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Montag, 1. Stunde, Mathe.
Jedes andere hätte wohl stöhnend dagesessen und sich sofort ins Wochenende zurück gewünscht, ich nicht. Ich liebte die erste Stunde am Montag. Nicht weil ich das Fach Mathe mochte, um genau zu sein, ich hasste es sogar, sondern weil jeden Montag in der ersten Stunde die Zeit war, in der ich völlig ungestört meinen Felix anstarren konnte. Ich hatte einen sehr günstigen Sitzplatz gefunden, schräg gegenüber von ihm und versteckt hinter einem anderen Mädchen. Da konnte ich meinen Tisch, mein Heft und das Mathebuch bekritzeln. Von hier aus hatte ich den idealen Blick auf Felix.
Er saß lässig kippelnd auf seinem Stuhl und bewarf die Mädchen in der Reihe vor ihm mit Papierkügelchen. Sein braunes Haar hing ihm frech ins Gesicht und verdeckte die strahlenden blauen Augen. Ich lehnte mich zurück. Was die Mathelehrerin vorne an der Tafel erzählte, kümmerte mich nicht im Geringsten. Vielleicht war das auch der Grund für meine schlechten Mathenoten. So schlecht, dass ich versetzungsgefährdet war. Ich durfte nicht sitzen bleiben! Das ging nicht, denn sitzen bleiben hieß: Felix verlassen. Und das konnte ich nicht. Doch wie konnte ich einfach so meine Noten verbessern? Da ich im Matheunterricht seit Monaten nichts anderes mehr tat, als Felix anstarren, war es kaum verwunderlich, dass ich nichts mehr verstand. Sollte ich „Das Mathegenie“ einfach um Hilfe bitten? Ich wusste, dass seine Nachhilfe hilfreich war, aber ich hatte kein Geld für so etwas und meine Eltern hatten im Moment genug mit ihrer Scheidung zu tun. Vielleicht könnte ich seine Hausaufgaben in Fächern machen, in denen er nicht so gut war? In Spanisch zum Beispiel.
Auf einmal räusperte sich etwas und ich schrak hoch. Frau Bär stand mit grimmigen Gesichtsausdruck vor mir, als wollte sie mich gleich hauen.
„Wie rechnet man den Oberflächeinhalt eines Kegels aus?“, fragte sie in einem Ton, der schon klar machte, dass sie wusste, dass ich darauf keine richtige Antwort hatte. Ich wusste ja nicht mal, was das war!
„Äh“ war meine besonders geistreiche Antwort. Zum Glück schien Felix gerade in ein Gespräch mit seinem Banknachbarn vertieft, weshalb er nicht mitbekam, dass ich wieder einmal die Antwort nicht wusste. In diesem Moment jedoch erlöste mich das Klingen und rettete mich vor der wütenden Mathelehrerin. Ich atmete auf.
Die erste Stunde dieser Woche war geschafft und schnell sammelte ich mein Zeug ein. Als ich aus der Tür des Klassenzimmers treten wollte, stieß ich mit Anne zusammen.
„Na, mal wieder nicht aufgepasst?!“, kam es sofort gehässig von ihr. Ich ignorierte sie und ging an ihr vorbei aus dem Klassenzimmer. Anne war das „coolste“ Mädchen der Klasse und eine Freundin von Felix. Es war überall bekannt, dass sie mehr von ihm wollte, aber anscheinend sah Felix das anders, was Anne jedoch nicht daran hinderte, gemein zu allen zu sein, von denen sie dachte, dass sie auf Felix standen; so hielt sie jegliche „Konkurrenz“ von Felix fern.
Die nächste Stunde war Biologie. Ich ließ mich erleichtert auf den Platz in der letzten Reihe fallen; normalerweise ließ Anne es nicht zu, dass man sie einfach so ignorierte, doch heute schien sie wichtigere Dinge im Kopf zu haben.
Als ich gerade dachte, der Tag könnte doch noch gut werden, verkündete Herr Scheu, dass wir heute eine Partnerarbeit machen würden. Dann würde er die verschiedenen Paare auslosen und jedes Paar würde zehn Bäume im angrenzenden Wald suchen müssen. Von jedem Baum brauchten wir die Frucht, das Blatt und eine Skizze der Rinde. Ich freute mich, denn ich war früher mit meinem Opa oft im Wald gewesen. Dabei hatte er mir immer die verschiedenen Baumarten erklärt und mir alles über sie erzählt.
Herr Scheu nahm die Klassenliste in die Hand und las wahllos immer zwei Namen vor.
„Jana Koch und Lorenzo Kaiser; Anne Sila und Katrin Abel; Felix Glas und Ronnie Stich, Julia Kiehl und Felix Bölter; ...“
Mein erster Gedanke war: Juhu! Dann wurde ich mir bewusst, dass ich mit FELIX BÖLTER in den Wald gehen musste. Panik überkam mich. Was, wenn ich ausrutschte und mich vor ihm blamierte? In einem Wald konnte so viel passieren!
Zehn Minuten später befand ich mich auf einem verlassenen Waldweg, alleine mit Felix Bölter (!!!). Wenn ich diesen Trip blamagenlos überstand, würde ich zumindest wissen, dass ich doch einen Schutzengel hatte.
Wir gingen schweigend nebeneinander her, fieberhaft suchte ich nach etwas, das ich sagen konnte. Als ich gerade den Mund aufmachen wollte, unterbrach Felix meinen noch nicht genau formulierten Gedanken, indem er auf einem Baum neben mir zeigte.
„Steht der auf der Liste?“, fragte er, ohne mich anzusehen.
„Warte, ich schau mal“, meinte ich und zog die Liste hervor. „Birke, Eiche, Ahorn, Kastanie, Erle, Buche, Linde, Esche, Ulme und Tanne.“
„Gut, den ersten Baum haben wir gefunden. Die Kastanie kannst du abhaken.“
Er hob ein Blatt vom Boden auf und begann mit der Skizze, während ich versuchte, an eine Kastanie heranzukommen, was mir nicht ganz gelangen. Ich stand auf den Zehenspitzen und hatte sie fast erreicht, als ich das Gleichgewicht verlor und vornüber fiel. Ich fing mich mit den Händen ab, wobei ich mir den Arm aufschrammte.
Ich stand schnell wieder auf und tat so, als würde ich die Rinde genauer untersuchen. Eigentlich wollte ich nur, dass Felix meinen roten Kopf nicht bemerkte.
Ein unterdrücktes Lachen hinter mir verriet, dass mir das nicht gelungen war.
Ich drehte mich um und sah ihm in die Augen, was mich nur noch mehr erröten ließ.
Er lachte leise vor sich hin, aber dann wandte er sich ab und wir stapften weiter durch den Wald.
Die nächsten drei Bäume erkannte ich und er schenkte mir jedes Mal ein umwerfendes Lächeln, was mich anspornte, noch genauer zu suchen als vorher.
Deshalb waren wir bald fertig und machten uns zurück auf den Weg in die Schule. Die Doppelstunde war fast um.
Hauptsächlich hatten wir nach Bäumen gesucht, aber nebenbei auch noch so geredet. Ich hatte erfahren, dass er einen Hund hatte und fast jeden Tag hier mit ihm spazieren ging. So konnte er nachdenken und hatte eine Stunde am Tag für sich. Das fand ich eine gute Idee und beschloss, demnächst mal „zufällig“ hier spazieren zu gehen.
Alles in allem war es sogar relativ gut gelaufen, abgesehen von meinem Sturz. Ich war stolz auf mich.
Wir waren die ersten, die ins Klassenzimmer kamen. Felix gab unser Blatt und die Skizzen ab und wartete auf mich, als ich mein Zeug zusammensuchte, damit wir zusammen zur nächsten Stunde gehen konnten. Deutsch.
Da nahmen wir gerade eine Lektüre durch: Andorra. Wir sollten in Gruppen eine Charakterisierung schreiben und Herr Müller sagte, die Gruppen wären so, wie wir saßen.
Felix saß zwei Plätze neben mir und so kam es, dass wir zusammen in einer Gruppe waren.
Er, Lorenzo, Jana, Ronnie und John diskutierten darüber, wie man eine Charakterisierung schreibt.
Sie wurden sich nicht ganz einig, weil keiner aufgepasst hatte und waren dann alle still.
„Julia, was denkst du denn?“, fragte er mich auf einmal. Ich hatte die ganze Stunde dagesessen und mich nicht getraut, etwas zu sagen. Aber jetzt musste ich es wohl oder übel tun.
„Ähm … ich ...“, stotterte ich bloß herum. Aber dann redete ich einfach drauf los. „Erst müssen wir alle Aussagen über die Person herausschreiben, dann belegen, danach die Handlungen interpretieren und ihre Eigenschaften auf das komplette Buch beziehen.“
Dann atmete ich erst mal tief ein und aus und sah ihm in die Augen. Sie waren nicht spöttisch, wie ich gedacht hatte, sondern warm, mit einem Lächeln auf den Lippen. Ahhhh. Ich wünschte, ich könnte ihn küssen. Nicht dass ich wüsste, wie das ginge.
„Wow. Finde ich toll, Julia!“, sagte er und sah mich immer noch an. „Dann machen wir das so.“
Niemand in der Gruppe widersprach ihm. Das traute sich keiner. Ich wurde natürlich rot und sah auf mein Heft, das vor mir lag. Für den Rest der Stunde sah ich ihn nicht mehr an, aber ich spürte seinen Blick.

Nach Deutsch hatten wir Sport, einer der wenigen Fächer, in denen ich Felix nicht sah, was dazu führte, dass meine Noten ausgezeichnet waren.
Danach war Chemie angesagt. Wie es das Schicksal so wollte, mussten wir ein paar Versuche machen, wurden in Gruppen eingeteilt und wieder kam ich mit Felix zusammen. Was hatten die Lehrer heute bloß mit ihren Gruppenarbeiten?
Es lief aber alles ganz gut, die meiste Arbeit machte Katrin, das Chemie-Genie. Immer, wenn mein Blick Felix streifte, lächelte er mich an. Was sollte das? Wollte er mich absichtlich verwirren?
Dann passierte es. Felix war gerade dabei, Schwefelsäure in ein Reagenzglas zu schütten, als ihm das Gefäß ausrutschte und auf dem Tisch umkippte, die Schwefelsäure verteilte sich auf meinem Top. Es war nicht viel, aber es löste sich langsam auf! Schwefelsäure war ätzend! Gleich würde mein Top weggeätzt sein! Zum Glück gab es Jana. Sie hatte noch ein T-Shirt dabei, da wir vorher Sport hatten. Ich zog es schnell über, bevor jemand etwas sehen konnte. Da hatte ich noch mal Glück gehabt. Leider hatte unsere Chemielehrerin, Frau Stäbchen, alles mitbekommen und schimpfte mit Felix, aber es gab keine Konsequenzen. Da konnte er froh sein, denn sie hatte uns vorher ausdrücklich gesagt, dass wir gut aufpassen müssten. Wahrscheinlich lag es daran, dass er Felix Bölter war.
Kaum war sie weg, entschuldigte er sich tausendmal. „Julia, es tut mir so leid! Tut es weh? Oh man, ich hätte besser aufpassen sollen! Wie konnte … Julia? Julia!“
Ich konnte nichts sagen. Also nickte ich schnell, bevor ich noch mehr wie ein Vollidiot dastand.
„Mir geht es gut“, brachte ich schließlich doch heraus.
Er lächelte mich erleichtert an. „Was hast du morgen vor?“
„Ähm, ich weiß nicht.“
„Super! Dann gehen wir shoppen.“ Er grinste breit.
Ich wurde schon wieder rot. „Warum?“ Ich wollte nichts lieber als das, aber warum war er so nett zu mir? Und warum wollte er gerade shoppen gehen?
„Weil ich dein Top ruiniert habe! Ich kaufe dir ein neues.“
Das hatte Anne gehört, die in der Gruppe neben uns war. „Du kannst ihr ja eins aus dem Kleiderschrank von deiner Oma geben. Dann merkt ihre Mutter nichts.“
Ich fühlte, wie die Tränen in mir hochstiegen. Was hatte ich ihr getan? Aber Felix ignorierte sie.
„Wie wäre es morgen?“ Da ich befürchtete, meine Stimme könnte versagen, nickte ich nur.
Morgen war Dienstag … Zum Glück war Mama da nicht da.
„O.. okay.“ Dann klingelte es und alle packten ihr Zeug zusammen. Nur ich saß wie betäubt auf meinem Platz und konnte mich nicht rühren. War das eben wirklich passiert? Ich hatte eine Verabredung mit IHM? Mit Felix?
„Bilde dir darauf ja nichts ein“, zischte mir Anne zu, als Felix außer Hörweite war. „Das macht er nur, damit er die Hausaufgaben immer abschreiben kann. Oder dachtest du, er ist an dir interessiert?“
„N … nein.“
„Wäre auch der Hammer, wenn du das wirklich glauben würdest. Wer will denn mit dir etwas zu tun haben?“
Lorenz, der beste Freund von Felix, stand auf einmal hinter Anne. „Anne, lass doch Julia in Ruhe! Komm, wir gehen zu der 9b!“
Anne ließ sich mitziehen, aber nicht, ohne mir vorher noch einen gehässigen Blick zuzuwerfen.
Ich seufzte schwer und machte mich auf den Weg zu Physik. Heute hatten wir aber echt ein blödes Fach hinter dem anderen.
In Physik hatte ich endlich meine Ruhe! Ich saß alleine in der hintersten Reihe. Das ließ mir Zeit, über alles nachzudenken.
Warum war Felix so toll? Waren es seine blauen Augen? Seine weichen braunen Haare? Ich vermutete zumindest, dass sie weich waren. Wissen konnte ich es ja nicht. Oder sein umwerfender Charakter? Er war sehr beliebt, aber er führte sich nicht so cool auf, wie die anderen aus meiner Klasse. Ich dachte, so etwas gäbe es nicht. Und es hat ihn beeindruckt, dass ich ein paar gute Ideen hatte! Und er wollte mit mir einkaufen gehen! Sollte sich das einer mal vorstellen!
Auf einmal war ich in Höchststimmung. Und so überstand ich glücklicherweise auch noch den Rest des Schultages.
Zu Hause angekommen, sah ich erst mal in den Spiegel. Meine Wangen waren gerötet, meine Augen strahlten vor Glück. Bin ich den ganzen Tag so herumgelaufen? Wie peinlich! Vermutlich hat Felix es dann auch bemerkt. Na ja, morgen wird er eh merken, dass es ein Fehler war, sich mit mir zu verabreden. Was sollte ich denn mit ihm reden? In seiner Anwesenheit konnte ich nicht einen sinnvollen Satz sagen! Wenn überhaupt.
Den ganzen restlichen Nachmittag war ich nervös und lief in meinem Zimmer auf und ab, überlegte, was ich anziehen sollte, ob ich meine Haare hochstecken sollte, … Dann ließ ich es bleiben, weil ich nicht wollte, dass Mama etwas erfuhr, denn sie und Papa würden mich nie mit einem Jungen weggehen lassen! Sie verstanden ja nicht, dass das der vermutlich wichtigste Tag in meinem Leben sein würde! ICH HATTE EINE VERABREDUNG MIT FELIX BÖLTER!
Jetzt wurde ich mir dessen erst richtig bewusst und wurde noch nervöser.
Auf einmal schrillte das Telefon und ich fuhr zusammen. Vor Schreck stieß ich einen leisen Schrei aus, aber ich fasste mich schnell und hob den Hörer ab.
„Hallo?“
„Hi, Julia! Hier ist Kathrin!“
„Ääähm, hi!“
„Stimmt was nicht?“
„Nein, es ist alles in Ordnung, ich habe nur … ach, vergiss es. Was gibt’s?“
„Aha. Ich wollte fragen, ob wir für Chemie lernen.“
„Schreiben wir eine Arbeit?“
„Nein! Warum muss man nur für Arbeiten lernen? Und Chemie ist doch wirklich nicht schlimm. So viele Leute haben Chemie als Hobby! Und überall, wo du hinsiehst, siehst du Chemie! Ist das nicht der Hammer?!“
„Ähh, ja. Wirklich toll.“
„Super! Dann komme ich gleich zu dir. Tschüüüs!“
„Warte! Ich ...“, fing ich an, aber da hatte sie schon aufgelegt. Ich ließ mich aufs Bett fallen und wartete auf Katrin. Ich mochte sie ja, aber manchmal übertrieb sie es mit ihrer Vorliebe zur Chemie.
Kaum hatte ich angefangen, über sie nachzudenken, klingelte es an der Tür. Ich seufzte und stand auf, aber ich war nicht schnell genug. Meine Schwester hatte die Tür geöffnet und ließ sie herein.
„Hallo, Katrin! Was machst du denn hier?“
„Ich bringe deiner Schwester Chemie bei! Willst du zuhören?“
„NEIN!“, sagte sie entsetzt, merkte aber, dass das ein bisschen zu hysterisch klang und fügte hinzu: „Ich meine, nein danke, ich habe noch was vor.“
Haha! Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Am liebsten hätte ich genauso reagiert wie sie!
„Komm, Julia, wir gehen in dein Zimmer“, sagte sie und zog mich mit.
Und so ließ ich zwei Stunden Chemie über mich ergehen, ohne ein Wort zu sagen. Als Kathrin endlich aufhörte zu reden, war ich todmüde und hatte keinen Nerv mehr, um höflich zu sein.
„Kathrin, ich gehe jetzt schlafen. Wir sehen uns dann morgen.“
„Äh, okay. Ich finde den Weg nach unten.“
„Danke. Tschüs!“
Fünf Sekunden später knallte die Tür ins Schloss. Ach, was soll's, dachte ich und legte mich auf mein Bett. Kurz darauf stand ich aber noch mal auf, um ins Bad zu gehen. Dann endlich fiel ich in einen traumlosen Schlaf. Ich hatte einen Schönheitsschlaf dringend nötig!

Am nächsten Morgen stand ich gutgelaunt auf und ging duschen. Ich war eine halbe Stunde früher dran als sonst und deckte schon mal den Tisch. Ich grinste vor mich hin und konnte meine Begeisterung kaum bremsen. Das musste natürlich meinen Eltern auffallen.
„Sag mal, Julia, was ist denn heute mit dir los?“
„Sie ist verlieeeebt!“, quietschte mein kleiner Bruder Max.
„Gar nicht!“, erwiderte ich und wurde rot.
„Die Lisa ist aber auch verliebt und guckt genauso doof!“ Lisa war seine Kindergärtnerin.
„Darf ich mich denn gar nicht freuen, dass heute so ein schöner Tag ist? Guckt doch mal raus! Die Sonne scheint!“
Mama guckte zwar immer noch skeptisch, ließ das Thema aber fallen. Daran würden sie sich noch gewöhnen müssen. Normalerweise sah das Frühstück ganz anders aus.
Ich stieg auf mein Fahrrad und die Fahrt ging so schnell rum wie noch nie.
Alle Ampeln waren grün und ich konnte mal richtig Gas geben. Was für ein Tag!
In der großen Pause kam Felix zu mir und fragte, wann wir uns treffen sollten. Ich machte mit ihm Uhrzeit und Treffpunkt ab und er verabschiedete sich schon wieder.

Als ich aus dem Bus stieg, wartete Felix schon auf mich. Zur Begrüßung umarmte er mich kurz und ich lächelte ihm schüchtern zu.
„Wo willst du als erstes hin?“
„Mir egal!“
„Okay, ich würde sagen, wir gehen zu H&M. Meine Schwester ist besessen davon und ich denke, da werden wir etwas finden.“ Ich nickte zustimmend.
Auf dem Weg dahin – ich hatte keine Ahnung, wo H&M war – fragte er mich über meine Familie aus. Interessierte ihn das wirklich oder wollte er bloß höflich sein?
Da ich diese Frage nicht beantworten konnte, stellte ich mir vor, er würde es aus Neugier fragen und antwortete ihm glücklich. Irgendwann wollte ich nicht mehr von mir reden und stelle ihm die gleichen Fragen. Er hatte eine Schwester, seine Eltern waren geschieden und er lebte bei seinem Vater.
„Er ist zwar fast nie da, aber das ist besser als bei meiner Mutter zu wohnen. Sie hat immer etwas an mir auszusetzen und will alles wissen. Die Wochenenden, die ich bei ihr bin, sind immer stressig.“
Und dann standen wir vor einem großen grünen Gebäude. Felix hielt mir gentlemanlike die Tür auf und ich ging schnell rein. So viel Aufmerksamkeit war ich nicht gewohnt.
Drinnen war es voll, Musik tönte aus den Lautsprechern, aber es war eine gute Stimmung.
Vielleicht würde es ja doch Spaß machen. Vielleicht musste ich mich nur für etwas Neues öffnen. Neues ausprobieren.
Gleich vorne beim Eingang war die Mädchenabteilung. Felix sah ein paar Sachen durch und hielt sie immer vor mich, um sie dann wieder zurückzuhängen. Gefiel es ihm nicht an mir?
„Hmm, was sagst du dazu?“ Irgendwann war ich mit meinen Gedanken abgedriftet.
Ich sah mir das Teil, das er vor meine Nase hielt, genauer an. Es war türkis-blau gestreift, mit pinken Trägern.
Ich wollte ihm gerade antworten, als er es wieder auf die Stange hing.
„Nein, ich wette, das gefällt dir nicht.“ Eigentlich gefiel es mir, aber ich traute mich nicht, es ihm zu sagen, denn er wühlte schon wieder in einem anderen Kleiderhaufen.
„Ha! Das hier ist perfekt!“ Und dann schleifte er mich zur Umkleide. Auf dem Weg dahin riss er noch hundert andere Kleider mit. Sollte ich das alles anziehen?
Ich fragte mich, ob mir das überhaupt passen würde, er wusste ja nicht mal meine Größe!
Als könnte er Gedanken lesen, sagte er: „Ich habe ein gutes Auge für Größen, falls du dich das fragst.“
Zum Glück war gerade eine Umkleidekabine frei, ich hatte keine Lust auf Anstehen gehabt.
Er hängte die Sachen an den Haken und meinte, er würde draußen warten.
Ich schlüpfte in das Kleid, das er mitgenommen hatte und machte den Reißverschluss zu.
Es saß perfekt und es gefiel mir wirklich. Sollte ich es ihm jetzt zeigen oder weitermachen?
Ich schob den Vorhang ein kleines bisschen zur Seite und sah nach draußen. Er stand direkt vor mich, ich hatte keine Wahl mehr. Also trat ich aus der Kabine und schaute ihn fragend an.
Aber er sagte nichts, sah mich mit offenem Mund an. Gutes oder schlechtes Zeichen?
„Ähh, Julia, das sieht wunderschön aus!“ Okay, gutes Zeichen.
Dann bemerkte ich auf einmal, dass wir hier nicht alleine waren und die Blicke waren mir sofort unangenehm. Ich verschwand wieder in der Umkleide.
Als nächstes zog ich eine Jeans und das Top an, das er ausgesucht hatte.
Er machte ein Daumen-hoch und so wurde ich immer mutiger. Ich lief ein paar Schritte auf einem unsichtbaren Laufsteg und drehte mich. Er klatschte Applaus und grinste breit.
So ging das Stunden und er brachte immer mehr Zeug. Irgendwann musste ich den ganzen H&M anprobiert haben!
„Du siehst fertig aus, lass uns bezahlen und dann was trinken gehen!“
„Ja, bitte!“ Aber als wir zur Kasse liefen, sah er noch ein paar Sachen, die ihm gut gefielen. Er hatte sie schon in der Hand, dann sah er meinen Gesichtsausdruck und hängte sie schnell wieder weg.
Mir fiel fast der Arm ab, als wir an der Kasse anstanden. Plötzlich fiel mir auf, dass ich gar nicht auf die Preise geachtet hatte! Konnte ich das ganze Zeug überhaupt bezahlen?
„Felix! Komm mal mit!“, flüsterte ich ihm zu und rannte fast zu einem kleinen Tisch, auf dem ein paar Kleider lagen. Drauf legte ich den Haufen Klamotten ab, der mir fast runtergefallen wäre.
„Ich kann das nicht alles bezahlen.“
„Ja, ist ein bisschen viel. Das Top kaufe ich dir ja eh und das Kleid auch. Das gefällt mir wirklich gut.“
„Das ist wirklich nett, aber ich kann's auch bezahlen.“
„Nein, das ist ein Geschenk! Außerdem habe ich dich ja dazu verführt“, meinte er und lächelte.
„Danke! Ich muss trotzdem aussortieren.“ Und so suchten wir gemeinsam die Sachen heraus, die uns am besten gefielen. Übrig blieb dann das Kleid, das Top, zwei Jeans, ein T-Shirt, eine Tasche, ein Rock und ein Paar Ballerinas.
Auch ohne das Kleid und das Top musste ich genug zahlen. 130 Euro! Zum Glück hatte ich meine Bankkarte mit!
Mit schlechtem Gewissen gab ich sie dem Verkäufer und er hob das Geld ab.
Ich würde mir später überlegen, wie ich das Mama beibringen sollte.
Mit drei Tüten beladen gingen wir dann was trinken.
Er bestellte zwei Gläser Cola und Eisbecher, was er auch noch bezahlen wollte.
„Ich habe dich eingeladen!“
„Dann schon wieder danke.“
„Kein Problem.“
Ich sah auf meine Tüten und seufzte. „Ich wusste gar nicht, dass shoppen so anstrengend sein kann!“, beschwerte ich mich bei ihm.
„Alles eine Frage der Kondition. Glaub mir, meine Schwester ist Weltmeisterin darin.“
Dann redeten wir über Gott und die Welt und ich merkte gar nicht, wie die Zeit verging.
Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass außer uns nur noch zwei ältere Männer da saßen und es schon fast dunkel war.
„Ich muss nach Hause!“
„Oh, schon so spät! Ich bring dich zum Bus.“
„Ich hoffe, es fährt noch einer!“

Als ich zu Hause ankam, war ich so erschöpft, dass ich mich am liebsten auf den Boden geworfen hätte und 20 Stunden geschlafen hätte. Aber Mama war bereits da.
„Hallo, Schatz! Wo warst du denn?“
„Ich war mit Felix einkaufen.“
Dann kam sie um die Ecke und sah erstaunt auf die Tüten.
„Hast du das alles gekauft? Darf ich mal sehen?“
„Klar“, meinte ich und hielt sie ihr hin.
Sie sah die Sachen durch und gab Kommentare von sich wie: „Das ist ja toll!“, „Wow!“, „Wunderschön!“, „Wo hast du das denn her?“
„Aus H&M.“
„Gefällen dir die Kleider dort? Ich dachte, du magst sie nicht! Deswegen bin ich doch nie mit dir dahin gegangen! Warum hast du denn nichts gesagt?“
Jetzt war ich perplex. „Du hättest es mir erlaubt?“ Ich fasste es nicht! Ich hatte mich nie beschwert, weil ich sie nicht verletzen wollte, die Kleider, die wir zusammen kauften, gefielen mir schon lange nicht mehr.
„Warum denn nicht? Ich hab auch ein paar Sachen aus H&M.“
Jetzt klappte mir der Mund auf und mir wollte nicht mehr einfallen, wie man ihn zumachte.
„Wie viel hast du denn bezahlt?“
„Ungefähr 130 Euro. Tut mir leid.“
„Ist doch kein Problem! Ich zahl es dir. Hast du es von deinem Konto abgehoben?“
„Ja.“
„Okay, dann überweise ich's dir dahin.“
Ich umarmte sie stürmisch und rannte dann nach oben. Ich war das glücklichste Mädchen auf Erden! Und morgen würde ich Felix wiedersehen! Mit neuen Kleidern! Juhu!
Aber: was würde Anne dazu sagen? Egal. Sie kann mir nichts mehr.
Auf einmal war ich wieder fit. Ich sprang auf meinem Bett herum; ich hatte vergessen, wie Spaß das machte.
Als ich mich ausgetobt hatte, musste ich alle Klamotten noch mal anziehen und überlegte, was ich morgen anziehen sollte. Jeansrock, ein Top und Ballerinas? Oder das Kleid? Nein, das Kleid war etwas Besonderes, ich würde es morgen nicht in der Schule anziehen. Vielleicht später.
So konnte ich gut schlafen. Ich träumte von einer Prinzessin namens Julia, die ihren Romeo endlich fand.

„Hey, Julia! Du siehst gut aus!“
„Guten Morgen, Julia! Ich mag dein Outfit!“
„Hi! Kenne ich dich? Willst du mit mir ausgehen?“
„Wow! Der H-A-M-M-E-R!“
„Dich erkennt man ja gar nicht wieder!“
„Ich bin sprachlos!“
„Was hast du denn gemacht?“
Und jeden, den ich ansah, lächelte mir freundlich zu und nickte anerkennend. Und das wegen ein paar Kleidern?
Dann war ich endlich am Klassenzimmer angekommen. Und Luft holen. Was würde mich drinnen erwarten? War Felix schon da? Wie sollte ich mich ihm gegenüber verhalten? Sollte ich mich zu ihm setzen? Oder was, wenn er noch nicht da war? Würde er mir hallo sagen? Oder was viel schlimmer wäre: wenn er es nicht tun würde. Ich machte mir wie immer viel zu viele Gedanken.
Ohne weiter nachzudenken riss ich schwungvoll die Tür auf und ging erhobenen Hauptes hinein und sah mich um. Außer drei von meinen Mitschülern war noch niemand da. Was unter anderem daran liegen könnte, dass ich ausnahmsweise mal viel zu früh da war. Auch nicht schlecht.
Ich holte meine Sachen aus dem Ranzen und versuchte mich auf den Unterricht vorzubereiten. Aber meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Wann kam er denn endlich? Vor lauter Ungeduld sprang ich auf und ging zum Fenster. Vielleicht war er auch krank und kam heute gar nicht!
„Na, suchst du nach deinem Schatzi?“, fragte eine Stimme hinter mir. Dominik.
Mit neuem Selbstbewusstsein drehte ich mich zu ihm um und sagte: „Genau, ganz richtig“ und setzte mich wieder auf meinen Stuhl. Da sagte er nichts mehr.
Immer wenn die Tür aufging, klopfte mein Herz wie verrückt, nur um danach fast stehen zu bleiben, wenn ich sah, dass er es nicht war. Ich gehörte eindeutig in die Klapse!
Eine Minute nach dem Klingeln kam er dann endlich, gut aussehend wie immer. Und dabei trug er nur Jeans und ein weißes T-Shirt – was ihm ausgesprochen gut stand.
Direkt hinter ihm war allerdings Anne, sie sah genauso perfekt aus wie er, aber ich ließ mich davon nicht runterziehen.
„Guten Morgen, Julia“, begrüßte er mich und kam auf mich zu. Ich war mir sicher, dass er mein Herzschlag hören konnte, aber er lächelte strahlend und ich konnte gar nicht anders, als zurückzustrahlen. „Du siehst super aus!“
„Dank dir. Ich hätte das doch niemals alleine geschafft. Jetzt bin ich dir was schuldig!“
„Ach, Quatsch. Ich bin froh, wenn's dir gefällt. Hätte ja auch anders sein können.“

Und so wurde es ein wunderschöner Tag, denn Felix kam immer wieder zu mir und fragte, wie es mir ging oder ob ich mit ihm in der Mittagspause in die Stadt gehen wollte.
Nach der Schule begleitete er mich zu meinem Fahrrad. Er wirkte nachdenklich, deswegen wollte ich ihn nicht stören und sagte nichts.
Dann waren wir auch schon da und ich wollte gerade aufsteigen, da hielt er mich an der Schulter zurück.
„Warte mal, Julia.“ Verwirrt sah ich zu ihm auf, seine blauen Augen waren voller Unsicherheit; langsam beugte er sich zu mir herunter und – er würde mich doch nicht etwa küssen, oder? - unsere Lippen berührten sich. Das war mit Abstand das Schönste, was ich je erlebt hatte!
Dann lächelte er und schlenderte davon. Ließ mich geschockt-überglücklich-verwirrt-und-mit-einem-unbeschreiblich-guten-Gefühl zurück. Weg war er.
Ich musste das erst mal verarbeiten und setzte mich auf die nächste Bank. Als ich gerade anfing, darüber nachzudenken, was gerade passiert war, und ich mich fragte, wie es jetzt mit ihm und mir weiterging, hörte ich etwas im Gebüsch hinter mir rascheln.
Erschrocken drehte ich mich um und sah Kathrin aus dem Busch klettern sehen.
„Kathrin! Was machst du denn da?“
Sie setzte sich neben mich auf die Bank und fing an, sich Blätter aus den Haaren zu ziehen.
„Weißt du ...“, sagte sie und wandte verlegen den Blick ab. „Das ist so ...“
„Kathrin! Du hast mir doch nicht etwa hinterher spioniert?“
„Nein! Das würde ich niemals tun! Okay, vielleicht doch, aber hab ich diesmal echt nicht!“
Ich wollte gerade empört ansetzen, sie zu fragen, wann sie das denn schon mal gemacht hatte, als eine Gruppe Jungs auf uns zukam. Als Kathrin dann knallrot wurde und ihr Gesicht in ihrer Tasche verstecken wollte, kam mir ein Gedanke.
„Wer von denen ist es?“
„Der zweite von links!“, kam es von ihr wie aus der Pistole geschossen, dann wurde sie röter als ihr T-Shirt, das sie anhatte.
Dann liefen sie an uns vorbei und Kathrins Auserwählter zwinkerte ihr zu.
„Ich denke, er mag dich.“
„Das hoffe ich.“ Dann fiel ihr offensichtlich ein, warum ich noch hier war. Plötzlich wirkte sie eher wütend als peinlich berührt. „Wieso. Weiß. Ich. Nichts. Von. Dir. Und. FELIX?!“
„Äh … ich wusste nicht, was ich dir erzählen sollte, es gab nichts zu erzählen!“
„Das sehe ich aber anders! Er hat dich geküsst. Dich. Nicht Anne oder so. Dich. Und du denkst, das ist es nicht wert, mir zu erzählen?“ Sie explodierte fast. Dann sacke sie zusammen. „Ich dachte, wir wären Freundinnen. Freundinnen verheimlichen so etwas nicht!“
„Kathrin … Natürlich sind wir Freundinnen. Aber bis heute war es anders. Ich habe es selber noch nicht verstanden. Ich war mir nicht sicher. Du weißt ja, dass ich schon lange in ihn verliebt bin und es ist komisch, dass es auf einmal so aussieht, als würde er mich endlich bemerken. Das ist alles so neu für mich. Verstehst du das denn nicht? Ich muss es erst einmal selber verstehen und verarbeiten.“
Jetzt sah sie mich wieder mitleidig an. „Ja, ich verstehe, was du meinst. Und jetzt sag mir alles!“
„Oh je. Du hast ja mitbekommen, dass wir gestern einkaufen waren. Da haben wir bloß geredet und Geld ausgegeben. Und dann das eben hast du ja gesehen. Sonst ist nichts passiert.“
Sie sah enttäuscht aus. „Ich hatte mir das spannender vorgestellt.“
„Wie hast du das denn vorgestellt?“ Ich war verletzt und ein kleines bisschen wütend.
„Na ja … Ich weiß nicht. Anders.“
„Pff, dann solltest du dir vielleicht jemand anderen suchen, der dir spannendere Geschichten erzählen kann.“
„Anne? Die hat garantiert schon mehr mit Felix erlebt. Julia, du musst auch auf ihn zugehen!“
Ich sprang auf und wollte weglaufen. Das mit Anne war jetzt echt unnötig gewesen.
„Sorry, hab ich nicht so gemeint. Du sagst mir sofort, wenn was passiert, ja?“
„Ja, werde ich. Und jetzt fahre ich nach Hause.“ Ich hatte mich wieder beruhigt und es tat mir leid. Kathrin meinte es nur gut. Und sie war irgendwie meine beste Freundin.
Felix hatte mich geküsst! Ich sollte eigentlich vor Freude schreiend durch die Gegend laufen. Heute würde mich nichts mehr runterziehen!

Glücklich radelte ich nach Hause. Gerade als ich die Haustür aufschließen wollte, piepte mein Handy. Eine SMS:

Hallo, süße Julia! Bist du gut nach Hause gekommen? Ich mag dich wirklich sehr gern, das solltest du wissen. :)
Dein Felix

Meinte er das mit „ich mag dich wirklich sehr gern“ freundschaftlich oder … auf eine andere Weise? Sollte ich antworten? Und wenn ja, was sollte ich ihm antworten? Was erwartete er, dass ich schrieb? Woher hatte er meine Nummer? Wie immer hatte ich nur Fragen im Kopf, keine Antworten.
Nach langem Überlegen schrieb ich eine Antwort:

Ja, ich hatte auf einmal Flügen :) Ich mag dich auch! Wir sehen uns morgen, J.

Mein Engel … Ja, zum Glück! ♥

Er nannte mich sein Engel! Okay, ich musste meine Glücksgefühle irgendwo rauslassen, sonst würde ich platzen! Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so glücklich gewesen zu sein!
Ich würde mich im Park auspowern, laufen bis zum Umfallen. Ich zog so schnell ich konnte meine Sportschuhe an und raste wieder nach unten.
„Julia, wo willst du denn hin? Es gibt gleich Essen!“
„Ich hab keinen Hunger! Komme bald wieder!“, sagte ich und knallte die Tür zu.
Bis zum Park waren es zwei Minuten, aber ich konnte es kaum abwarten und legte einen Sprint hin. Das hatte ich vermisst, früher war ich stundenlang hier spazieren und laufen gegangen. Mit der Zeit hatte das nachgelassen.
Ich rannte und rannte und rannte, bis ich fast nicht mehr gerade stehen konnte. Tief atmend setzte ich mich auf die nächste Bank und schloss die Augen. Die Sonne war schön warm, nicht mehr so heiß wie es die letzten Tage gewesen war. Bald würde der Herbst kommen.
Und dann bräuchte ich wieder neue Klamotten. Ob Felix wieder mitkommen würde? Oder würde Mama das machen, jetzt, da sie wusste, dass ich nicht mehr bei den Oma-Läden einkaufen wollte?

Am nächsten Morgen stand Felix vor der Tür und wollte mich abholen.
„Ich dachte, wir fahren zusammen zur Schule!“
„Klar.“ Ich tat lässig, aber ich hätte nicht nervöser sein können. Würde ich irgendwann aufwachen und merken, dass alles nur ein Traum war? Falls ja, wollte ich jede Minute genießen.

Und so ging das jeden Tag. Er holte mich zu Hause ab und wir fuhren zusammen zur Schule. Danach brachte er mich wieder nach Hause. Manchmal kam er mit rein, meine Mutter wollte ihn unbedingt kennenlernen, als ich mich überwunden hatte, ihr von Felix zu erzählen. Aber sie mochten sich, er sagte immer, dass Essen würde tausend mal besser schmecken als bei ihm zu Hause und da konnte meine Mutter gar nicht anders als ihn zu lieben.
Ab und zu ging es sogar so weit, dass er nach unten in die Küche ging, um mit ihr zu reden, während ich oben blieb. Am Anfang fand ich es toll, dass er sie nicht peinlich fand, aber irgendwann störte es mich. Ich hatte fast schon den Eindruck, er würde nur noch wegen ihr kommen. Wenn da nicht seine verliebten Blicke wären und er immer wieder sagen würde, wie sehr er mich liebte. Und ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als in seinen Armen zu liegen.
Vor einem Monat hatte ich gefragt, ob wir jetzt „richtig“ zusammen seien. Da hat er mir tief in die Augen geschaut und gefragt:
„Willst du das denn?“
„Nichts lieber als das!“, erwiderte ich und küsste ihn.

Anne hasste mich zwar jetzt noch mehr, aber das war mir egal. Sie und Felix waren auch nicht mehr befreundet, sie hatten sich gestritten und ich hatte das Gespräch – natürlich nicht absichtlich – mitbekommen.
„Felix, was willst du mit dieser blöden Kuh?“
„Hör auf, meine Freundin so zu nennen! Du kennst sie nicht. Ich liebe sie. Und wenn du das nicht akzeptieren kannst, dann tut es mir leid.“
„Felix! Wir kennen uns jetzt schon so lange. Ich dachte, wir wären sogar fast zusammen. Ich verstehe, wenn du im Moment etwas verwirrt bist. Ich gebe dir eine letzte Chance. Du kannst darüber nachdenken und es mir dann sagen. Sie oder ich.“
„Darüber muss ich nicht nachdenken, Anne, ...“
„Ich wusste es!“, seufzte sie und fiel ihm um den Hals.
„Nein, ich meinte, dass ich mich dann für Julia entscheide. Wenn du willst, dass ich mich zwischen euch beiden entscheide, dann weiß ich, wie die Entscheidung aussieht.“
„Aber … das kannst du nicht machen!“
„Doch“, meinte er und sah auf einmal ziemlich wütend aus. „Mach's gut, Anne.“ Dann ging er Richtung Klassenzimmer.
Als Anne anfing zu weinen, musste ich mich überwinden, nicht zu ihr zu gehen und sie zu trösten.
Ich war ja einerseits froh, dass er hinter mir stand und es wirklich ernst zu meinen schien, aber dass ich schuld daran war, dass die Freundschaft zwischen den beiden kaputt ging, gefiel mir nicht.
Seitdem warf sie mir nur noch hasserfüllte Blicke zu, die ich lieber ignorierte.

Mein Leben hatte sich vollkommen verändert. Ich war jetzt nicht mehr die Außenseiterin, die Streberin. Ich hatte viele Freunde, wurde auf Partys eingeladen und alle respektierten mich, so, wie ich war. Anfangs kannte man mich als „Felix' Freundin“, aber das änderte sich nach und nach. Ich war jetzt einfach Julia!
Nur mit Mathe hatte sich nichts geändert. Jetzt war ich zwar nicht mehr damit beschäftigt, Felix anzustarren, aber dafür erwiderte ich seine verliebten Blicke, seine Luftküsse und musste meinen Banknachbarinnen jede Stunde von ihm erzählen.

Heute Abend würde ich mit Felix und mit ein paar Freunden ins Kino gehen. Wir hatten uns auf einen Liebesfilm geeinigt, der nicht so kitschig war.
Aber davor würde ich noch einen Schultag überstehen müssen.
Es fing mit Doppelstunde Sport an, was an für sich schon mal gar nicht so schlimm war, dann kam noch dazu, dass wir mit den Jungs zusammen hatten, weil deren Lehrer krank war.


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Texte: Die Rechte liegen alle bei uns!
Tag der Veröffentlichung: 16.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An Julia!

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