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Kapitel 1



„Los, schlag zu! Er ist doch nur ne dreckige Schwuppe.“
„Julian, worauf wartest du? Schlag endlich zu.“
Ich stand wie angewurzelt vor dem am Boden liegenden Jungen. Blut tropfte aus seiner Nase und sein rechtes Auge begann stark an zu schwellen.
„Julian...“ Wieder riefen sie mich. Ich sollte zu schlagen. Sonst hatte ich damit doch auch kein Problem, also warum jetzt? Warum tat ich es nicht?
Ich bin schon (zusammen mit meinem besten Freund Sebastian) seit meinem elften Lebensjahr Mitglied in dieser Clique. Zusammen mit Martin, Nicko, Markus, alle wie ich 16 und mit Lars (19) haben wir seitdem die Straßen unsicher gemacht. Ich hatte nie an ihnen zweifeln müssen oder es bereuen. Sie waren die besten Kumpels, die man sich vorstellen konnte. Immer für mich da, auch wenn es mir noch so dreckig ging.
Jetzt hielten genau diese super Freunde einen Jungen aus der Disko vor mir fest und schrien, ich sollte doch endlich zu schlagen. Normalerweise war ich nicht so sentimental und hört darauf was die anderen sagten, doch als ich DIESEN Jungen vor mir sah, konnte ich nicht. Es ging nicht.
Und es lang genau daran, dass ich ihn kannte. Es war nicht irgendein Typ von der Straße,den man mal so zufällig trifft und Streit anfängt.
Nein. Es war anders. Er ist anders. Und genau deshalb konnte ich nicht zu schlagen. Ich wollte es auch nicht.
Ich ging ein paar Schritte zurück.
„Es ist genug.“, sagte ich mit ruhigem Ton. „Wir sollten es dabei belassen, Martin.“
Die anderen schauten mich verblüfft an. „Bist du bescheuert?“, fragte mich Nicko.
„Willst du die Schwuppe auch noch verteidigen?, fragte mich Markus verdutzt.
„Nein, aber ich will auch nicht...“ Martin stand auf und packte mich am Kragen. „ Vor zwei Minuten meintest du noch selber, man solle auch Schwuchtel aus der Stadt entfernen lassen und jetzt? Sag uns nicht, du gehörst auch zu denen?“
Ich war verblüfft. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich, schwul? „Nein.“ antwortete ich. „Ich bin doch nicht schwul.“ Doch irgendwie klang das nicht so wie es sollte. „Lasst ihn jetzt los.“
Markus hielt den Jungen immer noch am Arm fest und zeigte auch keinerlei Einsicht ihn wieder los zulassen. Der Jungen am Boden begann sich zu bewegen. Das erste mal seit dem er verprügelt wurde. Er hebte seinen Kopf und schaute mir mit seinen blauen Augen ins Gesicht.
„Ich benötige kein Mitleid.“, konnte man leise hören. Die Jungs schauten auf ihn, genauso wie ich.
„Los schlag schon zu, wie schon gesagt ich brauche dein Mitleid nicht.“
Erst jetzt viel mir auf, das der Junge am Boden vor mir kein bisschen Angst oder Schmerz zeigte. Nein, nur Wut. Jetzt ging Markus auch schon wieder auf ihn los. „ Ach halt doch die Fresse, du kleines, dreckiges...“ Und genau in dem Moment, passierte etwas was ich nie für möglich gehalten habe. Ich ging auf meinen Freund zu, packe ihn an der Jacke und schlug zu. Unter uns in der Clique war ich eigentlich dafür berühmt gewesen, den besten Schlag drauf zu haben und genau diesen durfte Martin jetzt spüren. Er baumelte zurück und fiel dann hin. Seine Nase und Lippe bluteten stark. Könnte sogar sein, dass ich ihm die Nase gebrochen habe, aber das war jetzt egal.
Ich habe ihn davon abgehalten weiter auf den Jungen einzuschlagen.
Doch was nun? Alle schauten mich mit verwunderten Gesichtern an und besonders der Junge aus der Disco.
„Alter, Julian, geht’s noch?“, hört ich Markus noch rufen, doch dann war ich blitzschnell von der Gruppe weg und an meiner Seite, humpelnd der blutende Junge von der Disco.


Kapitel 2



„Warum?“
„Hä?“
„Warum hast du das getan?“
Der Junge schaute mich an. „Warum?“
Wir hielten an. Ich sah, dass der Junge neben mir ziemlich stark mit sich kämpfte nicht sofort vor mir zu Boden zu fallen. Er keuchte und schwitzte stark. Wahrscheinlich hatte er Fieber und fürchterlicher Schmerzen.
Doch anstatt sich hinzusetzten und auszuruhen, starrte er mich unentwegt an, hielt eine Hand an seine Rippe und wollte wissen, warum ich ihm geholfen haben.
„Tja wenn ich das wüsste.“ „Bist du doof... Man echt auf das Mitleid von so einem Arsch wie dir, kann ich ...“
„Lass es doch mal mit dem Scheiß aus Mitleid und so … sei doch froh, dass ich nicht zu geschlagen habe.“ Stille.
„Also hatten diese komischen Typen doch recht.“ „Was ?“
Ich konnte es nicht fassen.
Glaubt der wirklich ich bin vom anderen Ufer?
„Ich muss hier eins klarstellen, dass was gerade passiert ist war eine Ausnahme. Ich steh ganz sicher nicht auf Kerle.“
Der Junge schaute mich etwas lächelnd an und wunderte sich über meine Antwort.
Stimmt, wieso reg ich mich denn so auf. Es stimmt doch was ich sage: ICH BIN NICHT SCHWUL!
„Na dann … Danke.“
Er lächelte mich an und seine blauen Augen leuchteten (oder zu mindestens kam es mir so vor)
„Ich sollte jetzt gehen … mein Gesicht tut höllisch weh.“ Er begann sich um zudrehen und in die andere Richtung zu laufen.
„Eh , halt mal“, rief ich „ willst du jetzt einfach so gehen? Rufst du denn nicht die Polizei oder so?“
Der Junge drehte sich um. „Warum sollt ich? Die Kerle von eben kann ich im hellen eh nicht identifizieren, selbst wenn die Polizei überhaupt nach denen suchen würde und so bleibst ja nur noch du ...“ Er lächelte schon wieder. Warum fühle ich mich so komisch, wenn er mich anlächelt. Voll krank.
„Du hast mir doch geholfen, oder nicht? So was wie heute passiert ständig, also warum groß aufregen.“
Ist der Junge geschädigt? Ich kann nicht verstehen, dass es ihm völlig egal ist von anderen zusammen geschlagen zu werden und dann … dann nichts weiter.
Ich war verunsichert. So jemanden wie ihn hatte ich bisher noch nie getroffen.
Seine dunklen mittellangen Haare brachten seine blauen Augen perfekt zur Geltung.
Er war mir auch vorhin schon in der Disko aufgefallen. Da hatte er nämlich recht abseits einfach nur da gestanden und … naja nichts getan. Einfach nur die anderen beobachtet.
Ich weiß nicht, aber irgendwie habe ich mich zu ihm hingezogen gefühlt. Dieses Gefühl war mir neu. Natürlich hatte ich schon einige Freundinnen gehabt, doch unsere Beziehungen waren nicht wirklich durch Liebe geprägt und hielten auch meist nicht lange.
Eigentlich war ich für feste Beziehungen oder allgemein für das zeigen von Emotionen nicht geschaffen. Wofür braucht man auch so was?
Mir hat es gereicht einen Abend einfach mal nur so rum zumachen und am nächsten Tag ne Andere.
Warum auch nicht so? Liebe konnte mich nicht schützen noch ernähren.
Freundschaften gibt’s auf der Welt nicht, außer in der Clique. Da fühlt man sich wie in einer großen Familie. Nur ihnen kannst du vertrauen. Sonst niemanden.
Also warum gerade er und warum ausgerechnet ein Kerl? Warum habe ich nur das Gefühl der Geborgenheit in seiner Nähe. Ach das ist alles Quatsch. Ich bin doch krank und doch kann ich ihn nicht einfach so gehen lassen.
„Hey warte mal. Man .. du kippst doch gleich um. Lass mich dir doch helfen.“
Der Junge drehte sich um und fiel im selben Augenblick einfach um.
Scheiße. Bitte nicht.
„Komm schon.“ Ich lief zu ihm und hob seinen Kopf. Scheiße er war in Ohnmacht gefallen. Als ich meine Hand auf seine Stirn legte, merkte ich auch das glühte.
Scheiße. Er muss zu einem Arzt. Aber was erzähl ich denen, wenn sie wissen wollen, wie er in diesen Zustand geraten konnte. Ach , ist egal. Ich musste ihm auf jeden Fall helfen.
Ich hebte in hoch und lief so schnell ich konnte, zur nächste Notstation.
Unterwegs wurde mir eines klar und es bewegte mich dazu noch schneller zu laufen:
Er durfte nicht sterben, nicht jetzt und erst recht nicht in meinen Armen.

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Tag der Veröffentlichung: 30.12.2009

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