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Wie oft saß sie am Fuße des Mühlenrades und beobachtete, wie der kleine Bach immer noch versuchte, sich durch die längst fast vollständig zugewachsene Schneise zu schlängeln.
Und immer wieder ging ihr Blick wie zufällig zur bewachsenen Mauer, welche lediglich durch ein kleines, verrostetes Tor geteilt war, über dessen man einen kleinen Einblick auf den Hof bekam.
Irgendwann siegte die Neugierde über die Angst.
Langsam kletterte sie auf die obere Verstrebung des Zauns, um über die mit wilden Hortensien bewachsene Mauer sehen zu können.
Ihre kleinen , silberfarbenen Verschlüsse der Sandalen verhedderten sich im Metall und ließen sie in einer sehr unbequemen Position auf ihrem Posten verharren.
Ihr kleines Gesicht war vor Anstrengung erhitzt und unter ihrem Hemdchen pocherte das Herz vor Aufregung und Angst.
Aber die Neugierde war einfach stärker.
Mit ihren 6 Jahren hatte sie schon soviele Geschichten über die alte Frau gehört, welche in der stillgelegten Mühle nebenan wohnen sollte.
Jedoch, sie hatte noch nie eine Menschenseele in der windschiefen, vom Wetter gezeichneten Mühle entdeckt.
Auch in den kleinen, verstaubten Fenstern, dessen Läden lose im Wind hin- und herschlugen, hatte sie noch nie jemanden gesehen.
Hinter vergilbten Gardinen schien jemand ihren Blick aufzufangen.
Marlene erstarrte und war unfähig, ihren Blick vom Fenster zu lösen.Sie kniff ihre Augen zusammen und wischte sich mit ihrer kleinen Hand über die Stirn, wo Angst und Sonne Perlen aneinandergereiht hatten.
Gerade als sich sich hilfesuchend umblicken wollte, sah sie im rechten Fenster eine Katze sitzen.Schneeweiß und wunderschön.
Marlene war entzückt.Sie liebte Tiere und Katzen im Besonderen , so wie wohl alle Mädchen.
Vergessen die haarsträubenden Geschichten über die alte Frau, verschwunden die Angst und Zurückhaltung.Nicht einen Gedanken verschwendete sie daran, das, wenn es eine Katze in diesen geschlossenen Räumen gab, auch jemand darin wohnen musste.
Wie sonst sollte die Katze so majestätisch da sitzen können?!
Marlene entwirrte ihre Füße, welche noch immer in den Streben des Zaunes steckten und ging um die Mühle herum.
Irgendwo musste man doch auf den Hof gelangen, zu der Katze!
Auf der anderen Seite versperrten Hagebuttensträucher , welche sich mit den Jahren in einem Maschendrahtzaun verwachsen hatten, den Zugang zum Haus.
Sie wollte gerade wieder zurückgehen, als ihre Mutter zum Abendessen rief.
Seufzend schaute sie über die Hecke hinweg zu der Katze und rief ihr zu: „ Bis morgen, Schneeball!“
So schnell wie an diesem Abend lag sie wohl lange nicht mehr im Bett und ihre Mutter runzelte die Stirn: „Alles in Ordnung mein Kind?“
„Ja Mama“ sagte Marlene und als die Mutter gerade das Zimmer verlassen wollte, fragte sie dann doch, mit vor Aufregung zittriger Stimme: „ Mama, gibt es dort drüben in der Mühle wirklich eine böse, alte Frau? „
Marlenes Mutter drehte sich um um schaute in das erhitzte Gesicht ihres einzigen Kindes.
„ Ich weiß es wirklich nicht. Ich habe dort seit Jahren niemanden mehr gesehen.“Dann schloss sie leise hinter sich die Tür.
Marlene schlief ein und träumte von „ihrer“ weißen Katze, die sie „Schneeball“ getauft hatte.
Am anderen Morgen konnte das Frühstück nicht schnell genug vorbei sein.
Hastig schnappte sie sich eine Decke, etwas Milch und einen Stock, man konnte ja nie wissen und falls dort lange niemand mehr wohnte, würde es von ekelhaft klebenden Spinnengewebe nur so wimmeln.
Ihre Mutter sah ihr lächelnd hinterher, wie oft hatte sie Marlene schlafend bei den Schafen oder Enten vorgefunden.Sie war stolz auf die Naturverbundenheit ihres Kindes, welches jede Form von Leben respektierte und niemandem Schaden zufügte.
Marlene quälte sich über das verrostete Tor und fluchte leise, weil sie ihre Hosen daran aufriss. Wie würde ihre Mama reagieren, wenn sie wüsste, dass Marlene ein Verbot missachtet hatte?
Sie verwarf die Zweifel und ging zielstrebig auf das kleine Fenster zu.Schob ihre kleinen Hände links und rechts neben das Gesicht, um in das Innere des Hauses sehen zu können.
Alles schien ruhig und verlassen und so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte die Katze nirgendwo entdecken.Sie ging zu der grünen Holztür, deren schwere Beschläge die gleichen Rosterscheinungen aufwiesen, wie das Tor, über welches sie gerade erst geklettert war.
Mit ihrer ganzen Kraft stemmte sie sich gegen die Tür und plötzlich gab diese mit einem lauten Ächzen nach.
Wie vermutet, zogen überall Spinnen ihre Netze durch den Eingangsbereich.Langsam tastete Marlene sich vor und die Angst packte sie immer mehr am Genick.
Gerade als der Mut sie verlassen wollte und sie bereits rückwärts Richtung Tür ging, hörte sie das leise Miauen.
Fasziniert blieb sie stehen und lauschte.Das Geräusch schien von oben zu kommen.Stufe für Stufe ging sie dem Laut der Katze nach und tatsächlich! In einer Ecke des Korridors lag auf einer Decke und nicht nur sie!
4 kleine Schnurrer wuselten um sie herum. Marlene stieß einen entzückten Schrei aus, um sich dann sogleich die Hand vor den Mund zu halten.Aber im Haus blieb es still.
Gerade als sie sich bückte, um ein winziges, graues Kätzchen in die Hand zu nehmen, vernahm sie hinter sich eine kratzige, lang gezogene Stimme. „Sie sind sehr schön, nicht wahr?“
Marlene fuhr erschrocken herum und starrte in ein uraltes Gesicht.Aus blassgrauen Augen schaute sie eine Frau an, deren Kinn fast bis an die Brust reichte,so krumm war ihr Rücken.Die Hände der alten Frau waren auf einen Stock gestützt und zitterten sehr stark.
Am liebsten hätte Marlene los geweint , doch irgendein geheimer Zauber schien von dieser alten Frau auszugehen.
„Wie heißen Deine Katzen denn?“ fragte sie die alte Frau.
„Die Große heißt Minka, die kleinen haben noch keinen Namen“sagte die Alte, „wenn Du magst, darfst du ihnen einen Namen geben.“
„Darf ich sie denn auch jeden Tag besuchen kommen?“ fragte Marlene mit vor Aufregung roten Wangen.
Nein, sagte die alte Dame fast schon ein wenig schroff, ich schlage vor, Du nimmst sie mit zu Dir nach Hause, damit Du Dich um sie kümmern kannst.
Am liebsten wäre Marlene der Frau um den Hals gefallen, aber ihr Erscheinungsbild verängstigte sie doch ein wenig.Auch wenn sie nicht glauben konnte, dass ein Mensch böses im Schilde führte, der so gut zu Tieren war.
Marlene verprach ,mit ihren Eltern zu reden und mit dessen Einverständnis am nächsten Tag wiederzukommen, um ihre neuen Freunde abzuholen.
Als sie über das Tor kletterte, sah sie die alte Frau lächeln und unwillkürlich winkte sie der Alten zu.Diese erwiderte den Gruß, indem sie die Hand mit dem Krückstock hob.Dann verschwand sie.
Marlene lief so schnell sie konnte zu ihren Eltern, welche schon nach ihr Ausschau gehalten hatten.
Sich vor Aufregung überschlagend erzählte sie, was sich gerade zugetragen hatte.Während sie in kindlichem Eifer von den Tierbabys schwärmte, warfen sich die Erwachsenen über ihrem Kopf blasser werdend Blicke zu.
Die Frau vom Bäcker im Ort hatte am Vormittag berichtet, dass man die alte Frau in der Mühle in der Frühe mit dem Leichenwagen abgeholt hatte.

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Texte: alle Rechte bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 13.08.2011

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Widmung:
Beitrag eines Wettbewerbes. Abgeschlossen.

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