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Die Kneipe, in der ich saß, war rappelvoll. Es dauerte Ewigkeiten, bis man überhaupt die Chance bekam, sich ein Bier zu bestellen und die Wartezeit, die darauf folgte, war noch anstrengender. Während der Barmann mein Getränk zubereitete, wurde er auch schon von einem unangenehm riechenden Mann, der neben mir stand, zugetextet. Dieser beschwerte sich über die lange Wartezeit und fing an Ärger zu stiften. Ich musste mich stark am Riemen reißen, um meinem Nachbarn nicht einfach den Ellenbogen in die Seite zu rammen und ihn somit aus dem Weg zu befördern. Er konnte doch sehen, dass es voll war und ein Mann hinter der Theke reichte nun mal nicht aus, um diesen Ansturm mühelos zu bewältigen.

 

Von allen Seiten wurde gedrängelt, geschubst und geschoben und ich saß mittendrin. Vorne an der Theke auf einem Barhocker, was nicht gerade die beste Position war, da alle genau nach diesen Platz lechzten. Wie die Geier wuselten sie um mich herum, warteten darauf, dass ich meinen Platz verließ und mit eingezogenem Schwanz davon marschierte. Falls ich mich aber zurückziehen würde, müsste ich mich durch die gesamte Menge wieder nach draußen drängen und mein Bier würde ich auch nicht mehr erhalten.

 

Es war schon ein Wunder, dass der Mann hinter der Bar bei dem Lärm überhaupt etwas verstand und die Bestellungen auch noch richtig ausführte. Von allen Seiten wurde er heran gewunken und wenn er nicht kam, wurde die Bestellung einfach quer durch den Raum gebrüllt. Scheine wurden gezückt, durch die Luft gewedelt und jeder wollte als Nächstes an der Reihe sein. Trotzdem schien er die Ruhe wegzuhaben. Die Hektik ging völlig an ihm vorbei. Seelenruhig füllte er die Gläser und wusch nebenbei auch noch ab. Den zeternden Kunden drehte er einfach den Rücken zu. Von den ruhig abwartenden, welche deutlich in der Unterzahl waren, nahm er mit einem freundlichen Lächeln die Bestellung entgegen.

 

Ich verstand nicht, warum nicht einfach jemand Zweites eingestellt wurde, der ihm hinter der Bar unter die Arme griff. Zwar herrschte nicht jeden Tag so ein starker Ansturm, aber heute war auch nicht der erste Abend, an dem er förmlich überrannt wurde. Natürlich würden dann höhere Kosten anfallen. Der neue Mitarbeiter müsste außerdem noch eingearbeitet werden und die ersten Tage wäre er mehr eine Last als Hilfe. Viele Gläser würden zerbrechen ... Nun ja, in gewisser Weise konnte ich Tyler doch verstehen.

Tyler! Ja, ich kannte seinen Namen. Und ich kam mir langsam mehr als erbärmlich vor, dass ich ausnahmslos jeden Abend in die Kneipe kam und ihm bei seiner Arbeit zusah. Inzwischen hatte ich schon einen Stammplatz an der Bar. Tyler fragte auch nicht mehr, was ich haben wollte, sondern stellte mir direkt ein Bier vor die Nase. Durch einen Zufall war ich das erste Mal in seine Kneipe getaumelt und von Anfang an hatte mich Tyler in seinen Bann gezogen. Mit seiner ungezwungenen, freundlichen Art hatte er sich schnell in mein Herz gedrängt, auch wenn er davon nicht die geringste Ahnung hatte. Er würde es wahrscheinlich auch niemals erfahren. Ich bekam es ja nicht einmal hin, einen ordentlichen Satz in seiner Gegenwart zu sagen.

 

Ich freute mich für ihn, dass er so viel Erfolg mit seinem Geschäft hatte. Vor gut einem Jahr wurde die Kneipe ›Tylers‹ eröffnet. So einfallslos er auch bei der Namensgebung gewesen war, so gut lief das Geschäft. Jeden Abend verirrten sich neue Leute hierher und hinterließen neben einem großen Haufen Dreck und vergossenen Getränken auch noch eine Menge Geld. Der Umsatz war bestimmt nicht schlecht, aber meiner Meinung nach lohnte sich der ganze Aufwand nicht. Was hatte ich von ein paar Euro mehr, wenn ich dafür bis in die Nacht betrunkene Gäste bedienen und deren traurige Lebensgeschichte anhören musste? Nicht selten von dicken Tränen begleitet.

Da blieb ich lieber bei meinem Job. Internetseiten konnte ich auch gemütlich von zu Hause erstellen. Dafür brauchte ich mich nicht in einen Anzug zu zwängen und ein falsches Lächeln auf den Lippen tragen. Oder wie in Tylers Fall, die Kotze von irgendwelchen Fremden weg zu wischen, die es nicht mehr rechtzeitig zum Klo geschafft hatten, oder nicht mehr zielen konnten. Alleine bei dem Gedanken daran schüttelte es mich.

 

Mit einem freundlichen Lächeln stellte Tyler ein neues Bier vor meiner Nase ab. Nicht zum ersten Mal fielen mir die Lachfalten um seine braunen Augen auf. Sie ließen sein kantiges Gesicht sympathisch wirken und zeigten, was für ein Mensch hinter der Fassade des hübschen Barmannes steckte. Er war eine Person, die gerne und häufig lachte und sich damit auch nicht zurückhielt. Oft unterhielt er sich mit der Kundschaft und wenn sich jemand niedergeschlagen an die Bar setzte, schaffte er es meist, sie mit ein paar lockeren Sprüchen aus ihrem Trübsal zu reißen.

 

Ich war auch bestimmt nicht der Einzige, der ihn aus der Ferne anhimmelte. Manche Leute waren aber auch offensiver als ich und grinsten ihn lüstern an, oder bestellten ein Getränk, während sie weit über die Bar gebeugt standen, das Oberteil so weit hinunter gezogen, dass man den BH aufblitzen sehen konnte. Was daran attraktiv sein sollte, kam mir nicht in den Sinn. In meinen Augen wirkte es eher billig. Noch hatte er auch jede von ihnen abblitzen lassen. Zwei Monate kam ich nun schon jeden Abend her und nicht einmal war er auf einen dieser billigen Anmachsprüche eingegangen. Vielleicht ließ er sich aber auch die Nummer geben und traf sich nach der Arbeit mit den willigen Kandidaten, denn Sex bei der Arbeit war ja bekanntlich verpönt. Zumindest in meinen Augen und ich stellte es mir sehr schwierig vor eine Beziehung zu führen, wenn man einen Job hatte, in welchem man in der Nacht arbeitete. Viel zu viel Arbeit und eine Beziehung würde ich auch nur eingehen, wenn es sich wirklich lohnen würde. Wieso sollte ich auch für eine Person kämpfen und mich um sie bemühen, wenn ich sie nicht liebte? Mir war es immer noch unklar, wie man freiwillig in einer Beziehung leben konnte, in der man nicht glücklich war. Da ließ ich es lieber ganz bleiben.

Anfangs hatte er auch versucht mich aufzumuntern. Er hatte angeboten mir zuzuhören, Witze gerissen und mir Getränke ausgegeben. Nach einer Woche hatte er es aufgegeben und jetzt bekam ich nur noch ein Lächeln geschenkt. Wieso hatte ich mich nicht am Anfang zusammenreißen und ein normales Gespräch mit ihm beginnen können? Stattdessen hatte ich mir ein Bier nach dem anderen bestellt, war nach Hause getorkelt, nur um am nächsten Abend wieder aufzukreuzen. Es lag noch nicht mal daran, dass ich sonderlich schüchtern war, nein, ich war einfach nur nicht gesellschaftstauglich. Da wo anderen Leuten eine neckende Antwort oder ein cooler Spruch einfiel, konnte ich nur nicken, lachen. Oder ganz schnell einen Schluck aus meinem Bier nehmen, damit ich auch ja nicht antworten musste.

Ich warf ein Blick in mein halb leeres Bierglas und trank einen großen Schluck. Ich hätte mir doch etwas Stärkeres bestellen sollen. Der ganze Tag heute war schon schlecht gelaufen. Zuerst hatte mir ein Kunde den Auftrag gekündigt und war zu einem Konkurrenten übergelaufen. Dann war mein Computer auch noch abgestürzt und ich konnte keine weiteren Webseiten bearbeiten. Ich hatte ihn direkt zur Reparatur geschickt, mit der Anweisung ihn so schnell wie möglich zu reparieren und mit einer Express Lieferung zurück zu schicken. Die Antwort war ein unfreundliches Brummen und ein Tuten, als der Mitarbeiter einfach auflegte. Ich war noch nicht einmal schnell genug gewesen, um mich nach seinen Namen zu erkundigen.

Genervt von alledem hatte ich früher als sonst nach meiner Jacke gegriffen und war die paar Straßen bis zur Kneipe gelaufen. Nur meinem frühen Auftauchen verdankte ich meinen ›erstklassigen‹ Platz, dafür tat mir aber auch ganz schön der Hintern weh. Gerne würde ich mir kurz die Beine vertreten. Dann wäre aber der Platz weg und so schnell würde ich nicht mehr in die Nähe von Tyler kommen. Wenn ich nicht in seiner Nähe sein konnte, brauchte ich mich auch gar nicht in der Kneipe aufhalten. Wie sollte ich ihm auch jemals auffallen, wenn ich am Ende des Raumes an einem kleinen Tisch saß, der von allen übersehen wurde?

 

In Gedanken versunken starrte ich ihm auf den Hinterkopf. Die braunen Haare luden nur so dazu ein hindurchzufahren, sich fest in ihnen zu verkrallen, während ich meine Lippen auf seine presste. Bestimmt konnte er fantastisch küssen. Ein Mann mit solch sündigen Lippen musste fantastisch küssen können! Aber so ein Mann war nun mal nicht schwul und damit schon für mich gestrichen.

Als das leere Bierglas vor meiner Nase weggezogen wurde, kam ich wieder in die Wirklichkeit zurück. Ohne dass ich es bestellt hatte, wurde ein Glas mit klarer Flüssigkeit vor mir abgestellt. Mein Blick schoss verwirrt nach oben und traf auf den von Tyler.

„Du siehst aus, als könntest du es gebrauchen.“ Mit einem Zwinkern wandte er sich von mir ab und wieder dem nächsten Kunden zu. Vorsichtig nippte ich an dem Glas. Wodka, eindeutig, und er hatte recht, den konnte ich grade verdammt gut gebrauchen! Vielleicht würde er mich von meinem schlechten Tag ablenken, oder ich würde mich zu den anderen kotzenden Leuten auf die Herrentoilette gesellen.

 

Ohne dass ich es wirklich wahrnahm, wurde es immer später und die Leute verließen nach und nach die Kneipe. Tyler fing schon an die Gläser zu putzen und ich sollte mich langsam auch mal auf die Socken machen. Ein Blick um mich herum zeigte mir, dass ich der letzte Kunde war. Ein Blick auf die Uhr, dass die Kneipe schon seit gut einer halben Stunde geschlossen hatte.

„Warum sagst du mir nicht, dass du schließen möchtest?“, rief ich erschrocken aus und sprang vom Barhocker. Die Gegend drehte sich Gott sei Dank nicht und auch der Boden unter meinen Füßen schien mir erstaunlich fest. „Du sahst so aus, als könntest du noch ein bisschen Zeit für dich gebrauchen und ich muss sowieso noch sauber machen.“ Er hielt den Lappen in seiner Hand hoch. Ich seufzte leise und zückte mein Portemonnaie. Wie konnte ein Mann, mit einem Lappen in der Hand, immer noch so wahnsinnig gut aussehen?

„Was bekommst du von mir?“ Er sah mich kurz an, dann winkte er ab. „Gar nichts. Geht auf mich“, sagte er. Lachfalten erschienen erneut um seine Augen, als er mich lieb anlächelte. Mein Herz begann zu flattern und meine Hände wurden feucht. Schnell rieb ich sie an meiner Hose ab, während ich zwanghaft überlegte, was ich darauf antworten sollte. Er schien aber gar keine Antwort zu erwarten, denn er wandte sich wieder seinen Gläsern zu.

 

„Danke“, brach es schließlich leise aus mir heraus. „Nur, was möchtest du als Gegenleistung?“ Ohne Aufforderung griff ich nach einem anderen Lappen und ergriff das Glas, welches er grade geputzt hatte. Mit ungeübten Griffen trocknete ich es ab und stellte es anschließend auf den Tresen, ehe ich nach dem nächsten Glas griff. Bevor meine Hand das Glas berührte, wurde ich aufgehalten. Tyler blickte amüsiert auf mich hinunter. Er überragte mich bestimmt über eine Kopflänge und deutlich breiter als ich war er auch.

„Was wird das denn?“, fragte er. Seine Augen blitzen schelmisch und er hielt mein Handgelenk immer noch im festen Griff. Mein Blick huschte kurz zu seinen Fingern, ehe ich wieder in seinen Augen versank. Warm strahlten sie mich an und gaben mir sofort das Gefühl willkommen zu sein.

„Ich helfe dir?“, fragte ich mehr, als dass ich es feststellte. Ich wollte bei niemanden in den Miesen stehen, auch wenn dieser jemand noch so verführerisch war. Tyler schien kurz zu überlegen, dann erhellte ein Strahlen sein Gesicht und er stimmte begeistert zu. Wo diese Begeisterung auf einmal herkam, war mir unklar, aber wenn er mich immer so anstrahlte, würde ich ihm jedes Mal helfen!

 

Stumm machten wir uns an die Arbeit haufenweise dreckiges Geschirr abzuspülen. Mit gesenktem Kopf schielte ich unauffällig zu ihm hinauf, während ich das Glas in meiner Hand drehte und zum dritten Mal abtrocknete. Trockener ging es jetzt auch nicht mehr ...

Vor sich hin grinsend spülte er die Gläser ab und stellte sie vor mir auf die Bar. Als sein Blick meinen kreuzte, sah ich schnell wieder auf den Boden. Trotzdem spürte ich die verräterische Röte meine Wangen hochsteigen.

Eine ganze Weile arbeiteten wir so vor uns hin. Während ich ihn unter verstohlenen Blicken beobachtete, musterte er mich offen und interessiert. Schließlich hielt ich die Stille nicht mehr aus.

„Findest du es nicht nervig, immer den Dreck von anderen Leuten wegzumachen?“, fragte ich neugierig. Ich würde es nicht ertragen, jeden Tag den Müll von fremden Leuten wegzuräumen.

„Nein, ich liebe meinen Job und das gehört nun mal dazu.“ Er zuckte grinsend mit den Achseln und reichte mir das nächste Glas. Geistesabwesend nahm ich es entgegen und genoss den kurzen Moment, als sich unsere Finger berührten und ein Kribbeln meine Fingerspitzen durchfuhr. Viel zu schnell zog er sich zurück, trotzdem war mir sein überraschter Blick nicht entgangen. Wahrscheinlich hatte ich meinen Gesichtsausdruck wieder einmal nicht unter Kontrolle. Eigentlich hatte ich das nie. Nicht umsonst wurde mir immer wieder gesagt, dass ich so leicht zu lesen war wie ein offenes Buch. Die meisten sahen dies positiv, aber was war daran toll, dass mir jeder alles vom Gesicht ablesen konnte? Meiner Meinung nach musste nicht jeder Wildfremde sehen, wie es mir ging.

 

„Und die späten Arbeitszeiten?“, fragte ich.

„Ich bin Langschläfer“, sagte er lachend. Wie konnte er das alles nur so positiv sehen? Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich ihn. „Wischst du gerne anderen Leuten hinterher?“ Er hob seinen Blick und sah mich vergnügt an. „Danach ist es wieder sauber.“ Ohne nachzudenken, redete ich weiter. Ich hatte anscheinend doch ein bisschen tiefer in Glas geschaut, als gedacht.

„Die vielen Leute, die sich bei dir ausheulen?“ Er legte das dreckige Glas aus der Hand und stütze sich mit beiden Händen auf den Tresen. Inzwischen grinste er über beiden Backen und zwischen seinen Lippen blitzten weiße Zähne auf. Ich würde alles dafür geben, um nur einmal an diesen Lippen zu knabbern.

„Ich mag es zu helfen. Wenn es ihnen danach besser geht, freue ich mich auch.“ Meine Augen verengten sich noch weiter und ich legte mein Glas ebenfalls beiseite. „Wie sieht es mit Leuten aus, die Ärger stiften?“ Forsch sah ich ihn an und nahm dieselbe Haltung an. Die Hände fest auf dem Tresen liegend und zu ihm hoch blickend. „Ich zeig auch gerne mal meine Muskeln.“ Wissend folgte er meinen Blick, welcher zu seinen muskulösen Oberarme schnellte. Ein Blick und ich war aus dem Konzept gerissen. Ich rutschte einige Etagen tiefer und sah von seiner Brust zu seinem flachen Bauch, bis der Tresen mir die Sicht versperrte. Schnell räusperte ich mich und blickte mit geröteten Wangen wieder nach oben. Es war ihm nicht entgangen. Natürlich nicht, aber es war ihm hoch anzurechnen, dass er nichts dazu sagte, lediglich das lüsterne Grinsen auf seinem Gesicht blieb bestehen.

 

„Und die ganzen Leute, die die Zeche prellen?“ Gewinnend sah ich ihn an. Er warf einen Blick über meinen Kopf hinweg in die Ecke des Raumes. Ich drehte mich verwirrt um und folgte ihm, ehe ich die versteckte Kamera entdeckte.

„Die bekommen einen Besuch von der Polizei, wenn sie es mehr als ein Mal versuchen“, sagte er schadenfroh. Verdrossen knirschte ich mit den Zähnen. „Das ganze Kopfrechnen?“

„Ich bin gut in Mathe“, erwiderte er stumpf, aber amüsiert. Immer noch verharrten wir in derselben Position und starrten uns an. So würden die Gläser aber nicht sauber werden.

„Du hast die ganze Zeit besoffene Menschen an der Backe kleben.“ Schmunzelnd schüttelte er den Kopf.

„Den hatten wir schon.“ Verzweifelt suchte ich nach weiteren Punkten. „Und die ganzen Leute, die sich an dich ranschmeißen?“, fragte ich und grinste in frech an.

„Oh, das macht mir gar nichts, ich bin schwul!“ Ohne mein Zutun klappte mir die Kinnlade runter und ich war kurz davor mich auf ihn zu stürzen, aber den Korb konnte ich mir schenken. Meine Synapsen hatten einen Kurzschluss und ich hielt mich grade noch so davon ab, erneut einen ausgiebigen Blick über seinen Körper zu werfen. Mein Gesichtsausdruck musste mir wirklich entgleist sein, denn keinen Moment später fing er laut an zu lachen und riss mich mit. Japsend rang ich nach Luft und vermied den Blick in sein Gesicht, dann würde es alles nur wieder von vorne losgehen. Das Grinsen aber blieb auf unseren Gesichtern bestehen, als er mir seine Hand reichte.

„Freut mich, dich kennenzulernen, du kleiner Pessimist.“ Mit Freuden ergriff ich seine Hand. Sein Händedruck war fest und warm. Nicht einer dieser laschen, bei denen man sich einen Moment später immer noch schüttelte, oder die Hand an der Hose abrieb.

„Du darfst mich gerne Cole nennen“, erwiderte ich sanft lächelnd. Ich sollte mir gar nicht erst Hoffnungen machen, am Ende würde sie sowieso nur wieder niedergeschmettert werden. „Cole.“ Er ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen als würde er ihn zu erstem Mal hören. So wie er ihn aussprach, hatte er etwas unglaublich Erotisches an sich. „Den Namen kann man bestimmt gut stöhnen.“ Das Glas, welches ich grade in die Hand genommen hatte, rutschte mir weg und knallte mit einem lauten Klirren auf dem Boden. Dabei zersprang es in viele kleine Teile, welche sich in alle möglichen Richtungen verteilten. Erschrocken sprang ich einen Schritt zurück und sah mit hochrotem Kopf auf das Desaster. Wenigstens konnte ich diesen jetzt auf das Glas und nicht auf seine gesagten Worte beziehen.

„Oh Shit. Es tut mir leid. Ich ersetzte dir das Glas natürlich.“ Beschämt bückte ich mich nach unten und sammelte die Scherben auf. Bemüht darum mich nicht zu schneiden, bemerkte ich nicht, wie er um den Tresen herum lief und nicht weit hinter mir zu stehen kam.

Mit dem Scherbenhaufen in der Hand richtete ich mich auf, schwankte aber deutlich. Der eindeutige Beweis dafür, dass ich eigentlich ins Bett gehörte und den restlichen Alkohol aus meinem Blut zu vertreiben hatte. Um mein Gleichgewicht zurückzuerlangen, wich ich einen Schritt nach hinten und landete direkt an einer breiten Brust. Noch ehe ich erschrocken herumfahren konnte, legte sich ein kräftiger Arm um meine Brust und zog mich näher an ihn heran.

„Na so was“, lachte er leise. „Dann stimmt es also wirklich, dass Gegensätze sich anziehen.“ Ich war mir sicher, dass er meinen schnellen Herzschlag unter seiner Hand spüren konnte. „Mir wäre es lieber, wenn sie sich ausziehen würden“, nuschelte ich so leise, dass er es eigentlich gar nicht verstehen konnte. Anscheinend aber nicht leise genug.

„So, wäre es dir?“, grinste er. Er drehte mich in seinen Armen herum und sah mir fragend in die Augen. Ich nickte schlicht, nicht fähig etwas zu sagen. Meine Lippen prickelten voller Erwartungen, als er eine Hand auf meine Wange legte und sich zu mir hinunter beugte. Er wollte mich wirklich küssen! Auf wackeligen Beinen kam ich ihm entgegen. Dabei presste ich meine Hände fest zusammen, um ihn nicht einfach an den Haaren zu packen und zu mir hinunterzuziehen. Keine Sekunde später ließ ich sie laut fluchend wieder locker. Ein scharfer Schmerz durchfuhr meine Hand und die Scherben fielen erneut klirrend zu Boden. Tyler hielt verwirrt inne, folgte dann aber meinem Blick. Ein stummes Fluchen verließ seine Lippen, dann zog er mich hastig zum Waschbecken. Zärtlicher als ich erwartete hatte, wusch er mir das Blut und die kleinen Glassplitter von der Hand. „Pessimist und Tollpatsch? Keine gute Kombination, wenn du mich fragst“, lächelte er, aber in seinen Augen blitzte Sorge auf.

„Keine Sorge, ich bin eigentlich nicht tollpatschig. Pessimistisch auch nicht, nur ein winzig kleines bisschen vielleicht.“ Er verdrehte nur lachend die Augen und deutete auf meine Hand. Sie blutete noch immer.

„Ich hab hier unten kein Verbandszeug. Kommst du mit nach oben, oder willst du lieber hier warten?“ „Nach oben“, sagte ich fest entschlossen. Ich würde es mir doch nicht entgehen lassen, ein bisschen mehr aus Tylers Leben zu erfahren. Dies war der erste Tag, an dem ich mich vollkommen wohlfühlte. Ohne die ganzen Leute um uns herum wirkte Tyler viel lockerer, viel entspannter und die Lachfalten erschienen öfter um seine Augen herum.

 

Das Lächeln auf seinem Gesicht zeigte mir, dass er mit meiner Entscheidung zufrieden war. Immer noch mit meiner Hand im Griff marschierte er los und zog mich hinter sich her. Kurz darauf saß ich auf seinem schwarzen Sofa und ließ mir vorsichtig die Hand verbinden. Mein Blick irrte neugierig umher und ich sog alles Neue in mir auf. Die Wohnung war gemütlich eingerichtet und ich konnte es mir gut vorstellen, hier mehr als ein paar Stunden zu verbringen. Der Schnitt in meiner Hand war nicht tief, blutete aber stark. „Tut mir leid, dass ich das Glas hab fallen lassen.“ Erneut entschuldigte ich mich bei ihm. „Das passiert schon einmal. Du hast mich damit nicht in den Ruin getrieben“, lachte er, noch immer auf meine Hand konzentriert. „So fertig.“ Zufrieden betrachtete er das Ergebnis. Inzwischen war das Stechen in ein unangenehmes Pochen übergegangen. „Möchtest du was trinken?“ Ich nickte und folgte ihm in die Küche. Ich würde alles tun, um noch ein bisschen länger bei ihm zu bleiben. Ich blieb aber realistisch. Nur weil er schwul war, hieß es ja noch lange nicht, dass er an mir interessiert war. Wahrscheinlich tat ihm meine Ungeschicklichkeit einfach nur ein bisschen leid. Schnell waren zwei Becher geholt und mit Wasser gefüllt. Ich setzte mich zu ihm an den Tisch und blickte unsicher auf die Holzmaserung. Sollte ich gleich von alleine gehen, oder lieber warten, bis er mich raus warf?

„Weißt du“, begann Tyler. „Ich dachte eigentlich, dass du nicht an Männern interessiert bist, da du mich die ganze Zeit hast abblitzen lassen. Aber heute hast du ganz andere Signale gesendet, deswegen würde ich gerne wissen, ob ich mir hier in irgendetwas verrenne.“ Überrascht blickte ich vom Tisch auf. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden und er sah abwartend in meine Augen. Hatte er doch Interesse an mir?

„Was meinst du?“, hakte ich vorsichtig nach, konnte die Hoffnung aber nicht aus meiner Stimme raus halten. „Genauso wie ich es gesagt habe.“

„Ich möchte aber nicht nur einmal ins Bett hüpfen und das war es dann“, nuschelte ich und entzog ihm meine Hand, nach der er unbewusst gegriffen hatte. Ein Lächeln schlich sich auf seine begehrenswerten Lippen und lenkte meinen Blick auf sie. Das Grinsen wurde breiter und er stand auf und umrundete den Tisch. Mit großen Schritten kam er auf mich zu, ehe er nahe vor mir stehen blieb, sodass ich den Kopf weit in den Nacken legen musste. Genauso wie in der Kneipe kam er immer näher und kurz vor meinen Lippen hielt er an. Das Blut rauschte durch meine Ohren, mein Herzschlag stoppte kurz und alles, was ich wollte, war dieser Mann. Vielleicht war es gar nicht so verkehrt, jemanden in meinem Leben zu haben, der etwas optimistischer war als ich. Vielleicht sollte ich dieses eine Mal die Situation optimistisch betrachten. Es würde schon schief gehen.

„Dann sind wir ja schon zu zweit“, sagte er und endlich küsste er mich.

 

 

The End

Impressum

Texte: MimsKar
Bildmaterialien: © Barbara Pheby - Fotolia.com
Lektorat: Anirid1976
Tag der Veröffentlichung: 05.04.2015

Alle Rechte vorbehalten

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