One Night Stands? Das war nichts für mich. Ich lehnte sie grade heraus ab, hielt es teilweise sogar für einen Frevel. Sich jemanden für eine Nacht hinzugeben, seinen Körper zu verschenken und das alles nur für einen lächerlichen Orgasmus, welcher in den meisten Fällen, nicht einmal befriedigend war. Denn am nächsten Tag stürmten sie wieder wie die Tiere in die Bars und Discotheken, nur um sich das nächste Opfer zu schnappen und ihren Schwanz in ihnen zu versenken. Was bitte sollte daran auch befriedigend sein?
Umso überraschter war ich, als ich heute Morgen die Augen aufschlug und neben mir im Bett, einen gutaussehenden, fremden und ziemlich nackten Mann vorfand. Und ich hatte keine Ahnung wie dieser in meine Wohnung geraten war. Vielleicht ein Einbrecher? Aber welcher Einbrecher würde sich nackt ausziehen und neben den Bewohner der Wohnung legen? Mein verschlafenes Gehirn hatte erst später kapiert, was passiert war.
Spätestens, als ich mich aufgerichtet hatte und das Brennen in meinem Hintern spürte, wusste ich Bescheid. Ich konnte mir zwar nicht erklären, warum ich keine Erinnerungen an den vergangenen Abend hatte, aber eins hatte ich gewusst: Der Mann musste verschwinden, so gut er auch aussah. Extra laut war ich aus dem Bett gestiegen, nur um fest zu stellen, dass ich genau wie er, nichts am Körper trug. Rein gar nichts! Nachdem ich mir schnell etwas übergezogen und die zwei benutzten Kondome vom Boden aufgehoben hatte, machte ich so viel Krach wie es nur möglich war, ohne das es Auffällig wurde. Wie wurden andere Leute denn ihren unerwünschten One Night Stand los? Zogen sie die betroffene Person einfach an den Beinen nach draußen? Aber egal was ich getan hätte, der Mann wurde einfach nicht wach! Und ich hatte wirklich alles ausprobiert. Mein Boden war blitzblank, nachdem ich ihn eine ganze Weile mit dem Staubsauger abgesaugt hatte. Die Musik hatte ich so laut gestellt, dass ich schon Angst hatte, dass die Nachbarn rüber kommen und sich beschweren würden. Das war zum Glück aber nicht passiert. Danach hatte ich mein Bestes gegeben und mein Wohnzimmer umgeräumt. Okay, eigentlich hatte ich nur den schweren Sessel von A nach B gerückt, aber das kam doch auf dasselbe hinaus. Es hatte Lärm gemacht.
Aber mein unerwünschter Gast, hatte einfach fröhlich weiter geschlafen und keine Notiz von meinen Bemühungen genommen, was eigentlich eine Frechheit war. Und genau da lag er jetzt immer noch. In meinem Bett, ruhig vor sich her schlummernd. Verärgert nahm ich einen weiteren Schluck von meinem, inzwischen kalt gewordenen Kaffee. Er schmeckte widerlich, aber es war mein letztes Kaffeepulver gewesen, und ohne wollte und konnte ich diesen Tag nicht überstehen. Die Schlafzimmertür hatte ich extra offen gelassen, sodass ich vom Wohnzimmertisch genau sehen konnte, wann er sich bewegte. Bei jeder noch so kleinen Rührung keimte Hoffnung in mir auf, dass er endlich aufwachte, aber stattdessen drehte er sich nur herum, oder seine Hand zuckte auf der Bettdecke. Eine ganze Weile beobachtete ich ihn und kam nicht umhin mich zu fragen, wie ich es geschafft hatte, diesen Adonis in mein Bett zu locken. Denn im Gegensatz zu ihm, hatte ich doch so meine Makel. Und mit meinen Makeln meinte ich eine große, schlecht verheilte Narbe, welche an meiner rechten Schläfe begann und sich runter bis zu meinem Kiefer zog. Diese Narbe war auch der Grund, warum ich des Öfteren mit einer Kapuze durch die Öffentlichkeit lief. Mir persönlich machte sie nichts aus, zeigte sie mir doch wie viel Glück ich gehabt hatte, aber die meisten Leute wurden durch sie abgeschreckt. Manche versuchten sich nichts anmerken zu lassen, aber ich sah genau wie sich ihre Mundwinkel angewidert oder mitleidig verzogen und da konnte ich beim besten Willen drauf verzichten. Meine kleine, unscheinbare Gestalt schien da auch nichts dran zu ändern, denn mit 1,74 Meter gehörte ich nicht grade zu den großen Menschen. Aber es hätte mich schlimmer treffen können, erinnerte ich mich. Mein Bruder, Timo hatte grade mal die 1,65 geschafft, also konnte ich mich wohl doch glücklich schätzen.
Als sich in meinem Schlafzimmer etwas bewegte, richtete ich meinen Blick ruckartig nach oben. Und diesmal schien ich Glück zu haben! Der Fremde saß aufgerichtet auf meinen Bett und schwang seine Beine über die Kannte. Dabei rutschte die Bettdecke von seinem Körper und ließ ein beeindruckendes Sixpack sichtbar werden und einen noch beeindruckenderen Schwanz. Mit großen Augen beobachtete ich ihn, wie er langsam aufstand, sich streckte und dann geschmeidig in seine Hose stieg. Kurz fuhr er sich durch die braunen Haare, sodass sie zerzaust vom Kopf ab standen. Neidisch bemerkte ich, dass einfach alles an diesem Mann perfekt zu sein schien. Aber wie lange er wohl für diese Muskeln im Fitnessstudio verbrachte? Denn so ein Sixpack kam nicht vom auf der Couch liegen, was leider meine Lieblingsbeschäftigung war. Seine anderen Klamotten ließ er achtlos liegen, als er sich umdrehte und auf mich zu lief. Schnell wand ich meinen Blick ab und spürte zu meiner Schande, wie meine Wangen rot wurden. Ehe ich mich versah, wurde ich an eine breite, unbekleidete Brust gedrückt und ein verlangender Kuss wurde auf meine Lippen gedrückt. Überrumpelt wie ich war, erwiderte ich ihn. Und verdammt, - das fühlte sich echt gut an! Er löste sich von mir und ein zufriedenes Lächeln lag auf seinen Lippen.
„Guten Morgen“, brummte er tief und ließ mich dann einfach stehen.
Einen Moment starrte ich verwirrt auf die Stelle, an der eben noch dieser heiße, begehrenswerte und mir absolut fremde Mann stand. Dann drehte ich mich empört um, und was ich erblickte, ließ mir den Mund offen stehen. Aber diesmal vor Empörung. Der Mann durchwühlte meine Schränke, als würde er sich in seiner eigenen Küche befinden! Als würde er zu Hause sein, und mit seinem Mann das Frühstück vorbereiten, und er fühlte sich dabei pudelwohl! Ungläubig sah ich dabei zu, wie er zwei Eier in eine Pfanne schlug und anfing Spiegeleier zu braten. Und mir schenkte er dabei nicht mal einen Blick! Er fragte mich nicht, ob es in Ordnung sei, oder ob ich vielleicht auch etwas haben möchte, denn das wollte ich eigentlich sehr gerne. Es roch verdammt gut, was er da fabrizierte. Verlegen räusperte ich mich und stellte mich neben ihn, sodass ich seine Aufmerksamkeit erlangte. Ein freundlicher und gleichzeitig fragender Blick traf mich. Erneut räusperte ich mich und erhob dann endlich das Wort. „Was genau machst du da?“, fragte ich ihn vorsichtig. Wer wusste schon, wie dieser Mann drauf war. War es nicht eine ungeschriebene Regel, dass man nach dem One Night Stand so schnell wie möglich wieder verschwand? Hier hielt sich aber definitiv jemand nicht daran.
„Spiegeleier“, erwiderte er mit einer Stimme, die mir ein Kribbeln den Rücken runter jagte, welches direkt in meinem Schwanz endete.
„Das sehe ich“, sagte ich knapp. „Aber eigentlich wollte ich wissen was du hier in meiner Wohnung machst.“ Die Hand, welche das Spiegelei drehte, verharrte in ihrer Bewegung.
„Schmeißt du mich raus?“, fragte er mich leise und ich sah die Enttäuschung in seinen Augen stehen. Augenblicklich fühlte ich mich schlecht. Ich wollte nicht der Grund dafür sein, dass dieser Mann enttäuscht wurde.
„Nein... Ja. Hör zu, ich habe keine Ahnung, wo wir uns getroffen haben und wie wir in meine Wohnung gekommen sind. Ich weiß ja noch nicht einmal wie du heißt!“, rief ich etwas lauter als gewollt. Doch anstatt, dass er sich entschuldigte und sich auf den Weg machte, hielt er mir frech grinsend seine große Hand entgegen. Verblüfft starrte ich von seinen Grübchen auf die ausgestreckte Hand. „Ich bin Dale“, stellte er sich vor, und ich ergriff seine Hand und schüttelte sie kräftig. „Pete“, sagte ich platt von so viel Frechheit. „Und ich würde dich jetzt bitten zu gehen“, setzte ich deshalb noch hinterher. Dale lief ungerührt zu einen meiner Küchenschränke und holte zwei Teller hervor. Dann schob er mit einer raschen Bewegung die beiden Spiegeleier hinauf und lief zu dem Tisch im Wohnzimmer.
Und erneut ließ er mich einfach stehen.
Wütend stapfte ich ihm hinterher, fest entschlossen diesen Mann aus meinem Haus zu befördern.„Ich möchte mich nicht noch einmal wiederholen. Verschwinde bitte aus meinem Haus!“, sagte ich mit fester Stimme. Ein leicht verunsicherter Blick traf mich. „Lass uns nur noch Frühstücken, ja? Danach bin ich auch weg. Versprochen!“, bat er mich freundlich und auch in seinen Augen konnte ich keine bösen Absichten erkennen, sodass ich mich zögerlich gegenüber von ihm niederließ. Einer der Teller wurde mir zugeschoben.
„Guten Appetit“, wünschte er mir und schob sich dann das halbe Spiegelei auf einmal in den Mund.
„Kannst du mir wenigstens sagen wie du hergekommen bist?“, fragte ich ihn und machte mich ebenfalls über mein Spiegelei her. Es schmeckte noch besser als es roch. Wieso wurde mein Essen nie so gut? Konnte natürlich auch daran liegen, dass alles, wirklich alles bei mir verbrannte. Ich hatte mich schon an den leicht verkohlten Geschmack gewöhnt. Dale schluckte sein Essen herunter und erzählte mir dann, dass er auf der Straße in mich hinein gelaufen war, und er mich als Entschuldigung auf ein Bier eingeladen hatte. Nur dass aus dem einen Bier dann eben ein paar mehr geworden waren. Das ich keinen Kater hatte, lag wohl daran, dass ich mich unterwegs übergeben hatte, wie er schonungslos erzählte. Und trotzdem war er mit mir ins Bett gestiegen? Lecker. Der Rest des Frühstücks lief recht harmonisch ab und ich war erstaunt, wie gut ich mich mit ihm verstand. Er war nicht nur gutaussehend, sondern auch intelligent, was man von vielen Männern leider nicht behaupten konnte. Nachdem wir aufgegessen hatten, verabschiedete er sich wie versprochen. Und gegen meinen Willen, schmerzte mein Herz, als ich ihn gehen ließ. So einen Mann lernte man nicht alle Tage kennen.
Die nächsten Tage bestanden für mich nur aus Arbeit. Ich musste unzählige Überstunden nehmen, damit das Projekt, an welchem wir gerade arbeiteten, auch rechtzeitig fertig wurde. Am Ende der Woche sank ich geschafft in mein Bett, und sah bedrückt auf die leere Betthälfte neben mir. Sie war schon viel zu lange leer. Ich beschloss den Freitagabend zu Hause vor dem Fernseher zu verbringen und Samstag auszugehen. Ich war einfach zu erschöpft um heute noch irgendetwas Sinnvolles zu unternehmen. Grade als ich mich mit einer Tüte Chips und einer Flasche Bier vor den TV gehockt hatte, klingelte es an der Tür. Schwerfällig erhob ich mich wieder und trottete durch meinen Flur, zur Haustür. Als ich diese öffnete war ich schwer erstaunt, als mich Dale freudig anlächelte.
„Hey, ich hatte schon die Befürchtung, dass du heute Abend nicht da bist, aber wie es aussieht, habe ich ja Glück gehabt“, begrüßte er mich freundlich. Er beugte sich vor, gab mir einen Kuss auf meine vernarbte Wange und marschierte dann schnurstracks an mir vorbei in meine Wohnung.
„Hey! Niemand hat dich gebeten herein zu kommen!“, rief ich ihm hinterher, doch er war schon im Wohnzimmer verschwunden. An seiner Dreistigkeit sollte er dringend arbeiten, dachte ich schmunzelnd. Wie am letzten Besuch, verhielt er sich als wäre er in seiner eigenen Wohnung. Er schmiss sich auf mein Sofa und trank einen großen Schluck aus meinem Bier.
„Was machst du hier?“, fragte ich ihn schließlich und blieb mit verschränkten Armen vor ihm stehen.
„Ich dachte ich leiste dir mal ein bisschen Gesellschaft. Mir hat das letzte Woche sehr gefallen“, klärte er mich auf. Dann klopfte er mit einem 1000 Volt Grinsen, neben sich auf mein Sofa. Für so viel Dreistigkeit musste man erst mal den Mut aufbringen.
„Ich glaube du hast das Prinzip von einem One Night Stand nicht ganz verstanden“, murmelte ich, doch er zuckte nur mit den Schultern und grinste mich frech an. Kopfschüttelnd ließ ich mich neben ihm nieder und kurz darauf, hockte ich neben Dale auf meinem Sofa und sah einen Film. Auf meine Versuche, ihn aus meiner Wohnung zu befördern, ging er gar nicht erst ein. Stattdessen prostete er mir lächelnd zu und trank mein Bier aus, worauf ich es ihm empört aus der Hand riss. Mit einem finsteren Blick, sah ich erst in die leere Bierflasche, dann in seine blauen Augen.
„Wenn du dich hier schon selber bedienst, kannst du mir auch gleich ein neues Bier holen“, forderte ich ihn auf.
„Was bekomme ich denn dafür?“, fragte er mich schmunzelnd und kam ein deutliches Stück näher.
„Einen Tritt in den Hintern, vielleicht?“, bot ich ihm zuckersüß an.
„In meinem Hintern hätte ich viel lieber etwas anderes“, lachte er und kurz darauf wurde ich unter ihm begraben. Warme Lippen drückten sich auf meine, während eine große Hand sich unter mein Shirt schob. Begierig erwiderte ich den Kuss, warf mich grade zu in seine Umarmung hinein. Ich verschwand beinahe vollkommen in seinen Armen. Bei Gelegenheit musste ich ihn fragen, wie groß er war. Bestimmt an die 1,90 Meter. Eine flinke Zunge verschaffte sich Eingang in meinen Mund und ich bewegte mich stöhnend gegen ihn, als ich seinen steifen Schwanz an meinem Oberschenkel spürte. Aber ich war einfach kein Mensch für One Night Stands, weswegen ich seine Hand, die sich grade unter meinen Hosenbund mogelte, bestimmt zurückdrängte. Mit einem überraschten Blick löste er sich von mir. „Was ist los?“, fragte er und sah mich besorgt an. Wieso schenkte er mir solche Blicke? Er kannte mich doch nicht einmal! Aber ich musste zugeben, dass es sich gut anfühlte. Ein sanfter Kuss wurde auf meine Lippen gedrückt, ehe er sich aufrichtete und mich gleich mitzog. „Das ging mir zu schnell“, beichtete ich ihm. Was machte ich hier eigentlich?
„Okay, kein Problem“, erwiderte er liebevoll und zog mich einfach in seine Arme. Und was tat ich Idiot? Ich lehnte mich an ihn und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab. Das konnte ich nur der anstrengenden Woche in die Schuhe schieben. Ich konnte einfach nicht mehr klar denken! Irgendwann während des Filmes, schloss ich meine Augen und genoss es, mich einfach mal an jemanden anlehnen zu können.
Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte war es schon Morgen und von Dale war weit und breit keine Spur zu sehen. Enttäuscht schob ich mich unter die Dusche. Ein bisschen mehr hatte ich mir schon erwartet, aber wahrscheinlich hatte ich ihn vergrault. Wahrscheinlich war er gestern für ein bisschen Sex gekommen und nur geblieben, weil es hier Freibier gab. Der Tag zog sich nur so dahin. Ich kaufte ein, erledigte den üblichen Haushalt und fuhr kurz in die Stadt, um mir einen neuen Toaster zu kaufen. Nachdem aus dem etwas älteren Gerät, heute Morgen dunkle Rauchwolken hinaus gekommen waren, hatte ich den Entschluss gefasst, dass ich endlich einen Neuen besorgen musste. Eigentlich war das schon seit einem halben Jahr fällig. Und trotzdem war es gerade mal vier Uhr nachmittags, als ich wieder zu Hause ankam. Entgegen meiner Vorsätze, beschloss ich erneut einen Abend vor dem Fernseher zu verbringen. Nur diesmal eben alleine. Dachte ich zumindest. Denn als meine Uhr grade sieben anzeigte, klingelte es an der Tür und ein grinsender Dale stand vor ihr. „Na, hast du mich schon vermisst?“, waren seine Worte, als er sich an mir vorbei quetschte. Und diesmal versuchte ich gar nicht ihn los zu werden. Stattdessen genoss ich es, dass meine Wohnung zur Abwechslung mal nicht komplett ruhig war und das ich ihn anscheinend doch nicht vergrault hatte. Zufrieden kuschelte ich mich auf das Sofa und lachte über seine schlechten Witze. Und sie waren wirklich schlecht... Diesmal blieben die Küsse und das Kuscheln aber aus. Und obwohl ich mir etwas anderes einredete, wünschte ich es mir zurück. Ich konnte es immer noch nicht ganz glauben, dass dieser begehrenswerte Mann auf meinem Sofa saß, und mit mir schlechte Filme ansah. Spät abends verabschiedete er sich wieder, und ließ ein leeres Gefühl in meiner Brust zurück.
So ging es die nächsten Wochen weiter. Ausnahmslos jeden Tag erschien er abends bei mir, lud sich selber in mein Haus ein, und kochte mit mir zusammen, oder sah sich einen Film an. Ich glaube er würde sogar her kommen, wenn ich gar nicht da war.
Und mit jedem Tag, wuchsen meine Gefühle für ihn, aber mittlerweile war ich mir sicher, dass er nur noch freundschaftliche Gefühle für mich hatte, denn seit der ersten Nacht, hatte er nichts weiter unternommen, um an mich heran zu kommen.
Genauso wie heute. Wir standen wieder in der Küche, kochten und alberten herum.
„Du solltest dir mal wieder die Haare schneiden“, lachte ich und fuhr mit meinen mehligen Fingern, durch seine Haare, die inzwischen so lang waren, dass sie ihm in die Augen fielen. Ein böser Blick traf mich, und kurz darauf landete ein Batzen Mehl auf meinem Shirt. Amüsiert blickte ich an mir herunter, während er sich lachend das Mehl aus den Haaren klopfte.
„Ich schneide dir gleich dir Haare“, drohte er mir an, und ich hüpfte quietschend nach hinten, als er nach mir griff. „Danke, mir gefallen meine Haare so ganz gut“, lachte ich und fuhr mir durch das blonde Chaos. Ich konnte sowieso machen was ich wollte, sie fielen immer so, wie sie wollten. Dale blieb lachend vor dem Kühlschrank stehen und besah sich die Fotos darauf. Es war nicht das erste Mal, dass er dies tat und es war mir klar, dass er irgendwann Fragen stellen würde. Aber bevor er dies tat, erzählte ich es ihm lieber selber. Mit schweren Schritten, stellte ich mich neben ihn und sah auf das Bild, welches er in der Hand hielt. Es war eins von meinem Bruder und mir. Vor Vier Jahren wurde es aufgenommen. Zwei Wochen vor dem Unfall.
„Das ist mein Bruder“, sagte ich mit rauer Stimme.
„Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht möchtest“, flüsterte Dale und stellte sich hinter mich. Dann schlang er seine Arme um mich und lehnte sein Kinn auf meinen Kopf. Dankbar ließ ich mich nach hinten, gegen seine breite Brust sinken.
„Zwei Wochen nach der Aufnahme ist er gestorben“, redete ich erstickt weiter. „Es war ein Autounfall. Ich saß mit im Auto und musste mit ansehen, wie irgendein betrunkener Idiot die Kontrolle über sein Auto verloren hatte, und direkt in ihn hinein gerast ist.“ Tränen traten mir in die Augen und liefen über meine Wangen. Beschämt wischte ich sie weg. Dann drehte ich mich zu ihm um und schenkte ihm ein verzerrtes Grinsen. „Daher hab ich auch die Narbe“, sagte ich und deutete auf mein Gesicht, auch wenn sie nicht zu übersehen war. „Und ich finde es gut dass ich sie habe, so werde ich jedes Mal, wenn ich in den Spiegel sehe, daran erinnert, was für ein verdammtes Glück ich hatte.“ Ein ersticktes Schluchzen entwich mir. „Aber ich wünschte, er hätte sie und würde an meiner Stelle leben“, gestand ich ihm. Mein Bruder war eine Seele von einem Menschen gewesen. Er hätte es viel mehr verdient zu leben als ich. Nur weil ich an diesem Abend abgeholt werden musste, weil ich mal wieder Ärger veranstaltet hatte, ist er gestorben.
„Es ist nicht deine Schuld“, schien Dale meine Gedanken zu erraten und schloss mich fest in seine Arme. Weinend versteckte ich mein Gesicht an seiner Brust und schlang schraubstockartig meine Arme um ihn herum. Nur nebenbei bekam ich mit, wie ich hochgehoben und zu meinem Bett getragen wurde. Vorsichtig legte er sich mit mir zusammen auf die Matratze und zog die Decke über uns. „Bleibst du heute hier?“, fragte ich ihn flehend. Morgen war Freitag, also dürfte das an sich kein Problem darstellen.
„So lange du willst“, flüsterte er und rückte sich zurecht. Zufrieden kuschelte ich mich an ihn, und schlief kurz darauf ein.
Als ich diesen Morgen aufwachte, war das erste was ich zu sehen bekam, zwei blaue Augen, die mich besorgt musterten. „Morgen“, gähnte ich und streckte mich ausgiebig.
„Ich kann das nicht mehr“, flüsterte er verzweifelt. Ich hatte nicht mal Zeit zu überlegen was er damit meinte, denn im nächsten Moment lagen seine Lippen auf meinen. Es war ein kurzer Kuss und trotzdem war er voll mit Empfindungen. „Es tut mir Leid“, flüsterte er und dann sprang er hektisch aus meinem Bett und kurz darauf hörte ich die Haustür ins Schloss fallen. Ich ließ mich verwirrt wieder nach hinten auf mein Kopfkissen fallen. Was war das denn? Vielleicht wollte er mich doch. Sonst hätte er mich ja nicht geküsst. Den ganzen restlichen Tag grübelte ich darüber nach, doch ich kam auf kein Ergebnis. Dales Verhalten ergab einfach keinen Sinn für mich. Wieso sollte er mich küssen und dann verschwinden? Ich beschloss ihn am morgigen Tag zu fragen. Dann konnte er mir selber erklären, was genau er mit seiner Aussage gemeint hatte. Und was den Kuss betraf, das konnte er gerne wiederholen! Ich hob meine Hand und fuhr mir über die Lippen, welche noch immer kribbelten. In bester Laune, verbrachte in den nächsten Tag und wartete auf ihn. Und wartete und wartete. Als es schon neun Uhr war, wurde mir langsam mulmig. Normalerweise war er spätestens um sieben da! Und so sehr ich ihn am Anfang auch aus meiner Wohnung haben wollte, so sehr wünschte ich ihn mir in diesen Moment zurück. Als es schließlich immer später wurde, beschloss ich zu Bett zu gehen und ihn am nächsten Tag zur Rede zu stellen. Aber ich wartete wieder vergebens. Er kam nicht. Mit Tränen in den Augen starrte ich zwei Wochen später auf den Wohnzimmertisch. Er hatte sich in mein Leben gedrängt, mein Herz an sich gerissen und war jetzt ohne ein weiteres Wort mit ihm zusammen verschwunden. Genau das waren die Gründe warum ich One Night Stands verabscheute. Man verschenkte sein Herz im Endeffekt eben doch, auch wenn es in diesem Fall kein eigentlicher One Night Stand gewesen war. Ich rollte mich auf meinem Sofa zusammen und versuchte die Tränen zurück zu drängen. Erst als ein lautes Poltern auf dem Flur zu vernehmen war, schreckte ich aus meiner Starre heraus. Die Tür zum Flur fest im Auge, tastete ich nach dem Baseballschläger unter dem Tisch. Als ich das Holz unter meinen Fingern spürte, fühlte ich mich schon einen Tick sicherer. Mit pochendem Herzen, schlich ich langsam auf die Tür zu und zog sie ganz langsam auf. Ich könnte mich dafür verfluchen, dass ich das Licht immer ausschaltete, denn so erwartete mich nichts als Schwärze. Trotzdem glaubte ich einen schwarzen Schatten am Ende des Ganges auszumachen.
„Was haben Sie in meinem Haus zu suchen?“, fragte ich laut und hielt den Baseballschläger mit zittrigen Händen vor mich. Das Licht wurde angeschaltet und ein verdatterter Dale stand mir gegenüber. „Was zur Hölle hast du mit dem Baseballschläger vor?“, fragte er entsetzt.
„Dale?“, fragte ich verblüfft und dann durchströmte mich Freude und Hoffnung. Zumindest am Anfang. Dann wurde ich richtig wütend. Drohend ging ich mit dem Baseballschläger in der Hand auf ihn zu. Er warf mir einen unsicheren Blick zu, blieb aber stehen. „Was hast du dir dabei gedacht einfach zu verschwinden? Hast du dir schon mal überlegt, dass ich mir vielleicht Sorgen machen könnte, mal ganz abgesehen davon, dass man auch einfach mal Bescheid sagen kann!“, fuhr ich ihn an und blieb direkt vor ihm stehen. Wütend legte ich meinen Kopf in den Nacken und fuchtelte bedrohlich mit meinem Finger vor seinem Gesicht herum.
„Und vor allem wie kommst du in meine Wohnung?“, schrie ich. In Zeitlupe griff er nach meinen Arm und entwendete mir den Schläger. Ich ließ es geschehen, sah ihn aber weiterhin wütend an. Ein verlegenes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er in seiner Hosentasche kramte und einen Haustürschlüssel zu Tage beförderte. Meinen Haustürschlüssel.
„Den habe ich letztes Mal mitgehen lassen. Tut mir Leid, aber ich dachte, er könnte mir nochmal behilflich sein“, entschuldigte er sich leise bei mir. Dann nahm sein Gesicht aber einen entschlossenen Ausdruck an.
„Aber ich habe es nicht mehr ausgehalten. Ich war mir unsicher, jetzt weiß ich aber, was ich möchte. Ich möchte dich“, sagte er grade heraus und ließ mir meinen Mund offen stehen. Nicht nur, dass er meinen Haustürschlüssel geklaut hatte, jetzt wollte er auch noch mit mir schlafen.
„Ich bin kein Typ für One Night Stands“, flüsterte ich traurig und drehte mich weg. Eine kräftige Hand legte sich um mein Handgelenk und zog mich ruckartig zurück. „Dann passt das ja gut. Ich nämlich auch nicht.“ Und dann küsste er mich, dass mir die Luft wegblieb.
Ende
Texte: liegen bei mir
Lektorat: mecpommer, Honey89
Tag der Veröffentlichung: 08.02.2015
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