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Irgendwann hatte ich meine erste Fahrkarte eingelöst.
Ich weiß nicht, ob damals Menschen am Bahnsteig standen und lächelten oder mir vielleicht gar mit Tränen hinterher schauten.
Ich habe weder Erinnerungen an ein Gesicht noch einen Moment.
Wo immer es gewesen sein mochte, ich hatte mich wohl auf den Weg gemacht, um im Hier und Jetzt einen Neuanfang zu wagen.
Viele Jahre sind seitdem vergangen.
Einige der Menschen, die mich auf meiner Reise begleiteten , sind bereits ausgestiegen.
Hatten entweder ihr Ziel erreicht oder waren verzweifelter Weise irgendwann aus dem fahrenden Zug gesprungen.
Einige von Ihnen blieben zu kurz, als das ich Ihnen heute noch ein Gesicht zuordnen könnte und wieder andere blieben zu lange, so dass sich ihre Gesichter in meine Gedanken gebrannt haben.
Alles in allem fahre ich gerne in diesem Zug .Besonders schön sind Momente, in denen er nicht so rast. Ich genieße es dann, einen Fensterplatz ergattert zu haben und lasse die blinden Passiere an meinen Blicken teilhaben.
Ich finde es wundervoll, immer wieder neue Menschen in mein Abteil steigen zu sehen, um mich an ihrer Gesellschaft zu bereichern , indem sie mir von ihren bisherigen Reisen erzählen .
Für den Zeitraum einer Kurzstrecke saß ich mal in einem Abteil der ersten Klasse.
Meine versnobte Reisebegleitschaft raubte mir mit ihrem eingefrorenen Maskendasein den letzten Nerv und ich rutschte auf feinstem Leder solange unbehaglich hin und her, bis man mich wieder in ein Abteil ließ, in dem ich atmen konnte.
Zwischendurch war mein Abteil besetzt.
Massen an Menschen in meinem engsten Umfeld umgaben mich mit ihrem Dasein und beluden mich mit Gepäck, welches ich weder tragen konnte noch wollte.
Irgendwann war einfach genug. Ich zog die Notbremse.
Riss die Türen auf und sprang aus dem fast stehen gebliebenen Zug.
Ich fühlte mich erdrückt von der Enge, dem zugewiesenen Platz und den Reisenden, die ungefragt neben mir Platz genommen hatten.
Aber dann, noch während ich versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen, setzte sich der Zug in Bewegung. Langsam. Aber ohne mich.
Hinter vergilbten Fensterscheiben sah ich Gesichter, die weinten.
Sah ich Menschen, mit denen ich gerne gereist war und deren Verlust ich nicht ertragen wollte.
Sie riefen nach mir, die Fenster heruntergelassen, streckten sie die Hände nach mir aus und bettelten um eine weitere Station.
Aus meiner Lethargie erwacht, begann ich zu laufen.
Erst langsam und zögernd, dann immer schneller.
Ich erfasste das Abteil und sprang auf.
Mein Blick zurück auf den Bahnhof ließ mich erzittern.
Dort war es Nacht.
Jetzt sitze ich wieder in einem Großraumabteil, aber es ist nicht mehr so überfüllt.
Meine Mitreisenden sind wundervolle Weggefährten und wir genießen die Fahrt .
Niemand weiß, wann er eine Station entdeckt, an der er sich entscheidet , seine Reise zu beenden .
Ich denke das ist auch nicht wichtig.
Wenn man sich so fühlt, als müsse man an dieser Haltestelle den Zug verlassen, dann sollte man das auch tun, selbst wenn die Fahrkarte auf ein anderes Ziel ausgestellt war.
Wie heißt es so schön: Wege entstehen beim Gehen... und ein Tag ist wie ein kleines Leben.

Impressum

Texte: Wortrechte:Frau Batoli Bildrechte: Erich Westendarp/ pixelio.de Quelle www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 11.04.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
allen Reisenden

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