Mir wurde schlecht. Das durfte doch jetzt alles nicht wahr sein. Nicht jetzt, nicht hier!
Leider erwies sich der Mann nur sieben Tische von uns entfernt auch nach dem Aufsetzten meiner Brille als Fabian. Es war knapp über 10 Jahre her und dennoch erkannte ich ihn sofort. Aus dem 17jährigen muskulösen und braungebrannten Jungen war ein Mann geworden und dennoch hatte er die unverkennbaren Attribute seiner Jungend mit in seine erwachsene Erscheinung übernommen. Die leuchtenden eisblauen Augen, die geschwungene Nase, die für einen Mann beinahe schon zu vollen Lippen, die sonnenverwöhnte Haut, die breiten Schultern und die tiefschwarzen Haare. Heute fielen sie aber nicht mehr in langen Zotteln über seine Schultern, sondern waren ordentlich auf einen 7 cm Haarschnitt gekürzt. Trotz des feierlichen Anlasses und der uns umgebenden in Smoking und feinem Abendkleid gekleideten Herrschaften mit ihren perfekt liegenden Haaren, war seine Frisur zwar anscheinend gekämmt aber nicht am Kopf festgeklatscht, sondern mit Volumen, beinahe wie die dunklen langen Wellen der Frau neben ihm, sein Gesicht umschmeichelnd.
Wieso? Wieso musste mir das Schicksal das antun? Warum konnte es mich nicht endlich verschonen? Er war immer noch eine unglaubliche Erscheinung und fing die Aufmerksamkeit jeder Person um ihn herum ein. Es war sogar noch schlimmer als früher. Waren wir früher nur Schüler gewesen, unbedarfte Teenager die keine Ahnung vom wirklichen Leben hatten, so waren wir beide heute gestandene Männer. Und das sah man Fabian deutlich an. Die Frauen am Tisch, selbst die mit Eheringen starrten ihn beinahe sabbernd an, auch die Herren der Schöpfung konnten ihren Neid kaum verhehlen und Fabian tat immer noch so, als würde er dies alles nicht bemerken. Das war seine Masche. Zuerst tat er so als bemerke er einen nicht, dann plötzlich wurde man von ihm mit diesem unglaublichen Blick in Ketten gelegt und bettelte förmlich darum nie wieder die Freiheit erblicken zu müssen und dann, ja dann war alles so schnell vorbei, dass man kaum hinterher kam.
Der arrogante Blick traf eine der Damen in Fabians Nähe. Sie schien ihre Hand auf seine gelegt zu haben und anscheinend war sie nicht bedeutend genug und somit Fabians Aufmerksamkeit nicht wert, denn er zog seine Hand grob zurück und sein Blick ließ sie erröten. Dann drehte sie sich um und rannte davon. War da nicht ein verdächtiger Glanz in ihren Augen? Weinte sie etwa? Und Fabian? Den interessierte das alles natürlich überhaupt nicht. Im Gegenteil, erst jetzt konnte ich sehen, dass er für den Zusammenbruch absichtlich gesorgt hatte. In seiner linken Hand hielt er ein feuchtes Tuch, mit dem er die von der Dame berührte rechte Hand abwischte. Wie konnte ein einzelner Mann nur derart herzlos und grausam sein?
Mitleid erfüllte mich. Unendliches Mitleid mit der armen Frau. Die Sympathie der Gebrandmarkten hatte mich wieder einmal in ihrem Bann. Ja, denn auch ich war von Florian auf grausame Art und Weise gebrandmarkt worden. Wurde jetzt über die Frau am Tisch getuschelt und gelacht, so hatte Florian mich mein Heim, meine Familie und meine Sicherheit gekostet.
Dennoch konnte ich nicht aufhören ihn anzustarren. Wieso schaffte ich es nicht ihn zu hassen? Wieso wollte ich mich ihm weinend an den Hals werfen und betteln ihn nie wieder verlassen zu müssen? Warum nur war ich so schwach und erbärmlich? Eine Hand auf meiner Schulte brachte mich zurück in die Wirklichkeit und ich nahm meine Freunde Sebastian und Kilian wieder bewusst wahr. Sie sahen mich besorgt an und ich wusste ich musste nur ein Wort, besser nur einen Namen aussprechen und sie würden alles verstehen. Es war verrückt, dass ich sämtliche mir zur Verfügung stehenden Kraftreserven benötigte um die wenigen Buchstaben über meine Lippen zu zwingen, doch ich konnte es nicht ändern. Eben so wenig wie ich meine schwitzenden Hände, mein rasendes Herz, meine weit aufgerissenen Augen und meine Zitternden Gliedmaßen beeinflussen konnte, so wollte mein Sprachzentrum meinen Anweisungen momentan auch nicht gehorchen. Darum verließ nur ein leises Flüstern meine Lippen. Meine Freunde erahnten wohl eher als das sie verstanden, welchen Namen meine Lippen formten. „Fabian“
Entsetzt entglitten beiden zeitgleich die Gesichtszüge. Wäre der Anlass nicht ein derart schrecklicher, dann hätte ich die Komik dieses Momentes sicher ausgiebig lachend genießen können, doch mit Fabian in ein und demselben Raum zu sein erstickte sämtliche Fröhlichkeit und allen Humor in mir.
Kilian hatte sich schneller wieder unter Kontrolle und folgte meinem beinahe schon starren Blick. Er erblickte Fabian und ich erkannte sofort, dass die Wirkung des Mannes selbst auf die Entfernung nicht spurlos an Kilian vorbei ging. Wüsste er nicht was für ein Monster diesen beinahe göttlichen Körper bewohnte, dann währe er vielleicht sogar auf die Idee gekommen an den Tisch hinüber zu gehen, doch so sah ich wie seine Gesichtszüge sich verdunkelten und seine Augen Blitze zu schießen drohten. Auch Sebastian schien seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle und seinen Blick auf Fabian gerichtet zu haben. Ein leises überraschtes Keuchen entkam ihm. Tja, ich hatte ihnen erzählt wie gut Fabian aussah, ihnen ausführlich von seinen unzähligen Verehrerinnen und Verehrern berichtet. Doch die fleischgewordene Versuchung leibhaftig und mit eigenen Augen zu erblicken war doch noch einmal etwas gänzlich anderes.
Zitternd schob ich mich rückwärts weg vom Tisch. Ich hastete den Weg hinter mir entlang. Ich musste hier raus. Leider würde ich in Richtung Fabian laufen müssen um an den Ausgang zu gelangen, hinter mir lagen lediglich eine Terrasse und die Toilettenräume. Doch es war besser als Nichts!
Ich schlug die Türe der kleinen Kabine hinter mir zu, verriegelte sie und prüfte noch viermal, ob ich sie tatsächlich abgeschlossen hatte, ehe ich mich mit dem Rücken dagegen lehnte und sachte in die Knie sank. Meine Arme umschlossen meine Beine und mein Gesicht drückte sich hart auf die Oberschenkel. Die Tränen konnte ich nicht mehr aufhalten, ebenso wenig wie die Erinnerungen, die nun nach und nach auf mich einstürzten.
Ich war ein stilles Kind gewesen. Versuchte dem Ärger aus dem Weg zu gehen und niemanden durch mein Dasein zu stören. Meine Eltern arbeiteten beide im Pflegewesen und wenn sie Feierabend hatten, dann arbeiteten sie ehrenamtlich weiter in diesem Bereich. Auch wir Kinder, also meine ältere Schwester Sabrina, mein jüngerer Bruder Torben, meine jüngste Schwester Susanne und natürlich ich, wurden von klein auf mit eingespannt. Da meine Eltern in der Altenpflege tätig waren wurden sie in diesem Bereich auch häufig ehrenamtlich eingeteilt. Wir Kinder mussten unserem Alter entsprechende Aufgaben übernehmen. Bis zu unserem jeweiligen vierten Lebensjahr waren wir hauptsächlich dazu da um mit den oft pflegebedürftigen älteren Personen zu spielen, schmusen und einfach niedlich zu sein. Dann begann es, dass wir helfen sollten den Tisch zu denken, Geschirr zu spülen, Pflanzen zu gießen usw. Mit zunehmendem Alter wurden die Aufgaben dann deutlich anstrengender.
Ich erinnere mich noch, wie ich mit 12 Jahren bereits völlig ohne Begleitung zu verschiedenen älteren Personen geschickt wurde, die den Alltag nicht mehr gänzlich alleine bewältigen konnten. Ich sollte prüfen ob der Pflegedienst den jeweiligen Patienten morgens richtig gewaschen und eingekleidet hatte. Auch ob hier an das Anlegen von Stützstrümpfen oder ähnlichem gedacht worden war. Das war mir besonders bei älteren Damen immer etwas unangenehm, doch wie meine Mutter immer zu sagen pflegte wenn wir klagten „Stellt euch nicht so an, hofft lieber, dass sich auch jemand um euch kümmert, wenn ihr mal alt seid!“
Das wir Kinder eine beinahe panische Angst vor dem älter werden entwickelte wurde mir erst viele Jahre später bewusst.
Nachdem ich die Arbeiten des Pflegedienstes überprüft hatte musste ich mich um ein ausgeglichenes Frühstück kümmern und dann schauen was es für Arbeiten im Haus oder Garten für mich gab. Ich musste kontrollieren, dass die richtigen Medikamente zur richtigen Zeit geschluckt wurden, Mittagessen was die jeweilige Person auch vertrug kochen und mich anschließend um den Abwasch kümmern. Dann galt es sich mit den Personen zu beschäftigen, sei es ein Spiel oder ein Gespräch, mir wurde bereits von Geburt an eingetrichtert, wie wichtig die tägliche Interaktion der älteren Personen mit anderen Menschen ist.
Meist war es dann auch schon Zeit für das Abendessen und ich musste wieder für alles sorgen. Besonders wichtig war die Kontrolle der Medikamenteneinnahme. Da alle Personen zu denen ich alleine geschickt wurde weitestgehend noch in der Lage waren sich selbstständig umzukleiden oder ins Bett zu gehen verabschiedete ich mich nach dem Abendessen um nicht zu stören und wünschte natürlich noch einen schönen Abend.
Daheim angekommen galt es selbstverständlich wieder mit anzupacken. Da meine Eltern und wir meistens unterwegs waren um unseren älteren Mitmenschen zu helfen musste unser Haushalt praktisch nebenher laufen. Jeder packte mit an.
Wir aßen meistens bei den Personen mit, die wir betreuten und darum galt es selten in der Küche den Kochlöffel zu schwingen. Aber es musste aufgeräumt, staubgesaugt, staubgewischt, Wäsche gewaschen, Badezimmer und Küche geputzt, Vorräte überprüft und Fenster geputzt werden. Das hieß für uns alle einen sehr späten Feierabend und einen extrem frühen Morgen. Wochenende gab es in unserem Haushalt nicht und die Schulferien waren lediglich dazu da um noch mehr Zeit in die Pflege unsere Mitmenschen zu stecken.
Während der Wochenenden und der Sommerferien spürte ich die Beanspruchung selten, doch in der regulären Schulzeit war die Belastung teilweise sehr hoch. Denn neben unserer absoluten Hingabe für die Pflege wurden von uns natürlich auch überragende Noten erwartet. Alle waren wir der jeweilige Klassenbeste in unseren Klassen, sportlich und gebildet. Wobei die Bildung tatsächlich häufig über die Gespräche mit den älteren Menschen erfolgte. Deren Allgemeinwissen war oft sehr ausgeprägt und durch körperliche Beeinträchtigungen blieb häufig nur die Verfolgung von Nachrichten oder Dokumentationen im Fernsehen.
Hatten wir Schule, dann mussten wir vor der Schule für den Haushalt daheim sorgen, dann den Unterricht erfolgreich absolvieren und direkt danach nach Hause joggen. Doch eigentlich konnte man es nicht Jogging nennen, wir mussten die vier Kilometer morgens zur Schule rennen und nach der Schule auch wieder nach Hause. Für den jeweiligen Weg von zuhause zur Schule oder zurück wurden lediglich 15 Minuten eingeplant und wenn wir uns nicht beeilten kamen wir entweder zu spät zur Schule was einen Eintrag und die Benachrichtigung der Eltern bedeutete oder wir waren erst später zu Hause und die Zeit für Hausarbeiten usw. fehlte. Es war exakt eine Stunde nach der Schule für Hausarbeiten, Lernen auf Prüfungen oder andere Aktivitäten vorgesehen, bevor wir für unseren jeweiligen Pflegedienst aufbrechen mussten, natürlich wieder zu Fuß. Auch diese Wege waren nur sehr knapp geplant, so dass wir häufig früher los gingen, wenn es sich irgendwie einrichten ließ. Doch wir klagten nie. Es war für uns so normal wie der fehlende Fernseher bei uns zuhause und das wir nur Kleidung aus dem Secondhand-Shop erhielten. Spielzeuge besaßen wir praktisch nicht, denn das war Luxus für den wir keinerlei Zeit gehabt hätten, ebenso wie uns die Zeit fehlte um Taschengeld auszugeben, das wir aber sowieso nicht bekamen. Es gab einige wenige Babyspielsachen die wahrscheinlich bereits zu Großmutters Zeiten in Familienbesitzt waren, mehr befand sich nicht im Besitz von uns Kindern.
Erst viele Jahre später musste ich feststellen, dass wir unglücklich waren, dass wir nicht Kind sein durften und unsere Entwicklung durch die Unterdrückung sämtlicher Freiheiten geprägt wurde.
Doch mit meinen 12 Jahren war für mich noch alles in Ordnung. In den Sommerferien wurde ich einer neuen Dame zugeteilt, die erst kürzlich in unseren beschaulichen kleinen Ort gezogen war. Frau Gerbel. Sie war eine nette ältere Dame, die noch recht rüstig war. Ich verstand nie, warum ihr eine Hilfskraft zugeteilt worden war. Wenn ich bei ihr war gab es praktisch nichts zu tun. Sie kümmerte sich um das komplette Einkleiden am Morgen ohne Pflegedienst, wodurch es für mich nichts zu kontrollieren gab, das Frühstück für zwei stand immer bereits gerichtete auf dem Tisch wenn ich kam und im Haus durfte nur sie den Staubsauge oder den Staubwedel nutzen. Sie akzeptierte meine Hilfe im Garten und ab und zu durfte ich schwerere Kisten in den Keller bringen oder die Zutaten für das Mittagessen nach oben holen.
Als ich meine Mutter fragte wieso Frau Gerbel Hilfe benötigte erhielt ich eine Backpfeife. Ich war völlig überfahren, war das doch meine erste Backpfeife. Meine Mutter schrie mich an, dass mich die Gründe nicht zu interessieren hätten und ich der armen alten Frau die kostbare Hilfe nicht verweigern dürfte. Ich wagte nie wieder nachzufragen und erledigte weiterhin einfach wie ein dummer kleiner Sklave die mir aufgetragenen Arbeiten. Bei Frau Gerbel jedoch lernte ich den Müßiggang und es begann mir zu gefallen. Hier wurde ich verwöhnt, erhielt Süßigkeiten und durfte fernsehen. Es war wie das Paradies.
An einem Tag in der letzten Woche der Sommerferien war der Frühstückstisch plötzlich für drei Personen gedeckt. Ich versuchte mich zu erinnern, ob Frau Gerbel einen Ehemann hatte, vielleicht war ich ja hier um ihn zu unterstützen? Doch ich erinnerte mich nicht daran, dass Frau Gerbel oder meine Mutter etwas in dieser Art gesagt hatte. Während meiner Überlegungen vernahm ich das Knarren der obersten Treppenstufe und aus einem mir nicht nachvollziehbaren Grund sprang ich in die Küche. Als ich neugierig durch den kleinen Türspalt spähte erblickte ich einen Jungen. Er müsste in meinem Alter sein, war sonnengebräunt, sportlich und hatte derart blaue Augen, dass ich zuerst dachte es müssten Kontaktlinsen sein! Er kam in Begleitung von Frau Gerbel in das Esszimmer und erzählte ihr gerade von einem Jungen, mit dem er sich anscheinend geprügelt hatte. Frau Gerbel hörte aufmerksam zu und seufzte an den richtigen Stellen entsetzt auf um dem Jungen dann mütterlich den Kopf zu tätscheln.
Ich kam mir blöd vor mich in der Küche zu verstecken. Also ging ich an den Kühlschrank und holte die Butter heraus um dann wieder das Esszimmer zu betreten. Der Junge hielt in der Bewegung inne, als er mich überrascht anblickte und ich nickte ihm kurz zu, bevor ich die Butter auf den Tisch stellte und mich auf meinen gewohnten Platz setzte. Frau Gerbel stellte mir ihren Enkelsohn Fabian vor und dann kam keiner von uns beiden mehr zu Wort, weil Fabian mir anscheinend seine komplette Lebensgeschichte erzählen wollte.
Seine Eltern waren beide berufstätig und ständig auf Reisen, weshalb er unterm Jahr bei seiner Großmutter lebte und auch zur Schule ging. Während der Ferien durfte er seine Eltern auf Reisen begleiten oder in ein Schulanteim, es stand ihm immer frei die Entscheidung selbst zu treffen. Fabian wirkte sehr erwachsen, wie er über Entscheidungen, Prügeleien, Computerspiele und sein neues Fahrrad redete. Ich hing förmlich an seinen Lippen. Doch immer wieder musste ich aufstehen um den Tisch abzuräumen oder Frau Gerbel doch eben einen Lappen zum Bodenwischen zu bringen. Fabian schien es zu ärgern wenn ich ihn alleine sitzen ließ. Nachdem wir zu Mittag gegessen hatten schnappte er mich am Arm und zog mich mit nach oben. Ich war noch nie im ersten Stock gewesen. Doch Fabian ließ mir auch keine Zeit mich umzusehen, er zog mich erbarmungslos mit sich. Erst als er ein Zimmer betrat, mich in die Mitte schob und dann zur Türe eilte um diese zu schließen erkannte ich, dass wir in seinem Zimmer sein mussten. Überall lagen Spielzeuge, Kleider und Schulmaterial herum. Ich begann aufzuräumen, doch Fabian nahm mir die eingesammelten Sachen immer gleich wieder aus der Hand um sie erneut auf den Boden zu werfen. Es schien ihm Spaß zu machen, denn er grinste mich immer wieder herausfordernd an. Doch ich war geübt im Umgang mit dementen oder depressiven Patienten und anderen, weshalb ich einfach immer weiter machte bis er den Spaß verlor und ich in Ruhe aufräumen konnte.
„Ich habe dich nicht zum Aufräumen hier hoch geholt!“ Maulte Fabian nach einer Weile, als sein Zimmer bereits fast fertig war. Irritiert hielt ich inne und blickte ihn an. „Und wozu dann?“
Fabian grinste und klopfte auf den freien Platz neben seinem Bett. Ich beendete noch rasch die letzten Handgriffe um das Zimmer aufzuräumen, dann ging ich langsam und skeptisch auf ihn zu und setzte mich bedächtig neben ihn. Plötzlich hatte ich einen Controller in der Hand und Fabian startete ein Videospiel. Ich versagte kläglich, wusste ich doch überhaupt nicht wie so ein Controller funktionierte. Fabian amüsierte sich köstlich, während er mir alles erklärte und an diesem Abend ging ich um eine Erfahrung reicher nach Hause. Ich war glücklich. Es war schön gewesen mit Fabian zu spielen und die Welt der Videospiele erforscht zu haben. Doch daheim erzählte ich kein Wort davon. Ich hatte Angst, dass meine Geschwister dann auch zu Frau Gerbel wollten und ich nicht mehr mit Fabian spielen könnte.
Ich fühlte mich wohl, verbrachte viel Zeit mit Fabian und liebte es Frau Gerbels Geschichte aus ihrer Jungend zu lauschen. Das klappte freilich nur während der Sommerferien, wenn Fabian mit seinen Eltern unterwegs war oder an den Wochenende morgens bis etwa 10 Uhr, weil Fabian ein Langschläfer war. Denn wenn er anwesend war, dann beanspruchte er meine komplette Aufmerksamkeit. Auch in der Schule hatte er recht deutlich gemacht, dass ich sein Freund war und die anderen das zu akzeptieren hatten. Bis dahin war mir nie aufgefallen, dass ich zwar geduldet aber nicht einbezogen worden war. Plötzlich hörte ich von Treffen im Schwimmbad, dem Kino, im Partykeller von Kurt einem mürrischen Klassenkammerraden oder ähnlichem. Leider konnte ich aber nie teilnehmen. Zum einen benötigten die meisten dieser Aktivitäten allesamt Einnahmen, die ich nicht hatte, denn so etwas wie Taschengeld kannten meine Geschwister und ich ja nicht und zum anderen hatte ich nicht die Zeit. Ich konnte zwar mit Fabian während meiner Einteilung bei seiner Oma spielen und auch mal den Pool im Garten nutzen, doch da meine Mutter gerne unangekündigte Kontrollanrufe machte musste ich die meiste Zeit vor Ort sein. Das bedeutete, dass auch Fabian selten eine der vielen Einladungen am Wochenende annahm. Erst abends, wenn ich wieder nach Hause musste ging er auf Partys, in Discos oder traf sich einfach nur mit ein paar anderen Freunden.
Es vergingen fünf Jahre, Fabian und ich waren richtig gute Freunde geworden. Ich war immer noch für Frau Gerbel zuständig und wann immer meine Mutter sich telefonisch nach meiner Arbeit erkundigte hörte ich Frau Gerbel wie sie mich lobte. Ich wäre so fleißig und zuvorkommend und sie wäre so glücklich einen Pfleger wie mich zu haben. Meine Brust schwoll an vor Stolz, hatte doch noch nie jemand so direkt ein Lob an mich gerichtet. Ich stand meistens im Zimmer, während Frau Gerbel mit meiner Mutter telefonierte und sie blickte mich während ihrer Worte immer an und lächelte freundlich.
Mit den Jahren wurde es zunehmend schwieriger für mich zu akzeptieren, dass Fabian noch andere Freunde hatte, ich aber nicht. Ich wusste nicht wieso ich mich so mies fühlte wenn er von seinen Erlebnissen mit anderen erzählte oder warum ich heulen wollte wenn er freudestrahlend von irgendwelchen Plänen mit mir unbekannten Personen sprach. Meistens versuchte ich zu lächeln und mir meine Gefühle nicht anmerken zu lassen, doch immer klappte es nicht. So hatten Fabian und ich uns auch schon einige Male heftig gestritten. Fabian war verwöhnt von seinen Eltern und von seiner Oma. Alle die ihn kannten mochten oder liebten ihn und er konnte sich beinahe alles erlauben. Ich hingegen war die kleine graue Maus die an seinem Rockzipfel hing und ohne ihn überhaupt keinen Freund hätte. Und ich war die einzige Person, die Fabian auch einmal Wiederworte gab. Sonst stritt er soweit ich das mitbekam mit niemandem.
Es war mein siebzehnter Geburtstag und ich freute mich riesig darauf Fabian zu sehen. Bisher hatte er mir zu meinem Geburtstag immer etwas geschenkt. Da ich ansonsten von niemandem Geschenke erhielt war das Geschenk von Fabian, egal wie klein, für mich ein unbezahlbarer Schatz.
Eilig rannte ich also am Samstag zu meinem Dienst bei Frau Gerbel. Doch die Türen blieben geschlossen. Ich hatte zwar einen Schlüssel, doch ich hatte mir abgewöhnt diesen zu benutzen seit Fabian vor zwei Jahren splitternackt im Pool schwamm und ziemlich erschrak als ich vor ihm auftauchte. Frau Gerbel war zu dieser Zeit gerade mit Freunden Kaffeetrinken gewesen. Jetzt stand ich vor dem Haus und wusste nicht was ich tun sollte. Nach einem weiteren erfolglosen Klingeln setzte ich mich auf die Stufen vor der Haustüre und wartete.
Es dauerte drei Stunden bis Fabian endlich kam. Er bog mit zwei Jungs um die Ecke und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Die drei waren derart in ihr Gespräch vertieft, dass sie mich erst bemerkten, als Fabian beinahe über mich gestolpert wäre.
„Patrick, was machst du denn hier?“ Fabian lächelte nicht mehr. Er sah mich eher genervt an und seine Stimme machte unmissverständlich klar, dass ihm mein Besuch nicht passte. Völlig vor den Kopf gestoßen stammelte ich eine Antwort die wenig Sinn ergab. „Habe…Frau Gerbel…was?“
Die beiden Typen neben Fabian begannen sich über mich lustig zu machen und Fabians Blick wurde wütend. Ich zuckte zusammen als er herumwirbelte. „Könnt ihr zwei Spacken jetzt auch mal die Klappe halten? Wie wäre es wenn ihr lachenden Hyänen verschwindet!“ Die beiden blickten Fabian völlig überfahren an und wollte irgendetwas antworten, doch der hatte sich bereits wieder zu mir umgedreht, meinen Arm gepackt und zog mich zur Haustüre.
Hinter uns schlug er die Türe laut ins Schloss und legte sogar den Riegel vor. Was war denn jetzt passiert? Was hatte ich den getan?
„Sie hat dir nicht gesagt, dass sie in Kur fährt oder?“ Fabian sah mir direkt in die Augen und mir wurde heiß unter seinem Blick. Das war in letzter Zeit schon ein paar Mal passiert, doch ich konnte mir nicht erklären woran das lag. Mechanisch schüttelte ich den Kopf. Meine Augen wurden immer größer, je näher Fabian mir kam. „Meine Oma ist für eine Woche in Kur. Ich habe sie schon ganz früh heute Morgen zum Zug gebracht. In der Zeit bis sie nächste Woche am Samstag mittags zurück kommt bin ich hier alleine. Ich dachte sie hätte es dir gesagt und du dürftest jetzt eine Woche lang nicht mehr kommen. Aber wie es scheint wollte sie mir eine Freude machen. Dumm nur das sie mir nichts gesagt hat, sonst hättest du nicht draußen warten müssen.“
Fabian lächelte sein unverkennbares Lächeln, das viele Mädchen und auch einige Jungs bereits in den Untergang getrieben hatte und meine Beine wurden weich. Fabian sah mich immer noch mit undefinierbarem Blick an. Ich musste schlucken, wollte den überdimensionalen Klos in meinem Hals hinunterwürgen, doch es funktionierte nicht. Ich war wie gelähmt. Fabians eisblaue Augen fesselten mich und ich merkte wie ich ihn anstarrte. Fabians Blick wurde noch dunkler, ein seltsames Lächeln bildete sich in seinem Gesicht und plötzlich spürte ich seine Lippen auf meinen. Ich wusste nicht was passierte oder warum, aber ich konnte ihn nicht von mir stoßen.
Fabian packte mich und zog mich eng an sich, während seine Zunge plötzlich gewaltsam durch meine Lippen und vorbei an meinen Zähnen in meine Mundhölle glitt. Entsetzt wollte ich aufschreien, doch jedweder Ton wurde von Fabians Mund aufgefangen und seine Zunge begann meine zu streicheln. Meine Hände wusste nicht was sie tun sollten, also legte ich sie auf Fabians Hüften, meine Zunge fühlte sich animiert die Streicheleinheiten zu erwidern und plötzlich vielen mir die Augen zu und ich spürte, wie ich versuchte mich noch näher an Fabian zu drängen. Ein plötzliches Ziehen in meinem Unterleib ließ mich überrascht einen Schritt nach hinten treten wodurch ich mich von Fabian löste. Dieser blickte mich seltsam verhangen an, doch ich wollte wissen was mit meinem Unterleib los war. Ich blickte hinab und meine Hose war wie ein Zelt angehoben. Entsetzt starrte ich die Erhebung an und konnte nicht glauben was hier gerade passierte. So etwas kannte ich nur direkt nach dem Aufwachen. Ich wusste nicht warum das seit einigen Jahren passierte oder was das Aufrichten sollte, doch ich wusste, dass nur eine kalte Dusche ihn wieder zum erliegen brachte.
„Kann ich duschen?“ fragte ich mechanisch. Fabians gehauchtes „Warum“ schickte heiße Schauer zu meiner Körpermitte und ich blickte überrascht auf. Erst nachdem ich wieder einige Male den Klos im Hals versucht hatte hinunterzuschlucken war es mir möglich zu antworten. „Na weil er sonst nicht wieder klein wird!“ Überrascht von dieser dummen Frage hatte ich Fabian direkt angeschaut und dieser blickte mich völlig überfahren an. „Du weißt schon was das ist oder?“ Ich wurde rot. „Na das ist mein Unterleib, mein Pipilein.“ Fabian schlug sich plötzlich gegen die Stirn und schien ein lautes Lachen zu unterdrücken, was einen seltsamen Laut erzeugte der mich erschreckte. Ich verstand nicht warum er meine Antwort so witzig fand und starrte ihn überrascht an.
„Ja, natürlich ist das dein Unterleib oder wie du sagst dein Pipilein." Fabian grinste bei diesem Wort wieder als hätte ich etwas unsagbar dämliches von mir gegeben. Ich wusste nur nicht was. Doch da sprach er auch schon weiter. "Und immer wenn du erregt bist richtet er sich auf. Wenn du dich dann selbst streichelst oder jemand anders das für dich macht, dann geht die Erregung wieder weg. Ist ganz natürlich. Durch das Streicheln bekommst du einen Erguss. Das ist Samen und der ist weiß. Wenn ein Mann in einer Frau so einen Erguss hat, dann kommen die Babys.“
Ich blickte Fabian völlig überfordert an. Wenn das irgendein Anderer erzählt hätte, ich hätte kein Wort geglaubt, aber ich kannte Fabian. Das war nicht das Gesicht das er machte, wenn er mir einen Bären aufband, er wollte wirklich dass ich das verstehe! Doch für mich war das zu viel und ich ging noch einen Schritt rückwärts. Plötzlich packte mich Fabian am Handgelenk und ich wurde hinter ihm her in sein Zimmer geschleift. Angekommen schubste er mich auf sein Bett und drehte sich um, um die Türe abzuschließen. Doch schneller als ich schauen konnte war auch Fabian auf dem Bett und begann mir die Hose runterzuziehen. Ich wollte mich wehren, doch gegen Fabians Muskelkraft konnte ich nicht bestehen und so lag ich kurze Zeit später ohne Unterbekleidung auf Fabians Bett. Dieser begann meine Aufrichtung zu streicheln und ich keuchte überrascht auf. Die Gefühle die mir Fabians Hand bescherte waren mir gänzlich unbekannt aber ich wusste, dass ich sie nie wieder missen wollte. Es fühlte sich herrlich an.
Fabian streichelte mich weiter, umschloss dann aber nach kurzer Zeit meine Pipilein mit seiner Hand und bewegte diese schnell auf und ab. Seine Lippen legten sich hungrig auf meine und seine Zunge drang fordernd in meine Mundhöhle vor. Nach wenigen Bewegungen spürte ich ein Ziehen in mir. Ich wollte mich losreißen, glaubte ich doch ich müsste auf die Toilette, doch Fabian lag halb auf mir und seine Kraft war zu groß um gegen ihn aufbegehren zu können. Gerade als ich mich verzweifelt ergab und den körperlichen Bedürfnissen ihren Lauf ließ zog es heiß in meinem Unterleib und mein Körper begann zu beben. Was da aus mir herausschoss war jedoch kein Urin, sondern ein weißer Glibber. Ich konnte das natürlich erst sehen, nachdem Fabian mich nach einem letzten gierigen Kuss aus seinem Griff entließ und aufstand.
Ich hörte im Badezimmer Wasser laufen und ging davon aus, dass er sich die Hände wusch. Dann sah ich an mir herab und entdeckte die weißen Spritzer. Ich war völlig überfordert, wusste ich doch nicht seit wann mein Körper dazu fähig war etwas derartiges zu produzieren. Ich traute mich nicht den Glibber auf meinem Bauch und meiner Brust anzufassen, sondern kippte erschöpft nach hinten und blieb schwer atmend auf Fabians Bett liegen.
„Das nennt man einen Höhepunkt, was du gerade hattest.“ Ich benötigte noch eine ganze Weile um wieder zu Atem zu kommen und meine rasenden Gedanken zu beruhigen. Dann setzte ich mich auf und blickte Fabian direkt an. Wann war er zurück ins Zimmer gekommen? Doch noch ehe ich mir weitere Fragen stellen konnte kam er auf mich zu und wischte die weißen Spuren mit einem feuchten Tuch von meinem Körper. Mein Unterleib wurde dabei von ihm mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht, was ein unangenehm heißes Kribbeln verursachte, worauf ich mich zusammenkrümmte und so seiner Hand entzog. Nachdem diese völlig Reizüberflutung nachließ setzte ich mich wieder auf. Fabian hatte sich neben mich auf das Bett gesetzte und ich blickte ihn scheu an.
„Hattest du nicht gesagt, dass der Mann in der Frau seinen Samen hinterlassen muss? Aber hier ist keine Frau, also warum will mein Unterleib trotzdem den Samen raus pressen?“ Fabian blickte mich an als wäre ich vom Fleck weg geisteskrank geworden, bevor er sich an diesem Tag erneut an die Stirn schlug und auf sein Bett zurückfallen ließ.
Die nächsten drei Stunden erklärte mir Fabian alles. Über die verschiedenen Ausrichtungen von gleichgeschlechtlicher und mischgeschlechtlicher Symbiose, von der allgemeinen Einstellung der Menschen zu den jeweiligen Richtungen, zu dem Akt an und für sich und noch ein paar andere Dinge.
Mein Kopf pochte als ich mich auf den Weg nach Hause machen musste. Das alles überforderte mich etwas. Als ich daheim ankam und meine Geschwister und Eltern bereits antraf setzte ich mich zu ihnen an den Tisch und versuchte ihrem Gespräch betreffend der Pflege eines alten Herren zu folgen, der anscheinend recht kompliziert war. Irgendwann jedoch platzte mir beinahe der Kopf und ich musste Fragen „Warum lieben sich zwei Männer?“
Meine Eltern verstummten sofort, meine Geschwister schienen nicht zu verstehen und ich verstand noch viel weniger, als plötzlich meine beiden Wangen brannten. Mein Vater und meine Mutter mussten gleichzeitig reagiert haben und mir jeweils einer links und einer rechts eine Backpfeife verpasst haben.
Das nächste was folgte war eine stundenlange Predigt meines Vaters über Abartigkeit und Sünde und noch vieles mehr. Ich verstand nicht alles, doch ich begriff allmählich was Fabian gemeint hatte, als er von der unterschiedlichen Auffassung der Menschen zu diesem Thema sprach.
Erst spät wurden wir aus dieser Predigt entlassen und meine Geschwister und ich rannten in unser Zimmer, als wir endlich vom Tisch aufstehen durften. Da wir vier uns ein Zimmer mit zwei Betten teilten, musste ich ihnen noch erklären wie ich zu einer solchen Frage gekommen war. Ich erzählte so gut ich konnte alles was mir Fabian zuvor erklärt hatte. Doch natürlich war es weder derart ausführlich noch ebenso überzeugend. Meine Geschwister schienen nicht so recht zu wissen was sie mit meiner Erzählung anfangen sollten und wir fanden noch lange keinen Schlaf, weil wir uns tuschelnd über die verschiedenen Dinge die ich heute von Fabian erfahren hatte unterhielten. Torbens kurzer Blick zu seinem Unterleib entging mir jedoch nicht und ich fragte mich, ob er nach dem Schlafen auch immer kalt duschen musste. Vielleicht würde er jetzt aber auch die Methode bevorzugen, die ich von Fabian demonstriert bekommen hatte und die mir eindeutig besser gefiel. Ich hatte ohne meine persönliche Erfahrung einzubringen recht pragmatisch über das streicheln und feste zwischen zwei Fingern rubbeln gesprochen. Doch der Gedanke verließ meinen bereits beinahe im Traum befindlichen Geist und kehrte auch die nächsten Wochen nicht wieder.
Der Sonntag begann für uns alle viel zu früh. Wie jeden Tag ging um halb sechs der Wecker und es galt aufzustehen und sich um den Haushalt zu kümmern, bevor wir zu den uns zugeteilten Patienten mussten.
Niemand wusste, dass unsere Familie bald nicht mehr in dieser Form existieren würde. Ich ahnte noch nicht wie sehr mich meine Familie hassen sollte, weil ich es war der sie zerstörte.
Von den Informationen des letzten Tages noch völlig überfahren beeilte ich mich zu Fabian zu kommen. Da seine Oma nicht zuhause war konnte ich hier sicher noch mehr über das Zusammensein zweier Menschen erfahren, insbesondere über das körperliche. Ich überlegte ob ich klingeln sollte, aber ich kannte Fabian, er war ein Langschläfer. Sonst öffnete mir morgens immer Frau Gerbel die Türe und Florian folgte erst gegen zehn Uhr dem lockenden Duft des Frühstücks.
Jetzt war es aber erst acht Uhr und ich würde ihn wecken, sollte ich jetzt klingeln. Also entschied ich mich, mich auf die Treppen zu setzten und zu warten. Doch noch ehe mein Hintern die Steinstufen berührte wurde hinter mir die Türe aufgerissen. Ich hielt in der Bewegung inne, drehte den Kopf leicht, so dass ich hinter mich schauen konnte und da stand Fabian. Wieso war der schon wach? Doch viel wichtiger, wieso bekam er bei meinem Anblick einen Lachkrampf? Ich versuchte mir vorzustellen was er gerade sah, lief vor Scham rot an und richtete mich wieder gerade auf. Fabian wollte sich nicht mehr beruhigen und hielt sich den Bauch, während er mir mit Handzeichen zu verstehen gab ihm zu folgen. Ich schloss artig die Türe hinter mir und plötzlich fuhren wir beide zusammen. Mein Magen hatte geknurrt, das aber in einer derart ohrenbetäubenden Lautstärke, dass es selbst Fabians Lachkrampf übertönte. Dieser schien sich langsam wieder zusammenzureißen. „Lass mich raten, sie haben dir abends wieder nichts zu essen gegeben und weil Oma nicht hier war haben auch wir beide den ganzen gestrigen Tag nichts gegessen. Stimmts oder hab ich Recht?“ fragte er mich zwinkernd. Erneut lief ich rot an. Doch Fabian packte einfach meine Hand und zog mich hinter sich her in die Küche. Dort öffnete er den Kühlschrank und drückte mir einfach alles was er so fand in die Hand. Von Marmelade über Käse, zu Wurst und Aufstrichen.
Es war ein lustiges Frühstück geworden. Fabian hatte viele Scherze gemacht, ich hatte viel zu viel gegessen und musste den obersten Knopf meiner Hose öffnen aber dennoch war es einer der schönsten Tage meines Lebens. Warum konnte ich nicht sagen. Ich fühlte mich so wohl bei Fabian und ich war so glücklich ihn nur für mich zu haben. Dass er sich immer wieder zu mir lehnte um mir dabei beinahe scheue Küsse zu rauben ließ mein Herz rasen. Auch wenn ich keine Ahnung hatte was mit mir los war und wieso ich so auf Fabian reagierte hatte ich beschlossen es einfach zu genießen. Ich würde hier nichts hinterfragen, nicht wenn es um Fabian ging. Denn Fabian war die Person, der ich mehr vertraute als allen anderen.
Wie er mich hungrig fixierte, mich immer wieder berührte und mich damit beinahe in den Wahnsinn trieb, das war der Himmel. Die Hölle würde folgen, doch noch war mein Geist viel zu verklärt um auch nur zu realisieren, dass es noch etwas anderes außer Fabian geben sollte.
Irgendwann schien mein Magen wieder etwas beruhigt, das ganze Essen im Verdauungstrakt auf dem richtigen Weg und plötzlich lag Fabians Hand an meinem Arm. Er zog mich hoch und mit sich in sein Zimmer. Wieder landete ich auf seinem Bett, während er die Türe hinter uns verschloss. Wieso er abschloss konnte ich nicht sagen, immerhin war Frau Gerbel in Kur und würde uns nicht stören, doch ich hinterfragte es nicht weiter. Fabian kam auf mich zu. Als er sein T-Shirt über den Kopf zog und ich seine Brust- und Oberarmmuskulatur in ihrer ganzen Pracht bewundern durfte begann ich tatsächlich zu sabbern. Obwohl ich ihn doch bereits so oft in Badehosen gesehen hatte war dieser Anblick jetzt anders. Ich wusste, würde meine Hose nicht bereits spannen, dann wäre es spätestens jetzt soweit. Ich vermeinte auch ein leichtes Zucken in meiner unteren Region zu spüren, doch Fabians Anblick lenkte mich viel zu sehr ab, als das ich mich jetzt auf derart Banales hätte konzentrieren können.
Wie im Traum sah ich Fabians Hosen über seine Beine nach unten rutschen. Mein Blick wollte ihr folgen und die gut definierten Beinmuskeln bewundern, doch ich blieb an seinem aufgerichteten Unterleib hängen. Wegsehen war nicht mehr möglich. Feucht glänzte er mir verführerisch entgegen, während ich meinte keine Luft mehr zu bekommen. Meine Atmung war flach und beinahe verzweifelt, ich merkte auch, dass ich wimmerte und wie sehr Fabian gefiel was er da in mir auslöste. Plötzlich war er bei mir, zog mir die Kleider in einer beinahe fließenden Bewegung vom Leib und dann spürte ich nur noch ihn. Es gab nur noch Fabian überall um mich herum.
Irgendwann entfernte er sich und dann spürte ich etwas Seltsames an meinem Unterleib, doch seine Lippen fingen die meinen wieder ein und ich vergaß sofort den Vorsatz nachzusehen. Ich war bereits unrettbar verloren, doch das war mir in diesem Moment noch nicht klar.
Als Fabian sich plötzlich aufsetzte, dann über mir in die Hocke ging um sich dann ganz sachte und vorsichtig auf meinen Unterleib zu setzten war für mich unglaublich mit anzusehen. Ich konnte mich nicht entscheiden ob ich auf die Stelle starrte, die uns immer enger miteinander verband, oder in Fabians rot schimmerndes und in Genuss verzerrtes Gesicht. So jagte mein Blick hin und her bis mir schwindelig wurde. Dann berührte sein Hintern mich. Und Fabian lies ein Wimmern vernehmen. Entsetzt blickte ich auf und direkt in seinen verhangenen Blick. Tat ich ihm weh? Machte ich etwas falsch? Was erwartete er jetzt von mir?
Doch alle Fragen verschwanden als Fabian begann sich zu bewegen. Himmel war das intensiv. Ich vermochte mich auf nichts mehr zu konzentrieren, nicht einmal mehr auf Fabian. Ich fühlte nur noch. Und was ich fühlte war unglaublich. Mir schossen die Tränen in die Augen und liefen meine Wangen hinab, als es beinahe zu intensiv wurde und Fabian beugte sich vor und küsste sie weg. Als er ein leises „Ich liebe dich“ in mein Ohr hauchte war es um mich geschehen. Ich krümmte mich und der Samen verließ seine Lagerstation. Fabian bewegte sich noch zwei oder drei Mal schnell auf mir, ehe auch er zuckte und meinen Bauch und meine Brust mit weißen Klecksen dekorierte.
Sein ganzer Körper schien zu erschauern, bevor er in sich zusammensackte und auf mir landete. Ein herrliches Gefühl. Ich umschlang ihn und wollte ihn nie wieder los lassen. So schliefen wir eng umschlungen nebeneinander ein.
Ein penetrantes Klingeln weckte mich. Ich benötigte einige Augenblicke um mich zu orientieren. Ich lag nicht in meinem, sondern in Fabians Zimmer und er schmiegte sich seitlich an mich. Doch das Klingeln schien auch ihn zu wecken, denn er begann sich immer unruhiger zu bewegen. Irgendwann schlug er die Augen auf und stöhnte ergeben. Dann krabbelte er über mich hinüber und ging auf seinen Schreibtisch zu. Hier lag ein Handy. Das hatte ich bei Fabian noch nie gesehen, es musste neu sein. Er nahm das Gespräch an in dem er seine Mutter begrüßte.
Ich wollte nicht lauschen und fühlte mich klebrig, also begab ich mich in das angrenzende Badezimmer. Ich hatte schon oft bei Fabian duschen dürfen, weshalb ich nicht lange zögerte und unter den warmen Duschstrahl trat.
Ich benötigte maximal fünf Minuten, doch als ich das Bad wieder verließ schien Fabians Laune sich geänderte zu haben. Er blickte mich nicht mehr intensiv, sondern überlegend an. Ich wollte auf ihn zu gehen, doch er bückte sich und reichte mir meine Kleidung. Überrascht nahm ich wahr, dass Fabian komplett eingekleidet war. Da ich nicht wusste wie man sich in einer derartigen Situation benahm tat ich es ihm gleich. Fabian erwähnte kurz, dass es bereits 18 Uhr wäre und ich nicht zu spät nach Hause kommen sollte, weil seine Oma nicht da war um ein Telefongespräch mit meiner Mutter zu führen. Ich fühlte mich seltsam, sagte aber nichts. Fabian würde schon wissen was das Richtige war, ich wusste im Moment nämlich überhaupt nichts mehr.
Ich verließ das Haus mit einem kurzen Gruß in seine Richtung und machte mich auf den Weg nach Hause.
Fabian hatte gesagt, dass er mich liebte. Diese drei kleinen Worte sorgten dafür dass ich mich wieder wie auf Wolken schwebend fühlte. Zuhause war die Stimmung gedrückt. Meine Eltern schienen über meine Verspätung nicht erfreut und ich musste mir von meiner Mutter eine kurze Strafpredigt dazu anhören, dass Pünktlichkeit eine Tugend wäre und ich als ihr Sohn diese gefälligst zu beherrschen hätte.
Doch ich war noch lange nicht weit genug in die Realität zurück gekehrt um ihre Worte ernst zu nehmen. Wieder saßen alle in der Küche und ich spürte das breite Grinsen in meinem Gesicht. Es wollte auch während der Predigt meiner Mutter nicht daraus verschwinden, obwohl es sie reizte und ich das merkte. Irgendwann schrie sie mich an was denn so lustig wäre und damit läutete sie das Ende unserer Familie ein, denn die Worte „Ich liebe Fabian.“ Purzelten aus meinem Mund.
Entsetztes Schweigen war die Folge, Schreien und Schläge folgten. Ich erinnere mich nicht mehr an viel. Mein Vater und meine Mutter schrien mich an das ich nicht ihr Sohn sondern eine Missgeburt wäre, während sie mit Händen und Gürteln auf mich einschlugen. Sie trafen nie mein Gesicht, sondern zielten auf meine Brust und meinen Rücken. Irgendwann packte mein Vater mich am Arm und zerrte mich in unser Kinderzimmer. Dort hatte ich nicht einmal fünf Minuten um meine Sachen zu packen. Ich brauchte nur drei.
Zu meinem Glück hatte ich vor kurzem eine große Plastiktüte von unten mit hoch genommen, denn so etwas wie Reisetaschen besaßen wir nicht. In diese Tüte stopfte ich meine komplette Kleidung. Da ich nicht viel besaß passte alles hinein. Für die Schule räumte ich alle Bücher und Hefte sowie Stifte in meinem Schulrucksack, was auch recht zügig erledigt war und dann stand ich wieder vor meinem Vater, der mich erneut packte und bis zur Haustüre zog. Dort angekommen nahm er mir meinen Schlüssel ab und knallte mir dann die Türe vor der Nase zu. Es war noch ein Satz wie „Und wage es ja nie wieder mir unter die Augen zu kommen!“ zu hören, dann wurden im Haus die Lichter gelöscht. Irgendwie brachte mich die Art wie er das gesagt hatte und die mich umgebende Dunkelheit wieder in die Realität und ich begann zu verarbeiten was gerade passiert war.
Das für mich in diesem Moment wichtigste war die Erkenntnis, dass ich Fabian liebte. Da er mir seine Liebe auch gestanden hatte würden wir jetzt glücklich werden können. Das wusste ich aus Geschichten die wir in der Schule gelesen hatten. Zwei die sich liebten wurden immer glücklich.
Erst nach dieser erfreulichen Erkentnis wurde mir klar, dass ich gerade aus meinem Zuhause rausgeworfen worden war und nicht wusste wo ich hin konnte. Obdachlos!
Entsetzt starrte ich die Türe vor mir noch gut eine viertel Stunde an, bevor ich es schaffte meine plötzlich extrem schweren Beine anzuheben und zu gehen. Ich musste jetzt zu Fabian. Verrückt war, dass ich gar nicht daran dachte bei ihm unterschlüpfen zu können, ich wollte ihn lediglich um Rat fragen.
Den ganzen Weg grübelte ich darüber nach warum mein Vater mich plötzlich nicht mehr sehen wollte. Hatte ich mich etwa verändert? Sollte meine Liebe zu Fabian irgendetwas an mir ekelhaft gemacht haben? Doch beim Blick in die dunkeln Schaufenster der Einkaufspassage die auf dem Weg zwischen Fabians Zuhause und meinem lag, konnte ich nichts erkennen. Ich sah doch aus wie immer. Müde trat ich auf Fabians Haus zu. Es war hell erleuchtet und ein teuer aussehender schwarzer Wagen stand in der Einfahrt. Ob seine Oma doch schon wieder zurück war? Vielleicht hatte es ihr in der Kur ja nicht gefallen?
Ich stellte meine Tasche und meinen Schulranzen unten an der Treppe ab, bevor ich die paar Stufen hinauf stieg um zu klingeln. Ich hörte eilige Schritte und dann riss Fabian die Türe auf. Er blickte mich erst überrascht und dann verschlossen an.
„Was machst du denn hier?“ fragte er genervt. Seine Reaktion tat weh. Ich wusste nicht warum, doch es tat weh und mir wollten die Tränen in die Augen schießen. Doch vorerst konnte ich das noch unterdrücken. „Mein Vater hat mich rausgeworfen, nachdem ich gesagt habe, dass ich dich liebe.“ Meine Stimme hatte seltsam belegt geklungen. Anscheinend nahm mich das alles doch deutlich mehr mit als ich es mir selbst gegenüber bisher eingestanden hatte. Fabian ließ mir jedoch keine Zeit eine wirkliche Analyse meines Zustandes durchzuführen, denn plötzlich funkelte er mich wütend an. „ACH UND DA MEINST DU JETZT HIER UNTERTAUCHEN ZU KÖNNEN? DU DUMME KLEINE SCHMAROTZENDE SCHWUCHTEL! VERGISS ES UND VERPISS DICH!“
Er verpasste mir mit der flachen Hand einen Stoß auf den von den, vorher durch meine Eltern erhaltenen Schlägen immer noch empfindlichen, Oberkörper und ich fiel die vier Treppenstufen hinab und landete hart auf meinem Hinterteil. Völlig entsetzt starrte ich zu Fabian auf, doch da war er schon wieder im Haus und hatte die Türe geschlossen.
Ich schaffte es nicht mehr gegen die Tränen anzukämpfen. Ich quälte mich wieder auf die Beine und kramte nach dem Haustürschlüssel von Frau Gerbel, den ich in den Briefkasten steckte, bevor ich mich müde wieder zu meinem Hab und Gut links neben mir begab. Wo ich hin sollte wusste ich nicht, doch es war mir auch egal. Alles war mir egal, denn Fabian hatte mich als Schmarotzer bezeichnet. Das andere Wort kannte ich nicht, doch es hatte auch nicht freundlich geklungen, weshalb ich von einer Beleidigung ausging. Die Tränen wollten nicht versiegen und ich nahm nicht wirklich wahr wo meine Beine mich hintrugen.
Irgendwann fand ich mich auf dem alten Spielplatz wieder. Hier waren wir früher oft vorbeigelaufen, wenn wir zu dem jähzornigen Herrn Meilig mussten. Damals war ich noch keine sieben Jahre gewesen und schaute immer sehnsüchtig den anderen Kindern beim Spielen zu. Ich wollte auch so gerne einmal auf diesen Spielplatz und jetzt war ich hier. Über zehn Jahre später stand ich verloren auf dem leeren Platz und wünschte mir ein Loch in dem ich verschwinden könnte. Zu allem Unglück begann es natürlich auch noch zu regnen. Doch der Spielplatz hatte eine Art Burg aus Holz in der ich Zuflucht suchen konnte. Es war nicht gänzlich trocken und roch ekelhaft, aber mehr hatte ich nicht. Meine Kleider in der Tüte umwickelte ich so gut ich konnte mit dem Plastik, damit sie nicht nass wurden und meinen Schulranzen stellte ich in die einzig trockene Ecke um dann die Tüte darauf zu legen. Ich setzte mich auf den feuchten Boden, lehnte mich gegen die Tüte und schlief dann erschöpft ein.
Eine große und raue Hand weckte mich indem sie an meiner Schulter rüttelte. Nur langsam kehrte ich aus den Wirren meiner Träume zurück, die ich auch schon nicht mehr greifen konnte. Mit einem harten Schlag landete ich wieder in der Gegenwart, als mir die Vorkommnisse des letzten Abends zurück ins Gedächtnis drängten. Tränen rannen erneut über meine Wangen und ich vermochte nicht sie zu stoppen. Durch den Tränenverhangenen Blick erkannte ich einen Polizisten, der mich bestürzt anschaute. Sein Mund bewegte sich, doch kein Laut drang an meine Ohren. Ich konnte nur noch meine Beine an den Körper ziehen und schluchzen.
Plötzlich packte mich die Hände etwas grober und zogen mich aus meinem Versteck. Ich erinnerte mich an meinen Besitz und riss mich los um zurück zu hechten und meine Plastiktüte und meinen Schulranzen zu schnappen. Ich stellte den Ranzen zwischen meine Beine und umklammerte die Plastiktüte mit beiden Händen vor meiner Brust. Ich hatte kein Zuhause mehr, keine Freunde, keine Familie. Das bisschen was mir noch blieb würde ich mit meinem Leben beschützen!
Der Polizist blickte mich stirnrunzelnd an, bevor er mich wieder an der Schulter packen wollte. Doch jetzt durchfuhr ein heißer Schmerz mich, als seine Hände die Schulter nur leicht berührten. Sofort zog er die Hand zurück und blickte mich fragend an. Ich war jedoch selbst völlig perplex. Der Schmerz war derart schrecklich gewesen, dass ich meine Plastiktüte hatte fallen lassen. Vorsichtig hob ich das T-Shirt hoch und blickte überrascht auf grüne, blaue und gelbe Flecken. Rote Striemen verliehen meinem Oberkörper noch den letzten Farbtupfer und ich überlegte kurz woher diese Verfärbungen kamen.
Ein seltsames Geräusch des Polizisten ließ mich seiner Gegenwart wieder gewahr werden, doch er hatte plötzlich ein Funkgerät in der Hand und rief einen Krankenwagen. Das verstand ich jedoch nicht, denn seine Worte drangen immer noch nicht in verständlicher Weise zu mir durch, ich nahm sie lediglich als verzerrte Geräusche war.
Der Notarzt kam sehr schnell und ich fragte mich was er hier wollte, bis man mir mein T-Shirt gänzlich auszog und ich eindringlich betrachtete wurde. Der Notarzt war aber nicht lange da, dann kam schon der Krankenwagen in den ich vorsichtig geschoben wurde. Meinen Rucksack und meine Plastiktüte trug der Polizist neben mir her und stellte sie in den Krankenwagen. Ich wusste nicht was das hier sollte. Wieso wurde ein Notarzt gerufen? Und wieso sollte ich hier im Krankenwagen sitzen?
Erst viel später wurde mir klar, dass ich unter Schock gestanden hatte. Denn verständliche Worte waren auch im Krankenwagen nicht zu mir durchgedrungen, der Schmerz meines Körpers kam auch immer nur Bruchstückhaft in meiner Wahrnehmung an. Wirklich klar wurde ich erst wieder drei Tage später. Ein Psychologe unterhielt sich mit mir und ich erzählte alles. Es tat unsagbar gut alles raus zu lassen. Wie ich zu den Verletzungen kam, warum ich weinte, wieso ich auf dem Spielplatz geschlafen hatte, wie sehr ich es hasste keine Zeit zu haben und immer nur in der Altenpflege helfen zu müssen und noch so vieles mehr verließ in den nächsten Stunden meinen Mund und der ältere Herr vor mir machte sich manchmal einige Notizen. Was er da schrieb interessierte mich nicht, wichtig war für mich nur ihm alles zu erzählen, dass mir auf der Seele lag. Der Mann sah mich seltsam an als ich über die Geschehnisse mit Fabian sprach. Erst später verstand ich wie ungewöhnlich es war mit 17 noch keine Ahnung von der körperlichen Seite einer zwischenmenschlichen Beziehung zu haben.
Nach diesem befreienden Gespräch durfte ich zurück in mein Krankenzimmer.
Ich blieb noch vier Tage im Krankenhaus. Der Psychologe besuchte mich täglich und auch der Polizist, der mich gefunden hatte stand regelmäßig in meinem Zimmer. Nach den vier Tagen wurde ich in eine Art betreutes Wohnen gesteckt.
Drei Wochen später holte mich der Polizist ab damit ich meine Aussage machen konnte. Ich wusste nicht was er meinte, doch ich hatte gelernt, dass er nett zu mir war und das bedeutete mir im Moment unsagbar viel. Auf dem Polizeirevier begegnete ich meinen Geschwistern. Und meine Welt brach noch einmal und noch weiter zusammen. Sie hassten mich. Sie schrien mich an was ich mir dabei dachte derartige Lügen zu verbreiten und ihnen ihr Zuhause wegzunehmen. Meine ältere Schwester verpasste mir sogar eine Backpfeife und Torben spuckte mir vor die Füße. Ich blickte sie an und vermochte nichts mehr zu fühlen. Ich funktionierte lediglich noch. Der Polizist schirmte mich vor meinen Geschwistern ab und führte mich in einen Raum. Dort las er mir einige Dinge vor, die ich dem Psychologen erzählt hatte und fragte ob das alles der Wahrheit entspräche. Ich musste unterschreiben und dann fuhr er mich wieder in das betreute Wohnen. Ich spürte nicht mehr wie die Zeit verging, Erzählungen nach muss ich fast drei Monate in dem betreuten Wohnen mit drei anderen Teenagern zusammengelebt haben. Es gab auch einen Betreuer, doch ich erinnere mich an keine der Personen.
Der Polizist hatte sich stark gemacht und so wurde ich in seine Obhut übergeben. Da er eine Versetzung beantragt hatte zogen wir direkt nach meinem Auszug aus dem betreuten Wohnen in eine gut 700 km entfernte Stadt.
Marcel und seine Frau Anika sind toll. Sie passen seit dem auf mich auf, kümmerten sich liebevoll darum, dass ich auf den Stand eines wirklichen siebzehnjährigen kam und ich erhielt zum ersten Mal in meinem Leben Taschengeld und das Gefühl wirklich geliebt zu werden. Ab und zu wollte Marcel wissen ob ich meine Geschwister wiedersehen möchte, doch ich wollte nicht einmal ihre Namen erwähnt wissen. Das Wissen ihnen ihr Heim genommen zu haben tat weh. Auch wenn ich zwischenzeitlich langsam zu lernen begann, dass meine Eltern uns ausgenutzt und uns unserer Kindheit beraubt hatten, so war es doch wenigstens ein Heim gewesen.
Schlimm wurde es, als ich plötzlich ein Schreiben erhielt laut dem meine Eltern nicht wie wir immer dachten ehrenamtlich tätig waren, sondern unsere Arbeitskraft als ungelernte Betreuer teuer verakuft hatten. Sie waren jedes Jahr drei bis vier Wochen weggefahren, angeblich auf Seminare und Weiterbildungen. Sie hatten immer irgendwelche lächerlichen Broschüren zur Altenpflege mitgebracht, die wir dann ganz intensiv studieren und teilweise sogar auswendig lernen mussten. Doch tatsächlich waren sie auf keiner Weiterbildung, sondern von dem durch uns Kinder hart verdientem Geld in Urlaub geflogen.
Sämtliches Vermögen meiner Eltern wurde zusammengezählt und durch vier geteilt. Jedem von uns Kindern sollte also ein Anteil des noch verbliebenen, von meinen Eltern zu unrecht einbehaltenen Geldes zukommen. Doch ich wollte mit diesem Leben nichts mehr zu tun haben. Also lehnte ich ab und gab an, dass mein Anteil unter meinen Geschwistern aufgeteilt werden sollte. Vielleicht würden sie damit etwas leichter über den durch mich verschuldeten Verlust unserer Familie hinwegkommen. Ich hoffte aber auch, dass sie in Familien gekommen waren, die ebenfalls so liebevoll wie Marcel und Anika waren.
Von Fabian hörte ich nie wieder etwas und das war gut so. Ich hatte unglaublich lange gebraucht um über die Verletzungen, die er mir zugefügt hatte hinweg zu kommen. Bisher hatte ich noch nicht eine längerfristige Beziehung führen können, weil ich immer darauf wartete, dass mein Partner mich als Schmarotzer beschimpfte und verließ. Durch das fehlende Vertrauen in mein jeweiliges Gegenüber konnte natürlich auch nichts Festeres entstehen und meine Partner verließen mich innerhalb von drei Monaten wieder. Wenn ich nicht Marcel und Anika gehabt hätte und dann noch in der Schule Kilian und Sebastian dazu gekommen wären, dann währe ich heute sicher komplett Bindungsunfähig. Doch so beschränkte sich diese Unfähigkeit zu meinem Glück lediglich auf den Bereich intimer Beziehungen.
Langsam beruhigte sich mein Atem wieder und ich erkannte wie jämmerlich es war sich heulend auf der Toilette zu verkriechen, nur weil die Jugendliebe, die einen tief verletzt hatte, plötzlich im selben Raum wie man selbst auftauchte. Es war immerhin eine Spendengala und der Raum war riesig. Wieso also sich derart aufregen, weil Fabian sich in selbigen befand? Er hatte mich ja noch nicht einmal bemerkt!
Ich holte einige Male tief Luft und entschied mich dazu den Abend zu genießen, egal wo Fabian Gerbel sich aufhielt!
Langsam drückte ich mich mit dem Rücken an der Türe wieder nach oben. Dann lauschte ich, damit ich sicher sein konnte mit dem tränennassen Gesicht nicht auf unerwartete andere Nutzer dieser Örtlichkeit zu treffen, bevor ich die Türe aufschloss und eilig zum Waschbecken rannte. Ich würde mir kaltes Wasser ins Gesicht werfen und hoffte so die Spuren meines unmännlichen Zusammenbruchs beseitigen zu können. Nach dem vierten Schwall Wasser konnte ich mich schon fast wieder sehen lassen. Meine wässrig grünen Augen waren zu meinem Glück kaum gerötet und meine Nase war auch nicht verstopft gewesen. Ein letzter Schwall Wasser und dann wollte ich zurück zu meinen Freunden.
Genau als ich mich über das Spülbecken beugte öffnete sich die Türe hinter mir. Während ich das Wasser einschaltete hörte ich den Reißverschluss des Neuankömmlings der anscheinend geöffnet wurde. Die weitere Geräuschkulisse verschwand als ich mich tiefer vorbeugte und somit nur noch das Rauschen des Wassers vor mir hören konnte. Als dieses verstummte weil ich den Wasserhahn ausschaltete war der Neuankömmling anscheinend ebenfalls fertig, denn ich verfolgte noch die letzten Töne die beim Schließen seines Reißverschlusses entstanden, während ich nach dem Handtuchpapier tastete.
Mit dem Papier vor den Augen stellte ich mich aufrecht hin und trat blind einen Schritt zur Seite, damit der andere sich die Hände waschen konnte.
Der Wasserhahn wurde wieder eingeschaltete und ich nahm das Handtuchpapier von meinem Gesicht, wodurch ich direkt in den Spiegel und in entsetzte eisblaue Augen blickte. Mist, Fabian!
Seltsam, wie gelassen mein Gesichtsausdruck im Spiegel wirkte, denn mein Innerstes schien schreiend die Flucht ergreifen zu wollen. Doch ich schaffte es ihm zuzunicken und mich dann in gemäßigter Geschwindigkeit umzudrehen. Ich spürte seinen Blick in meinem Rücken während ich den Raum verließ, doch ich würde nicht vor ihm davonrennen!
Als ich an den Tisch zu Sebastian und Kilian kam ließ ich mich völlig erschöpft auf meinen Stuhl fallen. Sie sahen mich wissend an. Wie es schien hatten sie verfolgt wohin Fabian verschwunden war und zählten nach dem Blick auf mich eins und eins zusammen. Plötzlich versteifte sich Kilian neben mir und in der nächsten Sekunde fand ich mich in einer innigen Umarmung mit ihm wieder. Seine Lippen lagen an meinem linken Ohr und hauchten ein leises „Er kommt her“ hinein, was mich den Halt verlieren und mich an Kilian festklammern ließ. Doch es dauerte nur Sekunden bis ich mich wieder in der Gewalt hatte und Kilian den festen Griff um meine Hüften etwas löste. Für Außenstehende sahen wir wie ein Pärchen aus. Das war schon länger ein Trick von uns beiden, um uns unliebsame Flirts zu ersparen. Ich verstand zwar nicht warum Kilian als Hetero mitspielte, doch anscheinend waren unliebsame Bekanntschaften mit Frauen ebenso leicht abzuschütteln wie die mit Männern, indem wir diese Scharade vorführten.
„Patrick, kann ich dich bitte einmal sprechen?“ Klang es plötzlich an meine Ohren. Kurz drohten mir erneut die Beine wegzusacken, doch Kilians Griff um meine Hüften war immer noch stark genug um mich aufrecht zu halten. Ich drehte mich in Kilians Armen, so dass ich mit dem Rücken an seine Brust gelehnt stand zu Fabian um und blickte ihn emotionslos an. Das war wirklich schwierig, denn was ich sah verwirrte mich. Fabian blickte mich nicht überheblich oder arrogant an. Er wirkte eher, ja beinahe würde ich schätzen, verletzt. Wieso sah er mich so an? Was wollte er denn noch von mir? Hatte er mir nicht bereits alles genommen, was könnte ich ihm denn noch geben, was er nicht schon längst besaß?
Ich erinnerte mich an seine Frage und nickte ihm zu. Sein Blick verdunkelte sich kurz, als er ihn auf Kilian richtete um dann wieder in die Verzweiflung zu gleiten, als er mich fixierte. „Wenn es geht bitte alleine.“
Seit wann war Fabian denn so dermaßen zurückhaltend? Ihn hatte es doch noch nie gestört ob jemand unbeteiligtes gelauscht hatte. Ganz im Gegenteil, gerade dann hatte er sehr ausschweifend und genau berichtete können. Meist waren das dann Themen bei denen der Lauscher rot anlief und Fabian dann über dessen überrumpelten Gesichtsausdruck lachen musste. Doch mit mir wollte er alleine sprechen? Ich schüttelte mechanisch den Kopf. Meine Stimme klang überraschend sachlich als ich ihm zusätzlich zu meinem Kopfschütteln eine mündliche Antwort gab „Ich wüsste nicht was du mit mir zu besprechen hast, dass Kilian und Sebastian nicht hören sollten.“ Fabian fixierte noch einmal Kilian und danach Sebastian mit einem Blick, der sicher jedes Monster vertreiben würde, doch meine Freunde standen zu mir. Sie würden mich niemals mit dem Monster meiner Vergangenheit alleine lassen, wenn ich das nicht ausdrücklich wollte.
Fabian holte tief Luft. Wofür wappnete er sich denn jetzt? War ich es nicht, der sich wappnen musste? Der beinahe verzweifelte Klang seiner Stimme ließ mich aufhorchen und ich versank in den eisblauen Augen vor mir. „Hast du eine Ahnung wie wir dich gesucht haben? Du bist einfach verschwunden und hast uns alle alleine gelassen. Nicht nur mich, sondern auch deine Geschwister! Wir haben dich gesucht, doch du hast dich versteckt. Niemand durfte uns Auskunft geben, das Geld dass dir von deinen Eltern zustand hast du abgelehnt und sogar der Versuch dich über eine private Detektei ausfindig zu machen hat versagt. Sabrina, Torben und Susanne waren am Boden zerstört und Sabrina konnte nicht aufhören zu weinen, als der Detektiv uns mitteilte, dass du nicht gefunden werden könntest. Aber sie haben immer noch nicht aufgegeben. Sabrina googelt deinen Namen täglich, Torben ist in der Ausbildung zum Polizist um dich dann auf diesem Wege zu finden und Susanne durchforstet jede Seite der Sozialen Netzwerke auf der Suche nach einem Bild von dir. Sie haben nicht aufgegeben, sie wollen dich sehen, ich will dich sehen!“
Völlig überfahren blickte ich Fabian an. „Was soll das denn jetzt heißen? Sabrina hat mir eine Ohrfeige verpasst weil ich angeblich unsere Familie zerstört hätte, Torben spuckte mir vor die Füsse und alle drei haben mir die übelsten Schimpfnamen gegeben die sie zu dieser Zeit kannten. Unsere Eltern sind meinetwegen eingesperrt worden und unsere Familie habe ich zerstörrt. Wieso sollten sie mich suchen? Und was willst du überhaupt von mir – dummen schmarotzenden Schwuchtel--? Das waren doch deine Worte oder?“
Meine Stimme klang erneut für mich völlig unvorbereitet komplett emotionsfrei. Ich blickte Fabian an und merkte, wie der Sog seiner eisblauen Augen plötzlich durch glitzernde Tränen verstärkt wurde. Ich spürte Kilians Arme hart um meinen Bauch, als ich mich gerade zu Fabian bewegen wollte um ihn zu trösten. Doch Kilian hatte es genau gespürt und mich für alle anderen unsichtbar zurückgehalten. Ich lehnte mich noch näher an ihn um Halt zu haben und spürte seinen Atem in meinem Nacken. Sebastian nahm ich im Augenwinkel wahr, doch sein Gesichtsausdruck wirkte seltsam. Glaubte er Fabian etwa?
„Das war der größte Fehler meines Lebens, den ich noch heute bereue. Aber verflixt Patrick, wir waren doch allesamt noch halbe Kinder, was erwartest du? An dem Abend waren meine Eltern zu Besuch um zu prüfen ob ich ohne Oma auch keinen Blödsinn mache und plötzlich stehst du vor der Türe. Ich war überfordert, weil meine Eltern doch noch nicht wussten, dass ich mich nicht in Mädchen verlieben konnte, dass ich schon solange ich denken konnte immer nur an dich dachte. Ich war erst 17 Jahre alt und völlig unfähig in so einer Situation richtig zu reagieren. Nichts was ich an diesem Abend vor meiner Türe zu dir gesagt habe war ernst gemeint! Nachdem ich die Türe geschlossen hatte wollten meine Eltern wissen wer denn geklingelt hätte und irgendwie habe ich ihnen da alles erzählt. Sogar Sachen die ich Oma niemals erzählt hätte, wie dass du kein Taschengeld und keine Freizeit hast, dass deine Eltern von euch verlangen den kompletten Haushalt zu führen und deine jüngeren Geschwister teilweise bereits pflegebedürftige Patienten komplett alleine betreuen müssen und das ohne Ausbildung. Das ihr Daheim praktisch nie etwas zu Essen bekommt, sondern bei den Patienten mitessen müsst und dass ihr zwar Klassenbeste sein müsst aber nur 1 Stunde unter der Woche zugestanden bekommt um zu lernen, Hausaufgaben zu machen oder Projektararbeiten zu erledigen. Mein Vater und meine Mutter waren stink sauer dass ich dich einfach vor der Türe hatte stehen lassen und ich habe die erste und letzte Backpfeife meines Lebens von meinem Vater bekommen. Wir sind los und haben dich gesucht, sogar bei dir zuhause. Aber dein Vater hat nur rumgeschrien und wollte mir sogar eine verpassen, doch mein Vater hat ihn relativ schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Dein Vater war völlig überfahren, als er plötzlich nach dem Kinnhacken meines Vaters vor uns am Boden saß und deine Mutter hat geschrien. Wir sind wieder los dich weiter suchen. Wir waren vom Regen total durchnässt als wir Stunden später völlig erledigt und ohne Erfolg nach Hause kamen. Meine Mutter hatte zwischenzeitlich die Polizei informiert, doch man konnte nichts machen, weil sie ja nicht deine Mutter war.
Ich weiß ja, dass ich dich damals verletzt habe aber hast du ernsthaft geglaubt ich hätte die ganzen 5 Jahre unserer Freundschaft nur gespielt? Ernsthaft? So dumm bist du nämlich nicht, dass ich dir das glaube! Ich habe dir weh getan und das tut mir unendlich leid. Du bist meine erste Liebe und dich zu verletzten war das letzte was ich wollte aber ich kann es nicht mehr ändern, ich kann mich nur noch dafür entschuldigen.“
Fabians Stimme hatte sämtliche Kraft verloren, seine Augen waren gesenkt und schwammen in Tränen. Ich hatte ihn noch nie weinen gesehen. Es schnürte mir die Kehle ab. Was hatte er da gerade alles gesagt? Wir waren Kinder gewesen? Was ich von Kindern erwarten würde in so einer Situation?
Nichts, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Ich würde von Kindern in so einer Situation absolut nichts erwarten. Denn die Situation musste sie ja überfordern.
Ich blinzelte, hatte ich mir all die Jahre nur etwas vorgemacht? Sollte ich tatsächlich all die Jahre ganz umsonst gelitten haben? Wäre alles mit einem Anruf, oder einem Treffen aus der Welt geschafft gewesen? Konnte ich mir ernsthaft selbst so dermaßen im Weg gestanden haben?
Kilian drückte mich kurz, dann löste er seinen Griff. Er gab mich frei, frei um mich zu entscheiden ob ich Fabian glauben wollte oder nicht. Er tat es und ein kurzer Blick zu Sebastian zeigt mir, dass auch er Fabian glaubte. Hatte ich wirklich all die Jahre derart falsch gelegen?
Fabians Stimme riss mich aus meinen rasenden Gedankengängen und ich war ihm dankbar für die Ablenkung.
„Und zu deinen Geschwistern, sie waren doch alle selbst noch Kinder. Selbst Sabrina mit ihren fast 20 Jahren war von der Entwicklung her gerade mal so weit wie eine frisch pubertierende 13jährige. Was erwartest du wenn du einem Teeni seine gewohnte Umgebung wegnimmst und er nicht weiß wie es weitergehen soll? Sie hatte einfach Angst. Angst vor der ungewissen Zukunft, Angst vor einem Kinderheim, Angst davor alleine alt werden zu müssen, weil ihre Geschwister von ihr getrennt würden. Mehr war es nicht, war es nie. Sie hatte einfach nur Angst weil sie nicht wusste was jetzt werden sollte. Auch Torben und Sabrina wussten es nicht und darum haben sie diese Angst in der Wut auf dich kanalisiert.
Nach zwei drei Wochen in der neuen Umgebung waren sie nicht mehr wütend, sondern dankbar. Sie haben versucht mit dir Kontakt aufzunehmen, doch du hast sämtliche Versuche eiskalt abgeblockt. Das hat alle drei schwer verletzt und ich habe sie viele Stunden lang trösten müssen, obwohl mir selbst zum heulen war.“
Ich blickte Fabian überrascht an. „Wieso hast du sie getröstet? Was habt ihr denn miteinander zu schaffen gehabt?“ Meine Überraschung schlug sich in meiner Stimme nieder und veranlasste Fabian zum schmunzeln. „Meine Oma hat alle drei bei uns aufgenommen. Ich sag dir, das war vielleicht eine Umgewöhnung für mich verzogenes Einzelkind.“ Fabian grinste verschmitzt. Dieses Grinsen ließ seine Augen leuchten. Er hatte die Zeit mit meinen Geschwistern anscheinend genossen. „Wir sind wie Geschwister und haben auch heute noch viel Kontakt. Sie kommen mich morgen auch alle besuchen“ Beantwortet er meine unausgesprochene Frage.
Plötzlich richtete sein Blick sich direkt auf mich. Die hypnotische Wirkung blieb nicht aus und ich musste mich am Tisch festhalten um nicht gänzlich in den Strudel hineingerissen zu werden. „Möchtest du nicht auch kommen? Wir würden uns alle sehr freuen. Deinen Freund kannst du gerne mitbringen.“ Als er das Wort Freund ausgesprochen hatte blitzte es kurz dunkel in seinen Augen auf und ein Schatten hatte sein Gesicht für wenige Millisekunden in eine reglose Maske verwandelt. Doch gleich darauf glühte sein Blick wieder, brannte sich in meinen und ließ mir keine andere Wahl als zu nicken. Doch noch in der Bewegung wurde ich meiner Reaktion bewusst und ich schüttelte eilig den Kopf.
Fabians Blick gab mich wieder frei. Wobei, vielmehr blickte er mich total überrascht an, wodurch sämtliche hypnotische Wirkung erlosch. Tja, er wusste um die Wirkung seines Blicks und anscheinend konnte ihm auch heute noch keiner wiedersprechen, wenn er von Fabians Blick eingesogen wurde. Doch ich war nicht mehr 17, ich war 27 und Polizist. Ich durfte mich nicht einfach von einem Paar hübscher Augen ablenken und einlullen lassen. Dafür hatte ich selbst in der bisher noch recht kurzen Zeit meiner Berufstätigkeit zu viel gesehen.
„Oh, der Herr kann es nicht glauben, dass es Leute gibt die sich nicht von seinem Blick einlullen lassen. Muss hart für dich sein nicht mehr alles zu bekommen was du verzogenes Muttersöhnchen willst.“ Meine Stimme klang abfällig und arrogant. Warum wusste ich nicht zu sagen, doch Fabians Blick wurde augenblicklich traurig.
„Scheint wohl so.“ Gab er tonlos von sich und reichte mir eine Karte. Ich nahm sie an, sah aber noch nicht was er mir da reichte. „Wir treffen uns morgen gegen 10 Uhr im Cafe Pauamm. Wir würden uns wirklich alle sehr freuen wenn du auch kommst. Oma wird auch da sein.“
Mit diesen Worten drehte sich Fabian um und eilte an seinen Tisch zurück. Doch anscheinend nur um sich zu verabschieden, denn er blieb maximal drei Minuten und ging dann auf den Ausgang zu.
Kilian stieß mich an, was mich wieder in die Realität zurückriss. Überrascht blickte ich ihn an. „Ich will ihm nicht glauben.“ Sprudelte die Wahrheit plötzlich aus mir heraus während ich die kleine Karte in meiner Hand als Visitenkarte von Fabian mit privater Handy- und Festnetznummer identifizierte.
„Natürlich willst du das nicht. Immerhin müsstest du dir dann eingestehen, dass du dich die letzten Jahre völlig umsonst gequält hast. Schlimmer noch, du müsstest dir eingestehen, dass du durch dein unreifes Verhalten andere Menschen die dir sehr wichtig waren verletzt hast. Das würde ich auch nicht glauben wollen. Das Problem ist aber, es geht nicht darum ob du willst oder nicht, was er sagt klingt plausibel und vor allen Dingen hat er dich zum gemeinsamen Frühstück mit allen eingeladen. Sämtliche Lügen würde spätestens beim Zusammentreffen mit deinen Geschwistern sofort auffliegen. Aber er hatte keinerlei Bedenken dich einzuladen, er hat dich ganz im Gegenteil geradezu angefleht. Und hast du seinen verletzten Blick gesehen, wann immer er Kilian angeschaut hat? Ich wette der steht noch auf dich und hätte dich gerne zurück.“
Wow, so ein langer Monolog war für Sebastian eher untypisch. Das schlimmste aber war, dass Sebastian so gut wie immer Recht hatte. Und sollte das dieses Mal auch zutreffen, dann wäre Fabian in mich verliebt. Ich lief knall rot an. Meine Atmung wurde hektisch und ich hörte meine beiden Freunde lachen. Toll! Bei solchen Freunden brauchte man echt keine Feinde mehr!
Ich verabschiedete mich unter einer fadenscheinigen Ausrede, die von beiden auch sofort als solche entlarvt wurde, woraufhin das Gelächter noch einmal kurz aufwallte, bevor sie versprachen mich morgen um 10 Uhr ins Cafe Pauamm zu begleiten.
Ich raste nach Hause, oder besser gesagt ich wollte nach Hause rasen, fand mich aber letztendlich vor Marcel und Anikas Haus. Die Lichter waren gelöscht und es schien als würden sie schlafen. Müde legte ich meinen Kopf auf dem Lenkrad meines kleinen roten Flitzers ab. Es war kein schneller oder auffälliger Wagen, doch mir reichte er. Marcel hatte ihn mir zu meinem 19ten Geburtstag geschenkt, als ich den Führerschein endlich in der Tasche hatte.
Tiefe Dankbarkeit stieg in mir auf. Ohne die beiden hätte ich es nie geschafft. Wäre nicht Marcel damals beim Spielplatz auf mich aufmerksam geworden, wer weiß wo ich hätte enden können oder was aus mir geworden wäre.
Ein plötzlicher Lichtschein schreckte mich auf. Natürlich hatten sie den Motor gehört, obwohl ich ihn bereits ausgeschaltete hatte. Die Gardienen im Schlafzimmer bewegten sich und ich wusste ohne es zu sehen, dass Anika durch die Scheiben sah.
Sie würde Marcel sofort wecken und er musste runter rennen und dann würden sie mich mit ihren besorgten Blicken mustern und hoffen, dass es mir gut ging und nur eine Kleinigkeit mich mitten in der Nacht vor ihre Haustüre führte. Ich wollte diesen Blick nicht, ich wollte dass sie glücklich waren, ich wollte das meine Eltern glücklich sind!
Eilig sprang ich aus dem Wagen, gerade als ich vor die Türe rannte wurde diese aufgerissen und Marcel sah mir besorgt entgegen. Tiefe Gefühle übermannten mich und ich sprang in seine Arme. „Hallo Papa.“ Quetschte ich mit tränenschwerer Stimme heraus. Marcel versteifte sich, doch nur Sekunden um mich mit einem erstickten Seufzer fest ins eine Arme zu schließen. „Hallo mein Sohn.“ Ich roch Anikas unaufdringliches leichtes Parfüm, löste mich von Marcel und schloss sie in meine Arme „Hallo Mama.“ Sie schluchzte und klammerte sich an mir fest, während ihre Tränen auf mein Hemd tropften. Erst in diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich sie trotz ihrer Hingabe, trotz ihrer Mühe und ihrer Liebe noch nie als Mama oder Papa angesprochen hatte. Sie waren immer nur Anika und Marcel gewesen. Und sie hatten nie gewagt mich Sohn zu nennen. Doch eben hatte Marcel „..mein Sohn“ gesagt. Ich drückte Anika noch etwas fester in meine Arme, bevor ich mich sachte von ihr löste und in ihr glückliches tränennasses Gesicht blickte.
„Entschuldigt, ich wollte euch nicht wecken. Ich wollte nur nicht alleine sein.“ Marcel grinste mich breit an. Ihm schien es zu gefallen, dass ich zu ihnen kam wenn ich mich einsam fühlte und Anika drückte kurz meinen Arm, bevor sie in die Küche verschwand. Wie immer würde sie für uns einen Kräutertee kochen und die Reste von Kuchen und Gebäck die sich im Haus befanden zusammensuchen. Wir folgten ihr und fanden den Tisch bereits mit Marmorkuchen, einem Muffen und einer halb leeren Dose Keckes gefüllt vor.
Wir setzten uns und bis Mama mit dem Tee fertig war saßen wir schweigend da. Erst als wir zu dritt am Tisch saßen und Mama sich den Muffen gegriffen hatte konnte ich beginnen, denn irgendwie war das bereits ein eingebürgertes Ritual. Im Hause Schranz wurde sich nicht ohne Tee und Gebäck über ernste Themen unterhalten. „Ich habe heute Fabian auf einer Feier getroffen. Er möchte dass ich morgen früh im Cafe Paumann zu einem Frühstück seiner Familie komme. Anscheinend hat seine Großmutter meine Geschwister aufgenommen und morgen früh wollen sich alle treffen. Er meinte sie vermissen mich und ich soll kommen und Kilian und Sebastian mitbringen. Aber ich bin so nervös und weiß nicht was ich jetzt machen soll. Hab ich wirklich alles falsch gemacht und meinen Geschwistern und Fabian damit weh getan?“
Ängstlich blickte ich auf. Doch ich wurde nur liebevoll angesehen. Mama griff meine Hand und lächelte schwach. „Mein Junge, du warst doch ein halbes Kind und wurdest schwer verletzt. Es ist absolut natürlich, dass du dich zu deinem eigenen Schutz erst einmal zurück ziehst. Wir haben gehofft, dass dieser Tag kommen würde und jetzt ist es endlich soweit. Deine Geschwister und Fabian haben schon so lange versucht dich zu finden. Sogar die Detektei eines guten Freundes von mir haben sie mit der Suche nach dir beauftragt. Doch du warst noch nicht so weit. Aber jetzt bist du es! Glaub mir mein Sohn alles wird gut. Deine Geschwister verstehen dich, auch wenn du sie verletzt hast, so wie du sie verstanden hast obwohl sie dich verletzt haben. Und dieser Fabian, nun ich glaube ihm tut das alles am meisten leid. Soweit mein Freund erzählte war er der Auftraggeber und ist fast zusammengebrochen als er ihm sagte, dass du unauffindbar wärst.“ Sie zwinkerte mir zu und ich wurde rot. „Aber ihr lasst mich doch nicht alleine oder? Ihr kommt doch mit?“ Ich benötigte einige Sekunden um zu verstehen, dass ich diese ängstlichen Worte, die viel zu leise geflüstert waren, ausgesprochen hatte. Doch dann wurden zwei Stühle zurück geschoben und ich von beiden Seiten umarmt. „Natürlich mein Junge. Wir lassen dich nicht alleine!“ Ich lehnte mich an meinen Vater und war erneut unglaublich dankbar dass er da war.
„Ich bin so froh, dass ich euch habe. Ich hab euch lieb.“ Auch das waren Worte, die zuvor noch nie meinen Mund verlassen hatten. Doch es war wahr. Ich liebte diese beiden Menschen, die mich ohne Hintergedanken trotz der harten Zeit mit Therapien und nachträglich ausgelebter Pubertät bedingungslos in ihr Herz geschlossen und immer beschützt und begleitet hatten.
Mama gähnte und wir mussten schmunzeln. Papa klopfte mir auf den Rücken und ich stand langsam auf um beiden einen Gutenachtkuss auf die Stirn zu hauchen, bevor ich den Tisch abräumte. Als ich fertig war waren Mama und Papa bereits zurück ins Bett. Ich überprüfte noch einmal die Haustüre, bevor ich hoch ins Badezimmer ging. Dort lag natürlich bereits ein frisches Handtuch und Zahnputzzeug für mich bereit. Ich musste schmunzeln und fühlte mich unglaublich geborgen.
Eilig machte ich mich fertig und verschwand in mein ehemaliges Kinderzimmer in dem das Bett immer frisch bezogen auf mich wartete, wann immer ich hier war.
Die Nacht war unruhig. Erst hatte ich nicht einschlafen können, weil ich Horrorszenarien für den nächsten Tag vor meinem geistigen Auge sah, dann schlief ich ein, doch der Horror verfolgte mich in meine Träume. In einem Traum gingen meine Geschwister auf mich los, im anderen schubste Fabian mich erneut eine Treppe hinunter und lachte hämisch während er schrie das ich dumme Schwuppe echt zu dämlich sei weil ich ihm geglaubt hatte, dass er etwas für mich empfinden könnte.
Völlig unausgeruht verließ ich gegen halb neun mein kuschliges Bett, stellte mich unter die Dusche und rasierte mich bevor ich mir die Zähne putzte Kleider aus meinem Schrank nahm. Eine SMS auf meinem Handy sagte mir, dass Kilian und Sebastian auch schon auf waren und sich auf das Treffen freuten. Meine Eltern fand ich in der Küche. Ob des geplanten Frühstücks im Cafe Pauamm lediglich mit einem Kaffee vor sich. Auch mir wurde eine Tasse der schwarzen Brühe vor die Nase gestellt und ich schüttet ordentlich Milch und Zucker nach, bevor ich die heiße Flüssigkeit hinunter kippte. Ich war nervös und meine Eltern merkten das natürlich. Es war still am Tisch, bis meine Mutter plötzlich meinte, dass wir los müssten.
Ein eisiger Klumpen eroberte meinen Magen und mir wurde schlecht. Ob ich überhaupt etwas essen könnte? Doch ich folgte artig zum Wagen meiner Eltern und nahm auf dem Rücksitz Platz. Oh man, ich war dermaßen nervös, dass ich mich dabei erwischte auf meinen Fingernägeln zu kaufen. Das war mir ja noch nie passiert!
Eilig nahm ich die Hand aus dem Mund und blickte die Straße entlang. Der Weg zum Cafe Paumann war nicht weit, lediglich fünfzehn Minuten Autofahrt hatte ich um meinen Gedanken nachzuhängen. Leider rasten diese in einer derartigen Überschallgeschwindigkeit durch meinen Kopf, dass ich mich auf keinen von ihnen konzentrieren konnte. Als wir auf dem großen Parkplatz vor dem Cafe praktisch direkt vor dem Eingang einen Parkplatz fanden begann mein Herz zu schlagen als wollte es neue Geschwindigkeitsrekorde aufstellen.
Da drinnen würde ich meine Geschwister wieder sehen. Da drinnen würde Frau Gerbel auf mich warten. Dort drinnen war Fabian! Mir schwindelte und ich musste mich arg zusammen reißen um die Wagentüre zu öffnen und auszusteigen.
Doch kaum hatte ich die Türe geöffnet wurde ich auch schon hinaus gezogen und landete an einer starken männlichen Brust. Kilian wurde mir sofort klar, als ich sein Rasierwasser einsog. Ich hatte jedoch kaum Zeit das festzustellen, da wurde ich schon unsanft aus dieser Umarmung herausgezogen und landete an Sebastians Brust. Wo kamen die denn jetzt plötzlich her? Ich hatte sie überhaupt nicht gesehen. „Oh man Alter du siehst mal richtig scheiße aus.“ Tja, Kilian war nicht dafür bekannt ein Blatt vor den Mund zu nehmen, aber musste er mir das ernsthaft derart direkt ins Gesicht sagen? Ich starrte ihn wütend an und zischte „Danke, gleichfalls. Aber bei mir liegt es wenigstens nur an einer unruhigen Nacht, während du immer so rumlaufen musst.“ Eilig duckte ich mich unter dem Schlag, den Kilian in meine Richtung andeutete weg und musste lachen. Meine Eltern traten hinter mich und während Sebastian und Kilian mir irgendwelchen Unsinn über einen stark alkoholisierten Typen erzählte, der sich gestern Abend anscheinend noch an sie heran gemacht hatte. er schien sich aber nicht entscheiden zu können welchen meiner beiden Freunde er anflirten sollte. Das beide Hetero waren und die Annäherungsversuche somit gänzlich fehlgeleiet wusste der Unbekannte natürlich nicht. Anscheinend hatten Kilian und Sebastian sich einen riesen Spaß mit dem Armen, dem Alkohol zum Opfer gefallenen, Herrn gemacht und ihn letztendlich irgendwann in die Männertoilette geschickt, wo er auf sie warten sollte.
Ob er dort wohl immer noch saß?
Wir setzten uns an einen Tisch, nur aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass am Nebentisch für mindestens 7 Personen eingedeckt war und das „Reserviert“ Schildchen in der Mitte des ganzen prangte.
Ich machte mir darüber keine weiteren Gedanken, sondern ließ mich weiter von Sebastian und Kilian unterhalten, die auch zwei der armen weiblichen Anwesenden gestern aufs Korn genommen hatten, als diese wohl recht aufdringlich die Nähe meiner beiden Freunde gesucht hatten.
Gerade hatte ich mich von meinem letzten Lachanfall erholt, als die Türe sich öffnete und ich Sabrinas Stimme hörte. Ich versteinerte augenblicklich und am Tisch wurde es ruhig. Sämtliche Augen waren auf den Eingang gerichtet, durch den gerade Fabian eintrat, dessen Haare von Sabrina, die vor ihm lief, zerzaust wurden. „Jetzt rück schon endlich raus mit der Sprache. Wer ist der Glückliche, der dein Herz gewonnen hat? So habe ich dich ja noch nie gesehen.“ Sie grinste breit. Torben, der hinter ihnen eintrat meinte lachend „Ich hätte nicht geglaubt, dass ich das noch erleben darf. Unser cooler Fabian ganz verschüchtert und dauerrot.“ Prustend traten ein Mann und eine Frau ein, die ich nicht kannte, doch der Mann hatte gewisse Ähnlichkeit mit Fabian, weshalb ich davon ausging, dass es sein Vater war, dann dürfte die Frau seine Mutter sein. Hinter den Beiden trat eine ältere Frau ein, die sich bei meiner jüngsten Schwester Susanne eingehackt hatte. Doch die 10 Jahre mehr täuschten nicht darüber hinweg, dass sie immer noch rüstig und fit war. Sie lächelte wie immer gutmütig und ich merkte wie sehr ich Frau Gerbel vermisst hatte.
Die Hand auf meinem Arm gehörte zu Mama, dass wusste ich, doch ich konnte mich jetzt nicht auf sie konzentrieren. Zu sehr nahm Fabians gerötetes Gesicht und der gesenkte Blick mich gefangen. Er hatte noch nie besser ausgesehen als jetzt gerade. Ich biss mir auf die Zunge, bis ich den metallischen Geschmack von Blut wahrnahm, erst dann vermochte ich den Blick von Fabian zu lösen. „Du erinnerst mich an die Zeit, als du unser altes Fotoalbum mit den Fotos von Patrick gefunden hast und seit dem wie deinen Augapfel hütest.“ Sagte Susanne und plötzlich wurde es still. Fabian blickte betrübt zu Boden, Sabrina warf Susanne wahrscheinlich einen bösen Blick zu, denn diese senkte ihren sofort und Torben seufzte schwer. Frau Gerbel senkte ebenfalls den Blick und ihr Lächeln verschwand. Sogar Fabians Eltern sahen jetzt nicht mehr gut gelaunt, sondern ernst aus. „Fabian, wir müssen damit leben, dass Patrick uns nicht mehr in seinem Leben haben möchte. Du musste endlich über ihn hinwegkommen und dich einer neuen Liebe öffnen. Du jagst ihm doch jetzt schon 10 Jahre hinterher. Du musst endlich abschließen und anfangen wieder zu leben. Das ist doch nicht gut was du da machst. Ich meine du hattest noch keinen einzigen Freund in all den Jahren!“ Trobens Stimme klang eindringlich und seine Hand lag auf Fabians Schulter. „Ich gebe ihn aber nicht auf. Niemals!“ Fabians Stimme klang kraftlos. Er schien selbst nicht mehr an das zu glauben, was er da sagte. Eigentlich wäre mir das überhaupt nicht aufgefallen, wenn nicht alle anderen irritiert zu Fabian geschaut hätten. Plötzlich fiel mir ein, dass Fabian davon ausgehen musste, dass ich mit Kilian zusammen wäre und damit sollte ihm klar sein, dass er keine Chance mehr hatte. Klang er deswegen so kraftlos?
Langsam näherten sich die Neuankömmlinge dem Tisch neben uns und mein Gehirn verarbeitete die Information, dass meine Freunde und Eltern extra diesen Tisch gewählt hatten weil offensichtlich der Tisch neben uns für Fabian und seine Familie reserviert war.
„Na das klang ja wiedermal überzeugend du selbstgefälliges, verwöhntes Muttersöhnchen. Um mir deine halbherzigen Beteuerungen anzuhören musste ich jetzt extra so früh aufstehen?“ Ich benötigte erneut einige Sekunden um zu verstehen wer Fabian derart kaltschnäutzig angefahren hatte. Doch als sich plötzlich sämtliche Blicke auf mich richteten wurde mir klar, dass ich selbst wohl der Verursacher dieser Worte war.
Wie angewurzelt blieben sie stehen, Fabians Blick hob sich vom Boden und tackerte sich an mir fest, Sabrina und Susanne liefen Tränen über die Wangen und Torben blickte mich an als müsste ich ein Gespenst sein. Frau Gerbel lächelte unter Tränen und löst sich plötzlich von Susannes Arm um in meine Richtung zu laufen. Sie übersah die kleine Stufe die zu den Tischen in dieser Ecke führte und währe gefallen, doch ich sprang auf und konnte sie in meine Arme ziehen. Sie drückte sich sachte ein Stück von mir weg, um mir in die Augen sehen zu können und mir über die Wange zu streicheln. Ich dirigierte sie vorsichtig auf einen Stuhl am reservierten Tisch und lächelten sie an. „Frau Gerbel, ich freue mich sehr sie zu sehen.“ Sie sah mich gespielt verärgert an „Wie oft soll ich dir noch sagen mein Junge, dass du mich Ulla nennen sollst.“ Sie tätschelte meine Wange noch einmal sachte und mein Lächeln wurde breiter. „Gut, also Ulla ich habe dich vermisst.“ Jetzt strahlte sie mich an. Doch ich konnte ihr nicht länger in die Augen sehen, weil ich plötzlich herumgerissen wurde und dann ein unsagbares Gewicht vor mir hatte. Torben, Susanne und Sabrina hingen an mir und weinten sich gerade die Augen aus. Gerade bei Torben, der mich in den letzten 10 Jahren größenmäßig eingeholt hatte musste das amüsant aussehen. Ich tätschelte Rücken, verwuschelte Haare und irgendwann hoben sich die Köpfe beinahe synchron von meiner Brust und drei verheulte Augenpaare blickten mir entgegen. Etwas überfordert lächelte ich wacklig und erhielt das Spiegelbild dieses Lächelns in den Gesichtern meiner Geschwister. Sabrinas Hand legte sich auf meine Wagen und sie streichelte sachte darüber. „Es ist so schön dich wiederzusehen.“ Hauchte sie.
Langsam und bedächtig drückte ich die drei auf die Sitzbank am reservierten Tisch und grinste noch einmal. Dann griff ich in meine Hosentasche. Wieso ich heute Morgen meine Visitenkärtchen eingesteckt hatte war mir unklar gewesen, doch jetzt wusste ich es. Ich zog drei Kärtchen heraus und legte jedem meiner Geschwister eines vor. „Wenn ich mich mal erreichen wollt, hier sind Telefon, Handy und e-mail Adresse drauf.“ Ich lächelte und die drei packten nach den Kärtchen und hielten sie dann in den Händen wie einen Schatz. Torben löste sich als erster wieder und griff nach seinem Handy um die Daten sofort einzugeben. In der nächsten Sekunde piepte es bei mir zwei Mal. Torben hatte mir die Handynummern meiner beiden Schwestern geschickt, wodurch ich jetzt auch seine hatte und alle drei in meinem Speicher den Namen zusortierte. Wir grinsten uns noch einmal etwas schräg an, bevor ich mich zu Fabian umdrehte. Seine Eltern standen um ihn herum und hatten ihm jeweils eine Hand auf die Schulter gelegt. Sie musterten mich. Nicht unfreundlich, nur so wie man eben jemanden mustert der einer dir nahestehenden Person unbeabsichtigt weh getan hatte. Ich nickte ihnen kurz zu.
Fabians Blick war wieder noch auf den Boden gerichtet und er wirkte unglaublich verloren. So kannte ich ihn nicht. Fabian war weder in meiner Erinnerung noch gestern Abend so gewesen. Sebastian schien recht zu haben. Alles sprach dafür, dass er mich immer noch wollte. Besonders das Gespräch als er mit meinen Geschwistern das Cafe betreten hatte ließ eigentlich keine andere Schlussfolgerung zu.
Ich war plötzlich unglaublich müde. Meine teilweise rasenden Gedanken fuhren plötzlich nur noch im Schneckentempo durch meinen Kopf und ich merkte, dass ich nicht wusste, ob ich ihm vergeben konnte oder nicht. Er hatte mir weh getan. Unglaublich weh. Seinetwegen war ich Beziehungsunfähig und konnte niemandem wirklich vertrauen. Und dennoch tat es weh ihn so zu sehen. Ich seufzte.
„Fabian, wieso lädst du mich zum Frühstück ein und ziehst dann so einen Flunsch? Du siehst aus als hätte dir jemand deine Spielkonsole geklaut während du gerade dabei warst den Highscore irgendeines Rennspiels zu knacken.“ Fabian blickte auf und seine Augen schimmerten verdächtig, doch ein schmales Lächeln erschien in seinem Gesicht, das mein Herz zwei Tackte schneller schlagen ließ.
„Ich meine, wie sieht das denn aus, wenn ich dich jetzt vorstellen möchte. Dich, das böse Monster, wegen dem ich beziehungsunfähig bin und das mich fünf Jahre lang nur verarscht hat um mich dann eiskalt abzuservieren, wenn ich es brauche und du weinst? Du machst mich unglaubwürdig!“ Fabians Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, doch als ich mir jetzt gespielt genervt die imaginären Haare aus dem Gesicht pustete grinste er schon wieder. Aber ehe er etwas sagen konnte begann ich schon. „Also, das ist meine Mama, Anika, meine Papa Marcel und die beiden Spinner hier sind meine besten Freunde Kilian und Sebastian.“ Fabians Blick raste plötzlich von Kilian zu mir und wieder zurück. Mir wurde beinahe schwindelig, doch nach dem vierten Mal trat Fabian plötzlich auf mich zu.
„Er ist dein bester Freund, aber nicht dein fester Freund?“ Ich nickte. „Da hier auch kein anderer ist den du vorstellen möchtest gehe ich davon aus, dass du Single bist?“ Wieder vermochte ich nur zu nicken. Und plötzlich strahlte Fabian.
Seine gesamte Erscheinung hatte sich von einer Sekunde auf die andere geändert. Da war er wieder, der Fabian in den ich mich verliebt hatte. Der selbstgefällige, arrogante und dennoch liebenswerte und liebenswürde Junge, dessen eisblaue Augen meine Beine in Wackelpudding verwandelten. Seine Hand war plötzlich an meinem Kragen und er zog mich zu sich. Unsere Lippen trennten nur noch Millimeter als er plötzlich in rauer Schlafzimmerstimme hauchte „Du bist ab sofort kein Single mehr. Du gehörst jetzt zu mir und das ist exklusiv zwischen uns, verstanden?“ Ich blickte ihn völlig überfahren an. Was hatte er da eben von mir verlangt?
Doch seine heißen Lippen auf meinen löschten jedweden Gedanken aus.
Es gab nur noch Fabian.
Tag der Veröffentlichung: 01.07.2016
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