Cover

Kapitel 1

„Machen Sie es sich nicht schwerer, als Sie es jetzt schon haben“, sagte Lee mit ruhiger, aber dennoch ausdrucksstarker Stimme. Seit einer halben Stunde saß er nun schon, zusammen mit seinem Partner Drew in einem der Verhörräume des FBI. Sie ermittelten an einer Mordstrecke, welche sich durch ganz San Francisco zog und eine Spur aus purem Chaos hinterließ. Die Polizei war ahnungslos und die Presse versuchte mit allen Mitteln an brauchbare Informationen zu gelangen. Wenn sie welche fand, zerriss sie diese und trieb die Menge mit wilden Vermutungen und falschen Thesen in die Panik.

 

 Mittlerweile waren schon sieben Menschen auf brutale Weise gestorben und dennoch gab es keinerlei Verbindungen. Gar nichts, außer einem kleinen Zettel. Ein einfacher, weißer, unbeschriebener Zettel. Keine verborgenen Botschaften und keine versteckten Hinweise, wie es so oft der Fall war, denn wenn Lee eines gelernt hatte, dann, dass Mörder für ihre Taten Anerkennung wollten.

 

Diese Fälle wiesen aber ganz andere Muster auf. Weder versuchte der Mörder mit ihnen auf irgendeine Art und Weise Kontakt aufzunehmen, noch ermordete er seine Opfer auf dieselbe Weise. Er hatte keine Zielperson, weder Vorlieben noch ein Vorgehensmuster und trotzdem war sich Lee zu hundert Prozent sicher, dass der Mann, welcher all diesen Menschen das Leben genommen hatte, gerade vor ihm saß und ihn mit einem wissenden Grinsen bedachte.

 

Er drehte einen weißen Zettel in der Hand, welcher genauso aussah wie jener, der bei den Leichen gefunden wurde, jedoch nur ein einfacher Zettel aus seiner Schublade war. Dabei beobachtete er genau den Gesichtsausdruck des Verdächtigen, als er das Blatt zu ihm hinüber schob und war sich sicher, dass Drew genau dasselbe tat.

 

 Sein Gegenüber war ungepflegt, der Dreitagebart schien eher drei Monate vor sich hinzuwuchern und seine letzte Dusche lag auch schon weit in der Vergangenheit. Der Geruch nach Schweiß hatte sich schon in dem kleinen Raum ausgebreitet und in ihm kam das Bedürfnis zum Vorschein, den Arm vor die Nase zu halten und aus dem Raum zu stürmen.

Ein Außenstehender würde ihn für verrückt erklären, wenn er ihn den Mann vorsetzen und behaupten würde, dass dies ein hochintelligenter Mann war, bei welchem der IQ, den eines durchschnittlichen Menschen weit überragte.

 

Die Reaktion des Verdächtigten hätte er übersehen, wenn er nicht genau darauf gewartet hätte. Die feuchten Finger wurden unauffällig an der Hose abgewischt und einen Moment lang hatte sein Gesichtsausdruck für sich gesprochen, ehe sein Gesicht wieder zu einer Maske wurde.

„Wissen Sie, was das ist?“, fragte Drew fordernd und tippte mit dem Finger auf das Blatt Papier. Der Mann nahm es entgegen, drehte es nach einem kurzen Blick um und blinzelte dann zu Drew rauf.

„Ein leeres Blatt Papier?“, fragte er scheinbar unwissend, doch seine Hände zitterten beinahe unmerkbar und Lee konnte einen Schweißtropfen seine Stirn hinabrinnen sehen.

 

Der Mann konnte noch so schlau und durchrissen sein, seine körperlichen Reaktionen verrieten ihn. Drew ließ nicht durchblicken, was er dachte. Er hielt den Blick stumm auf den Mann gerichtet, welcher anfing unruhig auf seinem Stuhl herum zu rutschen und immer wieder auf das Blatt schielte. Es hatte sich zwar niemand einen Reim auf die Hinterlassenschaft machen können, aber Lee war immer noch der Meinung, die beste Methode einen Mörder zu fassen, war ihn mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. Sobald sich Menschen bedrängt und ertappt fühlten, versuchten sie einen möglichst guten Deal mit dem FBI zu machen. In diesem Fall würde es aber keinen Deal geben, sondern nur einen langen Aufenthalt im Gefängnis.

 

„Seit ihr so begeistert von meinen Taten, dass ihr ein Autogramm möchtet?“, fragte er, nachdem es eine Weile still im Raum gewesen war.

„Ist das ein Geständnis?“, schoss Drew zurück, bereit die Handschellen zu zücken und den Mistkerl abzuführen. Ein hysterisches Lachen erfüllte den Raum und das Blatt wurde zurückgeschoben.

„Nein, das war es ganz sicher nicht. Ich bin weder Serienmörder noch Vergewaltiger, aber ich wünsche euch viel Spaß dabei vor dem Gericht zu gewinnen, wenn ihr nichts anderes als ein leeres Blatt Papier vorzuweisen habt!“ Erneut lachte er laut auf, verteilte dabei feine Spucke Partikel im Raum und Lee zog angewidert seinen Arm außer Reichweite.

 

 Er hatte nicht erwartet ihn sofort einbuchten zu können, aber es war dennoch eine Niederlage, die er sich nicht eingestehen wollte. Sie mussten einen Mörder auf die Straße lassen und konnten nichts dagegen tun. Sie hatten nichts gegen ihn in der Hand. Der Mann war weder vorbestraft, noch hatte er ein Knäulchen wegen falschparken. Man könnte meinen, vor ihnen saß ein Mann mit weißer Weste.

 

Das war auf so viele Weisen falsch, dass Lee seinen Zorn kaum unterdrücken konnte. Er wusste, dass dieser Mann der Mörder war, dass er ihnen gerade ins Gesicht log und dennoch konnte er es nicht beweisen. Das Schlimmste war, dass er weiter morden würde. Nicht in nächster Zeit, schließlich stand er unter Beobachtung, aber nach einer Weile, wenn sich der ganze Trubel um die Morde gelegt hatte, würde er wieder zuschlagen. Eine weitere Familie würde auseinandergerissen werden und er würde ewig mit den Gedanken leben müssen, dass er es eigentlich hätte verhindern können.

 

Drew nahm den Zettel wieder an sich und gemeinsam verließen sie das Zimmer und gingen in sein Büro. Der Raum war groß und gemütlich. Drews Schreibtisch war an die Fensterfront gerückt wurden, sodass man einen herrlichen Ausblick über San Francisco hatte. Warmes Sonnenlicht erfüllte den Raum und spiegelte sich in den, an der Wand aufgehängten Bildern wieder. Ein großes WANTED Poster, auf welchem er selber abgebildet war, hing in der Mitte und ließ die Leute, die das erste Mal diesen Raum betraten, meist erst einmal stutzen. Lee hatte sich mit ein paar Kollegen zusammengetan und ihm das speziell angefertigte Bild zur Beförderung geschenkt. Seitdem hatte es diesen Platz inne. Gegenüber von der Tür befand sich ein großes Regal, welches mit Akten bis obenhin zugestopft war.

 

Zu diesem lief Drew gerade und Lee ließ sich auf den unbequemsten Stuhl sinken, auf dem er je gesessen hatte. Er hatte Drew schon darauf angesprochen, doch dieser hatte nur den Kopf geschüttelt und gemeint, dass er sich nicht konzentrieren konnte, wenn er auf einem gemütlichen Stuhl saß. Was auch immer das bedeuten sollte.

 

Die Pistole an seinem Gurt blitzte auf, als Drew sich streckte und nach einem Ordner angelte, welcher weiter oben stand. Dabei kam Lee nicht darum zu bemerken, wie gut sein Partner aussah. Unter dem schwarzen Anzug steckte ein durchtrainierter Körper, dem Lee mehr als nur einmal einen Blick geschenkt hatte. Seine Augen waren blau und die braunen Haare trug er auf wenige Zentimeter runtergestutzt. Auf seiner geraden Nase tummelten sich einige Sommersprossen, die ihn eigentlich weicher wirken lassen sollten, doch dies war nicht der Fall. Ganz im Gegenteil. Drew war konsequent und hart. Er griff mit harter Hand durch und ließ auch keine Kleinigkeiten liegen. Auf fremde Leute wirkte er kühl und abweisend. Komischerweise trieb gerade das die Frauen haufenweise in seine Arme. Was diese Frauen nicht wissen konnten, war das Drew nicht nur so aussah. Er war in sich geschlossen, ließ kaum jemanden an sich heran und Lee hatte erst ein einziges Mal erlebt, dass er von sich aus ein freundliches Wort an einen Außenstehenden gerichtet hatte.

 

Sie waren inzwischen knapp drei Jahre Partner und Lee hatte nicht einen einzigen Tag mit ihm außerhalb der Arbeit verbracht. Dabei hatte er sich reichlich Mühe gegeben, um dies zu erreichen. Als er ihn als Partner zugeteilt bekam, konnte er sein Glück kaum glauben. Drew war respektiert und keiner seiner bisherigen Partner hatte sich beklagt. Er hatte eine gute Auflösungsquote und war zu jedem höflich. Lee hatte damals den Fehler begonnen Höflichkeit mit Freundlichkeit zu verwechseln und schnell hatte er sich eine angehende Liebschaft eingebildet, von der Drew keinerlei Ahnung gehabt hatte. Das hatte er auf die harte Tour verstanden und sein Selbstbewusstsein hatte einen großen Knacks bekommen. Mit tiefroten Wangen stand er damals vor ihm, eine Entschuldigung stammelt, bevor förmlich geflüchtet war.

Daraufhin hatte er sich zu Hause verkrochen, die  Kündigung  abgabebereit auf seinem Esszimmertisch, doch er hatte nicht mir Drew gerechnet. Wenn jemand Beruf von Arbeit trennen konnte, dann er. Nach einem späten Einsatz stand Drew in voller Montur vor seiner Tür. Das ernste Gesicht wirkte nicht mehr ernst, sondern finster und seine Hände waren zu Fäusten geballt gewesen. Ohne ein Wort zu sagen, war er an ihm vorbei ins Haus gestürmt. Niemand würde sich freiwillig einem wütenden Drew in den Weg stellen, also war Lee einfach mit eingezogenem Schwanz hinter ihm hergedackelt. Er hatte nie erlebt, wie Drew aus der Haut gefahren war, außer an diesem Abend. Wie einen kleinen Schuljungen hatte er ihn zusammengescholten und war dabei so laut geworden, dass sogar die Nachbarn ihn gehört hatten. Die Kündigung wurde hochkant zerrissen und danach war Drew ohne ein Wort des Abschieds wieder nach draußen gestürmt.

 

Am Montag war Lee wieder zur Arbeit erschienen. Es hatte zwar noch eine Weile gedauert, bis er sich an die Situation gewöhnt hatte, aber seitdem waren sie ein eingeschweißtes Team. Drew war in seinen Augen die Art von Mensch, die jeder als Freund haben wollte, aber mit der so gut wie niemand wirklich befreundet war. In all den Jahren war er jeden Tag alleine gekommen und jeden Tag alleine gegangen. Weder war er nach der Arbeit einen mit Trinken gekommen, noch hatte Lee in seiner Nähe eine gute Freundin oder einen Freund erblicken können. Es war beinahe so, als würde Drew sich von allem abschotten und in seiner eigenen, friedlichen Welt leben. Auf außer örtlichen Aufträgen, war Drew derjenige, der das Sagen hatte. Er blieb immer ruhig und erteilte präzise Befehle, die jeder ohne Wenn und Aber befolgte. Lee beneidete ihn für seine Ruhe. Er konnte nicht ruhig bleiben, wenn er wusste, dass jede Minute jemand von ihnen gehen könnte, oder wenn ihm eine Pistole an die Stirn gehalten wurde. Mehr als einmal hatte Drew ihm schon das Leben gerettet und Lee konnte es gar nicht in Worte fassen, wie Dankbar er ihm dafür war. Er hatte es einmal versucht, wurde aber von Drew sofort abgewimmelt. Er hatte es abgewunken, als wäre es rein gar nichts gewesen, dabei wussten sie beide, dass dies nicht der Fall war.

 

Mit zwei schweren Ordnern auf dem Arm kam Drew zurück und ließ diese mit einem lauten Schnaufen auf den Schreibtisch fallen. Lee konnte beinahe schon die Staubwolke aufsteigen sehen. Der Tisch knarzte verdächtig und der Computerbildschirm wackelte munter vor sich hin.

„Was ist das?“, fragte Lee, obwohl er die Antwort eigentlich schon kannte. Es waren Fälle, die den, den sie gerade bearbeiteten, ähnlich sahen und es würde ewig dauern jeden Einzelnen von ihnen durchzugehen. Stundenlang saß man an diesen Arbeiten, nur um am Ende festzustellen, dass man seine Zeit vergeudet und absolut nichts Hilfreiches gefunden hatte.

„Arbeit“, antwortete Drew schlicht und zog sich den Gästestuhl heran.

Mit einem leisen Seufzen ließ er sich darauf sinken und griff direkt nach einem der beiden Ordner. Mit finsterem Gesicht vergrub er sich darin und begann nebenbei Notizen zu machen. Auch wenn er nach außen hin ruhig und gefasst wirkte, konnte Lee die verkrampften Schultern sehen und die Finger, welche kaum merklich zitterten. Nicht nur ihm ging der Fall nahe. Drew hatte auch daran zu knabbern und wenn sich Lee bei einer Sache sicher war, dann, dass sie den Mann, welcher grade nach draußen geführt wurde, hinter Gitter bringen würden. Entschlossen griff er nach dem zweiten Ordner und fing an zu lesen.

 

***

„Nichts“, knurrte Drew und ließ seine Schultern kreisen. Ein Knacken begleitete seine Bewegung und ließ Lee zusammenzucken. Mehrere Stunden hatten sie stillschweigend nebeneinander gearbeitet. Auch er hatte nichts Nützliches gefunden. Mit jedem weiterem Fall war seine Zuversicht gesunken, bis er die Akten nur noch überflogen hatte.

„Ohne Beweise können wir ihn nicht festnageln. Das Schwein hat Recht, mit einem leeren Blatt Papier als einzigen Beweis, wirft uns der Richter direkt aus dem Saal“, antwortete er und ließ den schweren Ordner vor sich zuklappen. Drew schob seinen Stuhl ruckartig zurück, wodurch ein lautes Quietschen entstand, welches Lee erneut zusammen fahren ließ. Er sprang mehr aus dem Stuhl, als das er aufstand und tigerte dann unruhig durch sein Büro.

„Das kann alles nicht sein. Man kann keine acht Morde begehen und keine Spuren hinterlassen.  Wir haben keine Fingerabdrücke gefunden, keine Haare, nicht einmal Fußspuren im Schlamm! Es ist, als ob es unseren Mörder gar nicht geben würde!“, fluchte er während er weiter Löcher in den Boden stampfte. Lee kannte diese Phase schon.

 

Wann immer sie den Mörder schon hatten, aber nicht genug Beweise, wurde Drew unleidlich. Sein Sinn für Gerechtigkeit sprang an und er versuchte alles in seiner Macht stehende, um an die benötigten Beweise zu gelangen. Lee sah es sich eine Weile mit an, dann stand auch er auf und stellte sich Drew mitten in den Weg. Wie fast jedes Mal lief Drew einfach einen Bogen um ihn herum. Das war noch die nette Variante, manchmal wurde er auch einfach aus dem Weg geschoben oder geschubst. Ein Klopfen an der Tür unterbrach Drew in seiner Handlung. Wie angewurzelt blieb er stehen und bellte dann ein lautes: „Herein!“ Die Tür wurde geöffnet und ein Agent steckte seinen Kopf vorsichtig um die Ecke. Er blickte sich unsicher um und sein Blick blieb an Drews finsterem Gesicht hängen. Lee unterdrückte mühsam ein Grinsen. Der arme Kerl traute sich nicht einmal den Raum richtig zu betreten. Noch immer hing er zwischen Tür und Angel und blickte ängstlich zwischen Lee und Drew hin und her. Anscheinend hielt er Lee für die geringere Bedrohung, da er wenige Sekunden später an ihn das Wort richtete.

„Ich hoffe, ich unterbreche Sie nicht bei einer wichtigen Ermittlung, aber Boss verlangt Sie zu sehen.“ Er räusperte sich und blickte scheinbar zu Boden. Lee konnte aber genau sehen, wie er unter seinen langen Wimpern unauffällig zu Drew hinaufblinzelte. Er schüttelte amüsiert den Kopf und erhob die Stimme, um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.

„Hat er dir sein Anliegen genannt, oder wieder nur meinen Namen in seinen Bart gegrummelt?“, fragte Lee nach und hatte genau das Bild vom Boss vor Augen.

 

Er war ein Mann in den frühen Sechzigern. Ein grauer Bart zierte seine fülligen Wangen und buschige, weiße Augenbrauen überdeckten beinahe seine Augen. Sein dicker Bauch wurde für gewöhnlich von einer schwarzen Hose gehalten, in die ein weißes Hemd gesteckt war, über das Hosenträger gespannt waren. Der Mann war so wortreich wie ein Fisch und machte sich normalerweise nicht die Mühe, mehr als ein, zwei Worte über seine Lippen zu pressen. Als würde es ihn eine ungeheurere Anstrengung abverlangen einen ganzen Satz zu sagen. Er war also ein kleiner, pummeliger Mann, der nicht viel für Worte übrig hatte, trotzdem sollte man ihn nicht unterschätzen. Nicht umsonst wurde er von jedem Boss genannt, auch wenn er diesen Posten gar nicht innehatte. Außeneinsätze reizten ihn nicht, er verbrachte lieber seinen Arbeitstag hinter dem Schreibtisch und öffnete Lee und anderen Mitarbeitern Wege, die ihnen sonst verschlossen geblieben wären.

„Er hat in seinen Bart gegrummelt“, lächelte der Agent schüchtern und sein Blick huschte kurz zu Lee, ehe er sich wieder an Drew verfing. Dieser kniff die Augen zusammen und sein Blick wurde noch ein wenig düsterer.

„Hab ich was im Gesicht kleben?“, fragte er barsch und fuhr sich mit der Hand über den Mund, als wollte er ein paar Krümel wegwischen.

„Nnnein, ich wollte…“, stotterte er, unterbrach sich aber selbst und seine Wangen fingen an zu glühen. Beschämt blickte er auf den Boden, ehe er Lee noch einmal zunickte und schleunigst aus dem Raum verschwand.

 

 Er blickte ihm verwundert nach, sah aber nur noch die Tür zurück in die Angel fliegen. „Der Kleine steht auf-“

„Ich weiß“, unterbrach ihn Drew rüde und machte eine abwertende Handbewegung. „Immer wenn er in der Nähe ist, kann ich seinen Blick an mir kleben spüren.“ Drew schüttelte sich, als fände er den Gedanken abstoßend und ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder. „Hau schon ab, ich gehe die restlichen Akten alleine durch.“ Seinen Worten folgte ein Nicken mit dem Kopf in Richtung Tür, ehe er den dicken Ordner wieder aufschlug. Lee blieb einen Moment zögerlich im Raum stehen, ehe er sich dazu entschied auf Drew zu hören und lautlos den Raum verließ. Er lief die verschlungenen Gänge bis zu dem Büro vom Boss und betrat den Raum, ohne zu klopfen. Boss hob seinen Kopf, als er ihn hören kam und ein breites Grinsen zierte seine Wangen.

„Ich hab mich schon gefragt, ob der Neue sich traut Bescheid zu geben, oder ob er immer noch wie ein verlassener Welpe vor Drews Bürotür hockt.“ Er lachte laut und herzlich auf. Lee nahm die ausgestreckte Hand an und drückte sie fest.
„Schön dich zu sehen, Boss. Du hast lange nichts mehr von dir hören lassen“, beschwerte Lee sich, aber sein Lächeln nahm seinen Worten die Schärfe. Boss ließ seinen massigen Körper wieder auf den Stuhl sinken und ließ seine Finger über die Tastatur fliegen. Als Antwort erhielt Lee lediglich ein Schulterzucken. Er fragte sich, warum er her zitiert wurden war. Normalerweise schickte Boss Faxe, oder ließ Mitarbeiter nach seiner Pfeife tanzen. Wenn man persönlich her gescheucht wurde, handelte es sich meistens um wichtige, vertrauliche Informationen. „Wie kann ich dir helfen?“, fragte Lee höflich, in der Hoffnung ein paar brauchbare Informationen zu erhalten.

„Gar nicht“, nuschelte er in seinen Bart, vollkommen auf den Bildschirm konzentriert. Lee konnte in seinen Augen gespiegelt sehen, dass er eine Seite nach der anderen aufrief. „Ich aber dir!“, triumphierte er und drehte den Bildschirm so, dass Lee einen Blick darauf werfen konnte. Ein alter Zeitungsbericht kam zum Vorschein und Lee überflog den Text schnell mit seinen Augen. Dann riss er Boss die Maus aus der Hand und klickte sich durch die verschiedenen Artikel, die der brillante Mann für ihn herausgesucht hatte.

 

In Windeseile las er sie alle durch.

„Woher hast du die?“, fragte Lee aufgeregt nach und klickte in seiner Hektik mehrfach auf Drucken. Er musste die Artikel unbedingt Drew zeigen! Das warf den gesamten Fall auf den Kopf. Das erste Mal hatten sie eine richtige, eine echte Spur. Wie ein kleiner Junge lief Lee aufgeregt zum Drucker und zog die Blätter ungeduldig heraus.

„Gefunden“, brummte Boss und drehte den Bildschirm wieder zurück. Ungeduldig wartete Lee, bis die restlichen Blätter gedruckt waren, dann stürmte er aus dem Raum, lief aber direkt wieder zurück und umrundete den Schreibtisch um Boss in eine schwungvolle Umarmung zu ziehen.

„Du bist der Beste!“, grinste er und entlockte Boss ein tiefes Lachen. Der bärtige Mann zog ihn in eine feste Umarmung, ließ ihn aber kurz darauf wieder los und gab ihm einen sachten Schubs in Richtung Tür. Lee verstand den Wink und lief nach draußen, aber nicht ohne ein lautes Dankeschön zu rufen.

 

Er lief mehr, als er ging. Versuchte aber sein Tempo zu drosseln, damit er nicht wie ein vollkommener Idiot wirkte. In kürzester Zeit stand er wieder in Drews Büro und warf diesem die Blätter aufgeregt auf den Schoß.

„Du wirst nicht glauben, was Boss herausgefunden hat. Wir hätten uns die ganzen Stunden an Arbeit sparen können! Der Kerl, den wir eben entlassen mussten, du weißt schon, groß, dunkle Haare, seine Nase war bestimmt ein paar Mal gebrochen und er hat gestunken wie eine Kloake, kommt aus einer Familie!“, rief er laut und pikte mit seinem Finger mehrmals in das Blatt Papier. Drew lehnte sich mit ernstem Gesichtsausdruck zurück und blickte ihn fragend an. Die Ruhe in Person.

„Ich komme auch aus einer Familie“, sagte er zweifelnd, eindeutig verwirrt. Lee verdrehte die Augen und deutete wieder auf die ausgedruckten Blätter. Drew ließ einen kurzen Blick darüber streifen, blickte jedoch direkt wieder zu Lee auf.
„Nein, du Idiot!“, grinste Lee. „Er kommt aus einer ganz bestimmten Familie. Dallas. Kommt dir der Nachname nicht bekannt vor?“ Drew sah ihn immer noch verwirrt an, also sprach Lee weiter.

„Im Jahr 1896 gab es mehrere Morde. Der Mörder wurde nie gefunden, aber alle hatten einen Mann im Verdacht, nur angeklagt wurde er nie. Sie nannten ihn das Phantom. Er hat keine Beweise dagelassen. Wie in unserem Fall. Na gut, natürlich war die Wissenschaft auch noch nicht so weit vorangeschritten wie heutzutage, aber die Menschen damals waren ja auch nicht dumm!“, rief Lee aus und strahlte Drew an, der immer noch keine Ahnung hatte, was Lee ihm sagen wollte.

 

 Er riss ihm das erste Blatt vom Schoß und deutete auf den zweiten Artikel, in dem der Mann beschrieben wurde. Drew legte ihn beiseite und drückte Lee bestimmt auf seinen Stuhl. Er setzte sich gehorsam, knetete aber ungeduldig seine Hände.

„Ich kenne das Phantom, danke Lee. Wenn nicht, hätte ich mir den falschen Job ausgesucht.“ Lee nickte hektisch und sprang wieder auf.

„Alfred Timo Dallas hieß der Mann, den sie das Phantom nannten. Nach ein paar Jahren ist er spurlos verschwunden und die Morde stoppten!“  Drew runzelte die Stirn, zeigte aber sonst keine weitere Regung. Lee rüttelte ihn unsanft an den Schultern und sprang dem anderen Mann fast in die Arme. Drew ließ es über sich ergehen und stand still da.

„Wie heißt unser Verdächtiger mit Nachnamen?“, fragte er Drew, als würde er das Offensichtlichste der Welt übersehen.

„Dallas“, sagte er und erkannte, worauf Lee hinaus wollte. „Hör mal Lee, nur weil die beiden denselben Nachnamen haben, heißt das doch noch lange nicht, dass die Morde etwas miteinander zu tun haben. Ein Mr. Bast sitzt im Gefängnis und nur weil er denselben Nachnamen wie ich trägt, heißt das nicht, dass ich jetzt auch zum Massenmörder werde.“ Grinsend hüpfte Lee herum.

„Ich hab dir das Beste ja noch gar nicht erzählt. In den offiziellen Berichten über das Phantom ist immer nur die Rede von einem Mann, der keine Beweise zurücklässt. Wenn du dir aber mal

die Blätter anguckst, die ich dir gegeben habe…“ Lee durchwühlte den Stapel, warf die Blätter, die er nicht benötigte einfach auf den Boden und hielt Drew das Benötigte unter die Nase. „Dann erkennst du, dass in den inoffiziellen Berichten etwas anderes steht. Frag mich nicht wie Boss es geschafft hat die aufzutreiben, ich habe keine Ahnung. Nun ja, wie gesagt, dann erkennst du das das Phantom eben doch nicht so Beweislos gewesen ist.“ Drew überflog den Text hastig und Verstehen glomm in seinen Augen auf. Lee lehnte sich zufrieden zurück und genoss den Moment des Erkennens.
„Er hinterließ leere Blätter“, sagte er überrascht und Lee nickte bestätigend.

„Schau dir das letzte Blatt an“, sagte er und beobachtete interessiert Drews Reaktion. Drew blätterte ruhig zum Ende und legte die restlichen Blätter geordnet auf den Schreibtisch.

„Die Schweine sind tatsächlich verwandt“, lachte er erstaunt auf und Genugtuung durchfloss Lee.

„Was ist, wenn der Kerl versucht seine Familiengeschichte wieder aufleben zu lassen? Wenn Boss an die Informationen gekommen ist, schafft es ein Genie wie Dallas auch!“ Drew ließ sich zurücksinken und las sich die einzelnen Blätter in aller Seelenruhe durch. Seine Lippen zogen sich zu einem Grinsen als er fertig war.

„Das ist die beste Spur, die wir bisher haben“, sagte er und Lees Grinsen wurde noch breiter.

„Ich stelle einen Antrag für einen Durchsuchungsbefehl für Dallas Haus. Du kannst dich in der Zwischenzeit erkundigen, ob es noch andere Verwandte von dem Phantom gibt.“ Drew wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern setzte sich vor den Computer und begann die Formulare auszufüllen.

 

 Lee ließ ihn alleine und ging zu seinem eigenen, eher weniger spektakulären Büro. Er konnte nicht wie Drew im Luxus eines eigenen Büros schwelgen. Sein Schreibtisch stand mit vier weiteren in einem kleinen Raum, der kalt und unpersönlich wirkte. Er grüßte seine Kollegen, als er den Raum betrat und setzte sich dann an seine Recherche. Sein Computer, welcher nicht mehr der Neuste war, ratterte geräuschvoll vor sich hin und Lee trommelte mit seinen Fingern ungeduldig auf den Tisch. Wenn sie weiter so vorankamen, würde der Mann bald im Gefängnis versauern, aber nur wenn er endlich die gewünschten Informationen besorgen konnte. Endlich öffnete sich der Browser und er begann eifrig zu suchen.

Einige Zeit später lehnte er sich enttäuscht zurück. Es gab noch einen Verwandten, welcher aber vor fünf Jahren verstorben war und ihnen somit nicht weiter helfen würde. Die einzige brauchbare Information war, dass das Haus, welches der verstorbene Verwandte – vermutlich Dallas Onkel - bewohnte, von Generation zu Generation weiter gereicht wurde. Seit vielen Jahren befand es sich schon in den Händen der Familie Dallas. Leider reichten die Informationen nicht so weit zurück, um sie mit dem Phantom in Verbindung zu bringen. Lee notierte sich die Anschrift und stellte den Computer dann schnell aus, indem er kompromisslos auf die Stecker Leiste trat, sodass die Stromzufuhr unterbrochen wurde. Er war immer noch viel zu aufgedreht. Die neuen Informationen schienen vielversprechend zu sein und wenn es nicht das verdammte Gesetz geben würde, würde er schon längst im Flieger, auf den Weg nach Frankreich sein, um diese verdammte Wohnung in Augenschein zu nehmen. Aber sie mussten warten. Der Durchsuchungsbeschluss würde bestimmt noch nicht morgen auf dem Schreibtisch liegen und solange sie diesen nicht in den Händen hielten, würde ihn ihr Chef einen Vogel zeigen, wenn sie eine bezahlte Reise nach Frankreich verlangten.

 

Lee schob sich den Zettel mit den Informationen in die hintere Hosentasche und lief zu einem der Spinds, welche die Wand bedeckten.

Nachdem er sich seine Jacke und Tasche gegriffen hatte, floh er beinahe aus dem kleinen Raum und lief zum tausendsten Mal den Gang entlang zu Drews Büro. Dieser saß immer noch an dem Durchsuchungsbefehl, als er den Raum betrat.

„Ich mach jetzt Feierabend. Solltest du auch machen, immerhin sitzt du genauso wie ich schon seit heute Morgen hier“ Drew schrieb noch etwas auf, ehe er seine Aufmerksamkeit Lee widmete.

„Ich gehe auch bald. Ich mach das nur noch zu Ende“, murmelte er, schon wieder auf die Unterlagen konzentriert. Lee kannte sein >ich gehe auch bald< und es bedeutete genau das Gegenteil seiner Worte. Wahrscheinlich würde er wieder bis in die Morgenstunden an seinem Schreibtisch hocken. Mit einem „Wir sehen uns Morgen“, verabschiedete er sich und verließ das Büro. Er nahm die Treppen hinunter in die Tiefgarage und ignorierte den Fahrstuhl, vor dem sich ein kleiner Trupp FBI Agenten gebildet hatte. Faules Pack. Er schloss schon sein Auto auf, als der Fahrstuhl erst seine Türen öffnete. Mit einem leichten Kopfschütteln stieg Lee ein und warf seine Tasche unachtsam auf die Rückbank. Grinsend ließ er seine Hände über das Lenkrad gleiten. Gott, er liebte dieses Auto. Er ließ den Motor aufheulen und schoss an seinen Kollegen vorbei. Empört schrien sie auf, doch Lee bemerkte das Lachen in ihren Stimmen. Das laute „Angeber“ hörte er noch, ehe er um die Ecke und ins Freie schoss. Auch außerhalb zog er mit seinem Auto die Blicke auf sich. Es kam nun mal nicht alle Fünf Minuten ein alter Karmann an einem vorbei gefahren. Neue, schnelle Autos waren ja schön und gut, aber Oldtimer waren nun einmal besser.

 

In Weniger als einer halben Stunde hielt er in seiner Einfahrt an. Das Knattern des Motors erstarb und Lee stieg wehmütig aus. Er verschloss die Garage und trottete in seine Wohnung. Sie war klein, aber er fühlte sich wohl und das war seiner Meinung nach, worauf es ankam. Warum sollte er sich eine große Wohnung kaufen, wenn er dort kein Auge zubekam? Auch wenn er sie sich hätte leisten können. Gähnend warf er die Tür mit einem Tritt hinter sich zu und lief geradewegs ins Schlafzimmer. Mit einem Schlag war die ganze Energie aus ihm gewichen und der lange Arbeitstag, sowie der wenige Schlaf der letzten Tage, machten sich bemerkbar. Der Fall zerrte an seinen Nerven. Es gab immer wieder Vorfälle, die an etwas Persönliches erinnerten. Dieser hatte keinerlei Parallelen zu seinem Leben und trotzdem ließ er ihn nicht los. Zumindest solange nicht, wie der Mistkerl noch freiherum lief. Nachdem er sich das Shirt über den Kopf gezogen und die Hose von den Beinen gestrampelt hatte, warf er sich auf das Bett und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Sie übersahen etwas, er konnte nur nicht sagen was. Mit einem Seufzen schaltete er das Licht aus und schloss die Augen.

 

***

 

Mit einem breiten Grinsen drückte Lee auf die Klingel. Ein hoher Ton, welcher in den Ohren schmerzte, ertönte und wenig später öffnete Tobi die Tür. Verdutzt sah das Geburtstagskind ihn an. Dann lachte er laut auf.
„Du blödes Arsch! Ich dachte, du musst heute arbeiten!“, rief er überrascht und kam mit geöffneten Armen auf Lee zu. Der ließ sich zu gerne in die harte Umarmung ziehen und klopfte ihm ordentlich auf den Rücken. Er hatte sich extra freigenommen, um seinen Freund zu überraschen.
„Ich verpasse doch deinen Geburtstag nicht! Man wird nur einmal im Leben 38. Außerdem kann ich dich doch nicht alleine feiern lassen.“ Gespielt erstaunt sah er Tobi an. „Oder hat sich noch wer anders hergetraut?“ Er erntete einen halbherzigen Hieb in den Magen, den er mehr oder weniger geschickt auswich. „Uff, tut mir Leid! Ich bin natürlich hier, um dir alles Gute zu wünschen!“ Lachend schlüpfte er an seinem besten Freund vorbei in die Wohnung, von der man meinen könnte, dass sie ihm gehörte. So oft wie er sich nach der Arbeit hier aufhielt. Das Haus war schon ordentlich gefüllt und der Geruch von Alkohol und Zigaretten hing in der Luft. Laute Musik dröhnte durch seine Ohren, sodass er mehr spürte als hörte, dass Tobi neben ihn trat.
„Hast ja ordentlich was auf die Beine gestellt“, brüllte er über den Lärm hinweg. Er erhielt ein Nicken und dann streckte sein Freund die Hand aus. Verwirrt blinzelte Lee ihn an.

„Was willst du?“

„Mein Geschenk?“

„Du bekommst keins“, grinste er fies. Tobi stemmte seine großen Hände empört in die Hüfte und starrte ihn aus braunen Augen böse an.

„Du hast es versprochen!“, maulte er. Dabei klang er beinahe wie ein kleines Kind. Entschuldigend zuckte er mit den Schultern. Lee lief los, um sich unter die Menge zu mischen. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er Tobis enttäuschtes Gesicht.
„Fang“, rief er laut und warf die Reese's Peanut Butter Cups in die Hände seines Freundes. Zufrieden betrachtete dieser den Inhalt in seinen Händen. Wie konnte man nur so verrückt nach einer bestimmten Süßigkeit sein? Vor allem nach einer, die so widerlich schmeckte? Vor einem halben Jahr war Lee aufgrund eines Auftrags in Amerika gewesen. Er hatte Tobi versprechen müssen seine Lieblingssüßigkeit mitzubringen. Wenn man sie aus Deutschland bestellte, war sie unverschämt teuer.

„Zwei Kisten davon stehen noch bei dir im Garten“, rief er und freute sich, dass er ihm eine Freude machen konnte.

 

Er tanzte sich vor bis zu den Getränken und schnappte sich ein Bier vom Tisch. Dann gesellte er sich zu einer kleinen Gruppe, die er schon vom Weiten gesehen hatte.
„Hey Leute.“ Freudig wurde er gegrüßt und umarmt.

„Wir wollten gerade tanzen gehen, kommst du mit?“, fragte Susi, eine Bekannte von ihm. Zweifelnd sah er auf die eher spärlich belegte Tanzfläche, die provisorisch im Wohnzimmer errichtet wurde. Wenn heute Abend mal nichts zu Bruch ging.

„Komm schon, dein Bier kannst du ja auch mitnehmen.“ Widerwillig stimmte er zu und ließ sich auf die Tanzfläche ziehen. Die anderen Vier trotteten hinter ihnen her. Auch sie sahen nicht sehr begeistert aus. Trotzdem war er ihnen sehr dankbar, dass sie ihn nicht mit Susi alleine ließen. Das zierliche Mädchen stand auf ihn. Sie hatte es ihm eines Abends gestanden und es tat ihm mehr als Leid sie abweisen zu müssen. Er stand nun mal weniger auf große Brüste und wiegende Hüften. Kräftige Arme und eine flache Brust fielen ihm viel mehr in die Augen. Susi hatte seine Ablehnung anscheinend aber nicht verstanden, denn seit dem versuchte sie alles Mögliche um ihn ins Bett zu locken.

 

 Er tanzte eine Weile mit ihr, dann stahl er sich mit einer flachen Entschuldigung davon. Seine leere Bierflasche stellte er unterwegs ab. Mehrere Stunden amüsierte er sich auf der Feier, ließ das Geburtstagskind hochleben und freute sich mit Tobi, über die gelungene Feier. Allerdings stieg ihm der Alkohol schon bald zum Kopf. Hier wollte jemand auf Tobi anstoßen und fünf Meter weiter auch. Ausreden gab es nicht, es musste mitgetrunken werden. Er weigerte sich auch gar nicht. Im besoffenen Zustand dachte er wenigstens nicht an die Morde und denjenigen, der diese grausamen Taten begangen hatte. Zwei Stunden später hielt er nur noch mühsam auf den Beinen. Er dachte beinahe schon Drew vor sich zu sehen. Er musste wirklich betrunken sein! Ein schwerer Arm legte sich um seine Schultern und brachte ihn sicher und ohne zu fallen zur Haustür.

„Tschüss Tobi“, nuschelte er, als er am Gastgeber vorbei lief, welcher nur grinsend den Kopf schüttelte.

„Nimmst du ihn mit zu dir?“, hörte Lee ihn sagen.

„Ja, ich denke, es ist besser. Wir müssen morgen früh raus, keine Ahnung wie der Dummkopf hier das Vergessen konnte. Machs gut und eine schöne Feier noch!“, antwortete die typisch kühle Stimme von Drew. Also war er wirklich hier! Und er hing gerade in seinen Armen wie, nun ja, wie ein betrunkener Mann.

 

Die beiden unterhielten sich noch kurz, aber Lee war mit seinen Gedanken ganz wo anders. Drews Arme fühlten sich warm an und sein benebeltes Gehirn, gab ihm den Befehl noch näher an ihn heran zu rutschen. Drew sah das wohl als Zeichen, um aufzubrechen, denn er setzte sich in Bewegung und zog ihn bestimmt durch die Haustür. An einem schwarzen Auto blieb er stehen. Über die Türen stand groß FBI geschrieben. Die Beifahrertür wurde aufgezogen und Lee fand seinen Weg irgendwie hinein. Der Motor wurde gestartete und mit einem leisen Surren fuhren sie los. Er lehnte seinen Kopf zur Seite um Drew beobachten zu können.

„Warum warst du …“ Er brauchte einen Moment um seine Gedanken zu sortieren. „auf der Feier?“ Sein Partner warf ihm einen schnellen Blick zu, ehe er sich wieder auf die Straßen konzentrierte.

„Ich wollte dir Bescheid sagen, dass wir den Durchsuchungsbefehl haben. Die anderen wollen das Schwein wohl genauso schnell hinter Gittern sitzen sehen, wie wir.“

„Aber… Warum warst du auf der Feier?“, nuschelte er verständnislos.
„Du hattest erzählt, dass dein Freund Geburtstag hat. Konnte ich ja nicht wissen, dass du dir die Rübe wegsäufst. Solltest du in deinem Alter eigentlich besser wissen.“ Hart, emotionslos und völlig der Wahrheit entsprechend. Lee schloss müde die Augen und überließ Drew den Rest. Er würde das schon packen.

 

Er bekam nur noch wage mit, wie sie schließlich ankamen und das Auto verließen. Er bemerkte, dass es sich nicht um seine Wohnung handelte, in die er lief, aber das war auch schon das einzige Auffällige. Die Treppe stellte sich als besonderes Hindernis heraus. Sie schwankte unter seinen Füßen wie ein sinkendes Schiff. Nur die kräftigen Hände unter seinen Armen verhinderten, dass er über Bord ging. Die Reise endete in einem kleinen, gemütlichen Raum, welcher von einem riesigen Bett eingenommen wurde. Ohne zu zögern ließ er sich darauf nieder und vergrub das Gesicht in dem gut riechenden Kopfkissen. Tief sog er den herben, maskulinen Geruch ein. Wer auch immer so gut roch, er wollte ihn haben. Seinen Schwanz tief in ihm versenken und das Zittern der Muskeln unter seinen Fingern spüren. Die Hände auf seinem Körper waren auf jeden Fall schon auf dem richtigen Weg dahin. Die Schuhe wurden von seinen Füßen gezogen und seine Hose folgte kurz darauf. Willenlos ließ er sich auch das Hemd vom Körper ziehen, was etwas mehr Arbeit bedurfte, da er sich nicht mehr bewegen wollte. Letztendlich lag er lediglich in Boxershorts bekleidet auf dem Bett.

„Wenn du kotzen musst, dann in den Eimer neben dir. Wehe du kotzt in mein Bett, dann darfst du diesen Raum, sowie alle anderen putzen!“ Lee grummelte noch seine Zustimmung, dann war er auch schon weg. So spürte er auch nicht mehr, wie Drew ihm eine Strähne aus dem Gesicht strich.

 

***

 

Geplagt von Kopfschmerzen erwachte er am nächsten Morgen. Stöhnend rollte er sich herum und schlug langsam die Augen auf. Helles Licht stach ihn und er presste sie sofort wieder zusammen. Meine Güte, er war zu alt um sich zu betrinken. So einen Kater hatte er das letzte Mal gehabt, da ging er noch zur Uni. In Zeitlupe richtete er sich auf, das Pochen im Kopf ignorierend. Als er sich im Zimmer umsah, stürmte die Erinnerung wieder auf ihn ein. Wie hatte er sich so vergesse können! Er würde sich bei Drew entschuldigen müssen, dafür, dass er ihm so einen Aufwand beschert hatte. Beschämt barg er seinen Kopf in den Händen. Das durfte doch alles nicht wahr sein!

Ausgerechnet an diesem Abend musste Drew sich aus seinem Schneckenhaus bewegen. Er wollte nicht, dass sein Partner ihn so sah. Lee war nicht umsonst beim FBI. Er war ein großer, kräftiger Kerl, der sich nicht so schnell Angst einflößen ließ. Er war Klever und geschickt. Eigenschaften, die man gut gebrauchen konnte, wenn man verrückten Leuten hinterherjagte. Nun gut, er war oft aufgedreht und galt nicht umsonst unter den Kollegen als Spaßvogel, aber er nahm seinen Job auch sehr ernst. Das Bild was er gestern von sich gezeigt hatte, stellte so gar nicht seine Denkweise dar.

 

Wankend stand er auf und ging auf die Suche nach Drew. Dabei sah er sich ein wenig in seiner Wohnung um. Er war noch nie hier gewesen. Nicht Ein mal in all den Jahren. Dabei hatte er schon mehrmals versucht sich mit Drew außerhalb der Arbeit zu treffen. Sie war größer als seine eigene, aber nicht riesig. Die Wände waren in warmen Farben gestrichen und jeder Raum, den er betrat, wirkte gemütlich. An Drew war ein Innenarchitekt verloren gegangen. Oder er hatte sich einen besorgt um die Wohnung zu gestalten. Es war zwar schön und gut, der Besitzer befand sich aber nicht innerhalb der vier Wände. Als sein Blick auf die Uhr fiel, wusste er auch warum. Er hätte schon seit einer Stunde bei der Arbeit sein sollen! Es fiel Drew aber auch wirklich ähnlich einfach aus seiner eigenen Wohnung zu verschwinden, ohne einen Zettel zu hinterlassen, nach dem Motto, er findet schon selbst den Weg nach Draußen. Fluchend hetzte er zurück ins Schlafzimmer, griff sich seine Klamotten und sprang in Windeseile unter die Dusche. Die Zähne putzte er sich dreist mit Drews Zahnbürste.

Er würde es sowieso nie erfahren und falls doch, der Euro würde ihn nicht bankrottgehen lassen. Als er bei der Arbeit ankam, war es knapp zweieinhalb Stunden zu spät. Blöde öffentliche Verkehrsmittel! Sie fuhren nie dann, wann man sie brauchte und hielten an jeder verdammten Ecke!

 

Er schlich sich gerade in Drews Büro, als sein Chef aus jenem Raum trat.
„Na wen haben wir denn da? Herr Ollens? Sind Sie das, ich kann Sie nicht erkennen in Ihren Straßenklamotten.“ Unruhig zupfte Lee an seinem schlabbrigen Shirt. Natürlich war er gestern nicht im Anzug zu der Feier gegangen. Notwendigerweise hatte er heute auch nur seine nach Feier stinkenden Klamotten an. Jedoch hatte er in Drews Büro einen Ersatzanzug deponiert, da in seinem winzigen Fach kein Platz mehr war. Er hatte nur gehofft, dass er ihn unbemerkt anziehen konnte.

„Morgen Chef. Entschuldigung für die Verspätung und den Aufzug. Ich werde mich sofort umziehen. Die Stunden arbeite ich natürlich noch ab“, sagte er in der Hoffnung, dass er ihn einfach abziehen lassen würde. Was er natürlich nicht tat.

„Legen Sie zwei Stunden extra rauf. Ich warte seit heute Morgen auf Ihre Berichte. Als Sie nicht abgegeben wurden, habe ich ein paar auf Ihrem Schreibtisch platziert. Ich dachte, Sie haben vielleicht zu wenig zu tun.“ Hochnäsig sah der Mann auf ihn hinunter. Lee verbiss sich seine Wut und nickte nur leicht.
„Wenn Sie noch einmal so zur Arbeit erscheinen, sind Sie suspendiert.“

„Verstanden Chef“, nuschelte er und schlich sich in Drews Büro, als sein Chef den Weg freigab. Drew saß hinter seinem Schreibtisch, in einen Haufen Akten versunken. Seine Haare standen verstrubbelt vom Kopf und wirkten verführerisch und sexy. Zu gerne würde er seine Hände darin verkrallen.

„Morgen“, sagte er leise und wühlte seinen Anzug hervor. Nicht eine Falte war in dem Stoff und Lee atmete erleichtert aus.

„Ausgeschlafen?“, fragte Drew und Lee blickte ihm peinlich berührt in die Augen. Er spürte den musternden Blick, der über seinen Körper und die muffigen Klamotten glitt. „Du stinkst“, setzte er auch direkt hinterher. Lee verzog das Gesicht.

„Ich hatte keinen Anzug bei dir rum liegen und deine Passen mir nicht.“

„Du hast meine Sachen anprobiert?“ Drew zog seine Augenbraue nach oben.

„Ähm… Nein“, nuschelte Lee, als er sich seinen Fehler bewusst wurde.

„Ich hoffe, du hast sie wieder ordentlich in den Kleiderschrank gehangen. Ich habe keine Lust sie nochmal zu bügeln.“ Lee seufzte leise auf und ließ sich auf den zweiten Stuhl sinken. Sein Kopf brummte so laut, dass er Drew beinahe übertönte. „Ja, habe ich. Ich habe auch deine Zahnbürste benutzt“, gab er zu, wo er schon bei Geständnissen war. Er war einfach ein schlechter Lügner. Er rieb sich über die Schläfen um den pochenden Schmerz zu verdrängen. Drew sah ihn besorgt an.
„Hast du immer noch Kopfschmerzen? Hast du das Aspirin nicht genommen?“

„Es gab Aspirin?“, jammerte er wehleidig, ehe er sich aus dem Shirt pulte. Von der Tür aus konnte man ihn nicht sehen und Drew interessierte es ja sowieso nicht. Schnell nahm ein weißes Hemd den Platz ein. Die Krawatte band er sich mehr schlecht als recht um den Hals, ehe er sich die Schuhe von den Füßen strampelte. Die Hose folgte und im Nichts sah er aus wie jeden Tag, wenn er zur Arbeit ging.

„ Ja, auf dem Nachttisch. Hast du den Zettel nicht gelesen?“ Er hatte ihm also doch einen Zettel geschrieben. Verblüfft sah Lee ihn an.

„Ne, hab ich in meiner Eile wohl übersehen. Ich wollte mich auch noch dafür entschuldigen, dass du gar keine andere Wahl hattest, als mich mit zu dir zu nehmen.“ Drew wühlte in seinem Schreibtisch herum.

„Kein Problem. Du solltest allerdings nicht so viel trinken.“

„Danke, das weiß ich auch!“, knurrte Lee. Drew erwiderte den Blick nur skeptisch und hielt ihm eine Kopfschmerztablette unter die Nase. Dankend schluckte er sie runter und stand auf. Er wurde allerdings aufgehalten, als er den Raum verlassen wollte.

„Deine Krawatte.“

„Was soll damit sein?“, fragte er und blickte an sich hinab. Drew gab ein lautes Seufzen von sich und erhob sich ebenfalls. Vor Lee blieb er stehen und griff, ohne zu fragen an seinen Hals. Konzentriert band er die Krawatte neu, sodass er vorzeigbar wurde. Dabei trat er so nahe an Lee heran, dass dieser seinen Geruch wahrnehmen konnte. Wärme stieg in Lees Wangen. Das fühlte sich viel zu persönlich an.

„Bevor ich es vergesse. Der Durchsuchungsbefehl wurde bewilligt, ich bin mir nicht sicher, ob du dich daran noch erinnerst. Ebenso wie die Reise. Übermorgen geht es los. So Fertig.“ Lee vermied es ihm ins Gesicht zu sehen, nuschelte ein leises „Danke“ und verschwand so schnell er konnte aus dem Büro. Dabei hatte Drew die roten Wangen schon längst gesehen und gegen seinen Willen schlich sich ein Lächeln in sein Gesicht.

 

***

 

Die zwei Tage vergingen wie im Flug und ehe sie sich versahen, saßen sie auch schon im Flieger nach Frankreich. Wie jedes Mal schwächelte er im Flugzeug. Als er sich für seinen Traumjob entschieden hatte, war ihm bewusst gewesen, dass er viel Zeit in der Luft verbringen würde.  Aber, er hatte sich nun Mal entschieden. Jedes Mal wenn er in einem Flugzeug saß, überdachte er seine damalige Entscheidung aber noch einmal. Ängstlich klammerte er sich in der Armlehne fest und hielt die Augen geschlossen. Er mochte dieses Druckgefühl im Magen nicht. Andere fanden es lustig, ihm wurde schlecht. Dazu kam noch die Panik vom Fliegen allgemein. Wie immer spürte er den besorgten Blick von seinem Partner, der ihm die Angst aber auch nicht nehmen konnte. Er konnte sie aber etwas verringern. Lee spürte die warme Hand, welche sich auf seinen Oberschenkel legte und sanft zudrückte. Es lag nichts Sexuelles in der Berührung, lediglich ein stummes Beistehen. Wie immer hielt Drew den gesamten Flug lang mit ihm Körperkontakt. War es auch nur sein Knie, das gegen sein Eigenes stieß. Es beruhigte ihn und er war Drew verdammt dankbar dafür.

 

Nach vielen Stunden hatte er endlich wieder festen Boden unter seinen Füßen. Nachdem sie ihre Koffer abgeholt hatten, ließen sie sich noch ihre Waffen und Ausweise überreichen. Ihr Chef hatte für sie geklärt, dass sie ihre Waffen weiterhin behalten durften. Lee hatte keine Ahnung, welche Stränge er dafür gezogen hatte, aber es mussten eine ganze Menge gewesen sein.

„Ins Hotel?“, fragte Drew schlicht und Lee nickte einfach. Sie liefen zu den Taxiständen und Dank ihrer FBI-Aufmachung ließen die wartenden Leute sie vor. Lee hatte beinahe ein schlechtes Gewissen, als er in das Taxi einstieg. Immerhin hätten sie beide genauso gut warten können. Wären die Umstände anders, würden sie auch auf keinen Fall mit einem Taxi fahren, aber in dem Fall war es die einfachste und unauffälligste Variante gewesen. Zufrieden ließen sie sich in das Hotel fahren. Drew bezahlte den Fahrer und wenig später standen sie samt Gepäck in ihrem Hotelzimmer. In einem einzigen Hotelzimmer.
„Das FBI wird auch immer geiziger“, knurrte Lee, als er das Doppelbett betrachtete. Drew ging nicht darauf ein, sondern beanspruchte die rechte Betthälfte direkt für sich, indem er seinen wuchtigen Körper darauf warf. Er streckte seine langen Beine aus und vergrub die Hände unter dem Kopfkissen. Lee sah ihm einen Moment lang zu, dann tat er es ihm gleich. Die Matratze war durchgelegen und er spürte, wie sein Hintern in eine Kule sackte.
„Ich glaube, der Chef mag mich nicht sonderlich“, nuschelte er, während er versuchte eine angenehmere Lage zu finden.
„Ach, wirklich?“, fragte Drew ironisch. „Du gibt ihm auch keinen Anlass dazu.“

„Ich habe ihm nie etwas angetan!“, verteidigte Lee sich.

„Du hast sein Auto geschrottet.“

„Das war im Einsatz! Jeder andere hätte genauso gehandelt wie ich!“ Das stimmte zwar, aber letztendlich war doch er es gewesen, der es zu Bruch gefahren hatte.

„Du hast seine Blumen getötet.“

„Ich wollte sie nur gießen!“

„Der kaputte Schreibtisch?“

„Ich hab mich nicht geprügelt. Ich hab nur versucht Ralph und Dexter auseinander zu bringen.“

„Was ist mit dem Schreibtischstuhl?“

„Meiner war umbequem!“ Drew sah ihn einen Moment lang an, ehe er laut loslachte.

„Nur du kommst darauf dem Chef den Stuhl zu klauen!“, grinste er. Bei dem Geräusch wurde Lee warm ums Herz. Drew hatte ein wirklich tolles Lachen. Er konnte es ruhig öfter hören lassen. „Was machen wir heute noch?“, fragte er.

„Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin ziemlich erledigt. Ich gehe noch zum Abendessen und danach hau ich mich aufs Ohr.“ Das lag genau in Lees Verlangen.
„Einverstanden. Ich spring nur schnell unter die Dusche.“

 

Gesagt, getan. Zwanzig Minuten später saßen sie im Restaurant mit einem Teller voller Essen.

„Lass es dir schmecken“, sagte Lee, eher er loslegte. Er hatte den ganzen Tag nichts gegessen, damit er im Flugzeug nicht viel von sich geben konnte. Bis jetzt hatte er sich zwar noch nie erbrochen, aber er stand schon mehrere Mal kurz davor.  Auch Drew fing gierig an zu Essen und so lange es auch gedauert hatte, bis das Essen auf ihren Tellern lag, so schnell war es verputzt. Er rieb sich den vollen Bauch und lobte das Essen bei der Kellnerin, die das dreckige Geschirr abräumte. Er gab auch ein dickes Trinkgeld, ehe sie wieder auf ihre Zimmer verschwanden. Lee huschte schnell als Erster ins Badezimmer. Im null Komma Nichts putzte er sich die Zähne und stieg in eine gemütliche grau karierte Schlafanzughose. Sie ging ihm bis zu den Knöcheln und sah schon vollkommen zertragen aus. Trotzdem konnte er sich nicht von ihr trennen.
„Du kannst ins Bad.“ Drew sah auf seinen freien Oberkörper, ehe sein Blick zu seiner Hose rutschte. Er sagte aber nichts. Er kannte Lees Schlafgewohnheiten auch schon zu Genüge, auch wenn es selten vorkam, dass sie sich ein Zimmer, sowie ein Bett teilen mussten.

 

Während er ins Bad verschwand, kroch Lee unter die dicke Bettdecke. Genüsslich schloss er die Augen. Er hörte das Rauschen der Dusche und stellte sich vor wie Drew seine Hände langsam über seinen Körper gleiten ließ. Wie er die Schaumreste abwusch und seinen Schwanz fest umfasste. Den Daumen über die Eichel gleiten ließ und wie der erste Lusttropfen über sie perlte. Er stellte sich vor, wie er zwischen Drews Beinen kniete, jeden Zentimeter seiner Haut erkundete und wie er stöhnen würde. Tief aus seiner Kehle. Bestimmt würde er gut schmecken. In seinen Gedanken schloss er schon seine Lippen um Drews Schwanz. Er hatte auch seinen Prachtarsch direkt vor Augen, auch wenn er ihn noch nie gänzlich unbekleidet gesehen hatte. Sein Schwanz verhärtete sich unter der Decke und er verfluchte sich für seine Gedanken. Er musste die Latte loswerden, bevor Drew zurückkam. Das Vorhaben erwies sich als schwer, denn Drew lief genau in dem Moment durch die Tür.

 

Lediglich ein Handtuch um die Hüften gebunden. Der trainierte Oberkörper schrie geradezu danach angefasst zu werden. Er wühlte kurz in seiner Tasche, ehe er wieder im Bad verschwand. Lee hatte er dabei nicht eines Blickes gewürdigt. Gott sei Dank. Er war sich sicher, dass ihm seine Lust deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Er versuchte an alte Omas zu denken. An verschrumpelte nackte Frauen. An Hundekacke und viele andere ihn ekelnde Dinge. Erleichtert stellte er fest, wie sein Schwanz wieder kleiner wurde. Er konnte sich Schöneres vorstellen als neben Drew mit einem Ständer zu liegen. Als er zurückkam, war sein kleiner Freund schon in den Ruhezustand zurückgekehrt. Das große Licht wurde ausgeschaltet, ehe Drew sich ebenfalls ins Bett legte. Dunkelheit streckte sich über ihn und er hörte Drew leise neben sich atmen. Das war genau die Zeit zum Nachdenken, die er nicht haben wollte. Solange er auf irgendeine Art beschäftigt war, drängten sich die Bilder der Leichen nicht in seinen Kopf. Das schmierige Lächeln des Mörders verschwand und stattdessen, erstrahlte Drews Gesicht seine Gedanken. Jetzt aber prasselte alles auf einmal wieder auf ihn ein. Er warf sich vor nicht genug nachgeforscht zu haben, obwohl er Tag und Nacht im Büro verbracht hatte. Er wälzte sich unruhig umher. Der Zeiger der Uhr drehte sich immer weiter und irgendwann spürte er eine warme Hand an seiner Hüfte.
„Würdest du wohl aufhören sich zu bewegen. So kann ja keiner schlafen.“

„Entschuldige“, flüsterte er und blieb ruhig liegen.

„Du bist nicht schuld“, hörte er Drews leise Stimme.

„Woran?“

„An den Morden. Den Opfern. Lass sie einfach nicht ein deinen Kopf herein. Außerhalb der Arbeit haben sie dort nichts zu suchen.“ Entrüstet fuhr Lee herum.
„Natürlich haben sie das! Das sind Menschen Drew, man kann nicht eben mal vergessen, dass sie ermordet wurden. Sie hatten Familien und Freunde!“ Die Hand an seiner Hüfte drückte ihn bestimmt nach unten.
„Du kannst ihnen aber nicht helfen, wenn du komplett übernächtigt bist. Glaubst du niemanden fallen die dunklen Ringe unter deinen Augen auf?“ Unwillkürlich fuhr Lee über seine Augen. Er hätte nicht gedacht, dass es Drew bemerkte. So sehr stachen sie nicht heraus.

„Sie sind es aber wert, dass man die Nacht für sie wacht bleibt“, flüsterte er.
„Aber nur, wenn du an dem Fall arbeitest. Nicht wenn du ihre toten Gesichter vor dir siehst.“  Lee zuckte zusammen. Das hatte er noch nie jemanden erzählt.
„Woher weißt du das?“ Er spürte wie ein warmer Körper an ihn heranrückte. Die Hand auf seiner Hüfte wanderte weiter und kurz darauf lag Drews Arm um seinen Oberkörper. Sein Rücken lag fest an seinen Bauch gepresst und ein Bein hatte sich zwischen seine gemogelt. Die Körperwärme spendete ihm Trost, wie er überrascht feststellte.

„Du bist nicht der Erste, dem ein Fall zu nahe geht. Auch ohne offensichtliche Verbindungen. Und jetzt schlaf. Morgen müssen wir ausgeruht sein.“ Lee antwortete darauf nicht. Sein Herz schlug ihn bis zum Kinn und er schwitzte vor Aufregung. Normalerweise sprach Drew nicht über sich selbst. Das er ihm das erzählte, zeugte davon, wie sehr er Lee vertraute. Es fühlte sich gut an und in dem Moment gab Lee sich das Versprechen, dieses Vertrauen nicht zu missbrauchen.

 

Am nächsten Morgen lief alles nach Plan. Um kurz vor neun standen sie vor dem alten Haus. Es glich mehr einer Bruchbude, als einer Wohnung. Die Wand besaß schon einige größere Einkerbungen, das Dach war mit Sicherheit nicht mehr dicht und die Fenster, die noch heile waren,  waren von einer dicken Dreckschicht überzogen. Lee konnte sich nicht vorstellen, dass wirklich jemand darin wohnen würde. Manchen Menschen schien ihr Umfeld aber egal zu sein. Im oberen Fenster brannte Licht. Lee warf Drew einen bedeutungsvollen Blick zu. Sie klopften an die morsche Holztür. Warum wurde ein solches Haus vererbt. Es sollte lieber abgerissen werden, ehe sich noch jemand verletzte. Sie warteten einen Augenblick und als niemand öffnete, klopften sie erneut.

„FBI, machen Sie die Türen auf!“, rief Drew laut und deutlich. Lee sah den Vorhang im Fenster rascheln und kurz darauf klang es, als ob etwas zerbrechen würde. Noch immer öffnete niemand die Tür. Beunruhigt zog er seine Waffe. Drew tat es ihm gleich und nachdem er mehrmals gegen die Tür getreten hatte, gab sie unter seinen Stiefeln nach.

„FBI kommen Sie mit erhobenen Händen raus!“ Geübt durchleuchteten sie einen Raum nach den anderen, bis nur noch das Zimmer übrig war, welches sie von außen gesehen hatten. Von Innen sah das Haus noch schlimmer aus, als die äußere Fassade zu erkennen gab.

Man konnte gerade so einen Fuß vor den anderen bewegen. An einigen Stellen hatte die Decke tatsächlich schon nachgegeben. Sie sollten so schnell wie möglich wieder verschwinden.

„Wir wissen, dass Sie da drin sind! Kommen Sie mit erhobenen Händen nach draußen!“, wiederholte Drew seine Worte.

 

Noch immer tat sich nichts. Lee hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache. Er wandte sich gerade an Drew, als die Tür aufgeschlagen wurde und ein Schuss ertönte. Dann ging alles ganz schnell. Drew schaltete den Angreifer von hinten mit einem Schlag ins Genick aus und legte seine Hände in Handschellen. Dann kam er auf ihn zugeeilt.  Lee bemerkte erst das er auf dem Boden saß, als Drew sich zu ihm herunter beugte. Es war als hätte jemand den Ton ausgestellt. Er sah wie sich Drews Mund bewegte, aber kein Ton kam über seine Lippen. Ein Piepsen erfüllte Lees Ohren und verdrängte alles andere. Die Sicht verschwamm vor seinen Augen. Er sah, wie Drew das Handy zückte und doch ergab es keinen Sinn für ihn. Er wollte dich aufrichten, doch Drew drückte ihn runter und hielt seine Hände fest auf seinen Körper gepresst. Erst als er an sich hinunter blickte, sah er das ganze Blut. Wie auf einen Schlag kamen seine Sinne zurück. Und der Schmerz. Unterdrückt schrie er auf, atmete hektisch und blickte Drew in die Augen.
„Genauso. Sieh mich an. Du bleibst bei mir verstanden! Das machst du super!“

„Der Wixer hat mich angeschossen!“, fluchte Lee und strich sich über das blutverschmierte Bein. „Ich glaub, dass ist nen Durchschuss“, keuchte er. Drew sah ihn an und ein verzweifeltes Lachen entfuhr seinen Lippen.
„Du bist nicht so einfach tot zu bekommen, oder?“  Lee schüttelte bloß den Kopf.

„Das ist zu viel Blut“, nuschelte er.
„Hilfe ist auf dem Weg“, schwor Drew ihm. Immer mehr Blut floss auf den Boden. Drew legte einen improvisierten Druckverband an und strich Lee mit roten Fingern über die Wange.

„Du überlebst. Hast du mich verstanden? Ich lasse dich hier nicht sterben!“ Mittlerweile sah auch Drew nicht mehr zuversichtlich aus.

„Hast du nicht gesagt, dass Hilfe kommt?“, hustete er schwach. Es fiel ihm immer schwerer die Augen offen zu halten.

„Sind sie. Bleib wach, Lee!“ Er gab sein bestes, doch als er den Krankenwagen hörte, sank die Dunkelheit über ihm zusammen.

Kapitel 2

 

Ein lästiges Piepsen riss ihn auch seinen verwirrenden Träumen. Er wusste nicht, ob er froh darüber sein sollte, oder wütend. In seiner Traumwelt musste er der Realität wenigstens nicht ins Auge blicken. Dafür blickte er geradewegs in Drews blaue Augen. Er versuchte sich aufzurichten, doch wie zuvor, hielt ihn Drew unten.

„Hey Champ“, hörte er zu seiner anderen Seite. Mühsam drehte er seinen Kopf herum, nur um zu sehen das sich noch drei weitere Leute im Raum befanden. Tobi, welcher ihn angesprochen hatte. Seine Mutter und sein Chef. Dabei würde er gerade lieber alleine sein und noch ein wenig vor sich hindösen. Was auch immer sie ihm gegeben hatte, es wirkte. Schmerzen spürte er keine, obwohl er wusste, dass er welche haben müsste.

„Du hast uns allen einen ganz schönen Schrecken eingejagt!“, klagte seine Mutter auch schon, aber er sah die Besorgnis in ihren Augen.

„Wie schlimm?“, krächzte er leise. Sein Hals fühlte sich an, als hätte er seit Jahren kein Wasser mehr zu sehen bekommen.

„Auf jeden Fall kein glatter Durchschuss“, schmunzelte Drew. „Die Kugel hat deine Hauptschlagader geradewegs durchbohrt und ist dann im Bein stecken geblieben.“ Lee erinnerte sich an das ganze Blut. Das hätte er gar nicht überleben dürfen.

„Wie?“, flüsterte er. Es war keine ganze Frage, aber dennoch verstand Drew ihn.

„Wir haben dieselbe Blutgruppe.“ Er zuckte schlicht mit den Achseln. Lee brauchte einen Moment, bis er überhaupt verstanden hatte, was er ihm sagen wollte. Er sah sich Drew genau an. Er wirkte tatsächlich etwas blass um die Nase. Etwas zu blass.

 

Jetzt richtete er sich doch auf, schob Drews fordernde Hand einfach beiseite. Er mühte sich eine Weile ab, schaffte es jedoch nicht alleine. Seine Arme fühlten sich an, als wäre jeder Muskel durch Wackelpudding ausgetauscht wurden. Sein verletztes Bein spürte er gar nicht. Eine Welle Panik durchfuhr ihn und er zog die Decke mit neugewonnener Kraft beiseite. Der Teil seines Beines, der nicht unter einem weißes Verband verborgen lag, sah aus wie ein Fleckenteppich, aber sein Bein war noch da, wo es hingehörte.

„Gott sei Dank“, nuschelte er und sah dann flehend zu Tobi rauf. Sein Freund griff sich ans Herz und half ihm endlich sich ordentlich hinzusetzten. „Wasser, bitte“, krächzte er, nachdem er sich schmerzhaft geräuspert hatte. Wie aus dem Nichts tauchte ein Glas vor seiner Nase auf und er griff mit seinen zitternden Fingern danach. Die Hälfte ging daneben, aber er schaffte es ein paar Schlucke zu trinken.

„Wieso seit ihr hier?“, fragte er nach und rieb sich müde über die Augen. Es fiel ihm verdammt schwer sie nicht einfach zu schließen und weiter zu schlafen.
„Drew hat uns kontaktiert, als du operiert wurdest“, hob sein Chef das erste Mal die Stimme.

„Weißt du, als ich den Flug bewilligt habe, habe ich eigentlich gehofft das ihr mir Dallas ins Krankenhaus schickt, nicht dass ich einen meiner eigenen Männer dort besuchen muss.“ Lee lächelte entschuldigend und sah dann zu Drew. Seine Stirn lag in tiefen Falten.
„Setz dich hin“, befahl Lee schwach. So wie er aussah, würde Lee bald nicht mehr der Einzige sein, der in einem Bett lag.

„Mir geht es gut.“

„Drew, mach was dein Partner sagt“, befahl der Chef. „Du siehst nicht viel besser aus als er.“ Drew überlegte einen Moment, ehe er nachgab. Er zog sich den Stuhl heran, der ihm an nächsten stand und ließ sich schwer drauf sinken. Zufrieden lehnte Lee sich zurück. Was für eine Aufregung und alles nur weil jemand auf ihn schießen musste. Da fiel ihm ein, dass er den Täter nicht richtig gesehen hatte.
„Wer hat auf mich geschossen?“, fragte er rau. Das erste Mal seit langem, sah er so etwas wie ein Grinsen auf dem Gesicht seines Chefs.
„Dallas.“

„Wir haben ihn?“

„Zumindest für den Angriff auf einen FBI Agenten und versuchten Mord.“ Nicht das was er sich erhofft hatte, aber immerhin würde er erstmal nicht frei herum laufen können. Müde schloss er seine Augen. Er hörte, wie seine Freunde sich unterhielten, aber da war er auch schon weggenickt.

 

Die folgenden Tage waren schrecklich für Lee. Er verstand ja, dass sie sich alle um ihn sorgten, aber er brauchte auch mal etwas Zeit für sich. Sie alle taten so, als würde er doch noch sterben, wenn sein Kissen nicht alle fünf Minuten ausgeschüttelt werden würde.

 

In der Zwischenzeit hatte er schon mit seinem behandelnden Arzt gesprochen und mehr über die weiterführende Behandlung erfahren. Die Kugel war raus und hatte auch keinen lang anhaltenden Schaden verursacht. Allerdings konnte er sein Bein eine Weile lang nicht bewegen und wenn er nicht laufen konnte, konnte er seine Arbeit erst einmal an den Haken hängen. Er hatte es aber schon mit seinem Chef geklärt, und da die Verletzung während der Arbeit geschehen war, wurde er für die Zeit freigestellt, aber trotzdem bezahlt. Eine Sache weniger, um die er sich sorgen musste. Hinzu kam noch, dass er zur Physiotherapie gehen musste, damit er im Bein die Muskeln wieder aufbauen konnte. Er war zuvor noch nie angeschossen wurden, aber er hätte auch gerne drauf verzichtet.

Die Schmerzmittel ließen nach und sein Bein wurde durchgehend von einem schmerzhaften Pochen heimgesucht. Dazu kam noch, dass er anfing zu stinken. Seine Bitte zu duschen wurde brüsk abgewiesen. Seitdem musste er den Waschlappen vorlieb nehmen.

Trotzdem fühlte er sich dreckig. Sein Chef war schon am zweiten Tag wieder abgereist. Er hatte Lee noch eine gute Besserung gewünscht, ehe er wieder nach San Franzisco geflogen war, um dort seine Männer unter Kontrolle zu halten. Er hoffte, dass er ihm bald folgen konnte.

 

Er wollte hier weg. Raus aus dem Krankenhaus und auch raus aus Frankreich. Laut der Ärzte musste er sich aber noch ein wenig gedulden. Erst wenn die Naht nicht jeden Moment wieder aufgehen konnte, durfte er das Krankenhaus verlassen. Aber auch nur in einem Rollstuhl und nicht alleine. In diesem Punkt sah er keine Probleme. Drew wich so oder so nicht von seiner Seite, unangenehmer wurde der Part mit dem Rollstuhl. Lee mochte seine Beine. Er mochte auch das sie ihn überall hintrugen, wo er wollte. Den Freiraum würde er in nächster Zeit nicht mehr haben. Mehr als eine ganze Woche verging, ehe ihm die Erlaubnis erteilt wurde, wieder nach Hause zu gehen. Nur noch Drew war an seiner Seite geblieben und mit ihm hatte Lee kein Problem. Seine ruhige, stille Art ging auf ihn über und die Zeit war nur noch halb so schlimm wie alleine. Außerdem hatten sie das erste Mal Zeit sich richtig zu unterhalten. Außerhalb der Arbeit und auch über Themen, die sonst nie angesprochen wurden. Sie hatte viel mehr gemeinsam, als er erwartet hatte. Vom Musikgeschmack hin bis zu der Vorliebe für Oldtimer. Drew war es auch, der sich freiwillig meldete, ein Auge auf ihn zu werfen. Alleine konnte er zu Hause nicht bleiben. Er würde nicht einmal den Weg ins Badezimmer schaffen. Also hatte Drew kurzerhand entschlossen sich ein paar Nächte bei ihm einzuquartieren. Lee wurde alleine bei dem Gedanken daran warm, dass er Drew die nächsten Tage komplett um sich herum haben würde. Er freute sich schon darauf, jetzt musste er nur noch den Flug überstehen.

 

***

 Lee stützte sich mühsam an der Wand ab und versuchte den Weg zu seinen Krücken zu meistern. Den Rollstuhl war er seit gut einer Woche los, stattdessen hatte er das nächste Hilfsmittel in die Hände gedrückt bekommen. Wenigstens konnte er mit den Plastikdingern mehr anfangen, also mit dem Rollstuhl. Zu blöd, dass er sie im Wohnzimmer liegen lassen hatte, da Drew ihm ins Bad und anschließend ins Bett geholfen hatte. Sein freiwilliger Helfer war aber gerade bei der Arbeit und er konnte keine fünf Minuten mehr warten, sonst würde ein Unglück geschehen. Auf seinem Weg riss er mehrere Gegenstände zu Boden. Er kümmerte sich aber nicht weiter darum, sondern kroch die restlichen Meter. Er hielt gerade seine Krücken triumphierend in die Luft, als seine Haustür sich öffnete. Ein verdutzt aussehender Drew blickte um die Ecke.
„Was machst du da?“ Ihr Verhältnis hatte sich in den letzten Tagen extrem gelockert. Nicht nur Drew kroch langsam aus sich heraus, sondern auch Lee. Er hatte es selber nicht bemerkt, aber auch er war verschlossen gewesen. Ob es den Umständen, dass sie gemeinsam auf engem Raum wohnten, oder der Schießerei zu verdanken war, wusste er nicht. Wahrscheinlich spielte beides mit rein.

„Ich muss mal pinkeln“, nuschelte er peinlich berührt. Die Benutzung des Bades war noch immer eine heikle Sache. Auf Toilette konnte er gehen, aber duschen war nicht ganz einfach. Sein Bein durfte nicht unter Wasser und die ganze Zeit auf einem Bein stehen war nicht sehr angenehm. Die Gefahr war auch zu groß, dass er einfach nach hinten umkippte. Mit einem Seufzen kam Drew auf ihn zu und schob seine Hände unter seine Achseln. Er wurde hochgezogen, als würde er nichts wiegen. Dankbar stützte er sich an Drew ab.
„Ich dachte, zu kommst erst heute Abend?“ Gemeinsam liefen sie ins Bad.

„Ich hatte früher Schluss“, grummelte Drew und irgendwas ließ Lee stehen bleiben. Es war wie eine Ahnung, die ihm auch bestätigt wurde.
„Es geht um den Dallas Fall, oder?“ Drew nickte bedrückt und löste sich vor der Toilette von ihm. Lee schwankte kurz, fing sich aber wieder.

„Was ist passiert?“ In dem Haus war nichts Brauchbares gefunden wurden. Es hatten sich zwar mehrere unangemeldete Waffen dort befunden, aber an keiner klebte Blut und es passte auch keine zu den gesuchten Täterwaffen.

„Nichts. Das ist es ja. Die lassen sich alle Zeit der Welt und zögern die Anhörung immer weiter heraus. Eigentlich sollte sie in einem Monat sein. Heute kam die Nachricht rein, dass sie drei Wochen später stattfindet“, sagte er sichtbar verärgert. Ihr ganzes Team wartete angespannt auf die Anhörung. In den Knast würde Dallas so oder so gehen. Lee hätte ihn aber gerne aus anderen Gründen und lebenslänglich sitzen sehen. Die Mordfälle waren auch noch nicht geklärt. Der Verantwortliche wurde zwar bestraft, aber nicht für seine schlimmsten Taten. Lee wurde es langsam alles zu viel. Er wollte einfach nur Gerechtigkeit.

„Warum zur Hölle sollte jemand wollen, dass der Fall nach hinten geschoben wird?“ Wütend ließ er sich auf den geschlossenen Toilettensitz sinken.

 „Das Einzige was ich mir vorstellen kann, ist das ihn jemand schützt.“

„Ein hohes Tier“, knurrte Lee. Das durfte doch nicht wahr sein! Wenn jemand von oben die Hände mit im Spiel hatte, könnte es schwierig werden ihre Beweise durchzubringen. Drew lehnte sich gegen das Waschbecken und sah von oben auf ihn herunter.

„Du willst wieder arbeiten, oder?“ Lee nickte wild mit dem Kopf. Und wie er das wollte. Er kam langsam noch um den Verstand. Alle ihre Kollegen steckten ihre ganze Energie in diesen Fall und er saß hier zu Hause rum und tat rein gar nichts. Er war nicht hilfreich, sondern hinderte auch noch die Ermittlungen, da er Drew an seiner Seite brauchte. Es wunderte ihn, dass dieser ihn noch nicht satthatte.

„Ich überlege mir etwas. Versprochen.“ Lee lächelte ihm dankbar zu, deutete dann aber auf die Toilette.
„Lässt du mich kurz alleine?“ Drew verschwand mit einem Nicken und er erleichterte sich schnell. Nachdem er sich die Hände gewaschen hatte, kämpfte er sich bis zur Tür vor, an welcher die Krücken standen. Drew dachte auch wirklich immer an alles. Er machte auch alles. Lee machte nichts. Es fiel ihm bald wirklich die Decke über dem Kopf zusammen. Er schnappte sich die Krücken und lief ins Wohnzimmer. Wie erwartet saß Drew auf der Couch und sah sich die Nachrichten an. Seufzend setzte Lee sich zu ihm und warf die lästigen Teile einfach auf den Boden. Drew zog eine Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts. Musste er auch nicht. Lee wusste auch so, dass er fand, dass er besser mit seinen Sachen umgehen sollte. In den Nachrichten lief nichts Spannendes. Die üblichen Katastrophen wurden wiederholt und wie immer machte jeder einen riesen Hehl darum. Unternehmen taten sie aber nichts. Wann würde die Menschheit endlich verstehen, dass sich die Lage durch Nichtstun nicht verbessern würde?

                                                                                                                                                                           

Nach und nach glitt sein Blick zu Drew. Er sah gespannt auf den Bildschirm, die Augenbrauen leicht zusammengekniffen. Die Hände hatte er fest zwischen seinen Beinen verschränkt und ab und zu rückte er seine Position zurecht. Drew war ein schöner Mann. Nicht nur sexy und aufregend sondern wirklich schön. Seine Muskeln passten zu seinem Körper. Es war weder zu viel, noch war er dick. Seine kantigen Gesichtszüge gaben ihm etwas Verruchtes und das erste Mal fehlte die Kälte in seinem Blick, wenn Lee ihn ansah. Die Augen strahlten Wärme aus und, konnte es sein, Begehren? Drew erwiderte seinen Blick ruhig und Lee spürte weder das Bedürfnis wegzublicken, noch die Situation ins Lächerliche zu ziehen. Drew wusste um seine Gefühle Bescheid. Er aber nicht um seine und seiner Meinung nach wurde es langsam mal Zeit, dass sie Klartext sprachen. Er wollte gerade etwas sagen, doch Drew kam ihm zuvor.

„Es tut mir leid“, sagte er beinahe beschämt. Verwirrt blickte Lee in die blauen Augen.
„Was tut dir leid?“
„Es war meine Schuld“, flüsterte er. „Das du angeschossen wurdest, meine ich.“ Lee brauchte einen Moment, bis er besagtes verstand.

„Oh nein, es war ganz sicher nicht deine Schuld! Hast du die Waffe in der Hand gehalten und abgedrückt?“

„Nein, aber ich stand hinter der Tür. Als sie aufgegangen ist, ist sie gegen mich gekracht. Deswegen konnte ich Dallas nicht rechtzeitig entwaffnen“, gab er leise zu. Er gab sich wirklich die Schuld, stellte Lee verwundert fest.

„Und ich habe in dem Moment zu dir geguckt, weil ich dir sagen wollte, dass ich eine schlechtes Gefühl bei der Sache habe. Ich habe meinen Blick von der Tür genommen und wenn ich mich recht erinnere, ist das auch ein Verstoß gegen die Vorschriften. Ich könnte mir also auch die Schuld daran geben.“ Drew hatte ihm das Leben gerettet, nichts anderes. Er verdiente die Gewissensbisse nicht. Er sollte lieber gefeiert und mit einer Urkunde belohnt werden.

„Wieso hast du dich freiwillig gemeldet mir zu helfen, Drew? Du bist eigentlich keine Person, die so eine undankbare Aufgabe übernimmt.“

„Du hast die Hilfe gebraucht“, sagte er schlicht. Typisch Drew.

„Ja, aber die Aufgabe hätte auch jemand anderes übernehmen können. Warum du?“

„Ich bin dein Partner.“

„Auf der Arbeit. Nicht in der Freizeit. Erinnerst du dich? Du hast es mir selber gesagt.“ Mit einem Mal sprang Drew auf und blickte wütend auf ihn herunter.

„Reicht es dir nicht, dass ich es gemacht habe? Musst du für jede Kleinigkeit immer eine Erklärung finden? Vielleicht hatte ich ja auch einfach nichts Besseres zu tun. Essen und Schlafen kann ich hier genauso gut wie zu Hause!“ Schwankend kam auch Lee auf die Beine. Er sah Drews Hand zucken, so als wollte er ihm Halt geben, aber sie blieb im Endeffekt still an seiner Seite hängen. „Obwohl, eigentlich bin ich nur hier, weil ich von zu Hause zehn Minuten länger mit dem Auto fahre, oder liegt es doch daran, dass ich weniger Heißkosten habe?“ Lee funkelte ihn wütend an. Wann war die Situation so eskaliert?

„Du kannst mir das Geld gerne auf mein Konto überweisen!“, schrie er zurück.
„Ich nehme es lieber als Aufwandskosten. Weißt du, es ist doch ganz schön anstrengend immer und überall für dich da zu sein!“

„Ach ja? Wieso bist du dann noch hier? Ich komme auch ganz gut alleine zurecht!“
„Wenn du meine Hilfe nicht möchtest, dann sag es doch einfach!“, schrie er laut. Lee zuckte zusammen. Das war nicht fair. Er wollte Zeit mit Drew verbringen, mehr als alles andere. Und Drew wusste das ganz genau. Es war zwar schon zwei Jahre her, dass er ihm seine Gefühle gestanden hatte, aber sie hatten sich seitdem nicht verändert.

„Ich habe nie gesagt, dass ich dich hier nicht haben möchte.“

„Wieso kommt es mir dann so vor, als würdest du mich gerade aus deiner Wohnung ekeln?“ Weil Lee genau das tat. Eine Trennung tat weh, aber es tat noch mehr weh jemanden zu lieben, der diese Liebe nicht erwiderte, mit dem man aber noch befreundet war. Das wurde ihm jetzt klar. Er senkte beschämt den Kopf und wich seinem Blick aus. Er spürte, wie Tränen in seine Augen stiegen. War er so undankbar? Er sollte ihn auf seinen Knien anflehen und sich entschuldigen. Drew hatte so viel für ihn getan und so gab er es ihm zurück?  Drew wartete noch eine Weile auf eine Antwort, die nicht kam. Dann schnaubte er laut auf und entfernte sich aus dem Wohnzimmer. Wenige Augenblicke später fiel die Haustür laut ins Schloss. Ab dem Moment konnte Lee seine Tränen nicht mehr unterdrücken. Er wünschte sich nur, dass er den Schmerz genauso beiseite wischen konnte, wie das salzige Wasser.

 

***

 

Am nächsten Morgen ging Lee wie gewohnt zur Arbeit. Seinen Wagen ließ er traurig in der Garage stehen und trat seinen Weg mit dem Bus an. Das er noch knapp eine Woche krankgeschrieben war, ignorierte er gewiss. Dementsprechend groß war auch die Überraschung seiner Kollegen, als er mit einem breiten Grinsen hereinspaziert kam. Er fühlte sich gleich viel wohler, umgeben von Leuten, die er mochte und an seinem kleinen, alten Schreibtisch. Er war etwas unbeweglich mit den Krücken, aber er ließ sich an nichts hindern. Nachdem er alle begrüßt hatte, setzte er sich an seinen Tisch und fing an zu arbeiten. Überrascht stellte er fest, wie immer mehr Kollegen sich zu ihm setzten und ihre Ideen mit einbrachten. 

„Gibt es ansonsten keine weiteren Verbindungen zu Dallas?“, fragte Kai, dessen Arbeitsplatz auch in diesem Raum lag.
„Nein, ich habe nichts gefunden.“

„Und was ist mit dem Blatt? Die Bedeutung hast du noch nicht herausgefunden, oder?“, fragte ein anderer. Verneinend schüttelte er den Kopf.

„Das darf doch nicht wahr sein!“, fluchte Kai. „Wir lassen keinen davon kommen, der einen Kollegen einfach so umgepustet hat!“

„Hey“, rief Lee empört. „So leicht hatte er es auch nicht! Ich bin mir sicher, dass er schlimmer aussieht als ich!“

„Ja, weil Drew ihn umgelegt hat!“, lachte sein Freund. Lee stimmte halbherzig mit ein. Er wollte nicht an Drew erinnert werden, auch wenn er sich dafür am denkbar schlechtesten Ort befand. Sie waren aber immer noch kein Stück weiter gekommen. Sie trieben einfach immer weiter auf derselben Stelle. Die Stunden vergingen und sie prüften mehrere wirklich gute Ideen, aber alle führten sie zu einer Sackgasse. Sie hatten lediglich den Stammbaum weiter zurückverfolgen können. Diese Familie bestand nur aus Schwerverbrechern. Jeder Einzelne von ihnen hatte eine dicke Akte bei der Polizei. Von manchen gab es keine genaueren Aufzeichnungen, aber Lee war sich sicher, dass es bei ihnen nicht anders aussehen würde. Lees Bein fing wieder an zu schmerzen. Er musste sich bald wieder hinlegen. Der Schweiß stand ihm auch schon auf der Stirn und er bemerkte einige besorgte Blicke. Doch er ging nicht darauf ein. Er wollte weder bemitleidet, noch betätschelt werden.

„Was ist Dallas eigentlich von Beruf?“, fragte jemand.

„Schlosser“, nuschelte er. Das hatte ihn auf eine Idee gebracht. Schnell überprüfte er die Berufe von Dallas Verwandten. Er wollte gerade aufgeben, als… „Bingo!“  Mehrere Köpfe drehten sich zu ihm um.
„Hast du was gefunden?“ Ein neugieriger Kopf wurde über seine Schulter gestreckt.

„Ich war schon immer der Meinung, dass die besten Verstecke die Offensichtlichsten sind.“ Er  sah seine ahnungslosen Kollegen an. Eigentlich hatte er selber keine Ahnung, ob das, was er gefunden hatte überhaupt brauchbar war.

„Einer von Dallas Verwandten, ein gewisser Henry Dallas, war vor knapp 70 Jahren bei der Sparkasse angestellt. Er hatte über viele Jahre lang ein Schließfach das…“ Enttäuscht hielt er an. „Das danach nicht mehr im Register auftaucht.“ Wurde es zerstört, oder war es ein technischer Fehler? Peter, einer der Computerspezialisten, schob Lee einfach kurzerhand beiseite und gab mit flinken Fingern einige Befehle auf der Tastatur an. Mehrmals zeigte der Bildschirm Error an, ehe es sich etwas tat.

„Wenn das Schließfach noch existiert, wissen wir ins höchstens einer Stunde davon“, sagte er und stolz schwang in seiner Stimme mit. Lee nickte ihm anerkennend zu und sah dabei zu, wie die unterschiedlichsten Seiten aufgerufen wurden.

„Was ist denn hier los? Party auf Lees Kosten? Hat euch niemand gesagt, dass man sich nicht an fremden Gegenständen vergreift?“ Peter, welcher direkt vor Lees Computer saß, drehte sich erschrocken um.

„Drew“, rief er überrascht. Doch Lee hatte schon vorher gewusst, wer sich hinter seinen Kollegen aufgebaut hatte. Auch die anderen fuhren erschrocken zusammen. Mit Drew legte man sich nicht an.

„Wir gehen ja nicht ohne seine Erlaubnis an seine Sachen“, erklärte Peter sich stotternd, welcher sich als Erster wieder gefasst zu haben schien. Drew ließ seinen Blick kühl über den Haufen FBI Agenten schweifen, die wie kleine Kinder betreten auf den Boden sahen. Obwohl sie gar nichts Falsches getan hatten. Als er Lee erblickte, wurde sein Ausdruck finster.

„Komisch, ich kann mich wage daran erinnern, dass der Arzt gesagt hat, dass du erst nächste Woche wieder dienstreif bist.“ Lee zuckte schlicht mit den Schultern.

„Er hat sich mein Bein nochmal angesehen und meinte, dass ich auch heute schon wieder kommen kann. Als ob mich so eine kleine Schusswunde davon abhalten würde zu meinen Jungs zu kommen“, lachte er und zwinkerte seinen Kollegen zu, die alle nur die Augen verdrehten.

„Ich wusste gar nicht, dass du einen Termin hattest.“ Drew sah ihn genau an. Das war schlecht. Wenn jemand wusste, wie er aussah wenn er log, dann Drew. Obwohl es eigentlich jeder auf den ersten Blick erkennen konnte.

„Ich hab ihn verlegt“, gab er klar und deutlich zurück. Einen Moment lang sah es so aus, als würde Drew ihm glauben, dann zuckte Lees Mundwinkel.
„Verflucht!“ Grimmig fuhr er sich durchs Gesicht.

„Lügen steht dir nicht“, sagte Drew.
„Aber nur weil ich es nicht kann.“

„Steh auf, wir gehen.“ Mit verschränkten Armen blieb er sitzen. Oh ja, er wusste, dass er sich albern benahm, aber er würde sich von Drew nicht vor seinen Kollegen wie ein kleines Kind herum scheuchen lassen.

„Lee“, drohte Drew leise und die Stimmung kippte gefährlich nach unten. Vom Rang an sich war Drew der Boss von ihnen allen. Was er sagte, wurde gemacht und es war gefährlich einfach sitzen zu bleiben. Aber auch wenn er es wollte, sein Bein machte sowieso nicht mehr mit und die Krücken standen außer Reichweite.

„Du bist zurzeit nicht mein Boss. Ich arbeite eigentlich ja gar nicht“, knurrte er zurück.

„Ich bin aber dein Freund!“, gab gefährlich kalt zurück. „Und ich weiß, dass dein Bein das noch nicht mitmacht. Also beweg deinen Arsch jetzt nach oben und komm in mein Büro“, bellte er und verließ den Raum. Genau in diesem Moment ertönte aber ein lautes Piepen. Drew blieb im Türrahmen stehen und drehte sich wieder zu ihnen um.

Lee nahm wieder seinen alten Platz ein und blickte gespannt auf den Bildschirm.
„Kein Wunder, dass das Schließfach nicht mehr existierte. Es verläuft nicht mehr auf Henrys Namen. Es wurde übertragen auf Dallas!“ Gewinnend blickte er Drew an. „Und ratet mal wer es aus dem Register gelöscht hat.“

„Dallas“, murmelte Drew, ehe er schleunigst den Raum verließ. Lee hatte er anscheinend komplett vergessen. Er wusste nicht, ob es sich darüber freuen, oder in die nächste Ecke kriechen und weinen sollte. Er entschied sich für nichts von beiden und bat einen Kollegen nach seinen Krücken. Mehrere Hände halfen ihm aus dem Stuhl. Anscheinend hatte ihm niemand hier geglaubt, dass er schon wieder bereit war, zu arbeiten. Der Trubel löste sich mit Drews Verschwinden auf und alle wünschten sie ihm viel Glück. Das überprüfen des Schließfaches fiel jetzt ins Drews und seine Aufgabenlage.

 

Auf seinem Weg ins Drews Büro traf er auf Boss, mit welchem er sich kurz unterhielt. Er drückte ihm ein Bild von Dallas in die Hand, wo dieser noch lange Haare hatte. Sie fielen ihm beinahe bis zu den Rippen.
„Vielleicht kannst du es noch gebrauchen. Überarbeite dich nicht, Lee.“ Artig bedankte er sich, ehe er weiter lief. Als er in Drews Büro kam, stand sein Chef mitten im Raum. Das kam ihm beinahe wie in Déjà-vu vor. Ihre Blicke begegneten sich und dann sah Lee an sich herunter. Eine alte schlabber Hose bedeckte seine Beine, da er in seine normale auf Grund des Verbandes nicht gepasst hatte. Und eine Anzugjacke zu einer Jogginghose? Das wollte Lee der Menschheit nicht antun.

„Bin ich jetzt suspendiert?“, fragte er, als ihre Blicke sich wieder trafen. Sein Chef atmete tief ein, schüttelte dann den Kopf, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder Drew zuwandte. Das war dann wohl ein nein.

„Ich würde sagen wir schicken sofort ein Team hin, das der Spur folgt.“

„Ich melde mich freiwillig“, rief Lee sofort und stellte sich neben Drew. Der Streit am vorherigen Tag hing immer noch zwischen ihnen.
„Freiwillig um Drews Stuhl warmzuhalten? Klasse! Drew, wen nimmst du mit?“

„Dann eben als Fahrer!“ Gleichzeitig glitten die Blicke beider Männer zu seinem verletzten Bein.

„Nun gut, sehe ich ein. Keine gute Idee. Aber ich kann behilflich sein!“, fuhr er auf.
„Es hat auch niemand das Gegenteil behauptet“, sagte Drew ruhig. „Aber du hast genug für den Fall getan. Ruh dich einfach noch ein bisschen aus.“

„Ich hab mich schon genug ausgeruht!“, rief er wütend und sah zwischen seinem Chef und Partner hin und her. „Ich will wenigstens im Auto sitzen bleiben. Dann erfahre ich alles aus erster Hand“, stellte er in den Raum. Es war keine Bitte, es war eine Feststellung und es schwang nichts Freudiges in seiner Stimme mit, wie es so oft der Fall war. Er würde mitkommen. Punkt. Sein Chef schien es auch zu bemerken, denn er senkte ergeben den Kopf.

„Wehe du stellst was an, Lee! Ich kenne dich!“ Er hob unschuldig die Hände und grinste breit. Als ob er etwas anstellen würde.

„Ich nehme Thomas mit. Ich sag ihm gleich Bescheid. Wir treffen uns in zehn Minuten draußen.“

„Ich will nachher einen vollständigen Bericht.“ Mit den Worten verließ er das Büro und ließ Lee und Drew alleine zurück. Eine Weile herrschte eine unangenehme Stille. Dann räusperte Drew sich und schob ihm den Stuhl heran. Lee ließ sich dankbar darauf sinken. Sein Bein fing von der Anstrengung schon an zu zittern. Selber ließ er sich auf dem anderen nieder.

„Es tut mir leid, was ich gestern gesagt habe“, flüsterte Lee beschämt. Er war wirklich fies zu Drew gewesen und der hatte es beim besten Willen nicht verdient. „Und… Und ich wollte dir noch danken, dass du die ganze Zeit für mich da warst.“ Jetzt sah er ihm doch in die Augen. Drew sollte wissen, dass es ihm ernst war. Als er gestern auf dem Sofa gelegen und sich die Augen aus dem Kopf geheult hatte, war ihm aufgefallen, dass er komplett falsch gelegen hatte. Es gab etwas Schlimmeres, als einen guten Freund zu lieben. Und zwar ihn zu verlieren.

„Wieso hast du es dann getan?“, fragte Drew ruhig und keineswegs anschuldigend. Es schien ihn wirklich zu interessieren. Lee zuckte nur schlicht mit den Schultern. Drew wartete noch einen Moment, dann richtete er sich seufzend auf. Anstatt aber den Raum zu verlassen, wie er es letztes Mal getan hatte, hielt er ihm diesmal die Hand hin. Lee blinzelte hoffnungsvoll zu ihm hoch und ergriff die Hand. Vorsichtig wurde er hochgezogen. Vergeben und vergessen schwirrte durch Lees Kopf, doch niemand sprach es aus.

 

Die zehn Minuten wurden schnell zu zwanzig und erst eine halbe Stunde später, befanden sie sich auf dem Weg zur Sparkasse. Sie lag sich nicht in Frankreich. Vermutlich, weil Henry Dallas sich in der Gegend hier zur Ruhe gesetzt hatte. Nach einer dreistündigen Fahrt, kamen sie endlich an ihrem Ziel an. Neidisch sah Lee ihnen zu, wie sie aus dem Wagen stiegen und selbstbewusst über den Parkplatz liefen. Er war sich sicher, dass er genauso beeindruckend aussehen würde, mit seinen Krücken und der labbrigen Hose. Wenn er sie nicht sogar toppen könnte. Er sah mehrere Minuten gelangweilt aus dem Fenster und beobachtete die Kunden. Manche hatten es eilig, andere schlenderten so langsam, dass sogar Lee sie mit seinen Krücken überholt hätte. Das Highlight war, dass jemand an einer Tür zog, auf der Drücken stand. Er hätte sogar beinahe gelacht, aber dafür war ihm zu langweilig. Nach einer halben Stunde hielt er es nicht mehr aus. Er lobte sich für seine glorreiche Idee, die Krücken mitzunehmen und stieg wenig elegant aus dem Auto. Nachdem er sich den Schlüssel geschnappt hatte, lief er so schnell es ging über den Platz.

 

Er entdeckte das Problem schon vom weiten.

Eine junge Dame stand hinter dem Schalter und Drew und Thomes redeten eindringlich auf sie ein. Oder besser gesagt, Thomas redete. Drew stand daneben und warf finstere Blicke auf die Frau, die immer kleiner wurde. Als er näherkam, konnte er auch hören, worum es ging.
„Hören Sie mir zu. Sehen Sie das? Richtig, das ist eine Marke und was steht da drauf? Können Sie lesen? Diese drei Buchstaben bedeuten FBI! Und jetzt lassen sie uns durch!“ Da war einer aber ganz schön sauer. Sonst zog er die >Dummes Volk< Nummer nicht durch.

„Soll ich es ihnen aufschreiben, dass sie mich durchlassen müssen. Das hier, sehen Sie das? Das gibt uns die Befugnis den gesamten Inhalt des Schließfaches an uns zu nehmen.“ Lee stellte sich neben einen der Schaulustigen und sprach ihn extra laut an, sodass es jeder hören konnte.
„Nennt man so etwas nicht Behinderung der Justiz?“ Der Mann sah ihn etwas überrascht an, antwortete ihm aber höflich.

„Schon möglich.“

„Ich hab gehört, dass man dafür eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bekommen kann. Zusätzlich kommt natürlich noch die Geldstrafe.“ Lee konnte sehen, wie die Frau hinter dem Tresen bleich wurde und auf einmal hatte sie es ganz eilig die Schlüssel hervor zu kramen. Er grinste breit und das Grinsen verblasste auch nicht, als Drew sich zu ihm umdrehte und finster auf die Tür deutete. Stattdessen lief er, wie der brave Agent der er auch war, wieder zum Auto und setzte sich auf den Beifahrersitz. Es dauerte zwar wieder eine knappe halbe Stunde, aber diesmal störte er sich nicht daran. Er war mit seinem Teil der Arbeit zufrieden. Jedoch wurde er mit jeder Minute nervöser. Was war, wenn sich in dem Schließfach nichts befand? Wenn es sich wieder um eine Sackgasse handeln sollte?

Eine Weile rutschte er nervös hin und her, dann beschloss er, es einfach auf sich zukommen zu lassen. Auch wenn das Schließfach vollkommen leer sein sollte, sie hatten die toten Leute schon längst gerächt. Erst jetzt fiel ihm auf, wie sehr er sich an diesen Fall geklammert hatte. Er wollte Gerechtigkeit, ja, aber hatte er die nicht schon lange? Trotzdem wollte er es die Welt wissen lassen. Er wollte, dass die Familien und Freunde der Verstorbenen wussten, dass das Arschloch lebenslänglich im Gefängnis saß und auch so schnell nicht mehr nach draußen kommen würde. Als die beiden Agenten mit mehreren Kartons den Raum verließen, fiel ihm beinahe ein Stein vom Herzen. Sie verstauten sie im Kofferraum, dann kam Drew zu seiner Seite gelaufen. Lee schlug aufgedreht die Tür auf und traf ihm beinahe damit. Vorsichtig stieg er aus und sah Drew abwartend an.
„Und?“

„Waffen, Drogen, Haare und eine Menge Blut.“ Angewidert blinzelte er.

„Haare?“

„Ja, aber mehr als zu unseren Opfern passen. Alle säuberlich aufgehängt und gekämmt.“ Drew hielt sich sichtbar zurück, um sich nicht auf den Boden zu übergeben. Lee sah zu Thomas, auch er wirkte deutlich mitgenommen.

„Wissen wir schon, ob etwas zu unseren Täter passt?“

„Wir haben eine der Mordwaffen. Jetzt lässt sich nur noch abwarten, ob sich seine Fingerabdrücke darauf befinden.“ Lee nickte bedächtig und strich Drew beruhigend über den Arm. Jetzt war er doch froh, dass er es sich nicht mit ansehen musste. Thomas stieg schon ein und als Lee Drews Unsicherheit erkennen konnte, streckte er einfach seine Arme aus und zog ihn in eine feste Umarmung.
„Ich bin mir sicher, dass wir die Sachen mit ihn in Verbindung bringen können. Wenn dem Richter der Name nicht reicht!“ Sein Körper versteifte sich erst, doch dann spürte Lee, wie er nachgiebig gegen ihn sank. Starke Arme wurde um ihn geschlungen und er spürte Drew Gesicht an seiner Schulter. Einen Moment lang blieben sie so stehen, gaben einander Stärke, dann löste sich Drew von ihm. Er zog Lee die Autotür auf, die zugefallen war und half ihm beim Einsteigen. Dann umrundete er das Auto und stieg ebenfalls ein. Ein warmes Lächeln wurde ihm geschenkt, dann ließ Drew den Motor aufheulen.

 

***

Ein schweres Klopfen auf seiner Schulter riss Lee aus seinen Gedanken.
„Gut gemacht, Jungs. Ich hoffe, ihr leistet weiterhin solch eine gute Arbeit“, sagte ihr Chef leise. Die Anhörung war vorbei und Dallas war in allen Punkten für schuldig erklärt wurden. Die Waffen hatten alle seine Fingerabdrücke und dank seiner Leidenschaft für Haare, konnten noch mehrere Opfer ausfindig gemacht werden. Bis zum Ende hatten sie gezittert und gebetet. Als der Richter schließlich sein Urteil fällte, war ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Mehrmals Lebenslänglich. Er hatte sich die trauernden Familien angesehen und gewusst, dass er endlich loslassen konnte. „Ich würde liebend gerne wissen, was es mit den weißen Zetteln auf sich hatte.“ Das war das einzige Rätsel, welches sich nicht gelöst hatte. Aber Lee hatte schon eine Ahnung.
„Ich glaub, ich weiß warum“, sagte er. Sein Chef sah ihn überrascht an. „Er wollte Anerkennung. Jeder Mörder will das. Er war aber schlau genug um zu wissen, dass er mit einer Nachricht, oder Ähnlichen zu viele Hinweise hinterlassen würde. Also nahm er sich etwas, was nur er selber auf sich beziehen konnte.“ Sein Chef ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Vielleicht lag Lee richtig mit seiner Vermutung, aber sie würden es nie erfahren. Dallas hatte geschwiegen wie ein Grab, wenn er nicht gerade seine Unschuld beteuert hatte. Sie wechselte noch einige Worte mit ihrem Chef, dann verabschiedeten sie sich. Still vereinbarten sie in Lees Wohnung zu gehen. Seine Krücken war er mittlerweile los. Er hatte gerade mit der Therapie begonnen und sie war alles andere als angenehm.

„Hast du noch Hunger?“, fragte Lee leise.
„Nein.“

„Du willst gar nichts?“

„Das habe ich nicht gesagt.“ Verwirrt blieb Lee stehen und blinzelte zu Drew hoch.

„Erinnerst du dich, dass du mich vor zwei Jahren auf etwas angesprochen hast?“, fragte Drew und seine Wangen färbten sich rosa. Lee riss die Augen auf. Eigentlich müsste er von einem Drew mit roten Wangen ein Foto machen, doch dann verstand er, worauf Drew hinaus wollte und sein Herz begann wie wild zu schlagen.

„Ja“, krächzte er. Wie könnte er die Demütigung von damals vergessen. Beschämt senkte er den Kopf, doch eine warme Hand hob ihn wieder an. Zwangsweise sah er in Drews Augen.
„Ich hatte noch nie etwas mit einem Mann, aber … ich würde gerne…“ Er holte tief Luft und sah Lee fest in die Augen. „Ich kann dir nicht versprechen, dass es funktioniert und ich weiß ja noch nicht mal, ob du überhaupt noch etwas von mir willst, aber ich…“ Er unterbrach sich selber und seine Wangen wurden noch einen tucken Dunkler. Lee ergriff die Chance und beugte sich nach vorne, nahm die köstlichen Lippen in Beschlag, in der Absicht sie nicht mehr loszulassen. Drew bewegte sich einen Moment lang gar nicht, ehe er seinen Lippen zaghaft entgegenkam. Sein Geschmack explodierte in Lees Mund, als er sich mit seiner Zunge vorwagte und ein Kribbeln schoss direkt zwischen seine Beine. Drews Keuchen sagte ihm, dass es ihm nicht besser erging. Schwer atmend lösten sie sich wenige Minuten später voneinander. Drews Augen glänzten begierig und seine Zunge fuhr flink über seine roten Lippen. Lee konnte nicht widerstehen, sich erneut vorzubeugen. Es würde funktionieren. Da war er sich verdammt sicher.

 

 

 

 

 

 

 

Ende

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.09.2015

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /