 

 

Kapitel 8:

 

Ein Klingeln riss mich aus meinen, nicht grade erfreulichen Träumen. Mit geschlossenen Augen tastete ich nach meinem Handy und traf prompt auf eine warme Brust. Dryer murmelte etwas Unverständliches und zog mich dann näher an sich heran. Wir lagen immer noch so, wie wir eingeschlafen waren. Ich, mit meinem Gesicht an meiner Brust und er hatte sich um mich herum geschlungen. Langsam öffnete ich meine Augen und griff gezielt nach meinem Handy. Ohne einen Blick auf den Display zu werfen, ging ich ran.

„Ja?“, flüsterte ich in das Telefon.

„Luke? Wo bist du? Ich stehe schon seit Fünf Minuten vor deinem Haus und niemand macht mir auf“, beschwerte sich Sam laut.

„Mir geht es nicht so gut. Ich komme heute nicht in die Schule“, nuschelte ich. Es war zwar nicht ganz die Wahrheit, aber gelogen war es auch nicht. Ich konnte ihm später alles erklären, wenn ich richtig wach war und selber alles verstanden hatte.

„Du hättest mir wenigstens aufmachen können. Weißt du es ist verdammt kalt und ich kann mir besseres vorstellen, als den Morgen damit zu verbringen vor deiner Haustür zu campieren“, meinte er. Leise entschuldigte ich mich und legte auf. Dafür war es eindeutig zu früh. Ich würde ihn später zurück rufen – wahrscheinlich.

„Wer war das?“, kam es verschlafen von Dryer. Seine Stimme klang noch rau vom Schlaf.

„Sam. Tut mir leid, ich wollte dich nicht aufwecken“, flüsterte ich entschuldigend. Er grummelte nur und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. Stöhnend bewegte ich mich. Die Isomatte war alles andere als gemütlich. Ich wusste jetzt schon, dass ich den ganzen Tag über Muskelkater klagen würde. Dryer war auch nicht grade der leichteste Mensch, obwohl ich mehr auf ihm lag, als er auf mir.

„Was wollte er?“, kam seine Antwort verspätet.

„Mich zur Schule abholen“, fasste ich das Gespräch zusammen.

„Wir gehen heute aber nicht“, nuschelte er und ich konnte nur bestätigend an seine Brust nicken.

„Habe ich ihm auch gesagt.“ Seine Hand fing an sanft über meinen Rücken zu streichen. Wann hatte ich angefangen solche Berührungen zu erlauben? Sie zu genießen? Seit wann machte es mir nichts mehr aus mit einem Mann im Bett zu liegen? Meine Hand krallte sich in seinen Rücken, während ich darüber nachdachte. Ich wusste es nicht. Ich hatte keinerlei Ahnung wie es zu alldem hier gekommen war. Ich sollte mich vielleicht einfach damit abfinden.
„Worüber denkst du nach?“, flüsterte Dryer in mein Ohr. Warm strich sein Atem über meine Haut.
„Ich … ach, keine Ahnung. Irgendwie über alles. Über uns.“ Ich rückte ein Stück von ihm weg und sah ihn an. Dryers Gesicht wurde erst wütend, dann ausdruckslos. Verwirrt sah ich ihn an.

„Was ist?“, fragte ich. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Langsam hob er die Hand und strich vorsichtig über meine Wange, bis hin zu meinem Auge.

„Dein Vater hat dich ganz schön erwischt“, knurrte er und seine andere Hand quetschte meine Hüfte. Erschrocken riss ich meine Augen auf.
„Bitte sag nicht das ich ein blaues Auge habe?“ Ich ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. Fluchend löste ich mich aus seiner Umarmung und sprang, mehr schlecht als Recht, aus unserem improvisierten Bett. Hektisch taumelte ich ins Badezimmer und glotzte in mein Spiegelbild. Erschrocken fuhr ich mir über die Wange. Wie sollte ich das verdecken? Von meiner Wange bis zu meinem Auge, zog sich ein großer, blauer Bluterguss. Stöhnend vergrub ich meinen Kopf in meinen Händen. Das durfte doch nicht wahr sein. Wie sollte ich so zur Schule fahren? Was sollte ich auf die vielen Fragen antworten, die auf jeden Fall kommen würden? Das Geräusch von nackten Füßen, die auf Holzboden liefen erschien, dann schlangen sich kräftige um meinen Bauch und zogen mich an eine breite Brust.
„Hör auf zu grübeln. Außerdem finde ich, dass du mit dem Veilchen ganz schön verrucht aussiehst“, lachte Dryer und kassierte einen Schlag mit meinem Ellenbogen.
„Ich sehe aus wie ein Schläger!“, knurrte ich, lehnte mich aber trotzdem an ihn. Aus irgendeinem Grund gab mir seine Größe halt. Es war angenehm sich mal an jemanden anlehnen zu können.

„Ich würde sagen wir duschen erst mal, dann frühstücken wir und anschließend können wir weiter streichen. Das Pink schimmert immer noch durch die Wand durch.“ Unsere Blicke trafen sich im Spiegel. Ich nickte und senkte dann den Kopf. Ich sah wirklich schlimm aus! Seufzend trat Dryer einen Schritt zurück und drehte mich um. Seine Haare standen verwuschelt vom Kopf und er sah immer noch verschlafen aus.
„Mach dir nicht so viele Gedanken, die meisten werden es wahrscheinlich cool finden“, grinste er mich an. Ich verdrehte nur die Augen und lief zur Dusche. Wer würde bitte ein blaues Auge cool finden? Ich drehte mich wieder zu Dryer um und sah ihn abwartend an. Er schien mich zu verstehen und lief zur Tür. Anstatt jedoch nach draußen zu gehen, schloss er sie von innen ab und kam auf mich zu. Erschrocken quietschte ich auf, als ich auf die Waschmaschine gehoben wurde. Als ich wieder runter springen wollte, wurde ich von einer großen Hand aufgehalten, die mich bestimmt nach unten drückte.

„Was wird das denn?“, fragte ich verwirrt und ließ zu, dass er meine verbundene Hand in seine nahm. Vorsichtig wickelte er den Verband ab und besah sie sich. Meine Knöchel waren angeschwollen und offen.

„Woher hast du eigentlich Ahnung von so was?“, fragend hielt ich meine Hand hoch. Schlicht zuckte er mit den Schultern.

„Habe ich nicht. Falls es sich entzündet oder schlimmer wird, musst du zum Arzt“, klärte er mich auf. „Eigentlich solltest du das sowieso.“ Er lehnte sich vor und drückte mir einen sanften Kuss auf die Lippen. Überrumpelt sah ich ihn mit aufgerissenen Augen an, ehe ich ihn zaghaft erwiderte. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, löste er sich von mir.

„Lass uns duschen“, beschloss er.

Zusammen? Ich warf einen Blick auf Dryers nackte Brust. Dann wanderte mein Blick runter zu seiner Boxershorts. Ich konnte nicht mit Dryer zusammen duschen! Mit offenem Mund sah ich dabei zu, wie er sich schamlos auszog. Hektisch riss ich meinen Blick nach oben. Es war eindeutig zu früh am Morgen, um die Geschlechtsteile eines anderen Mannes zu sehen – und dabei erregt zu werden! Ohne auf meinen Widerstand zu achten, hob er mich von der Waschmaschine und ging vor mir in die Knie. Mit einem Ruck zog er meine Boxershorts herunter. Mit roten Wangen verschränkte ich meine Hände vor meinem Unterleib. Dryer grinste zu mir hoch und deutete mir an, aus der Boxer zu steigen. Widerwillig tat ich es und fand mich wenige Momente später, zusammen mit ihm unter der Dusche wieder. Das warme Wasser brannte auf meiner Hand und ich war kurz davor wieder aus der Dusche heraus zu springen. Das Einzige was mich davon abhielt, waren seine Arme, die mich eng umschlungen hielten. Blind griff er nach dem Duschgel, welches er mitgebracht hatte und verteilte es auf meinem Körper. Sanft strich er mir über die Schultern, meine Brust, meinen Hintern. Keinen Zentimeter ließ er aus. Zitternd gab ich mich seinen Händen hin. Ein Blick zwischen seine Beine zeigte mir, dass ich nicht der Einzige war, dem das Blut zwischen die Beine gesackt war. Mit dem Rücken an die Duschwand gelehnt, stand ich da und ließ mich von einem anderen Mann einseifen. Ich stand nackt mir Dryer in der Dusche! Unsicher hob ich meine Hand und ließ sie über seine Brust gleiten. Ich fühlte die Muskeln unter meinen Fingern, spürte wie er erzitterte, als ich über seine Hüfte strich. Mit der Zeit wurde ich mutiger und erkundete ihn, wie er mich zuvor. Ein leises Stöhnen entkam ihm, als ich mich vor lehnte um ihn zu küssen. Sofort kam er mir entgegen, presste mich bestimmt gegen die Wand und eroberte meinen Mund. Unsere Hüften rieben gegeneinander und ließen mich in seinen Mund keuchen. Atemlos löste er sich von mir. Entschlossen griff er zwischen uns.

„Dryer warte, ich …“, wollte ich ihn aufhalten, wurde aber von meinem eigenen Stöhnen unterbrochen. Blitze rasten durch mich hindurch, ließen mich am ganzen Körper beben. Fest umgriff er mich und ich war nicht zu mehr imstande, als meinen Kopf nach hinten zu legen und ihm meine Hüfte entgegen zu drücken. Seine Lippen fanden meine, seine Hand nahm einen schnelleren Rhythmus auf. Das Wasser prasselte unaufhörlich auf uns runter und spritze mir in die Augen. Sein Griff wurde fester und ich schloss meine Augen. Dann verkrallte ich meine heile Hand in seiner Schulter, stöhnte laut auf und kam in seine Hand. Augenblicklich wurden meine Wangen rot und ich ließ meine Augen geschlossen. Das war grade nicht wirklich passiert! Dryer lachte leise auf.

„Da hatte es wohl einer nötig.“ Gequält öffnete ich meine Augen und versuchte ihn beschämt von mir wegzudrücken. Er ließ es nicht zu und stahl sich einen Kuss, während er sich weiter rieb. Mit roten Wangen sah ich ihm dabei zu.

Er war die Personifikation von Erotik. Wasser lief ihm über sein Gesicht, folgte dem Verlauf seiner Brust und fiel schließlich von seinem Körper ab. Eine Hand stütze er neben meinem Kopf ab. Keuchend knabberte er sich an meinem Hals entlang und saugte sich schließlich an einer Stelle fest. Wenn das mal nicht ein Knutschfleck wurde. Wenige Minuten später wusch das Wasser unsere Beweisspuren weg. Entschuldigend grinste Dryer mich an.

„Das war eigentlich nicht geplant, aber ich konnte einfach nicht widerstehen.“ Wortlos stieg ich aus der Dusche und wickelte mich in ein großes Handtuch. Ich reichte ihm auch eins, ehe ich aus dem Zimmer lief. Hinter mir hörte ich Dryer fluchen. Mein Herz raste immer noch, mein Atem ging schneller als sonst und ich hatte keine Ahnung warum ich das grade getan hatte. War ich wirklich schwul, oder lag es einfach daran das ich geil war? Eigentlich konnte ich es mir nicht vorstellen, aber genauso wenig sah ich, dass ich schwul war. Aus meinem Rucksack kramte ich alte Klamotten und zog sie mir ungeschickt über. Als der Stoff meine Hand strich, zischte ich kurz auf. Ich lief in das andere Zimmer und schnappte mir eine Rolle. Dann fing ich an zu streichen und ignorierte alles um mich herum. Ich ignorierte, dass meine Hand schmerzte, dass ich Dryer mit meinem Verhalten wahrscheinlich verletzte und dass, das was ich hier tat albern war. Spätestens jetzt wusste ich die Antwort auf meine Frage. Wie konnte ich hetero sein, wenn mir das in der Dusche so sehr gefallen hatte? Aber die Wahrheit war, dass es mir einfach nur peinlich war. So früh war ich noch nie gekommen! Als ich fast mit der letzten Wand fertig war, kam Dryer ins Zimmer. Er sah schuldbewusst aus.

„Hör zu Luke, ich … Du streichst ohne Verband?“ Ich folgte seinem Blick auf meine Hand. Seufzend verschwand er aus dem Raum und kam wenige Minuten später, mit dem Erste-Hilfe-Kasten wieder zurück. Er legte ihn neben mir auf den Boden und deutete mir, mich hinzusetzten. Mit gesenkten Augen tat ich es. Wortlos ließ er sich neben mich nieder und griff nach meiner Hand. Mit einem Waschlappen löste er vorsichtig die wenige Farbe.

„Es tut mir leid“, durchbrach er die Stille während er sich sorgenvoll um meine Hand kümmerte. Überrascht sah ich nach oben und begegnete seinen Blick.

„Was tut dir leid?“ Hilflos fuhr er sich durch die Haare.
„Das in der Dusche, ich dachte du wolltest es auch und …“ Er hielt inne als er meine roten Wangen sah. Ich könnte mich dafür wirklich verfluchen. Er kniff die Augen zusammen und musterte mich.

„Du wolltest es auch“, stellte er mehr fest, als er fragte. Ich schluckte laut und nickte. Warum sollte ich lügen? Ja, ich wollte es. Vielleicht etwas zu sehr.

„Warum sitze ich dann die ganze Zeit unten in der Küche und habe ein schlechtes Gewissen?“ Er lehnte sich nach hinten und sah mich auffordernd an. Ich fühlte mich wie ein Schuljunge der wegen irgendwas gerügt wurde. Verlegen zuckte ich mit den Achseln. Keine Ahnung warum er in der Küche saß. Zusammengesunken hockte ich da und wich seinem Blick aus.

„Das Letzte mal als du mich nicht angucken wolltest war es dir …“ Er hob mein Kinn an und zwang mich ihn anzusehen. „… peinlich“, beendete er seinen Satz. Dann schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht.

„Es ist dir peinlich, dass du so früh gekommen bist, oder?“ Beschämt nickte ich. Wie war er da so schnell drauf gekommen? Wie war er überhaupt darauf gekommen?

„Kannst du noch sprechen?“ Ich schüttelte meinen Kopf. Sein Griff um mein Kinn wurde sanfter und das nächste was ich spürte, waren seine Lippen auf meinen. Zärtlich küsste er mich, ehe er anfing meine Hand zu fertig zu verbinden.

„Weißt du, es ist mir egal, dass du früh gekommen bist. Ich sehe das mal als Kompliment.“ Er zwinkerte mir zu und beendete seine Arbeit. Vorsichtig blinzelte ich zu ihm hoch.

„Danke“, meinte ich und wusste nicht ob ich meine Hand, oder seine Worte meinte. Er nickte schlicht und half mir dann hoch.

„Wollen wir zu Ende streichen und dann was essen?“, fragte er mich worauf ich bestätigend nickte.

 

***

 

Erschöpft sah ich Dryer dabei zu wie er mein Zimmer strich. Mit seinem Zimmer waren wir schon fertig und mit meinem hatten wir vor gut zwei Stunden angefangen. Während ich schwächelte, obwohl das untertrieben war, da ich kaputt auf dem Boden lag, schien es ihm überhaupt nichts auszumachen. Die Arme und Beine von mir getreckt kommentierte ich seine Arbeit.

„Du hast da eine Stelle vergessen“, neckte ich ihn. Er drehte sich um und zog eine Augenbraue hoch.

„Ich will ein schönes Zimmer haben, weißt du“, lachte ich und deutete auf die Wand. „Los, mach weiter.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und er drehte sich tatsächlich wieder um.

Ein paar Minuten sah ich ihm schweigend zu.

„Du bist ganz schön langsam, weißt du das? Außerdem hast du da schon wied … ahh“, lachend quietschte ich auf und wich dem Pinsel aus.

„Puh, das war ganz schön kna …“ Genüsslich verschmierte Dryer orange Farbe auf meiner Brust. Gott sei Dank trugen wir alte Klamotten. Ich richtete mich lachen auf.
„Ich habe nur versucht dir zu helfen!“, rief ich empört. Grinsend legte er eine Hand in meinen Nacken und zog mich zu einem Kuss zu sich.

„Natürlich!“, erwiderte er ironisch. Die Türklingel riss uns aus unserem Geplänkel. Überrascht sahen wir uns an.

„Erwartest du noch jemanden?“, fragte Dryer und zog mich mit hoch. Ich schüttelte den Kopf und lief los als es erneut klingelte. Neugierig öffnete ich die Tür. Vor mir stand ein großer, muskulöser Mann. Er trug einen blauen Overall über einem grauen Shirt, welches sich verdächtig spannte.

„Ja?“ Fragend sah ich ihn an.

„Sind Sie Herr Prescher?“, fragte er und musterte grinsend meine farbverschmierten Klamotten.

Ich nickte bestätigend.

„Dann habe ich hier eine Lieferung für Sie. Wenn Sie hier unterschreiben würden.“ Er hielt mir das Gerät vor die Nase.
„Was für eine Lieferung?“, fragte ich baff. Wann hatte ich etwas bestellt? Die Frage wurde mir direkt beantwortet, als zwei weitere, schwer bepackte Männer kamen. Meine Möbel waren da! Freudig unterschrieb ich.

„Das ging aber schnell“, entfuhr es mir verblüfft. Der Mann vor mir lächelte mich an.

„Ja, Sie haben Glück gehabt, wir hatten eine Lieferung in der Nähe und keiner von uns hatte Lust nochmal hier in die Pampa zu fahren.“ Verschmitzt zwinkerte er mir zu und blickte dann hinter mir, an Dryer vorbei in das Haus.
„In welches Zimmer sollen die Möbel gebracht werden?“, fragte er.

„Die Treppe rauf und dann das letzte Zimmer“, sagte ich und freute mich schon auf mein Zimmer. Dann hatte ich doch früher als gedacht, wieder ein richtiges zu Hause.

„Okay Süßer, wird erledigt“, meinte er und lief wieder nach draußen.

Süßer?

Aus den Augenwinkeln nahm ich war, wie Dryer ein grimmiges Gesicht zog.

„Was ist?“, fragte ich, nachdem ich mich ihm zugewandt hatte.

„Nichts“, grummelte er. Ich zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts weiter dazu.

„Komm, wir helfen beim Ausräumen. Dann geht es schneller“, forderte ich ihn auf. Ich wartete aber gar nicht erst auf eine Antwort, sondern zog ihn einfach hinter mir her.

„Können wir helfen?“, fragte ich den Kerl, welcher bei uns geklingelt hatte höflich. Er warf mir einen anzüglichen Blick zu.

„Oh, ich wüsste da eine Menge bei der du mir helfen könntest, aber erst mal kannst du das Paket rein räumen“, raunte er und deutete auf das am Boden stehende Paket. Ich nickte und hob es mit Dryers Hilfe hoch. Er zog ein Gesicht als hätte er in eine Zitrone gebissen.

„Was ist los?“, wiederholte ich meine Frage von vorhin.

„Ich mag diesen Kerl nicht“, schnaubte er und nickte zum LKW.

„Er ist doch ganz nett“, meinte ich verwirrt.

„Ein bisschen zu nett, wenn du mich fragst“, knurrte er die Antwort. Ich hatte keine Ahnung was er damit meinte, ließ es mir aber nicht anmerken. Mühselig schleppten wir den Karton nach oben. Das war, wie es aussah mein Schreibtisch. Wir legten den schweren Karton auf den Boden und liefen wieder nach unten.

„Kannst du mir kurz zur Hand gehen?“, rief der Lieferant. Ich nickte und packte mit an. Dryer beobachtete alles aus zusammengekniffenen Augen.
„Uff, danke. Grade in letzter Sekunde“, sagte er dankbar und zusammen trugen wir das Paket nach oben. Breit lächelte er mich an.

„Ich bin Dan“, stellte er sich vor, als wir das Paket ab luden. Lächelnd griff ich nach der angebotenen Hand.
„Luke“, erwiderte ich freundlich.

„So Süßer, bereit für was Neues?“ Zweideutig grinste er mir zu und musterte mich deutlich. Jetzt wusste ich was Dryer mit seiner Bemerkung meinte. Ich nickte schlicht und lief vor. Dabei konnte ich förmlich spüren wie sich sein Blick in meinen Hintern brannte. Auf dem Weg nach unten kam mir Dryer mit einem weiteren Möbelpacker entgegen. Er taxierte Dan genau. Ich warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu, den er nicht zu bemerkten schien. Eine halbe Stunde hievten wir die Pakete nach oben. Grade stellten Dan und ich eins der letzten auf den Boden. Mein Zimmer war schon komplett zugestellt, das mit dem Streichen würde sich jetzt etwas schwieriger gestalten, aber ich war sowieso fast fertig.

Mit einem räuberischen Grinsen kam Dan auf mich zu. Verunsichert wich ich zurück, bis ich die Wand hinter meinem Rücken spürte. Ein paar Zentimeter blieb er vor mir stehen. Wut kochte in mir hoch. Was erlaubte er sich eigentlich? Entschlossen drückte ich gegen seine Brust.

„Was soll der Mist?“, zischte ich ihn an und versuchte ihn von mir wegzudrücken. Leider blieb es auch bei einem Versuch.

„Du willst es doch auch, Süßer“, raunte er schleimig und rückte noch näher an mich heran. Verzweifelt schlug ich ihm in die Seite. Es schien ihn allerdings wenig zu stören.

„Ich mag es wenn sich meine Sexpartner ein bisschen wehren!“ Angewidert schrie ich leise auf.

„Ich habe einen Freund und jetzt lass mich los!“, fuhr ich ihn an, kurz davor laut los zu schreien.

„Der muss es ja nicht erfahren.“ Angewidert verzog ich mein Gesicht. Es schien ihn nicht weiter zu stören, dass ich rein gar nicht daran interessiert war mit ihm rumzumachen, denn er beugte sich vor um mich zu küssen. Ich drehte mein Gesicht zur Seite und kurz bevor seine Lippen meine Wange trafen, wurde er am Shirt zurück gezogen.
„Hast du ihn nicht gehört? Er hat einen Freund!“ bedrohlich baute Dryer sich hinter ihm auf. Hasserfüllt sah er ihn an und Dan blickte mit großen Augen zu ihm rauf.

„Schon gut man, ich wollte nur ein bisschen Spaß.“ Abwehrend hob er die Hände hoch.
„Verpiss dich, ehe ich mich vergesse!“, zischte er und schubste ihn grob Richtung Tür. Ohne ein weiteres Wort verschwand er.

„Danke“, sagte ich erleichtert. Ich wollte noch weiter reden, stockte aber, als mich Dryer's wütenden Blick traf.
„Was ist?“, fragte ich überrascht.

„Du hast nicht zufällig daran gedacht dich zu wehren? Oder zu schreien?“, fuhr er mich an. Wütend funkelte ich zurück.

„Ich bin keine hilflose Frau! Ich kann ganz gut auf mich selber aufpassen!“ Auch wenn das grade eben eindeutig nicht der Fall gewesen war. Ungläubig schnaubte er auf.

„Ja, das habe ich grade gesehen. Jeder vernünftige Mensch würde in dieser Situation um Hilfe rufen!“
„Dann bin ich halt kein vernünftiger Mensch!“, keifte ich. Er holte tief Luft und schien sich beruhigen zu wollen.
„Bist du in Ordnung?“, stieß er schließlich mit einem tiefen Seufzer aus.

„Ja“, hauchte ich. Seine kräftigen Arme schlossen sich um mich und zogen mich an seine Brust. Willig ließ ich es geschehen und genoss die Berührung.

„Sorry ich wollte dich nicht so anfahren“, nuschelte ich gegen seine Haut. Eine Hand strich mir über den Nacken.

„Ich dich auch nicht. Wir haben einfach beide einen Schrecken bekommen.“ Er gab mir einen kurzen Kuss.

„Also bin ich jetzt dein Freund?“, kam es erfreut von ihm. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
„Wenn du das denn möchtest?“, sagte ich und warf alle meine Bedenken einfach über Bord.

„Und wie ich das will!“, rief er erfreut aus und küsste mich innig.

 

 

Kapitel 9:

 

„Du machst es kaputt!“, rief ich entsetzt.

„Mach es doch selber!“, knurrte Dryer angepisst zurück. Das war doch lächerlich, nachdem wir die restlichen zwei Pakete hoch getragen hatten, hatten wir uns daran gemacht das Bett aufzubauen. Dryer, von sich selbst total überzeugt, meinte natürlich alles alleine machen zu müssen. Zwei Mal hatte das Holz beunruhigend geknackt, ehe ich ihm das Werkzeug aus der Hand gerissen hatte.

„Würde ich ja! Dafür müsstest du aber endlich mal von mir runter steigen!“, fuhr ich ihn an. Ich versuchte ihn wütend anzuschauen, was aber gründlich misslang, da ich mich nicht zu ihm umdrehen konnte.

Nach einer Weile der Verzweiflung, war es zu einer Rangelei gekommen, die ich natürlich wieder verlor. Ich hatte dabei zugesehen wie ein schlanker, wohl geformter, roter Plastikball elegant durch die Luft flog. Er hatte sich ein paarmal anmutig um die eigene Achse gedreht, ehe er mit einem klatschenden Geräusch gegen Dryers Wange krachte. Keine Ahnung wer den geworfen hatte.

Ich fand es auf jeden Fall lustig.

Er eher weniger.

Kurzerhand hatte er mich zu Boden gedrückt und eine Entschuldigung verlangt. Also lag ich hier jetzt schon seit mindestens einer halben Stunde auf dem Boden mit dem Gewicht von ihm auf den Rücken. Ich würde mich ganz sicher nicht entschuldigen!

Dafür war es viel zu lustig gewesen.

„Geh endlich runter! Du zerquetscht mich! Du bist nicht grade leicht, weißt du das!“ Ein leises Lachen ertönte und dann spürte ich einen dumpfen Schmerz auf meinem Hintern. Er hatte doch nicht grade …? Erneut ertönte das klatschende Geräusch und ich zuckte erschrocken zusammen.
„Hör auf mir auf den Hintern zu hauen! Das ist nicht lustig!“, knurrte ich. Statt einer Antwort fiel ein erneuter Schlag.

„Dryer! Lass den Scheiß!“ Eine warme Hand schob sich unter mein Shirt.

„Du bietest dich grade aber so schön an“, raunte er und ein Schauer lief mir den Rücken runter.

Hilflos genoss ich seine Berührungen.

„Wir sollten das Bett weiter aufbauen“, sagte ich mit rauer Stimme und räusperte mich kurz.

„Ich denke eher nicht“, lachte er und wieder sauste seine Hand auf meinen Hintern runter.
„Dryer!“, zischte ich. „Ich stehe nicht darauf, also lass den Scheiß!“ Trotz meiner Worte, regte sich etwas in meiner Hose.

„Woher willst du das wissen, wenn du es noch nie ausprobiert hast?“, grollte er über mir und fuhr bestimmt in meine Hose. Entschlossen buckelte ich weg und zischte laut, als sich seine Finger in meine Spalte wagten. Soweit war ich dann wirklich noch nicht. Sofort zog er seine Hand zurück. Dann stand er auf, aber nicht ohne mir noch einmal auf den Hintern zu hauen. Empört sprang ich auf. Meine Wangen waren gerötet und mein Rücken knackte unheilverkündend als ich mich streckte.

„Hast du zufälligerweise schlecht gelegen?“, lachte er mich aus.

„Mach das nicht noch einmal!“, kam meine gezischte Antwort. Grinsend wackelte er mit den Augenbrauen und überging mein Kommentar gekonnt.

„Du solltest dich das nächste Mal vielleicht ins Bett legen!“, lachte er und ich stürzte mich knurrend auf ihn. Lachend rangelten wir über den Boden, wobei wir bestimmt einige blaue Flecken verteilten und kassierten. Hier wurde ein Ellenbogen in die Rippen gedrückt, da krachte ein Arm auf den Boden. Und trotzdem hatte ich schon lange nicht mehr so viel Spaß. Ich holte grade aus und wollte ihn kitzeln, als ich grob von ihm runter gezerrt wurde.

„Was macht ihr denn für eine Scheiße!“, schrie Sam und Leo sah mit aufgerissenen Augen auf mein Gesicht. Sah ich wirklich so schlimm aus? Sam erging es nicht anders als er mich anblickte. Zischend zog er die Luft ein. Dann fiel sein Blick auf Dryer und er schubste mich förmlich hinter Leo, die sofort anfing vorsichtig mein Gesicht zu begrapschen.

„Wieso schlägst du meinen besten Freund! Er kann sich doch gar nicht wehren!“, brüllte Sam und baute sich zu seiner ganzen Größe auf.

„Hey“, mischte ich mich empört ein, wurde aber eiskalt übergangen.

„Aber ich kann das für ihn!“, rief Sam aus und schon stürzte er sich auf Dryer, der völlig verdattert zu mir sah und deswegen einen kräftigen Schlag in den Magen kassierte. Keuchend beugte er sich nach vorne.

„Sam lass das! Das war er nicht!“, rief ich beinahe panisch. Ich hatte ihm ja noch gar nichts von mir und Dryer erzählt. Hätte ich es mal getan … Sam schien mich nicht wahrzunehmen, weshalb ich ihn kurzerhand von Dryer riss, sowie er zuvor es bei mir getan hatte.

„Er hat mich nicht geschlagen! Das war mein Vater!“, rief ich. Augenblicklich wurde es still im Raum und Sam und Leo starrten mich schockiert an.

„Er hat was?“, fragte Leo geschockt. Ich murmelte etwas unverständliches vor mich hin und ging zu Dryer, welcher immer noch gebückt dastand.
„Alles in Ordnung?“ Besorgt musterte ich ihn. Sam hatte schon beim Herumalbern einen harten Schlag drauf, ich wollte gar nicht wissen wie sehr das grade wehtat.

„Ja, Scheiße, der Knirps hat einen harten Schlag drauf.“ Er nickte Sam anerkennend zu, welcher daraufhin sichtlich stolz guckte.
„Du brauchst dich gar nicht so zu freuen, ich finde es nicht so lustig, dass du meinen Freund schlägst!“, fuhr ich ihn an. Verblüfft sah Sam mich an.
„Dryer ist dein Freund? Aber du bist doch nicht – Du … du bist schwul?“, fragte er sichtlich überfordert. Hilfesuchend wandte er sich an Leo, die aber nur wissend lächelte. „Seit wann? Und wieso weiß ich davon nichts? Warum hast du mir nichts gesagt!“ Die Fragen strömten förmlich aus ihm heraus und ich sah ihm an, dass er enttäuscht war.

„Ich weiß es selber nicht“, sagte ich entschuldigend und zuckte mit den Schultern. „Und nein, ich bin nicht schwul. Oder ich war nicht schwul“, verbesserte ich mich selber. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion. Ich wusste, dass er nichts gegen Schwule hatte, aber es ist immer noch etwas anderes wenn es den besten Freund betrifft.

„Und ihr beide seid zusammen?“ Er deutete zwischen uns hin und her, woraufhin ich nickte.

„Warum schlagt ihr euch dann?“, fragte er deutlich verwirrt.

„Wir haben uns nicht geschlagen“, meinte ich lachend. „Nur ein bisschen gerangelt.“

Sam sah uns fest an, fast als wollte er sicher gehen, dass wir ihn nicht verarschten. Nach einer ganzen Weile zuckte er schlicht mit den Schultern.

„Okay. Sollen wir dir beim Aufbauen helfen?“, fragte er zögerlich, setzte dann aber fester dazu: „Dann kannst du uns auch erzählen warum zu Hölle dein Vater dich schon wieder geschlagen hat und diesmal …“

„Schon wieder?“, unterbrach Dryer ihn. Durchdringend sah er mich an. Sam nahm mir die Antwort ab.

„Ja, sonst waren es nur Backpfeifen, ich hätte nie von deinem Vater gedacht, dass er dich so schlägt.“ Sam sah aus als würde er meinem Vater am liebsten auch eine reinhauen. Irgendwie konnte ich ihn verstehen. Dryer nickte nur, aber ich wusste, dass er mich später darauf ansprechen würde.

„Dann lasst uns aufbauen“, rief Leo und ging zusammen mit Sam auf meinen Kleiderschrank zu.

„Wie wäre es wenn wir diesmal zusammen arbeiten und deine Unfähigkeit vergessen?“, meinte ich zuckersüß.

„Ich bin nicht unfähig, du hast einfach nur die ganze Zeit mit deinem süßen Hintern vor meinem Gesicht herum gewackelt“, beschuldigte er mich.
„Stimmt doch gar nicht!“, widersprach ich ihm mit roten Wangen. Leise lachte er auf und hielt mir die Bauanleitung unter die Nase. Dankend griff ich danach. Die nächsten Stunden verbrachten wir damit die Möbel aufzubauen und ich erzählte den beiden von meinem Vater. Die meisten Details ließ ich weg, aber grob setzte ich sie in Kenntnis. Erst als es Abend wurde, ließen wir erschöpft von den Möbeln ab. Bis auf den Schreibtisch war schon alles aufgebaut. Es wirkte schon langsam wie ein Raum in dem ich mich wohlfühlen konnte. Wir beschlossen ihn morgen aufzubauen und danach zusammen zu meinem alten zu Hause zu fahren, um meine alten Sachen zu holen. Viel gab es zwar nicht, aber einige Sachen wollte ich doch behalten.

 

***

„Wir könnten deine Sachen eigentlich auch jetzt noch schnell holen“, bot Dryer an, als wir gemeinsam in der Küche saßen. Unwohl wandte ich mich auf meinem Stuhl.

„Mir würde es auch reichen wenn wir das morgen machen würden“, wich ich ihm aus. Meinem Vater musste ich heute nicht unbedingt begegnen. Falls er denn überhaupt da war. Eigentlich wollte ich ihm gar nicht mehr begegnen.

„Dann hast du es hinter dir“, steuerte Leo Dryer bei. Ich sah sie unsicher an.
„Ich will da aber nicht noch einmal hin“, gestand ich leise. Zumindest wollte ich es jetzt noch nicht.

„Wenn du dich jetzt nicht überwindest, wirst du es nie tun“, meinte Sam und ich wusste, dass er Recht hatte, deswegen nickte ich widerwillig.

„Dann fahren wir beide gleich los“, bestimmte Dryer und stand auf. Nervös rückte ich meinen Stuhl zurück und stand auf. Sam und Leo lächelten mir aufmunternd zu, als wir gingen.

Im Auto rutschte ich unruhig auf dem Beifahrersitz herum und versuchte das bevorstehende zu verdrängen. Die Fahrt über herrschte bedrängendes Schweigen. Ich hoffte, dass mein Vater nicht zu Hause war und ich einfach nur meine Sachen nach draußen tragen musste. Zwei Häuser vor meinem, hielt Dryer an. Verwirrt drehte ich mich ihm zu.

„Wir müssen noch weiter“, erinnerte ich ihn.

„Ich weiß“, sagte er ruhig. „Nur Luke, versprich dir bitte nicht zu viel. Ich weiß das du eigentlich nicht mehr nach Hause willst, aber ich weiß auch, dass ein kleiner Teil von dir hofft, dass dein Vater dich auf den Knien anfleht wieder nach Hause zu kommen.“ Beschämt senkte ich den Blick. Auch wenn ich wusste, dass es nicht passieren würde, hoffte ich es. Wer würde das an meiner Stelle nicht.

„Tu mir bitte einen Gefallen und geh nicht zu nahe an ihn ran. Ein blaues Auge reicht“, flüsterte er und strich sanft über meine Wange. Wütend fegte ich seine Hand beiseite.
„Er würde nicht …“

„Was? Dich schlagen?“, fragte er mich ruhig und sein Blick schweifte zu meinem Auge. Meine Schultern sackten nach unten.

„Er war betrunken“, verteidigte ich ihn.

„Das ist keine Ausrede und das weißt du.“ Traurig zuckten meine Mundwinkel nach oben.

„Er hätte das nie getan“, flüsterte ich.

„Er hat es getan, Luke. Und jemand der einmal die Grenze überschritten hat, wird es wieder tun. Es tut mir Leid dir das sagen zu müssen, aber es ist so. Ich weiß ja nicht an wen du dich erinnerst, aber das ist nicht der Mann den ich gestern gesehen habe.“

„Ich vermisse ihn“, flüsterte ich erstickt. Fest drückte Dryer meine Hand.

„Nicht ihn. Ich vermisse meinen Dad. Der mit mir durch den Garten getobt ist und der der immer an meiner Seite war. Ich kann mich nicht an eine einzige Sache erinnern, an der er sich nicht auf meine Seite gestellt hat. Bis vor zwei Jahren. Ich habe ihn seitdem so gut wie nie mehr lachen gesehen“, klagte ich. Beschämt wischte ich mir mit der freien Hand über die Augen. Was musste Dryer nur von mir denken. Dauernd fing ich an zu heulen. Mit feuchten Augen sah ich ihn an.

„Ich weiß einfach nicht was ich machen soll. Auf einmal stehe ich ganz alleine vor meinem Leben. Ich habe noch nicht einmal eine Ahnung was ich nach diesem Jahr machen soll.“ Zittrig holte ich Luft und ließ mich sofort in die Arme von Dryer fallen, als er sie um mich schloss. Fest strich er mir über den Rücken.

„Du bist nicht alleine. Du hast Leo und Sam. Und du hast mich. Du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst!“ Schniefend nickte ich und löste mich von ihm.

„Lass uns weiter fahren“, sagte ich fest und überprüfte mein Aussehen im Autospiegel. Als schön könnte man mich grade nicht bezeichnen. Das blaue Auge stach mehr als alles andere heraus. Meine Augen waren rot, aber es hätte schlimmer sein können. Dryer fuhr die zwei Häuser weiter und stieg dann aus. Ich folgte ihm uns stand weniger Augenblicke später vor der Haustür. Mit zittrigen Fingern schloss ich auf. Ich ging gar nicht erst ins Wohnzimmer um zu gucken, wer zu Hause war. Ich lief schnurstracks nach oben und räumte meine Klamotten in meinen Koffer. Dryer half mir wortlos. Die Sachen aus dem Badezimmer wurden achtlos dazu geworfen, ebenso wie mein alter Laptop und meine Playstation. Am Ende liefen wir mit zwei Rucksäcken und einem großen Koffer die Treppe runter. Die Möbel konnte ich ja schlecht mitnehmen. Ich brauchte sie nicht, hätte sie zum Verkaufen aber trotzdem gerne gehabt. Grade als wir unten ankamen, öffnete sich die Haustür und mein Vater kam herein. Er stockte mitten im Schritt als er Dryer bemerkte. Dann fiel sein Blick auf mich und er riss die Augen erschrocken auf.

„Scheiße Luke, ich …“ Er ging auf mich zu, wurde aber von Dryer aufgehalten, der sich ihm in den Weg stellte. Dankbar versteckte ich mich hinter ihm. Wütend funkelte Dryer meinen Vater an. Dieser blieb verblüfft stehen und fuhr sich durch die spärlichen Haare.

„Könntest du mich kurz mit meinen Sohn alleine lassen?“, bat mein Vater leise.

Dryer sagte nichts. Er blieb einfach stehen und sah auf meinen Vater herunter. Ich glaube niemand würde sich mit Dryer anlegen, wenn er ihn so sah.
„Ich nehme das mal als nein“, nickte mein Vater und knetete seine Hände. Langsam schob ich mich neben Dryer. Es schien ihm nicht wirklich zu gefallen, aber er tat auch nichts.

„Was willst du?“, fragte ich meinen Vater und sah ihn abschätzend an.

„Mit dir reden“, rief er aufgebracht. „Ich wache heute Morgen auf und von dir ist weit und breit keine Spur mehr zu sehen. Was meinst du was ich mir für Sorgen um dich gemacht habe?“ Überrascht blinzelte ich. Er hatte sich Sorgen gemacht? Warum sollte er sich sorgen machen, er war schließlich derjenige, der mich geschlagen hatte. Dryer schien dasselbe zu denken, denn er schnaubte laut auf, ehe er sich in unser Gespräch einmischte.

„Vielleicht machen Sie sich nicht genug Sorgen um ihren Sohn!“, fuhr er ihn an. Trotzdem fiel mir auf das er dabei höflich blieb.

„Du mischt dich da mal gar nicht ein Bürschchen“, fuhr mein Vater ihn an. „Das ist eine Sache zwischen mir und meinem Sohn. Ich weiß ja nicht wieso du dich so aufspielst, aber da funktioniert hier so nicht!“ Der Kopf von meinem Vater lief rot an und auf seiner Stirn pochte eine Ader. Dryer blieb davon völlig unbeeindruckt.
„Es geht mich sehr wohl etwas an wenn sie Ihren Sohn schlagen. Sie können froh sein das er schon Achtzehn ist.“ Mein Vater sah aus als wäre er kurz davor mit dem Fuß auf den Boden zu stampfen.
„Was ich mit meinen Sohn mache geht sie gar nichts an!“, schrie er. Ich zuckte zusammen und schob mich schräg hinter Dryer. Und ich dachte noch, er wollte sich tatsächlich entschuldigen. Ruckartig griff ich nach Dryers Hand und zog ihn samt Koffer hinter mir her. Das alles ging so schnell, dass mein Vater gar nicht in der Lage war zu reagieren. Stur zog ich ihn bis zum Auto und warf die Sachen in den Kofferraum. Hinter uns hörte ich die Schritte meines Vaters.
„Wenn du jetzt denkst das du einfach abhauen kannst, hast du dich aber gewaltig geirrt!“, spuckte er mir vor die Füße. Müde schüttelte ich den Kopf.
„Ich haue nicht mehr ab. Ich gehe fort. Das ist ein großer Unterschied. DU hast dich gewaltig geirrt wenn du dachtest, dass ich bei dir bleibe, obwohl du mich schlägst. Eine Backpfeife hier, eine Backpfeife da. Okay, aber diesmal hast du es übertrieben“, erklärte ich ihm frostig. Ich wandte mich ab und lief zur Beifahrerseite. Mein Vater stand wie erstarrt da und rührte sich erst wieder, als Dryer den Motor startete. Ich kurbelte das Fenster runter.
„Trenn dich von ihr. Du suchst verzweifelt nach einen Ersatz für Mom. Du hast dabei die schlechteste Entscheidung getroffen die ging.“ Dryer fuhr los und wir ließen meinen Vater hinter uns. Zumindest für diesen Moment.

 

 

Kapitel 10:

 

Gähnend ließ ich mich auf meinen Platz im Bus sinken. Sam und Leo setzten sich mir gegenüber in dem Vierer und Dryer neben mich. Ich hatte die Klassenfahrt so gut wie vergessen. Es war so viel passiert, dass sie in meinen Gedanken einfach ganz nach hinten gerückt war. Als wir gestern zu Hause ankamen, waren Sam und Leo schon fertig mit packen und ihre Koffer standen im Eingang. Die beiden waren mit streichen noch nicht ganz fertig und verbrachten bis auf die Nächte, so gut wie die ganze Zeit hier. Also hieß es für mich erst mal Abschied von Dryer nehmen und packen. Die Nacht schlief ich alleine und schlecht auf der Isomatte, da ich noch keine Matratze hatte. Meine Laune besserte sich auch nicht als ich morgens in den Spiegel guckte und sah, dass mein Auge noch dunkler geworden war. Es würde in den nächsten Tagen wahrscheinlich in allen Farben schimmern. Den Verband nahm ich erst mal ganz ab. Duschen konnte ich damit sowieso nicht und die Wunden an meiner Hand waren schon verschorft. Morgens in aller Frühe fuhren wir dann zum Bahnhof, nur um festzustellen das Dryer sich mit der Uhrzeit geirrt hatte und wir zwei Stunden zu früh dran waren.

 

Ich warf Dryer einen bösen Blick zu. Warum hatte auch niemand von uns nachgefragt? Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Sam ihn ebenfalls grimmig betrachtete.

„Ach kommt schon, dass hätte jeden von uns passieren können! Lieber zu früh als zu spät!“, versuchte er sich zu rechtfertigen.

„Zwei Stunden“, knurrte Leo und holte ein großes Kissen aus ihrer Tasche, welches eigentlich gar nicht reinpassen konnte. Sie legte das Kissen auf Sams Schulter ab, lehnte den Kopf dagegen und schloss die Augen. Leo würde die Fahrt bestimmt nicht mehr ansprechbar sein, dachte ich schmunzelnd. Wenn es um ihren heißgeliebten Schlaf ging, verstand sie keinen Spaß.

Ich auch nicht.

„Weißt du was wir in den zwei Stunden alles hätten machen können?“, flüsterte ich ihm ins Ohr und fuhr mit meiner Hand, die auf seinem Oberschenkel lag, höher. Sein Kopf ruckte in meine Richtung und ich konnte mir ein Grinsen nicht unterdrücken. Meine Hand blieb gefährlich nahe an seinem Schritt liegen.
„Tja, zwei Stunden länger.“ Ich ließ den Satz in der Luft hängen und nahm meine Hand weg. Auch wenn ich die zwei Stunden wahrscheinlich einfach nur geschlafen hätte. Dryer beugte sich dicht an mich heran und flüsterte mir ins Ohr: „Weißt du ich hätte grade nicht wenig Lust dich übers Knie zu legen.“ Mit großen Augen sah ich ihn an. Stand er auf sowas? Obwohl gestern hatte er auch etwas Ähnliches angedeutet. Als er meinen perplexen Gesichtsausdruck sah, wuschelte er mir lachend durchs Haar.

„Das war ein Scherz“, grinste er. Ich lächelte ihn an, aber wirklich sicher ob es einer war, war ich mir nicht, weswegen ich seinen Kommentar auch einfach überging.

Gedankenverloren starrte ich aus dem Fenster. In der Scheibe spiegelte sich mein Bild wieder. Ich hatte mir einen Kapuzenpullover von Dryer ausgeliehen, der mir um einiges zu groß war. Für eine lange Fahrt genau das Richtige. Außerdem hatte er eine große Kapuze, die einen Schatten auf mein Gesicht warf, was eigentlich auch der Hauptgrund war, warum ich ihn angezogen hatte. Und weil er so verdammt gut nach ihm roch. Unauffällig atmete ich tief ein. Dann schloss ich müde meine Augen und schlief nach einer Weile ein.

 

Als ich wieder aufwachte, saß ich an Dryer angekuschelt und mein Kopf lag auf seiner Schulter. Meine Hand hatte sich mit seiner Verschränkt. An sich konnte ich eine Ewigkeit so bleiben.

„Na, auch endlich aufgewacht?“, kam es von Sam und er grinste mich an. „Ich habe übrigens ein paar echt süße Bilder von euch gemacht“, lachte er schadenfroh und wackelte mit seinem Handy. Ich zeigte ihm liebevoll meinen Stinkefinger und richtete mich langsam auf.

„Wie lange fahren wir schon?“, fragte ich ihn gähnend und sah nach einem kurzen Blick, dass Leo immer noch schlief.

„Circa drei Stunden. Weißt du wie langweilig das ist, wenn ihr alle schlaft?“, beschwerte Sam sich. Ich zuckte nur mit den Schultern und sah zu Dryer. Auch er war eingeschlafen. Mit leicht geöffneten Mund und zerzausten Haaren hatte er den Kopf nach hinten gelehnt. Ich fuhr mit meinen Daumen über seinen Handrücken und sah wieder zu Sam.
„Wie lange sollte die Fahrt denn dauern?“
„Ungefähr drei Stunden. Wir standen aber vorhin im Stau, ich denke mal wir sind in der nächsten Viertelstunde da“, beantwortete Sam meine Frage. Gähnend streckte ich mich. Es war ganz praktisch die ganze Fahrt zu überschlafen.

Keine zehn Minuten später waren wir schon da. Ich weckte Dryer auf und Sam, Leo. Dann packten wir unsere Sachen zusammen und standen kurz darauf mit den anderen Draußen und sahen uns verwirrt um. Hier war rein gar nichts. Ein großer Wald breitete sich vor uns aus in den nur ein schmaler Trampelpfad hineinführte.

„Hier ist doch gar nichts!“, beschwerte sich Timo lauthals. Ich konnte ihm nur zustimmen.

„Wie sollen wir denn hier zelten?“, erklang jemand anders aus meiner Klasse. Zelten? Wieso zelten?

„Ruhe!“, schrie die Tasse. Die Gespräche verstummten langsam. „Da ich jetzt endlich eure Aufmerksamkeit habe, kann ich ja auch erklären wie es weiter geht. Also, wir haben immer Zweierzelte dabei. Wenn man diesen Pfad weiter folgt, kommt man auf eine Lichtung. Das ist unser Ziel. Ich hoffe ihr habt alles mitgebracht was auf dem Zettel stand, sonst müsst ihr wohl leider die Woche auf dem Boden schlafen“, lachte sie.
„Welchen Zettel?“, fragte ich verblüfft. Augenblicklich hörte sie auf zu lachen.

„Du nimmst mich auf den Arm, oder?“, fragte sie, sichtlich genervt. Entschuldigend schüttelte ich den Kopf. Dryer kramte einen Zettel aus seiner Jackentasche hervor und hielt in mir unter die Nase. „Ich dachte du wüsstest es. Wurde ja schließlich oft genug um Unterricht erwähnt“, meinte er entschuldigend. Einen Schlafsack? Eine Isomatte? Dicke Klamotten?

Ich hatte nichts davon mit!

Verzweifelt sah ich zu Dryer. Dieser zuckte nur lachend die Schultern. Ich kniff die Augenbrauen zusammen und sah ihn finster an.

„Das ist nicht witzig! Du musst nicht auf dem Boden schlafen!“, fuhr ich ihn an. Wenn ein paar Einzelne noch mit sich selber beschäftigt waren, änderte sich das jetzt. Absolut jeder Blick lag auf uns.

„Nicht mein Problem“, lachte er und fing geschickt einen Schlag gegen den Arm ab. Wütend versuchte ich es noch einmal.

„Willst du wieder verlieren? Ich glaube das hatten wir schon mal.“ Ein spöttisches Lächeln legte sich auf seine Lippen.
„Verlass dich drauf!“, knurrte ich und wenige Augenblicke später wälzten wir uns auf dem Waldboden. Ich spürte wie mir die Kapuze vom Kopf rutschte. Lachend hielt Dryer mich fest.
„Gewonnen. Was kriege ich jetzt dafür?“ Zentimeter vor meinem Kopf hielt er inne.

„Die Suspendierung wenn du nicht sofort von ihm runter gehst!“, schrie die Tasse aufgebracht. Dryer zuckte erschrocken zusammen und mir erging es nicht besser. Die hatte ich ja vollkommen vergessen. Schnell rollte er sich von mir runter und ich hievte mich ächzend hoch. Ein Raunen ging durch meine Klassenkameraden, als ich meinen Kopf hob. Verlegen zog ich mir schnell wieder die Kapuze über. Doch sie wurde abrupt wieder von meinem Kopf gezogen. Skeptisch betrachtete Herr. Bolze mein Gesicht. Er war als Ersatzlehrer mitgekommen, schien sich bis jetzt aber nicht an unserem Geplänkel zu stören. Forsch wurde mein Kopf zur Seite gedrückt.

„War das Marcy?“, fragte er sachlich, ohne den Blick von mir abzuwenden.

„Nein!“, rief ich erschrocken aus. „War er nicht. Wieso sollte er mich schlagen?“

„Keine Ahnung, aber irgendwer hat dich ja geschlagen“, mischte sich die Tasse ein.

„Mein Gott, er ist Achtzehn. Da prügelt man sich halt mal!“, sprang mir Sam zur Hilfe.
„Der andere sieht viel schlimmer aus!“, lachte Leo und zwinkerte mir zu. Ein forscher Blick traf meine Hand. Ich hätte mich wirklich mit jemanden geschlagen haben können. Nur hatte ich niemanden geschlagen, sondern ich wurde geschlagen.

„Wir schlafen einfach in einem Zelt“, wechselte Dryer das Thema. „Dann ist das Problem gelöst.“ Ich konnte ihm nur zustimmen. Außerdem würde das bestimmt super werden. Nur wir beide eine Woche lang alleine im Zelt.

„Oh nein, das glaube ich nicht!“, zischte die Tasse. „Eigentlich solltet ihr zusammen in ein Zelt kommen, aber unter den Umständen ist das unzumutbar!“
„Was? Nein! Ich gehe mit ihn in ein Zelt!“, rief ich zu schnell und wohl auch etwas zu laut, denn meine Klasse fing an zu lachen.

„Marcy du gehst du mit Sam in ein Zelt, da er eigentlich alleine schlafen sollte“, sagte sie mit strenger Stimme. Sofort plusterte Sam sich auf.

„Warum sollte ich denn alleine schlafen?“, beschwerte er sich.

„Weil du schnarchst“, antwortete ich lachend und warf Dryer einen mitleidigen Blick zu.

„Dafür musst du jetzt alleine schlafen“, schlug Sam zurück.

„Muss ich nicht wirklich, oder?“, wandte ich mich an unsere Lehrerin.

„Doch musst du“, erwiderte sie schlicht.

„Aber alleine ist langweilig! Ich kann mich doch bei den anderen noch dazu quetschen!“, versuchte ich sie zu überzeugen. Aber sie schüttelte nur ablehnend den Kopf. Das konnte ja lustig werden. Während alle Spaß hatten, lag ich alleine in meinem Zelt und grübelte über mein Leben nach.

„Er kann sich gerne auf mich legen. Da habe ich nichts dagegen!“, warf Dryer, mit einem anzüglichen Grinsen auf dem Gesicht ein.

„Hier legt sich niemand auf jemanden“, fuhr Herr Bolze dazwischen. „Die Pläne sind schon ausgearbeitet und werden auch nicht mehr verändert.“ Wütend schnaubte ich auf, aber mein Zeltpartner durfte geändert werden, oder was?
„Da das jetzt geklärt ist, kann ich ja die restlichen Partner vorlesen“, patzte die Tasse und fing erneut an von ihrem Zettel vorzulesen. Nachdem alle zugeteilt waren, wurden aus dem Bus Zelte und Trinken geholt. Wie sollte ich das alles alleine tragen? Verzweifelt schulterte ich das Zelt, warf mein Gepäck ungelenk darüber und griff wankend nach dem Trinken. Dryer nahm mir netterweise einen Teil ab, so dass ich wenigstens vorwärts kam. Das war ja alles so gut von den Lehrern durchdacht. Nach einem zehnminütigen Fußmarsch erreichten wir die Lichtung. Mit offenem Mund sah ich mich, wie alle anderen um. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. In der Mitte war ein großer See, um den herum riesige Rasenflächen waren. An einer Ecke sah ich sogar ein Beachvolleyball Feld. Also doch keine kleine, pampige Lichtung.

„So, dort hinten“, sie zeigte über den See hinweg. „müsst ihr hin. Platz D ist für euch reserviert. Um zehn ist in Zimmerlautstärke zu sprechen und um Mitternacht ist Nachtruhe. Die Schlafenszeiten sind einzuhalten!“, sagte sie streng und blickte jeden einzelnen von uns an. Ja klar, als würde sich irgendjemand daran halten. Falls es irgendeinen Notfall gibt, die Lehrer sind alle auf Platz A untergebracht.“ Sie erklärte uns noch wie es mit der Essensausgabe ablaufen würde, wo wir uns Duschen konnten und verabschiedete sich dann. Erfreut sahen wir uns an. Das hieß Freizeit! Keine langweilige Klassenfahrt auf der man nur Museen besuchte. Wir konnten eigentlich machen was wir wollten, solange es nicht gegen die Regeln verstieß. Grinsend küsste Sam Leo.

„Könnt ihr euch nicht mal zusammen reißen? Ist ja eklig!“, meinte ich gespielt angewidert.
„Musst du grade sagen“, lachte Sam und ich stieg mit ein.
„Und Marcy, hast du schon deine Chance genutzt und Luke Sahne von Hintern geleckt?“, fragte Leo keck. Ungläubig sah ich zu ihr rüber. Ich dachte das Thema wäre ein für alle Mal beendet wurden!

„Noch nicht, aber ich bin mir sicher das …“

„Niemals!“, unterbrach ich ihn forsch. Wieso sollte er mir Sahne vom Hintern lecken wollen? Was war das Tolle daran? Das würde mir einfach nur fürchterlich peinlich sein! Allein der Gedanke daran …

„Aber ich würde wirklich gerne …“, fing er an.

„Vergiss es!“, fauchte ich und lief los, der Klasse hinterher.

„Ärger im Paradies?“, neckte Sam uns und folgte mir lachend. Auch die anderen setzten sich in Bewegung. Schnell holte Dryer zu mir auf.
„Das hast du nur gesagt, weil die beiden dabei sind? Oder?“, flüsterte er mir zu.

„Wieso solltest du in irgendeiner Weise Sahne von mir lecken wollen?“, zischte ich zurück.
„Na ja, zu aller Erst liebe ich deinen Hintern“, lachend gab er mir einen Klaps, der mich nach vorne springen ließ. Wütend funkelte ich ihn an.

„Wenn du irgendwelche verborgenen Fetische haben solltest, dann sag es mir bitte jetzt, damit ich mich darauf einstellen kann“, meinte ich scherzhaft. Er grinste mich nur bedeutend an und redete weiter.

„Zweitens können wir auch geschmolzene Schokolade nehmen, dass schmeckt dann auch besser.“ Mein Kopf machte sich selbstständig. Vor meinen Augen erschien ein Bild, wie ich auf dem Rücken lag. Dryer kniete über mir und ließ Schokolade auf meinen Bauch träufeln. Mit seiner Zunge folgte er die Spur bis zu meinem aufgerichteten Schwanz. Ich zwang mich an etwas anderes zu denken.

„Nein“, meinte ich stur und lief einen Schritt schneller. Dryer hielt locker mit und lief fröhlich neben mir her. Kein Wunder bei den langen Beinen. Ich blieb ihm eine Antwort schuldig und besah mir den Platz, welcher sich vor uns ausbreitete. Dryer sagte auch nichts weiter, trotte aber treu an meiner Seite lang. Wie ein Hund. Schmunzelnd schielte ich zu ihm rüber. Sein Blick lag fest auf mich gerichtet, seine Augen strahlten freudig, sodass mir ganz warm ums Herz wurde. Mein verstohlenes Grinsen wurde zaghaft erwidert. Hätte ich eine Hand frei, würde ich nach seiner greifen. Ich richtete meinen Blick wieder nach vorne und verlagerte eine Tasche in die andere Hand. Das war aber auch verdammt schwer! Kaum das wir bei unserem Platz angekommen waren, warf ich das Gepäck stöhnend von mir ab, ließ meine Schultern kreisen und sah abwartend zu Dryer.

„Bauen wir mein Zelt zusammen auf? Macht ihr auch, oder?“, wandte ich mich an Leo und Sam. Bestätigend nickten die Beiden und ich strahlte Dryer gewinnend an.

„Dann wäre das wohl geklärt. Dryer du kommst dann trotzdem abends zu mir, oder?“, fragte ich ihn. Eigentlich eine dumme Frage. Er schien das genauso zu sehen, denn er verdrehte nur grinsend die Augen. Das hieß dann wohl, dass ich doch nicht auf dem Boden schlafen musste!

Nachdenklich besah ich mir die Verpackung vom Zelt. Ich hatte so etwas noch nie gemacht, woher sollte ich bitte wissen wie man ein Zelt aufbaute? Ungelenk schüttelte ich die Tüte aus und Stangen und andere Dinge fielen klirrend auf den Boden. Hilfesuchend sah ich zu Dryer, welcher aber genauso überfordert aussah wie ich.

„Bitte sag mir, dass du schon mal ein Zelt aufgebaut hast“, flehte ich und kniff die Augen zusammen. Ich sah schon wie es dunkel war und wir hier immer noch ratlos standen. Das würde ich uns echt zutrauen. Stumm schüttelte er den Kopf. Das wurde ja immer besser.

„Aber das kriegen wir schon hin! Hier muss ja irgendwo eine Anleitung sein“, rief er aus und erinnerte mich an den Aufbau von meinem Bett. Grinsend beugte ich mich zu ihm rüber und gab ihm einen schüchternen Kuss auf die Wange. Als ich wieder zurückweichen wollte, wurde ich grinsend an seine breite Brust gezogen.
„Bekomme ich nicht mal mehr einen richtigen Kuss?“, grinste er verschmitzt. Lächelnd stellte ich mich auf die Zehnspitzen und presste meine Lippen verlangend auf seine. Er verstärkte seinen Griff und stieß ein Knurren aus. Ohne Wenn und Aber, eroberte er meinen Mund, ließ mir keine Zeit zum Luft holen und ließ meinen ganzen Körper kribbeln. So sollte sich ein Kuss anfühlen! Erst als sich jemand neben uns räusperte, ließen wir langsam voneinander ab. Verklärt blickte ich mich auf wackligen Beinen um. Die Tasse stand vor uns und rümpfte empört die Nase. Sie übersprang das eben gesehene einfach und kam direkt auf den Punkt.
„Du wirst doch nicht alleine schlafen, Luke“, erzählte sie uns. Freudig sah ich auf.
„Heißt das, dass Dryer doch bei mir schlafen kann? Also eigentlich wäre er sowieso zu mir ge…“ Eine große Hand legte sich über meinen Mund. Erschrocken zuckte ich zusammen und sah nachdem ich mich gesammelt hatte, empört zu Dryer hoch. Dieser sah mich nur mahnend an. Er ließ sich auch nichts anmerken als ich über seine Handfläche leckte. Lediglich ein leicht angewiderter Blick traf mich.

„Lassen sie ihren Mitschüler los!“, rief die Tasse empört und ich sabberte bestätigend auf seine Hand. Fluchend zog er sie weg, wischte sie an seiner Hose ab und warf mir einen vernichtenden Blick zu.

„Sie werden nicht die Nacht mit Marcy in einem Zelt verbringen. In einer anderen Klasse gab es einen Krankheitsfall und deswegen müssen Sie leider herhalten, Luke. Es geht leider nicht anders.“ Empört richtete ich mich grade auf.
„Ich gehe doch nicht mit Irgendjemanden den ich nicht kenne in ein Zelt! Wer weiß was die Person für Krankheiten hat!“, übertrieb ich, aber ich würde ganz sicher nicht mit einem Fremden im selben Zelt schlafen!

„Ich habe keine Krankheiten!“, kam es amüsiert von einer tiefen Stimme. Dann erschien ein breites Grinsen auf einem gebräunten Gesicht. Grübchen bildeten sich und bekannte Augen funkelten mich an. An irgendjemanden erinnerte er mich.

„Schön dich wieder zu sehen Luke“, strahlte er über beide Backen. Einen Moment lang sah ich ihn an und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Dieses Gesicht, das war … Freudig schrie ich auf und zog ihn in eine feste Umarmung.

„Tyler!“, rief ich erfreut. Lachend erwiderte er meine Umarmung.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich wiedersehe“, sagte er nachdem wir uns gelöst hatten.

„Denkst du ich? Du bist plötzlich nicht mehr gekommen! Ohne dich war es nur noch halb so lustig und … Oh man! Du hast dich so verändert, ich hätte dich fast gar nicht wieder erkannt. Das letzte Mal als ich dich gesehen habe, haben wir dich alle wegen deiner Pieps Stimme aufgezogen!“, grinste ich. Ein tiefes Lachen entkam ihm.
„Ja ihr wart alle ganz toll. Grade in den Stimmenbruch gekommen und alle die es nicht waren, waren Mäuse.“ Lachend schüttelte er den Kopf. „Verdammt, ich freue mich dich wieder zu sehen!“, rief er aus und schien sich ehrlich zu freuen. Auf seinem Gesicht lag ein offenes Grinsen. Bestätigend nickte ich.
„Ja, wie alt waren wir da? Vierzehn? Das waren noch Zeiten“, kicherte ich.

„Da ihr euch anscheinend kennt, dürfte die Zeltverteilung ja keine Problem mehr bereiten“, zischte die Tasse dazwischen, nickte Dryer zu und drehte uns den Rücken zu.
„Eine reizende Lehrerin habt ihr da“, spottete Tyler und ich konnte ihn nur zustimmen. Als sich ein Arm um meine Hüfte legte, sah ich erschrocken auf. Dryer musterte Tyler aus zusammengekniffenen Augen. Räuspernd erhob ich das Wort.

„Tyler, das ist Dryer, mein Freund“, setzte ich nach kurzem Zögern dahinter. Mit einem freundlichen Lächeln hielt Tyler ihm die Hand hin. Dryer sah ihn an, als würde er ihm die Hand am liebsten sonst wo hin rammen. Letztendlich riss er sich aber zusammen und schüttelte die Hand kurz.

„Ich bin Marco und nicht Dryer“, erklärte er kalt und ließ Tyler nicht aus den Augen. Dieser schien von der Musterung gar nichts mitzubekommen, denn er nickte nur erfreut.
„Woher kennt ihr euch eigentlich?“, fragte mein Freund uns prüfend. Ich warf ihm einen skeptischen Blick zu.

„Früher bin ich mit meiner Familie und Sam jedes Jahr nach Dänemark in den Urlaub gefahren. Tyler hatte eine ähnliche Tradition. Na ja, und dann haben wir dort immer etwas zusammen unternommen. Bis Tyler sich einfach verkrümelt hat!“ Beleidigt sah ich ihn an. Sofort riss dieser die Arme hoch.

„Das war nicht meine Schuld! Mein Dad hat seinen Job verloren und wir hatten kein Geld mehr um in den Urlaub zu fahren“, verteidigte er sich und blickte betroffen drein.

„Oh“, erwiderte ich lahm. Wir hatten nie Handynummern ausgetauscht oder gar Adressen. Man wusste schließlich, nächstes Jahr sieht man sich wieder. Unauffällig schlug ich Dryer meinen Ellenbogen in die Seite, als er Tyler weiter verächtliche Blicke zuwarf.

„Du kannst ja deine Sachen holen, wir müssen das Zelt noch aufbauen“, sagte ich an Tyler gewandt und griff nach Dryers Hand. Inzwischen erwiderte Tyler Dryers Blick genauso hasserfüllt. Hatte ich irgendetwas verpasst?

„Freund hattest du gesagt, ja?“, fragte Tyler mich. Ehe ich die Gelegenheit hatte zu antworten, pammte Dryer dazwischen.

„Ganz genau!“, knurrte er mehr als alles andere. Gleich fällt hier noch jemand vom Blick getroffen um. Genervt verdrehte ich meine Augen.
„Was soll das Jungs?“ Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen antwortete Dryer mir:

„Das würde ich auch gerne wissen. Scheint so als hätte dein lieber Freund ein Problem damit“, grollte er und ich sah erstaunt zu Tyler.

„Warum sollte er ein Problem damit haben, Tyler ist seit er Vierzehn ist geoutet. Das ist auf jeden Fall der letzte Stand von dem ich weiß“, sagte ich und sah Tyler fragen an. Bestätigend nickte dieser.

„Bin ich“, sagte er kurz angebunden. Stumm starrten sie sich weiter an. Langsam wurde mir das echt zu blöd.

„Okay, ihr könnt ja weiter euren 'Wer zuerst wegguckt' Wettbewerb machen, aber ich baue jetzt das Zelt auf!“ Wütend stapfte ich davon und bemerkte nicht was sich weiter hinter meinem Rücken abspielte. Und es war mir auch einfach egal.

 

Schmerzhaft drückte Marcy die Schulter des Kleineren zusammen.

Hör mir gut zu! Lass die Finger von Luke oder du wirst es bereuen!“ Angepisst sah Tyler zu ihm hoch.

Wir sind aber Freunde. Gute Freunde! Warum sollte ich das tun, nur weil irgendein Spast daher gelaufen kommt und meint, er müsste den großen Beschützer abgeben?“

Wütend knurrte Marcy auf und griff fester zu. Unmerklich verzog Tyler das Gesicht.

Ich meinte nicht, dass du dich von ihm verhalten sollst, ich meinte nur, dass du dich nicht an ihn ranschmeißen sollst!“ Es war Ihm natürlich nicht entgangen wie gut der Kleinere aussah und auch nicht wie vertraut sie miteinander umgingen.

Wer sagt denn, dass ich etwas von ihm will?“, fragte Tyler herausfordernd.

Wer sagt, dass du es nicht willst?“, skeptisch hob Marcy eine Augenbraue. „Machen wir es uns einfach ganz leicht. Du hängst nicht bei jedem Wort was er sagt an seinen Lippen und ich lass dein hübsches Gesicht so wie es ist. Wie klingt das?“

So als ob du mich erpressen willst!“, keuchte Tyler und versuchte die Finger aus seiner Schulter zu lösen. Mit großen Augen sah Dryer auf Tyler hinunter. Erpressen wollte er den Kleineren eigentlich nicht.

Lass mich los!“, setzte dieser sich auch schon zur Wehr.

Und wenn ich nicht will?“, fuhr Marcy ihn an. Mit zittrigen Händen verkrallte Tyler sich in Marcys Händen.
„Was habe ich dir getan, verdammt noch mal!“, fluchend sprang er einen Schritt nach hinten, als Marcy endlich seinen Griff löste.

Es ist mir egal was du getan hast, sehe ich auch nur einmal wie du deine Finger nicht bei dir behältst findest du dich nackt in der Mädchenumkleide wieder!“ Mit den Worten ließ er einen verblüfften Jungen stehen.

 

Lächelnd drehte ich mich um als ich spürte wie Dryer mir einen Kuss auf den Kopf gab.

„Na, warum hast du so lange gebraucht?“ Das Zelt war mir immer noch ein Rätsel, ich hatte eine Stange, brauchte laut Anleitung aber Zwei.

„Ich habe noch mit Tyler geredet“, erklärte er lahm.

„Was sollte die Scheiße mit den Blicken?“, fuhr ich ihn auch sofort an. Tyler hatte ihm gar nichts getan. Er war nicht einmal zu Wort gekommen und Dryer hatte ihn schon mit Blicken durchbohrt.

„Nichts“, wiegelte Dryer schwach ab und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Ich gehe Sam bei seinem Zelt helfen.“ Mit den Worten ging er weg und ließ mich stehen. Wütend, allein gelassen und mit einer wunderbaren Sicht auf seinen Hintern.

 

 

Kapitel 11:

 

Genervt warf ich den Hering auf den Boden. Wo blieb Tyler? Warum stand ich hier alleine und versuchte mit all meinen Kräften dieses verdammte Zelt aufzubauen? Mittlerweile waren alle anderen fertig. Da stellte man sich doch die Frage, warum niemand half. Wahrscheinlich hielt sie mein finsterer Gesichtsausdruck fern. Mit einem stummen Schrei trat ich die Plane weg, verhedderte mich darin und fuchtelte nur noch hektischer herum. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Wo blieb mein Wurfzelt? Mein Vier-Personen-Wurfzelt, damit ich mit Dryer zusammen schlafen konnte? In das ich mich hineinlegen und mit Dryer kuscheln konnte? Obwohl, wollte ich das überhaupt? Er war auch schon fertig und beobachtete mich amüsiert. Ich warf ihm einen wütenden Blick zu und konzentrierte mich wieder auf das verfluchen von anderen Leuten.
„Brauchst du Hilfe?“, wagte sich Dryer fünf Minuten später schließlich an mich heran.

„Nein Danke!“, fauchte ich ihn an und entwirrte die Plane von der Stange. Sollte die Stange aber nicht durch die Plane? Wie sollte das bitte funktionieren?

„Das ist kaputt!“, erkannte ich schließlich das Problem und lachte auf. „Wer hat mir ein kaputtes Zelt gegeben!?“ Ein Grinsen schlich sich auf Dryers Gesicht. Er hatte gut lachen, sein Zelt wurde von Sam und Leo aufgebaut. Wahrscheinlich musste er nicht einmal den kleinen Finger rühren.

„Gib mal her“, sagte er sanft, was mich aber nicht daran hinderte die Anleitung in seine Hände zu donnern. Er warf mir einen wissenden Blick zu und begann dann die Anleitung durchzulesen. Wofür war der Blick? Was hatte ich nun schon wieder falsch gemacht? Was konnte ich dafür, dass das Zelt unvollständig und kaputt war!

„Also“, fing Dryer an und nahm die Stange in die Hand. Falsche Stange, dachte ich schmunzelnd und sah dabei zu wie er ungelenk damit herumhantierte. Mit anderen konnte er wesentlich besser umgehen.
„Was grinst du denn so? Soll ich dir helfen, oder nicht?“, fragte er ruhig. Mit einer Handbewegung deutete ich ihm, weiter zu machen. Er schüttelte seufzend den Kopf und kam meinem Wunsch nach.

 

Nach weiteren fünf Minuten sah das Zelt genauso aus wie vorher. Inzwischen hatte ich mich hin gehockt und meinen Kopf auf meinen verschränkten Armen abgelegt.
„Du hast genauso wenig Ahnung wie ich, oder?“, fragte ich amüsiert. Beleidigt drehte er sich weg und murmelte etwas vor sich hin, was verdächtig nach: „Wenn du wüsstest“, klang. Jetzt wusste ich auch, warum niemand mir geholfen hatte. Das war wie Kino! Nur das Popcorn fehlte. Nachdem er fast ein Loch in das Zelt riss, unterbrach ich ihn.

„Du bist eine riesige Hilfe“, grinste ich und nuschelte ein: „Wortwörtlich“, hinterher. Ein freches Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Mit ernstem Gesicht richtete er sich zu seiner ganzen Größe auf, welche normal schon beachtlich war, vom Boden aus gesehen, aber noch mehr. Schnell stellte ich mich hin.

„Hast du ein Problem mit meiner Größe?“, fragte er mich herausfordernd.
„Quatsch“, lachte ich. „Aber wie ist das Wetter da oben?“, konnte ich mir nicht verkneifen.

„Stinkt nach Zwergen“, grollte er. „Außerdem kriecht Ungeziefer um mich herum“, grinste er herausfordernd. Knurrend ging ich einen Schritt auf ihn zu.

„Das nimmst du zurück!“, zischte ich ihn an. Er trat ebenfalls einen Schritt vor, so dass wir Nase an Nase standen. Oder besser gesagt Nase an Brust. Beschämt legte ich meinen Kopf in den Nacken. Warum war ich nur so klein?

„Nein!“, meinte er schlicht. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

„Mach es, oder du wirst er bereuen!“, drohte ich ihm spielerisch. Belustigt funkelten seine Augen auf.

„Was willst du machen? An meinen Fußknöcheln rumknabbern?“, lachte er.

„Jetzt bist du …“ Bevor ich meinen Satz zu Ende sprechen konnte wurden wir unterbrochen.

„Hey Luke, sorry für die Verspätung ich musste noch was mit meiner Lehrerin besprechen wegen dem Zelt.“

Verwirrt drehte ich mich um. Tyler stand circa zehn Meter von mir entfernt und beobachtete uns skeptisch. Lächelnd trat ich auf ihn zu.

„Ach so, hey Tyler. Kein Ding, dann kannst du ja beim Zelt aufbauen helfen. Dryer ist leider mehr als unfähig. Er sucht lieber nach weiteren Riesen.“ Lachend blickte ich Dryer an. Dieser sah allerdings alles andere als erfreut aus.

„Jetzt reicht es!“, rief er wütend und mit einem Gesichtsausdruck der mich eindeutig töten sollte, stapfte er auf mich zu. Schnell drehte ich mich zu Tyler um.

„Du kannst ja schon mal anfangääään!“ Ich schrie erschrocken auf und kniff meine Augen zusammen, als sich die Welt um mich drehte. Ich krallte ich mich an der ersten Stelle fest, die ich zu greifen bekam.

„Luke!“, kam es warnend von Dryer. Verwirrt schlug ich die Augen auf und fand mich über seine Schulter geworfen wieder. Meine Hände hatten sich in seinem Hintern gekrallt und meine Beine wurden fest von seinen Armen umschlungen.

Grinsend kniff ich in seine Pobacke. Was er kann, kann ich schon lange. Keine Sekunde später, fuhr mir ein stechender Schmerz durch den Hintern. Ich schrie auf und blickte sauer hoch. Sam, Leo und ein paar andere Schaulustige, standen um uns herum und beobachteten und lachend. Wütend fing ich Sams Blick auf.
„Steht da nicht nur rum! Helft mir runter!“, flehte ich, bekam aber nur ein dreistes Grinsen. Heftig schlug ich auf Dryers Rücken. Er lachte aber nur auf und lief los.

„Lass mich runter!“, befahl ich ihn und konnte mein Lachen auch nicht mehr unterdrücken. Grinsend versuchte ich mich irgendwie zu befreien. Er hielt jedoch allen meinen Versuchen mühelos stand und lief schnurstracks auf den See zu. Er wollte doch nicht …? Wütend schrie ich auf.

„Das machst du nicht! Ich verarbeite dich zu Kleinholz, mir egal ob du mein Freund bist oder nicht!“, fuhr ich ihn an. Gespielt entsetzt ließ er mich auf meine Füße sinken.

„Oh nein, was soll ich nur machen wenn mich ein tollwütiger Zwerg angreift“, feixte er und schlug die Hände vor den Mund.

„Jetzt wirf ihn endlich in den See!“, fiel Leo mir in den Rücken.

„Was bist du für eine schlechte Freundin und für Dryer ist das nur eine Pfütze!“, lachte ich und schrie im nächsten Moment auf, als ich etwas unsanft über Dryers Schulter geworfen wurde. Wo hatte er die Kraft her? SO leicht war ich jetzt auch nicht!

„Denk nicht mal daran!“, fuhr ich ihn an, schlug auf seine Rücken, kniff ihn in den Hintern und versuchte mich hinunter zu rollen. Von mir aus auch auf den Boden, aber nichts funktionierte. Das Nächste was ich sah, war wie die Welt auf dem Kopf stand und dann wurde sie von kaltem Wasser verschluckt. Prustend tauchte ich an die Oberfläche. Ein tiefes Knurren entwich mir. Da musste er aber eine Menge wieder gut machen! Triefend, mit nassen und matschigen Klamotten trottete ich nach Draußen. Dann wrang ich lachend mein Shirt aus.

„Das zahl ich dir so was von heim!“, funkelte ich ihn versprechend an. Seine Miene ließ nicht durchblicken, was er grade dachte, aber es konnte nichts anständiges sein. Sein Blick wanderte über meinen Körper, blieb an meiner Brust hängen, die deutlich durch das nasse Shirt sichtbar war. Wasser tropfte aus meinen Haaren und lief durch mein Gesicht. Mit einer schnellen Bewegung wischte ich es beiseite und zog mir mein Shirt mit einer langsamen, eleganten Drehung über den Kopf. Deutlich konnte ich sehen wie er schluckte. Dann riss er sich zusammen und stampfte auf mich zu.
„Willst du dich vielleicht noch ein bisschen mehr ausziehen? Ich glaube die Leute hier haben noch nicht genug gesehen!“, fauchte er beinahe. Ein überraschtes Lachen entkam mir.
„Du hast mich in den verdammten See geworfen und man soll ja nicht von sich selber auf andere schließen. Außerdem habe ich im Schwimmbad noch weniger an“, neckte ich ihn grinsend, warf einen eindeutigen Blick auf meine Hose und zog ihn dann eng an mich. Sein Kehlkopf irrte herum und seine Augen schienen nicht zu wissen, wo sie hinschauen sollten.

„Zieh die Hose aus und ich zeig dir den Himmel“, knurrte er und umfasste grob meinen Hintern.
„Aus welchem Buch hast du den Spruch denn?“, fragte ich lachend und schielte zu ihm hoch.

Das Angebot klang gar nicht mal so schlecht.

„Du kannst froh sein das unser Zelt noch nicht steht, sonst wärst du fällig“, raunte er und ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich konnte nur nicht sagen, ob es ein kalter oder ein warmer war. Einerseits fand ich den Gedanken mit ihm zu schlafen aufregend, anregend und verdammt heiß, andererseits jagte mir der Gedanke daran eine Heidenangst ein. Ein bestimmtes Gefühl sagte mir, dass ich gewiss die Person sein würde, die den Arsch hinhält. Nicht das ich was dagegen hätte, nur da berührte man doch eigentlich niemanden? Wie sollte Dryers Schwanz überhaupt passen? Durch den dünnen Stoff meiner Hose, spürte ich wie Dryers Erektion gegen meine drückte. Na das konnte ja was werden. Zwei Kerle standen aneinander gepresst mit einer Latte in der Hose, auf einem Campingplatz für Klassenfahrten. Wie kamen wir aus der Situation wieder heraus? Dryer schien das alles nichts auszumachen, denn er grinste mich schadenfroh an und beugte sich runter um mich zu küssen. Seufzend ließ ich mich in den Kuss fallen. Als seine Zunge in meinen Mund schlüpfte, konnte ich ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Ich drängte mich noch näher an ihn heran und ließ mich in den Kuss fallen.

Bis wir rüde von Leo unterbrochen wurden.
„Jetzt ist aber genug ihr beide“, schimpfte sie und legte mir eine Decke um die Schultern. Ich löste mich widerwillig von Dryer und zog die Decke erleichtert vor meine Hose. Dryer sah man seine Erregung zum Glück nicht an.

„Ihr habt später noch genug Zeit um rumzumachen. Luke, du ziehst dir jetzt was anderes an, sonst wirst du noch krank! Und Marcy du hast die ehrenhafte Aufgabe nochmal mit mir zu dem Bus zu laufen und weitere Flaschen zu holen“, befahl sie mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.

„Ja, Mama!“, meinte ich kichernd und verdrehte die Augen in Dryers Richtung. Dieser grinste nur zurück und zuckte leicht mit den Schultern. Schließlich lief ich ergeben zu meinem Koffer und kramte einen gemütlichen Pullover und eine kurze Sporthose hervor. Ohne einen weiteren Blick auf Leo zu werfen, stapfte ich zu den Waschhäusern.

 

***

 

Mit einem zufriedenen Lächeln sah ich auf das Zelt, welches endlich stand. Es war mir immer noch ein Rätsel wie die anderen es aufgebaut bekommen hatten. Mit die anderen, meinte ich Timo und Leo, welche sich schließlich erbarmt hatten uns zu helfen. Mit einem erleichterten Seufzen tat ich es Tyler nach und warf mein Gepäck hinein. Danach lief ich zu Dryer. Würde wohl doch er alleine schlafen müssen. Leos Zeltpartnerin schlief bei ihren Freundinnen und Sam kroch stattdessen zu ihr. Der Platz an Dryers Seite war theoretisch noch frei. Nicht nur theoretisch, er war noch frei. Aber konnte ich Tyler wirklich einfach alleine lassen? Wir hatten und ja auch lange nicht mehr gesehen? Trotzdem wusste ich, dass wenn ich nicht zu Dryer gehen würde, die ganze Zeit an ihn denken müsste. Mit einem breiten Grinsen zog ich den Reißverschluss auf und warf mich mit einem lauten Lachen auf Dryer, welcher völlig überrumpelt wurde. Mit einem Grunzen sank er nach hinten und schlang seine Arme um mich. Unsanft landete ich auf ihn und drückte ihn mit meinem Körpergewicht, noch mehr in das Kissen. Lachend strich er mir durch die Haare.
„Na das nenne ich mal eine Begrüßung. Etwas stürmisch, aber wenn ich jetzt noch einen Kuss bekomme, bin ich zufrieden“, sagte er zufrieden grinsend. Ein verschlagenes Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Gespielt entsetzt sah ich ihn an.
„Einen Kuss? Ich weiß nicht ob ich das über mich bringe“, sagte ich. Seine Augen verengten sich minimal.

„Auf die Wange?“, schlug er vor.

„Auch noch auf die Wange?“ Ich riss meine Augen weit auf. Dryers Grinsen wurde breiter und die Augen eine Spur schmaler.

„Kinn?“ Stumm schüttelte ich den Kopf.

„Stirn?“, fragte er bedrohlich ruhig. Grinsend verneinte ich.

„Hals?“ Ich lachte ihm ins Gesicht.

„Du kannst mir auch gleich einen blasen“, auffordernd hob er eine Augenbraue und ich schlug ihm empört auf die Brust.
„Das würde dir wohl passen!“, lachte ich. Ein Knurren, welches beinahe animalisch klang, löste sich aus seiner Kehle. Eines seiner Beine, drängte sich von unten zwischen meine und stellte sich auf. Erschrocken fuhr ich nach vorne, als er es mit Druck gegen meine Mitte rieb.

„Lass das!“ Wie musste das für jemanden aussehen, der uns so sah?

„Warum? Ich habe auch keinen Kuss bekommen“, griente er und schob mich wieder ein Stück zurück. Lachend zwickte ich ihm in die Seite. Was das von seiner Seite aus werden sollte, war mir zwar nicht ganz klar, aber ich war mich sicher, dass ich es noch erfahren würde.

„Ich denke du wirst es überleben“, feixte ich. Er antwortete nicht, sondern fing an seine Hände über meinen Rücken gleiten zu lassen. Warme Hände mogelten sich ihren Weg unter mein Shirt erkundeten sanft meine Seiten. Gänsehaut folgte jede seiner Berührung. Unter mir hörte ich Dryer zufrieden schnauben. Still und ohne mich zu bewegen, lag ich auf ihm und genoss die Berührungen. Genoss das Gefühl seiner Hände, wie sie meinen Körper erkundeten. Als er über eine Stelle knapp unter meinem Schulterblatt strich, stöhnte ich leise auf. Meine Arme knicken langsam zur Seite und meinen Kopf vergrub ich an seiner Schulter. Mit vollem Gewicht lag ich auf ihm. Dryer schien das allerdings wenig auszumachen. Er verhielt sich, als würde er mein Gewicht gar nicht spüren. Erneut strich er über die Stelle. Ein wohliger Schauer überlief meinen Rücken und ich drückte mich ihm leicht entgegen woraufhin ein raues Lachen an mein Ohr drang und eine von seinen großen Händen zu meinem Hintern fuhr und sich fest darauf legte. Die andere legte sich so abrupt um meinen Nacken, dass ich erschrocken auf keuchte. Durch den Druck war ich gezwungen meinen Kopf in den Nacken zu legen und ihn somit anzugucken. Gierig blickte er auf meine Lippen.

„Bekomme ich jetzt meinen Kuss?“ Stumm schüttelte ich den Kopf. Irgendetwas sagte mir das er nur spielen wollte. Das verschlagene Grinsen, welches auf meine Verneinung folgte, bestätigte mir meinen Verdacht.

„Na gut“, flüsterte er rau und seine Hand grub sich in meinen Hintern, folgte ihm so gut es durch die Hose ging. Die andere Hand, kratzte sanft über meinen Rücken. Selbst wenn er meinen Ausdruck nicht gesehen hätte, würde er spätestens jetzt fühlen wie gut mir das gefiel. Mein Ständer drückte fest gegen meine Hose und wollte befreit werden.

Bestimmt fuhr er zum Bund meiner Hose und zupfte diesen hoch. Viel Platz war dort wegen meines Gürtels nicht. Jedenfalls nicht genug, damit seine Hand drunter passte.
„Hüfte hoch“, raunte er. Widerstandslos hob ich sie und ließ meinen Gürtel öffnen. Mit einem zufriedenen Brummen fuhr er unter den Stoff und legte seine Hand auf meine Haut. Etwas unwohl war mir dabei, da ich nicht wusste wie weit er gehen würde. Ich wusste, dass er nichts machen würde was ich nicht mochte, aber trotzdem konnte ich das leicht bange Gefühl nicht abstreifen.

„Kuss?“, fragte er hauchend, während er sanft über meinen Oberschenkel strich. Als ich keine Antwort gab, zog er seine Fingernägel über die Innenseite. Leise stöhnte ich auf und biss leicht in die Stelle zwischen Schulter und Hals.

„Das war aber kein Kuss!“, knurrte er, drückte sein Becken hoch und rieb sich an mir. Ein Keuchen entwich meiner Kehle und automatisch erwiderte ich die Bewegung.

Vorsichtig aber trotzdem bestimmt, schob er seine andere Hand ebenfalls zu meinen Hintern und tastete sich langsam zu meiner Spalte vor. Erschrocken spannte ich mich an und hielt den Atem an, als ich einen Finger an meiner Rosette spürte. Sanfte Küsse wurden auf meinem Hals verteilt und lenkten mich etwas ab. Aber eben nur etwas. Sanfte Blitze fuhren jedes Mal durch meinen Körper, wenn er darüber strich. Dryer rieb sich immer noch an mir, brachte mir zum Stöhnen und keuchen. Ein ziehender Schmerz breitete sich in mir aus, als sich der Finger langsam in mich schob.

Etwas in mir bockte an.

Der Gedanke daran, dass Dryer seinen Finger in mir hatte, an einem Ort, an dem etwas wie ein Finger niemals sein sollte, erschreckte mich.
„Scheiße, lass das!“, schnauzte ich ihn an und buckelte nach vorne weg. Vorsichtig zog er sich zurück, hielt mich aber fest, als ich mich von ihm runter rollen wollte. Hektisch versuchte ich seine Arme von mir zudrücken. Es kam mir vor als würde sie mir die Luft zum Atmen nehmen.

„Was ist los?“, fragte er ruhig und das Spielerische war aus seiner Stimme gewichen. Ich wusste es selber nicht mal genau! Mein Atem ging schnell und schwer, alle Erregung war auf einmal aus mir gewichen und hinterließ ein leeres, bedrückendes Gefühl. Sanft strich er mir eine Strähne hinter das Ohr.

„Ich weiß es selber nicht“, stotterte ich. Mit großen Augen sah ich ihn an. „Tut mir Leid. Ich … ich bin einfach noch nicht so weit.“ Beschämt schloss ich meine Augen. Das traf es genau auf den Punkt. Ich konnte mir vorstellen solche Dinge mit Dryer zu machen und ich glaubte auch, dass sie mir gut gefallen würden.

Nur eben noch nicht jetzt.

Allerdings öffnete ich sie sofort wieder, als er leise lachte. Verletzt sah ich ihn an. Wieso lachte er jetzt? Wollte er mir zeigen wie lächerlich das von mir war? Wollte er mich verletzten? Mir deutlich machen, dass ich Schwach war? Er schloss seine Arme einen Tick enger um mich.

„Das habe ich auch gar nicht erwartet.“ Ein liebevolles Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Aber …“ Überfordert sah ich ihn an. „Wieso hast du dann?“, fragte ich schüchtern und schaffte es nicht mal den Satz zu vervollständigen.

„Ich kann schließlich nicht riechen was du willst“, schmunzelte er. „Sehr gesprächig bist du bei dem Thema auch nicht“, setzte er neckend hinzu. Ich spürte wie meine Wangen rot wurden. Da hatte er allerdings Recht. Aber es war auch verdammt schwer über so etwas zu reden! Das ging ganz bestimmt nicht nur mir so. Dryer zog meinen Kopf nahe zu seinen.

„Bekomme ich meinen Kuss jetzt?“, fragte er und sah mich dabei so liebevoll an, dass ich nicht anders konnte und meine Lippen auf seine drückte. Ein zufriedenes Brummen erklang und dann rollte er sich mit einer geschickten Drehung auf mich und begrub mich unter sich, ehe er sich schwer atmend von mir löste.

„Geht's dir gut?“, fragte er leise und lehnte seine Stirn gegen meine.

„Ja“, flüsterte ich und schlang meine Arme, die bisher nutzlos an meiner Seite lagen, um ihn. Sein ganzes Gewicht lag auf mir, machte es mir schwer zu atmen und trotzdem zog ich ihn noch näher an mich heran. Ich brauchte dieses Gefühl jetzt. Gehalten zu werden, zu wissen das man nicht alleine war. Sein Kopf lag an meinem Hals. Ich spürte die warme Luft als er ausatmete, spürte seinen donnernden Herzschlag unter meiner Hand und hörte das leise Seufzen. Lächelnd vergrub ich mein Gesicht in seinen Haaren und atmete tief ein.

„Gott, ich könnte hier für immer liegen“, nuschelte er gegen meinen Hals. Grinsend strich ich ihm durch die Haare.

„Und warum tust du es nicht?“, wisperte ich.

„Erstens denke ich, dass du dann an Sauerstoffmangel sterben würdest und zweitens habe ich Hunger.“ Lachend schob ich ihn von mir runter, so dass er neben mir zu liegen kam.
„Ich glaube es ist sowieso gleich Essenszeit.“ Trotzdem wollte ich mich nicht von ihm lösen. Gerade als ich mich wieder an ihn heran gekuschelt hatte, öffnete sich der Eingang vom Zelt. Leos Kopf schaute herein. Gut das sie keine Viertelstunde eher da war.

„Na ihr. Kommt ihr mit Essen, oder verkriecht ihr euch weiter hier drinnen?“, fragte sie und sah uns abwartend an.

„Wir kommen mit, wir wollten sowieso grade los“, erklärte ich ihr und erntete nur ein Lachen.

„Ja, das sieht man. Wir gehen in zehn Minuten los, wir sind so lange bei meinem Zelt.“ Sie wandte sich zum Gehen um, blickte aber noch einmal zurück. „Bevor ich es vergesse …“, grinsend nickte sie zu meinem Schritt. „deine Hose ist offen.“ Mit roten Wangen und Schmollmund zog ich mir die Decke über den Schoß.

„Geh weg!“, befahl ich ihr. Lachend drehte sie sich wieder um.

„In zehn Minuten am Zelt!“, erinnerte sie uns nochmal, dann war sie weg. Dryer zog den Reißverschluss wieder zu und drehte sich dann zu mir um.

„Das war es dann wohl mit der Kuschelstunde“, meinte er wehleidig. Ich nickte nur stumm und schloss meine Hose.

„Hoffentlich ist das Essen hier gut, ich sterbe gleich“, rief Dryer und sprang auf.

 

Kurz darauf machten wir uns auf den Weg zur Essensausgabe. Sam und Leo sammelten wir auf halber Strecke ein. In zehn Minuten hatte sie gesagt? Das ich nicht lache! Als wir bei den beiden ankamen, lagen sie knutschend im Zelt. Jetzt, zwanzig Minuten später, saßen wir schließlich alle an den Tischen. Der Essensbereich, war ein kleiner überdachter Platz. Man konnte sich entweder selber etwas kochen oder aber sich an der Theke Fertiggerichte holen. Genau das hatten wir getan. Zwar hatte ich keinen großen Hunger, trotzdem schlang ich meine Lasagne förmlich runter. Einfach weil ich mich wieder mit Dryer in sein Zelt kuscheln wollte. Nur die Frage wegen der Nacht blieb für mich noch ungeklärt. Dryer oder Tyler? Einerseits war Dryer mein Freund und ich wollte jede freie Minute mit ihm verbringen, andererseits aber hatte ich Tyler schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen und wer weiß wann ich ihn nach dieser Klassenfahrt wiedersehen würde? Eigentlich lag die Antwort ja klar auf der Hand, oder? Deswegen wand ich mich auch an Tyler, welcher sich mit ein paar Freunden an unseren Tisch gesetzt hatte.

„Hast du zufällig noch Isomatte mit?“, fragte ich ihn worauf er mich überrascht ansah.

„Nein, wieso?“

„Hab meine verg'ssn“, nuschelte ich mit vollem Mund. Neben mir bemerkte ich eine Bewegung und drehte mich um. Dryer sah mir mit verschlossenem entgegen.

„Ist was?“, fragend sah ich ihn an und schluckte mein Essen hinunter.

„Nein“, sagte er schlicht und wand sich wieder seinem Essen zu. Verwirrt drehte ich mich wieder zu Tyler um. Sein Blick huschte nervös von Dryer zu mir. Gott, zog Dryer diese böser Blick Masche schon wieder durch?

„Kann ich dann bei dir mit rauf?“, fragte ich und schaufelte mir die nächste Gabel in den Mund. Ein quietschendes Geräusch ließ mich zusammen zucken. Wieder sah ich zu Dryer. Er schien sein Essen grade zu, zu zerstören. Als er meinen Blick bemerkte, wiederholte er meine Worte.

„Was ist?“

„Nichts“, tat ich es ihm gleich und wand mich wieder ab. Die Gespräche am Tisch, die kurz verstummt waren, wurden wieder aufgenommen. Als ich Tyler fragend ansah, zuckte dieser nur mit den Achseln.

„Also? Ich habe nämlich keine Lust die ganze Nacht auf dem Boden zu schlafen“, lachte ich und hoffte stumm, dass er auch nichts dagegen hatte sein Kissen und seine Bettdecke mit mir zu teilen. Zu fragen traute ich mich aber nicht. Vielleicht sollte ich sie ihm nachts einfach klauen? Nach und nach leerte sich der Tisch. Nur Tyler, Dryer, Sam, Leo und ich blieben zurück.

„Wollen wir uns mal alles genau anschauen?“, schlug ich vor und erntete zustimmendes Gemurmel.

Den Nachmittag verbrachten wir damit das Gelände zu erkundigen, Volleyball zu spielen und in der Sonne zu liegen, welche nun aber langsam verschwand.

„Irgendwie erinnert mich das an die Bucht“, meinte Tyler plötzlich. In den Ferien die wir zusammen verbracht hatten, waren wir immer im Ferienhaus. Hinter diesem lag eine kleine Bucht, an der wir immer spielen waren. Tyler hatte Recht, es erinnerte wirklich ein bisschen daran.

„Stimmt, hier fehlt nur der klapprige Spielplatz mit der Schaukel.“ Lachend legte Tyler die Hand auf meinen Arm.
„Oh Gott, erinnere mich nicht daran. Wie viele Stiche waren das? Acht? Neun?“ Grinsend stieß ich ihm in die Seite.
„Übertreib nicht, das waren drei oder vier! Aber trotzdem war das einfach zu göttlich!“, lachte ich. Neugierig sah Leo uns an.

„Was ist denn passiert?“, fragte sie neugierig, wie sie war. Tyler und ich grinsten uns an, ehe wir beide gleichzeitig zu sprechen begannen.

„Ich wurde gezwungen!“, jammerte Tyler.
„Lüg doch nicht!“, lachte ich. „Wir hatten eine Wette am Laufen. Wer kann am höchsten schaukeln und na ja, ich würde sagen Tyler hat gewonnen.“ Tyler plusterte sich neben mir auf.

„Dieser Scheißkerl hat mich an die Schaukel gebunden und …“ Lachend hielt ich ihm die Hand über den Mund.

„Das hättet ihr sehen sollen. Von wegen Loopings gehen nicht. Das war so cool!“, rief ich begeistert aus. Tyler befreit sich aus meinem Griff.

„Ja, bis die morsche Schaukel zerbrochen ist und auf mir gelandet ist. Ich bin bestimmt zehn Meter weit geflogen!“ Über dramatisierte er das Erlebte. Lachend erzählten wir die Geschichten, die wir erlebt hatten. Sam erzählte Tyler, wie er und Leo zusammen gekommen sind. Und alle hatten was zum Lachen.

Nur Dryer anscheinend nicht.

Besorgt sah ich ihn an. War irgendwas passiert? Hatte ich etwas nicht mitbekommen oder war ihm einfach nur nicht nach reden? Kurzentschlossen umrundete ich Sam und Leo und kroch zu Dryer. Neben ihm ließ ich mich nieder und lehnte mich an seine Schulter. Sein Körper strahlte Wärme aus, die ich nur zu gerne annahm. Seit die Sonne untergegangen war, war es doch frischer als erwartet geworden und das dünne Shirt das ich an hatte, schützte nicht wirklich vor Kälte. Hätte ich mal Dryers Pullover anbehalten. Eine Hand legte sich besitzergreifend auf meinen Oberschenkel und ich ließ sie nur zu gerne dort liegen. Ich ging nicht auf den Blick ein, den er Tyler dabei zu warf und verschränkte seine Hand mit meiner. Was auch immer Dryer mit Tyler hatte, das sollte er selber klären. Während ich den Gesprächen lauschte, legte ich meinen Kopf auf Dryers Schulter und schloss nach einiger Zeit meine Augen. Ein Daumen fuhr sanft über meinen Handrücken und gab mir das Gefühl zu jemanden zu gehören. Und wie gerne ich zu Dryer gehörte. Mein Kopf wurde langsam schwer und immer wieder nickte ich kurz ein, rutschte mit dem Kopf von seiner Schulter, nur um wieder hochzuschrecken und wenige Minuten wieder dasselbe zu erleben. Inzwischen hatten sich schon mehr Leute aus unsere Klasse zu uns gesellt und auch einige Außenstehende die ich nicht kannte, wie ich feststellte als ich in die Runde blinzelte. Ein leichtes Zittern durchfuhr mich, als Wind unter mein Shirt pustete. Dryer unterhielt sich mit jemanden, fing aber nebenbei an meine Arme warm zu reiben. Als jemand meinen Namen sagte, schlug ich die Augen auf. Tyler kniete vor mir und sah mich fragend an.

„Was?“ Müde rieb ich mir über die Augen und richtete mich auf.

„Ich habe dich gefragt ob du schon mit zum Zelt kommst. Ich geh jetzt schlafen“, wiederholte er sich anscheinend. Er nickte in Richtung Zeltplatz und sah mich abwartend an. Ich nickte gähnend, schob Dryers Hand – welche sich um meinen Oberschenkel gekrampft hatte – runter, stand auf streckte mich ausgiebig. Ich wünschte allen in der Runde eine Gute Nacht und beugte mich schließlich zu Dryer runter. Dieser unterbrach sein Gespräch und blinzelte zu mir hoch. Ungeachtet der Blicke, zog ich ihn zu einen Kuss zu mir ran. Warm lagen seine Lippen auf meinen, verließen sie nach meinem Geschmack aber viel zu schnell wieder.

„Schlaf gut“, gähnte ich und überging seinen überraschten Blick. Zusammen mit Tyler trottete ich zu den Waschräumen, anstatt jedoch hineinzugehen zog Tyler mich um die Ecke, gegen die nächste Wand. Überrumpelt ließ ich mich dagegen pressen und von ihm einkeilen. Sein Blick wanderte anzüglich über mich.

„Gott, endlich bin ich mal mit dir alleine, hat ja auch lange genug gedauert, denkst du nicht auch?“ Ein schmieriges Lächeln legte sich auf sein Gesicht, welches ich so gar nicht mit ihm in Verbindung bringen konnte.

„Wovon redest du?“, fragte ich sichtlich verwirrt.

„Wovon wohl?“ Er rückte immer näher an mich heran und langsam beschlich mich ein ungutes Gefühl. Das konnte nur wieder einer von seinen vollkommen verblödeten Scherzen sein.
„Lass den Mist, Tyler. Ich bin echt müde“, meinte ich und versuchte mich an ihm vorbei zu schieben. Grob schloss sich seine Hand um meinen Arm und zog mich wieder zurück an die Wand.

„Scheiße, was soll das?“ Wütend blickte ich zu ihm hoch und drückte ihn zurück. Das hatte nur zur Folge, dass seine Hand sich schmerzhaft und meinen Arm schloss. Ich verkniff mir einen Schmerzenslaut. Den Erfolg würde ich ihm nicht gönnen, auch wenn das bestimmt einen blauen Fleck geben würde. Ich verstand die Welt grade einfach nicht mehr. Was war mit Tyler los? Was genau wollte er von mir und warum zur Hölle stand ich hier, von ihm an die Wand gepresst und konnte mich so gut wie nicht wehren?

„Lass mich los!“, fuhr ich ihn an. Er lachte nur tief auf und knallte meine Hand neben meine Hüfte gegen die Wand. Schmerz durchschoss mich, als der alte Schorf abschabte. Wütend schrie ich leise auf, wurde aber von Tylers Mund unterbrochen, der sich grob auf meinen presste. Da hatte ich den Beweis, dass ich nicht schwul war. Vielleicht gefiel es mir Dryer zu küssen, das hier war aber etwas komplett anderes. Es widerte mich einfach nur an. Mit aufgerissenen Augen stand ich da, sah auf die geschlossenen von Tyler. Eine nasse Zunge erzwang sich ihren Weg in meinen Mund. Ein Bein wurde zwischen meine gedrückt und seine Hand zwängte sich in meine Hose. Ohne großes Getue umfasste er grob meinen Schwanz. Ich konnte ich mich weder wehren noch sonst irgendwie rühren. Alles in mir war wie eingefroren. Ich konnte einfach nicht glauben das Tyler, mein Kindheitsfreund mir das hier grade antat. Alle Alarmglocken in mir schrien laut auf, ließen meinen Kopf klingeln. Kalte Schauer fuhren durch meinen Körper, hinterließen ein widerliches Gefühl. Tyler küsste mich! Er berührte mich! Grade als ich ihn von mir weg schubsen und ihm meine Meinung geigen wollte, wurde er von mir weggerissen. Versteinert sah ich dabei zu, wie Dryer ihm am Kragen packen und ihm dann einen Kinnhaken verpasste der es in sich hatte. Tyler taumelte zurück und ging beinahe zu Boden. Ich hörte wie die Beiden sich anschrien, konnte aber nicht verstehen was. In meinen Ohren rauschte es und schien alles andere zu übertönen. Erst als jemand meine Schultern packte und mich grob schüttelte, kam ich wieder zu mir. Dryer hatte sich vor mir aufgebaut, funkelte mich wütend an und redete auf mich ein. Nein, er redete nicht auf mich ein, er schrie mich an.

„Treu sein? Das nennst du treu sein? Gott, wie konnte ich nur so blöd sein! Ich das deine Vorstellung von einer Beziehung?“ Verächtlich sah er mich an. Die Augen, die mich sonst liebevoll und fröhlich anfunkelten, schienen jetzt nur noch mit Hass, Verachtung und Enttäuschung gefüllt zu sein. Bildete ich mir das nur ein, oder waren seine Augen feucht?

„Wieso kann es nicht einmal jemand ernst meinen? Ist das so schwer? Wenn du keine Beziehung willst, dann sag das verdammt Scheiße nochmal und mach nicht einen auf 'Ich mag dich' oder 'Ich bin so unsicher'. Weißt du was mir besonders gefallen hat? Deine 'Ich bin noch nicht so weit' Rolle. Hast du wirklich super hinbekommen. Wenn du einfach mal so richtig durch gefickt werden willst, hättest du das nur sagen brauchen, hätte ich gerne erledigt. Stehst du darauf? Jedem deinen Arsch hin zu halten? Ach ne, warte, du spielst ja lieber unschuldig. Magst du mich überhaupt oder war das alles nur gespielt?“ Überrumpelt sah ich ihn an. Von welchen Rollen redete er und vor allem warum schrie er mir solche Dinge an den Kopf? Ich öffnete meinen Mund, schloss ihn aber direkt wieder, unfähig einen vollständigen Satz heraus zu bringen. Dryer schnaubte verächtlich auf, stieß dann einen wütenden Schrei aus und schlug gegen den Wand neben meinem Kopf. Erschrocken sah ich auf die Delle, die mich um wenige Zentimeter verfehlt hatte.

„Gott, ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen als ich Tyler das erste Mal gesehen habe“, sagte er verächtlich und sah auf mich herunter. „Aber halt ihm ruhig deinen Arsch hin. Ist mir egal, jetzt bist du ja wieder Single.“ Er lachte auf, was für mich aber mehr wie ein Schluchzen klang. Und genau das riss mich aus meiner Starre.

„Dryer, warte, ich habe nicht …!“

„Was?“, unterbrach er mich wütend. Den Schritt den er von mir weggegangen war, holte er schnell wieder auf und dann presste er mich, wie Tyler zuvor gegen die Wand. Ein Zittern lief durch meinen Körper. Mein Herz raste, meine Hände schwitzen und alles woran ich denken konnte waren seine Worte: „Jetzt bist du ja wieder Single.“ Oh nein, ich würde ihn ganz sicher nicht gehen lassen! Schmerzhaft presste er mich gegen die Wand. Unsere Köpfe nur knapp voneinander entfernt, doch diesmal hatte es nichts Erotisches oder aufregendes an sich. Diesmal jagte es mir Angst ein.

„Was?“, wiederholte er sich. „Du hast nicht mit Tyler rumgemacht? Du hast mich nicht betrogen? Also habe ich mir das eben alles nur eingebildet, oder was?“

„Hör mir doch mal zu“, flehte ich und Tränen stiegen mir in die Augen. Dryer jagte mir grade wirklich Angst ein. Aber nicht durch seine Art und Weise, sondern weil er mir Angst machte, ihn zu verlieren.

„Ich denke ich hab dir genug zu gehört und was hat mir das gebracht? Nichts als Lügen!“ Er ließ von mir ab, als hätte er sich verbrannt. Fest sah er mir in die Augen und drehte sich dann abrupt um.

„Dryer! Warte, ich …“, rief ich ihm hinter her. Meine Stimme brach und kein weiterer Ton wollte meinen Mund verlassen. Kälte kroch in meine Glieder, klammerte sich an mir fest und schien mich nicht mehr loslassen zu wollen. Die Tränen die ich grade eben noch mühsam unterdrückt hatte, liefen nun ungehindert über meine Wangen. Benommen rutschte ich an der Wand runter und starrte auf den Boden. War das grade wirklich passiert? Fest kniff ich mir in den Arm. Das durfte nicht sein! Ich wusste nicht wie lange ich einfach vor mich her starrte, ehe ich mich langsam erhob. Wie im Rausch lief ich los. Ich hatte keine Ahnung wohin, oder wo lang. Ich wollte einfach nur weg. Ich wollte vor meinem Schmerz fliehen. Ja, ich floh. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, dass es damit jetzt vorbei sein würde. Hatte ich nicht genau das auch meinem Vater gesagt? Das ich nicht mehr fliehen würde? Tja, so konnte man sich irren. Ich stolperte, fiel hin, stand auf und lief einfach weiter. Ein Schluchzen stieg in meiner Kehle auf, schaffte es aber nicht nach draußen. Bilder sprangen mir vor die Augen, während ich einfach weiter torkelte. Das Gefühl von Tyler wie er mich gegen die Mauer presste, seinen Mund auf meinen drückte, seine Zunge in meinen Mund zwang. Seine Finger die mich berührten. Würgend fiel ich auf die Knie und erbrach mich, bis nur noch Galle kam. Angewidert wischte ich mir mit dem Arm über den Mund und sah mich das erste Mal um. Durch den Mond konnte ich einigermaßen sehen wo ich mich befand und das gefiel mir überhaupt nicht. Ich ließ mich an einem Baum nach unten sacken und presste die Handballen auf meine Augen. Wie war ich bitte in den Wald gekommen? Verzweifelt zog ich meine Knie eng an den Körper. Ich zitterte, wusste jedoch nicht ob es von der Kälte, oder von der eben erlebten Situation herrührte. Mit tiefen Atemzügen versuchte ich mich selber zu beruhigen, was mir aber wenig bis gar nicht gelang. Mein Kindheitsfreund hatte sich gegen meinen Willen an mich heran gemacht, mein Freund hatte Schluss gemacht und ich hatte mich im Wald verlaufen. Ging es noch schlimmer? Das Zittern meiner Glieder nahm zu. Eine Weile starrte ich einfach nur vor mir hin, auf den Waldboden, bis mich das Geräusch von meinem Handy aus meiner Starre riss. Ich brauchte mehrere Anläufe bis ich den Anrufer entgegen nehmen konnte.

„Ja?“, hauchte ich ins Telefon.

„Luke? Wo bist du? Ich war grade bei Tyler und der meinte du bist noch nicht da! Hast du sein Gesicht gesehen? Und Dryer hat mich angeschrien das es ihn scheißegal ist wo du bist, was zur Hölle ist passiert?“, erklang Leos aufgebrachte Stimme durch das Handy. Ohne dass ich es aufhalten konnte, entwich ein Schluchzen meinem Mund.

„Du … weinst? Wo bist du Luke? Was ist passiert?“

„Ich … ich bin im Wald.“ Kurz stockte Leo.

„Du bist im Wald? Warum um Himmels Willen bist du im Wald?“, rief sie aufgebracht.

„Ich weiß es nicht“, sagte ich ehrlich. „Tyler hat mich einfach … und gegen meinen Willen … Dryer … und …“ Schluchzend klammerte ich mich an das Handy.

„Okay, beruhig dich erst mal, wo genau bist du rein gelaufen? Ich komme zu dir!“, versicherte sie mir. Erleichtert erklärte ich ihr die Stelle an der alles passiert war. Leo blieb die ganze Zeit am Handy, redete auf mich ein und ich lotste sie den Weg, soweit ich mich noch erinnern konnte. Eine knappe Stunde später, hörte ich das Holz hinter mir knacken. Erschrocken sprang ich auf, nur um kurz darauf nach vorne zu stürzen und von Leos Armen umfangen zu werden. Stumm strich sie mir über den Rücken. Erst nach einer ganzen Weile konnte ich mich von ihr lösen. Besorgt sah sie mich an.
„Kannst du mir jetzt erklären was passiert ist? Ich konnte am Telefon gar nichts verstehen und wir müssen unbedingt hier raus. Du bist eiskalt, du kannst froh sein wenn du keine Lungenentzündung bekommst“, sagte sie und diesmal glaubte ich ihr sogar. Ich zitterte am ganzen Körper, trotz der Jacke die Leo mir umgeworfen hatte. Bedrückt liefen wir zurück, bis ich anfing zu sprechen. Leo hörte mir stumm zu, unterbrach mich kein einziges Mal, nur ihr Gesichtsausdruck zeigte deutlich was sie von der ganzen Sache hielt. Sie sagte auch nichts als ich fertig war, sondern lief einfach nur stumm neben mir her. Dankbar nahm ich die Ruhe an. Gut das Leo nicht genau so einen schlechten Orientierungssinn hatte wie ich und genau wusste wo sie lang ging, weswegen wir schon wenig später wieder auf dem Platz standen. Ohne auf die Zeltplätze zu achten, zog sie mich zu den Waschräumen und direkt in die Mädchendusche hinein. Ich hatte keine Kraft mich zu wehren, weshalb ich einfach nur hinter ihr her trottete.

„Luke, jetzt komm mal wieder zu dir“, sagte Leo vorsichtig, als wollte sie mich nicht verschrecken. „Zieh dich aus.“ Sie nickte auf meine Klamotten und lief dann zu der Dusche und drehte diese auf. Widerstandslos tat ich es und wurde wenige Augenblicke später unter einen heißen Duschstrahl geschoben. Gequält schrie ich auf und wollte nach draußen springen doch Leo drückte mich bestimmt zurück, stand letztendlich selber halb unter der Dusche.
„Du musst wieder warm werden, das wird gleich besser“, sagte sie bestimmt, was aber nicht die Schmerzen verringerte. Aber sie behielt Recht. Mein Körper gewöhnte sich wieder an die Temperatur. Erleichtert seufzte ich auf als das Wasser angenehm wurde. Erst als meine Hände langsam schrumpelig wurden, trat ich aus der Dusche. Genau in dem Moment öffnete sich die Tür und ein zierliches, schwarzhaariges Mädchen erschien. Sie erstarrte mitten im Schritt als sie mich sah und riss die Augen auf.

„Das ist das Mädchenklo und du … du bist nackt!“, rief sie erschrocken aus und drehte sich schnell um. Ein schwaches Lächeln legte sich auf meine Lippen. Süße Reaktion. Leo reichte mir schnell ein Handtuch, welches ich mir um die Hüfte wickelte.

„Du kannst dich wieder umdrehen“, sagte ich rau und warf einen Blick in den Spiegel. Ich sah schrecklich aus. Meine Augen waren rot und angeschwollen. Mein Gesicht sah irgendwie eingefallen aus und ich konnte den Schmerz durch mein Spiegelbild in meinen Augen lesen.

„Bist du nicht der Schwule?“, riss das Mädchen mich von meinem Spiegelbild los. Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund. „So war das nicht gemeint, ich habe euch beide nur gesehen und ihr seid süß zusammen. Also du und der große Junge. Ich finde …“, sie brach ab, als sie sah wie mir Tränen in die Augen stiegen. Überfordert blickte sie von mir zu Leo. Diese zuckte aber auch nur schlicht mit den Schultern. Auch wenn sie alles wusste, sie würde es nie jemanden verraten.

 

„Oh ich … Tut mir Leid“, murmelte das Mädchen, obwohl sie noch nicht einmal genau wusste was los war. „Wollt ihr Gesellschaft oder soll ich euch alleine lassen?“ Wie kann jemand nur auf den ersten Blick so sympathisch rüber kommen?

„Kannst du uns bitte alleine lassen?“, bat ich sie leise. Sie schenkte mir ein Lächeln und drehte sich um. „Und hey! Ich bin Luke!“ Das Lächeln wurde breiter.

„Luna“, rief sie und schloss die Tür hinter sich.

„Nettes Mädchen“, sagte Leo und ich konnte ihr nur zustimmen. Ich an ihrer Stelle hätte glaub ich total anders reagiert. Wahrscheinlich hätte ich herumgeschrien, dass hier das Mädchenbad und nicht das von den Jungen ist. Ich blinzelte die Tränen aus meinen Augen und zog mir meine Klamotten wieder an.

„Kann ich bei euch schlafen? Ich meine, zu Tyler will ich nicht und zu Dryer ehrlich gesagt grade auch nicht. Er würde mich wahrscheinlich sowieso wieder raus werfen. Bestimmt nickte Leo.

„Wir schicken Sam zu Dryer, dann passt das schon. Oder wir quetschen uns du schläfst auf jeden Fall bei mir!“ Dankbar sah ich sie an. Wie hatte ich es nur verdient so eine gute Freundin zu haben? Langsam trotteten wir zurück zu den Zelten. Mit gesenktem Kopf lief ich hinter ihr her und rieb mir den Arm, an der Stelle an der Tyler mich gefasst hatte. Sie pochte immer noch und schon jetzt sah ich leichte Verfärbungen. Hätte Dryer ihm nicht schon eine rein geschlagen, würde ich das jetzt erledigen!

„Wie spät ist es eigentlich?“, fragte ich während ich einem Mülleimer auswich.

„Kurz nach zwölf, wieso?“
„Nur so“, murmelte ich. So lange war ich im Wald gewesen? Kein Wunder, dass mir so kalt war. Kaum dass wir auf unserem Platz angekommen waren, schoss Sam aus einer Traube von Menschen auf mich zu. Auch Dryer stand unter ihnen. Ich konnte von hier hinten erkennen, wie er erleichtert ausatmete als er mich sah. Es wirkte fast so, als wollte er auf mich zu kommen, würde sich aber im letzten Moment noch um entscheiden. Ich riss meinen Blick von ihm los und sah zu Sam.

„Was ist denn hier los?“, fragte ich. Er wollte mich grade aufgebracht anfahren, hielt aber inne als er in mein Gesicht blickte.

„Leo war so lange weg, ich hab mir Sorgen gemacht und na ja, vielleicht habe ich etwas hysterisch reagiert“, sagte er leise und verschluckte einige Worte. Ich hoffte für die beiden, dass es besser lief als bei mir und Dryer.

„Luke, willst du schon mal ins Zelt gehen? Ich rede noch kurz mit Sam.“ Ich nickte und lief mit gesenktem Blick los. Keine zwanzig Meter kam ich weit, ehe ich in jemanden hineinlief. Von allen Personen die es hätte treffen können, war das die Person, die ich am aller wenigstens sehen wollte. Finster hob ich meinen Blick. Fast schon entschuldigend sah Tyler mir entgegen. Sein Kinn war angeschwollen und er hielt ein Kühlpack dagegen. Schlagartig wandelte sich meine Trauer in Wut.
„Luke, hey tut mir l…“ Sein Satz unterbrach in einem stöhnenden Laut und er ging ächzend auf die Knie. Seine Hände hatte er schützend vor seine Weichteile geschoben. Schlagartig verstummten die Gespräche der Gruppe. Ehe ich mich versah, krachte meine Faust auch schon gegen seine Wange. Tyler sank fluchend in sich zusammen. Noch bevor ich erneut zu schlagen konnte, wurde mein Arm auf den Rücken gedreht. Wütend schrie ich auf und trat um mich. Tränen traten in meine Augen und liefen über meine Wangen. Da ich keine freie Hand hatte, konnte ich sie nicht wegwischen. Mit sanftem Druck wurde ich von Tyler und all den Schaulustigen weggeschoben. Stolpernd folgte ich dem Druck und landete schließlich vor Dryers Zelt. Abrupt hielt ich inne und wollte kehrt machen, wurde aber sanft zurückgezogen.

„Was sollte das?“, fragte Dryer bestimmt. Kein Hauch von Wärme in seiner Stimme.

„Fass mich nicht an!“, fuhr ich ihn an und riss meinen Arm aus seinen Griff.

„Was sollte das?“, wiederholte er seine Frage. Angepisst fuhr ich herum.

„Weißt du was Dryer, leck mich am Arsch. Vielleicht solltest du jemanden fragen der sich nicht von jedem durch ficken lässt!“ Wieder wurde ich zurückgezogen und kurz darauf hallte ein klatschendes Geräusch durch die Nacht.

„Ich sagte: 'Fass … Mich … Nicht … An!'“ Das Zittern begann in meinen Händen und breitete sich über meinen ganzen Körper aus. Fühlt sich so ein Nervenzusammenbruch an? Um es zu verbergen, fuhr ich mir durchs Gesicht und wischte die Tränen weg. Doch sein kritischer Blick sagte mir, dass er es schon längst gesehen hatte. Ich fühlte mich wie ein nervliches Wrack und wahrscheinlich war ich das auch. Dryer ignorierte seine rote Wange und ließ mich nicht los.

„Was ist mit dir?“, fragte er mich forschend. Hörte ich da Sorge aus seiner Stimme? Nein, das musste ich mir einbilden. Überfordert blickte ich überall hin, nur nicht zu ihm. Alles spielte verrückt. Wie konnte mein Leben in so kurzer Zeit, so dermaßen den Bach runter gehen? Eine große Hand hob mein Kinn an. Sanft fuhren seine Finger über meine geröteten Augen, die tiefen Ringe darunter. Kurz genoss ich das Gefühl, dann holte mich die Realität wieder ein.

„Was unter fass mich nicht an, verstehst du nicht? Sicher, dass du jemanden berühren willst, der sich von jedem ficken lässt?“ Ich wusste, dass man deutlich heraus hörte wie verletzt ich war, aber es war mir in dem Moment egal. Seufzend ließ er seine Hand sinken.

„Ich … hab das nicht so gemeint“, meinte er deutlich beherrscht. Seine Wut brodelte deutlich unter der Maske. Um mich selbst zu wärmen, schlang ich meine Arme um meinen Körper. Ich hatte nach der Dusche wieder mein dünnes Shirt angezogen. Mit zugekniffen Augen musterte er mich.

„Hat sich aber verdammt danach angefühlt“, nuschelte ich und senkte den Kopf. Dann standen wir uns schweigen gegenüber. Dryer unterbrach das Schweigen, indem er sich seufzend durch die Haare fuhr.

„Leg dich hin, ich muss noch kurz wohin.“ Ein hysterisches Lachen entfuhr mir.

„Genau, und danach gehen wir zusammen essen und du sagst mit wie sehr du mir vertraust“, schnaubte ich. Augenblicklich spürte ich Tylers Hände auf meinem Körper. Wieder stieg mir Galle in den Hals, doch ich schluckte sie tapfer wieder runter.

„Mach dich nicht lächerlich, Dryer. Ich schlafe bei Leo. Sam kommt zu dir.“ Mit den Worten wollte ich mich abwenden, wurde aber – wieder einmal – von ihm zurückgezogen. Diesmal hatte ich keinen Nerv mehr zu widersprechen, weswegen ich ihn abwartend ansah.

„Willst du die Zwei wirklich mit in unseren Streit hinein ziehen?“ Traurig ließ ich meine Schultern hängen. Er hatte ja Recht. Warum Sam und Leo trennen, nur weil es mir mal nicht gut ging? Wobei „nicht gut“ eine ziemliche Untertreibung war. Ich zog an meinen Arm, woraufhin er mich los ließ. Dann lief ich ohne ein weiteres Wort zum Zelt und schlüpfte hinein. Was tat ich hier nur? Hier gab es nur eine Isomatte, einen Schlafsack, von dem Kissen gar nicht erst zu sprechen. Schläfrig durchwühlte ich seine Sachen und fand noch eine dünne Wolldecke. Das musste reichen. Ich schmiss sie auf den harten Zeltboden, legte mich vorsichtig darauf und schlang dann das freie Ende um mich herum. Und ich fror erbärmlich. Am liebsten würde ich mich wieder unter die Dusche stellen, die Kälte und das dreckige Gefühl von mir abspülen.

 

Ich wusste nicht wie lange ich hier schon lag, ehe das Zelt geöffnet wurde. So leise wie möglich kam Dryer in das Zelt und mir fiel nichts anderes ein, als mich schlafend zu stellen. Kurz erschien Licht vor meinen Augenlidern, dann ertönte ein leises Fluchen und raue Hände fuhren über meine Arme. Kurz rubbelte er sie warm, ehe ein Rascheln ertönte. Dann spürte ich wie der Schlafsack über mich ausgebreitet wurde. Die Seiten wurden vorsichtig unter mich geschoben. Womit wollte er jetzt schlafen? Tränen stiegen in meine Augen. Obwohl er dachte, dass ich ihn betrogen hatte, kümmerte er sich noch so gut um mich? Er strich mir eine Strähne aus den Augen und dann spürte ich etwas Weiches an meiner Stirn. Lippen? Kurz darauf ging das Licht aus. Wirklich warm wurde mir trotz des Schlafsacks nicht. Wie musste es Dryer ergehen? Ich hatte grade eben wenigstens noch die dünne Decke. Ich wartete eine ganze Weile, ehe ich mich so leise es ging auf richtete und den Schlafsack zu ihm rüber zog. Sofort schmiegte sich sein Körper hinein. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, ehe ich mich wieder hinlegte. An Schlaf war aber nicht zu denken. Zu viel war passiert. Mein Kopf wollte mir keine Ruhe geben, meine Gedanken stoben in alle möglichen Richtungen, trafen sich aber alle bei Dryer wieder. Stumm starrte ich an die schwarze Decke. Nach geschätzten zwei Stunden regte er sich neben mir. Er tastete über den Schlafsack, ehe er sich ruckartig aufrichtete. Sein Blick fuhr zu mir, aber seine Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Ruhig betrachtete ich ihn, ehe ich meinen Kopf wieder zur Decke drehte. Er räusperte sich.

„Du bist wach, oder?“

„Ja“, kam es rau von mir. Zu mehr war ich nicht fähig.

„Wieso hast du mir den Schlafsack gegeben?“, flüsterte er in die Dunkelheit. Alles andere würde sich auch nicht richtig anfühlen.

„Mir war nicht kalt“, log ich und das Beben meiner Glieder strafte meinen Worten lügen.

„Ich spür' dein Zittern bis hier“, zischte er mich an.

„Dann ignorier es halt“, fuhr ich ihn leise an und drehte ihm den Rücken zu. Die Wolldecke schlang ich enger um mich. Ein Seufzen ertönte, dann kroch er zum anderen Ende vom Zelt und kramte in seiner Tasche. Nach ein paar Minuten schien er fündig geworden zu sein, denn er schloss die Tasche wieder. Dann wurde ohne Vorwarnung mein Bein gepackt. Erschrocken trat ich nach ihm. Ein Grunzen ertönte und mein Bein wurde erneut ergriffen. Diesmal hielt ich still. Warme Hände zogen mir die klammen Socken von den Füßen und wärmten sie. Gegen meinen Willen entspannte ich mich leicht. Dann wurden mir Socken übergezogen.

Und noch ein Paar.

Und noch eins.

„Dryer, ich glaube, dass …“, setzte ich an.

„Halt den Mund!“, wurde ich unterbrochen und dann kroch er zu mir nach oben. Hände ertasteten meine Hose, welche aber trocken war, im Gegensatz zu meinem Shirt, welches auch klamm an meinem Körper klebte.

„Du willst doch sterben“, knurrte er und schob mein Shirt hoch. Ohne eine Aufforderung hob ich meine Arme und ließ es mir ausziehen. Dann zog er mir mehrere Oberteile über. Wenigstens würde mir jetzt warm werden, auch wenn ich mich etwas eingezwängt fühlte. Sobald das letzte Oberteil an seinem Platz saß, drehte er mich herum sodass wir geschickt die Plätze wechselten. Nun saß ich auf der weichen Matte und Dryer auf dem harten Boden. Er tauschte die Decken aus und legte sich ohne ein weiteres Wort hin. Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Dann füllten sich meine Augen wieder mit Tränen.

Dass ich überhaupt noch welche übrig hatte …

Ein Schluchzen kroch in meiner Kehle hoch und ließ sich nicht aufhalten. Schnell drückte ich meinen Kopf in das Kissen. Trotzdem war ich mir sicher, dass Dryer es gehört hatte. Immer wieder wurde mein Körper von Schluchzern durch rüttelt. Ich glaube den letzten Weinkrampf hatte ich, als ich sechs war. Und da kam mir alles noch nicht so schlimm vor, da war es nur um das zu bekommen was ich wollte. Jetzt grade konnte ich mich einfach nicht mehr zusammen reißen. Dryer neben mir bewegte sich nicht und tat nichts. Seine Worte von vorhin drückten mein Herz zusammen, aber ich glaube an seiner Stelle hätte ich weit schlimmere Sache gesagt. Dinge, die man nicht mehr hätte zurück nehmen können. Er hatte nur gesagt wie es für ihn in dem Augenblick aussah.

Eine Hand tastete sich meinen Arm entlang, bis sie schließlich meine Hand fand und diese fest drückte. Ich griff so fest zu, dass ich seine Knochen knirschen hören konnte.

„Gott, Luke!“, seufzte er und zog mich zu sich heran. Fest schloss ich meine Arme um ihn und vergrub mein Gesicht an seiner Brust. Die Umarmung wurde nur zaghaft erwidert.

„Wieso tust du das?“, brachte ich zwischen zwei Schluchzern hervor.

„Weil ich meine Gefühle für dich nicht einfach auf stumm stellen kann“, knurrte er sichtbar von sich selber genervt. „Wieso bist du eigentlich immer noch so kalt?“

„Herz aus Eis“, murmelte ich und schlüpfte mit meinen kalten Händen unter sein Shirt. Er zuckte zusammen, als ich sie auf seinen Rücken legte, sagte jedoch nichts. Eine Weile lagen wir stumm da, nur einzelne Schluchzer unterbrachen die Stille.

„Warum?“, fragte er leise. Ich wusste was er meinte, aber trotzdem konnte ich ihm keine Antwort geben. Ich wollte ihm die Wahrheit sagen, aber was würde er dann von mir denken? Dass ich zu schwach war mich zu wehren? Dass ich nicht mal nein sagen kann? Dass ich dreckig war? Stattdessen sagte ich einfach nichts. Es schien ihm Antwort genug, denn als ich mich einigermaßen wieder beruhigt hatte, schob er mich zurück auf die Matte. Es überraschte mich jedoch, als er sich zu mir rollte, sodass wir wieder nebeneinander lagen. Er schmiegte sich gegen meinen Rücken und es war wie zuvor. Doch ich wusste, dass das nur den Anschein hatte. Wir waren nicht mehr zusammen. Wahrscheinlich wollte er mich nur wärmen. Sein Arm schlang sich um meine Hüfte und gab mir Sicherheit.
„Dryer?“, fragte ich leise in die Dunkelheit. Ein tiefes Brummen ertönte.

„Danke“, flüsterte ich. Danke, dass du Tyler von mir weggezogen hast, fügte ich in Gedanken hinzu. Ich wollte gar nicht erst daran denken was passiert wäre wenn er nicht gekommen wäre. Er brummte erneut und sein Atem stieß auf meinen Hals. Das Zittern von meinen Gliedern hatte aufgehört, wie ich erleichtert feststellte.
„Warum bist du uns nachgelaufen?“, traute ich mich leise zu fragen. Der Druck von seinem Arm verstärkte sich.

„Schlaf jetzt“, befahl er barsch. Und da ich ihn nicht noch mehr verärgern wollte, schloss ich meine Augen.

 


Kapitel 12:

 

Als ich erwachte war mir heiß, mein Hals schmerzte und mein Kopf riss mich fast auseinander. Ein gequältes Stöhnen verließ meinen Mund. Unter Schmerzen richtete ich mich auf und zog mir die etlichen Schichten Klamotten vom Körper. Dryer schlief immer noch neben mir, sein Gesicht mir zugewandt. Schlaff ließ ich mich wieder neben ihn sinken. Mein Mund war trocken und schrie nach Wasser, ich konnte hier aber nirgends etwas entdecken.

„Dryer“, krächzte ich. Und als er nicht reagierte, rüttelte ich vorsichtig an seiner Schulter. Erleichtert seufzte ich auf, als er die Augen aufschlug und ließ mich zurück fallen.

„Hast du was zu trinken hier?“, kam es rau und heiser aus meinem Hals. Dryer schloss die Augen wieder und fuhr mit der Hand zum Zelteingang. Zurück kam er mit einer halb vollen Flasche Wasser. Dankbar stürzte ich das Wasser herunter. Mein Hals drohte zu zerbersten, aber das Wasser half wenigstens ein bisschen. Dann schloss ich meine Augen wieder und zog die Luft rasselnd durch meine Lungen. Na das hatte ich grade noch gebraucht. Scheiße, ich wollte einfach nur nach Hause. Nicht in die WG, sondern nach Hause, in mein altes Zimmer. Seitdem Dryer in meine Klasse gekommen war, ging auch wirklich alles schief. So viel Pech hatte ich mein ganzes Leben nicht. Nicht das ich ihm jetzt die Schuld zuschieben wollte. Irgendwann schlief ich über meinen Gedanken ein.

 

Von meinem eigenen Stöhnen wurde ich geweckt. Mein Shirt klebte feucht kalt am Körper, sodass ich es direkt auszog. Den Schlafsack hatte ich schon weggestrampelt. Das Selbe tat ich jetzt mit meiner Hose. Ohne mir die Mühe zu mache mich auf zu setzten, streifte ich sie mir von den Hüften. Ich hatte keine Ahnung wie spät es war, aber es schien schon Mittag zu sein. Licht schien schwach in das Zelt und ein Blick neben mich zeigte, dass Dryer nicht mehr neben mir lag. Erneut schloss ich meine Augen, konnte aber nicht mehr einschlafen. Die Hitze machte mich wahnsinnig. Ich schob die Socken ebenfalls von meinen Füßen und genoss den kleinen Lufthauch, ehe ich mich ächzend auf den Bauch drehte. Ich streckte meine Beine aus und schob meine Arme weiter über meinen Kopf. Dann vergrub ich meinen Kopf in das Kissen und atmete erleichtert aus, als sich der kühle Stoff auf meine Stirn legte. Keine Ahnung wie lange ich hier schon lag und minütlich das Kissen herum drehte. Meine Augen klebten zusammen und schienen sich gar nicht richtig öffnen zu wollen. Ebenso fühlten sich meine Gliedmaßen an, als wären sie mit Blei ausgegossen. Ich rollte mich grade auf den Rücken, als das Zelt aufgezogen wurde. Das Licht schmerzte in meinen Augen, so dass ich sie sofort wieder schloss. Dryer kroch zu mir rein, ließ das Zelt aber hinter sich offen.

„Hey, du bist ja immer noch am Schlafen. Die anderen warten schon, es ist schon Nachmittag und …“ Stockend hielt er inne. „Wieso hast du nichts an?“

„Heiß“, krächzte ich und zog mir das Kissen über das Gesicht. Ruppig wurde es weggerissen. „Hey!“, beschwerte ich mich und wollte mich aufrichten, sackte jedoch wieder zurück auf die Matte. Eine kühle Hand legte sich auf meine Stirn und dann fing Dryer lauthals an zu fluchen. Ohne ein weiteres Wort stieg er aus dem Zelt und lief davon. Überrascht sah ich ihm hinterher, was sollte das denn? Langsam begann auch meine Blase unangenehm zu drücken, so dass ich mich mühsam aufrichtete. Schlicht bekleidet wie ich war, stieg ich ebenfalls aus dem Zelt. Mit zusammengekniffenen Augen, torkelte ich los zum Waschraum. Einzelne, verwirrte Blick folgte mir, doch ich beachtete sie nicht weiter. Mühsam schleppte ich mich in das Bad und auf die Toilette. Dort verbrachte ich länger als mir lieb war. Schlapp stützte ich mich schließlich auf das Waschbecken auf und kippte mir Wasser über den Nacken und ins Gesicht. Ein kurzer Blick in den Spiegel sagte mir, dass ich genauso aussah wie ich mich fühlte: Einfach nur Scheiße. Schnell wandte ich den Blick ab und lief wieder zum Zelt. Ich wurde schon sehnlichst erwartet. Und zwar von Dryer, welcher nicht sonderlich begeistert aussah. Seine Arme waren fest vor der Brust verschränkt und seine ganze Körperhaltung strahlte Ablehnung aus. Ich überlegte sogar, ob ich einfach umdrehen sollte und zu Leo und Sam ins Bett zu kriechen, aber das kam mir dann doch ein bisschen albern vor. Mit langsamen, wankenden Schritten lief ich auf ihn zu, die Hände nervös ineinander gekrallt. Anscheinend dauerte es ihm zu lange, denn er kam mit großen Schritten auf mich zu und zog mich zum Zelt. Dann wurde ich nicht grob, aber auch nicht grade vorsichtig, hinein gedrückt. Erschrocken ließ ich mich auf die Matratze sinken und sah zu ihm hoch. Fast schon finster musterte er mich. Sein Blick strich über meinen halb nackten Körper, bis zu meinem Gesicht, blieb an meinem blauen Auge hängen. Seufzend ging er neben mir in die Hocke und legte seine kühle Hand erneut auf meine Stirn. Seine Augenbrauen zogen sich verärgert zusammen.

„Leg dich hin!“, befahl er und durchwühlte einen kleinen Koffer. Nervös blieb ich sitzen und beobachtete ihn. Wie würde es jetzt mit uns weiter gehen? Gab es überhaupt noch ein „wir“? Er schenkte mir einen mahnenden Blick und als ich immer noch nicht reagierte, drückte er mich einfach nach hinten. Wehrlos ließ ich es über mich ergehen. Dryer war wütend. Deutlich konnte ich es ihm ansehen. Seine Bewegungen waren grob und abgehackt. Seine Augen waren zusammengekniffen und er hatte deutlich Mühe dabei sich zu beherrschen. Und es war alles meine Schuld.

Nein, falsch! Es war Tylers Schuld. Wieder kochte die Wut in mir hoch. Wie kam er überhaupt auf so einen Mist? Er hätte mich auch einfach fragen können oder mir, wie jeder normale Mensch sagen können, dass er etwas von mir wollte, anstatt es sich einfach zu nehmen. Ein Fieberthermometer wurde mir in den Mund geschoben, ehe ich „Ah“ sagen konnte. Die Stimmung war bedrückt. Weder ich noch Dryer sagte ein Wort. Erst als das Thermometer piepte, kam wieder Bewegung in uns. Meine Hand die das Thermometer nehmen wollte, wurde grob zur Seite geschlagen.

„38,7“, murmelte Dryer, ehe er eine Packung Tabletten herbei zauberte.

„Wo hast du die ganzen Sachen her?“, flüsterte ich, da meine Stimme nicht mehr zuließ.

„Lehrer“, erwiderte er schlicht und drückte mir eine Tablette in den Mund. Auffordernd hielt er mir eine Flasche Wasser hin, mit der ich die Tablette herunter schluckte. Die dünne Decke wurde über mich gezogen und obwohl ich sie am liebsten weggestrampelt hätte, ließ ich es sein.

„Du bleibst hier. Ich hab dich schon krank gemeldet und die Tasse meinte, dass nur ich zu dir gehen soll, damit sich nicht alle anstecken. Also leg dich hin und schlaf.“ Monoton verließen die Worte seinen Mund. Als würde er sie gelangweilt ablesen.

Tief atmete er ein. Die kühle Fassade schien von ihm abzufallen und sein verwundbares, verletztes Inneres zu offenbaren.

„Weißt du was das dümmste ist? Ich dachte wirklich, dass das zwischen uns etwas Ernstes ist“, flüsterte er. Wortlos drehte er sich um und wollte aus dem Zelt verschwinden, doch diesmal war ich schneller. Meine Hand hatte sich fest um seinen Oberarm geschlossen, ehe ich überhaupt realisierte was ich tat. Mit gesenktem Kopf zog ich ihn zurück.

„Hör auf mir ein schlechtes Gewissen zu machen“, krächzte ich. Ein verblüfftes Lachen entfuhr ihm, ehe er sich zu mir herum drehte.

„Und warum nicht? Ich habe dich schließlich nicht betrogen!“, fuhr er mich an. „Ich bin nicht derjenige, der sich vom Möbelpacker küssen lassen hat und ich bin auch nicht derjenige, der sich Tyler förmlich an den Hals geworfen hat.“ Er hatte seine Fassade wieder aufgebaut und blickte aus kühlen Augen zu mir rüber. Zitternd krallte ich meine Finger in seinen Arm. „Sicher, dass du nicht schon die ganze Zeit weißt, dass du schwul bist? Denn das ist ein Zufall zu viel!“ Meine Schultern sanken womöglich noch weiter herunter. Ich konnte ihm grade einfach nicht in die Augen blicken. Woher sollte ich wissen, woher auf einmal das ganze Interesse von anderen Kerlen kam? Strahlte ich auf einmal etwas aus, das schwul sagte?

„Das ist nicht fair“, flüsterte ich. Die Decke rutschte von meinen Schultern als ich mich nach vorne lehnte.

„Nein, das was du gemacht hast ist nicht fair!“, raunzte er und zog die Decke wieder über mich. Seine Finger streiften meine nackte Haut und hinterließen eine Gänsehaut. Falls er es bemerkte, ließ er sich nichts anmerken. So würde das nie wieder etwas werden. Ich sollte ihm sagen, dass Tyler sich mir einfach aufgedrängt hat, aber ich konnte es nicht. Hatte man nicht gesehen, dass er mich gegen die Wand gedrängt hatte? Dass ich seine Hand in meiner Hose alles andere als erregend fand? Dass ich das alles gar nicht wollte? Anscheinend ja nicht.

„Hast du überhaupt einmal richtig darüber nachgedacht?“, fragte ich leise und erntete ein abfälliges Schnauben.

„Ich habe die ganze Zeit nichts anderes gemacht. Aber egal was du mir erzählst, es wird sich nichts ändern! Es ist vorbei“, sagte er rau. Er wollte mich nicht mehr! Die Nachricht war so klar und deutlich, dass sogar ich sie verstand. Selbst wenn er wüsste was Tyler getan hatte, es wäre ihm egal. Für ihn stand es längst fest, ich wurde da nicht gefragt. Langsam löste ich meine Finger von seinem Arm. Wenn ich vorher noch geglaubt hatte, dass die Beziehung noch zu retten war, sah ich es jetzt anders.

„Angekommen“, flüsterte ich und zog mir die Decke enger um die Schultern. Auf einmal war mir kalt. „Wenn du willst lasse ich dich in Ruhe.“ Umständlich richtete ich mich ganz auf und suchte nach meiner Hose. Dryer sah mir ruhig dabei zu wie ich die Hose und meine restlichen Kleidungsstücke anzog. Erst als ich mich an ihm vorbei drängen wollte, kam Bewegung in ihn. Er rutschte ein Stück zur Seite, sodass er mir mit seinem breiten Körper den Weg versperrte. Überrascht hielt ich inne. Was sollte das jetzt werden?

„Was glaubst du wird das?“, fragte er mit gepresster Stimme. Er machte nicht die Anstalt sich zu bewegen. Sein Mund presste sich zu einem schmalen Strich und die Stirn lag in Falten. Ungeachtet dessen, rutschte ich ganz an die Seite und versuchte einfach an ihm vorbei zu kriechen. Dass es mir nicht gelang, war eigentlich schon voraus zu sehen.
„Lass mich durch“, sagte ich und schluckte den Schmerz in meinem Hals runter.
„Denkst du wirklich, dass ich dich raus lasse, wenn du grade mal auf eigenen Beinen stehen kannst?“ Verärgert zog ich die Augenbrauen zusammen.

„Was geht dich das an?“, entkam es mir unwirsch. Dryers Hände zuckten als wollte er mich durchschütteln. „Ich stecke schon niemand anders an und jetzt lass mich gefälligst durch!“, befahl ich ihm. Jedoch schwand die Wirkung, als ich kurzerhand in einen Hustenkrampf ausbrach. Seelenruhig wartete Dryer ab, bis ich wieder richtig atmen konnte. Dann schnappte er sich einfach meine Schultern und drückte mich nach hinten. Erschrocken ruderte ich mit den Armen und traf ihn versehentlich im Gesicht. Seine Augen wurden groß und seine Hand legte sich auf seine Wange.

„Oh Scheiße. Das tut mir leid, ich wollte nicht … Ich hatte nicht vor dich zu schlagen. Sorry, ich wollte das wirklich nicht … Das war wirklich ein Versehen …“

„Das letzte Mal hast du dich nicht entschuldigt“, grinste er leicht und sank nach hinten. Wärme schoss in meine Wangen.

„Da habe ich es ja auch mit Absicht getan“, flüsterte ich und senkte meinen Blick. Dafür würde ich mich auch nicht entschuldigen. Auch wenn es mir Leid tat. Ich war noch nie ein gewalttätiger Mensch, aber an diesem Abend ging eben alles schief.

„Warum?“ Eine kühle Hand hob mein Kinn an. Was hatte er nur mit dem Augenkontakt? Ich sah lieber dahin, wo mich niemand betrachtete. Und trotzdem versank ich in seinen braunen, ehrlichen Augen. Diese Augen konnten nicht lügen und das Einzige was ich in ihnen zur Zeit lesen konnte, waren Schmerz und Wut.

Und Liebe.
„Ich konnte es nicht ertragen angefasst zu werden. Ich … Tyler und du, das war einfach zu viel.“ Nachdenklich sah er mich an.

„Das ergibt keinen Sinn“, kam er schließlich zu einem Schluss. Ich zuckte schlicht mit den Schultern. Sollte er sich doch dazu denken was er wollte. Mit einem schwermütigen Seufzer ließ er sich neben mir auf die Matte fallen. Stumm sah ich zur Decke, wartete darauf, dass er etwas sagte. Dryer schien es jedoch nicht eilig zu haben, denn er lag einfach da, sah zu mir rüber und dachte nach. Erschöpft schloss ich meine Augen, er würde mit der Sprache schon noch raus rücken. Zwischendurch nickte ich weg, fiel aber nicht in den Schlaf. Die ganze Zeit über spürte ich seinen musternden Blick auf mir, wie er über jeden Zentimeter von meinem Körper strich und als er nach meiner Hand griff und sie zu sich zog, öffnete ich nicht einmal meine Augen, ich ließ ihn einfach machen. Vorsichtig strich er über mein Handgelenk. Dann legte er jeden Finger einzeln darauf, nur um die Hand danach fest darum zu schließen. Erst als er wütend auffuhr, öffnete ich meine Augen. Grob zerrte er an meinem Arm, sodass ich mich zwangsläufig aufrichten musste.
„Wer war das?“ Auffordernd sah er mich an.

„Wer war was?“, fragte ich verwirrt und folgte seinen Blick auf mein Handgelenk. Deutlich konnte man blau unterlaufende Fingerabdrücke sehen. Schnell wollte ich meinen Arm zurückziehen, doch er hielt ihn unerbittlich fest und wiederholte seine Frage. Unwohl zuckte ich mit den Schultern. Was sollte ich sagen? Dass ich nicht ganz so mit Tylers Vorgehensweise einverstanden war, wie er dachte?

„Du wirst doch wohl wissen wer das war? Erzähl mir nicht, dass du es nicht mehr weiß, das muss verdammt wehgetan haben!“ Sein musternder Blick fiel auf den neuen Schorf auf der Wunde. Der hätte aber auch von dem Schlag auf Tyler stammen können. Ich ließ mich wieder nach hinten sinken, was schwerer war als gedacht, da er meinen Arm immer noch festhielt.

„Bekomme ich auch noch eine Antwort?“, fragte als eine Weile Schweigen herrschte.

„Nein“, sagte ich fest und drehte ihm den Rücken zu.

„Weißt du, dass du nicht sehr überzeugend rüber kommst wenn du so heiser bist, dass man dich kaum verstehen kann?“, neckte er mich und ich konnte nicht anders als darauf einzugehen.

„Leck mich!“, knurrte ich rau ohne mich umzudrehen.

Das erledigte er für mich. Mit funkelnden Augen kniete er sich über mich und pinnte meine Arme über meinen Kopf.

„Hör auf damit. Hör auf mir flapsige Antworten zu geben, hör auf damit mir die Schuld in die Schuhe zu schieben und vor allem hör auf mich dauernd zu hauen! Ich kann meine Gefühle nicht einfach abschalten. Das kann ich nun mal nicht und ich möchte es auch nicht. Und glaube mir, ich finde raus wer das war!“ Er nickte zu meiner Hand. Dann löste er sich schnell von mir.

„Ich schlafe heute bei Sam und Leo. Wenn was ist, ruf mich am besten einfach an.“ Hektisch drehte er sich um und verließ das Zelt. Was war das denn? Hieß das, ich musste die ganze Klassenfahrt alleine schlafen? Gähnend rollte ich mich zu einer Kugel. Dabei hatte die Klassenfahrt so gut angefangen. Hätte ich Tyler nur nicht wieder getroffen. Den Rest des Tages verbrachte ich dösend. Abends brachte Dryer mir wortlos Essen und verschwand schnell wieder. Die Nacht lag ich so gut wie komplett wach, da mein Kopf einfach keine Ruhe geben wollte. Mehrmals zuckte meine Hand zu meinem Handy, wählte Dryers Nummer, nur damit ich sie wieder löschen konnte. Erst am frühen Morgen schlief ich schließlich ein. Ich wachte erst wieder auf, als Dryer mit dem Mittagessen in der Hand in das Zelt kam.

„Wie geht es dir?“ Vorsichtig stellte er das Essen neben mir ab. Aus geschwollenen Augen sah ich zu ihm raus. Anstatt einer Antwort hielt ich nur meinen Daumen hoch und schloss wieder die Augen.

„Mund auf“, forderte er mich auf und hielt mir das Thermometer vor den Mund. Brav öffnete ich ihn und kurz darauf piepste es auch schon. Zufrieden sah Dryer auf das Ergebnis.

„Also Fieber hast du keins mehr. Anscheinend haben die Tabletten gewirkt.“ Wieso fühlte ich mich dann trotzdem so scheiße?

„Okay, hoch mit dir!“ Ächzend hievte ich mich in eine sitzende Position. Gott, ich sollte dringend duschen. Unauffällig schnupperte ich unter meinen Armen. Ganz dringend! Während des Fiebers hatte ich die ganze Zeit geschwitzt und immer noch fühlte ich den Schweiß auf meiner Haut kleben. Dryer sah mir anscheinend an wie unwohl ich mich fühlte, denn er lächelte mitfühlend und hielt mir dann das Essen hin.

„Du kannst gleich duschen gehen. Aber erst mal wird gegessen.“ Grummelig schlang ich das Essen runter. Erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig ich eigentlich war. Das Schlimmste war hoffentlich wirklich überstanden. Dryer beobachtete mich amüsiert.

„Fertig!“, ich gab ihm die Schüssel zurück und wollte meine Duschsachen zusammen räumen, als mir einfiel, dass meine Tasche noch bei Tyler stand. Fluchend hielt ich inne.

„Was ist?“, fragte Dryer auch gleich.

„Meine Tasche ist noch bei Tyler“, murmelte ich rau. Dann kroch ich hustend an Dryer vorbei und griff nach meinem Handy. Unter seinem aufmerksamen Blick wählte ich Leos Nummer.

 

„Ja?“

„Leo? Kannst du mir bitte meine Tasche bringen?“, fragte ich und wich Dryers Blick beschämt aus. Das sollte er alles eigentlich gar nicht mitbekommen.
„Ja klar, die liegt noch bei Tyler. Schönes Veilchen hast du ihm übrigens verpasst. Passt farblich super mit dem Kinnhaken von Dryer zusammen!“

„Er hat es verdient!“, grummelte ich. Lustig fand ich das gar nicht.
„Was hat wer verdient?“, unterbrach Dryer mich. Ich warf ihm einen Blick zu, antwortete aber nicht.

„Okay, ich bring sie dir gleich vorbei“, sagte Leo und ich bedankte mich artig. Als ich auflegte wiederholte Dryer seine Frage. Er schien sie sich aber teilweise schon selber beantwortet zu haben.

„Tyler“, meinte ich nur schlicht. Hilflos fuhr er sich durch die Haare.

„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich etwas wichtiges nicht mitbekommen habe“, nuschelte er mehr zu sich selber, als zu mir. Da hatte er so was von Recht! Auffordernd sah er mich an.

„Sag es mir!“, ordnete er mir an. Alles in mir zog sich zusammen.
„Was?“
„Was ich nicht mitbekommen habe!“ Ein bedeutsamer Blick traf mich.

Mit einem möglichst unschuldigen Blick zuckte ich die Achseln. So gut kannte Dryer mich nicht. Ich konnte ihn bestimmt irgendwie an der Nase herum führen. Stumm sah er mich an. Nicht ein Muskel in seinem Gesicht zuckte. Er blinzelte nicht, der Blick war einfach starr auf mich gerichtet, als wollte er die Worte aus mir raus zwingen. So lange es ging hielt ich seinem Blick stand, ehe ich ihn beschämt abwandte. Blickduelle gewann ich selten. Nie gewann ich sie gegen Dryer. Er strahlte einfach so eine Selbstsicherheit und Entschlossenheit aus, dass ich es nie lange durchhielt.

„Sag es mir!“, knurrte er und blickte weiterhin starr auf mich. Mit einem gefakten Lachen sah ich wieder auf.

„Bilde dir nicht so viel ein. Da war nichts. Gar nichts.“ Immer noch lachend drängte ich mich an ihm vorbei bis zum Zeltausgang. Es klang schon fast hysterisch. Er hielt mich nicht auf als ich aus dem Zelt zwängte. Von außen verschloss ich den Eingang wieder und atmete erst mal tief durch. Dann überlegte ich was ich tun sollte. Leo war bestimmt jeden Moment hier mit meinen Sachen. Ohne dass ich wirklich darüber nachdachte, gaben meine Beine unter mir nach und ich ließ mich auf das feuchte Gras sinken. Hatte es geregnet? Seufzend zog ich meine Beine an den Körper und schlang die Arme darum. Hoffentlich beeilte Leo sich. Gefühlte Stunden starrte ich Löcher in die Luft, ehe ich sie auf mich zukommen sah. Erleichtert sprang ich auf und lief ihr entgegen.

Mit einer Umarmung begrüßte sie mich.

„Hey, du siehst ja wirklich fertig aus. Wie geht’s dir?“, fragte sie mitleidig. Ich wusste, dass sie nicht fragte weil ich krank war, sondern wegen der Sache mit Tyler.

„Scheiße“, murmelte ich und vergrub meinen Kopf an ihrem Nacken. „Ich weiß echt nicht was ich machen soll. Dryer … Gott, ich habe ihn doch nicht einmal verdient!“, fuhr ich auf und löste mich von ihr. Dann hielt ich ihr auffordernd meine Hand hin. Mit gerunzelter Stirn, schob sie ihre Hand mit meiner Tasche hinter ihren Rücken.

„Wieso denkst du das? Wie kommst du auf so einen Schwachsinn?“, fragte sie verdattert, den Blick auf meine ausgestreckte Hand gerichtet.

„Vielleicht weil es die Wahrheit ist? Dryer braucht niemanden der ihm nur Ärger macht. Der nicht mal ein bisschen Ahnung vom schwul sein hat!“ Ich dachte an seine dominante Art. Seine Klapse auf meinen Hintern. Dryer brauchte auf jeden Fall jemanden der wenigstens ein bisschen Erfahrung hatte. Und da konnte ich leider nichts bieten.

„Merkst du eigentlich wie lächerlich du dich benimmst?“, fragte Leo wütend und ließ mich stutzen.

„Bitte?“, fragte ich.

„Marcy ist so ein liebenswürdiger Mensch. Hast du schon mal überlegt, dass er dich vielleicht auch braucht? Du drückst dich wo du nur kannst und anstatt deinen Arsch hoch zu kriegen und zu versuchen ihn zurückzugewinnen, jammerst du nur rum! Reiß dich endlich mal zusammen und gib ihm was zurück. Denkst du, er hätte mit dir so Schluss gemacht wenn du ihm nichts bedeuten würdest? Verdammt, er hat sich danach sogar noch um dich gekümmert. Wäre ich an seiner Stelle, würde ich dich hochkant wieder aus meinem Zelt treten!“, rief sie aus und funkelte mich an.

„Denkst du nicht, dass du da zwei wichtige Punkte vergisst?“, fragte ich sie leise.

„Nein, aber du kannst mich gerne aufklären.“

„Erstens bin ich krank. Da kann man nichts anders machen als herum zu liegen.“ Wie um meine Worte zu bekräftigen, musste ich husten. „Und Zweitens wollte ich ihn nicht betrügen und ich habe es auch nicht. Tyler hat sich mir aufgedrängt, wenn ich die Zeit zurück drehen könnte, würde ich ihm direkt in die Eier treten“, sagte ich jetzt auch schon etwas lauter.

„Wenn du hier stehst und mit mir streiten kannst, wirst du jawohl auch um Marcy kämpfen können. Ja, das mit Tyler war scheiße, verletzend und noch vieles mehr und ich kann verstehen, dass das alles andere als leicht zu verdauen ist, aber das Leben geht weiter. Es ist noch nicht lange her, aber Luke, du bist nicht schwach! Rede dir das gar nicht erst ein. Du warst überfordert, in so einer Situation wäre das wohl jeder. Marcy geht es genauso beschissen wie dir, glaub mir. Du solltest es ihm auch sagen, ich weiß wie du darüber denkst, aber glaubst du nicht auch, dass er verdient hat zu erfahren, dass sein Freund ihn gar nicht betrogen hat, sondern mehr oder weniger gezwungen wurde? Zeig ihm verdammt nochmal, dass du ihn immer noch willst! Du musst deinen Arsch jetzt hochbekommen, Luke. Denn glaub mir, wenn du es jetzt nicht tust ist es zu spät.“ Nach dieser eindrucksvollen Rede, drückte sie mir meine Tasche wortlos in die Hand und lief davon. Wütend stapfte ich zu den Duschräumen. Wenn ich eins an Leo hasste, war es dass sie so gut wie immer Recht hatte. Natürlich ging es Dryer scheiße. Ich an seiner Stelle, würde mich nicht mal mit der rechten Arschbacke angucken. Und ich würde die Wahrheit erfahren wollen. Doch ich war nicht an seiner Stelle und ich würde es hoffentlich niemals sein. Ich betrat die Umkleide und zog mich aus. Dann stellte ich mich unter die Dusche und ließ das warme Wasser meine Muskeln entspannen. Ich musste mich wirklich zusammen reißen. Was tat ich eigentlich hier? Ich jammerte nur rum, heulte mir die Augen aus dem Kopf und klammerte mich an jemanden, dem es wahrscheinlich genauso scheiße ging wie mir. Erst als das Wasser langsam kühler wurde, stieg ich aus der Dusche und schlang mir bibbernd das Handtuch um den Körper. Schnell trocknete ich mich ab und noch schneller stieg ich in frische Klamotten. Ich fühlte mich schon wesentlich besser, jetzt wo meine Haare nicht mehr eklig abstanden und ich definitiv besser roch. Das einzige Kleidungsstück was ich schon einmal an hatte, war Dryers Pullover, den ich auf der Hinfahrt getragen hatte. Gierig atmete ich ein, nur um festzustellen, dass der Pullover nicht mehr nach ihm, sondern nach mir roch. Vielleicht hatte Leo ja auch recht damit, dass ich ihm zeigen musste was ich wollte.

Und ich wollte ihn. Sie hatte nicht nur vielleicht recht damit, sie hatte Recht! Aus meiner Tasche kramte ich mir ein paar Kopfschmerztabletten. Wirklich gut ging es mir wirklich noch nicht. Im Vergleich zu gestern zwar super, aber mein Kopf dröhnte, mein Hals kratze und meine Kraft hatte sich anscheinend komplett von mir verabschiedet. Wer wusste schon ob sie jemals wieder kommen würde. Aus dem Grund entschloss ich auch mich wieder hin zu legen. Es brachte mir nichts wenn ich weiter hin schlapp war und ich wollte auch niemanden anstecken. Ich hoffte nur, dass Dryer ein gutes Immunsystem hatte. Lustlos lief ich wieder zurück. Unterhielt mich kurz mit Timo, den ich auf dem Weg traf und stand schlussendlich wieder vor Dryers Zelt. War Dryer noch da? Sollte ich einfach rein gehen oder sollte ich mich vorher erkenntlich zeigen? Lauschend beugte ich mich an die dünne Zeltwand. Wirklich was hören tat ich nicht. Schließlich zog ich einfach den Reißverschluss auf. Was sollte schon groß passieren? Außer, dass er mich hochkant wieder aus dem Zelt warf …

Das was ich erblickte ließ mich schmunzeln. Dryer lag halb auf dem Boden, halb auf der Matte. Alle Viere von sich gestreckt und mein Shirt diente ihm als Kopfkissen. Nicht mal im Schlaf wirkte er glücklich. Deutlich konnte ich sehen was Leo meinte. Er sah grade zu fertig aus. Seine Haut wirkte fahl und eingefallen.

So leise ich konnte kroch ich in das Zelt und zog den Reißverschluss zu. Dann stellte ich meine Tasche am Fußende ab und nahm den Schlafsack. Vorsichtig breitete ich ihn über ihm aus und strich ich ihm sanft ein Haar von der Stirn.

„Warum?“, flüsterte ich leise, wiederholte seine Frage vom Abend vor zwei Nächten. „Ich wollte es nicht“, entkam es mir noch leiser. Dryer bewegte sich, wachte jedoch nicht auf. „Und ich wünschte es wäre nicht passiert.“ Ich rutschte nach unten und legte mich neben ihn. Dann schob ich mich einfach neben ihn unter den Schlafsack und vergrub mein Gesicht an seiner Seite. Ich wusste jetzt schon, dass es ein Donnerwetter geben würde, wenn er aufwachte, aber das war es mir wert. Ein tiefes Brummen erklang und dann breiteten sich schwere Arme um mich und ich wurde an einen warmen Körper gezogen. Unter Strähnen die mir ins Gesicht fielen, blinzelte ich zu ihm hoch. Seine Augen waren geschlossen und er schien noch immer zu schlafen. Erleichtert atmete ich aus. Ich wollte hier noch nicht weg. So gut es ging erwiderte ich seine Umarmung und schloss meine Augen. Schlaf fand ich aber nicht. Stattdessen hatte ich endlich mal Zeit über alles in Ruhe nachzudenken. An einem Ort, an dem ich mich sicher fühlte. Zwar dämmerte ich hin und wieder weg, wurde aber bei jedem noch so kleinen Geräusch wieder in die Gegenwart gerissen. Erst nach Stunden regte Dryer sich wieder. Seine Arme schlossen sich für einen Augenblick enger um mich, ehe er sie erschrocken hängen ließ. Verwirrt blinzelte er mich an, bis das Geschehen seinen Kopf erreichte. Wider meiner Erwartungen, schrie er mich nicht an und stieß mich von sich. Stattdessen seufzte er nur tief auf und schloss dann einfach wieder die Augen. Seine Arme blieben wo sie waren, es schien fast so, als wollte er mich einfach ignorieren.

„Was willst du hier?“, brummte er schließlich nach ein paar Minuten.

„Schlafen?“, fragte ich vorsichtig.
„Du schläfst aber nicht. Du kuschelst“, gähnte er ohne vorwurfsvoll zu klingen. Es klang eher so, als würde er sich wirklich wundern.

„Ich kann in deiner Nähe halt besser schlafen“, nuschelte ich und spürte wie meine Wangen sich rot färbten. Auch wenn das nicht der Grund gewesen war, warum ich mich zu ihm gelegt hatte, stimmte es dennoch. Diese tiefe Ruhe die Dryer manchmal ausstrahlte, erfasste dann auch mich.

Als Antwort erhielt ich nur ein weiteres Brummen. Unauffällig beobachtete ich ihn. Mein Blick fuhr von seiner Brust, zu seinen Augen, seinen Wangenknochen und blieb schließlich an seinem Mund hängen. Wie gerne ich mir jetzt einen Kuss stehlen würde. Einfach so. Wer weiß, vielleicht hätte er ja auch gar nichts dagegen?

„Hör auf mich anzustarren“, grummelte Dryer und riss mich aus meinen Gedanken. War wohl doch nicht so unauffällig wie ich gedacht hatte. Mein Blick schnellte nach oben. Braune Augen bohrten sich in meine, hielten mich gefangen.

„Ich hab dich nicht angestarrt“, log ich. Sogar ich konnte die Lüge in meinen eigenen Worten hören. Er zog lediglich eine Augenbraue hoch und musterte mich ebenfalls.
„Dein Auge sieht echt scheiße aus“, kam es etwas später wenig mitleidig von ihm. Das hatte ich vorhin im Spiegel auch schon gesehen. In allen möglichen Farben schillerte es. Von grün zu lila. Langsam hob er den Arm und strich vorsichtig über meine verfärbte Wange, bis hin zu meiner Stirn. Ein schmerzlicher Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. Dann schien ihm bewusst zu werden was er tat, denn er riss die Hand abrupt wieder zurück. Enttäuscht senkte ich meinen Blick. Aber es war ja auch nicht anders zu erwarten. Ich musste mir nur immer wieder vor die Augen rufen, wie ich an seiner Stelle reagiert hätte. Es wäre ihm wahrscheinlich nicht besser ergangen, als Tyler jetzt.

„Heute noch was vor?“, fragte er. Seine Hand verkrallte sich in die Decke und er machte auch allgemein einen nervösen Eindruck.

„Was ist los?“

„Nichts, ich muss nur aufs Klo.“ Verwirrt sah ich ihn an.

„Warum gehst du dann nicht einfach?“, fragte ich ihn.

„Ich will nicht“, nuschelte er so leise dass ich es grade so verstand. Wie er wollte nicht? Will er hier ins Zelt pinkeln?

„Ich halte den Schlafsack so lange warm“, meinte ich zweideutig grinsend. Allerdings ging er gar nicht darauf ein, sondern verschwand mit einem leichten Nicken aus dem Zelt. Verblüfft sah ich ihm hinterher.

Was war das denn? Seufzend vergrub ich, wie schon unzählige Male zuvor meinen Kopf in das Kissen. Wieso konnte es nicht einfach so sein wie vorher? Wieso konnten wir nicht kuschelnd im Zelt liegen, ohne das mulmige Gefühl im Bauch? Wütend schrie ich in das Kissen. Ich hatte es verkackt. So was von! Aber ich würde das wieder hinbekommen. Ich würde alles versuchen damit er mich wieder wollte und wenn er am Ende immer noch „nein“ sagte, wusste ich wenigstens, dass er MICH nicht mehr wollte und nicht nur meine Taten. Es würde zwar nicht weniger schmerzlich sein, aber immerhin wüsste ich dann, dass ich alles versucht hatte. Entschlossen stand ich auf. Es würde sich schon niemand anstecken und irgendwas sagte mir, dass Dryer heute nicht mehr zurückkommen würde. Und ich hatte Recht. Als ich zu Sam und Leo ans Zelt kam, saßen die drei davor und unterhielten sich. Ich quetschte mich lachend zu Leo auf den Stuhl, als wäre überhaupt nichts geschehen. Und genau so würde ich das jetzt auch handhaben. Ich würde es einfach verdrängen. Darin war ich gut, es funktionierte und es war das Einzige das mir grade einfiel. Leo sah mich verblüfft an, ehe sie grinsend zur Seite rutschte.

„Hab ich irgendwas wichtiges verpasst?“, fragte ich Sam. Dieser schüttelte nur schlicht den Kopf.

„Nicht wirklich. Wir haben Volleyball gespielt und sonst eigentlich nur gegammelt. Wir wollten dich auch besuchen, wurden aber von deinem Wachhund erfolgreich vertrieben.“ Grinsend nickte Sam auf Dryer. Überrascht sah ich ihn an.
„Warum hast du sie nicht zu mir gelassen?“

„Du hast geschlafen“, knurrte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wir waren dreimal da!“, warf Leo ein und Dryer schenkte ihr einen finsteren Blick.

„Da hat er auch geschlafen!“, sagte er fest. Ungläubig sah Sam ihn an, ehe er lauthals zu lachen anfing.

„Scheint als hätte Luke eine festen und vor allem sehr langen Schlaf“, grinste er uns breit an. Lachend schüttelte ich meinen Kopf. Das war so typisch Sam. Sobald er die Gelegenheit hatte jemanden in Verlegenheit zu bringen, tat er es. Davon würde auch Dryer nicht verschont bleiben. Bis zum späten Abend saßen wir auf den Stühlen und unterhielten uns. Aber ich merkte deutlich. dass ich nicht in Topform war. Ich saß nur auf dem Stuhl und bewegte mich so wenig wie möglich, stand nur zweimal auf, um mir eine Schmerztablette zu holen. Es war trotzdem ein ganz lustiger Abend, bis auf die Tatsache das Dryer mich so gut wie ignorierte. Stellte ich eine Frage, wurde sie so knapp wie möglich beantwortet. War sie an alle gerichtete, hielt er sich komplett raus. Seine Augen trafen nicht mehr meine, seine ganze Körperhaltung wirkte ablehnend mir gegenüber. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und verabschiedete mich von den anderen. Ohne ein wirkliches Ziel lief ich mehrmals um den See herum. Mein Körper kam nicht zur Ruhe, was aber wahrscheinlich auch daran lag, dass ich die letzten zwei Tage so gut mir nur im Zelt lag. Was ging nur in Dryer vor, dass er mich ignorierte? Oder das er es zumindest versuchte. Ich hatte ihm nichts getan! Zumindest aus meiner Sicht. Wütend stapfte ich auf sein Zelt zu. Von mir aus konnte er mir zeigen wie verletzt er war, er konnte mir an den Kopf schreien, dass er mich nicht mehr wollte, aber ich ließ mich nicht ohne Grund ignorieren. Woher sollte ich wissen was er fühlte, wenn er mir gar nichts mehr zeigte? So würde aus uns erst recht nichts mehr werden! Auch wenn das wahrscheinlich sein Ziel war. Mit einem Ruck riss ich den Reißverschluss auf.

„Was?“ Erschrocken schrie Dryer auf und blickte mich perplex an.

„Hör zu Dryer! Ich kann ja verstehen, dass du wütend, enttäuscht, verletzt und was nicht alles noch bist, aber du kennst nicht mal die halbe Geschichte. Du siehst Dinge und bildest dir direkt dein Urteil ohne die anderen anzuhören. Du kannst mir gerne die kalte Schulter zeigen, aber ich lasse mich nicht ignorieren wenn ich weiß, dass du nur verletzt bist!“ Wütend schlüpfte ich aus meinen Schuhen und warf mich ungelenk auf ihn rauf. Ich zog das Zelt zu und sah ihm dann fest in die Augen.

„Ich denke ich das Urteil welches ich mir gebildet habe so ziemlich zutrifft“, giftete er mich an und versuchte mich runter zu schieben. Dank des kleinen Zeltes schaffte ich es oben zu bleiben. Das Erste Mal an diesen Abend sah er mich wieder an. Ein triumphierendes Lächelnd schlich sich auf mein Gesicht. Ein verächtliches Schnauben erklang.
„Was willst du eigentlich hier?“, fragte er sichtlich genervt.

„Ich will dir deutlich machen wie verletzend dein Verhalten ist!“, sagte ich ruhig. Er blickte mich erst ungläubig an, dann fing er so laut an zu lachen, dass ich auf ihm durchgeschüttelte wurde. Genauso schlagartig wie er anfing, verstummte er auch wieder. Wütend funkelte er mich an.

„Du willst mir sagen wir verletzend ich mich verhalte? Ausgerechnet du? Hast du überhaupt mitbekommen was du gemacht hast oder ist das so dein Standard? Menschen verarschen? So tun als würdest du sie mögen, nur damit du sie dann hintergehen kannst? Macht dich so was an oder was?“ Erneut versuchte er mich von sich runter zu drücken. Mühsam hielt ich dagegen. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten. „Weißt du, ich wünschte, ich wäre nicht in deine Klasse gekommen. Dann wäre ich dir nicht begegnet, hätte mich nicht in dich verliebt und alles andere wäre nie passiert!“, schrie er und setzte seine ganze Kraft ein um mich weg zu drücken. Ein Knie verfehlte nur knapp meine Weichteile. „Verdammt jetzt geh von mir runter!“

Er liebt mich?

Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus, aber auch Unglaube. Mit großen Augen sah ich ihn an.

„Du liebst mich?“, flüsterte ich fast tonlos. Mein Mund wurde trocken und meine Augen feucht. Unruhig stockte er in seinen Bewegungen. Er schien mit sich zu hadern, letztendlich sah er mir aber fest in die Augen.

„Ja, ich liebe dich.“

Laut pochte mein Herz in meiner Brust und ich konnte ihn einfach nur stumm ansehen. Laut hallten seine Worte in meinem Kopf wieder: „Ja, ich liebe dich“.

 

 

Kapitel 13:

 

Gefühlte Ewigkeiten sah ich ihn einfach nur an und unterdrückte die lächerlichen Tränen, die sich schon wieder an die Oberfläche kämpfen wollten.

„Aber du …“ Blinzelnd unterbrach ich mich selbst. „Du hast Schluss gemacht.“ Verschlossen sah er mich an.

„Dafür gab es auch einen guten Grund.“

„Du hast gesagt, dass ich jedem meinen Arsch hinhalte“, meinte ich flüsternd und sprach damit den Punkt aus, der mich am meisten verletzt hatte. Dachte er das wirklich, oder hatte er darauf abgezielt mich zu verletzen? Er sah reuevoll auf den Boden.
„Ich war enttäuscht.“, sagte er schlicht als Erklärung. Das war keine Ausrede und genau das sagte ich ihm auch.

„Du hättest nicht anders reagiert!“, fuhr er mich an. Wütend richtete ich mich auf, sodass ich mehr auf ihm saß, als kniete und sah ihn dann forsch an.

„Doch, hätte ich. Ich hätte dir so fest zwischen die Beine getreten, dass du mindestens eine Woche nicht mehr sitzen könntest und dann hätte ich mit dir darüber geredet. So wie man das macht. Man redet darüber, Dryer!“ Ein schmales Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
„Du bist ganz schön brutal und rachsüchtig, weißt du das?“, fragte er. Schmollend sah ich zur Seite. Dann ließ ich mich schlaff nach vorne auf seine Brust fallen und lauschte dem viel zu schnellen Herzschlag. Eine Weile blieb ich so liegen, bis er wieder das Wort ergriff.

„Luke.“

„Was?“, fragte ich gegen sein Shirt.

„Es wird nicht funktionieren.“ Überrascht richtete ich mich wieder auf.

„Du meinst das mit uns?“ Unschlüssig nickte er.

„Warum nicht?“, fragte ich enttäuscht. Ich hatte mir mehr erwartet. Der kleine Funken Hoffnung, der sich gegen meinen Willen in meiner Brust eingerichtet hatte, fing wieder an zu flackern.

„Es passt einfach nicht. Hör mal, ich glaub ich hab dich einfach überrumpelt. Ich meine ich hab mich sofort an dich ran gemacht und du hattest nicht mal richtig die Möglichkeit 'nein' zu sagen.“ Sanft schob er mich von sich runter, was ich diesmal willenlos geschehen ließ. Mit einer eleganten Drehung, die man ihm bei seiner Größe gar nicht zutraute, rollte er sich auf mich drauf, die Hände neben meinem Kopf platziert.

„Vielleicht sollten wir es einfach lassen.“ Traurig sah ich zu ihm rauf. Wenn er nicht genauso traurig zurück gesehen hätte, hätte ich es ihm vielleicht sogar abgekauft.

„Du hast mir grade eben noch gesagt das du mich lie…“ Mit einem sanften Kuss unterbrach er mich. „Eben. Da liegt auch schon das Problem“, flüsterte er. Verwirrt sah ich dabei zu, wie er mir einen letzten Blick zuwarf und aus dem Zelt stieg. Das ergab doch überhaupt keinen Sinn. Hatte er mir nicht eben noch gestanden. dass er mich liebte? Meine Finger fuhren über meine Lippen. Noch immer konnte ich seine spüren. Wie sie sanft über die meinen strichen. Das war also mit 'federleicht' gemeint. Seufzend schloss ich das Zelt und drehte mich auf die Seite. Er liebt mich! Warum wollte er dann nicht mit mir zusammen sein? Das ergab doch gar keinen Sinn! Ich wartete noch eine ganze Weile darauf, dass er wieder kam. Irgendwann schloss ich einfach meine Augen und schlief ein.

 

***

 

Meine Laune war inzwischen auf dem Tiefpunkt. Zwei ganze Tage waren vergangen seitdem Dryer mehr als ein paar Worte mit mir gewechselt hatte. Nachts kam er erst so spät ins Zelt, dass ich schon schlief, oder er ging selber schon früh schlafen. Tagsüber wich er mir aus wo es nur ging. Nicht mal ein „Wollen wir Freunde bleiben“ hatte er für mich übrig. Lustlos stocherte ich in meinem Essen herum. Wenigstens war ich wieder gesund, auch wenn das die Lage nicht wirklich verbesserte. Und im Gegensatz zu mir schienen alle bester Laune zu sein. Hier wurde der Abend vorm Lagerfeuer verbracht, dort wurde ein Volleyball-Tunier veranstaltet. Eigentlich konnte man das hier nicht mal als Klassenfahrt sehen, sondern eher als Urlaub. Die Lehrer bekamen wir nicht mehr als zweimal pro Tag zu Gesicht. Jetzt fehlte nur noch das Dryer und Tyler sich anfreundeten. Dann würde ich mich im See ertränken gehen. Ungerührt schob ich mein Essen von mir. In letzter Zeit war mir der Genuss vergangen. Mein Blick schweifte durch Massen. Wir waren direkt in den großen Trubel hineingeraten, wie ich feststellte. An der Essensausgabe gab es ein großes Gedränge und auch um die freien Sitzplätze wurde gebuhlt. Die Mülleimer waren überfüllt und allgemein konnte mal wieder sauber gemacht werden. Wer ließ sein Brötchen einfach auf dem Boden liegen? War es so schwer sich kurz zu bücken und es in den Mülleimer zu bringen? Anscheinend überforderte das hier viele.

„Hast du keinen Hunger, Luke?“, sprach Leo mich von der Seite an und ich konnte den ungesagten Vorwurf heraus hören. Schon wieder isst du nichts? Langsam drehte ich meinen Kopf in ihre Richtung.
„Nein, nicht wirklich“, seufzte ich. „Braucht ihr noch lange? Wenn ja geh ich schon mal vor.“ Sam warf sein Besteck auf den Teller.
„Ach ja? Und was willst du dann machen? Willst du dich ins Zelt legen und Trübsal blasen? Hör auf hier deine schlechte Laune zu verbreiten! Und jetzt iss dein Essen damit Leo sich keine Sorgen machen muss, dass du aus den Latschen kippst, du stehst nämlich kurz davor!“, fuhr er mich an, ehe er sein Besteck wieder in die Hände nahm und mit finsteren Gesichtsausdruck weiter aß. Überrascht sah ich ihn an. Was war denn jetzt schon wieder los?

„Was ist dein Problem?“, fragte ich ihn ruhig. Dennoch wurde ich langsam sauer. Was war das denn bitte für eine Überreaktion?

„Was mein Problem ist?“, fuhr Sam erneut auf. „Mein Problem bist du!“, rückte er direkt mit der Sprache raus. Für einen Moment konnte ich nichts anders tun, als ihn mit offenem Mund anzustarren. Er ließ mich aber auch gar nicht zu Wort kommen, sondern redete direkt weiter. „Gott Luke, wir sind beste Freunde seitdem wir laufen können und ich hab dich noch nie so erlebt. Du isst nichts, du schläfst nicht richtig – und sag mir nicht, dass das nicht stimmt, jeder hier kann deine Augenringe sehen! – Und außerdem pisst du jeden hier an. Du verhältst dich, als hätte dir jemand etwas angetan. Verdammt du hast ihn betrogen, nicht er dich! Du bist selber schuld! Es tut mir auch leid, dass ich dir das jetzt so sagen muss, aber alles andere scheint bei dir ja nicht wirklich anzukommen.“ Wütend sah er mich an. „Du hast es dir selber verbockt. Weißt du, ich akzeptiere ja viel. Ich habe akzeptiert, dass du immer wichtiger warst. Dass du schwul bist. Dass ich wegen dir immer zu spät komme“, ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Ich habe sogar akzeptiert, dass du mir immer das letzte Stück Kuchen weg isst, aber ich werde es ganz sich nicht akzeptieren, dass du hier einen auf verletzt machst, während Dryer eigentlich die Person ist die grade Freunde gebrauchen könnte.“ Er wusste es nicht! Mein Kopf ruckte zu Leo, sie schüttelte nur kurz mit dem Kopf und wandte sich dann wieder ihrem Essen zu. Da behielt sie einmal etwas für sich und genau da wollte ich eigentlich, dass sie es an Sam weitergab.

Vorsichtig ließ ich meinen Blick zu meinen Freunden gleiten. Einige sahen mich entschuldigend an und Timo wich sogar meinem Blick aus. Sam hatte Recht, sie waren wirklich alle genervt von mir. Ich zwang meine Gefühle in den Hintergrund zu rücken und stand ungeschickt auf. Meine Hand klammerte sich so fest an den Griff, dass meine Knöchel weiß hervorstachen. Alle Blicke lagen auf mich gerichtet, selbst der von Dryer, welcher sich die ganze Zeit aus den Gesprächen heraus gehalten hatte.

„Okay“, meinte ich erstickt. „Ich wollte euch nicht auf die Nerven gehen, tut mir leid.“ Sam stand der Unglaube in die Augen geschrieben. Ich wusste, dass er eine taffe Antwort erwartete oder dass ich mich wenigstens wehrte, aber mir fiel einfach nichts ein. Also zog ich mich lieber zurück. Flucht, irgendwo hatte ich dieses Wort schon mal gehört. Ich spürte den Blick von Dryer auf mir, wie er jede einzelne Bewegung in sich aufnahm, alle Details in sich abspeicherte. Ich wusste auch, dass ihm das leichte Beben, welches durch meinen Körper fuhr nicht entging. Langsam, um nicht gehetzt zu wirken drehte ich mich um und lief mit steifen Schritten weg. Kaum dass ich ihnen den Rücken zu drehte, ging das Getuschel los. Sobald ich außer Sichtweite war, lief ich los und rannte so schnell ich konnte zum Zelt. In Rekordzeit hatte ich mich hineingeworfen, den Reißverschluss wieder geschlossen und mir meine Klamotten, bis auf die Boxer vom Körper gerissen. Fest rollte ich mich in den Schlafsack ein. Was würde noch alles schief gehen? Was sollte noch alles passieren, bis ich endgültig fertig war? Vielleicht verstarb ja plötzlich noch jemand, das würde mich auch nicht mehr wundern. Nach einer Weile raffte ich mich wieder auf und zog mir meine Badehose an. Zwar war es eigentlich zu kalt um schwimmen zu gehen, aber ich musste meinen Kopf irgendwie frei bekommen und durch herum liegen, würde er das bestimmt nicht werden. Ich nahm mir noch ein Handtuch aus der Tasche und lief dann zum See runter. Mittlerweile dämmerte es schon. Achtlos pfefferte ich das Handtuch auf den Boden und warf mich, mit ein paar wenigen Sätzen, in das trübe Wasser. Es tat seine Wirkung und kühlte mich wieder runter. Immer noch mit meiner kurzen Badehose bekleidet, schwamm ich ein paar Bahnen durch das kühle Nass. Schwimmen half mir schon immer meinen Kopf frei zu bekommen. Schwungvoll kraulte ich mich durchs Wasser und vergaß für die nächste Zeit die ganzen Probleme die mir schon bis zum Hals hingen. Den Streit, die Klassenfahrt, einfach dass mein Leben grade eine steile Kurve nach unten hinlegte. Erst als ich spürte, dass meine Muskeln müde wurden, schwamm ich wieder zum Ufer zurück. Mittlerweile war es deutlich kühler geworden und eine leichte Brise ließ mich erschaudern. Zitternd wollte ich nach meinem Handtuch greifen, aber eine große Hand war schneller als ich. Überrascht richtete ich mich auf und sah in zwei dunkle, traurige Augen. Mein Magen zog sich zusammen und mein Mund war staubtrocken. „Danke“, flüsterte ich und nahm es ihm aus der Hand.

„Wieso schwimmst du um die Uhrzeit noch? Es ist schon dunkel und niemand ist da falls etwas passiert“, meinte er mit brüchiger Stimme die so gar nicht zu seinem Auftreten passte. Die Arme waren fest verschränkt und die Beine standen einen Tick auseinander.

„Ich könnte schwören, dass ein Hai an mir geknabbert hat.“ Schwach lächelte er um mir zu zeigen das mein, zugegeben schlechter Witz, bei ihm angekommen war. Bibbernd trocknete ich mich in Windeseile ab und wickelte mich dann fest in das Handtuch ein. Er beobachtete mich einen Moment stirnrunzelnd und zog sich dann die Pulloverjacke von den Schultern.

„Was wird das?“, fragte ich ihn verwirrt. Misstrauisch sah ich auf seine Jacke die er mir hinhielt. „Dir ist doch kalt oder?“, erwiderte er. Sein Blick senkte sich auf meinen zitternden Körper.

„Und?“ Verlegen wich ich seinem Blick aus.

„Na ja, ich dachte halt … nimm sie einfach!“ Bestimmt zog er mir das nasse Handtuch vom Leib und legte die Jacke über meine Schultern. Zugegeben, dass allein war schon wesentlich wärmer. Widerwillig nuschelte ich ein „Danke“ und kämpfte mich in die Ärmel. Bis zum Oberschenkel reichte mir die Jacke. Unauffällig sog ich den Atem ein. Während ich äußerlich kalt blieb, führte ich innerlich einen ausgewachsenen Freudentanz auf. Unschlüssig standen wir voreinander und sahen uns an.

„Das vorhin von Sam, das war nicht in Ordnung“, sagte er leise und betrachtete meinen bebenden Körper. Seine Stirn krauste sich und er sah aus, als würde er am liebsten auch noch sein T-Shirt ausziehen um es mir über den Kopf zu rollen. Unwohl trat ich von einen Fuß auf den anderen.

„Anscheinend war es aber gerechtfertigt.“, sagte ich mit fester Stimme und sah ihn an. „Du hast sie doch gesehen, sie waren doch froh als ich gegangen bin!“ Ein durchdringender Blick traf mich.

„Aber trotzdem hätte er mit dir unter Vier Augen reden können und es nicht vor versammelter Mannschaft raus posaunen müssen. So etwas macht man nicht“, sagte er entschlossen und schien sich wirklich darüber zu ärgern. „Und ich hätte nicht nur daneben sitzen dürfen.“ Überrascht sah er mich an, als mir ein Lachen entfuhr.
„Was?“, knurrte er mich an.

„Wieso machst du dir über so was überhaupt Gedanken? Ich meine wir sind nicht mehr zusammen, du hast die letzten Tage nicht mal mehr mit mir geredet! Es ist nicht deine Aufgabe alles von mir abzuschirmen“, meinte ich mit einem angedeuteten Lächeln auf den Lippen. Das Lächeln verschwand aber bei meinen nächsten Worten wieder. „Wie schon gesagt, ich bin selber Schuld“, wiederholte ich verächtlich Sams Worte. Dryers Augen verengten sich, seine Nase zog sich kraus und sein Blick wurde durchdringend.
„Was ist wirklich passiert? Ich werde das Gefühl nicht los etwas zu verpassen.“ Beschämt wich ich seinem Blick aus.

„Nichts was du nicht gesehen hast“, erwiderte ich. Er hatte es ja schließlich gesehen, nur falsch interpretiert. Bedächtig nickte er. Dann wich er einen Schritt zu Seite, damit ich an ihm vorbei gehen konnte. Dabei ließ er mich jedoch nicht aus den Augen.

Er wusste es.

Oder er ahnte es zumindest. Kalte Schauer liefen mir über den Rücken. Das war es dann wohl. Erst der Möbelpacker, dann Tyler. Ich würde mit mir auch nicht mehr zusammen sein wollen. Mit hängenden Schultern lief ich an ihm vorbei. Nach wenigen Schritten drehte ich mich allerdings nochmal zu ihm um. Ein Gedanke hatte sich in mir festgesetzt und ich wurde ihn einfach nicht mehr los. Egal wie sehr ich mir selber zusicherte das es daran nicht lag, das maue Gefühl verschwand nicht. Dryer sah mich überrascht an, wartete aber still ab.

„An dem Abend, als …“, tief holte ich Luft. „Du hast gesagt … Du meintest ich würde jedem den Arsch hinhalten und …“

„Luke! Ich war verletzt, wütend und getroffen. Das was ich gesagt habe war gezielt um dich zu verletzten“, unterbrach er mich und brachte es dabei noch fertig beschämt auszusehen. Dabei hatte er jeden Grund dafür gehabt.

„Ist okay“, meinte ich. „Aber da wollte ich gar nicht drauf hinaus. Ich hab mich gefragt … Du hast gesagt, dass du mich liebst, dass das mit uns aber nicht funktionieren würde.“ Erneut holte ich tief Luft und sagte dann grade heraus, was mir auf der Seele lag. „Du hast das nicht gesagt, weil ich noch nicht mit dir schlafen wollte, oder?“ Seine Augen weiteten sich leicht und der Schmerz hinter ihnen verschwand genauso schnell wie er erschienen war. Er öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder ohne etwas zu sagen.

„Ich wollte es ja, aber ich hab mich einfach nicht wohl bei dem Gedanken daran gefühlt. Und du hast mir dauernd auf den Hintern gehauen und ich weiß immer noch nicht, ob du das gemacht hast um mich zu ärgern, um mir zu zeigen das du oben bist oder ob das einfach wirklich ein Fetisch von dir ist. Weißt du ich war nicht der Einzige der verschlossen war. Du hast doch selber auch nicht gesagt was dir gefallen würde. Du hast immer nur Andeutungen gemacht. Damit kann ich aber nichts anfange, dann reime ich mir nur irgendeinen Mist zusammen, der am Ende doch nicht stimmt. Und ich weiß, dass ich unten liegen würde, andersherum wäre es auch irgendwie seltsam.“ Nervös knetete ich meine Hände und starrte fest auf den Boden. „Ich … weißt du, ich hab mir vorher nie Gedanken darüber gemacht wie es wäre mit einem Jungen zu schlafen, aber ist das nicht irgendwie … dreckig?“, flüsterte ich. Meine Wangen wurden rot, als ich daran dachte was ich grade alles gesagt hatte. Aber eine Aussprache war längst fällig. Verschämt starrte ich auf meine Fußspitzen und wartete auf eine Antwort. Eine ganze Weile blieb es still und ich hatte schon Angst, dass er mir gar keine Antwort mehr geben würde, als sich schwarze Schuhe in mein Sichtfeld schoben. Mit tiefer Stimme begann er zu reden.

„Wenn ich nur Sex wollte, wäre ich in die nächste Stadt gefahren und hätte irgendjemanden in den Darkroom gezogen. Dann hätte ich mich ganz sicher nicht an jemanden ran geschmissen, der vorher noch nie einen Jungen geküsst hat. Ich wollte dich und alles was mit dir verbunden ist. Es war mir egal, dass du noch nicht bereit warst, ich hätte so lange gewartet bis du soweit bist. Und was das andere angeht, sagen wir einfach, dass ich auf deinen Hintern stehe. Wenn du mir vorher gesagt hättest das du es nicht magst, hätte ich es auch gelassen.“ Verwirrt blinzelte ich. Hatte ich gesagt, dass ich es nicht mochte? Mochte ich es? Ich hatte selber keine Ahnung, ich hatte es bis jetzt immer mehr als Spaß bei Seite geschoben.
„Verdammt Luke, ich hätte dich nie so eingeschätzt, dass du deinen Freund betrügst und obwohl ich es mit eigenen Augen gesehen habe, glaub ich immer noch, dass du nicht so bist. Nenn mich ruhig leichtgläubig und dumm, aber du kannst mir nicht erzählen, dass das alles war, das an diesen Abend passiert ist! Und Luke …“ Sanft hob er mein Kinn hoch. Unsicher blickte ich ihn in die Augen. „Da ist überhaupt nichts Dreckiges dran. Du denkst zu viel nach, man muss es einfach genießen“, riet er mir mit einem schmalen Lächeln. Dann ließ er mich los. Widerwillig wich ich einen Schritt nach hinten, so dass ich ihn angucken konnte ohne meinen Hals zu über strecken. Irgendwie sah er erleichtert aus. Es hatte sich was verändert, aber ich konnte nicht genau bestimmen was. Vielleicht hatte er Recht. Vielleicht sollte ich es einfach auf mich zukommen lassen? Dachte ich wirklich zu viel nach? Wahrscheinlich schon.

Ich nickte kurz an mir runter.

„Nochmal danke für die Jacke“, flüsterte ich leise und drehte mich um, um zum Zelt zu laufen. Ein Tropfen landete auf meiner Wange. Gleichzeitig mit Dryer blickte ich nach oben in den Himmel. Wie aus dem Nichts öffnete der Himmel seine Schleusen und ließ es wie verrückt auf uns nieder regnen. Unmännlich quietschte ich auf und griff nach Dryers Hand. Dieser lachte nur und zog mich hinter sich her zum Zelt. Schnell öffnete er dieses und verschwand nach drinnen. Ich hingegen stand unschlüssig davor. Meine Hose war klitschnass vom Schwimmen, meine Haare trieften nur so vor sich hin und Dryers Jacke erging es mittlerweile nicht anders. Zitternd schlang ich meine Arme um meinen Oberkörper und trat unschlüssig von einen Fuß auf den anderen. Vielleicht hörte es ja gleich wieder auf? Obwohl ich mir das bei den Massen nicht vorstellen konnte. Kurzerhand zog ich mir schnell die Jacke über den Kopf und warf sie unter den Zelteingang. Vorsichtig, um nicht die Decken nass zu machen, krabbelte ich in das Zelt und durchwühlte meine Tasche nach einer trockenen Boxer und einem Handtuch. Dryer hatte sich auch auf ein Handtuch gesetzt und war dabei seine Klamotten zu wechseln. Als er sein Shirt über den Kopf zog, betrachtete ich begierig seinen Körper. Die Muskeln, die an der richtigen Stelle saßen. Die feine Spur aus Haaren, welche am Bauchnabel begann und vom Saum der Hose verschluckt wurde. Die festen Nippel, die sich mir entgegenstreckten. Erst ein Räuspern riss mich aus meiner Starre. Mein Blick schnellte nach oben und traf den von Dryer. Augenblicklich wurden meine Wangen rot und ich senkte meinen Blick, begann wieder damit mich selbst von den nassen Sachen zu befreien. Trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen einen Blick auf ihn zu werfen, als er seine Hose auszog. Wer hätte da auch widerstehen können? Ich trocknete meinen Oberkörper ab und pellte dann die nasse Badehose von meinen Hüften, trocknete mich dort ebenfalls ab und schlüpfte in eine gemütliche Jogginghose. Dann zog ich mir ein dünnes Shirt an. Aus den Augenwinkeln nahm ich war, dass ich wohl nicht der Einzige war der seine Augen nicht bei sich lassen konnte.

„Was für ein Mist Wetter“, ergriff Dryer das Wort, während der Regen unaufhörlich auf das Zelt niederprasselte. Seufzend nickte ich. Hoffentlich würde es nicht noch Gewittern, denn wenn es eine Sache gab vor der ich wirklich Angst hatte, dann waren es Gewitter. Ich konnte mir noch nicht einmal genau erklären warum. Tatsache war, dass ich bei jedem Blitz zusammen zuckte und bei jedem Donner los schrie. Die meiste Zeit verbrachte ich bei Gewittern in Leos Bett oder darunter. Nachdem ich trocken war, rieb ich mir noch schnell mit dem Handtuch durch die Haare, sodass diese wenigstens nicht mehr tropften. Danach zog ich das Zelt zu und kroch unter den Schlafsack, schnappte mir einen Pullover und stopfte ihn mir als Kissen unter den Kopf. Dryer legte sich ebenfalls hin, hielt jedoch respektablen Abstand zu mir. Irgendwie wurmte mich das. Er sollte neben mir liegen, unter dem Schlafsack und sich an mich kuscheln, anstatt nur mit der dünnen Wolldecke auf dem kalten Boden, welcher in den nächsten Minuten wahrscheinlich durchnässt war. Ich bezweifelte das dieses Klapperzelt wasserdicht war. Vorsichtig schielte ich zu ihm rüber. Dryer hatte die Augen geschlossen und das Gesicht zur Decke gewandt. Wassertropfen hingen ihm ins Gesicht und in dem Augenblick wollte ich nichts anderes tun, als sie ihm weg zu küssen. Ich verstand auch nicht warum er sich auf den Boden gelegt hatte, anstatt zu mir. Sanft berührte ich ihn am Arm. Meine Finger strichen fast nicht spürbar über ihn und trotzdem schlug er sofort seine Augen auf und sah mich fragend an.
„Wieso liegst du auf dem Boden?“, fragte ich schüchtern und rückte ein Stück auf der Matte zur Seite. Dann hielt ich den Schlafsack einladend offen. Einen Augenblick lang befürchtete ich, dass er meine Einladung ausschlagen würde, dann jedoch rollte er sich mit einer eleganten Drehung zu mir rüber und somit auf die Matte. Die Wolldecke breitete er zusätzlich über dem Schlafsack aus. Dadurch, dass die Matte nicht sonderlich groß war, rückte er so dicht es ging an mich heran und steckte den Schlafsack an seiner Seite fest. Auf seinen Arm gestützt sah er mich an.
„Nächstes Mal bringst du aber deine eigenen Sachen mit“, sagte er. Entschuldigend nickte ich und drehte mich von ihm weg. Er wollte also gar nicht, dass ich seine Sachen mit benutzte.

„Gute Nacht“, murmelte ich und schloss die Augen.
„Nacht“, antwortete er und löschte das Licht. Dann war es einen Moment unangenehm still. Nur unsere zu schnellen Atemgeräusche drangen an meine Ohren und die Regentropfen, die gegen unser Zeltdach krachten. Nach etlichen Minuten seufzte Dryer lautlos auf und ich spürte, wie sich ein starker Arm um meine Hüfte schlang und wie er seinen Kopf in meinem Haar vergrub. Wie erstarrt lag ich da, fragte mich was das jetzt zu bedeuten hatte. Mit einem kräftigen Ruck wurde ich näher zu ihm ran gezogen, seine Hand bahnte sich einen Weg unter mein Shirt und legte sich auf meinen Bauch. Überrascht hielt ich die Luft an, ehe ich sie pfeifend wieder aus meinen Lungen entließ. Was genau sollte das werden? Erwartete Dryer eine Reaktion von mir, oder wollte er einfach nur nicht alleine liegen. Sein Verhalten ergab keinen Sinn für mich. Aber hatte er nicht auch gesagt, dass ich nicht so viel nachdenken sollte? Dass ich es einfach mal genießen sollte? Auch wenn das nicht in diesem Zusammenhang gemeint war, nahm ich mir den Ratschlag zu Herzen. Ich entspannte mich langsam und schmiegte mich dann förmlich an ihn heran. Und ich genoss es. Ich genoss es seine Körperwärme zu spüren, der warme Atem, der über meinen Nacken strich, das Bein welches sich zwischen meins drängte, das Gefühl eines sichernden Körpers im Rücken. Selig lächelnd schloss ich meine Augen. Warum konnte es so nicht immer sein? Keinen Ärger, keine Streitereien und Ungereimtheiten. Einfach nur wir beide im Zelt, aneinander geschmiegt und glücklich lächelnd.

 

***

 

Ein lauter Knall riss mich aus meinem Schlaf. Ich fuhr erschrocken zusammen und richtete mich ruckartig auf. Was war das gewesen? Dryers Arm rutschte von mir herunter und er wurde grob zur Seite geschoben. Ein Lichtblitz zuckte durch das Zelt und ließ mich den Schlafsack enger umklammern. Musste das passieren? Musste es jetzt wirklich Gewittern? Dryer öffnete verschlafen seine Augen und versuchte sich im schummrigen Licht zurechtzufinden. Gähnend strich er sich durch die Haare und sah liegend zu mir auf.
„Was ist los?“, nuschelte er noch im Halbschlaf. Ein Zittern durchfuhr meinen Körper. Wie ich Gewitter doch hasste. Ja, die Wahrscheinlichkeit, dass man vom Blitz getroffen wurde war gering, aber sie bestand.

„Gewitter“, presste ich hervor und schrie kurz darauf leise auf, als ein Donner über das Zelt hinweg grollte. Fest kniff ich die Augen zusammen. Ich musste mich einfach an einen anderen Ort wünschen. Durch meine Augenlider zuckte erneut ein heller Blitz. Ungeachtet von Dryers Protest, zog ich mir den Schlafsack über den Kopf. Das war einfach nichts für mich. Am liebsten würde ich einfach aussteigen, aber das ging in diesem Fall ja schlecht. Ich könnte mich in das Klohaus zurückziehen, aber war da die Wahrscheinlichkeit getroffen zu werden nicht größer? Erneut zuckte ich zusammen, diesmal aber weil eine große Hand sich auf meinen Kopf legte. Ein leises Lachen hallte durch das Zelt.
„Sag mir nicht, dass du Angst vor Gewittern hast“, lachte er. Sanft wurde mir der Schlafsack vom Kopf gezogen und kurz darauf landete ich an einer breiten Brust. Diesmal zögerte ich nicht. Sofort schlang ich meine Arme um ihn und kroch so gut es ging in ihn hinein. Ein überraschter Laut entkam ihm bei meiner stürmischen Aktion. Ich antwortete nicht auf seine Frage. Die Wörter blieben mir im Hals stecken und wenn ich jetzt einen Ton von mir geben würde, wäre es nur ein jämmerliches Wimmern. Als es erneut knallte, zuckte ich stark zusammen, löste einen Arm von Dryer und zog den Schlafsack grobmotorisch über unsere Köpfe. Es war lächerlich, ich wusste, dass er mir keinen Schutz bieten würde und trotzdem fühlte ich mich ein bisschen sicherer. Dryers Hände fuhren unter mein Shirt und legten sich fest auf meinen Rücken, drückten mich noch näher an sich. Das Zittern welches meine Glieder erfasst hatte, ließ langsam nach. Wohlige Wärme hüllte mich ein, die Blitze drangen nicht mehr an meine Augen, lediglich bei den Donnern konnte ich ein Zucken nicht verhindern.

„Bekommst du überhaupt Luft?“, drang eine leise Stimme an mein Ohr. Fest an seine Brust gedrückt schüttelte ich den Kopf. Seine Arme hielten mich einen Moment stärker fest, als er sich mit mir zusammen nach hinten sinken ließ. Der Schlafsack wurde von meinem Kopf gezogen und über meinem Körper ausgebreitet. Fest kniff ich meine Augen zusammen, wartete darauf bis sich Dryer richtig hingelegt hatte und dann hinderte mich nichts wieder daran mein Gesicht an ihm zu vergraben. Zum einem, bot er einen super Sichtschutz und zum andere roch er einfach verdammt gut. Nach einer Weile wurde ich ruhiger, zuckte nicht mehr bei jedem Donner zusammen entspannte mich in seinen Armen. Dann überrannte mich die Erschöpfung und ich schlief wieder ein.

 

„Luke, wach auf!“ Grummelnd schlug ich die Hand die an meiner Schulter rüttelte weg. Dann schlang ich meine Arme um den warmen Körper neben mir. Lachend wurde ich beiseitegeschoben. „Hey, ich bin nicht Dryer! Jetzt steh auf, die anderen sind schon alle beim Essen.“ Müde schlug ich meine Augen auf und blinzelte gegen das helle Licht an. Leo saß mit gegenüber und strahlte mich an. Seufzend schloss ich sie wieder.

„Muss ich mich jetzt anziehen?“, murmelte ich.

„Ja!“, kam die klare Antwort und kurz darauf wurde mir die Decke vom Körper gerissen.
„Du kannst aber auch so gehen. Sieht halt etwas verpennt aus.“ Gähnend nickte ich und richtete mich auf. Es war eindeutig zu früh!

 

Zehn Minuten später stand ich mit Leo an der Essensausgabe. Zu einem Brötchen gesellte sich ein Joghurt und ein Apfel auf meinen Teller. Nachdem wir unser Essen hatten, setzten wir uns zu den anderen an den Tisch. Wirklich viel Platz war nicht mehr. Grummelnd rutschten alle noch enger zusammen, damit Leo und ich uns an die Ecke der Bank quetschen konnten. Sam warf mir über den Tisch hinweg wütende Blicke zu. Seufzend biss ich von meinem Brötchen ab, als mir der Streit vom gestrigen Tag wieder einfiel. Irgendwie hatte ich gehofft, dass es bis zum nächsten Tag wieder vergessen war. Aber anscheinend war dies nicht der Fall. Stumm beendete ich meine Mahlzeit und stand dann zusammen mit Leo auf. Grade als wir wieder zurück zum Zelt liefen, kam uns Tyler entgegen. Traurig hielt er den Blick zum Boden gesenkt und als ich sein Gesicht sah, stockte mein Atem. Das war ich gewesen? Stockend lief ich auf ihm zu mit Leo im Gepäck. Sein Kopf ruckte zu mir hoch und als er mich erkannte legte sich ein flehender Ausdruck auf sein Gesicht. Seine gesamte linke Gesichtshälfte schimmerte in verschiedenen Farben. Das sah fast so aus wie bei mir, nur das die getroffene Fläche bei ihm wesentlich größer wirkte und sein Kinn durch Dryers Schlag auch noch so einiges abbekommen hatte. Entschuldigend sah ich ihn an.

„Das … War ich das?“, fragte ich abgehackt. Das konnte nicht ich gewesen sein. Ich war kein Schläger, ich verletzte niemanden. Egal was Tyler getan hatte, ich hätte ihn nicht einfach schlagen dürfen. Meine Hand zitterte, als ich ihm die Haare aus dem Gesicht strich um das ganze Ausmaß zu betrachten. Tyler nickte vorsichtig und wich dann einen Schritt nach hinten, wodurch meine Hand den Kontakt verlor. Ich schämte mich. Ich schämte mich, dass ich die Kontrolle über mich verloren hatte und ihn geschlagen hatte. Für andere gehörte es vielleicht zur Tagesordnung, aber nicht für mich. Ja, mein Vater schlug mich, aber ich hatte noch nie zurück geschlagen. Ich hatte noch nie jemanden geschlagen. Bis jetzt.
„Es tut mir leid“, brachte ich erstickt hervor und erntete einen überraschten Blick sowohl von Tyler als auch von Leo. Tyler warf einen unsicheren Blick auf Leo, ehe er mich fest ansah.

„Ich hab es verdient“, meinte er fest und wollte weiter sprechen, wurde aber von Sam unterbrochen, welcher angelaufen kam.

„Wie kannst du Dryer das antun, Luke?“, fragte er wütend. „Heute Morgen kam Dryer fröhlich zum Frühstück und rate mal warum! Er meinte zwischen euch würde es langsam wieder besser werden. Ihr würdet euch aussprechen und es würde funktionieren. Und das nächste was ich sehe ist, wie du dich wieder an Tyler heran machst.“ Aus dem Augenwinkel sah ich wie Dryer und ein paar andere aus unserer Klasse sich zu uns gesellten. Musste Sam hier jetzt so einen Aufstand machen? „Ich verstehe es wirklich nicht! Ich weiß das du ihn liebst und du bist niemand der untreu ist, also warum?“, rief er. Sam sah mich abwartend an, aber ich bekam meinen Mund nicht auf. Dryer kam jetzt auf uns zu und stellte sich, fast schon beschützend neben mich.

„Wieso tust du ihm das an, Luke?“, wiederholte Sam seine Frage in die unangenehme Stille hinein.

„Ich denke das reicht, Sam“, übernahm Dryer das Wort. Ein Arm schlang sich um meine Hüfte und ich sah überrascht zu Dryer auf. Hieß das er verzieh mir? Oder war er einfach der Meinung, dass Sam sich in fremde Angelegenheiten einmischte. Was ja auch irgendwie stimmte, aber er war mein bester Freund. Ich fände es schlimmer wenn er es nicht tun würde. Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus, während Sam mich anschuldigend ansah.

„Nein, ich denke nicht. Ich will endlich eine Antwort. Das ist nicht der Luke den ich kenne. Der Luke den ich kenne, würde niemals fremdgehen und er würde definitiv niemanden eine reinhauen! Erstens würde er sich das gar nicht trauen und zweitens hat er doch gar keine Kraft“, brachte Sam die alte Leier. Dryer baute sich zu seiner gesamten Größe auf.

„Ich denke Luke wird mit dir darüber sprechen, wenn er soweit ist. Und da du keine Antwort von ihm erhältst, kannst du dir ja denken, dass er es noch nicht ist“, sagte Dryer schon deutlich lauter.
„Und du verzeihst ihm einfach so? Es ist dir vollkommen egal das er dich betrogen hat?“, fuhr Sam jetzt Dryer an. Dieser zischte sofort zurück und keine Minuten später standen sie auf dem Platz und schrien sich an. Ich stand unsicher in der Mitte von ihnen und versuchte den Streit zu schlichten. Hilfe konnte ich anscheinend nicht erwarten und ein friedliches Ende erst recht nicht.

„Du hast einfach keinen Mumm!“, schrie Sam Dryer an.

„Und du hast einfach nur Angst Luke zu verlieren! Verdammt, er ist dein bester Freund und wird es bleiben, egal ob ich mit ihm zusammen bin oder nicht!“, erwiderte Dryer. Ich hielt mit meinen Bemühungen verwirrt inne. Warum sollte Sam so etwas denken? Doch ein Blick auf ihm zeigte mir, dass Dryer direkt ins Schwarze getroffen hatte. Und Sam wehrte sich genauso wie immer. Er schrie und wurde unfair.
„Du hast doch keine Ahnung. Selbst wenn es so wäre, wie weich bist du, dass du ihm einfach so vergibst? Er hat mit Tyler rumgemacht, interessiert dich das überhaupt nicht? Wahrscheinlich haben die Beiden auch miteinander geschlafen. Wie oft hatten du und Luke schon Sex? Ach ja, noch gar nicht!“ Bevor sich Dryer auf Sam stürzen konnte, erhob Tyler seine Stimme.

„Ich hab ihn gezwungen“ sagte er leise, aber trotzdem deutlich. Sam und Dryer verharrten in ihren Bewegungen und ich sah Tyler erstaunt an. Stille breitete sich um uns herum aus. Niemand bewegte sich, alle waren wie erstarrt. Ehrlich gesagt hatte ich schon vollkommen vergessen, dass er hier stand. Während sich auf Sams Gesicht Unglaube, Wut und Unsicherheit widerspiegelte, zeigte Dryers Hass und Bestätigung. Er hatte es also wirklich geahnt.

„Was hast du gesagt?“, fragte Sam gefährlich ruhig. Seine Hände zuckten und er ging einen Schritt nach vorne. Tyler blieb steif stehen und wiederholte seine Worte, allerdings nicht mehr so sicher wie zuvor.

„Würdest du das genauer erläutern, bitte“, knurrte Sam. Tyler schluckte deutlich und wich einen Schritt nach hinten.

„Es … es hat sich so ergeben. Wir waren bei den Waschräumen und habe ich ihn halt geküsst.“ Einen Moment blieb es still, dann strecke er sich und nahm mehr Haltung ein. Langsam drehte er sich zu mir um.
„Es tut mir wirklich leid. Ich weiß ich hätte dich nicht gegen deinen Willen küssen und …“ Er haperte an seinen eigenen Worten, fing sich aber wieder. „und anfassen sollen und ich weiß es gibt nichts was das entschuldigen würde, trotzdem möchte ich, dass du weißt dass es mir Leid tut.“ Dryers Finger gruben sich unsanft in meine Hüfte. Ich blinzelte zu ihm hoch aber er sah fest zu Tyler, welcher immer mehr in sich zusammen zu sinken schien. Sein blaues Auge schien mir mehr als genug als Rückzahlung zu sein. Vorsichtig nickte ich und ein leichtes Lächeln schlich sich auf Tylers Lippen. Sam hingegen wütete hinter ihm herum.
„Du hast was getan? Scheiße Tyler, wie konntest du nur?“ Enttäuscht sah er ihn an. Tyler wand sich deutlich getroffen unter seinem Blick. Er zuckte mit den Achseln und sah fest auf den Boden. Wer ihm nicht ansah, dass er sich unwohl fühlte, musste wirklich Gefühllos sein. Das ging noch eine Weile so weiter. Sam fragte Tyler aus, beschuldigte ihn, schrie ihn an. Erst als er auf ihn losging, mischte Dryer sich ein. Er packte Sam effektiv am Kragen und zog ihn einfach weg. Sam wehrte sich wütend in seinem Griff, aber wie ich schon festgestellte hatte, entkam man diesem nicht so einfach. In meinem Fall gar nicht. Tyler hingegen stand mit hängendem Kopf wie ein Häufchen Elend zwischen den Leuten. Er schämte sich, dass sah man ihm deutlich an und das war auch der einzige Grund, warum ich auf ihn zu ging und ihn bestimmt aus der schaulustigen Menge herausschob. Erst als wir bei seinem Zelt angekommen waren, sprach er mich an.

„Es tut mir wirklich leid. Ich weiß nicht was in mich gekommen ist. Ich war all die Jahre über in dich verliebt und ich dachte, ich sehe dich nie wieder. Und was passiert? Ich komme hier her und soll mir ausgerechnet mit dir ein Zelt teilen. Ich dachte ich träume.“ Seine Stimme wurde immer leiserer, ehe er ganz verstummte.

„Mir tut es auch leid“, sagte ich. „Aber ich werde es nicht vergessen Tyler. Ich kann es nicht vergessen. Weißt du was deswegen alles passiert ist? Ich lag krank im Zelt, mein Freund denkt ich hätte ihn betrogen und macht Schluss. Mein bester Freund stellte sich auf die Seite vom besagten Freund, weil ich ihm zu traurig rüber kam! Und der einzige Grund warum ich nichts gesagt habe, war weil ich mich geschämt habe. Also glaub nicht, dass das war, um dich zu schützen“, sagte ich ohne mit der Wimper zu zucken. Am besten verstand er gleich, dass ich nicht mehr mit ihm befreundet sein wollte. Ich vergab ihm, ja, aber das war auch schon alles was ich konnte.
„Und weißt du was das Schlimmste ist? Dass jetzt alle ankommen werden und mir ihr Mitleid vor heucheln. Dabei war ich es, der sich nicht wehren konnte und genau das werden sie auch alle die ganze Zeit denken, wie schwach ich bin, das ich unfähig bin!“, fuhr ich ihn an und deutete dann auf das Zelt.
„Geh lieber ins Zelt. Denn glaub mir, Sam war nicht der Letzte.“ Keine Ahnung ob das stimmte, aber ich wollte ihn einfach nur weg wissen. Hastig wandte ich mich ab, drehte mich aber noch einmal zu ihm um.

„Tyler, tu das keinem anderen an, ja?“, flüsterte ich grade laut genug damit er es verstehen konnte. Ohne auf eine Antwort abzuwarten, lief ich los. Mein Ziel war Dryers Zelt, in dem ich mich für den Rest des Tages verkriechen würde. Von diesem Vorhaben würde mich so schnell niemand abbringen. Dryer stand schon vor dem Zelt und blickte mir wartend entgegen. Unruhig blieb ich vor ihm stehen und blinzelte nach oben.

„Warum hast du es mir nicht gesagt?“, fragte er mich ruhig. Keinerlei Anschuldigung lag in seinem Ton. Es klang eher, als könnte er es nicht verstehen. Als würde er sich Vorwürfe machen, dass er etwas falsch gemacht hatte.

„Lass uns bitte nicht hier draußen darüber reden“, bat ich ihn und kletterte in das Zelt. Die Plane war immer noch nass und tropfte vor sich hin. Ein Wunder, dass wir nicht vom Blitz getroffen worden sind. Hinter mir hörte ich das Dryer mir nachkam. Er ließ sich ruppig neben mir nieder und zog den Reißverschluss in einer Bewegung zu. Sein Atem ging schnell, fast so als würde er Angst vor der Antwort haben. Dann sah er mich abwartend an und ich wusste, dass ich hier nicht wegkam, ehe ich ihm alles erzählt hatte. Und genau das tat ich dann auch.

Ich erzählte es ihm. Alles.

Als ich fertig war, wischte ich mir beschämt über die feuchten Wangen. Aber er sollte sich seine eigene Meinung dazu bilden. Ob er mich jetzt überhaupt noch wollte.

„Ich bin so ein Idiot“, flüsterte er und fuhr sich durch die Haare. „Ich meine, ich hatte es mir irgendwie gedacht aber ich war mir nicht sicher. Und anstatt dass ich dich einfach frage, ignoriere ich dich, verletzte deine Gefühle und nenne dich praktisch Schlampe.“ Ein überfordertes Lachen verließ seinen Mund. Langsam rutschte ich an ihn heran, in der Hoffnung, dass er mich nicht weg stieß.

„Ich hätte es dir auch einfach sagen können“, nuschelte ich und lehnte meine Schulter an seine.

„An deiner Stelle hätte ich es mir auch nicht gesagt. Nicht nach meiner Reaktion. Jetzt ergibt es auch endlich einen Sinn warum du Tyler eine reingehauen hast.“ Seufzend ließ er seine Schultern hängen.

„Es tut mir leid“, sagte er leise und blinzelte reuevoll zu mir rüber.

„Schon okay.“ Eine Stille entstand, die keiner von uns zu unterbrechen wagte. Nach etlichen Minuten fasste ich meinen Mut zusammen.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte ich und wich seinem Blick aus. Eigentlich wollte ich die Antwort gar nicht wissen, aber ich brauchte Klarheit. Und nicht nur ich, Dryer brauchte sie ebenfalls. Ein leises Seufzen erklang.
„Ich weiß es nicht. Am liebstem würde ich einfach da weiter machen, wo wir aufgehört haben.“ Er ließ den Kopf hängen und sah betreten weg. Wo war der Dryer hin welcher immer Augenkontakt aufnahm? Welcher vor Selbstbewusstsein nur so strotze und sich von Niemanden etwas sagen ließ? Na ja, solange es nicht der Wahrheit entsprach.

„Was genau meinst du?“, fragte ich vorsichtig aber dennoch hoffnungsvoll nach. Wenn ich es grade richtig verstanden hatte, wollte er also immer noch mit mir zusammen sein. Ich ließ mich nach hinten sinken und streckte mich, sodass ich fast den ganzen Platz im Zelt einnahm. Ein belustigter Blick traf mich. Dieser verschwand aber sofort wieder und ein Grübeln ersetzte seinen Platz. Dann, wie aus dem Nichts landete ein großer Körper schwungvoll auf mir und drückte mich fest auf den Boden. Ich konnte förmlich hören wie die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Meine Handgelenke wurden fest gepackt und über meinen Kopf gedrückt. Alles in allem konnte ich mich so gut wie gar nicht bewegen.

„Was soll das werden?“, fragte ich ihn ärgerlich. Das beantworte nicht meine Frage und hilfreich war es in dieser Situation auch nicht gerade. Er sah mich nur einen Moment lang an und dann drückte er seine Lippen auf meine. Forderte mich grade zu heraus. Und auch wenn ich mir nichts sehnlicher wünschte, konnte ich es grade nicht. Zuerst mussten wir klären was auch immer es zwischen uns beiden zu klären gab. Ich ließ mich bestimmt nicht durch einen Kuss milde stimmen, auch wenn er sich noch so gut anfühlte. Kräftig biss ich ihm auf die Lippe, wodurch er erschrocken weg ruckte. Ein Bluttropfen perlte ihm über die Lippe, bevor er sie mit seiner Zunge auffing.

„Was sollte das denn?“, fuhr er mich aufgebracht an.
„Lustig, dasselbe wollte ich grade auch fragen!“ Ich funkelte ihn wütend an und mein Blick wurde ebenso erwidert.

„Wieso hast du mich gebissen?“

„Wieso hast du mich geküsst?“, konterte ich und rüttelte an meinen Händen, welche er immer noch im Klammergriff hielt. „Lass mich endlich los!“ Ernst sah er mich an.
„Nein“, sagte er fest und umklammerte mich fester. Ich gab meinen Widerstand langsam auf.
„Was willst du denn?“ Diesmal war ich es, der den Blickkontakt suchte.

„Antworten“, kam die geknurrte Antwort. „Ich will wissen wie wir beide zu einander stehen. Ich möchte wissen ob du dir noch vorstellen kannst, mit mir zusammen zu sein und vor allem möchte ich wissen warum du mich gebissen hast.“ Ja, Antworten hätte ich allerdings auch gerne.

„Mal eine Gegenfrage: Warum hast du gesagt, dass du mich liebst und zwei Sekunden später, dass du glaubst, dass es mit uns beiden nicht funktioniert. Ich kann mir da nämlich nichts zusammen reimen. Ich fände es echt super wenn du etwas Licht ins Dunkle bringen würdest“, stellte ich meine Gegenfrage. Er sah mich nachdenklich an und ließ dann meine Handgelenke los.

„Darf ich dich was fragen und du antwortest mir ehrlich?“, fragte er mich zögerlich, sodass ich einfach nur schlicht nickte. Es schien ihm wirklich ernst zu sein, sonst hätte er mich einfach weiter angeschrien. „Liebst du mich?“ Forsch blickten seine Augen in meine, schienen nach der Wahrheit zu suchen. Unweigerlich entwich mir ein Glucksen, ehe ich mit jeder Sekunde wütender wurde. Das war jetzt nicht sein Ernst?

„Fragst du mich das grade wirklich? Ich war nicht umsonst so fertig. Was meinst du warum ich so am Ende war? Vielleicht hat der Weihnachtsmann mein Geschenk vergessen gehabt und ein dreiviertel Jahr später war ich immer noch traurig und enttäuscht das er es vergessen hatte!“ Mit zusammengepressten Händen, schob ich ihn von mir runter und richtete ich mich auf. „Wenn ich dich nicht lieben würde, hätte ich jawohl kaum die größte Zeit in der Ecke gehangen? Wortwörtlich! Glaubst du mir hat es Spaß gemacht von dir abserviert zu werden? Ich kann doch nichts dafür, dass du …“ Wieder wurde unterbrochen.

„Du liebst mich?“, fragte er beinahe ungläubig nach.

„Hab ich das nicht grade gesagt? Verdammt natürlich liebe ich dich! Ich … warum guckst du so überrascht?“ Statt einer Antwort drückte mir Dryer seine Lippen auf. Verdattert sah ich ihn an, ehe meine Augen sich wie von selbst schlossen und mein Körper gegen meinen Geist gewann. Begierig erwiderte ich den Kuss, sog seinen Geruch ein, ließ mich gegen ihn sinken. Verzweifelt krallte er sich in meinen Haaren fest, während ich meine Arme um seinen Rücken schlang. Erst als uns die Luft ausging, unterbrachen wir den Kuss. Heftig atmend sahen wir uns an.

„Was war das denn?“, fragte ich verwirrt.

„Ich dachte … als ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe, hast du nur darüber nachgedacht, dass ich mit der Schluss gemacht habe und hast mit Vorwürfen um dich geworfen.“ Betroffen sah ich ihm in die Augen. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht. Das Einzige was ich dachte war, dass er mich trotzdem nicht wollte und mir auch nicht wirklich gezeigt hatte, dass er mich liebt? Hatte ich aber genauso wenig.

Du dachtest ich liebe dich nicht?“, flüsterte ich leise und sah ihn offen an. Vorsichtig nickte er. „War das der Grund, warum du gemeint hast, dass es nicht klappen wird?“ Wieder ein Nicken seinerseits.

„Ich dachte, du willst nur mal ausprobieren wie es mit einem Kerl ist. Ich meine du hattest ja vorher nie was mit Jungen und …“

„Ich war doch nicht mit dir zusammen, weil ich meine Sexualität herausfinden wollte, sondern weil ich dich verdammt nochmal liebe und ich hoffe, das ist langsam mal bei dir angekommen, weil dann können wir uns diesen ganzen Zirkus hier sparen?!“, rief ich erbost aus.

„Ich bin mir nicht ganz sicher, kannst du es nochmal wiederholen?“, grinste er. Schmunzelnd drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange.

„Ich liebe dich“, flüsterte ich.

„Scheiße, ich liebe dich auch!“, erwiderte er inbrünstig. Zwei Sekunden später wurde ich in eine zerquetschende Umarmung gezogen. Lachend drängte ich mich noch näher an ihn und diesmal war ich es, der fordernd einen Kuss verlangte. Dieser wurde mir sofort gestattet und keine fünf Minuten später, rollten wir uns lachend durchs Zelt. Hier verlor Dryer seine Socke, da verlor ich mein Shirt. Am Ende lang Dryer nackt auf mir und ich hatte auch keinen Stoff mehr vorzuweisen. Hände erkundeten meine Körper, machten nirgendwo halt, versetzten mich in Feuerwerk der Empfindungen. Gierig saugte ich an seiner Unterlippe. Auch als seiner Hände immer näher an meinen Hintern kamen, hielt ich ihn nicht auf, stattdessen genoss ich es. Genauso wie er es mir gesagt hatte.

Und dann gab ich mich ihm hin. Vollkommen.

 

 

Sieben Monate später:

 

Stöhnend warf ich meinen Kopf in den Nacken.

„Fester!“ Stockend hielt Dryer inne und verlangsamte seinen Rhythmus.

„Mach schon!“, forderte ich ihn auf. Große Hände schlossen sich um meine Hüfte und zogen mich gegen sein Becken, während er mir endlich meinen Wunsch erfüllte und einen Gang zulegte. Zustimmend stöhnte ich und bewegte mich ihm entgegen.

„Du machst mich verrückt Luke“, keuchte er und gab mir einen Klaps auf den Hintern. Mit einem verliebten Lächeln beugte er sich zu mir runter und gab mir einen liebevollen Kuss, ehe er seinen Rhythmus wieder aufnahm. Dem Höhepunkt entgegen sehnend, fuhr meine Hand wie von selber zu meiner Körpermitte und rieb mich in Takt von Dryers Stößen. Er steuerte wie ich auf das Ende zu. Als er den Punkt in mir traf, der mich Sterne sehen ließ und den ich in letzter Zeit mehr als lieb gewonnen hatte, ergoss ich mich mit einem lauten Stöhnen in meiner Hand. Dryer folgte mir unwesentlich später. Erschöpft ließ er sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich sinken.

„Ich glaube von dir bekomme ich nie genug“, grinste er. Befriedigt schlang ich meine Arme um ihn.

„Das will ich doch stark hoffen. Ich lass dich nämlich nicht gehen!“ Lachend rollte er sich von mir runter und zog sich das Kondom ab, knotete es zu und warf es achtlos auf den Boden. Dann schlang er wieder seine Arme um mich und ich kuschelte mich zufrieden an seine Brust.

„Wie willst du deinen Geburtstag eigentlich feiern?“, fragte ich ihn. Mit den Fingern fuhr ich Muster über seinen Bauch.

„Ich weiß noch nicht. Eigentlich mit dir im Bett.“ Ein lautes Poltern unterbrach uns und kurz darauf stürmte Sam in mein Zimmer. Quietschend zog ich die Decke über Dryers entblößten Hintern, welcher sich direkt Sam entgegenstreckte.

„Leute ernsthaft? Kommt ihr irgendwann nochmal aus euren Zimmern raus, oder muss ich wirklich jedes Mal damit rechnen euch beim Vögeln zu unterbrechen?“, rief Sam entrüstet. Hitze schoss in meine Wangen und ich verbarg mein Gesicht an Dryers Brust. Lachend küsste dieser mich auf den Kopf.

„Klopf einfach an wenn du vorgewarnt werden willst“, sagte Dryer seelenruhig.

„Ihr könnt auch einfach abschließen!“ Mit verschränkten Armen sah Sam zu uns rüber.

„Wenn wir einen Schlüssel hätten, könnten wir das vielleicht ja, aber wo bleibt dann der Spaß?“, lachte Dryer. Ohne es zu sehen wusste ich, dass er mit seinen Augenbrauen wackelte. Grinsend schlug ich ihm auf die Brust.

„Wir sind gleich unten, okay?“, beruhigte ich Sam. Murrend nickte dieser.

„Beeilt euch aber!“ Und weg war er. Unwillig vergrub ich mein Gesicht wieder an Dryer.

„Ich will nicht aufstehen!“ Schmunzelnd rollte er sich aus meiner Umklammerung und stand darauf in seiner vollen Pracht vor mir. Genüsslich sah ich dabei zu wie er zu meinem Kleiderschrank lief und mir daraufhin eine frische Boxer und ein Shirt zuwarf. Widerwillig zog ich mich an, während er kurz in seinem Zimmer verschwand. Ich ging schon mal vor nach unten. Am Esstisch warteten schon Sam und Leo. Lächelnd setzte ich mich zu ihnen an den Tisch. Wir hatten zwar etwas länger gebraucht um alles zu renovieren, aber letztendlich sind wir fertig geworden und ich musste sagen es gefiel mir alles richtig gut. Keine Minute später ließ Dryer sich neben mir auf den Platz sinken. „Leo und ich wollten einen Filmabend machen, seid ihr dabei?“, fragte Sam. Ich nickte für uns beide, während ich in mein Hawaiitoast biss.

„Wann wollt ihr denn anfangen?“, fragte Dryer in die Runde.

„Nach dem Essen. Wir haben schon Chips und alles gekauft.“

 

Kurze Zeit später saßen wir alle auf dem flauschigen Teppich vor dem Fernseher. Schläfrig lehnte ich mich nach hinten gegen Dryers Brust. Seine Beine erstreckten sich links und rechts von mir. Sanft fing er an, an meinem Ohr zu knabbern.

„Ich liebe dich!“, wurde mir ins Ohr geflüstert. Verzweifelt warf Sam die Hände in die Luft und Leo mir einen Chip gegen den Kopf.

„Leute das ist ein Horrorfilm!“, rief Leo. Lachend wehrte ich mich indem ich mein, sowieso ungenutztes, Kissen zurück schmiss.

„Ihr braucht euch gar nicht so zu beschweren! Ihr seid auch nicht besser!“ Grinsend lehnte ich mich zurück und zog dabei Dryers Arme um mich. Knurrend zog er mich noch näher, sodass nicht mal ein Blatt zwischen uns passte. Seine Lippen wanderten zu meinen Hals, ehe er sich wieder auf den Film konzentrierte. Schmunzelnd drehte ich mich zu ihm um.

„Ich liebe …“, fing ich an wurde aber durch das laute: „Luukkkeee!“, unterbrochen. Das Kissen kam mit voller Wucht zurückgeflogen. Lachend konzentrierte ich mich wieder auf den Film, während Dryer sachte meinen Bauch kraulte und seinen Kopf auf meinem ablegte. Gähnend sank ich noch weiter in die Umarmung und ließ mich gehen. Wie konnte ich nur jemals denken, dass ich nicht schwul war?

 

 

Ende

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 02.06.2015

Alle Rechte vorbehalten

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