Einleitung:
Sie schlug die Augen auf und presste sie sofort wieder fest zusammen, weil grelles Licht sie geblendet hatte.
Vorsichtig blinzelte sie unter halb geschlossenen Lidern hervor und sah: nichts.
Um sie herum gab es nichts, auf dem die Augen hätten verweilen können. Es war auch nichts zu hören, kein Laut durchdrang die Stille.
Seltsam; sie hatte sich das Nichts immer schwarz vorgestellt, aber hier war alles weiß. Grell. Blendend.
Es gab keinen Maler, der Farben hinterlassen könnte.
Keinen Musik, deren Klang die Stille zerrissen hätte.
Auch keinen Gott, der dem Ganzen Sinn hätte geben können.
Nackte Angst erfasste sie, und sie rannte davon: Nur weg von dieser grellen, weißen Leere.
Das erste Kapitel: Heffalump
Brrrimmm! Sie schrak hoch. War das der Wecker? Oder das Telefon? Oder die Pferdebahn?
Sie besann sich. Nein, die Pferdebahn konnte es nicht gewesen sein. Die gab es schon seit hundert Jahren nicht mehr. Sie erinnerte sich dunkel, dass ihr Urgroßvater das letzte Pferd als Sauerbraten gegessen haben sollte. Oder als Salami?
Salami! Sie sank ruckartig in die Kissen zurück. Oh Gott, sie hatte vergessen, Holger vor der Salami zu warnen! Die war schon vier Tage über dem Verfallsdatum, und Holger mit seinem ungebremsten Appetit hatte bestimmt nicht…
Holger! Sie atmete tief durch und beruhigte sich allmählich. War nicht auch Holger längst über dem Verfallsdatum? Und mehr als vier Tage? Im Grunde sein ganzes Leben schon?
Leben! Natürlich, sie erinnerte sich jetzt: Es war Wochenende, und sie hatte sich vorgenommen, heute mal richtig zu leben!
Dann konnte es aber nicht der Wecker gewesen sein. Denn Weckerklingeln und Leben…
Nein, das harmonierte nicht. Oder hieß es „harmonisierte“? Sie würde Holger fragen müssen…
Ach nein – Holger war ja tot. Lebensmittelvergiftung. Oder starb man nicht an Lebensmittelvergiftung? Sie wusste es nicht. Sie würde Holger fragen…
Zum ersten Mal in ihrem Leben verfluchte sie, dass sie eine Frau war.
Das zweite Kapitel: Fabiana
Mordlüstern starrte sie auf den leeren Platz an ihrer Seite und hätte alles dafür gegeben, ihn genau JETZT zwischen die Finger zu bekommen. Ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass der Morgen bereits graute und sie wusste, das dieses leblose Grau sie durch den kommenden Tag begleiten würde. Agressiv schleuderte sie die Decke zur Seite und stand auf. An Schlaf war nicht mehr zu denken, und ein Kaffee würde ihr nicht nur beim Wachwerden helfen, sondern auch für einen klaren Kopf sorgen ... und den brauchte sie. Bis Holger kam, musste sie ein fertiges Konzept haben. Sie würde knallhart sein und sie wollte Rache. Ritas Blick blieb an dem Messerblock hängen, welcher neben der Kaffeemaschine stand. Vor ihren Augen begannen sich Bilder aufzubauen, blutige Bilder ... sie schüttelte sich und kam Vollends zur Besinnung, als sie Holgers Auto die Auffahrt hochfahren hörte.
Das dritte Kapitel: Ploetz
: Der Motor blubberte noch ein wenig vor sich hin, dann erstarb er vollends. Rita lauschte den Schritten ihres Mannes und zuckte bei jedem Knarren und Quietschen heftig zusammen. Mein Gott, gleich ist er da. Es wird wieder geschehen... HIILFEEE! Doch der Schrei verließ ihre Gedanken nicht. Die Tür öffnete sich leise, Holger hatte die Scharniere erst vor ein paar Tagen geölt.
"Rita? RITA! Wo steckst du?"
Das vierte Kapitel: Lieselore
Verdammt, wo ist sie denn diese unzuverlässige Person.
Wenn man sie mal braucht, glänzt sie durch Abwesenheit.
" Schrei doch hier nicht so rum Holger," Rita stand im Türrahmen und sah ihn mit funkelnden Augen an.
"Wolltest Du nicht sowieso bowlen gehen, wieso nölst Du also hier rum, hau doch ab, Deine Busenfreundin wartet sicher schon."
Rita kniff die Augen missbilligend zusammen.
Das letzte Kapitel: Tinka
Rita kniff die Augen missbilligend zusammen. Sie konnte das alles einfach nicht mehr ertragen, diese ewige Gezeter: Dein Essen schmeckt wie Rattengift! Deine Lockenwickler sind schon festgewachsen, was?
Sie hatte diesen überheblichen Patriarchen so über. Verachtend ließ sie ihre Augen über seinen Körper streifen.
„Ein ganze Mann.“ Wie hatte sie das jemals denken können? Berstend wölbte sich sein fetter Wanst über den Hosenbund.
„Welch ein stolzer Blick.“ War sie blind gewesen? Seine Augen spiegelten dickköpfigen, unsinnigen Trotz; herzlose Brutalität.
Kaum merklich schüttelte Rita ihre Locken. Abrupt drehte sie sich um und schritt entschlossen aus der Tür. Ein letztes Mal ließ sie das Gartentor hinter sich zufallen. Tief atmete sie die kühle Herbstluft und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Fröhlich wandte sie sich nach links, denn links stand ihr die ganze Welt offen.
Tag der Veröffentlichung: 25.02.2009
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