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Spätlese Hinter dem Pseudonym Dieter Brock verbirgt sich Dr. med. Dietrich Müllenbrock, Jahrgang 1938, geb. in Stolp / Pommern. Abitur im ehemaligen West-Berlin, Studium der Humanmedizin an der Freien Universität Berlin. Nebenfächer : Publizistik und frühere Geschichte.

Staatsexamen und der Promotion an der FU Berlin. Chirurgische, gynäkologische und internistische Weiterbildung an mehreren Berliner Kliniken, sowie Hospitation an der Universitätsklinik Odense / Dänemark. Wissenschaftlicher Assistent an der Medizinischen Universitätsklinik Westend. 1969 Umsiedlung nach Bietigheim in Baden - Württemberg. Dort internistische Weiterbildung. 1972 Gründung einer ländlichen Allgemeinpraxis in dem Weinort Walheim am Neckar . Nach dem Ruhestand 10/2006 , Aufzeichnung der Erlebnisse im Umgang mit Patienten, sowie Anekdoten und Geschichten der liebenswerten und fleißigen Einwohner dieser Gegend.


Inhaltsverzeichnis

1. Götz von Berlichingen Seite 9
2. Der General Seite 11
3. Der Veteran Seite 15
4. Die Musikprobe Seite 20
5. Mizzi Seite 22
6. Bananen – Anne Seite 25
7. Das Harmonium Seite 28
8. Das Holzbein Seite 31
9. Das Pilzgericht Seite 35
10. Die Hausschlachtung Seite 38
11. Das Wannengrabenfest Seite 40
12. Der Amtmann Seite 42
13. Der Bauchtumor Seite 44
14. Der Blauhai Seite 47
15. Der Dünencowboy Seite 51
16. Der Elternabend Seite 54
17. Der Fährmann Seite 56
18. Der Fahrstuhl Seite 59
19. Der Farrenstall Seite 62
20. Der Hundestammtisch Seite 64
21. Der Indianer Seite 66
22. Der Leistenbruch Seite 69
23. Der Libanese Seite 71
24. Der Murmelklau Seite 77
25. Der Personenschutz Seite 79
26. Der Pianist Seite 82
27. Der Rennfahrer Seite 85
28. Der Schizophrene Seite 87
29. Der schwarze Freitag Seite 90
30. Der sparsame Witwer Seite 94
31. Verkehrsunfall Seite 97
32. Der Stallone Seite 99
33. Hasenstreit Seite 102
34. Der Totengräber Seite 104
35. Der Viehtransporter Seite 106
36. Der Wunschsohn Seite 108
37. Die Eule Seite 110
38. Die Hühnerhypnose Seite 114
39. Die Post brennt! Seite 117
40. Die Schlammschlacht Seite 122
41. Die Strabbenstraße Seite 125
42. Disziplin Seite 131
43. Weihnachtsüberraschung Seite 135
44. Sommersprossen Seite 140
45. Doc’ s Rache 1 Seite 144
46. Doc’ s Rache 2 Seite 147
47. Im Krankenhaus Seite 150
48. Jumbo Seite 152
49. Kirby Seite 154
50. Mißverständnisse Seite 161
51. Mitleid Seite 165
52. Nachttaxi Seite 167
53. Das Klistier Seite 170
54. Polizistenfrust Seite 175
55. Jule Seite 176
56. Die Entmannung Seite 178
57. Der Most Seite 181
58. Das 1. Programm Seite 183
59. Gottvertrauen Seite 185
60. Der Fischkopf Seite 187
61. Der Raucher Seite 190
62. Die Elster Seite 193
63. Der Jurist Seite 198
64. Der Knitz Seite 200
65. Katzenjammer Seite 204
66. Der Wengert Seite 206


1. Götz von Berlichingen
Nach einer ärztlichen Fortbildungsveranstaltung in Wien , saßen nach getaner Arbeit mehrere Kollegen an der Hotelbar und unterhielten sich. Drei Bietigheimer Ärzte und ich diskutierten mit - aus dem norddeutschen Raum stammenden - Medizinern über das Erlernte . Dabei landete später das Gespräch beim schwäbischen Dialekt und der Schwabenmentalität. Als Beuteschwabe vermittelte ich den immer heftiger werdenden Disput, in dem den Württembergern unter anderem eine derbe - mit unflätigen Schimpfworten gespickte - Sprache vorgeworfen wurde . Das bekannte Götz von Berlichingen - Zitat stand dabei im Mittelpunkt der Kritik. Mühsam versuchten wir den Nichtschwaben klar zu machen, daß „ Leck mich doch am Ar...... “ bei uns Schwaben keine Beleidigung , sondern vielmehr eine landesübliche Redewendung sei . Diese würde hier sogar von der Rechtsprechung anerkannt und beinhalte keineswegs eine verunglimpfende Absicht. Gerade als wir die „Aliens “ halbwegs überzeugt hatten , betrat unser Bietigheimer Gynäkologe mit dem Spitznamen „ Schnauz “ , den Barraum . Er war gleichfalls auf einer Fachtagung und hatte zufällig dasselbe Hotel gebucht . Wie auf Kommando begrüßten ihn die Schwaben im Chor mit den Worten : „ Leck mich doch am Ar..., der Schnauz !!! “ Großes Gelächter !! Kommentar überflüssig .


2. Der General
Als gebürtiger Brandenburger bäuerlichen Geblüts kam Gerd S. aus der DDR in die Bundesrepublik. Als Angehöriger des Jahrgang 1938 – auf den er sehr stolz war – hatte er es nicht leicht in seinem Leben. Eine höhere Schulbildung wurde ihm nicht ermöglicht, obwohl er geistig sehr rege und an allem interessiert war. In den Nachkriegsjahren mußte man möglichst schnell Geld verdienen, um dazu beizutragen, die Familie am Überleben zu helfen. Seine etwas untersetzte , mittelgroße ,kräftige Gestalt mit einem auffallend kurzem Hals ,auf dem ein kugelrunder blond - behaarter Kopf saß, mit verschmitzten blauen Augen, einer leicht geröteten Nase und stets lächelndem breiten Mund, vermittelte seiner leicht gebückten Haltung mit hochgezogenen Schultern den Eindruck, daß er ständig in Erwartung eines auf ihn herabstürzenden Gegenstandes war. Er erinnerte mich an die Figur des Soldaten Schweijk. Als Monteur fand er bei einer großen Firma eine Anstellung und kam so arbeitsmäßig zum Einsatz im Neckar-Kraftwerk Walheim. Hier lernte er seine Frau kennen, heiratete und gründete eine kleine Familie. Nach dem Wechsel zur Firma Thyssen reiste er in der ganzen Welt herum. Bevorzugte Einsatzgebiete waren Skandinavien und die UdSSR. In letzterer hielt er sich oft monatelang auf ,lebte unter primitivsten Verhältnissen ,um das sogenannte Auslösegeld aufzusparen, denn es gab in den entlegensten Gebieten Rußlands keine Möglichkeit Geld auszugeben. Mit dem Ersparten kaufte er sich bald eine Eigentumswohnung, später ein älteres Haus. Durch kleinere Tauschgeschäfte mittels mitgebrachter Mangelware in der Sowjetunion und großzügig verteilter kleiner Mitbringsel , erlangte er einige russische Sprachkenntnisse, die er in einem bunten Kauderwelsch vor Ort erfolgreich einsetzte. Durch seine freundliche Art, Kontaktfreudigkeit und Hilfsbereitschaft erlangte er bald das Vertrauen der russischen Arbeitskollegen ,die den beliebten Deutschen auch bald privat zu sich nach Hause einluden. Hier vertrat er als überzeugter Patriot sein durch die Vergangenheit geprägtes Deutschlandbild, was sicherlich bei den ehemaligen Kriegsgegnern nicht immer leicht war. Sprachschwierigkeiten wurden durch beiderseitige Trinkfreudigkeit rasch behoben. Mit zunehmendem Alkoholgenuß kam sein zackiges paramilitärisches Auftreten zur Geltung ,obgleich er nie beim Militär gedient hatte . Bald wurden Uniformteile und Orden getauscht. Gerd T. beförderte sich zum Offizier und wurde nur noch „Kapitan“ genannt. Diesen Spitznamen behielt er auch bei seinen deutschen Kollegen ,die ihn wegen seiner zahlreichen Kontakte und Sprachkenntnissen gern zur Vermittlung bei aufgetretenen Problemen in Anspruch nahmen. Rückkehr In seiner Firma wurde er immer wieder um Hilfe bei der Betreuung von sowjetischen Austauschgruppen gebeten. Hier engagierte er sich auch im Privatbereich enorm . Einladungen in seine Wohnung mit lustigen Feiern, Essen, Trinken, Singen und Gitarrespielen trösteten die stets heimwehkranken Russen rasch. Er zeigte ihnen auch stolz die schöne Umgebung und stellte sie auch seinen Freunden und Bekannten im Dorf vor. Das war alles für ihn selbstverständlich. Die nicht gerade verwöhnten Russen waren einschließlich dem begleitenden obligaten Sicherheitsoffizier von seiner Gastfreundschaft tief beeindruckt.
So kam es, daß das " Fernweh " nach einer feucht-fröhlichen Feier in seinem Heim den " Kapitan" und seine erheblich angeheiterten , fröhlich schwankenden russischen Gäste übermannte. Die gesamte Mannschaft verließ die Wohnung, um mich in meiner - im selben Hochhaus ein Stockwerk tiefer gelegenen - Wohnung zu besuchen. Nach großem Hallo, vielen Umarmungen mit Bruderküßchen, nahmen alle erwartungsvoll Platz. Meine Frau schaltete sofort. Sie zauberte Gläser, Bier, weitere alkoholische Getränke sowie Snacks auf den Tisch, damit die großartige Stimmung keinen Abbruch erlitt.
Eine Stunde später, nachdem der Blutalkoholspiegel um einige weitere Promille gestiegen war, rief der „Kapitan“ zum Aufbruch . Ein Scheidebecher - ein letzter Maßkrug - gefüllt mit frisch gezapften Bier - wurde ihm gereicht. Mühsam und etwas theatralisch erhob sich der „Kapitan“, nahm eine stramme Haltung an, grüßte militärisch, indem er die leicht angewinkelte Hand an die nicht vorhandene Offiziersmütze legte und dankte mit markigen Worten dem Doc und seiner Frau für die Gastfreundschaft. Achtungsvoll folgten seine Gäste seinem Beispiel. Sie standen auf ,salutierten und tranken mit lautem „Nasdadrowje " die Krüge leer. Kaum hatten sich alle wieder gesetzt, übergab sich der „Kapitan“ gezielt in seinen Maßkrug, ohne daß ein Tropfen daneben ging. Etwas blaß erhob er sich dann erneut, nahm Haltung an, ergriff den bis an den Rand mit dem Erbrochenen gefüllten Krug, rief laut: „ Ein Deutscher läßt nichts verkommen!“ Dann trank er ihn bis zur Neige aus. Mühsam stand er auf und verließ schwankend - sich an den Wänden abstützend - die Wohnung. Meine Frau wandte sich entsetzt ab. Ihr wurde schlecht. Die Russen saßen wie erstarrt da. Nach einer Minute löste sich die Anspannung ,ein hochachtungsvolles Grinsen machte sich auf den Gesichtern breit und der Führungsoffizier verkündete: "GERD, nix Kapitan: GENERAL !!“ Dann standen alle auf und verließen ebenfalls das Geschehen.- Natürlich sprach sich dieser Vorfall schnell im Ort herum. Seither heißt Gerd S. nur noch „der General “.


3. Der Veteran
Heinz F. war ein Kerl wie ein starker Baum - ca 4,5 Zentner schwer ,195 cm groß und etwa 55 Jahre alt. Dabei strahlte er mit seinem gutmütigen, glattem, faltenlosen , jünger wirkendem Gesicht seinen Besucher stets an. Er war immer freundlich und etwas einfältig. Durch seine ungewöhnlichen Dimensionen und daraus resultierenden Folgeerkrankungen, wurde er immobil und hatte sein winziges Häuschen seit Jahren nicht mehr verlassen können. Als ich ihn das erste Mal notfallmäßig besuchte, bot sich mir ein unvergeßliches Bild:
Wie ein Buddha thronte er mit nacktem Oberkörper auf einem durchgelegenen, durchgenäßten Bett. Die gespreizten Elefantenbeine stützten sich auf den blank gescheuertem Fußboden. Ein wasserballgroßer Hodensack steckte in einem zerbeulten weißen Emailleeimer. Diesen trug er am Henkel, wenn er vom Bett aufstehen musste. Über meine Äußerung, daß ich Ähnliches noch nie gesehen hatte, freute er sich diebisch: „Gell, Doc, bei mir könnet Sie noch was lerne“, lautete sein Kommentar. Neben ihm stand als Kontrast eine 148 cm große blasse, ältere, verhärmte, magere Frau, die mich ängstlich mit großen , aufgerissenen graublauen Augen anstarrte - in banger Erwartung meiner Diagnose. Sie umsorgte in rührender Weise ihren großen Jungen, wie sie ihn liebevoll nannte. Gegen ein kleines Entgelt wohnte sie dort. Sie putzte, hegte und pflegte ihn wie eine Arbeitsbiene die Drohne. Natürlich mußte ich den beiden klarlegen, daß eine Krankenhauseinweisung und eine Operation unumgänglich waren.Es handelte sich um eine Hydrocele - einem sogenannten Hodenwasserbruch. Nach dem ersten Schrecken und nicht zuletzt durch die von mir erlaubten drei Viertele „Walheimer Römerblut“ kamen wir ins Gespräch. Als 17- Jähriger wurde Heinz F. als Rekrut 1942 von der Waffen-SS eingezogen Er kam als rechter Flügelmann und MG-Schütze nach einer Kurzausbildung an die Ostfront. Hier geriet er 1943 in die Kriegsgefangenschaft. Letztere überlebte er als einer der wenigen in Sibirien in einem Bleibergwerk. Als Spätheimkehrer kam er 1952 krank und verhungert , an Leib und Seele gebrochen, nach Walheim zurück.
Nachdem er sein anfängliches Mißtrauen gegenüber Ärzten revidiert hatte, willigte er ein, sich in das Unabwendbare zu fügen. Als erstes benachrichtigte ich den Krankentransport, mit der Bitte um doppelte Besatzung . Auf die Frage warum, begründete ich die schwierige Situation mit dem Übergewicht, den beengten Wohnverhältnissen und der Tatsache ,daß der Patient aus dem 1.Stock in den Krankenwagen gebracht werden mußte. Der Kommentar lautete: „Herr Doktor ,dös machet mir schon. Mir sind kräftig und Kummer gewohnt ! Es kommet nur zwei Mann! Dös schaffet die scho!“ Nach 10 Minuten Wartezeit hörte man schon von weitem das Martinshorn, obwohl ich am Telefon in Kenntnis meiner neugierigen, sensationslüsternen Walheimer wohlweislich darum gebeten hatte, ohne Signal zu kommen. Heinz K. horchte auf und verkündete stolz: „Dös gilt bestimmt mir!“ Wie recht er hatte: Vor dem Haus in der engen Bachstrasse versammelten sich bereits erwartungsvoll die ersten Zaungäste. Die Sanitäter stürmten in das Haus, stolperten die enge Treppe herauf und betrachteten erschrocken die Situation. "Dös wird arg schwer! Da misset Sie mit 'nalange, Herr Doktor.“
Nachdem ein Sitztragegurt herbeigeschafft worden war, versuchten wir zu dritt den riesigen Mann samt Eimer in den Transportgurt zu heben. Nach mehreren frustranen Versuchen, gaben wir das Vorhaben erschöpft auf. Es war klar, es mußte Verstärkung herbei geholt werden! Also rief ich meinen kräftigen Assistenten Dr. R. in der Praxis an und bat um sofortige Hilfe. Nach weiteren 5 Minuten traf dieser ein ,nschlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen und stöhnte nur : " Wie furchtbar !! “ Dann begannen wir erneut zu viert. Wir kamen nur bis zur Treppe. Dort scheiterten wir kläglich an der Enge und dem Eisengeländer. Großes Palaver. Über allem saß stolz und strahlend der Hauptakteur auf der ersten Treppenstufe, auf der wir ihn abgesetzt hatten. „ Endlich a mole Äktschen in der Hütte “, freute er sich. Sein Vorschlag , ihn die Stufen herunterrutschen zu lassen , erschien uns in Anbetracht des Eimers mit dem Ballonhoden zu gefährlich.
Jetzt mußte der Klempner ran! Gesagt - getan. Herr T. aus Walheim kam sofort, erkannte die Lage und bestimmte : „Ein Schweißgerät muß her, das Geländer muß runter!“ Sein Sohn rückte nunmehr mit dem Werkzeug an und schweißte das Geländer ab. Zwei Ärzte, vier inzwischen zur Verstärkung angeforderte Sanitäter, ein Schlossermeister, sein Sohn, der Patient ,die Hausfrau und einige Zuschauer bevölkerten den engen Flur . Erneuter Versuch! Die Handwerker langten kräftig mit zu. Leider rutschte der von der unteren Ebene gestützte riesige Kranke ab und drohte die Untenstehenden zu erschlagen. Mit vereinten Kräften gelang es, ihn wieder in die Ausgangsposition zurückzubringen. Allen war es klar: So ging es nun wirklich nicht weiter. Die Feuerwehr muß her! Nach kurzer Zeit brauste mit Tatütata und Blaulicht ein rotes Löschfahrzeug heran. Die Bachstrasse war total blockiert. Schließlich standen dort 2 Arztwagen, 2 Krankenwagen mit Blaulicht, 2 Handwerkerautos und 1 Feuerwehrauto mit Blaulicht. Zusätzlich bevölkerten nunmehr etwa 50 Zuschauer das Geschehen.
Nachdem die eifrigen Wehrmänner das Dachfenster herausgebrochen hatten und die Ziegel teilweise abgedeckt worden waren ,wurde jetzt das technische Hilfswerk mit dem Hebekran herbeigeordert. Diesen Männern gelang schließlich das Kunststück: Unter großem Applaus wurde Herr Heinz F . aus der geschaffenen Dachluke gehievt und in den Krankenwagen verladen. Hier winkte er huldvoll den Beifall klatschenden Umstehenden zu. Dann verschwand er im Krankenwagen. In der Klinik wurden zwei Betten zusammen gestellt . Der mittlerweile prominent gewordene Walheimer Bürger wurde erfolgreich operiert und später entlassen.
Beim Abtransport aus der Klinik mit vier Pflegern, erzählte Herr K. seine Geschichte. Daraufhin mußte ein junger Pfleger so sehr lachen, daß er ausrutschte, den Patienten fallen ließ und sich dabei einen Arm brach. Ein netter Berufsunfall, nicht wahr ?


4. Die Musikprobe
Unser örtlicher Musikverein ist sehr beliebt. Er ist weit über die Grenzen Walheims hinaus bekannt. Bei den Festen im Ort und den Nachbargemeinden treten die Musiker im einheitlichen Outfit mit weinroten Blazern, weißem Hemd, schwarzer Krawatte und schwarzer Hose auf. Sie verbreiten eine begeisternde Stimmungsmusik. Gerd N. hatte von seinem Vater, dem Gründungsmitglied, die Aufgabe übernommen, die Jungbläser auszubilden. Er selbst war ein begabter Trompeter, der erfolgreich jahrelang in einer bekannten Band sein Hobby ausgeübt hatte. Die Proben fanden im leerstehenden, unter Denkmalschutz stehendem, alten Schulhaus neben der Kirche statt. Die benötigten Instrumente, Notenständer, Stühle und andere Gerätschaften wurden aus Platzmangel auf dem Boden – im schwäbischen Bühne genannt - untergebracht. Im Parterre gelegenen großen Schulraum fanden dann die Proben statt.
An einem Übungsabend sollte ein neues Musikstück einstudiert werden. Die Notenblätter wurden ausgeteilt, die wenigen Notenständer aufgestellt. Der Dirigent erkannte die Situation : Ständer mußten her!
Mit lauter Stimme rief er zur Ruhe und verkündete dann : " Die Bläser, die noch keinen Ständer haben, gehen jetzt auf die Bühne und holen sich dort einen runter !!! “
Ein schallendes Gelächter brach aus. Gert N. stand hilflos da und verstand nicht warum....


5. Mizzi
Seit dem frühen Tod ihres Mannes, dem Wirt des alten Traditionsgasthauses „ Zur Rose “, kleidete sich die groß-gewachsene schlanke Frau nur in schwarze Trauerkleidung. Im Krieg hatte sie schon einmal ihren Verlobten verloren , der an der Ostfront sein Leben ließ. Deshalb war der Schmerz über den erneut erlittenen Verlust besonders groß.
Der Gangstil von Mizzi erinnerte an ein schwankendes Kamel in der Wüste. Dieser Eindruck wurde noch durch die langen – stets in schwarze Hosen gehüllte – Beine verstärkt. Die hellblauen, wässrigen Augen schauten immer ängstlich den Gesprächspartner an, als erwarteten sie, etwas Schreckliches zu sehen zu müssen. Für ihr betagtes Alter hatte sie erstaunlich wenig Falten. Eine leicht gerötete Nase und ein verstecktes Zittern der Hände ließen eine - als Gastwirtin- berufsbezogene Gesundheitsstörung erahnen. Der Ausschank der Rose wurde - wenn auch eingeschränkt - nach dem Tod des Ehegatten von Mizzi tapfer weitergeführt. Die meist männlichen Stammgäste kaschierten ihren täglichen Gasthausbesuch dadurch, dass sie mit dem geschulterten Karst, der Reithaue oder ähnlichem Arbeitsgerät schon morgens durch den Ort zogen und diese dann vor der Eingangstür der„ Rose “ abstellten. So hatte man den Eindruck, sie würden von der Arbeit auf dem Feld oder dem Weinberg zurückkommen, um den dort erworbenen Durst zu löschen.
In früheren Zeiten wurden in dem großen Festsaal Tanzveranstaltungen, Hochzeiten und andere Familienfeiern durchgeführt. Heute findet dort nur noch die jährliche Holzauktion der Gemeinde statt.
Das ist allerdings für die Walheimer immer ein besonderes Ereignis. Unter dem reichlichen Alkoholeinfluss übertreffen sich zur allgemeinen Belustigung die Bieter oft mit unverhältnismäßig hohen Gebote. Nach der Ausnüchterung am nächsten Tag und nach überstandenem häuslichen Donnerwetter von der holden Angetrauten, werden diese dann häufig reumütig beim Gemeindekämmerer - auf inständiges Bitten hin - wieder storniert.
Mizzi steht jedoch wie immer strahlend am Zapfhahn, schreibt an, schenkt aus und freut sich über den regen Besucherstrom und den steigenden Umsatz. Bei einem Besuch auf dem alle 2 Jahre stattfindenden Dorffest unterhielt sie sich mit einigen Stammkunden. Zu dieser Gruppe gesellte sich auch der alte Ortspfarrer. Erstaunt sprach er - die ihm bis dahin unbekannte Mizzi - mit den Worten an: „ Nett, Sie kennen zu lernen, meine Dame. Aber, ich habe sie noch nie bei mir im Gottesdienst gesehen!!“ Das klang ziemlich vorwurfsvoll. Die schlagfertige Antwort von Mizzi lautete: „ Und ich Sie auch noch nie in meinem Lokal, Herr Pfarrer !!!“. Dieser schmunzelte nur und wurde nachdenklich. Seitdem suchte der Ortsgeistliche die „Rose“ gelegentlich auf,um eine Tasse Kaffee mit einem Stück Hefekranz zu genießen. Als Gegenleistung erschien ein Schäfchen mehr in seinem Sonntagsgottesdienst.


6. Bananen - Anne
Anne S. hatte schwere Zeiten hinter sich. Zwei Ehemänner starben früh,und sie mußte ihr Leben lang hart für ihren Lebensunterhalt und ihre vier Kinder arbeiten. Eine im Kindesalter überstandene Maserninfektion hatte eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit hinterlassen und ihr Leben zusätzlich schwer belastet. Trotzdem war sie immer freundlich und fröhlich. Ihre Kinder waren wohl erzogen und dankten der Mutterliebe mit einem festen familiären Zusammenhalt und gegenseitiger liebevollen Unterstützung. Durch die tägliche Belastung war Anne abgemagert und deutlich vorgealtert. Die ständigen Sorgen hatten sie gezeichnet und Spuren der Entbehrung in ihrem Gesicht hinterlassen. Durch einen leichten Buckel , die gebeugte, schlaffe Körperhaltung, sowie dem Verzicht auf jegliche kosmetische Hilfsmittel, wirkte sie ca. 15 Jahre älter als es ihrem biologischen Alter entsprach.
Die ergrauten Haare hatten aus Sparsamkeit nur selten eine fachmännische Pflege durch einen Friseur erhalten und umrahmten - immer etwas wirr - das sicherlich früher hübsche Gesicht.
Zum 50. Geburtstag legten die Kinder ihr erspartes Geld zusammen und schenkten ihrer Mutter einen Urlaub in Gran Canaria. Es war der erste Urlaub in ihrem Leben. Anne freute sich unbändig darauf und berichtete Jedem, den sie traf, stolz von dem großartigen Geschenk ihrer Kinder. Ein Hotelurlaub ohne die tägliche Arbeit und die hausfraulichen Tätigkeiten, war für sie kaum vorstellbar.
Mit einem Rucksack versehen, in dem sie ihre Utensilien verstaut hatte, fuhr sie mit der S-Bahn - von der ganzen Familie begleitet - mit klopfendem Herzen zum Flughafen Stuttgart, dem großen Abenteuer entgegen.
Längere Zeit nach ihrer Rückkehr hörte ich nichts von ihr. Über andere Patienten erfuhr ich, dass sie erholt und braungebrannt aus dem Urlaub zurück gekehrt war. Den Rucksack hatte sie mit selbst geernteten Bananen voll gepackt. Außerdem trug sie jetzt stolz einen netten Strohhut, den sie von einem Plantagenbesitzer verehrt bekommen hatte. Ihre Kinder behaupteten, sie habe sich seit dem Urlaub optisch um mindestens 20 Jahre verjüngt!
Nach drei Jahren erschien sie erstmalig wieder in meiner Sprechstunde. Sie war wie immer fröhlich und wirkte wieder richtig frisch und jugendlich. Auf ihren Urlaub angesprochen, berichtete sie mir Folgendes:
„ Herr Doktor, es war einfach wunderschön! ! Anfangs war es in dem großen Hotel etwas langweilig. Aber dann bin ich alleine losgewandert. Und als ich an einer richtigen Bananenplantage vorbei kam, da war gerade die „Lese“ voll im Gange. Da habe ich natürlich glei mit angepackt! Der Plantagenbesitzer hat mich dann eingeladen und später auch aus dem Hotel geholt. Ich habe bei ihm wohne und esse dürfe!. Aber dann hat er mich vergewaltigt! Stellen Sie sich das vor! Jeden Tag!! Und manchmal sogar zweimal!! Ich bin seither drei mal nach Gran Canaria geflogen, aber dös langt mir ! Jedesmal hat er mich gepackt ! Da nützen auch die Bananen nix, die er mir geschenkt hat, dieser Saukerl !! Jetzt mache ich nie mehr dort einen Urlaub. Das nächste Mal fahre ich nach Spanien. Dreimal war genug und zweimal zuviel !! “
Bei den Walheimern heißt sie nur noch mit Spitznamen „ Bananen – Anne " .


7. Das Harmonium
Sie war eine Witfrau und verhielt sich wie es früher typisch war. Nach dem Tod ihres Mannes, eines Bauhofarbeiters, Wengertschützen und ortsbekannten Originals, kleidete sie sich nur in Schwarz. Zusätzlich trug sie ein Kopftuch, das ihre weißen Haare noch stärker zur Geltung brachte. Sie sah aus wie ein altes Hutzelweibchen.
In der Bachstraße wohnte sie alleine ebenerdig in einem alten Haus. Leider geschah es früher- bis zum Bau des Neckardammes- ,daß der alte Ortsteil mindestens einmal jährlich überschwemmt wurde. Somit standen dann die Keller und Häuser unter Wasser. Frau B. wurde von mir ärztlich betreut und regelmäßig besucht. Wenn man die dunkle Wohnung betrat, fiel ein altes Harmoium auf, das gleich rechts vom Eingang positioniert war. Als Mitglied einer pietistischen, streng religiösen Gruppierung in Walheim, trafen sich hier regelmäßig einige Gemeindemitglieder zur gemeinsamen Andacht. Diese Zusammenkünfte und meine Hausbesuche waren die einzige Abwechslung im täglichen Leben von Frau B.
Bei einem Krankenbesuch bat ich sie, doch einmal etwas auf dem Harmonium zu spielen. Erst zierte sie sich ein wenig, dann offenbarte sie mir, daß das Harmonium bei der letzten Überschwemmung unter Wasser stand, und ihm seither nur noch mit der oberen Hälfte der Tastatur Töne zu entlocken waren. Außerdem hätte sie nicht mehr die Kraft, mit den Füßen die Blasebälge zu treten. „ Aber Herr Doktor, wenn sie unten treten, dann kann ich oben spielen, und wir können gemeinsam ein Lied singen “, schlug sie vor. Diesmal zierte ich mich. Kirchenlieder gehörten nicht unbedingt zu meinem ständigen Repertoire. Schließlich ließ ich mich - auf ihre eindringliche Bitte hin - erweichen, um ihr diese kleine Freude zu gönnen. Wir einigten uns auf : „ Ein feste Burg ist unser Gott.“ Ein zweiter Stuhl wurde geholt, und wir schritten zur Tat. Nach einigen bemerkenswerten Akkorden als Vorspiel, begann sie mit hoher zittriger Stimme zu singen. Ich fiel einige Oktaven tiefer ein. Dabei bediente ich die Tretbälge.
Es muss ein fürchterlicher Katzenjammer gewesen sein. Ihr jedoch gefiel es, und sie bat um eine Fortsetzung des Konzertes. Diesmal lehnte ich jedoch dankend weitergehende Aktionen ab. Dann kamen wir miteinander ins Gespräch. Sie erzählte von früheren Zeiten: „So, wie heute mit Ihnen, war es damals mit dem Pfarrer auch. Jedes Mal, wenn er kam, sangen wir miteinander. Und dann, Herr Doktor, mußte ich mich anschließend über das Harmonium beugen. Der Pfarrer lupfte dann meinen Rock und hat mir den Teufel ausgetrieben !! Ei, war das sooo schön!“, erklärte sie mir in aller Einfalt. – Sicherheitshalber verließ ich schnell das Haus......


8. Das Holzbein
Er sah immer etwas griesgrämig aus : der 56-jährige Flüchtling aus Ostpreußen – wie die Einheimischen immer noch 60 Jahre nach Kriegsende sagen . Er war in einer Nachbargemeinde „ hängen“ geblieben. Schon wegen seiner Sprache hatte Paul S. es schwer, im Neckartal Fuß zu fassen. Seine Frau war - wie er ebenfalls Flüchtling - allerdings aus Pommern. Er neckte sie stets mit der Bemerkung , sie stamme aus der vorletzten Kartoffelreihe. Das Paar hatte fünf Kinder, die alle wohlgeraten waren. Durch Fleiß und Sparsamkeit hatten es die beiden zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht.
Nach einer akuten schweren Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung) hatte sich vor einigen Jahren bei Herrn S. ein insulinpflichtiger Diabetes entwickelt, der bald zu schweren Durchblutungs-störungen der Beine führte . Als Spätfolge mußte der rechte Oberschenkel amputiert werden, der dann mit einer Prothese versorgt wurde. Paul S. konnte sich nur schwer an das Kunstglied gewöhnen . Wegen steter Schmerzen hinkte er deutlich. Bald wurde er deshalb nur noch „ das Holzbein“ genannt. Wegen zusätzlicher internistischer Leiden wurde er erwerbsunfähig und bezog eine Frührente. Als behandelnder Hausarzt erhielt ich nach zwei Jahren vom Versorgungsamt ein Schreiben, mit Bitte um eine schriftliche ärztliche Stellungnahme, ob die Behinderung, die zur vorzeitigen Berentung geführt hatte, noch bestünde. Ich hielt das für einen Witz. Es mußte doch jedem klar sein, daß ein amputiertes Bein nicht nachwächst !! Bei der steigenden Papierflut, die auf uns Ärzte täglich abgeladen wird, erledigte ich diese unsinnige Anfrage durch die senkrechte Ablage in den Papierkorb. Zwei Monate später wurde dieses überflüssige Schreiben erneut angemahnt. Diesmal handschriftlich unterzeichnet von Medizinaldirektor Dr. K. Auch dieses Formular wurde von mir auf die gleiche Weise umgehend entsorgt. Das Ganze wiederholte sich noch zweimal.
Ich hatte den Vorgang schon vergessen, als „Holzbein“ wütend in meiner Sprechstunde auftauchte und mich beschimpfte. Auf meine Frage, warum er so reagiere, legte er mir ein Schreiben vom Versorgungsamt vor. In diesem wurde angekündigt, daß die Rente und die anerkannte Schwerbeschädigung aufgehoben würde, weil ich nicht auf die Anfragen vom Versorgungsamt reagiert hatte.
Nach einem längerem Gespräch, in dem ich ihm mein Verhalten begründete, kamen wir überein, daß er sich direkt bei dem zuständigen Medizinaldirektor melden solle.
„Holzbein“ grinste nur verschwörerisch und sagte knapp: „Ok, das mache ich!“ Mit einem Brief von mir versehen, begab sich Holzbein zum Versorgungsamt . Dort wollte er dann seine ungeliebte Prothese abschnallen, dem begutachtenden Arzt vorlegen und sagen, daß er sie nicht mehr brauche. Das Bein sei überraschenderweise nachgewachsen! Gesagt - getan. Wie besprochen, erschien Herr S. mit einem Brief von mir in der Hand im Vorzimmer des Dr. K. Die Sekretärin war über den ungewöhnlichen Besuch so überrascht, daß sie - in der Annahme , ihr Chef hätte den Termin selbst ausgemacht - Holzbein eintreten ließ. Den direkten Patientenkontakt hatte man auf diesem Amt so gut wie nie. Sein Erscheinen war daher sehr ungewöhnlich !
Nach kurzer Musterung wurde er vom Amtschef Dr. K. gefragt, was er eigentlich wolle. Das Begleitschreiben wurde überreicht. Während der Kollege das Dokument las, entkleidete sich Holzbein, schnallte das Kunstbein verabredungsgemäß ab und legte es dem verblüfften Arzt auf den Schreibtisch mit den Worten: „ Herr Doktor, das Bein ist - wie Sie sehen können - zu meiner Überraschung nachgewachsen. Die Rente wurde mir also zu Recht gestrichen!“ Was dann geschah, hatte es im Versorgungsamt noch nie gegeben : Mit dem Wutschrei: “ Raus hier, Unverschämtheit, das lasse ich mir nicht bieten!! Ich kann doch nicht alles, was ich täglich unterschreiben muß, auch noch lesen !! Sie und Ihr Doktor werden von mir hören usw......“, explodierte der Obermedizinaldirektor. Die arme schreckensblasse Vorzimmerdame hatte ihren Chef noch nie so erlebt. Dieser rannte empört aus dem Zimmer, knallte die Tür zu und verschwand laut schimpfend auf dem Flur. Kurze Zeit spätere erhielt ich den erwarteten Anruf aus dem Versorgungsamt. Ich wurde der Unkollegialität bezichtigt und müsse mit einem Verfahren der Ärztekammer rechnen. Auf die Begründung meiner Handlungsweise wurde überhaupt nicht eingegangen, und der Telefonhörer aufgelegt. Ein paar Tage später rief mich ein Kollege aus der Ärztekammer an, und bat mich um eine Stellungnahme. Nach meiner Schilderung der Sachlage mußte er sich offensichtlich ein Lachen verkneifen. Er erklärte mir, daß ich eine mündliche Rüge erhalten müsse. Damit wäre dann alles erledigt. Übrigens erhielt Holzbein - ohne Begründung - seine bisherige Rente weiter. Weitere Anfragen in der Angelegenheit in der Rentensache S. bekam ich nie wieder.


9. Das Pilzgericht
Als Jäger wurde auch ich an einem Wochenende im Spätherbst zur Treibjagd in ein entfernteres Revier eingeladen. Bis Anfang der 80 ziger Jahre waren hier Strecken mit 100 bis 150 Hasen und ca 30 - 40 Fasanen durchaus nicht ungewöhnlich. Nach einem erfolgreichen aber auch anstrengenden Jagderlebnis, bei dem man bei jedem Wetter in einer Reihe mit der Treiberwehr oft über frisch gebrochene, nasse Äcker, durch dornige, brachliegende Weinberge und dichtes Gestrüpp gehen muß, lädt der Jagdherr anschließend zum sogenannten Schüsseltreiben ein. Meistens wird ein ganzes Lokal angemietet, indem man nach einer guten Mahlzeit, Wein,Bier und oft auch Schnaps, fröhlich zusammen sitzt, singt und lacht. Oft findet dann auch ein spontan zusammengesetztes Jagdgericht statt, das in humorvoller Weise kleinere Vergehen, wie ein vergessenes Signalhorn, gehäufte Fehlschüsse oder Mangel an Patronen ahndet .Das dann verkündete Urteil lautet dann - je nach Geldbeutel des betroffenen Jägers - 2 bis 5 Flaschen Wein für die Treiberwehr.
An dieser besagten Jagd nahmen auch viele Mitglieder desHochadels teil, weil der Jagdpächter eine Adelsfrau geheiratet hatte. Mit dieser hochkarätigen Gesellschaft wurde selbstverständlich in einem sehr bekannten und noblen Spitzenrestaurant nachgefeiert.
Nachdem man sich erfrischt und gesäubert hatte, trafen nach Einbruch der Dunkelheit die Jagdgäste allmählich in dem Lokal ein.Es war ca 17 Uhr, die Küche jedoch wurde erst um 18 Uhr geöffnet. Eine einzige Serviererin versorgte bis dahin die hungrige Gesellschaft mit Getränken. Dabei ließ sie sich auch reichlich Zeit. 50 bis 60 Gäste auf einen Schlag zu bedienen war sie nicht gewohnt.
Aus lauter Langeweile studierte man die exquisite Speisekarte, in der in blumiger Sprache ungewöhnliche Gerichte angepriesen wurden. Mein Jagdfreund Fritz G., der neben mir saß, zückte seinen Kugelschreiber, schrieb etwas in die vornehme, in gelbes Leder gebundene Speisekarte, wobei er sich sichtlich Mühe gab. Anschließend überreichte er sie mir. Zu meiner Verwunderung las ich Folgendes : „ Mit edlem Cognac flambiertes Schweinelendchen - vom freilaufendem Halleschen Hausschwein aus biologischer Aufzucht -, frisch eingelegten gelben Tomaten aus dem Hohenloh’schen Bauerngarten, frischen - vom Chefkoch persönlich ausgesuchten - Kräutern aus dem hauseigenem Küchengarten, handverlesenen edlen Wildpilzen aus dem heimischen Herbstwald, serviert mit köstlichem Stern-Anis-Reis, eingelegtem Ingwer und leckerem Sößchen nach geheimen Hausrezept.“
DM xxx, 00 Mein Jagdfreund hatte alle Pilzgerichte mit einem Kreuzchen markiert. Am unteren Rand der Speisekarte hatte er fein säuberlich geschrieben: „Bei unseren WILDPILZGERICHTEN bitten wir um VORAUSKASSE!“ Diese Idee fand bei mehreren Gästen Anklang. Man beschloß alle Speisekarten diesbezüglich abzuändern. Gesagt - getan. Nach einem fröhlichen Abend vergaßen wir dann diesen lustigen Einfall. Im Jahr darauf : Wieder Einladung zur Treibjagd, wieder Schüsseltreiben im selben Lokal. Neugierig nahmen wir auch diesmal die Speisekarte in die Hand, um die Wartezeit zu überbrücken. Zu unserem Erstaunen lasen wir – diesmal in gedruckter Kalligraphie - unseren vorjährigen Zusatz bei den Pilzgerichten !! Die Druckerei hatte bei der Neuauflage der Speisekarten die Zusatzklausel mit übernommen ! Ich kann mir vorstellen, daß in dieser Wirtschaft nicht sehr viele Pilz - Menüs bestellt worden sind.


10. Die Hausschlachtung
Der Müller von Walheim hatte den Betrieb in seiner Mühle in der Bachstraße schon länger eingestellt. Die leerstehenden Räume entfremdete er zu einem Saustall. Hier mästete er mehrere Schweine, die er bei Bedarf schlachten ließ.
Müller G. war ein untersetzter, kräftiger, beleibter 175 cm großer Mann, dessen Alter schwer zu schätzen war. Als ich ihn zum 1 .mal traf, war er ca. 60 Jahre alt . Sein dickes rotes, rundes Gesicht deutete auf einen erhöhten Blutdruck hin. Er war als äußerst sparsam, ja geizig bekannt. Seine Frau Olga stand im krassen Kontrast zu ihm. Nur 146 cm groß, wieselflink, mit kleinen, stets wachsamen Augen, versorgte sie einen gut sortierten „Tante Emma“ - Laden und war- im Gegensatz zu ihm – immer gut gelaunt und fleißig . Wenn ihr Mann von den neugierigen Nachbarn gefragt wurde, warum er eine so kleine Frau geheiratet habe, antwortete dieser immer: „ Wenn die kleine Frau auf ihrem Geldsack steht, ist sie sogar größer als andere !!! “
An einem Herbsttag wurde ich notfallmäßig in die Mühle gerufen. Die Nachbarn hatten mich alamiert. Ich wurde zum Stall geführt. Hier bot sich mir ein seltsames Bild:
Nur durch eine nackte Glühbirne beleuchtet, die an einem brüchigen Kabel von der Decke herabhing, lag ein halbnackter, etwa drei Zentner schwerer, kotbesudelter Kerl auf dem Betonboden. Um ihn herum rannte ein großes, quiekendes Schwein, das ähnlich aussah . In der Hand hielt der zitternde Mann eine Elektrozange, von der an einem Handgriff die Gummiisolierung fehlte, die auf dem Boden neben ihm lag. Das Gesicht war blau angelaufen. Schaum stand ihm vor dem Mund. Ich fand glücklicherweise gleich den Sicherungskasten und schaltete den Strom aus. Ein Nachbar und ich zogen den schweren Müller an den Beinen aus dem Stall ins Freie und schlossen die Stalltür zum immer noch tobendem Schwein. Dann machte ich mich an die Reanimation. Das Wunder geschah! Nach fünf langen Minuten begann der Patient wieder zu atmen und das Gesicht bekam wieder Farbe. Herr A. hatte überlebt !
Wie sich später herausstellte, hatte er sich die Metzgerkosten sparen wollen. Er meinte, dadurch daß er schon mehrfach zugesehen hatte, traue er sich das selbst zu. Die Stromzange hatte er sich für eine Flasche Wein ausgeliehen. Durch die unsachgemäße Handhabung rutschte diese beim Anlegen an der Schlachtsau ab. Diese hatte nur einen kurzen Stromstoß bekommen und rannte erschreckt davon. Ein Isoliergriff löste sich und so betäubte der Hobbyschlachter sich selbst. Der Schutzengel hatte sehr gute Arbeit geleistet. Herr G. lebte noch einige Jahre, bevor er an einem Schlaganfall endgültig starb.


11. Das Wannengrabenfest
Die Aussiedlerhöfe im Ortsteil Wannengraben luden 1972 zu einem Einweihungsfest auf ihre Höfe ein , damit die Bevölkerung diesen neuen Ortsteil kennenlernen konnte. Ein großes Festzelt war aufgestellt mit Biertischen und- Bänken. Den Besuchern wurde neben Essen und Trinken ein volles Programm mit Vorführungen über die bäuerlichen Bräuche wie Volkstanz, Brotbacken und Dreschen nach alter Art geboten. Abends kam eine fetzige Blaskapelle dazu, die die gute Stimmung noch mehr aufheizte. Ich hatte im Monat zuvor meine Praxisgründung in Walheim erfolgreich gestartet und sehr viel zu tun. Damals gab es noch keinen organisierten Wochenendbereitschaftsdienst und man mußte als Arzt -tagein und tagaus - 24 Stunden bereit sein, seine Patienten zu versorgen. So fiel es mir dann auch schwer nach getaner Arbeit, mich aufzuraffen, um einen Abstecher zu diesem Fest zu machen. Es war ohnehin schon sehr spät nach 22 Uhr geworden. Meine Frau machte mich jedoch darauf aufmerksam, daß ich mich schließlich neu niedergelassen hatte und ich mich unbedingt bei diesem Fest sehen lassen müßte. Klappern gehöre schließlich zum Handwerk! Das sah ich ein. Brummig zog ich los.
Dort angekommen, wurde ich gleich von dem Bürgermeister begrüßt und gebeten, bei einigen anwesenden Gemeinderäten an seinem Tisch Platz zu nehmen. Also setzte ich mich auf das Bankende hin. Ein Bier wurde mir kredenzt und ich unterhielt mich recht angeregt mit meinem Gegenüber, dessen Blessur ich zufällig nachmittags in der Sprechstunde genäht hatte. Die Zeit verstrich. Plötzlich stand der Bürgermeister mit allen Gemeinderäten auf, um sich zu verabschieden. Die Bank hob sich von dem Gewicht befreit , und ich rutschte am Bankende unter den Biertisch. Alle Augen richteten sich auf das Geschehen und sahen zu, wie ich mich wieder aufrappelte,
Am nächsten Tag mußte meine Frau beim Einkaufen erfahren, daß der neue Doc volltrunken unter den Tisch gefallen wäre ! Und das bei einem einzigen Bier! !
Ein gelungener Einstand !


12. Der Amtmann
Sicherlich war er kein Geistesarbeiter, aber er war immer fleißig und zuverlässig. Deshalb übernahm die Gemeinde ihn als „Mädchen für alles“ .Er trug Briefe aus, half in der Kläranlage aus, machte Dienst in der Gemeindehalle – kurzum : er war fast unentbehrlich. Im Ort kannte man ihn nur als „ Amtmann Blederle “. So war es auch seine Aufgabe, jedes Jahr in der Adventszeit für die Aufstellung des Weihnachtsbaumes vor dem Rathaus zu sorgen. Dieser wurde meistens von den Waldarbeitern im hiesigen Wald geschlagen. Manchmal kam es aber auch vor, daß Dorfbewohner ihren zu groß gewordenen Tannenbaum aus dem Hausgarten dem Bürgermeisteramt gegen Fällung und Abtransport kostenlos anboten. Dabei handelte es sich oft um besonders schöne, große und gepflegte Exemplare.
Hierüber kursiert auch eine nette Geschichte:
Ein gespendeter riesiger Tannenbaum wurde vor dem Rathaus abgeladen. Die Waldarbeiter und die hiesigen Feuerwehrleute standen bereit, gestärkt mit einem Becher Glühwein, diesen besonders schönen Weihnachtsbaum aufzustellen. Unter fachkundiger Anleitung und mit Hilfe der Feuerwehrleiter stand der Baum eine Stunde später - gerade ausgerichtet - an seiner gewohnten Stelle. Man war dabei, im unteren Bereich der Tanne die Lichterketten anzubringen, als der " Amtmann Blederle" laut rufend angerannt kam.
„Halt!! Ihr müßt die Leiter wieder ausfahren! Der Bürgermeister will wissen, wie hoch der Baum ist!“
Etwas verärgert über diese unnötige und zusätzliche Arbeit, fragte der Feuerwehrkommandant den „Blederle“, warum denn nicht der Baum vermessen wurde als er noch am Boden lag. Die verblüffende Antwort vom Amtmann lautete prompt: „Der Bürgermeister will nicht wissen wie l a n g der Baum ist, sondern wie h o c h er ist !!!“.....


13. Der Bauchtumor
Mein Kollege Dr. K arbeitete 2 Jahre als Assistent in meiner Praxis. Er überbrückte damit die Zeit bis zur eigenen Praxisneugründung in einer nahen Nachbargemeinde. Der damals 34.-jährige ehemalige Marinestabsarzt der Reserve wirkte durch seine verkümmerte Haarpracht - es war nur ein schütterer seitlicher Haarkranz übrig geblieben - und seine überlegte ruhige Art wesentlich älter als es seinem biologischen Alter entsprach. Seine gute Ausbildung und seine gründliche, gewissenhafte Arbeitsweise machten ihn bei den Patienten sehr beliebt. Allerdings hatte er mit Frauen und deren geschlechts-spezifischen Leiden als ehemaliger Bundeswehrarzt naturgemäß weniger Erfahrung.
Am Ende einer belebten Vormittagssprechstunde machte ich die Hausbesuche, während Dr. K. die Konsultation weiterführte.
Durch einen dringenden Praxisnotruf wurde ich sofort zurückbeordert und um sofortige Hilfe gebeten. Folgendes war geschehen:
Eine bekannte 36 jährige Weinbäuerin aus einem Nachbarort saß mit ihrer 14 jährigen Tochter im Wartezimmer. Das Mädel hatte ständige, sich wiederholende Bauchkrämpfe, die sich in den letzten Stunden verstärkt hatten. Nachdem der Kollege die beiden Frauen ins Untersuchungszimmer gebeten hatte, begann er mit der Erhebung der Krankengeschichte. Dabei wurde er immer wieder von der besorgten und sehr eloquenten Mutter unterbrochen, so daß er sie schließlich ins Wartezimmer zurück verwies.
Bei der körperlichen Untersuchung des Mädchens fiel ein prallgespannter Bauch auf. Beim Abtasten erkannte Dr. K. sofort einen riesigen Tumor ,der ihm höchst verdächtig erschien. Nach der anschließenden rektalen Austastung des Enddarmes wurde sein böser Verdacht bestätigt : Ein Tumor, der sofort weiter abgeklärt werden mußte !! Nach kurzer Information der Mutter und Aufklärung der Tochter über das weitere Vorgehen, willigten beide in die nun dringend notwendig gewordene Spiegelung des Enddarmes ein. Nach der Vorbereitung und Lagerung der jungen Patientin begann er mit der Untersuchung. Auch hier stieß er auf einen großen. sich vorwölbenden Tumor, der ein weiteres Vorspiegeln in höhere Darmabschnitte verhinderte,
Panik machte sich breit. - Könnte es sich etwa um einen akuten Darmverschluß oder gar um einen durchgebrochenen, vereiterten Wurmfortsatz, dem so genannten Blinddarm handeln? Die differentialdiagnostischen Überlegungen des Kollegen wurden abrupt unterbrochen:
In diesem Moment setzten erneut starke Bauchkrämpfe ein. Die kleine Patientin schrie vor Schmerzen. Die Spiegelung wurde sofort abgebrochen. Nach Entfernung des damals noch starren Instrumentes entleerte sich eine Flüssigkeit, die als Urinabgang gedeutet wurde.
Als ich in der Praxis eintraf, war die große Hektik ausgebrochen: Der Kollege injizierte gerade ein krampflösendes Schmerzmittel, die Helferin telefonierte nach einem Rettungswagen, eine weitere kümmerte sich um den Blutdruck der schreienden Patientin. Plötzlich war alles klar:
Der G e b u r t s v o r g a n g war kurz vor dem Abschluß! 10 Minuten später wurde der jungen und völlig überraschten Mutter ein gesundes kleines Mädchen in den Arm gelegt. Die unaufgeklärte junge Frau aus guter Familie hatte die Schwangerschaftsanzeichen völlig verdrängt. Zwar hatte sie eine Gewichtszunahme bemerkt, führte diese aber auf den guten Appetit zurück.
Ich hatte dann die Aufgabe, der ängstlich besorgten Dame im Wartezimmer klarzumachen, daß sie nunmehr Großmutter war. Diesmal war sie völlig sprachlos. Vor Schreck kollabierte sie prompt. Als sie sich wieder erholt hatte, fuhren die drei Damen später gesund mit einem Taxi nach Hause.


14. Der Blauhai
Im Rahmen einer Fortbildung fuhren mehrere Kollegen aus dem Einzugsgebiet zu einem Kongreß an die Algarve nach Portugal. Von Stuttgart aus flogen wir nach Faro. Dort trafen wir mit anderen Kollegen aus ganz Deutschland zusammen. Mit Bussen wurden wir dann weiter nach Portomao befördert . In dem vornehmen Kongreßhotel bezogen wir unsere Zimmer. Hier logierten auch die meisten Teilnehmer. Beim Begrüßungsdrink in der Lobby saß ich neben einem Kollegen aus Ulm, den ich von früheren Fortbildungsveranstaltungen her kannte. Wir unterhielten uns über die schöne Landschaft und die tolle Aussicht auf das Meer. Dabei kam das Gespräch später auch auf das Angeln und speziell auf das Fischen im Atlantik.Beide hatten wir zwar schon viel vom Hochseeangeln gehört, aber keiner hatte es selbst miterlebt. So kamen wir auf die Idee, diese Gelegenheit zu nutzen, und es zu versuchen, an einem solchen Hochseetörn teilzunehmen.
In der Rezeption fragten wir nach den Möglichkeiten, und man bot uns eine Tagestour mit einer Hochseeyacht an, die eine Mannschaft, Angelausrüstung und Essen an Bord einschloß. Allerdings war das ein ziemlich teures Unterfangen, das unsere finanziellen Möglichkeiten bei weitem überstieg. Auf die Frage wieviel Teilnehmer denn auf dem Schiff mitfahren könnten, war von 10-12 Personen die Rede. Das hörte sich schon anders an ! Also beschlossen wir, das Risiko einzugehen und das Boot zu chartern. Nach einer Anzahlung war der Handel perfekt. Aufgeregt erzählten wir unseren Kollegen von dem zukünftigen Abenteuer. Spontan meldeten sich mehrere Ärzte, die mitfahren und sich an den Kosten beteiligen wollten. Der Ansturm war enorm. Wir hätten eine Charterfirma aufmachen können ! Durch 10 Personen geteilt, waren die Unkosten für jeden erschwinglich geworden. Als der Organisator des Kongresses davon hörte , bestand er darauf , auch mitzufahren! Nach längerem Hin und Her ließen wir uns unter der Bedingung erweichen, daß er die Hälfte der Charterheuer übernahm. Darauf ließ er sich ein und so wurde das Ganze für uns andere sogar zum Schnäppchen.
Zwei Tage später fuhren wir um 5 Uhr morgens zum Hafen und bestiegen die wunderschöne Yacht. Die beiden portugiesischen Matrosen bemühten sich , trotz aller Sprachschwierigkeiten , uns Landratten einzuweisen. Sie waren rührend um uns bemüht. Sicherlich hatten sie nicht allzu häufig 11 bestens aufgelegte Ärzte an Bord.
Pünktlich bei Sonnenaufgang stachen wir um 5 Uhr 30 in See. Es war herrliches Wetter und der Seegang moderat. Dank eines guten Frühstücks und einiger Drinks wurde keiner der Teilnehmer seekrank. Gegen Mittag war das vorgesehene Ziel erreicht. Die Besatzung warf Köder aus, verteilte die Hochseeangeln und nach kurzer Unterweisung ging es ans Werk!
Bald waren die ersten Dreieckflossen zu sehen, die das Boot umkreisten. Es handelte sich wie wir belehrt wurden um Blauhaie. Mein Kollege Rudi W. aus dem Nachbarort hatte als erster Petri Heil. Ein Blauhai mit einer Länge von 1,85 Meter war seine Beute. Kurze Zeit später biß ein zweiter Hai an. Bei dem Versuch ihn an Bord zu ziehen verhedderten sich die Angelschnüre, so daß in der allgemeinen Aufregung keiner wußte, wer der glückliche Petrijünger war. Mit vereinten Kräften gelang es schließlich, ihn zu bergen und zu vermessen :der Fisch war stolze 2,10 Meter lang !! Damit war allerdings auch unser Jagdglück beendet. Nach 2 weiteren Stunden kehrten wir um. Die beiden Matrosen bedankten sich für das eingesammelte Trinkgeld mit einer Sondertour entlang der schönsten Strände und Buchten der portugiesischen Küste.
In der Dunkelheit kamen wir schließlich wieder im Hafen an. Alle waren hoch zufrieden nach diesem wunderschönen Sonnentag auf See .Die beiden Seeleute behielten gerne den größeren Blauhai, den sie verwerten wollten. Den kleineren behielten wir, um diese Trophäe stolz den Kollegen zu demonstrieren. Mit dem Taxi und der Jagdbeute im Kofferraum ging es zurück ins Hotel. Da wartete eine große Enttäuschung auf uns,
Die Empfangshalle war menschenleer! Selbst der Nachtportier hatte sich zurückgezogen.Vor lauter Feiern hatten wir vergessen, wie spät es war. Außerdem war am nächsten Morgen um 6 Uhr die Abreise angesagt.
Die ersehnte Show fiel also ins Wasser. Ernüchtert überlegten wir, was wir mit dem Haifisch nun anfangen sollten. Das war ein echtes Entsorgungsproblem geworden. Nach kurzer Beratung in der Hotelbar und einigen Bierchen, kam einem Kollegen die rettende Idee: Der vor dem Hotel abgelegte Fisch wurde schnell durch die leere Empfangshalle geschleppt und auf die dahinter gelegene Terrasse getragen. Dann ließen wir ihn in den großen Swimmingpool plumpsen. Erleichtert gingen wir schlafen.
Am nächsten Morgen versammelten wir uns zur Abreise pünktlich in der Lobby. Den Haifisch hatten wir völlig vergessen. Plötzlich ertönte ein markerschütternder Schrei von der Terrasse her. Ein Ehepaar wollte das gewohnte Morgenbad im Pool genießen, als seine Frau den Blauhai entdeckte! ! Allgemeine Panik machte sich breit. Ein riesiger Auflauf bildete sich rasch. Das entsetzte Hotelpersonal war mit dieser Situation völlig überfordert. Wir getrauten es natürlich nicht, uns zu offenbaren und bestiegen mit Unschuldsmine schleunigst die inzwischen vorgefahrenen Autobusse........


15. Der Dünencowboy
Weil er von Sylt stammte und nach der Heirat mit einer echten Schwäbin nach Walheim zog, gab der General ihm diesen Spitznamen. Außerdem trug er immer seinen „ Elbsegler “ als Kopfbedeckung . Das war im Schwabenland etwas Ungewöhnliches.
Den Walheimer, die ihn nicht näher kannten, erzählte er oft, daß er von seinem Vater auf Sylt eine
W a n d e r d ü n e geerbt habe. Diese sei jedoch nach einem Orkan verschwunden, jetzt aber wieder aufgetaucht. Er müsse dem Land Schleswig-Holstein jährlich 1128,67 Euro für den Küstenschutz berappen. Deshalb beabsichtige er, die Düne an eine Baufirma zum Kiesabbau zu verpachten. Wenn dann die Düne eingeebnet wäre, könne er sie als begehrtes Bauland verkaufen! Viele Schwaben glaubten ihm diese Flunkerei.
Als Jahrgangsangehöriger 1934 hatte Karl H. die Nachkriegsjahre auf dieser Insel sehr intensiv miterlebt. Trotz der massiven militärischen Befestigungsanlagen, des sogenannten Westwalls, in Erwartung der Invasion, blieb Sylt vom Krieg weitestgehend verschont. Die Engländer hatten gegen Kriegsende den ganzen Norden Deutschlands besetzt.
Seine Jugend wurde natürlich durch die ständige Anwesenheit von Soldaten geprägt. So erzählte Karl, wie er zum Offizier und später wieder degradiert wurde:
Wie damals üblich, gab es kleine Jungenbanden, die sich spielerisch gegenseitig bekämpften und sich auch gelegentlich verprügelten. Karl H. mußte sich - wie jedes neues Mitglied einer Bande- vom Soldaten zum Offizier hochdienen. Das „ Heer “ war mit Schleudern ausgerüstet und wurde durch eine selbstgebaute „Panzereinheit “ unterstützt. Der Panzer bestand aus einem fahrbaren Holzbrett mit einem Pappaufbau und einer Turmluke. Ein Fahrer steuerte das Fahrzeug und orientierte sich nur durch einen Sehschlitz; der Kanonier stand mit einem Katapult bewaffnet in der Luke und konnte sich bei Gefahr in das Gerät zurückziehen und die Luke schließen. Sand- und Wasserbomben konnten so den Insassen nichts anhaben. Zwei weitere Soldaten schoben das Gefährt möglichst nah an den Gegner heran, wobei sie durch diese Panzerung einigermaßen geschützt waren. Karl war wegen seiner gefürchteten Treffsicherheit ein erfolgreicher Panzerschütze und wurde bald zum Leutnant befördert. Einmal jedoch geriet seine Partei an eine Übermacht mit 3 gegnerischen Panzerwagen. Karls Motorsoldaten, sowie die Infanteristen kapitulierten, das heißt, sie nahmen Reißaus und überließen das ehemals so stolze Fahrzeug kampflos dem Feind. Natürlich wurde die Besatzung sofort gefangen genommen, entwaffnet und gehörig verprügelt. Nach kurzer „Kriegsgefangenschaft“ in einem gesprengten, dunklen Bunker wurden die beiden gegen eine Reparationszahlung von je 2 Zigaretten der Marke Navy Cut entlassen.
Die begehrten Zigaretten ergaunerten sich die Jungens folgendermaßen:
Man wartete vor dem Fliegerhorstkasino in Hörnum bis ein mehr oder weniger angetrunkener Besatzungssoldat das Lokal verließ. Diesem hielt man dann mit den Worten: „Cigarettes ? “ einen 50 Reichsmarkschein hin. Das war für die Tommies in sofern interessant, weil sie dadurch die sonst für sie unerreichbaren deutschen Devisen bekamen.Bei der Übergabe der Zigarrettenschachtel rissen die Jungens dem Tommy das Tauschobjekt aus der Hand und rannten davon ohne das Geldl bezahlt zu haben. Karl war Meister in dieser Disziplin.Er wude deshalb zum Major befördert. Einmal jedoch erwischte es ihn: Ein angetrunkener Tommy .der aus dem Kasino kam,war das geeignete Opfer.Bei der Übergabe der Beute jedoch war dieser Mann plötzlich stocknüchtern, ergriff den Schlingel und versohlte ihm kräftig den Hosenboden. Nach dieser Niederlage wurde Karl wieder zum Rekruten degradiert.


16. Der Elternabend
Nach der Einführung der Mengenlehre wurden alle Eltern zu einer Information und Schulung eingeladen, damit sie ihren Kindern bei auftretenden Problemen bei den Hausaufgaben helfen konnten. Deshalb nahmen meine Frau und - auf Druck meiner besseren Hälfte - auch ich diesen Termin wahr. Der über den zahlreichen Besuch hocherfreute Lehrer gab sich sichtlich Mühe, uns in die neue Rechnungsart einzuführen . Das Motto lautete: „Wenn aus einem Raum, der mit 5 Personen besetzt ist, 7 herausgehen, wie viele Personen müssen dann wieder hereinkommen, damit keiner mehr drin ist ? ! ! “
Nach dieser genialen Aufklärung beschlossen einige Eltern nach Beendigung des Elternabends, in die Wirtschaft „Das Waldhorn“ zu gehen, um dort einen „Schlummertrunk“ zu nehmen. Nach einigen Bierchen und spendierten Runden mit HGO ’ s (das heißt : Hunds - Gemeiner Obstler) stieg die Stimmung. Es wurde über den geplanten Ausbau des Schulgartens, die Umweltverschmutzung und schließlich über den Naturschutz gesprochen. Hier meldete sich auch ein schon in fortgeschrittener Stimmung befindlicher ortsbekannter Walheimer zu Wort. Er erklärte stolz und laut, daß seine hübsche Frau schon lange Mitglied im Vogelschutzbund sei. Nach allgemeinem Gemurmel der Umsitzenden, setzte er noch eins drauf und rief : „Ja, sie war schon immer gut zu Vögeln....!!!“ On soit, qui mal y pense!


17. Der Fährmann
Walheim wird durch den Neckar vom gegenüberliegenden Nachbarort Gemmrigheim getrennt. Um dorthin zu gelangen muß man über die Brücken der Orte Besigheim oder Kirchheim fahren. Das hiesige Kohlekraftwerk beschäftigt auch zahlreiche Arbeitnehmer aus den Nachbargemeinden. In den Zeiten als es noch nicht selbstverständlich war motorisiert zu sein, wurde die Möglichkeit für ein geringes Entgelt auf dem kürzesten Weg über den Neckar zu kommen, genutzt. Mit zwei größeren Ruderkähnen unterhielten Herr G. und seine Frau nebenberuflich von den Neckarwiesen aus einen regen Fährbetrieb zwischen Walheim und Gemmrigheim. Eine große Glocke auf jeder Seite konnte man läuten, wenn man übersetzen wollte.
G . war ein starker - fast zwei Meter großer Mann mit -nach einer Schiddrüsenerkrankung zurückgebliebenen - hervorstehenden Augen. Das rechte schielte so, dass man nicht wußte mit welchem er einen ansah.
Als Wengerter trank er - zum Leidwesen seiner Frau- gerne seinen Wein und Most, sowie den selbst gebrannten Schnaps.
An einem Mittwoch wurde ich von Frau G. um einen dringenden Hausbesuch gebeten. In dem kleinen schmucken Häuschen angekommen, wurde ich von der bedrückten Ehefrau wortlos in das Schlafzimmer gebeten. Hier lag der riesige Fährmann im alkoholischen Vollrausch blutverschmiert mit mehreren Platzwunden quer im Ehebett. Die Hose war halb ausgezogen, ein Schuh lag vor dem Bett, das Oberhemd lag blutverschmiert und verdreckt auf dem Fußboden. Der armen Fährfrau war diese Situation sehr peinlich. Sie weinte still vor sich hin und war mit dieser Situation deutlich überfordert. Mehrere Versuche den Riesen gerade hinzulegen scheiterten an den beengten Räumlichkeiten und seinem Gewicht. Zu allem Unglück nahm Herr G. als Dauermedikation einen Gerinnungshemmer (Marcumar) ein. Deshalb war höchste Eile geboten, die zahlreichen stark blutenden Wunden zu versorgen. Die eigentlich erforderliche Krankenhausbehandlung lehnte die Ehefrau flehentlich ab, um ein weiteres Aufsehen mit Krankenwagen, Blaulicht und den damit verbundenen peinlichen Fragen und möglichen Zusatzkosten zu vermeiden. Also rief ich zwei Arzthelferinnen mit entsprechendem Instrumentarium aus der Praxis zur Hilfe. Eine Helferin legte sich zu dem Verunglückten auf die rechte Seite ins Ehebett, um mir zu assistieren. Ich kniete auf der linken Seite im Bett und nähte den Betrunkenen. Eine lokale Betäubung war nicht erforderlich. Der Alkoholkonsum tat seine Wirkung. Nach circa einer Stunde waren alle Wunden versorgt und die Blutungen zum Stillstand gebracht. Wir verließen erschöpft und blutbesudelt das Haus. Die dankbare Fährmeisterin blieb zurück, säuberte ihren Liebsten und räumte das Chaos auf. Am nächsten Tag erschien der kleinlaute Riese mit den diversen Verbänden zur Nachschau in der Praxis. Er gelobte, zukünftig keinen Alkohol mehr anzurühren - auch wenn ihm das sehr schwer fiele. Das einzige Problem waren seine köstlichen Obstbrände und seine Vorräte im heimischen Weingewölbekeller. Diese Reserven wurden von Frau G. konsequent verkauft oder verschenkt. Bei jeder Arztkonsultation erhielt ich in den folgenden Jahren von ihm oder seiner Frau je eine Literflasche selbstgebrannten Obstler geschenkt, der mit jedem Jahr besser und edler wurde. Den genieße ich auch heute noch in meinem Ruhestand. Das war ein unvergesslicher Einsatz !!


18. Der Fahrstuhl
Die beiden 8 stöckigen Hochhäuser am Ortsrand zerstören das idyllische Dorfbild. Wenn man von den Weinbergen in das Neckartal hinab schaut, fragt man sich, wie eine solche Planung genehmigt werden konnte !
Ich jedoch, war zufrieden, denn in dem ersten Bau, der 1972 bezogen wurde, befand sich im Parterre meine neu gegründete Praxis. Unsere Wohnung lag im 1.Stock direkt darüber. Die Eigentumswohnungen wurden teilweise an junge Familien vermietet, deren Kinder miteinander spielten. So wuchs eine nette Hausgemeinschaft zusammen , aus der heraus auch einige echte Freundschaften entstanden.
Der erste Silvesterabend wurde natürlich von allen in der neuen Wohnung gefeiert. Überall war Musik und Gelächter zu hören, und keiner fühlte sich belästigt. Nach Mitternacht besuchten sich einige Bewohner gegenseitig, um weiter zu feiern. Im 8. Stockwerk wohnten Bekannte von uns, die Familie K., bei denen wir reinschauten. Der musikalisch begabte H-D K., kurz HaDi genannt, spielte auf seinem Akkordeon fetzige Schunkellieder. Immer mehr Mitbewohner wurden von der fröhlichen Musik angelockt, so daß seine kleine Wohnung bald überquoll. Meine Frau kam dann auf die Idee, um die Hausfrau zu entlasten, mit einer Polonaise durch das Haus zu ziehen. Alle machten begeistert mit. Die immer größer werdende Schlange - Kinder im Schlafanzug mittendrin - zog von Etage zu Etage. Fast überall wurde ein Getränk angeboten, wenn man den Bewohner auf dem Rückweg wieder heil an seiner Haustür ablieferte. Es war eine Mordsgaudi ! Glücklich, aber erschöpft, landeten wir schließlich wieder am Ausgangspunkt. Die Kinder wurden ins Bett gebracht, Geschirr und Gläser abgeräumt, Luftschlangen beseitigt und Ordnung geschafft. Als wir zu einer letzten Zigarette zusammensaßen, fiel Frau K . auf, daß ihr Mann fehlte. Sie schaute im Schlafzimmer und im Bad nach, nirgends war HaDi zu finden. Nach einer halben Stunde Wartens, machten wir uns allmählich Sorgen. Wir gingen durch alle Stockwerke, sahen sogar in der Tiefgarage und im Keller nach: keine Spur vom HaDi. Nach der Befragung der Nachbarn und Suche in den Außenanlagen, die auch ergebnislos verlief, kehrten wir in die Wohnung zurück, um über das weitere Vorgehen zu beraten.
Plötzlich hörten wir ein lautes Hämmern und Hilferufe. Wir rannten aus der Wohnung, stellten aber gleich fest, daß die Hilferufe aus den Innenräumen kamen. Das Geschrei und das Klopfen kam aus dem Flurschrank !! Als Frau K. die Schiebetür geöffnet hatte, sank ihr der schweißgebadete, blasse Angetraute entgegen. Über der Schulter hing das Akkordeon, das – wie er - ziemlich ramponiert aussah. Nachdem sich der Musikant etwas erholt hatte, berichtete er, daß er mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage fahren wollte, als plötzlich das Licht ausging und der „ Lift “ stecken blieb. Nach einer längeren Wartezeit, sei er in Panik geraten, hätte um Luft gerungen und um Hilfe gerufen. Aber keiner hätte ihn gehört !! (Wir waren ja im Haus auf der Suche nach ihm !!) Erst am Neujahrstag, als er sich ausgeschlafen hatte, wurde ihm klar, daß er den Fahrstuhl mit seinem Kleiderschrank verwechselt hatte........


19. Der Farrenstall
Wie es in den landwirtschaftlich geprägten kleinen Gemeinden früher war, hatte auch Walheim einen Farrenstall, der im alten römischen Kastell, dem Denkendorf Hof, gelegen war. Der Farre ist ein schwäbischer Ausdruck für den Zuchtbullen, der den Bauern zum Decken der Milchkühe zur Verfügung stand. Der Farre wurde jeden Morgen und am Sonntag nach dem Kirchenläuten durch das Dorf zum Auslauf geführt. Es war ein gewaltiger Zuchtbulle, der im krassen Gegensatz zu den meist mageren Milch – und Arbeitskühen stand. Letztere brachen beim Deckakt oft unter der Last des Bullen zusammen und blieben einfach auf dem Boden liegen. So eine Besamung war für alle Beteiligten eine riesige Strapaze, und man war froh, wenn es geklappt hatte.
Im Nachbarort Kirchheim hatte ich einen alten Viehhändler als Patienten, der mir folgende Geschichte berichtete:
Mit einem Kollegen unterhielt er sich über die immer schlechter werdende Gewinnspanne beim Viehhandel. Sein Kollege beklagte sich über den Fehlkauf einer Kuh, die ihm nur Ärger bereitet hatte : „ Wenn ich das Viech zum Farre bringe, schlägt sie immer aus, daß ich lauter blaue Flecken habe. Wenn ich sie durch Streicheln beruhigen will, beißt sie mich . Soll sie gedeckt werden, dreht sie sich mit dem Hintern an die Wand, so daß es nicht möglich ist, den Bullen aufsteigen zu lassen !! “
Um Rat gebeten, antwortete ich: „ Hast Du die Kuh etwa in Walheim gekauft? “ Die verblüffte Antwort war: „ Ja, woher weißt Du das?" „Na ja, meine Frau stammt ja auch aus Walheim ! “ Und dabei heißt es doch immer:
„ Ein Mädle aus Wale ist net zu zahle! “


20. Der Hundestammtisch
Der Metzgermeister Herbert T. war ein leidenschaftlicher Jäger. Nach der Auflösung seiner Panzerdivision bei Kriegsende in Walheim und Umland, lernte er hier seine Frau kennen .Er übernahm er nicht nur einen gut gehenden Metzgerladen, sondern auch das dazu gehörige Gasthaus „ Zur Post “. Hier traf sich monatlich der so genannte Hundestammtisch. Das waren Jäger, die ihre Jagdhunde in einer Ausbildungsgruppe mit anschließender Brauchbarkeitsprüfung unterwiesen hatten, sowie jagdliche Hundezüchter.
Wie sollte es anders sein:
Man unterhielt sich über die tollen Leistungen der Hunde. Jeder übertraf den anderen mit seinen Geschichten. Es wurde übertrieben und gelogen, daß sich die Balken bogen.
Herbert war Besitzer eines „ Deutschen Kurzhaar “, einer Jagdhundrasse, die zu den Vorsteh - und Apportierhunden zählt. Diese Tiere haben die angewölfte Eigenschaft, bei der Anwesenheit von Niederwild – insbesondere Federwild - bei der Jagdausübung vorzustehen. Nähern sie sich einem gewittertem Rebhuhn, Fasan oder auch Hasen, bleiben sie sofort mit gestreckter Rute und erhobenen Vorderlauf angespannt stehen : Sie stehen vor. Der Jäger weiß so, daß gleich ein Wildbret aufgeschreckt wird.
Nachdem bei einem Stammtischabend wieder reichlich angegeben worden war, meldete sich der Postwirt mit folgender Geschichte zu Wort:
„ Als ich letzte Woche mit meinem Hund „ Brutus “ an meiner linken Seite durch den Ort ging, um ins Jagdrevier zu gelangen, stand doch dieser Kerl an einem von der Gemeinde zur Ortsbildverschönerung angelegten Blumenbeet vor ! Das Beet liegt gegenüber dem Gasthaus „ Zur Rose “.
Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein! Ich ließ jedoch den Hund gewähren. Langsam schlich sich Brutus in das Beet und begann aufgeregt zu wühlen. Erzürnt über das ungewöhnliche Verhalten meines sonst so zuverlässigen Jagdgefährten, befahl ich ihn zurück und legte ihn auf dem Bürgersteig ab. Neugierig ging ich in das Beet, um zu sehen, was der Hund dort gesucht hatte. In der aufgewühlten Erde sah ich etwas Weißes blitzen. Nachdem ich die Erde freigelegt hatte, kam ein alter Porzellan-Pfeifenkopf zu Tage. Nach der Säuberung mit meinem Mantelärmel, sah ich, daß darauf ein buntes Fasanenbild gemalt war ! Hatte doch Brutus diesen Fasan gewittert und ist deshalb vorgestanden !! "
Nach dem einsetzendem Gelächter wurde an diesem Tag nicht mehr so groß getönt.


21. Der Indianer
Carl B. war ein gelernter Telefontechniker. Allerdings war ihm diese Tätigkeit nach einigen Berufsjahren zu eintönig. In der ländlichen Gemeinde aufgewachsen, verlor er schon früh seinen Vater. Deshalb musste Carl schon als Kind seiner Mutter tatkräftig in der kleinen elterlichen Landwirtschaft mithelfen. Durch eine unverhoffte Erbschaft, durfte er ein verbautes und etwas verwahrlostes altes Haus neben dem Rathaus übernehmen. Mit viel Liebe und Fleiß renovierte er das Fachwerkhaus. Wie viele alte Gebäude in Walheim war es mit einem riesigen tiefen Gewölbekeller ausgestattet. Bei dem traditionellen Dorffest wurde dieser bewirtschaftet und für die Besucher geöffnet. Darüber lag der Stall. Diesen baute er später für seine Lieblinge um : Zwei prächtige Westernreitpferde.
Nach Feierabend ritt Carl täglich bei Wind und Wetter aus. Stets wurde er dabei von seinem Schäferhundmischling begleitet. Schon immer hatte er sich für das Westernreiten interessiert. Deshalb gründete er mit einigen anderen Reiterfreunden den bald - weit über die Grenzen von Baden-Württemberg hinaus bekannten – „Western Reitclub Walheim“. Auf einem neu erstellten Reitplatz wurden die Pferde nach amerikanischer Cowboy-Tradition geschult und in unterschiedlichen Gangarten trainiert. Jedes Jahr zu Pfingsten findet im Baumbachtal ein großes Reitturnier statt. Aus ganz Deutschland kommen die Westernreitfreunde, um ihr Können zu demonstrieren. Das schöne Baumbachtal ist dann vier Tage lang mit Wohnanhängern, Viehtransportwagen und Autos blockiert.
Mit seinem Hobby veränderte Carl sich auch äußerlich: Er ließ seine pechschwarzen, glänzenden Haare schulterlang wachsen. Ein grimmiger Schnauzbart betont sein immer sonnengebräuntes Gesicht. Die ausdrucksvollen dunklen Augen werden dadurch noch mehr betont. Mittelgroß, von kräftiger Statur, ist er mit Jeans und ärmelloser Weste bekleidet. Ein Stirnband , ein Lederhalsband mit einem Amulett der Navajo-Indianer unterstreicht sein exotisches Erscheinungsbild: Er sieht wie ein waschechter Indianer aus. Um so mehr verblüfft seine urschwäbische Sprache, die so gar nicht zu dem Reitersmann paßt. Carl gab seinen Beruf auf und widmete sich ganz der Landwirtschaft. Nebenbei war er als fleißiger Gemeindearbeiter beschäftigt. Als junger Weinbergbesitzer erlernte er, unterstützt von Freunden, die Kunst des Kelterns. Dann baute er in seinem Haus das Untergeschoß in eine Besenwirtschaft um. Naturgemäß wurde sie einem echten Westernsaloon nachempfunden. Hier wurde bei Livemusik einer Countryband sein bekannter „ Drei-Männer-Wein “ *, wie ihn die Walheimer nannten, ausgeschenkt . Die guten Schlachtplatten, das von seiner Mutter gekochte Sauerkraut und die Steaks nach Westernart machten die leider nur zweimal jährlich für wenige Wochen geöffnete Wirtschaft in der Umgebung sehr beliebt. Oft war es in dem engen Raum so voll, daß man die Beine anziehen konnte, ohne umzufallen. * Drei-Männer-Wein : Wenn ein Mann ihn trinkt, müssen zwei Männer ihn festhalten, weil er sich so schüttelt.......


22. Der Leistenbruch
Karl V. ist Metzger und Jäger, ein sympathischer, untersetzter, rotgesichtiger Mann mit einem kugelrunden Bauch, den er stolz vor sich her schiebt. " Das sind alles nur Muskeln und Samenstränge ", pflegte er zu sagen.
Seinen begeisternden Jagderlebnissen, die er sehr anschaulich und drollig schildert, hört man sehr gerne zu. Mit Ärzten hat er nicht viel im Sinn, da diese doch stets nur an seiner Lebensweise, seinem Übergewicht und seinem Weinkonsum „'rum mäkeln“ !
Am Stammtisch erzählte er jedoch eines Tages ängstlich und aufgeregt, daß er einen riesigen „Bollen“ habe, der sich später als Leistenbruch entlarvte. Sein Hausarzt riet ihm, diesen bald operieren zu lassen. Mit diesem Problem konfrontiert, fragte er in der Runde um Rat und eventuelle Erfahrungen . Natürlich spendierte er reichlich Wein in der Hoffnung, daß man ihm von der Operation abriet. Die Diskussion ging parallel zum Alkoholpegel hoch her . Man foppte den armen Karl und erfand die tollsten Geschichten. Ein Jäger riet ihm, doch den dann operierten Bruch nach Jägerart an den Hut als Trophäe zu stecken. Ein anderer machte ihm Mut : „ In größeren Krankenhäusern macht das der Pförtner. Das ist eine Routineoperation.“ – Entsetzt bekannte er, daß er seine Privatversicherung gekündigt habe und nur noch einfacher Kassenpatient sei!. „ Dann geh’ nach Bietigheim. Den Pförtner kenne ich. Der macht das prima. Das haben schon einige überlebt.“ Mit dieser deprimierenden Empfehlung, die er für bare Münze hielt, begab er sich 10 Tage später ins Krankenhaus. Dort besuchten ihn die Freunde einige Tage später vor dem geplanten OP-Termin. Immer noch nicht sicher, ob er überleben würde, beruhigten ihn die Besucher mit dem Versprechen, im Fall seines Ablebens -, dafür zu sorgen, daß die Jagdhornbläser dann standesgemäß das Signal „ Sau tot “ blasen. Durch dieses Versprechen etwas besänftigt, fügte er sich in sein Schicksal. Später berichtete Karl W. von seinem großen Erlebnis: „ Als ich aus der Narkose aufwachte, dachte ich, ich bin im Himmel. Rechts neben mir ein Neger, links ein Chines! Der liegt jetzt hier mit mir im Zimmer. Meine Frau hat mir ein paar Flaschen Wein mitgebracht, aber der mag ihn nicht. Dafür aber der Doktor um so mehr!“
Auf die Frage, woher denn der „Chines“ komme, antwortete er: „Ich weiß nicht so recht. Das Land fängt jedenfalls mit W an. “ Nach mehreren Rateversuchen, klärte sich das Rätsel auf: Er kam aus Vietnam !!......


23. Der Libanese
Die Asylbewerberfamilie aus dem Libanon zog in eine von der Gemeinde Walheim bereitgestellte Wohnung, die sich in einem Hinterhof gelegenen alten Mietshaus im 2. Stockwerk befand. Ich machte gerade einen Hausbesuch und half der hochschwangeren hübschen jungen Frau, die von der Sozialhilfe im Hof bereit gestellten Möbel heraufzutragen. Sie hatte damals fünf nette Kinder, von denen das älteste sechs Jahre alt war.
Von dem Ehemann war nichts zu sehen, und somit auch keine Mithilfe zu erwarten.
Den gut aussehenden, intelligenten Mann lernte ich erst später kennen. Beide Elternteile sprachen Englisch, sodaß eine Verständigung möglich war. Als die Familie nach 5 Jahren nach Ludwigsburg umzog, war die Kinderzahl auf e l f angewachsen.
Wie mir die Hausbewohner erzählten, tauchte der Ehemann nur selten - und wenn, dann meist nachts - auf. Jedes Mal brachte er kistenweise Grundnahrungsmittel mit, die der Familie dann eine Woche reichen mußten.
Auch erschienen nachts Landsleute, die im Keller Kisten und Gerätschaften abstellten, um diese dann einige Tage später wieder abzuholen.
Immer wieder stritten sich die Ehepartner sehr lautstark. Dabei kam es oft zu tätlichen Auseinandersetzungen, deren Folgen ich dann einige Tage später bei der armen Frau und den Kindern ärztlich versorgen mußte.
Zahlreiche Beschwerden und Polizeieinsätze änderten an der Lage nichts, weil eine Abschiebung der Familie zurück in den kriegsführenden Libanon rechtlich nicht möglich war.
An einem Freitagabend als meine Helferinnen und ich gerade die Praxis verlassen wollten, tauchte der besagte Ehemann S. mit seinen drei Brüdern auf .Er bat höflich um ärztliche Hilfe, die ihm natürlich gewährt wurde. Ich erfuhr, daß sein Auto auf einer Fahrt im Kreis Ludwigsburg von einem anderen Fahrzeug verkehrswidrig gerammt und schwer beschädigt worden war. Ich sollte die Brüder auf dadurch erlittene Verletzungen untersuchen und diese für spätere Regreßansprüche dokumentieren. Bei der Aufnahme der Personalien fiel auf, daß die Männer in verschiedenen deutschen Großstädten gemeldet waren, deren Stadtgebiet sie -laut Eindruck in den Papieren - hätten gar nicht verlassen dürfen. Nach der Untersuchung der Probanden konnte ich auch nicht die geringsten Verletzungsspuren oder gar Prellmarken und Blutergüsse feststellen. Alle waren kerngesund und glücklicherweise unverletzt. Den Walheimer Asylbewerber untersuchte ich zum Scluß. Als er sich auszog und auf die Untersuchungsliege legte, entfiel ihm unbemerkt aus der abgelegten Hose ein prallgefülltes Portemonnaie. Meine Helferin hob es auf, und legte es auf meinen Schreibtisch. Hierbei klaffte es auf, und es zeigte sich ein dickes Bündel mit 1000 DM-Scheinen. Erschrocken stieß sie mich an und zeigte auf den Fund. Neugierig untersuchte ich das Bündel. Es waren mindestens 30 Geldscheine mit einem 1000 DM-Aufdruck!! Soviel Bargeld hatte ich noch nicht gesehen. Und das bei einem Asylbewerber, der von der deutschen Sozialhilfe und dem Kindergeld lebt ! Nach erfolgter Untersuchung, zog sich Herr S. wieder an und wollte den Raum verlassen. Die fehlende Geldbörse hatte er nicht bemerkt. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, ergriff er rasch den sperrigen Geldbeutel. Er verkündete - peinlich davon irritiert, daß ich den hohen Bargeldbetrag mitbekommen hatte -, daß das Geld nicht ihm, sondern seinem Vater in Köln gehöre. Weiter wies er mich daraufhin, daß sich sein Anwalt wegen des Schmerzengeldes an mich wenden werde. Dann machte er sich mit seinen Brüdern aus dem Staub. Ich war sprachlos und beschloß, diese offensichtliche Aggravation der „ erlittenen Verletzungen “, nicht zu unterstützen.
Einige Wochen später erhielt ich von einem auf Asylbewerber spezialisierten Stuttgarter Anwaltsbüro die Aufforderung, vier Gutachten über die erlittenen, erheblichen Verletzungen der verunfallten Brüder zu erstellen. Ich betrachtete das als Scherz, zumal ich den Libanesen mitgeteilt hatte, daß ich keine Unfallfolgen hatte feststellen können. Ich „entsorgte“ also die Anfrage in der senkrechten Ablage, den Papierkorb.
In den folgenden Wochen erhielt ich nochmals zwei weitere Anmahnungen , die Gutachten zu erstellen. Wieder war trotz telefonischer Nachfrage keine Kostenübernahmeerklärung dabei. Da es sich nicht um eine kassenärztliche Leistung handelte, unterzog ich die Anfragen der gleichen Behandlung wie ihre Vorgänger.
Nach etwa fünf Wochen mußte ich ein Einschreiben vom Amtsgericht entgegennehmen, in dem ich aufgefordert wurde, DM 500.- Bußgeld wegen Nichterstellung der Gutachten zum Nachteil der Familie S. an die Gerichtskasse zu zahlen. Mir verschlug es die Sprache. Sofort rief ich die unterzeichnende Richterin an und erklärte ihr die Sachlage :
Ausführlich beschrieb ich den Grund für mein Handeln. Schnell wurde ich eines Besseren belehrt:
Die näheren Umstände interessierten die Juristin überhaupt nicht. Das verhängte Bußgeld war richterliche Ermessenssache. Begründung: Ich hätte die Pflicht, die Gutachten zu erstellen. Für die Kostenerstattung der geforderten Stellungnahmen sei sie nicht zuständig !! Bums! - Das war’s!! Ich zog meinen Anwalt zu Rate. Es kam zum Prozeßtermin. Wie erwartet, war dieser natürlich auf 10 Uhr vormittags zur Sprechstundenzeit angesetzt. Ich besorgte mir eine ärztliche Vertretung, die natürlich entsprechend bezahlt werden musste. Dann wartete ich an dem angesetzten Prozeßtag 2,5 Stunden auf dem Gerichtsflur.Schließlich wurde auf meine vorsichtige Frage, wann denn endlich die Verhandlung wäre, erklärt, daß diese auf einen anderen Tag verschoben worden sei : natürlich auch auf einen Praxisvormittag . Diesmal nahm mein Anwalt - im Gegensatz zur Klägerpartei - den Termin wahr. Das Verfahren wurde eingestellt. Das Bußgeld jedoch blieb bestehen. Fazit:
Vier ausführliche nach Feierabend erstellte Gutachten, auf deren Bezahlung ich noch heute (14 Jahre !! ) warte . Trotz mehrfacher telefonischer Zusicherung seitens des gegnerischen Anwaltsbüros die Kosten zu überweisen,geschah nichts.
Dafür durfte ich 300,- DM Anwaltskosten , 500,-DM Bußgeld, 880,- DM gegnerische Anwaltskosten für 4 Personen, 300 DM Vertreterkosten für die Praxis, sowie die Bezahlung der gesamten Gerichtskosten übernehmen. Die angeforderten Behandlungsscheine vom Sozialamt wurden gleichfalls nie beigebracht.
Später unterrichtete ich die Polizei über den ungewöhnlich hohen Geldbetrag.
Man verriet mir vertraulich, daß es sich bei Herrn S. um eine aktenkundige Person handelte, deren Personalien sehr wahrscheinlich gefälscht waren. Es wurde seit längerem wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Überhaupt war Herr S. sehr wahrscheinlich nicht Libanese, sondern Kurde. Aus dem schon oben erwähnten Grund, kam jedoch eine Abschiebung nicht in Frage. .......Eine teure Freitagabendbeschäftigung, die mir unvergeßlich bleiben wird.


24. Der Murmelklau
In meinem Wartezimmer befand sich für meine kleinen Patienten eine Spielecke, in der eine große Murmelbahn mit einem kleinen Glöckchen stand. Diese Attraktion erfreute sich bei den Kindern großer Beliebtheit. Das permanente Geräusch der laufenden Glasmurmeln beruhigte einige meiner älteren Kranken gerade nicht, andere dagegen freuten sich über den Eifer der Kinder und spielten sogar mit. Der 4 jährige Benny L . mußte jeden 2. Tag infolge einer Verletzung zum Verbinden in die Praxis kommen. Dort wurde auch wöchentlich das Blutbild wegen einer anderen Erkrankung kontrolliert. Diese nicht gerade angenehme Prozedur ließ der tapfere kleine Kerl ohne Protest über sich ergehen. Als Belohnung erhielt er - wie alle Kinder - jedes Mal einen Lutscher von mir, bevor er das Sprechzimmer verließ. Zu meinem Leidwesen passierte es natürlich immer wieder, daß meine Helferinnen bei ihrer Arbeit mit den „Krümeln“ auch diese Trostpflaster ausgaben. Die unerwartete doppelte Ration wurde natürlich ohne Protest gerne entgegengenommen. Dementsprechend waren die Hände der Kleinen oft verklebt. Sie hinterließen überall dort Spuren, wo Gegenstände und Türklinken angefaßt wurden. So kam der kleine Benny eines Tages total verklebt in das Sprechzimmer. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Die Helferinnen wuschen ihm zwar die Hände, aber jedes Mal war der verflixte Lolly wieder in Aktion. Schließlich beendete ich genervt das Treiben, nahm den Lutscher und entsorgte ihn im Mülleimer -natürlich unter lautem Protestgeschrei des Jungen. Nach der Behandlung übergab ich den Knirps zur "Endreinigung " meiner Frau . Mit einem neuen eingepackten Lutscher versehen und so wieder getröstet, vertraute er ihr Folgendes an:
„ Frau Doktor, Du bist sooo lieb! Dein Mann nicht !! Warum hast Du denn keinen anderen Doktor geheiratet? “ Ein paar Tage später überreichte mir die hübsche Mutti des kleinen Frechdachs eine Plastiktüte mit zahlreichen Glasmurmeln : „Die habe ich gesammelt ! Jedesmal, wenn Benny nach Hause kam , klebten drei oder vier Murmeln an seinen Händen! “ Und wir hatten uns schon über den ständigen Schwund gewundert !!!


25. Der Personenschutz
In den siebziger Jahren war es die heiße Phase des Terroristenkrieges der RAF gegen die Bundesrepublik als mir mein Bruder, nach einer Konferenz beim BKA und der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe einen Besuch zu meinem Geburtstag in Walheim ankündigte.Er war damals ermittelnder Oberstaatsanwalt in Berlin. Schon ein paar Tage zuvor meldete sich die Kripo Ludwigsburg, um mich über die Sicherungsmaßnahmen zu informieren. Das örtlich zuständige Polizeirevier sollte zusätzlich mit 2 Polizeiwagen Streife fahren. Für die restliche Absicherung waren Zivilbeamte aus Berlin und Karlsruhe verantwortlich . Meine Wohnung befand sich damals direkt über der Praxis in einem der beiden Walheimer Hochhäuser. Der große Tag kam:
Zwei Zivilwagen mit Karlsruher Nummernschildern erreichten Walheim. Mein Bruder wurde von vier korrekt gekleideten Zivilbeamten begleitet, die unauffällig offene Handtaschen trugen . Die Geburtstagsfeier konnte beginnen. Natürlich wurden auch die Beamten zum Essen eingeladen. Die Kollegen, die im Auto Wache schoben, lösten sich später ab. Die Stimmung war gut. Es wurde viel gelacht. Es war gegen 23 Uhr als es klingelte. Ich öffnete die Wohnungstür. Vor mir standen zwei Männer mit Aktenmappen unter dem Arm, die nach meinem Namen fragten. „Hier sind Sie richtig!“, bestätigte ich und bat die beiden in die Wohnung. Ich war der festen Überzeugung, daß es Zivilbeamte vom Personenschutz waren. Nach einer kurzen Begrüßung und Übermittlung von Glückwünschen zu meinem Geburtstag, feierten sie fröhlich mit. Nach Mitternacht bedankten sie sich und verschwanden mit den Worten: „Morgen müssen wieder früh unseren Mann stehen! Tschüss!“ Dafür hatten wir natürlich alle Verständnis.
Ein paar Augenblicke später, läutete es wieder. Vor der Tür standen diesmal meine leicht beschwipsten Damen aus der Praxis, um ihrem Chef ebenfalls zu gratulieren. Sie hatten das Sparschwein aus der Anmeldung
"geschlachtet“ und sich einen netten Abend gemacht. Weil sie sahen, daß noch Licht bei uns brannte, wollten sie mir diese kleine Freude bereiten. Die hübschen, fröhlichen Mädels bereicherten die über den unerwarteten Besuch hocherfreute Männerrunde. Meine Laborantin fragte mich neugierig, woher ich denn die beiden Männer kennen würde, die ihnen gerade im Treppenhaus begegnet waren. Ich sagte, sie seien vom Personenschutz. Da protestierten die beiden Zivilbeamten: „Und wir dachten, es wären Gäste von Ihnen!“ Dann klärte sich alles auf: Die unbekannten Herren waren Monteure, die bei der Revision im benachbarten Kernkraftwerk Neckarwestheim arbeiteten. Sie hatten in dem Restaurant versucht , in dem meine Mädels speisten, mit diesen anzubändeln. Um sie abzuwimmeln, erzählten die Damen, daß sie ihrem Chef noch besuchen müßten, um zum Geburtstag zu gratulieren
So hatten die Monteure meine Adresse im Telefonbuch ausfindig gemacht und waren vorausgeeilt, in der Hoffnung, die jungen Frauen wieder zu sehen !......... Ein Jahr später wurde durch die eingeleitete Rasterfahndung, in unserem Hochhaus eine konspirative Wohnung enttarnt. Die Terroristen um Bader-Meinhoff hatten sie angemietet und diese war auch zum besagten Zeitpunkt bewohnt !!! Wie der Zufall so spielt.


26. Der Pianist
Mein Kollege Dr.Gert W. war schon als Famulus in meiner Praxis tätig. Damals wußte er noch nicht sicher, ob er Arzt oder Berufsmusiker werden wollte. Gert war ein begabter Trompeter und spielte in verschiedenen Bands. Letztlich entschied er sich doch für das Medizinstudium. Gert ist inzwischen als Facharzt für Anästhesiologie, ein erfolgreicher Oberarzt in einem Krankenhaus. Sein Hobby übt er jedoch nach wie vor mit großer Leidenschaft aus.
Eines Abends rief er mich zu später Stunde an und bat mich um Hilfe für einen Freund, dem es gesundheitlich sehr schlecht ging. Ich begab mich in die Praxis. Kurz darauf erschienen auch mein Kollege mit seinem Freund .Es handelte sich um den in Fachkreisen bekannten Jazzpianisten Egon F., der schon in fast allen international bekannten Bands und Orchestern gespielt hatte.
Egon war damals 70 Jahre alt, sehr schlank, mittelgroß, mit weißem, schulterlangem Haar, das sein schmerzgequältes, blasses Gesicht umrahmte. Mit schwarzer Jeanshose, einem weißen Hemd und einer schwarzen Lederjacke bekleidet, wirkte sehr gepflegt und sah jünger aus als es seinem Alter entsprach. Als Bohemien und Künstler war er immer gesund . Dem entsprechend war er nicht krankenversichert. Er lebte ohnehin nur von der Hand in den Mund und hielt von Ärzten nicht allzu viel. Eine Krankenhauseinweisung wurde kategorisch abgelehnt. Lieber würde er sterben. Also untersuchte ich ihn erst einmal. Als er hörte, daß ich früher auch in einer Band musiziert hatte, taute er auf und ließ sich untersuchen. Ich stellte einen großen Unterbauchtumor fest, der fast bis zum Nabel reichte. Die Diagnose war klar. Es handelte sich um eine akute Harnverhaltung. Die Blase war der getastete Bauchtumor. Der arme Musikus mußte fürchterliche Schmerzen ausgehalten haben. Nach erfolgter Aufklärung über die vermutliche Ursache und das weitere Procedere, legte ich einen Blasendauerkatheter. Es entleerte sich 2,7 Liter Urin! Erleichtert richtete sich Egon auf und wollte mich dankbar umarmen. Dabei stieß er den übervollen Behälter um, so daß wir alle Drei pitschnaß waren! Bei der anschließenden rektalen Untersuchung ertastete ich eine riesige Prostatadrüse, die sehr suspekt war. Sie bildete die Ursache für die Harnsperre. Nachdem ich dem Pianisten klar gemacht hatte, daß er den Katheter noch länger behalten mußte, da ja die Ursache nicht behoben war, fügte er sich in sein Los. Er versprach, zu weiteren Untersuchungen zu kommen und die verordneten Medikamente regelmäßig zu nehmen. Die fällige stationäre Einweisung lehnte er nach wie vor völlig ab. Meine anfänglichen Befürchtungen bestätigten sich glücklicherweise nicht. Die Vorsteherdrüse bildete sich wieder unter der verordneten Medikation zurück. Nach 3 Wochen wollte ich den Katheter wieder probeweise ziehen. Hier hatte ich aber nicht mit Egon gerechnet:
Er war so stolz auf die „Wunderheilung“, daß er den inzwischen liebgewonnenen Fremdkörper bei seinen Freunden und Bekannten anpries und auch – falls gewünscht - dessen Funktion demonstrierte. Es bedurfte einer längeren Überzeugungsarbeit von uns beiden Ärzten, damit wir ihn endlich wieder davon befreien durften.
In der Folgezeit besuchte er mich als Patient längere Zeit in der Praxis. Stets fröhlich aufgelegt, brachte er meiner Frau und dem Personal Blumen mit. Im Wartezimmer pries er mich mit lauter Stimme als seinen Lebensretter.
Er ließ es sich nicht nehmen, mir jedes Mal eine kleinere Bargeldsumme zu überreichen, obwohl ich ausdrücklich - in Anbetracht seiner Lage - auf eine Honorierung verzichtet hatte. Aus Dankbarkeit lud er mich zur einer Session im engsten Freundeskreis in das Tonstudio seines Freundes Dr. W. ein. Dort feierten wir dieses für ihn so bedeutsame Erlebnis fröhlich in seiner Künstlerrunde.


27. Der Rennfahrer
Als einziges motorisiertes Gefährt besaß Eugen B. einen Kleintraktor der Marke „AGRIA“. Mit diesem über 40 Jahre alten drei rädrigen mit fahrradartigem Lenker versehenen Vehikel machte er alle Besorgungen, Arztbesuche, Feldarbeiten und kleinere Ausflüge in die weitere Umgebung. Mit Zusatzgeräten versehen, kann man mit diesem Ackergerät fräsen, pflügen, eggen und mittels Anhänger auch Lasten transportieren. Drei Getriebegänge ( Schnecken,- Kröten,- und Hasenspeed ) garantieren diesem Universalgerät die Beweglichkeit.
Auf einer Fahrt in seinen Weinberg nahm er seine Frau Emma auf dem Hänger mit, die auf dem außerhalb des Ortes auf der Höhe gelegenen circa 2 Kilometer entfernten neuen Friedhof die Gräber der verstorbenen Angehörigen pflegen wollte. Nach getaner Arbeit holte er sie wieder ab. Wie immer, wenn es bergab ging, legte er den Hasenspeed ein. Seine Emma saß auf dem wackligen Anhänger und hielt sich mit beiden Händen krampfhaft an den Seitenwänden fest. In für sie ungewohnter rasender Fahrt ging es mit wehenden Haaren die kurvigen Wengertwege hinunter gen Walheim zu. Das jämmerliche Hilfegeschrei seiner Emma ging dem Fahrer im Fahrtwind unter. Auch das Poltern der auf den Asphalt vom Anhängerboden herunterfallenden Gartengeräte hörte Eugen nicht . Er war im Fahrtrausch, stolz darauf, welches hohes Tempo sein geliebtes Fahrzeug hergab. Auch im Ort bremste er nicht ab, schnitt die engen Straßenkurven und bremste erst abrupt vor seiner Hofeinfahrt. Als er das Tor zur Scheune öffnete, stellte er verwundert fest, daß seine Holde fehlte ! Schuldbewußt kehrte Eugen um und fuhr - diesmal im Krötenspeed - zurück. In der Ortsmitte traf er seine entgegenkommende humpelnde bessere Hälfte. Ihre Miene verhieß nichts Gutes! Er hielt an, stieg ab und wollte ihr auf den Hänger helfen. Eine schallende Ohrfeige war die Belohnung für diese Hilfe. „ Du liederlicher Saubeutel, verdammter ! Hascht net amole bemerkt, daß Du dei Weib verlore hascht !!!“ Dann knallte die zweite Backpfeife auf die andere Wange ! Emma zog es vor, nach Hause zu humpeln. Der gestrafte Ehemann schrie wütend über die öffentliche Demütigung seiner Frau zu : „Da kaascht in Zukunft zu deinem Friedhof selber nuff loffe !!“ Das tat sie dann auch.


28. Der Schizophrene
Von meinem Kirchheimer Kollegen wurde ich notfallmäßig um dringende Assistenz gebeten. Sofort fuhr ich zu der angegebenen Adresse, denn es mußte schon eine außergewöhnliche Situation sein, wenn dieser sehr erfahrene Kollege um Beistand bat. Bei der Ankunft in der Wohnung bot sich folgendes Bild: Im Wohnzimmer stand ein etwa 50 jähriger Mann mit irrem Blick. Er war extrem erregt und mit einem großen Fleischermesser bewaffnet . Mit dem Messer in der erhobenen Hand drohte lautstark jeden, der ihm zu nahe käme, umzubringen. Von meinem Kollegen erfuhr ich, daß es sich um einen schizophrenen Patienten handelte, der wahrscheinlich seine Dauermedikation seit ein paar Tagen nicht mehr eingenommen hatte. Als seine Frau ihn aufforderte, die Tabletten zu schlucken, rastete dieser aus und drohte, sie mit dem Fleischermesser zu erstechen. Die alarmierten Rettungssanitäter, die herbei gerufene Polizei, die erschrockenen Familienmitglieder und mein Kollege standen fluchtbereit einige Meter weiter entfernt an der Wohnungstür. Alle bisherigen Versuche, sich dem Kranken zu nähern, waren gescheitert. Im Gegenteil: Der Kranke erregte sich immer mehr, und die Situation eskalierte zusehends. Um die Lage zu beruhigen, beorderte ich als erstes alle Personen aus dem Wohnzimmer heraus. Dann stellte mich mein Arztkollege als zuständigen Amtsarzt vor ( was natürlich frei erfunden war! ).
Nach längerer verbaler Kontaktaufnahnahme, gelang es mir, das bedrohliche Misstrauen des Kirchheimers zu überwinden. Er beteuerte, seine Medikamente regelmäßig eingenommen zu haben.
Da hakte ich ein und bat ihn, aus rechtlichen Gründen einer Blutentnahme zur Bestimmung des Medikamenten-spiegels zuzustimmen. Nach längeren Verhandlungen lenkte er ein. Diese Entnahme ließe er zu, unter dem Vorbehalt, daß er keinerlei Spritze und Medikamente bekäme. Dem stimmte ich zu und erklärte, daß zwar eine Spritze zur Blutgewinnung erforderlich sei, jedoch keine Medikation. Das stimmte natürlich nicht . Ich zog eine Ampulle Diazepam, ein Beruhigungsmittel, in der Spritze auf. Der Patient beobachtete mich dabei sehr mißtrauisch. Nach geduldeter und erfolgter Venenpunktion, injizierte ich das entnommene Blut mehrfach wieder zurück in die Vene, damit das aufgezogene Medikament in den Körper gelangte. Auf die Frage warum ich so handelte, antwortete ich, dass man das machen müsse, um das Blut mit dem aufgezogenen gerinnungshemmenden Mittel zu vermischen. Dadurch werde es an der Gerinnung gehindert. Das schien ihm logisch zu sein, und er senkte sein immer noch drohend erhobenes Messer. Wenige Augenblicke später sank der Arme benommen zu Boden. Wir konnten ihn versorgen und zur Erleichterung aller in die Klinik bringen. Mein Kollege ist noch heute darüber erstaunt, wie einfach i diese kritische Situation behoben wurde.


29. Der schwarze Freitag
Die Männerskatrunde traf sich regelmäßig freitags im Gasthaus „ Zur Post “. Jeder der Mitspieler war ein gestandener Mann und hatte ein erfolgsreiches Berufsleben hinter sich. So konnte man das Skatspiel richtig genießen. Dabei ging es oft hoch her, denn einer der Mitspieler war hochgradig farbenblind . Er verwechselte öfters die Spielkarten. Natürlich floß auch der Wein. Der Postwirt schaute zu und freute sich über seine Stammgäste. Ein Mitspieler war ehemaliger Werksmeister und Lehrlingsausbilder bei der Firma Mercedes und hatte seinen erlernten Beruf als Mechanikermeister zum Freizeithobby umgestaltet. Leo , Kriegsteilnehmer und Jäger, bastelte in seiner Freizeit mechanische Geräte.
So schuf er eine originalgetreue Dampfeisenbahn, auf der man sitzen konnte. Diese stellte er bei Dorffesten den Kindern zur Verfügung. Unaufhörlich fuhr dann die Lokomotive mit den Wagons - voll besetzt mit jubelnden Kindern - tutend und dampfend auf den verlegten Schienen durch die Straßen.
An einem Freitag präsentierte Leo stolz seinen Skatbrüdern sein neuestes kleines Kunstwerk: einen maßstabsgetreuen Nachbau einer Feldhaubitze aus dem zweiten Weltkrieg. „ Die schießt auch auf den Punkt genau“, verkündete er stolz seinen Bewunderern.
„ Das glauben wir erst , wenn wir das gesehen haben!“, war die einhellige Meinung der Runde. Bei seiner Ehre gepackt, verließ Leo - wie von allen erwartet - das Lokal, um von zu Hause Stahlkugeln und Schießpulver zu holen.
Als Jäger hatte er einen Wiederladerkurs gemacht und so die den erforderlichen Sprengstoffschein erworben . Zurück in die „Post“ gekommen, warteten die großen Jungen schon sehnsüchtig auf ihn: Allen voran der Postwirt Herbert S. Seine Frau Emma sah dem Ganzen schon etwas mißtrauischer entgegen und fragte ihren Mann schüchtern, ob nicht die geplante Schießübung in das Freie verlegt werden könne.
nUnter lautem Gelächter der erfahrenen Kriegsveteranen und der lautstarken Bestätigung, daß wirklich nichts passieren könne, wurde die Kanone auf den Tisch gestellt und fachgerecht geladen. Ein Bierdeckel als Ziel wurde an die schöne alte Holzvertäfelung der gegenüber liegenden Wand des Nachbarraumes genagelt. Ein abgeschnittener Strohhalm steckte bereits im Zündloch und wurde vorsichtig mit Pulver gefüllt. Das war Leo’s eigenes Patent, denn er hatte keine Zündschnur. Jetzt war alles klar, und die Zündung erfolgte mit einer Kerze. W u m m m m !!! Der Schuß brach los!!

In dem geschlossenen Raum war der Knall viel lauter als erwartet ! Es war ein Riesendonner !! Die Oma, die im Nebenhaus friedlich schlief, fiel vor Schreck aus dem Bett. Wie vorausgesagt, saß der Treffer perfekt in der Mitte des Bierdeckels. Das Holz der Täfelung war zwar etwas weggesplittert, aber der Postwirt beruhigte : „ Das Brett war eh schon locker!“ . Jetzt wollte natürlich jeder der Männer einmal mit diesem kleinen Wunderwerk schießen! Zum Entsetzen der Wirtsfrau wurde erneut geladen. Ein Skatbruder setzte sich auf den Stuhl hinter der Kanone, die auf dem Tisch stand und visierte über Kimme und Korn das Ziel an. Das Ziel wurde sehr lange angepeilt, dann die Kanone ausgerichtet . Der mit Pulver versehene Strohhalm wurde erneut gezündet. K r a w u u m m m !!! Dann nochmals viel lauter: W U U U M M M M M M !!!
Nach dem ersten Schrecken, und als sich der Rauch verzogen hatte, sahen sich die Männer an: Alle hatten rußgeschwärzte Gesichter! Sie sahen aus wie die Neger ! Die Wände und die Zimmerdecke waren schwarz vom Ruß! Die Tischdecke kokelte vor sich hin. Die vom Knall halb betäubte Emma S. jammerte leichenblaß: „Alles ist schwarz! Alles ist schwarz! Wer soll denn das alles wieder saubermachen!!“ Die lakonische Antwort vom Postwirt lautete: „ Natürlich Du !! Dös isch dei Sach !“
Folgendes war geschehen: Beim Rückstoß der Kanone flog der glimmende Strohhalm vom Zündloch in den daneben stehenden Schießpulverbehälter. Dieser voll gefüllte Topf entzündete sich und sorgte so für die unerwartete Überraschung. „ D i e P o s t “ blieb drei Tage wegen der notwendigen Renovierung geschlossen. Das war der „schwarze Freitag“ in Walheim.


30. Der sparsame Witwer
Rudolf N. lebte nach dem Tod seiner Frau allein in seinem alten Haus neben dem Rathaus. Er war ein netter, umgänglicher Mann, der jedoch als sehr sparsam bekannt war. Man sagte ihm nach, dass er als einzige Lektüre seine Sparbücher las. Einmal im Jahr jedoch gönnte er sich eine große Reise. Er bereiste dann die entferntesten Kontinente und Länder, buchte dann die vornehmsten Hotels und unternahm von dort aus abenteuerliche Ausflüge. Nur am Essen wurde gespart : in dem Hotelzimmer kochte er sich auf dem stets mitgeführten Trockenspiritusbrenner seine bescheidenen Mahlzeiten.
Zurückgekehrt, berichtete er dann allen Nachbarn und Bekannten, die staunend seinen Erzählungen lauschten, von den aufregenden Erlebnissen aus der großen, weiten Welt. Als ich ihn das erste Mal besuchte, war er fieberhaft erkrankt und lag im unbezogenen Bett. In Erwartung des Arztbesuches hatte er allerdings über die Bettdecke eine Deutschlandfahne ausgebreitet. Das sollte feierlicher und ordentlicher aussehen! Nachdem ich ihn untersucht und eine Injektion verabreicht hatte, ging es ihm schon wieder deutlich besser. Rudolf N. stand auf und bestand darauf, mit mir einen Schluck seines Hausweines zu trinken. Dabei putzte er mit seinem gebrauchten Taschentuch ein verschmutztes Glas aus und stellte es vor mich hin. Dann zauberte er eine ebenso verdreckte halbvolle Weinflasche hervor und goß großzügig ein Achtele ein.
Ich verzichtete dankend auf den Trunk und entschuldigte mich bei dem nun frustrierten Mann mit dem Vorwand, daß ich noch weitere Krankenbesuche machen und so leider auf Alkohol verzichten müsse.
Das sah der alte Weinbauer dann schließlich ein, bestand aber darauf, daß ich die halbvolle Flasche mitnahm, in die er den ausgeschenkten Wein zurückgefüllt hatte. „ Dann trinket Se halt das Viertele mit Ihrer Frau zu Hause und denken an mich ! “ Das versprach ich, bedankte mich und verließ das Haus.
Drei Tage später traf ich ihn wieder. Er saß auf seinem Traktor, der einen mit Äpfeln voll beladenen Anhänger zog. Diese hatte er auf seinem Baumstück aufgelesen. Um ihn herum sprang ein Dutzend Kinder, das gerade aus dem Kindergarten kam. Gutmütig fragte Rudolf, ob sie einen Apfel haben wollten. Das war natürlich keine Frage. Jubelnd nahm jedes Kind einen mit dem Ärmel abgeriebenen Apfel in Empfang. Plötzlich stutzte der edle Spender und nahm einem kleinem Mädchen die Frucht wieder weg : „Du bist doch die Tochter vom Bauer B. ! Der hat selber Äpfel!“ Dann warf er das Obststück zurück auf den Anhänger und fuhr weiter zur Obstannahmestelle....


31. Verkehrsunfall
Kurz nach Mitternacht klingelte das Telefon.Eine aufgeregte junge Männerstimme bat mich ,wegen eines Notfalls in die Praxis zu kommen. Es sei wirklich dringend. Näheres wollte der junge Mann mir nur persönlich unter vier Augen sagen.
In der Praxis angekommen, wurde ich schon vor der Tür von einem netten jungen Paar erwartet. Sie war ein 16 jähriges hübsches Mädchen, das zitternd mit hochrotem Kopf ihren Freund mit beiden Händen festhielt. Ich schloß die Praxis auf und bat die Teenager herein. Dann erklärte mir der etwa 17 jährige junge Mann stotternd den N o t f a l l . Seine Eltern waren über das Wochenende verreist. Diese Gelegenheit hatte das junge Liebespaar lange ersehnt und genutzt :
Es war zum ersten Mal zum Geschlechtsverkehr gekommen. Die ungeübten Liebenden hatten bei dem Akt das Kondom verloren und waren in Panik. Die Furcht vor einer ungewollten Schwangerschaft ließ sie verzweifeln.
Nach dem Entfernen des verlorenen Präservativs und einer Spülung , befragte ich die junge Dame . Es stellte sich heraus, daß der Verkehr an den so genannten unfruchtbaren Tagen stattgefunden hatte. Weitere Maßnahmen erschienen deshalb nicht erforderlich zu sein. Eine spätere Untersuchung des Hormonstatus bestätigte den Befund. Ein Gespräch mit den Verliebten erfolgte. Sie waren sehr erleichtert. Auf ihre Bitte hin und nach entsprechender Aufklärung, verordnete ich „die Pille“. Nach nochmaliger Versicherung, daß ich der ärztlichen Schweigepflicht unterliege und ihren Eltern von dem Zwischenfall nichts erzählen würde, entließ ich das rührende junge Paar.
Am nächsten Wochenende brachte ein Fleurop-Bote einen Blumenstrauß ins Haus - ein Dankeschön für den Nachteinsatz.


32. Der „Stallone“

Salvatore S. kam als Schuhmacher aus dem sonnigen Sizilien nach Walheim, um in den SIOUX-Schuhfabriken zu arbeiten. Mit seinen 35 Jahren, typisch südländischem Aussehen und Flair, war er der Schwarm vieler Frauen.
Er wußte, daß er gut aussah, kleidete sich immer sehr lässig und modern und flirtete mit allen Frauen im Alter von 14 bis 60 Jahren. Seine Heirat mit der Landsmännin Rosa tat diesem Hobby keinen Abbruch. Mit offenem, weißen Hemd, die behaarte Männerbrust mit Goldschmuck behängt, stolzierte er in seiner Freizeit stets auf der Straße vor seiner Wohnung auf und ab. Seine Rosa beobachtete ihn dabei aus dem Fenster und wachte eifersüchtig über eventuelle Episoden ihres Mannes. Salvatore kümmerte das allerdings wenig. Braun gebrannt, versprühte er seinen Charme und seine gute Laune. Er versuchte dabei mit seinem lustigen italienisch - deutschen Wortgemisch, die vorbeigehenden Damen in ein Gespräch zu verwickeln. Er war eben ein richtiger „Macho“.
Eines Tages erschien er - begleitet von seiner Ehefrau - kleinlaut erstmalig bei meinem zahnärztlichen Kollegen in dessen Praxis. Seine Rosa hatte ihn gegen seinen Willen dorthin geschleppt, weil sie sein Gejammer über seine Zahnschmerzen nicht mehr aushielt. Nichts war mehr vom großen „Stallone“ ( d.h. italienisch : Hengst ) übrig geblieben. Ängstlich saß er in sich zusammengefallen im Wartezimmer. Jedesmal, wenn ein Patient aufrufen wurde, zuckte er zusammen und war froh, daß er nicht gemeint war. Schließlich war es doch so weit! Mehr von der Helferin gezogen und gleichzeitig von seiner Frau geschoben, wurde Salvatore in das Behandlungs-zimmer bugsiert.
Nach langem energischen Zureden auf italienisch gelang es, ihn auf den Behandlungsstuhl zu verfrachten. Mit angstvoll weit aufgerissenen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht klammerte er sich an der Armlehne fest. Schließlich ließ er sich sogar dazu herab, den Mund zu öffnen. Endlich konnte mein Kollege Dr. K. den Zahnstatus erheben.
Als dieser jedoch den Bohrer in Betrieb nahm, war es endgültig aus mit dem Heldenmut : Il corragio „Stallone“ sprang vom Stuhl, warf sich auf den Boden, schlug um sich und schrie als ob er am Spieß lebendig gebraten würde : „Rosa, ich s t e r b e !!!!!!! Hilfeeee !!!!!!! Rosa, ich
s t e e e r r r b e !! “
Ich wurde aus meiner Sprechstunde zu dem Notfall gerufen! Hilflos stand das gesamte Praxispersonal und die schreckensbleiche Ehefrau um den schreienden,käsebleichen auf den Zimmerboden liegenden , zitternden Patienten herum.
Hatte er vielleicht durch die Aufregung einen Herzinfarkt oder etwas Ähnliches erlitten? Oder gar einen epileptischen Anfall ? Dabei hatte mein Kollege „ Dr. Zähnlibrech“ , wie er von einigen Walheimern liebevoll tituliert wurde , noch gar nicht begonnen zu bohren ! Die restlichen wartenden Patienten hatten - verstört durch das Geschrei - fluchtartig die Praxisräume verlassen.
Nach meiner Untersuchung stellte ich fest:
Der Macho hyperventilierte und war sonst kerngesund. Nach einer Beruhigungsspritze und Calciumgabe erholte er sich schnell .In rekordverdächtigem Tempo raste er dann wie von der Tarantel gestochen aus der Praxis davon. Rosa lief ihm vergeblich laut rufend hinterher.
Das Image von Salvatore war zumindest bei ihr bis auf weiteres zerstört ! Die Zahnarztpraxis hat „Stallone“ nie wieder betreten.


33. Hasenstreit
Der Fronmeister Helmut , war ein leidenschaftlicher Jäger. Als Jagdaufseher versorgte und hegte er das Walheimer Jagdrevier . Nach seinem schweren Beruf und der Arbeit ging er nach Feierabend in seinem geliebten Weinberg. Mit großem Einsatz ging er diesem Hobby nach. Im Jagdwesen machte ihm so schnell keiner etwas vor. Für seinen Jagdherrn erlegte er natürlich auch das gewünschte Wild.
Eines Tages durchpirschte der alte Nimrod das Revier im Grenzbereich zur Nachbargemeinde. Es war ein schöner Oktobertag, als ein strammer Hase in Schußweite an ihm vorüber hoppelte. Der kam gerade recht ! Die Flinte wurde angelegt, gezielt, und der Schuß brach. Der getroffene Meister Lampe fiel zwar um, rappelte sich aber wieder auf und entfloh schwer gezeichnet über die Reviergrenze zum Nachbarn. Nach ein paar Metern blieb er dort tot liegen.
Der Sohn des dortigen Revierinhabers - ebenfalls Jäger - arbeitete gerade in seinem Baumstück und hatte den Vorgang mißtrauisch beobachtet. Schadenfroh lief er zu dem erlegten Wild und hob es an den Hinterläufen hoch. Dann rief er hocherfreut über die unverhoffte Beute dem enttäuschten Schützen triumphierend zu : „ Der gehört jetzt mir ! Das ist unser Revier ! “
Dabei zeigte er ihm auch noch den Stinkefinger . Mit der unverhofften Beute zog er dann heimwärts. Der verblüffte Helmut ärgerte sich über das ungebührliche Verhalten und rief dem Jungen hinterher: „ Das ist zwar rechtens, aber unter Jägern und Jagdkameraden nicht üblich ! Unter Jagdfreunden überläßt man dem Erleger das Wild! “ Die freche Antwort lautete: „ Leck mich doch am Ar...!“, und ungerührt ging der Rüpel mit dem Hasen weiter. Das war nun endgültig zuviel für den wütenden Waidmann. Er nahm erneut seine Flinte, lud sie mit sogenanntem 2,2 mm Vogelschrot, zielte auf das Hinterteil des schon ca . 50 Meter entfernten jungen Mannes und drückte ab. Getroffen ließ dieser vor Schreck den Hasen fallen und langte sich laut jammernd an den schmerzhaften Allerwertesten. Der erboste Schütze jedoch rief dem Verletzten lachend zu: „ Gell Bursche, daran hast Du nicht gedacht, daß meine Zunge soooo lang ist !!!“
Dann drehte er sich um und verließ den Tatort, ein fröhliches Jägerliedchen pfeifend, in Richtung Walheim......


34. Der Totengräber
Als 17 Jähriger wurde er zur Wehrmacht eingezogen und geriet in französische Gefangenschaft. In dieser entbehrungsreichen Zeit, in der tausende Gefangene an Hunger in den Lagern starben, warb nach Kriegsende die französische Fremdenlegion mit großen Versprechungen um Nachwuchs. Bei der Perspektivlosigkeit und der Hoffnung, endlich der Gefangenschaft und dem Hunger zu entrinnen, meldeten sich viele deutsche Soldaten freiwillig und unterschrieben mehrjährige Verträge mit der Legion. So auch Moritz D. aus Walheim.
Bei einem Truppentransport durch den Suez-Kanal desertierte „der Bub“, so wurde er von seinen Kameraden wegen seines jungenhaften Wesens genannt, und sprang über Bord. Nach einer abenteuerlichen Flucht durch Ägypten und mehrere andere Länder, gelangte er nach einigen Jahren, immer noch als Deserteur von der Fremdenlegion verfolgt , wieder zurück nach Walheim. Hier war er im Auftrag der Gemeinde viele Jahrzehnte nebenberuflich als Totengräber tätig. Moritz war ein stiller,friedliebender Mensch. Er konnte mit der Religion und insbesondere mit Sekten nichts anfangen, ja er haßte sie sogar.
Eines Tages war er gerade im Innenhof seines Hauses beim Holzspalten, als es am Gartentor klingelte. Die Axt schlug er in den Hauklotz und ging dann zum Gartentor, um zu sehen, wer dort geläutet hatte. Draußen standen zwei gut gekleidete junge Männer, die höflich um Einlaß baten. Sie hätten eine wichtige Botschaft für ihn. Moritz ließ sie eintreten und schloß das Tor. In der Annahme, daß es sich um Angehörige eines Verstorbenen handelte, bat er die beiden in die Wohnstube. Hier offenbarten sich die Männer als Zeugen Jehovas, die ihm im Falle einer Bekehrung, einen Sitz im Himmelreich versprachen. Abrupt stand der Totengräber auf und komplimentierte seine ungebetenen Gäste in den Innenhof. Hier ergriff er den Größeren der beiden wortlos am Kragen, schleifte ihn zum Hackklotz, nahm die Axt und rief zum Entsetzen der beiden Glaubensbrüder: „Ich werde Euch sofort helfen, in den Himmel zu kommen ! Dann haben wir hier auf der Erde mehr Platz für die anderen. Ihr wollt doch so gerne in den Himmel ? !“ Der zweite Mann rannte, wie von der Tarantel gestochen, zum Tor, öffnete es und rief um Hilfe. Der anfangs schreckgelähmte Sektenanhänger riß sich los und rannte ebenfalls schreiend hinterher.
Von diesem Zeitpunkt an, wurde Moritz D. nie wieder von den Zeugen Jehovas bekehrt.


35. Der Viehtransporter
Nach einem Arbeitstag im alten Steinbruch auf seinem „ Stückle“ ergab es sich, daß Nachbarn und Freunde, die das geparkte Auto von Thomas A. gesehen hatten , auf einen Feierabendplausch bei ihm vorbeischauten. Dabei saß man gemütlich in seiner kleinen Hütte zusammen. Ein paar Viertele Wein wurden ausgeschenkt und so verstrich die Zeit im Flug.
Als man nach diesem schönen Sommertag auseinander ging, merkte der eine oder andere, daß man vielleicht doch etwas mehr getrunken hatte, als es vernünftig gewesen war. So auch Tomas A. Schließlich mußte er noch mit dem Auto nach Hause fahren! Um möglichen Komplikationen aus dem Weg zu gehen, beschloß er, die kleinen - meist asphaltierten - Feldwege zu benutzen.
Parallel zur Landstrasse nach Hofen fuhr er vorsichtig in Richtung Walheim auf die B 27 zu. Hier war durch eine Begradigung der Bundesstraße eine Schleife entstanden, die vielen Autofahrern als Park- und Rastplatz diente.
Auf dem Weg dorthin erblickte er mitten auf dem schmalen Feldweg ein parkendes Polizeiauto mit Blaulicht, das ihm die Weiterfahrt versperrte.
Später schilderte er die Situation so : „Da stand so ein „Viehtransporter“ mit Blaulicht, besetzt mit zwei Bullen und einem armen Schwein, dessen Personalien gerade aufgenommen wurden ! Empört darüber, wie man so unüberlegt parken konnte, hupte ich. Prompt stieg ein Polizist aus und kam auf mich zu. Ein eisiger Schreck durchfuhr mich, denn ich hatte ganz vergessen, daß ich Wein getrunken hatte !! Angstschweiß brach mir aus! “ Beflissen kurbelte er das Fenster herunter. Der Polizist grüßte freundlich und fragte, warum Thomas gehupt habe. Mit hochrotem Kopf und ganz zahm geworden, antwortete dieser, daß er nach Hause nach Walheim wolle. „ Gleich da drüben, in einem von den beiden Hochhäusern wohne ich ! “ Der Beamte schaute ihn prüfend an und riet ihm mit einem Augenzwinkern: „Dann wenden Sie mal ganz schnell, bevor mein Kollege kommt, und fahren gaaaaanz vorsichtig nach Hause.“ Das ließ sich der sonst sehr korrekte Thomas. nicht zweimal sagen. Er bedankte sich für den guten Rat, wendete und chauffierte dankbar nach Hause. Glück gehabt! Es gibt doch noch nette Menschen !


36. Der Wunschsohn
Auch er war als Panzergrenadier in Walheim „ hängen“ geblieben und hatte ein hiesiges Mädle geheiratet. Georg J. war ein großer, blonder, blauäugiger, starker Mann, der sich bald die Kunst des Weinbaus angeeignet hatte und im Nebenberuf mit Fleiß seinem neuen Hobby nachging. Er hätte vom Typ eher nach Ostpreußen gepaßt.
Hier in Walheim war er sehr beliebt und versah als Mitglied des Schützenvereins die Verwaltung und Bewirtung des idyllisch gelegenen Schützenhauses „ Auf der Burg “. Privat war er auch sehr erfolgreich : Georg J. war Vater von vier hübschen Töchtern. Wenn er sich mit Freunden unterhielt, ließ er jedoch immer wieder durchblicken, daß er in dem „Weiberhaushalt“ gerne Verstärkung durch einen Sohn gehabt hätte. Leider wurden es „nur“ Mädchen.
Nach einem Vereinsabend gab ihm ein Schützenbruder einen Tipp: „Versuche es doch einmal, wie ich. Gehe doch mit Deiner Frau auf die Bühne *. Nimm Dir einen Teppich** mit und kuschele Dich mit Deiner Holden dort oben ganz gemütlich und ungestört hin ! Bei mir hat es jedenfalls so geklappt ! “ Georg ließ sich die Worte seines Kameraden durch den Kopf gehen. „Man könnte es ja einmal versuchen. Schaden täte es nicht. Es wäre höchstens wieder einmal ein fehlgeschlagener Versuch ! Nach einer Adventsfeier überredete er seine Frau mit Engelszungen und überzeugte sie schließlich von dem Vorhaben. „Warum denn auf der ungeheizten, eiskalten Bühne ? Schließlich haben wir doch ein schönes,warmes Schlafzimmer!“, war ihre Antwort. Aber nach längerem Drängen gab sie ihren Widerstand auf. Mit einer Flasche Wein,zwei Gläsern , einer großen, warmen Decke, Kissen und Luftmatratze bewaffnet, verschwanden die beiden auf der ungemütlichen Bühne. Erst am nächsten Morgen stiegen sie die Leiter wieder herunter. Es war ein kleines Wunder : Neun Monate später, wurde Frau J. von einem gesunden Jungen entbunden! (Übersetzungshilfe für Nichtschwaben: * Bühne = Boden ; **Teppich = Decke)


37. Die Eule
Man nannte einen der reichsten Walheimer Landwirte so, weil er eine alte Schießbrille aus dem 2.Weltkrieg mit sehr dicken Gläsern trug. Dadurch wirkten die Augen des hochgradig kurzsichtigen, hochgewachsenen, hageren Mannes besonders groß. Er sah wirklich eulenähnlich aus. Eine alte Militärarbeitsmütze, ohne die man ihn nie sah, sowie ein verschlissener Kittel und eine sackartige, ehemals schwarze Hose ohne Knöpfe, die nur durch einen viel zu langen ausgeleierten Ledergürtel zusammen gehalten wurde, vervollständigten das äußere Erscheinungsbild. Die „ begeisterte Leseratte“ ergötzte sich jeden Tag an der einzigen Literatur : den S p a r b ü c h e r n .
Mit seinem alten Traktor raste er trotz seiner Sehschwäche mit großer Geschwindigkeit durch den Ort. Sogar in die Landeshauptstadt Stuttgart düste er mit diesem Gefährt. „Wissen Sie, dumm bin ich nicht ! Da brauche ich kein Benzin und keine Steuern zu bezahlen ! Das ist nämlich ein landwirtschaftliches Fahrzeug !“
Als Patient wurde er immer bevorzugt versorgt, denn es war anderen Kranken nicht zumutbar, neben ihm im Wartezimmer zu sitzen. Man behauptete, sein Odeur vertreibe sogar die Schmeißfliegen! Daß er nie Unterhosen trug, begründete er so: „ Da haben Sie es doch leichter, und die Untersuchung geht halt schneller ! “. Die „ Eule “ bewohnte ein altes, verwahrlostes Fachwerkhaus in der Neckarstraße. Wie früher üblich, befand sich der Wohnbereich direkt über dem Kuhstall. Dadurch wurde die aufsteigende Stallwärme mitgenutzt .
Das erste Mal betrat ich das Haus an einem sehr kalten Wintertag, um seine sterbenskranke Schwägerin zu besuchen. Seine Frau hatte die todkranke alte Landwirtin aus einem entfernten Kreisort zu sich geholt. Ich stieg eine dunkle, schmale Treppe hoch und stolperte dabei über allerlei Körbe, Töpfe und sonstige Gegenstände, um in die warme Küche zu gelangen.
Ein mit Holz beheizter großer Herd - besetzt mit drei dampfenden Töpfen - einer davon mit überkochender Wäschelauge - füllte fast den ganzen kleinen Raum aus. Eine freundliche, etwas schmuddelige Frau saß kartoffelschälend am alten Küchentisch. Hier suchten ein paar Hühner erfolgreich ihr Futter. Als sie mich sah, stand sie auf, um mir den Weg zur Wohnstube frei zu machen. Dann ging es durch zwei weitere Zimmer in eine eiskalte Stube, in der das Bett mit der Kranken stand.
Natürlich war keine Bettwäsche aufgezogen. Dafür aber war anläßlich meines Besuches eine alte beschmutzte Tischdecke auf die dünne Bettdecke gelegt worden. Die fiebernde kranke alte Frau fror erbärmlich. Sie war abgemagert und sah sehr elend aus. Die Bäuerin hatte eine beidseitige Lungenentzündung und war sehr ausgetrocknet. Ich schlug die Krankenhauseinweisung vor. Beide Schwestern lehnten sie aber vehement ab. Nach der medizinischen Erstversorgung , Anlegen einer Infusion und Gabe eines Antibioticum kamen wir ins Gespräch.Nach längerer Unterhaltung blühte die alte Frau sichtlich auf. Offensichtlich hatte sie seit langem keine Ansprache mehr gehabt. Sie genoß es sichtlich.
Nach einer halben Stunde bat sie um etwas Essen und Trinken. Seit einigen Tagen hatte sie nichts mehr zu sich genommen. Als Frau K. in die Küche ging, kam die „Eule“ mit verschmierten Gummistiefeln in die Stube hereingestampft.
„Na Doc, wie lange macht sie denn es noch? “, war seine taktvolle Begrüßung. Auf meine Gegenfrage, warum die kranke Frau in dem „ Eiskeller “ liegen mußte, antwortete er so: „Wissen Sie, das lohnt sich nicht mehr ! Ich hab’ sie nur auf die Bitte meiner Frau hierher genommen“. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „ Außerdem hat sie etliche Äckerle und keine anderen Verwandten mehr ! “ Gott sei Dank, hatte sie bald ausgelitten.


38. Die Hühnerhypnose
Die „Besen“ gibt es in Baden-Württemberg, um es den Weinbauern zu ermöglichen, die nicht in einer Genossenschaft organisiert sind, den an die Aufkäufer unverkauften Restwein zu vermarkten. Diese Wirtschaften dürfen nur 8 Wochen im Jahr geöffnet sein. Durch einen außen gut sichtbaren Besen werden diese sehr beliebten Privatlokale gekennzeichnet. Hier gibt es neben dem Hauswein preiswert deftige Schlachtplatten mit Sauerkraut, Grillfleisch, Salz – und Zwiebelkuchen sowie Schmalzbrote vom selbstgebackenen Brot. Als die beliebte Besenwirtschaft vom „Salz“, so war sein Spitzname, wieder geöffnet hatte, gingen mein damaliger Assistent Dr. L. , dem gesamten Praxisteam und ich dorthin, um einen netten Abend zu verbringen.
In fortgeschrittener Stimmung animierte mich hier Kollege L., doch einmal eine „Hühnerhypnose“ praktisch vorzuführen. Ich hatte ihm von der möglichen Schreckstarre bei Hühnern und Hummern gesprächsweise erzählt. Alle Zuhörer, die mit am Tisch saßen, waren von dieser Idee sogleich begeistert. Man wollte es einfach nicht glauben, daß so etwas möglich ist. Ein Landwirt erklärte sich bereit, sofort zwei Hühner aus seinem Stall herbei zu bringen. Nach längerem Zögern wurde ich als Aufschneider verdächtigt, so daß ich schließlich nachgab, und in diesen Spaß einwilligte. Als das Federvieh beschafft war, wurde es mucksmäuschenstill in der sonst so lärmgeschwängerten großen Stube.
Mit vielen unnötigen, beschwörenden Gesten nahm ich unter begleitenden Gemurmel des ersten Kapitels von Caesars „De bello Gallico“ die sogenannte „ Hypnose “ vor. Zur Verblüffung aller Anwesenden, lagen die beiden Tiere regungslos - wie tot - auf dem Rücken und zeigten nur durch einen gelegentlichen Lidschluss an, daß sie noch lebten. Nach ein paar Minuten löste ich die Starre wieder. Ein endloses Palaver über das Erlebte begann. Manche der Gäste trauten sich nun plötzlich nicht mehr, mir in die Augen zu schauen- aus der Angst heraus, ich könne sie auch „ hypnotisieren “. Meine Versuche, das Phänomen der Schreckstarre zu erklären, wurde mir nicht mehr abgenommen: Ich war jetzt nicht nur der neue Dorf-Doc, sondern auch eine Art Hexenmeister geworden. Das Ereignis sprach sich wie ein Lauffeuer herum. Noch monatelang später erhielt ich Anrufe von Interessenten, die sich das Rauchen abgewöhnen oder abspecken wollten. Einer verlangte sogar, daß ich seine Schwiegermutter „weghexen“ sollte. .
Dieser Besuch in einem Besen wird mir unvergesslich bleiben, denn diese Auswirkung hatte ich nicht gewollt und leichtsinnigerweise auch nicht bedacht !


39. Die Post brennt !
Die Vorgeschichte:
In unserem circa 3000 Einwohner großen Dorf gibt es das Gasthaus „ Zur Post “ - kurz Post genannt. 250 Meter weiter entfernt davon liegt das Postamt Walheim, das in einem Mehrfamilienhaus ebenerdig untergebracht ist. In der über dem Amt liegenden Wohnung lebt das Ehepaar P. .
Herr P. war schwerkrank. Er litt an einem fortgeschrittenem Krebsleiden und war fast immer bettlägerig. Seine Frau, eine gebürtige temperamentvolle Rheinländerin, hatte sich nur schwer in dem ländlichen Schwabendorf eingelebt. Besonders in der Fastenzeit schwelgte sie in Erinnerungen an die schöne Karnevalszeit in Köln. Sie konnte stundenlang darüber berichten. Wie groß war doch der Unterschied zu der etwas schwerfälligen Schwabenmentalität !
An einem Rosenmontag war es wieder soweit: Es wurden Fastnachtskrapfen gebacken, ein lustiger Papphut aufgesetzt, ein paar Luftschlangen dekoriert und Karnevalslieder, die aus dem Fernseher tönten, fröhlich mitgesungen. Selbst der kranke Angetraute wurde von der guten Laune angesteckt und ließ sich freiwillig mit einer großen Pappnase versehen. Sie hinderte ihn nur beim „ Viertelestrinken “ und mußte deshalb jedesmal auf die Stirn geschoben werden. Natürlich wurde der Fernseher angeschaltet, um den Rosenmontagsumzug mitzuerleben. Es kam wie es kommen mußte:
In der Küche brutzelte der Fetttopf in dem die Krapfen gebacken werden sollten. Währenddessen sahen sich die Eheleute die Fernsehübertragung vom Kölner Rosenmontagsumzug an. Erst als rabenschwarzer Qualm in das Wohnzimmer drang, ahnte Frau P. ihr Versäumnis. Sie rannte in die Küche: Die Bescherung war komplett. Der Fetttopf brannte unter starker Rauchentwicklung lichterloh. In ihrer Panik rief die entsetzte Frau ihrem Mann zu, daß er sofort telefonisch die Feuerwehr alarmieren solle. Befehlsgemäß wurde das auch prompt ausgeführt. Inzwischen ergriff sie geistesgegenwärtig eine Decke und erstickte das Feuer.
Die spätere Rekonstruktion der Ereignisse ergab Folgendes: Nach dem Eingang des Alarmrufs in der Zentrale Besigheim wurde der Kommandant der freiwilligen Feuerwehr Walheim über Funk an seiner Arbeitsstelle im Nachbarort informiert. Dummerweise hatte er an diesem Tag kein Auto zur Verfügung, weil er es zur fälligen Inspektion gebracht hatte. Ein Arbeitskollege wurde gefunden, der ihn per Motorrad dann nach Walheim zum Feuerwehrhaus fuhr, das in der in der alten Kelter untergebracht war. Hier wurde endlich der Ortsalarm mit Benachrichtigung der Feuerwehrmänner ausgelöst.
Nach weiteren 15 Minuten waren die ersten Wehrmänner in voller Montur zur Stelle und das erste Fahrzeug konnte ausrücken. Der Einsatzbefehl lautete: F e u e r in der P o s t !! Das Löschfahrzeug mußte nur 50 Meter fahren, um zum Gasthaus Post zu gelangen . Der aufgeschreckte Besitzer Herbert S. wurde informiert, daß es in seinem Haus brenne. “ Ich weiß von Nichts! Sollte ich das übersehen haben? “, lautete sein trockener Kommentar. Erst nachdem das ganze Haus inklusive Wirtschaft, Wohnung, Dachboden, und Keller durchsucht worden war , ohne das ein Brandherd gefunden wurde, rückte die Mannschaft frustriert wieder ab.Es war wohl wieder einmal ein Fehlalarm !
Zurück im Feuerwehrhaus, erfuhren sie von einem verspätet eingetroffenen Einsatzmann, daß es in der „richtigen“ Post, also dem Postamt, gebrannt habe. Erneuter Einsatz! Diesmal landete man am richtigen Ort.
Aus dem offenen Fenster im 1.Stock drang immer noch dichter Rauch, sodaß gleich das Kommando: „Wasser Marsch!!“ gegeben wurde. Vom Hof aus löschte eine Mannschaft direkt durch das offene Fenster das vermutete Feuer. Ein zweiter Einsatztrupp bahnte sich durch das Treppenhaus – ebenfalls mit einem Löschschlauch ausgerüstet - den Weg vorbei an der völlig aufgelösten Hausfrau, die immer noch mit dem Faschingshut auf dem Kopf jammerte : „Es ist doch alles schon vorbei !!“ Es half nichts. Sicherheitshalber wurde von zwei Seiten gelöscht, wo es nichts mehr zu löschen gab. Der Wasserschaden war erheblich. Auch das darunterliegende Postamt war mitbetroffen und mußte tagelang geschlossen bleiben. Nachspiel: In der nächsten Ausgabe des Walheimer Gemeinde-blattes fand sich aus aktuellem Anlaß folgende Mitteilung :
Bei Feuerausbruch begebe man sich sofort zum Rathaus. Dort schlage man das Glas der außen angebrachte Alarmanlage ein. Anschließend bleibe man daneben stehen und warte auf das Eintreffen der Feuerwehr. Zwischenzeitlich könne man sich in Ruhe überlegen, was man dann dem Kommandanten an Informationen über die genaue Adresse, die Ausdehnung des Brandherdes, eventuell zu rettende Personen und Beginn des Feuerausbruchs geben kann. So werden zukünftig unnötige Verzögerungen vermieden.
Frau P. ist noch heute froh, daß sie - anders als empfohlen - gehandelt hat. Nach der dort beschrieben Vorgehensweise wäre zumindest ihre Wohnung komplett ausgebrannt Ihr Mann wäre jämmerlich erstickt und verbrannt ! Nicht auszudenken !
Die Ankunft der Feuerwehr vom Telefonanruf bis zum Eintreffen vor Ort hatte schließlich circa 115 Minuten gedauert ! Im Brandfall wird deshalb seither der Einsatz der Löschfahrzeuge von der Feuerwehrzentrale Ludwigsburg geleitet.


40. Die Schlammschlacht
Der Firmengründer Walter G. baute mit Fleiß , Unternehmergeist und viel Mut seinen mittelständischen Betrieb von einer Jutesackreparaturwerkstatt zu einem international erfolgreichen Unternehmen in der Produktion von Schwergewebesilos und Containern aus.
In der Zusammenarbeit mit den Firmen Hoechst und Degussa wurden Stoffe entwickelt und erprobt , die zu einem zukunftsorientierten neuen Markt führten. Schon in den 60 ziger Jahren wurden neue Techniken wie Abfallverwertung und Biogasgewinnung erforscht und erprobt.
Anfang 1971 erstellte die Walheimer Firma G. ein neues flexibles Schwergewebesilo, das eine praktikable und preiswerte Weiterverarbeitung von Klärschlamm ermöglichen sollte. Ein neu entwickelter Segment-verschluß sollte nach dem Ablaufen des Klärwassers eine schnelle und vollständige Entleerung des aufgehängten - mit 3 Tonnen Klärschlamm befüllten und circa 4 Meter hohen Behälters garantieren. Nachdem diese Entwicklung mehrere Probeläufe erwartungsgemäß und ohne Beanstandungen durchlaufen hatte, kam der große Tag an dem diese Neuerung allen beteiligten Firmen und Interessenten vorgeführt werden sollte.
Es war ein großer Tag für die gestammte Belegschaft, die diesem Ereignis entgegen fieberte. Schließlich hatte man monatelang daran gearbeitet. Ein leckeres Essen und edle Getränke- einschließlich Wein und Sekt wurden für die erwarteten hohen Gäste vorbereitet. Die zuständigen Direktoren und Ingenieure der oben erwähnten Firmen waren aus Frankfurt und Hanau angereist. In elegante dunkle Anzüge gekleidet, umringten sie den stolzen Firmenchef mit seinem Führungsstab. Der Unternehmer berichtete in seiner Rede über die Entwicklung, die damit aufgetretenen Schwierigkeiten, die verwendeten verschiedenen Materialien, der Nahttechnik und nicht zuletzt über den selbst konstruierten und patentierten neuen Segmentverschluß .
Dann ging es hinaus zum Demonstrationsobjekt. Hoch oben auf dem Silo saß blitzsauber ein in neues gelbes Ölzeug gekleideter Mitarbeiter, der die Klärschlammbefüllung über einen sogenannten Zyklon vornahm, damit sich der Inhalt nicht vorher entmischte. Als das Klärwasser seitlich an den Silowänden ablief, brandete Jubel auf und alle klatschten Beifall. Nach einer Pause, in der die Flüssigkeit abgelaufen war, kam der große Moment, in dem der neue Segmentverschluß zur Entleerung geöffnet wurde. Jeder schaute angespannt zu. Anfangs verlief alles plangemäß, aber dann riss die Naht des Verschlusses ! Mit großer Wucht entleerten sich 3 Tonnen eingedickter Kloake auf einen Schlag. Dabei spritzten die Fäkalien auf die fassungslosen Ehrengäste, die bald knietief in der übelriechenden Masse standen. Der einzigste Mann, der mit Ölzeug bekleidet war, saß grinsend oben auf dem Container und hatte nicht einen einzigen Spritzer abbekommen ! Entsetzen und Hektik machten sich breit. Die Gäste wurden eilig mit dem Schlauch abgespritzt. Die Toiletten waren stundenlang blockiert.
Mit geborgter Kleidung versehen, verließen die hohen Herren vorzeitig das anrüchige Geschehen....


41. Die Strabbenstraße
Am Ende eines sehr anstrengenden Wochenenddienstes mit heißer , schwüler Wetterlage im Augustmonat klingelte sonntagnachts um 23.45 Uhr das Telefon. Erschöpft und etwas genervt hob ich den Hörer ab. Eine Stimme meldete sich im Befehlston folgendermaßen :
„Du haben Notdienst ! Du müssen sofort kommen nach Kirchheim. Sehr lange viel , viel krank. Du sofort kommen in Strabbenstraße, sonst Dich holen Polizei ! “.
Darauf hatte ich gerade noch gewartet. Ich fragte , was denn vorläge. Die Antwort : „ Schon 3 Wochen viel Fieber und viel Schmerz. Du sofort kommen, sonst ich holen Polizei !! “. Auf meine Frage, warum er sich bei diesem doch so schweren Krankheitsbild nicht schon früher gemeldet habe, erhielt ich keine Antwort, sondern nur eine erneute Drohung: „Du kommen Strabbenstraße 2 in Kirchheim. Sonst viel Ärger!! “ Auf meinen Einwand hin, daß es in Kirchheim keine Strabbenstraße gäbe, hörte ich: „ Dann Du mich müssen holen in Bahnhofstrasse 8, und ich dann fahren mit Dir in Strabbenstraße ! “.
Nach diesem Befehl wurde der Hörer aufgelegt. In der dumpfen Vorahnung, wieder einmal im ärztlichen Notdienst als Alibi - oder um Wartezeiten in der morgigen Montagssprechstunde zu umgehen - mißbraucht zu werden, war ich nahe daran, den geforderten Besuch nicht auszuführen. Meine Frau meinte, ich solle doch in den sauren Apfel beißen. Ich hätte sonst , wie sie mich kenne, kein ruhiges Gewissen. Ich zog mich an.
Drei Minuten später klingelte erneut das Telefon. Der Anrufer forderte erneut den Hausbesuch an und fragte, warum ich noch nicht da sei. Diesmal legte ich auf. Ich ahnte, daß es sich bei der angegebenen Adresse um die Unterkunft für Asylbewerber in der Starengasse handeln mußte.
Die Gemeinde hatte dort als Provisorium den vom Landkreis zugewiesenen Flüchtlingen , die vor dem Jugoslawienkrieg nach Deutschland geflohen waren ,ein Haus eingerichtet. Entnervt brauste ich dorthin. Das alte Fachwerkhaus war hell erleuchtet. Aus den geöffneten Fenstern quollen Rauchwolken. Es ertönte laute Radiomusik, die die ganze Straße erfüllte. Ich stampfte die Treppe herauf und schaute in den großen Gemeinschaftsraum hinein. Keiner der Anwesenden hatte mein Kommen bemerkt. In der linken Ecke des Raumes stand ein großer runder Tisch, an dem neun Männer saßen. Sie rauchten, tranken Wein und spielten Karten. Dabei herrschte eine Hochstimmung, die wahrscheinlich nicht zuletzt auf den reichlichen Wein- und Biergenuß zurückzuführen war. Auf der anderen Seite saßen in bunte Kleider gehüllte Frauen mit Kopftüchern. Sie strickten, rauchten ebenfalls und unterhielten sich lautstark.
Einen Kranken konnte ich nicht entdecken. Nach einiger Zeit entlud sich mein aufgestauter Ärger : Mit lauter Stimme rief ich: „Wer ,verflixt noch 'mal, ist denn hier der Kranke ? “
Nach einer kurzen erschrockenen Pause, stand ein ca. 1,65 cm kleiner Mann auf, sprang mit einem großen Satz über den Tisch, warf dabei 2 Flaschen um und landete schließlich mit einem sportlichen Satz auf dem Boden. Von hier warf er sich mit einem artistischen Hechtsprung auf ein unter dem geöffneten Fenster stehendes Sofa. Hier wälzte er sich plötzlich vor „ Schmerzen “ schreiend, die Hände vor den gekrümmten Bauch haltend, hin und her. Ein Bild des Jammers ! Nach diesem Schauspiel platzte mir der Kragen ! Ich ging zu ihm hin, legte ihn unsanft auf den Rücken und untersuchte ihn gründlich - einschließlich Temperaturmessung und - trotz Protestes - rektaler Exploration. Wie erwartet, konnte ich keinerlei objektiven Krankheitsmerkmale feststellen. Inzwischen hatten sich die anderen Männer drohend um mich geschart. Ich drehte mich um und herrschte sie an, mir Platz zu machen. Der „Kranke“ mauserte sich wieder auf dem Sofa und forderte von mir energisch den gelben Schein d,h. eine Krankmeldung ! Da packte ich ihn. Wütend hob ich diesen Hänfling hoch, hielt ihn vor das geöffnete Fenster, drehte mich zu den entsetzt zurückweichenden relativ kleinwüchsigen umherstehenden Zigeunern aus dem Kossovo um und rief erbost: „Wenn ihr hier noch einmal einen Notarzt in Deutschland so mißbraucht wie mich heute, dann werfe ich Euch alle durch dieses Fenster hinaus!“ Dabei ließ ich den immer noch hochgehobenen Albaner mit Schwung unsanft zurück auf das Sofa fallen. Ich muß Furcht erregend ausgesehen haben! Sicherlich verstärkten meine Größe von 1,90 cm und die 110 Kilo Körpergewicht den optischen Eindruck.
Das hatte gesessen! Ehrfurchtsvoll wich die Bande zurück. Ich nahm meinen Koffer und begab mich erleichtert zum Ausgang. Auf der Treppe versperrte mir ein Männlein den Weg, das sich die Hände in die Hüften stemmte und mich anschrie: „Du sein Dr. M .! Du mich n i c h t holen in Bahnhofstraße ! Ich umsonst warten ! “
Ich erkannte die Stimme von dem Anrufer mit dem Befehlston wieder. Der kam mir gerade recht! Ich stellte meinen Koffer ab. Dann hob ich gen kleinen Mann hoch und setzte ihn wieder unsanft auf die Treppenstufen über mir. Dabei wiederholte ich die Worte von vorher. Ängstlich sahen die Zuschauer fassungslos von oben zu, wie ich meinen Bereitschaftskoffer nahm und durch die Haustür verschwand.
Das war geschafft. Erleichtert fuhr ich nach Hause und hatte dann eine weiterhin ungestörte Nacht.
Am nächsten Morgen informierte ich meine Kollegin von diesem nächtlichen Ereignis. Sie hatte schon mehrfach Ähnliches mit ihren Patienten erlebt und hatte jedes Mal Angst, wenn sie diese finsteren Gestalten aufsuchen mußte. Sie war mir sehr dankbar für meine Aktion und hoffte, zukünftig mehr Respekt als bisher zu bekommen. Dann bat sie mich, die betreuende Angestellte für Sozialangelegenheiten im Rathaus zu informieren, bei der ich ohnehin den Notfallschein bestellen mußte. Gesagt - getan. Die Dame nahm dankbar meinen Bericht entgegen. Dabei erfuhr ich, daß die Polizei schon seit zehn Tagen mehrfach vergeblich versucht hatte, diese Asylbewerber anzutreffen. Diese hatten die Auflage, den Wohnort nicht zu verlassen. Der Termin zur Auszahlung der Sozialhilfe war verstrichen. Mit der erhofften und von mir nicht ausgestellten Krankmeldung als Beweis für die Unabkömmlichkeit der Zigeuner , sollte ich als Alibi herhalten. Die Referentin bat mich weiter, das zuständige Landratsamt in Ludwigsburg zu unterrichten. Dort würde ich auch den Notfallschein erhalten.
Nach einem weiteren Telefonat, erreichte ich schließlich den zuständigen Sachbearbeiter, dem ich nun nochmals das Erlebte berichtete. Teilnehmend sagte er: „ Das ist ja unerhört, Herr Doktor. Aber damit haben wir oft zu tun. Damit müssen wir uns abfinden. Aber wenn ich Sie recht verstehe, dann war das gar kein medizinischer Notfall?“ Ich bestätigte ihm diesen krassen Mißbrauch des Notdienstes. Darauf erhielt ich folgende Antwort:
„Herr Doktor, wenn es kein N o t f a l l war, kann ich Ihnen auch k e i n e n N o t f a l l s c h e i n zur Abrechnung ausstellen. Ich empfehle Ihnen, die entstandenen Unkosten bei den Betroffenen einzufordern oder gegebenenfalls einzuklagen ! “ Ich war sprachlos. Auf weitere Maßnahmen verzichtete ich mit Rücksicht auf mein Nervenkostüm. Nachspiel: Zwei Wochen später zog der besagte Clan in die neu erbauten Unterkünfte der Gemeinde um . Bei der notwendigen Sanierung der bis dahin genutzten Räume, fand sich die Ursache für die ständig verstopften Toiletten: Insgesamt wurden 12 Portemonnaies in den verstopften Abwasserröhren gefunden, die teilweise noch mit Ausweispapieren versehen waren. So konnten wenigstens die ehemaligen Besitzer ermittelt werden. Sie wohnten fast alle in der weiteren Umgebung......


42. Disziplin
Am Heiligen Abend wurde ich um einen Hausbesuch gebeten. Die angegebene Adresse lag in einem Nachbarort. Es war mein erster Weihnachts-bereitschaftsdienst nach meiner Niederlassung als Landarzt. Es stellte sich heraus, daß es sich um ein Schloß mit einem bekannten Forschungsinstitut handelte.
Dort angekommen, wurde ich vom Hausmeister, der mich schon am Tor erwartet hatte, in das Schloß geleitet. Über eine mächtige Steintreppe gelangte ich in die im ersten Stock gelegenen privaten Wohnräume des hochbetagten Schloßherrn. Hier bedankte sich eine große, schlanke, etwa blasse ältere Dame für mein Kommen: die besorgte Ehefrau. Sie klärte mich über den Krankheitsfall auf : Es handelte sich um ihren Mann, dem Leiter des Institutes.
Während eines Urlaubs am Tegernsee erkrankte der alte Herr. Der Wurmfortsatz vom Blinddarm war eitrig in die Bauchhöhle durchgebrochen. In einer dortigen Privatklinik wurde er operiert. Anschließend kam es zu einer generalisierten Infektion des gesamten Bauchraumes – einer lebensgefährlichen Komplikation.
Die offene große Operationswunde wurde mit Drainagen, Antibiotica, Spülungen und täglichen Verbänden behandelt, ohne daß in den folgenden Tagen eine wesentliche Besserung eintrat. Der Patient verfiel immer mehr. Trotz der dringenden Warnung bestand der energische, aber todkranke Schloßherr unter Inkaufnahme aller Risiken darauf, gegen den ausdrücklichen ärztlichen Rat und eigenem Wunsch auf einer Verlegung nach Hause. Hier wollte er sterben.
Nach einer kurzen Begrüßung untersuchte ich den vom Krankentransport erschöpften todkranken Patienten. Ich war entsetzt. Die notwendige erneute Krankenhaus-einweisung lehnte der Kranke kategorisch ab. So blieb mir nichts anderes übrig, als zu handeln. Nach der Wundversorgung, Anlegen von Infusionen, Umstellung der Medikation, Verabreichung eines neueren Breitbandantibiotikums verließ ich die beiden mit dem Versprechen, in 3 Stunden wieder zu kommen.
Bei nächsten Besuch stellte ich fest, dass sich der Burgherr erstaunlich erholt hatte : Er machte einen wesentlich besseren Eindruck. Ein kleines Weihnachtswunder ! Der alte Herr wurde nach einigen Wochen wider Erwarten gesund. Die aufopfernde Pflege seiner Frau und die gewohnte häusliche Umgebung hatten seinem wieder erlangten Lebensmut Auftrieb gegeben. Seine starke Ausstrahlung und Autorität kam auch bald wieder im Institut zum Einsatz. Nach seiner Genesung überraschte er seine Frau als Dank mit der Erfüllung eines lang gehegten Herzenswunsches: Eine 3 wöchige Reise nach Ägypten ! Fünf Wochen später : Die glückliche, etwas umständliche Gattin begann mit den Reisevorbereitungen. Sie wollte alles recht machen und ja nichts vergessen. Ihr gestrenger Mann war sehr genau und haßte Unordnung, Planlosigkeit und Unpünktlichkeit. Am Abreisetag wartete das bestellte Taxi im Schloßhof. Der alte Herr stieg ein, das Gepäck wurde verstaut. Die Schlossherrin ließ auf sich warten. Sie machte sich noch zurecht. Dann kontrollierte sie noch einmal alles in der Wohnung . Es dauerte ! Der ungeduldige Hausherr schickte den Chauffeur mit der Botschaft nach oben, dass es höchste Zeit wäre, wenn sie den Flug nicht verpassen wollten. Noch 5 Minuten gab er ihr ! Die arme Frau geriet immer mehr unter Druck. Vor Aufregung quälte sie auch noch die Blase. Das mußte einfach sein! Die Zeitvorgabe war abgelaufen. Der Schloßherr bezahlte den Taxifahrer, ließ das Gepäck ausladen und begab sich in sein Arbeitszimmer. Als seine Frau schließlich in den Schloßhof kam, fand sie nur den Hausmeister vor, der die Koffer wieder ins Haus trug. Das verzweifelte Jammern und Weinen half nichts. Ihr Ehemann blieb eisern. Die lang ersehnte und bezahlte Reise verfiel. Die unglückliche Ehefrau mußte sich mit der Situation abfinden. Seit diesem Ereignis war sie pünktlich! Das war eine Lehre für sie. Die beiden Eheleute lebten noch hochbetagt über ein Jahrzehnt glücklich zusammen. Ägypten haben sie jedoch nicht mehr gesehen!


43. Die Weihnachtsüberraschung
An einem Samstag im November erschien erstmals eine junge Frau in meiner Notfallsprechstunde. Die gelernte Anstreicherin war nach der Wende mit ihrem neuen Partner aus Sachsen-Anhalt gen Westen nach Walheim gezogen, um hier ein neues Leben zu beginnen. Wie sie mir berichtete, lief die Scheidung von ihrem „ EX “ bereits. Sie klagte über Bauchschmerzen. Bei der körperlichen Untersuchung konnte ich nichts Gravierendes feststellen. Auf die Frage nach der letzten Periode, erwiderte sie, daß diese sehr regelmäßig sei und gerade erst seit ein paar Tagen vorbei sei.Trotzdem untersuchte ich sie auch gynäkologisch ,um eine diesbezügliche Erkrankung auszuschließen.Irgend etwas kam mir spanisch vor. Dann entließ ich die Patientin in der Annahme, daß es sich um einen Magen-Darm-Infekt handelte, der gerade grassierte. Ich versah sie mit Medikamenten . Sie verließ erleichtert die Praxis.
Das nächste Mal erschien die Patientin im April des folgenden Jahres wieder in meiner Sprechstunde. Wiederum klagte sie über unklare Bauchbeschwerden. Bei der Untersuchung stellte ich sofort einen Tumor im Unterbauch fest, der fast bis 4 Querfinger an den Nabel reichte. Die Untersuchung mit dem Ultraschalldoppler bestätigte meinen Verdach t: Die kindlichen Herztöne waren laut und deutlich. Die Dame war schwanger ! Nach erfolgter Aufklärung, schrieb ich zur weiteren fachärztlichen Betreuung eine Überweisung an einen Gynäkologen. Diese steckte ich in die Karteikarte und übergab sie der Patientin mit den Worten: „Bitte lassen Sie sich in der Anmeldung diesen Schein ausdrucken. Holen Sie sich bald einen Termin bei meinem Kollegen, damit der Mutterpaß ausgestellt wird !“ . Das war das letzte Mal, daß ich die junge Frau sah.

Am 20. Dezember desselben Jahres wollte ich mit meiner Familie - wie fast jedes Jahr zu Weihnachten - zu meinen Schwiegereltern reisen. Das Auto war gepackt. Schnell fuhr ich noch zum Tanken. Als ich zurückkam, überreichte mir meine Frau ein Einschreiben mit Rückschein, das sie soeben vom Eilboten erhalten und unterschrieben hatte. Ahnungslos öffnete ich die unerwartete Post. Sie stammte von einer hiesigen Rechtsanwältin. In diesem Schreiben wurde ich aufgefordert, bis zum 2.Januar den Betrag von DM 186.000,00 vorab auf das Anwaltskonto zu überweisen ! Die Begründung lautete: Fehlbehandlung der oben beschriebenen Patientin. Ärztlicher Kunstfehler : Nichterkennung einer Schwangerschaft ! Ich hätte die Gravidität feststellen müssen ! Bei rechtzeitiger Diagnose hätte ein Antrag auf legale Unterbrechung gestellt werden können ! Durch mein Versagen sei meiner Patientin ein S c h a d e n entstanden – nämlich die unerwünschte Geburt – ergo: das K i n d ! Daher müsse ich für sämtliche Kosten - einschließlich Unterhalt, Arbeitsruhe der Mutter und zukünftiger Ausbildungskosten bis zum 18.Lebensjahr - bei einem eventuellen Studium auch länger - aufkommen.
Mich haute es fast um. Ich war mir keiner Schuld bewußt ! So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Und das vor Weihnachten. Eine schöne Bescherung ! Ich rannte sofort an das Telefon, um meine Berufshaftpflicht-versicherung zu informieren ! Glücklicherweise erreichte ich gerade noch einen Sachbearbeiter, der nach einer Betriebsfeier soeben nach Hause gehen wollte. Er bat mich, ihm die Unterlagen sofort zuzufaxen, damit er die Angelegenheit der Rechtsabteilung zur weiteren Bearbeitung übergeben konnte. Nach mehreren weiteren Telefongesprächen und der ausdrücklichen Zusage, daß ich mir keine weiteren Sorgen machen müsse, fuhr ich verspätet am nächsten Tag mit Magenschmerzen nach Norden. Das Weihnachtsfest war mir gründlichst verdorben worden.
Nach meiner Rückkehr hatte meine Versicherung die Karteikarte der Patientin angefordert. Wir suchten sie tagelang vergeblich. In diesem Dokument pflegte ich die Befunde schriftlich zu fixieren . Jedoch war diese wichtige Unterlage spurlos verschwunden. Daraufhin forderte ich von diesem Notdiensttag eine Kopie meiner Abrechnung bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Stuttgart an. Dadurch war es wenigstens möglich, den Vorgang und die Untersuchungen an diesem Tag zu rekonstruieren.
Bei dem folgenden Briefwechsel mit der Anwältin fiel mir auf, daß diese erstaunlich gut über meine ärztliche Untersuchung und die Medikation informiert war. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen:
Die Patientin hatte die Karteikarte einfach mitgenommen und komplett ihrer Rechtsvertreterin übergeben !
Natürlich forderte ich meine Unterlagen zurück, denn es handelte sich meines Erachtens schließlich um eine unrechtmäßige Unterschlagung von Beweismaterial ! Glücklicherweise hatte ich wirklich alles aufgeschrieben, sodaß der Vorgang lückenlos geklärt werden konnte. Folge:
Das gerichtliche Verfahren gegen mich wurde abgewiesen. Erstens, weil ein Kind – auch ein unerwünschtes - im juristischen Sinn - k e i n e n S c h a d e n darstellt. Und zweitens konnte mir beim besten Willen kein Verschulden in diesem Frühstadium einer Schwangerschaft nachgewiesen werden. Die entstandenen Kosten wurden über das Armenrecht, das die Klägerin beantragt hatte, vom Steuerzahler beglichen. Ich vermute, daß ich von Anfang an bewußt mißbraucht wurde.
Dieses Weihnachtsfest wird mir jedenfalls unvergesslich bleiben !


44. Die Sommersprossen
Mit ihrer Rubensfigur , geschätzten 105 kg und ihrer beachtlichen Größe von 178 cm war Elfie B. sicherlich nicht die typische Landfrau. Wie viele dicke Menschen war sie immer fröhlich und ausgeglichen. In der Landwirtschaft arbeitete sie trotz des enormen Köperumfanges fleißig bei jedem Wetter auf dem Feld. Elfie’s Backkünste waren ortsbekannt. Die stets schwitzende Frau buk bei jedem Orts - und Vereinsfest die beliebten Käse-, Salz- und Zwiebelkuchen. Diese wurden natürlich im alten Steinofen - Backhaus, das mit Rebenschnittgut vorgeheizt wurde, fertig gestellt.
Der Höhepunkt in der hiesigen Landwirtschaft war jedoch immer die Weinlese. Hierzu wurden Freunde und Bekannte eingeladen, die bei der Traubenernte mithelfen durften. Das war bei den Steillagen der Weinberge oft eine sehr anstrengende Tätigkeit. Die Mühen der Handarbeit wurden durch einanschließendes gemeinsames üppiges Vesper und reichlichem Weingenuß belohnt.
An einem sonnengetränkten Abend nach der Lese, rief mich Elfie in der Sprechstunde an. Sie bat mich, ob sie in die Praxis kommen könne, denn ihr ginge es schlecht. Ich kannte die tapfere Landfrau, die eher einen großen Bogen um Ärzte machte, und wußte gleich, daß etwas Dringendes vorliegen mußte. Eine Helferin wurde als Assistenz angefordert und eine Zeit in der Praxis festgelegt. Frau B. erschien pünktlich, wie immer schweißgebadet, mit hochrotem Gesicht in dem Wartezimmer. Die Situation war ihr furchtbar peinlich. Sie wollte gar nicht mit der Sprache herausrücken, weil sie sich so schämte. Schließlich überwand sie sich und offenbarte, daß sie seit Beginn der Lese vor vier Tagen keinen Stuhlgang mehr gehabt habe. Die zunehmenden starken Bauchschmerzen konnte sie nicht mehr ertragen. Ich untersuchte den prallen, faßförmigen und gespannten Bauch. Es rumorte darin laut und unüberhörbar. Die Patientin hatte etliche Abführmittel und Einläufe versucht, um die Darmtätigkeit wieder anzukurbeln. Vergeblich !! Nach der Lagerung auf dem gynäkologischen Untersuchungsstuhl untersuchte ich den Enddarm der leidgeplagten Person. Ich bekam einen Schreck: Das Rektum war knallhart bis zum Bersten mit Traubenkernen gefüllt!! Es blieb nichts anderes übrig, als diese manuell zu entfernen. Diese Tätigkeit wurde nur durch das Stöhnen und die Geruchsentwicklung übertroffen. Es entleerten sich unglaubliche Mengen: Kiloweise!! Von den oberen Darmabschnitten kam ständig Nachschub. Meine Helferin hatte gerade die Abfallschüssel entleert, als ich um das Proctoskop bat. Das ist ein rohrartiges Instrument mit dem man den unteren Darmabschnitt spiegeln kann. Ich wollte wissen, was mich noch erwartete ! Kaum hatte ich das Instrument eingeführt, als es mit großem Druck und einem lautem knallartigen Geräusch mir wieder entgegen kam : Ein R i e s e n f u r z, geladen mit einem Posten stinkender Schrotkörner in Form von Traubenkernen, riß mich und meine Helferin fast vom Hocker. Wir waren beide mit unserer weißen Arbeitskleidung von oben bis unten übersät mit kleinen, braunen Flecken ! ! Die Wengerterfrau jedoch war erleichtert. Dankbar meinte sie: „Jetzt haben Sie aber Sommersprossen bekommen !“ Dabei konnte sie sich ein Lachen nicht verkneifen. Meine Helferin und ich müssen schrecklich ausgesehen haben, denn wir saßen direkt in der Schußlinie. Elfi zog sich an und lief schnell nach Hause, um ein Reinigungsbad zu nehmen. Wir Zurückgelassenen kämpften noch zwei Stunden mit den Reinigungsarbeiten. Als Belohnung erhielt ich später von ihr einen Sack Kartoffeln und zwei Flaschen Wein. Dabei verriet sie mir, dass sie nunmehr nur noch Trauben der Firma Sedles* kaufe und esse! Ich war beruhigt!! *seed less = kernlos


45. Doc’s Rache 1
Besonders im Nachtbereitschaftsdienst wird man immer wieder von einigen Patienten mißbraucht. Meistens sind es Patienten der Kollegen, weil diese vielleicht die Hemmschwelle einem fremden Arzt gegenüber niedriger ansetzen als ihrem bekannten Hausarzt. Nach Beendigung des abendlichen Fernsehprogramms klingelt regelmäßig das Telefon. Der Anteil der Gastarbeiter und deren Familienangehörigen ist dabei unverhältnismäßig hoch. Hinzu kommt oft die mediterrane Klagesucht bei der dramatischenBeschwerdeschilderung.
Um die Dringlichkeit der nächtlichen Inanspruchnahme zu betonen, wird typischerweise oft behauptet, daß das Krankheitsbild schon viele Tage bestünde und noch kein Arzt konsultiert worden sei. Wenn telefonisch keine Abklärung der geklagten Symptome möglich ist, ist ein Hausbesuch fällig. Bei der Nachtvisite einer sizilianischen Familie traf ich die gesamte Familie im Wohnzimmer vor dem Fernseher mit italienischem Satellitenprogramm an. Die kranke, sehr beleibte „Mama“ thronte - umnebelt von Zigarettenqualm der männlichen Familienmitglieder - in einem Liegestuhl und war in mehrere Decken trotz der noch recht hohen sommerlichen Außentemperatur eingemummelt. Vor sich auf einem kleinen Beistelltisch standen ein großer Teller mit Kuchenresten, einer halbvollen Rotweinflasche und einer brennenden Zigarre im Aschenbecher. Freudig wurde ich begrüßt. Mama nahm noch einen tiefen Lungenzug von der Zigarre und fing dann an zu klagen und zu jammern: „ Dottore, nix essen seit 5 Tagen !! Nix trinken, viele Tage, molte dolore !!“ Dabei zeiget sie auf ihren dicken Bauch.
Nachdem sie sich mit Hilfe der weiblichen Anwesenden von den Decken befreit hatte, mußten sich die Männer umdrehen. Dann wurde der gewaltige Bauch freigelegt. Nach der Untersuchung konnte ich keinen ernsthaften Krankheitsbefund erheben. Auch die Temperatur war im Normalbereich. Die besorgte Schwiegertochter berichtete mir, daß „ Mama “ n u r zwei Schüsseln Pasta mit Tomatensauce,1 ganzes Ciabattabrot und eine kleinere Schüssel Fleisch vom hausgeschlachteten Schwein, das der Sohn heute aus Sizilien mitgebracht hatte, sowie 8 frische Orangen vom hauseigenen Baum in der Heimat gegessen hatte. Meine Diagnose: Magenüberfüllung und Verstopfung. Trotz allem Verständnis für die Wiedersehensfreude der italienischen Familie war dieser Nachtbesuch sicherlich nicht nötig gewesen!! Ich erläuterte der Familie, daß eine Krankenhaus-einweisung, wie ursprünglich gefordert, nicht notwendig sei, jedoch d r i n g e n d ein Medikament aus der im über nächsten Nachbarort gelegenen Bereitschaftsapotheke beschafft werden müsse. Ich verschrieb ein Abführmittel und pflanzliche gallefördernde Verdauungstropfen mit der Auflage letztere u n b e d i n g t s t ü n d l i c h je 9 Tropfen zu verabreichen. Das wurde mir ausdrücklich zugesichert. Dann verabschiedete ich mich. So war ich mir sicher, daß ich nicht der Einzigste war, dessen Nachtruhe unnötiger Weise verkürzt wurde.


46. Doc’s Rache 2
In einem anderen Nachtdienst wurde ich gegen 3 Uhr 30 vom Telefon geweckt. Der Anrufer erklärte mir, er müsse um 4 morgens Uhr zur Arbeit und habe keine Zeit zum Arzt zu gehen. Dann erklärte er mir lang und breit seine Beschwerden. Nur mühsam schluckte ich meinen Frust hinunter und bemühte mich höflich und verständnisvoll zu sein, denn offenbar hatte ich es mit einem sehr pflichtbewußten, arbeitseifrigen Schwaben zu tun. Da ich ohnehin wach geworden war, beschloß ich diesem Mann, trotz der unwohnlichen Stunde, zu helfen. Nach längerer Befragung nach Dauer und Art der Beschwerden, bat ich ihn, abschließend noch die Temperatur axillär und rektal zu messen und dann noch einmal anzurufen. Nach dem Rückruf gab ich ihm Anweisungen, welche Medikamente er sich vorerst besorgen sollte, um sich dann in den nächsten Tagen bei weiter bestehenden Beschwerden unbedingt beim Hausarzt vorzustellen. Er bedankte sich und wollte auflegen. Da ich vergessen hatte, die Personalien, Adresse, Versicherungsnummer usw. abzufragen, bat ich um als erstes um seine Telefonnummer, die er mir, wenn auch widerwillig, gab. Die Personalien wurden jedoch mit der Begründung verweigert, daß ich ja schließlich nichts getan hätte, was abgerechnet werden könne. Auf meinen Einwand hin, daß auch telefonische Beratungen bei der Krankenkasse als ärztliche Leistung sehr wohl honoriert würden, antwortete er barsch: „ Das geht mich nichts an. Ich bleibe bei meiner Meinung! Und damit basta !! “ Dann wurde aufgelegt. Mich wurmte die freche Antwort so sehr, daß ich nicht mehr einschlafen konnte.
In der nächsten Nacht mußte ich wieder zu einem – dieses Mal wirklich dringenden Hausbesuch. Es handelte sich um eine Urethersteinkolik. Auf der Rückfahrt, fiel mir das vornächtliche Telefonat ein. Zu Hause angekommen, es war gerade 1 Uhr 55, kramte ich die Telefonnummer hervor und rief den arbeitseifrigen Schwaben an. Nach längerem Klingeln, meldete sich die verschlafene bekannte Stimme vom Vortag. Nach den vorwurfsvollen Worten, wer ihn denn in der Nachtruhe störe, meldete ich mich und fragte freundlich nach seinem Befinden. Schließlich mache ich mir Sorgen um seine Gesundheit. "Es ginge mir verdammt gut, wenn Sie mich n i c h t beim Schlafen stören würden! Schließlich muß ich um 4 Uhr zur Arbeit.“ Ich wünschte ihm weiterhin gute Besserung und legte auf. Das Ganze wiederholte ich in der nächsten Nacht. Diesmal wurde ich mit dem schwäbischen Gruß verabschiedet. Endlich konnte auch ich mich schmunzelnd schlafen gehen!


47. Im Krankenhaus
Anruf von der Praxis Dr. M. an den Patienten Dr. Müller, der zur Zeit im Krankenhaus stationär behandelt wird : „Hier Leichenhalle, Oberpfleger Berner! Nee, nich Brenner ! Der läuft zwar auch auf Hochtouren, aber ick heiße B e r n e r , wie die Alpen mit dem Montanara Chor! Also, wat woll´n Se denn? Den Dr.Müller? Kenn ick nich, ham wa nich !
Moment, ick kiek mal in de Liste rin.- Nee, hier is er och nich drin ! - Wen woll’n Se sprechen ? Nee, mein Lieber, hier unten spricht - außer mich - jar keener. Aber Moment mal, mit wem quatsche ick eijentlich? Ach so, mit dem Dr. M.! Und von wo rufen Se an? Ach so, also von draußen ! Se sinn jar nich vom Haus ? ! Denn sind Se bestimmt der Pathologe . Oijenblick mal : Heiner! Der Ofen zwee is jetzt soweit. Er ist aufgeheizt! Schieb ihn rin, aber zieh ihm vorher dat Hemde aus! Det jehört dem Krankenhaus !! Sie, jetzt bin ick wieder für Se da. Also, wat wolln Se denn, Herr Dokter ? Also, wie ick schon saachte, der Dr.Müller is wirklich nich hier! Moment mal. Heiner, jetzt nimmste erst det Jebiß raus, und wenn da noch Jold drinne is, denn brichste det raus! Der braucht det nich mehr! Nee, nich mit de Flossen ! Weeste, da hinten liegt ne Zange uff’m Tisch !! Pardon, Doc. Aber der is noch neu hier ! Also, welche Nummer ham Se jewählt ? Ja, die is nich richtig! Aber macht nischt ! Wir ham ja alle mal falsch jewählt !! Passen Se uff sich uff ! Sonst sind Se bald bei mich ! - War mich eene Ehre mit so’n Intellijenzler zu sprechen! Tschüß.


48. Jumbo
Sie nannten ihn nur Jumbo. Groß gewachsen, übergewichtig, mit einem runden geröteten, freundlichen Gesicht, das einige grobe Aknenarben aufwies, ging er schwerfällig wie ein Elefant durch die Welt. Er war immer gut gelaunt. Seine Offenheit und Hilfsbereitschaft machten ihn sehr beliebt. Das optische Gegenstück bot seine kleine, blasse Frau, die nur knapp halb so groß war.
„ Teddybär “, nannte sie ihn liebevoll. Leider hatte er einen großen Fehler: Jumbo war Alkoholiker.
Immer wieder kam es vor, daß dieser im Grunde sehr gutmütige Mann, wenn er unter Alkoholeinwirkung stand und man ihn reizte, sehr ausfallend und aggressiv wurde. In der Sprechstunde fragte ich seine bessere Hälfte einmal, wie sie denn eine derartige Situation mit ihrer Körpergröße meistern würde. Die Antwort verblüffte mich: „Also, Herr Doktor, dann bin ich ganz besonders lieb zu ihm. Ich beruhige ihn, helfe ihm beim Ausziehen und bringe ihn ins Bett. Dann warte ich es ab, bis er schläft und laut schnarcht. Ich mache das Licht an, hole aus und knalle ihm eine Ohrfeige, die sich gewaschen hat ! Licht aus ! Natürlich wacht er dann auf. Er weiß aber nie, was passiert ist. Ich stelle mich schlafend und warte, bis er sich wieder hingelegt hat. Je nach dem - wiederhole ich das beliebig oft. Am nächsten Tag wundert er sich über seine dicke Backe und glaubt, er wäre in seinem Rausch irgendwo angestoßen ! “ Jumbo unterzog sich später erfolgreich einer Entziehungskur. Danach engagierte er sich sehr bei den anonymen Alkoholikern. Hier betreute er Leidensgenossen, denen er aus eigener Erfahrung heraus überzeugend helfen konnte. Bis zu seinem Tod blieb er „trocken“. Leider meinte es das Schicksal nicht gut mit ihm. Jahre später erkrankte Jumbo an einem Kehlkopfkrebs. Nach einer qualvollen Leidenszeit verstarb er an dieser Krankheit.


49. Kirby
Eigentlich hieß der Deutsch-Amerikaner Helmut K., wurde aber nur Kirby genannt. Er war nach dem Studienabschluß in den USA als Assistenzarzt mit Frau und Kind in das Vaterland seiner Großeltern nach Deutschland gekommen, um Land und Leute und die deutsche Medizin kennenzulernen. Kirby war groß, hatte blondgekraustes Haar, blaue Augen, die jeden in seinem runden, gutmütigen Gesicht anstrahlten. Seine Figur war zwar etwas füllig, aber dadurch wirkte er noch gemütlicher und vertrauensvoller. Sein Wissen in der Medizin war allerdings nicht sehr fundiert, jedoch bemühte sich Helmut sehr um seine Patienten. Bei den regelmäßigen und zahlreich auftretenden Problemen, bat er seine Kollegen um Hilfe. Das geschah allerdings so oft, daß der Umgang mit ihm sehr anstrengend war.
Privat fand er schnell Anschluß. Durch seine Tochter, die in den Kindergarten ging, bekam auch seine Frau zahlreiche Kontakte. Bald hatten die beiden einen netten Freundeskreis. In den Unterhaltungen nach Feierabend im Kollegenkreis interessierte sich Kirby besonders für das typisch deutsche studentische Verbindungswesen. Sein Großvater war als Student in einer Burschenschaft gewesen und hatte mehrere Mensuren geschlagen. Helmut selbst war zwar während seines Studiums in Boston auch Mitglied in einer Art akademischen Verbindung gewesen, die aber mit dem hiesigen Korporationswesen nicht vergleichbar war.
Nach einem Jahr näherte sich der Abschied. Die Kirbies mußten sich schweren Herzens mit dem Gedanken an die Heimreise anfreunden. Wir Kollegen waren einstimmig der Meinung, daß wir ihm einen unvergeßlichen Abschied schuldig waren. Das hatte sich der beliebte Kumpel verdient!
Da bot sich natürlich ein Stundentenstreich a la Verbindungswesen an.
Wie bei jungen Ärzten damals üblich, meldete sich bei allen Studienabgängern die Bundeswehr mit den Einberufungsbefehlen. Während des Studiums waren diese ausgesetzt. Natürlich wurde es immer wieder versucht, durch Unentberlichkeitsersuchen, diese so lästige Zeit zu umgehen. Das gelang auch in vereinzelten Fällen. So kamen wir auf die Idee, Kirby zur Bundeswehr einzuziehen !
Von einem erst kürzlich gezogenen Kollegen hatten wir das Einschreiben der Bundeswehr im Original . Schnell wurde das Anschreiben kopiert, und dann einige Textänderungen mit der damals üblichen Kugelkopf-Schreibmaschine vorgenommen. Diese lauteten sinngemäß etwa so:
„Laut Nato-Beschluß vom 6.3.1969 sind Wehrpflichtige, die sich länger als neun Monate in einem dem Militärbündnis angehörenden Land aufhalten, verpflichtet, ihre Wehrpflicht im dort zuständigen Wehrbereich abzuleisten. Deshalb werden Sie, Herr Helmut K., geb....., zur Zeit wohnhaft.......in Bietigheim, Str. Nr... aufgefordert, sich am Donnerstag, dem 26.Mai 1972 um 10 Uhr 15 in der Kaserne des Wehrbereiches V in Ludwigsburg, Str..... zur Musterung einzufinden. Bei Nichterscheinen werden Sie von den Feldjägern zwangsweise beigebracht.“ Das Ganze wurde noch durch den kopierten Stempel und den Original – Briefumschlag mit dem Bundeswehr-aufdruck optisch glaubhaft verstärkt . Dann wurde die „Einberufung“ heimlich in seinen Briefkasten gesteckt . Am nächsten Morgen erschien - entgegen seiner sonstigen Gewohnheit - ein völlig aufgelöster Kirby überpünktlich bei mir. Wortlos übergab er mir das Schreiben zum Lesen und bat mich um Rat für das weitere Vorgehen. In der Aufregung hatte er gar nicht bemerkt, daß es weder ein Einschreiben war, noch daß der Briefumschlag bereits schon einmal geöffnet worden war. Besonders erschwerend war die Tatsache, daß er den Rückflug bereits in 14 Tagen gebucht hatte, und der Umzug veranlaßt war. Kirby war nahe daran, s o f o r t in die Staaten zurückzufliegen. Um meine Meinung dazu befragt, antwortete ich: „ Helmut, das geht auf gar keinen Fall. Das ist ja eine Desertierung ! - Und außerdem würdest Du ja bei Deiner Ankunft auf dem Flughafen im Rahmen der militärischen Amtshilfe gleich verhaftet werden ! Da müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.“ Nach längerem Hin und Her sagte ich : „Wie wäre es, wenn wir Dich krankheitshalber untauglich melden würden? Hast Du vielleicht eine Erkrankung durchgemacht, die Folgen hinterlassen hat?“ „Nein, l e i d e r bin ich kerngesund! “ .
Wir befanden schließlich, daß ich ihn erst einmal gründlich untersuchen sollte. Vielleicht hatte er doch ein Leiden, von dem er nichts wußte. Gesagt - getan! Bei der Auskultation seines Herzens erwähnte ich beiläufig, ob er wisse, daß er ein Herzgeräusch habe. Hellhörig geworden entgegnete er: „ Ja, das hat mein alter Hausarzt in den USA auch mal gesagt ! Ist das denn schlimm ? “ „Na ja, das müssen wir erst einmal abklären! Hast Du vielleicht doch eine ernstere Kinderkrankheit gehabt ? “ „Ja, wenn Du das jetzt fragst, erinnere ich mich, daß ich die Masern gehabt haben soll ! Allerdings war man sich damals nicht ganz sicher !“ „ Daraus läßt sich etwas machen! Der HERZFEHLER rührt sicherlich daher “, lautete meine Antwort. „Damit bekommen wir Dich von der Bundeswehr frei!“
Einerseits war Kirby sehr erfreut über diese neue Aussicht, dem Bund zu entrinnen. Andererseits war er sehr besorgt über seinen angedichteten Herzfehler. Mit eingehenden weiteren Untersuchungen war er selbstverständlich einverstanden. Also waren als erstes ein EKG und eine Lungenfunktionsprüfung fällig. „Na, wie ist denn das Ruhe - EKG ausgefallen ? “. Ich runzelte nur die Stirn und zeigte ihm die Aufzeichnung verkehrt herum ! In der Aufregung bemerkte er das nicht. Es war ein völlig normaler Stromkurvenverlauf. Aber dadurch, dass der Papierstreifen verkehrt herum gezeigt wurde, waren die positiven Potentiale plötzlich negativ. Ich erklärte ihm den nunmehr „ schwer krankhaften“ Befund plausibel und forderte eine zusätzliche Ergometrie (Belastungs-EKG). Die eingeweihten Arzthelferinnen, die sich ein Lachen kaum verkneifen konnten, legten die Elektroden an. Dann setzte sich Kirby brav auf das Fahrradergometer und begann zu strampeln. Er schuftete tapfer auf der höchsten Leistungsstufe. Schweißgebadet wollte er nach einigen Minuten aufgeben. Ich aber animierte ihn, bis zur Erschöpfung weiter zu arbeiten, damit das Ergebnis eindrucksvoller dargestellt werden konnte. Schließlich gab er total erschöpft auf. Wiederum erklärte ich ihm hoch erfreut die „krankhafte“ Stromkurve. Er war tief beeindruckt von diesem dramatischen Befund. Er wunderte sich nur, daß er bisher davon nichts bemerkt hatte. „Hauptsache ist, daß Du von der Wehrpflicht befreit wirst! Dann sehen wir weiter! “ . Dann entließ ich ihn nach Hause.
Abends um 20 Uhr trafen wir uns wieder. Jedem Kollegen, die natürlich eingeweiht waren, erklärte er aufgeregt seinen Einberufungsbefehl und seine dramatische Krankheitsgeschichte. Jeder bestätigte ihm den Ernst der Lage. Alle äußerten sich dahingehend einmütig, daß er mit diesem Ergebnis sicherlich vom Militärdienst freigestellt werden mußte. Übrig blieb der „ schwere Herzbefund “, der lang und breit diskutiert wurde. Unterdessen wurde das spendierte Abschiedsbier genossen. Es ging hoch her. Kirby steigerte sich immer mehr in seine vertrackte Situation hinein. Uns wurde es langsam unheimlich. Wir überlegten, wie wir wieder aus dieser Situation herauskommen konnten. Da kam meinem etwas verspätet zugestoßenen Kollegen Dr. Ulrich H. die rettende Idee: „ Zeige mir doch einmal Deine Einberufung! “ Bereitwillig wurde ihm dieses inzwischen so bedeutsame Dokument ausgehändigt. Nach kurzer Lektüre äußerte sich dann Ulrich so:
„Also, das ist ganz einfach ! Da machen wir gar nicht lange 'rum.“ Er nahm das Schreiben und zerriß es zum Entsetzen von Kirby in kleine Stücke. „ So, das ist damit erledigt! “. Der arme Beuteschwabe war fassungslos. Er wurde blaß und kollabierte. Wir bekamen alle einen großen Schreck ! Das hatten wir sicherlich zu weit getrieben ! Nach fachgerechter Versorgung erlangte der Arme nach kurzer Zeit wieder das Bewußtsein. Mit schlechtem Gewissen klärten wir ihn dann auf. Die nun offenbarte Wahrheit wollte er gar nicht glauben. „Das kann doch gar nicht sein! Ich habe doch das Einschreiben bekommen! Und mein Herzfehler! Ich habe doch hier alles Schwarz auf Weiß !“ Erst nach einigen weiteren Glas Bier begriff er langsam die Wirklichkeit. Mit großer Erleichterung entließen wir ihn nach Hause. Hier mußte er seiner Frau mühsam die Lage erklären, denn sie war gleichfalls von den Ereignissen überrollt worden!
Zwei Wochen später begleiteten wir ihn mit großem Hallo zum Flughafen. Hier überreichten wir ihm eine originale Offiziersmütze der Bundeswehr, die ihn an den Aufenthalt in Deutschland erinnern sollte. Bei einem späteren Besuch, erzählte er stolz, daß diese einen Ehrenplatz in seiner Wohnstube habe. In seiner Heimat mußte er unzählige Male - zum Ergötzen aller Zuhörer- diese Geschichte aus „Old Germany“ erzählen.


50. Mißverständnisse
Als Norddeutschem fiel es mir anfangs schwer die schwäbische Sprache zu erfassen. Den „Fuß“ kannte ich bisher als vom Unterschenkelknöchel (schwäbisch: Knetterle!) aus bis zu den Zehen reichend. Beim Schwaben geht er bis zum Hüftgelenk. Ausdrücke wie Hafen = Kochtopf, Teppich = Wolldecke, Bühne = Dachboden - um nur einige zu nennen - waren für mich Neuland. Dann stellte ich fest, wenn sich die Neckartäler über meine Unkenntnis amüsierten, daß man die Urschwaben mit der Bitte um die Schreibweise des schwäbischen Wortes in ernste Verlegenheit bringen konnte. Ein typisches Wort, das immer wieder zur Schilderung der Beschwerden gebraucht wird, ist „ bälzig “ = pelzig = gefühlsarm, taub. Da gibt es unzählige Schreibvarianten, denn schwäbisch schreibt man normalerweise nicht. Man schwätzt es! Auf die Gegenfrage, warum ich das denn wissen möchte, antwortete ich stets: „ Ich arbeite an einem Deutsch - Schwäbischen Wörterbuch". Das war natürlich eine reine Erfindung meinerseits. So erfuhr ich im Laufe der Zeit etliche - fast in Vergessenheit geratene - Worte wie z.B. „Gäderle“ = Handgelenk und ähnliche Schwabendialektausdrücke.
Im ersten Praxisjahr in Walheim konsultierte mich ein mit schwarzen Anzug festlich gekleideter älterer Landwirt, der sich für den Arztbesuch extra fein gemacht hatte. Er bemühte sich in bestem „Schriftdeutsch“ seine Krankheitssymptome zu schildern. Offensichtlich hatte er Schwierigkeiten mit dem Essen. Also untersuchte ich ihn auf der Liege und tastete seinen Bauch ab, in der Annahme, daß es sich um eine Magen-, oder Gallenwegserkrankung handelte. Dabei fiel mir auf, dass der Kranke keine Unterhosen trug. Den entsprechenden Odeur führte ich darauf zurück und ließ mir nichts anmerken. Das geplagte Bäuerle jammerte bei der Untersuchung und schrie: „Herr Doktor, ich habe doch die A b w e i c h e !!“ Da ich mit diesem Wort nichts anfangen konnte und mir durch meine Unkenntnis auch keine Blöße geben wollte, fuhr ich mit der Untersuchung fort. Immer wieder wiederholte er - zuletzt fast flehend - die omniöse „Abweiche“. Als ich nicht reagierte, wurde es schließlich dem Patienten zu bunt. Er sprang von der Liege auf, riß die Hosen rauf und jammerte: „ Herrgott sacra, i hab´d Scheißerei, verschtehschts jetzt ? !! “. Ich verstand! Das war meine zweite Lektion in Schwäbisch.
Einem anderen Kranken verabreichte ich eine Infusion und schrieb ihm ein Rezept über ein 10 Ampullen eines Medikamentes auf, das er mitbringen und in den folgenden Tagen bekommen sollte. Nach 14 Tagen tauchte er wieder in der Praxis auf und versicherte mir freudestrahlend, daß ich ihm gut geholfen hätte. Die Beschwerden seien weg! Auf meiner Frage nach den Ampullen, berichtete er mir: „Von denen habe ich jeden Tag eine g e t r u n k e n. Geschmeckt haben sie zwar schaurig, aber schließlich muß Böses bös vertreiben, gell ? “
Ein junges Mädchen ließ sich von mir erstmalig die sogenannte Antibaby-Pille verschreiben. Nach eingehender Aufklärung über Alternativen, die Wirkung und die möglichen Nebenwirkungen des gewünschten Medikamentes, verschrieb ich ihr eine 3 Monatspackung dieser Tabletten. Nach einem halben Jahr, saß sie wieder wegen einer anderen, akuten Erkrankung im Sprechzimmer. Aus der Karteikarte ersah ich meine letzte Verordnung und fragte sie nach der Verträglichkeit der „Pille“. Als sie diese positiv beantwortete, wunderte ich mich darüber, daß sie sich nicht das Rezept wieder habe verschreiben lassen. „ Herr Doktor, Sie haben mir doch reichlich verschrieben ! Ich habe noch etliche. Sooo oft treiben wir es nun auch wieder nicht !“ Ich wurde blaß. Die Gute hatte nur jedes Mal eine Tablette vor dem geplanten Verkehr genommen. Glücklicherweise ist keine ungewollte Schwangerschaft eingetreten.
Eine andere Patientin wurde von Haemorrhoiden geplagt. Ich ordinierte Salbe und Zäpfchen. Bei der Wiedervorstellung fragte ich nach dem Befinden. „Die Salbe war prima. Die Zäpfchen waren zwar etwas groß, aber dann habe ich sie g e s c h n i t z e l t , bevor ich sie g e s c h l u c k t habe ! Das ging dann einwandfrei !“ Das war nur eine kleine Auswahl aus dem Praxisalltag.


51. Mitleid
Wie in einer Landarztpraxis üblich, wechselten sich meine Kollegen und ich mit den Wochenendbereit-schaftsdiensten ab. In einem Einzugsgebiet mit ca 45.000 Einwohnern ging es zeitweise hoch her. Nach so einem Dienst saß mir in der Montagmorgen- Sprechstunde eine liebe, alte Bäuerin gegenüber und berichtete mir ihr Anliegen mit den Worten: „ Herr Doktor, mei Moa, dem gaht’s arg schlecht ! Oben fahrt’s ihm nei, in der Mitte gaht’s ’ num und unten fahrt’s ihm wieder ’naus ! Was isch denn dös?“ Ich war sprachlos. Auch als Kummer gewohnter Beuteschwabe, konnte ich mir keinen rechten Vers auf die Beschwerden ihres Mannes machen. Einen Hausbesuch lehnte sie aus Sparsamkeit kategorisch ab, weil viele Bauern damals noch nicht pflichtversichert waren, und der Arzt nur im äußersten Notfall konsultiert wurde. Auch nach längerer Befragung konnte ich nichts Näheres erfahren. Mit schlechtem Gewissen rezeptierte ich ein pflanzliches Beruhigungsmittel, mit der Auflage bei Fortbestand der Beschwerden, mich sofort zu holen. Ich dachte, wenn es auch nicht ursächlich hilft, so empfindet der Patient die Beschwerden nicht mehr so stark. Es scheint geholfen zu haben, denn längere Zeit hörte ich nichts mehr von den beiden.
Ein anderes mal erschien dieselbe Bauersfrau mit einem Husten. Nach der körperlichen Untersuchung, mußte ich plötzlich gähnen. „Gell, Sie sind arg mied, Herr Doktor?“, fragte die verständnisvolle Walheimerin. Ich entschuldigte mich: “ Es tut mir leid, aber ich mußte heute Nacht dreimal ’raus.“ „ Das macht goar nix. Wenn mei Moa 4 -5 Viertele gepackt hat, muß der sogar noch öfters raus“, tröstete sie mich.


52. Nachttaxi
Unser Wochenenddienstdistrikt umfaßt sieben Orte und circa 45.000 Einwohner. Im Laufe der Jahre wuchs die Inanspruchnahme dieses Notdienstes stetig an, sodaß zeitweilig bis zu 200 Patienten versorgt werden mußten. So lassen sich längere Wartezeiten oft nicht vermeiden, weil vorrangige dringende Hausbesuche zwischendurch erledigt werden müssen. Bei Tag und Nacht, Wind und Wetter, Hitze, Schneematsch und Eis wird die körperliche Kondition des Arztes erheblich beansprucht. Essen und Schlaf werden zur Nebensache. Nach 60 Stunden Dauereinsatz geht es schließlich montagsfrüh mit der „Normal-Sprechstunde“ weiter. Während eines solchen Dienstes ereignete sich diese Episode:
In unserem Ort war das sehr beliebte Dorffest, das alle zwei Jahre stattfindet. Aus diesem Anlaß sind alle Weingewölbekeller geöffnet, und jeder Ortsverein hat sich enorm engagiert : Stände und Festzelte werden aufgebaut, in denen lokale Köstlichkeiten angeboten werden. Musik hallt durch die Straßen und Gassen. Darbietungen der Winzergruppen mit Trachtentänzen, Spiele für Erwachsene und Kinder, lukullische Kostproben mit Wein und Käse von unseren französischen Freunden aus den Partnerschaftsgemeinden machen dieses Wochenende für alle Besucher aus der nahen und weiteren Umgebung zu einem fröhlichen - manchmal feucht - fröhlichen - unvergeßlichen Erlebnis der besonderen Art. Für den Arzt sieht es natürlich anders aus. Meist kommt man erst sehr spät nach anstrengender Arbeit ins Bett. So erging es auch mir:
Prompt klingelte es nachts um 2 Uhr 15 an der Haustür. Verschlafen stand ich auf und ging zur Gegensprechanlage. Ein älterer Mann stand vor dem Gartentor und fragte, was denn ein privater Hausbesuch zu einem Aussiedlerhof in einem ca. 18 km entfernten Ort kosten würde. In der Annahme, daß es sich um einen, wie in den siebziger Jahren üblicherweise noch nicht pflichtversicherten Landwirt handelte, der ohnehin nur im äußersten Notfall den Arzt oder gar das Krankenhaus in Anspruch nahm, antwortete ich: „ 25,- DM , guter Mann !“ „Dann kommen Sie bitte herunter. Ich fahre mit Ihnen !“ Nachdem ich mich angezogen hatte, ergriff ich die Arzttasche und ging in die Garage, vor der der etwas schwankende Angehörige auf mich wartete. Nach 15 Minuten erreichten wir den Aussiedlerhof. Mein Begleiter stieg als Erster aus. Ich wollte ein gleiches tun und öffnete die Wagentür. „Bleiben Sie sitzen, Herr Doktor! Hier sind die 25,- DM für den Besuch.“ Verwundert über dieses ungewohnte Handeln, antwortete ich: „ Und was ist mit dem Kranken“. „ Da ist nichts nötig. Der ist gesund. Ich war auf dem Dorffest und habe kein Taxi mehr bekommen. Außerdem sind Sie billiger. Das letzte Mal mußte ich dem Fahrer inclusive Anfahrt 41,-DM bezahlen !“ Er drückte mir das Geld in die Hand, bedankte sich und verschwand in der Dunkelheit. Ich war so überrascht, daß ich gar nicht reagieren konnte. Ich dachte nur noch an mein Bett !


53. Das Klistier
Eine ältere verwitwete Landfrau suchte mich in der Praxis auf, mit der Bitte , ihr einen Klystierirrigator zu verschreiben. Auf meine Frage, warum sie dieses Gerät benötige, erklärte sie, daß sie unter ständiger Verstopfung leide. Eine Nachbarin hätte ihr dieses Gerät geliehen . Das wäre das einzige, was ihr helfen würde. Wenn sie täglich 2 Einläufe mit milder Seifenlauge mache, hätte sie normalen Stuhlgang.
Natürlich ging das nicht so ohne weiteres. Nach durchgeführter Diagnostik, ergab sich glücklicherweise kein ernsthafter krankhafter Befund. Die Dame trank einfach zu wenig und kaute wegen einer nicht passenden Zahnvollprothese die Speisen ungenügend. Außerdem hatte sie wie es bei älteneren Alleinstehenden häufiger vorkommt, eine Art „Analerotik“ entwickelt . Eine medizinische Indikation für die gewünschte Verordnung war jedenfalls nicht gegeben. Nachdem ich die Bitte abgelehnt hatte, verließ die frustrierte Patientin schimpfend die Praxisräume.
„Ich gehe zu meiner Krankenkasse und werde mich über Sie beschweren. Ich bin sicher, daß ich das Gerät bekomme !!“ In der Tat kam sie zwei Tage später triumphierend wieder. Der Abteilungsleiter hätte ihr zugesagt, daß die Krankenkasse die Kosten für das Klistier übernehmen werde.
Als Kassenärzte unterliegen wir strengen Verordnungsrichtlinien. Insbesondere Heilmittelverordnungen werden genauestens geprüft. Falls zuviel oder unwirtschaftlich rezeptiert worden ist, wird der Arzt zur Kasse gebeten. Das gleiche gilt für Medikamente. Verwundert über meine Ausführungen , überreichte die Landfrau mir eine schriftliche Bestätigung des Sachbearbeiters über die geplante Kostenübernahme . Endlich lag alles vor ! Ich schrieb die Heilmittelverordnung aus. Als Fußnote ist auf dem Rezept die ärztliche Begründung erforderlich. Hier schrieb ich: Diese Verordnung erfolgt auf Veranlassung von Herrn G..., Sachbearbeiter der AOK .
Das Sanitätsgeschäft händigte das Gerät aus. Die Patientin war zufrieden.
Circa einen Monat später erhielt ich einen Telefonanruf des Herrn G. der zuständigen AOK.
„ Herr Doktor, was haben Sie sich dabei gedacht ? Sie wissen doch, daß ich kein Arzt bin und deshalb auch keine Verordnungen und schon gar nicht medizinische Indikationen vornehmen kann ! Ich muß die Kosten selbst erstatten, wenn Sie das Rezept nicht neu erstellen !“ " Das weiß ich schon! Mir liegt aber die schriftliche Kostenübernahme mit Ihrer Unterschrift vor ! Ich habe mich über Ihre Handlungsweise sehr gewundert !“ „Ich dachte, die Frau hätte Krebs oder so etwas Ähnliches“, lautete die hilflose Antwort. Die wiederholte Bitte des Sachbearbeiters um eine medizinische Begründung - auch eine erfundene -, lehnte ich ab. Nachspiel :
Herr G. erschien bei der Witfrau und verlangte das von der Versicherung verauslagte Geld zurück. Später erklärte mir die enttäuschte Bauersfrau, daß ich doch recht gehabt hätte. Sie hätte aber im Keller ein altes Einmachgerät gefunden, das den gleichen Zweck erfülle. Der Sanitätsfachhändler hätte das ungebrauchte Klistiergerät zurückgenommen und ihr sogar für den Schlauch ein Ansatzstück geschenkt, damit sie sich nicht beim Einführen den After verletzen sollte. Die Kosten des Streitobjektes beliefen sich damals auf circa 20 DM.


54. Polizistenfrust
Der „General“ fuhr mit seiner Frau wieder einmal nach Posen in das Nachbarland Polen, um seinen langjährigen Freund Carl zu besuchen. Wie immer wollte er, in Posen angekommen, die gewohnte Straße befahren, die ihn zur Zieladresse seines Freundes führen sollte. Doch diesmal war die gewohnte Strecke wegen Straßenbauarbeiten in seiner Fahrtrichtung gesperrt ! Es war bereits Freitagabend um 17 Uhr 30, und er kannte sich sonst in der großen Stadt nicht aus. Was also tun ! Er entschloß sich - trotz Protestes seiner Frau, die als Beifahrerin nichts Gutes ahnte, die gesperrte Fahrbahn zu benutzen. Es war ruhig, und so hoffte er, daß ihm kein Gegenverkehr in die Quere kam. Eine Zeit lang ging es auch gut, bis er die Baustelle überwunden hatte. Dann kam es, wie es seine Frau befürchtet hatte !! Ein Polizeiauto stand hinter der Baustelle ! Sofort stieg der empörte Verkehrspolizist mit erhobener Hand aus und hielt das Fahrzeug des Generals an. Der Dieser stieg aus, ging freudestrahlend auf den verblüfften Uniformierten zu, klatschte dessen erhobene Hand ab und umarmte ihn strahlend, als wenn er einen alten Freund getroffen hätte ! Der durch diese ungewohnt herzliche Begrüßung verunsicherte Beamte, erwiderte die Umarmung. Dann setzte er seine Amtsmiene auf. Er gestikulierte und bedeutete dem Fremdling auf polnisch, daß er die EINBAHNSTRASSE in verbotener Weise befahren hatte. Er müsse zurückfahren und die Umleitung benutzen !! Doch Gerd T. stellte sich dumm, zeigte die Adresse seines Freundes und wies freudig in die Gegenrichtung. Dann umarmte er ihn auf die Schulter klopfend erneut und bedankte sich wortreich auf deutsch. Dann sagte er mehrfach „Freundschaft“ und auf russisch „ Drusba “. Nach längerem hin und her, immer durch freudige Umarmungen des Verkehrssünders unterbrochen, zückte der Polizist einen Schreibblock, um ein Strafmandat auszustellen ! Da hatte er aber nicht mit dem General gerechnet. Dieser nahm ihm kurzerhand den Block ab, zeichnete die Straßenskizze mit der Zieladresse ein und wies erneut in seine gewünschte Fahrtrichtung. Das war jetzt endgültig zuviel des Guten ! Wütend entriß der Beamte ihm den Block, zerriß den bemalten Zettel, grüßte kurz und stampfte wütend in Richtung Dienstauto davon. Er riß die Wagentür auf, knallte seine Polizeimütze auf den Beifahrersitz und brauste davon. Dieser Mann war ihm über ! Vielleicht trug auch der Freitagabend und der vermutliche Dienstschluß zu dieser Reaktion bei ! Der Walheimer fuhr jedenfalls erleichtert weiter. Seine Frau konnte sich vor Lachen nicht mehr halten. Am Ziel angekommen, erzählte er nochmals das ungewöhnliche Erlebnis. Hier wurde es gehörig begossen und in fröhlicher Runde gefeiert. Freundlichkeit und Herzlichkeit überwinden doch manchmal alle Sprachschwierigkeiten !


55. Jule
Jule T. war ein ortsbekanntes Original. Fast 80–jährig war sie geistig sehr rege und nahm am Ortsgeschehen mit großem Interesse teil. Dazu gab sie stets ihren eigenen Kommentar, dem man tunlichst nicht widersprach, denn sonst konnte sie sehr grob und deftig in ihrer schwäbischen Ausdrucksweise sein. Fast immer war sie fröhlich und freundlich. Dabei hatte sie es nicht leicht. Sie litt an einer beiderseitigen chronischen Erkrankung der Hüftgelenke und an einem Knieleiden, das sie in ihrer Aktivität sehr beschränkte. Die schwerbehinderte Frau war auf zwei Unterarmgehstützen angewiesen. Ihr schon vor vielen Jahren verstorbener Mann, hatte ihr ein selbstgebautes Fahrgerät hinterlassen, das an einen rollenden Liegestuhl erinnerte. Mit einem Rasenmähermotor und einer Lenkeinrichtung versehen, die er aus einer alten AGRIA - Ackerfräse ausgebaut hatte, war dieses Unikat sogar vom TÜV abgenommen worden. Komplettiert wurde das Ganze mit einer schwarzen wettersicheren Regenabdeckung so, daß Jule. bei Wind und Wetter auch in der näheren Umgebung umher knattern konnte. Kindern war diese Frau mit ihrem seltsamen Gefährt immer etwas unheimlich. Ein kleiner Kindergartenjunge war fest davon überzeugt, da- sie die Hexe aus dem Märchen Rotkäppchen sei. In der Tat wirkte sie mit ihrer Hakennase, den listigen, hellwachen wäßrigen blauen Augen, der Gesichtsröte, die sicherlich durch den steten Weingenuß mitverursacht war, und einer großen behaarten Gesichtswarze auf phantasiebegabte Kinder etwas bedrohlich. Dazu kamen ein kleiner Buckel und die Leibesfülle sowie die etwas ungepflegten weißen Haare, die durch einen Dutt zusammengehalten wurden. Dabei war diese Frau herzensgut und man brauchte wahrlich keine Angst vor ihr zu haben. An einem Sommertag fuhr Jule wieder mit ihrem motorisierten Liegestuhl durch die Hauptstraße. Dabei benutzte sie - wie so oft - den Bürgersteig. Das sperrige, rasante Fahrzeug ließ Fußgängern kaum Platz zum Ausweichen. So kam es dann auch zum Zusammenstoß mit einem Passanten. Dieser war nicht gerade begeistert und sprach Jule an: „ Können Sie nicht besser aufpassen und langsamer fahren? “ „ Wenn Du nicht so breit dagestanden wärst, hätte ich drum 'num fahren können “, lautete die barsche Antwort. Dann fuhr sie weiter ohne das Tempo herabzusetzen.


56. Die Entmannung
Der rotgesichtige, etwas einfältige 1,67 cm große Mann war erst etliche Jahre nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft in Südfrankreich nach Walheim zurückgekehrt. Er blieb freiwillig bei dem Bauern und Weingärtner, dem er in der Gefangenschaft zugeteilt worden war. Dadurch, daß er ebenfalls Weingärtner war, hatte sich eine Art Freundschaft entwickelt, die über die Arbeit weit hinaus ging.
Äußerlich war er durch eine operativ schlecht korrigierte Hasenscharte gekennzeichnet, die ihm als Kind Hänseleien und eine manchmal „feuchte“ Aussprache bescherte. Nach seiner Rückkehr nach Walheim sprach er gerne französisch – und er war sehr stolz darauf. Er ließ sich auch gern „Corporal“ titulieren. So hatte ihn sein Patron genannt - entsprechend seines militärischen Grades als Obergefreiter. Nach seiner Heirat wurde ihm seine Tochter Elise geboren, die leider geistig behindert war. Das Mädel wuchs - durch die Familie geschützt und von der Dorfgemeinschaft verständnisvoll akzeptiert - heran und kam in die Pubertät. Eines Tages verliebte sie sich in einen Monteur , der im hiesigen Kohlekraftwerk im Rahmen einer Revision beschäftigt war. Nach dessen Abreise stellte sich
2 Monate später heraus, dass Elise schwanger war. Die Eltern und die Tochter entschieden sich zum Schwangerschaftsabbruch. Nach den erforderlichen Beratungen und Gutachten wurde dieser im Krankenhaus durchgeführt.
Vor der Entlassung versuchten die Ärzte die Patientin und den Vater dahingehend aufzuklären, wie zukünftig durch die regelmäßige Einnahme eines Hormonpräparates eine erneute unerwünschte Schwangerschaft zu vermeiden war. Die Krankenkasse wollte in diesem Fall auch die Kosten für „die Pille“ übernehmen. Leider verstanden weder der Vater und schon gar nicht die Tochter dieses Aufklärungsgespräch. Im Gegenteil: Der „Corporal“ erregte sich immer mehr über diesen unzumutbaren gut gemeinten Rat. Schließlich beschimpfte er sogar die ratlosen Kollegen und verließ mit seiner Tochter fluchtartig das Krankenhaus. Anschließend erschien er prompt bei mir in der Praxis, um sich lautstark über die unerhörte Beratung im Krankenhaus zu beschweren. Dabei knallte er mir empört das Rezept auf den Schreibtisch und schrie immer lauter: „ Par Dieu ,Ich lasse meine Tochter nicht
e n t m a n n e n ! In tausend Jahren nicht !! “ Nach einem längeren Gespräch konnte ich den Corporal davon überzeugen, daß Elise nicht operativ e n t m a n n t worden war und daß es sich bei der Verordnung um die sogenannte Antibabypille handelte. Ein paar Jahre später heiratete die junge Frau einen älteren behinderten Mann. Bis zu dessen Tod führten die beiden eine glückliche Ehe.


57. Der Most
Hermann F. war ein biederer Freizeitwengerter und hauptberuflich als Bauhilfsarbeiter tätig. Etwas einfältig und schwerfällig war er Junggeselle geblieben. Seine Körpergröße von 193 cm und sein Gewicht von 135 kg erinnerten an einen Elefanten. Die blauen Augen standen etwas hervor und wirkten stets glasig. Als Eigenbrödler hatte er auch kaum Freunde. Sein Phlegma reizte seine Kollegen und forderte geradezu Hänseleien heraus. Doch nie war Hermann aus der Ruhe zu bringen - egal mit wie sehr man ihn auch neckte. Es war ein heißer Augusttag und auf der Baustelle Vesperzeit. Hermann hatte wie immer seine Literkanne Most , die mitgebrachten Brote ausgepackt und auf den Tisch vor sich ausgebreitet.
Die Arbeitskollegen schauten neidisch auf das Aluminiumgefäß, denn der Most erschien verlockend köstlich und kühl. Leider blieb nur selten etwas übrig. Nur dann durfte man sich den Rest aufteilen, wenn H. seinen gewaltigen Durst gestillt hatte.
Hemme,wie er genannt wurde, nahm das erste Brot,klappte es auseinander,verzog mürrisch das Gesicht und brummte : " Scho wieder Läberworscht ! " . Ein Kollege sagte : " Dann kauf ' Dir doch endlich mal 'ne andere Wurst ! ". Jeder wußte, als Junggeselle schmierte Hemme sich die Brote selber. Der Zufall wollte ,daß H. gerade als er in sein Brot biß, zum Polier gerufen wurde. Verärgert über die lästige Störung knallte er seine Vesperdose auf den Tisch und verließ mürrisch den Raum. Das war d i e Gelegenheit ! Ein vorwitziger Kollege ergriff die Mostkanne und labte sich an dem kühlen Trunk. Dann pinkelte er in das halbleere Gefäß und füllte es so unter dem schallenden Gelächter der schadenfrohen Zuschauer wieder auf. Harmlos stand die gefüllte Kanne an ihrem gewohnten Platz als Hermann zurückkam. Mit großem Appetit biß er wieder in sein Brot und nahm dann einen kräftigen Schluck aus dem Mostkrug. Die Kollegen schauten gebannt zu: Nichts geschah. Der Junggeselle aß seine Brote und trank seinen Most. Als er fertig war, hielt es der Spitzbube, der ihm den Streich gespielt hatte, nicht länger aus. Er fragte ihn: „Na Hemme, wie war Dein Most? Hast Du noch etwas
übrig? “ Die Antwort lautete: „ Moscht ha’ i no , aber s e i c h w a r m ! “ Für Nichtschwaben: Seiche = Urin, Pisse


58. Das Erste Programm
Die Liebe brachte die hübsche Liesel aus Bayern nach Walheim. Doch leider zerbrach die Beziehung nach ein paar Monaten. So fand die stets gutgelaunte und schlagfertige Bajuwarin eine Anstellung als Bedienung in dem Gasthaus „Zur Post“. Hier war sie zur Freude der männlichen Gäste jeden Abend tätig. Stets hatte Sie ein paar nette Worte für den Gast. Sie wehrte sich auch geschickt und elegant, wenn sie von vorlauten und zudringlichen Männern angemacht wurde. Einmal beantwortete sie den Ruf eines Gastes nach dem „Fräulein“ mit „ Ja, Männlein “, ein anderes Mal mit den Worten: „Damit kommen Sie ein paar Jahre zu spät !!“ Sie kleidete sich sehr hübsch. Dadurch wurde ihre ohnehin flotte weibliche Figur noch mehr betont.
Eines Abends begegnete ein schon etwas beschwipster Stammtischler in der „Post“ auf dem Weg zur Toilette der Liesel. Mit einer tief ausgeschnittenen weißen Rüschenbluse und einem etwas knappen Rock bekleidet sah sie wieder umwerfend aus. Liesel ging gerade die Treppe zur im ersten Stock gelegenen Wirtschaftsküche hinauf. Natürlich konnte der Gast nicht die Augen von den auffallend hübschen Beinen lassen. Dabei blitzte es weiß und schwarz unter dem kurzen Rock hervor. Der Frechdachs konnte sich eine flapsige Bemerkung nicht verkneifen. „ Liesel, bei Dir kann man das volle erste Fernsehprogramm in Schwarz-Weiß sehen!! .“ Die Antwort kam sofort: „Wenn Sie noch zwei Tage warten, dann können Sie das Programm in Fa r b e sehen ! “- Dann entschwand sie in der Küche. Zum Leidwesen der männlichen Gäste und zur Erleichterung einiger eifersüchtiger Damen verließ die „Beuteschwäbin“ einer neuen Liebe wegen nach kurzer Zeit Walheim .


59. Gottvertrauen
Die Enkelin bat mich um einen Hausbesuch bei ihrer hochbetagten Großmutter Wilhelmine U. Die alte Dame lebte ebenerdig in einem alten Fachwerkhaus, Sie versorgte sich weitgehend selbst und wurde dabei von den Kindern und Enkeln unterstützt. Sie besorgten für die halbblinde 88 Jährige die notwendigen Einkäufe .
Seit 3 Tagen fieberte die sonst so robuste und rüstige Witfrau. Sie klagte über wechselnde Beschwerden, die sich hauptsächlich in den Bauchraum lokalisierten. Tagelang hatte die Arme nichts mehr gegessen und nur noch wenig getrunken.
Als ich die mir bis dato unbekannte Patientin sah, fiel mir sofort die deutliche Linsentrübung beider Augen auf. Das war die Ursache für die hochgradige Sehschwäche: Es handelte sich um einen fortgeschrittenen sogenannten „Grauen Star“. Ich klärte Frau U., die offensichtlich mit Ärzten bisher wenig zu tun hatte, darüber auf, daß man mit einer kleinen Operation die Sehkraft wieder herstellen könne. „Das lohnt sich nicht mehr bei mir“, war die Antwort. Nach dem der üblichen Blutdruckmessung untersuchte ich bei der bettlägerigen Frau das Herz und die Lunge. Dann tastete ich den Bauch ab. Anschließend wurde die Temperatur axillar und rektal gemessen. Zum Abschluß untersuchte ich die Kranke rektal, um eine Entzündung des Wurmfortsatzes oder einen Abszeß im Bauchraum nicht zu übersehen. Glücklicherweise konnte ich eine ernstere Erkrankung ausschließen: Es handelte sich um einen Infekt, der mit Diät, Flüssigkeitszufuhr und Medikamentengabe bald beherrscht sein dürfte. Das teilte ich der Patientin und der erleichterten Enkelin mit. Bei der Verabschiedung bedankte sich die alte Dame mit den Worten: „ Jetzt geht es mir schon viel besser, Herr P f a r r e r ! “ „Oma, das ist nicht der Pfarrer, sondern der D o k t o r !! “, entgegnete die Enkelin. „Drum! Für den Pfarrer war er mir doch e t w a s zu
p e r s ö n l i c h ! “, lautete die Antwort.


60. Der Fischkopf
Nach dem Tod seiner Frau holte der Sohn den über 85- jährigen Vater aus dem hohen Norden Deutschlands zu sich nach Walheim. Hier verlebte er friedlich seine letzten Jahre bis zu seinem Tod. Wegen seiner Gehbehinderung hatte ihm sein Sohn einen Elektrorollstuhl besorgt. Mit einer Prinz – Heinrich - Mütze behütet, kurvte er mit diesem Fahrzeug neugierig durch Walheim und erkundete seine neue Umgebung. Hierbei fand der freundliche, kleine Mann - trotz seiner erheblichen Schwerhörigkeit und seinem norddeutschen Dialekt, der mit Plattdeutsch reichlich gespickt war, schnell Kontakt. Geschichten über Erlebnisse mit Eisbergen, Walfischen und Eisbären erzählte er den Senioren, die oft über die Grenzen Walheims nicht hinausgekommen waren. Ein besonderes Verhältnis verband ihn mit dem etwa gleichaltrigen Friseur . Beim ersten Besuch in dem Frisiersalon in der Bahnhofstrasse fragte dieser Urschwabe in seinem besten ( und wahrscheinlich einzigem ) Hochdeutsch: „ Wie hätte es denn der Herr gern? “ Die trockene Antwort lautete: „ Wenn Sie so fragen, dann am liebsten umsonst !! “ Damit war der Bann gebrochen. Die im Salon anwesenden Kunden mußten oft unfreiwillig dem lautstarken Gespräch der beiden mit einem Schmunzeln folgen. Der alte Friseur war gleichfalls hochgradig schwerhörig . Der eine redete in reinstem Schwäbisch, der andere in Plattdeutsch, wobei sie sich beide gegenseitig weder verbal noch akustisch verstanden. Mit den obligaten Schlußworten „Dann hätten’s wir wieder! “, schüttelte Herr L. dann den Frisierumhang aus und beide verabschiedeten sich lautstark und zufrieden voneinander. Bei meinen Hausbesuchen traf ich den „ Fischkopf “, wie er nun im Ort genannt wurde, in seinem Zimmer im Sessel vor dem Fernseher sitzend an. Dieser lief auf höchster Lautstärkestufe. Wie immer, hatte der Beuteschwabe die Kopfhörer aufgesetzt. Dabei hatte er nur vergessen, diese an den Apparat anzuschließen. „Mit der modernen Technik komme ich nicht mehr zurecht. Aber meinem Sohn zur Liebe, setze ich eben die Dinger auf. Er sagt, dann höre ich besser ! “ Dann bot er mir einen Schnaps an mit den Worten: „ Was ist das Leben ohne Köhm ? - unangenöhm !! “ oder „ nicht lang snacken – Kopf in’ n Nacken “.
Wenn man ausgetrunken hatte, hieß es: „ Das Leben ist so schön, man muss es nur versteh’n !! “
In längeren Gesprächen über sein bewegtes Leben vertraute er mir einmal an, dass er seine Ersparnisse von fast 20.000 .- DM immer in bar bei sich habe. Dieses Geld sollte einmal sein Sohn bekommen. Nach zwei Weltkriegen und Inflationen würde er den Banken und insbesondere dem Finanzamt nicht mehr trauen. Weiter erzählte er mir, daß er die Geldbündel sicherheitshalber in seine Matratze eingenäht habe. Er bat mich eindringlich, das Geheimnis für mich zu behalten und niemandem davon zu erzählen. Das versprach ich ihm natürlich hoch und heilig.
Als ich eines Tages aus dem Sommerurlaub zurückkam, erfuhr ich von meinem Vertreter, daß der alte Herr zwischenzeitlich verstorben und bereits beerdigt war.
Bei einem Wochenendspaziergang durch die heimische Obstanlage, traf ich seinen Sohn, der auf seinem „ Stückle “ gerade Schnittgut und einige Äste verbrannt hatte. Ich kondolierte ihm , und wir unterhielten uns in seiner Gerätehütte bei einem Glas Wein über seinen Vater. Dabei fragte ich ihn, ob er das Geld gefunden habe. Er antwortete, daß der Opa zwar ab und an darüber geredet habe, aber das wahrscheinlich nur Fantastereien von dem alten Herrn gewesen wären. Seine Frau und er hätten jedenfalls trotz intensiver Suche nichts gefunden. Als ich ihm verriet, wo das Geld versteckt war, wurde er blaß, verschluckte sich, übergab sich anschließend und sank dann zu Boden. Als er wieder sprechen konnte, verriet er mir, daß er soeben die Matratze vom Vater verbrannt habe....


61 . Der Raucher
Paul P. war immer guter Stimmung. Er genoß das Leben. Essen und Trinken bedeuteten ihm nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern waren sein Lebensinhalt. Seine rote Nase zeigte einen regelmäßigen Weingenuß an, seine fleischigen Lippen wiesen ihn als Genießer aus. Wenn er lachte verschwanden seine Augen in den Speckfalten, so daß sein Vollmondgesicht vor Wonne strahlte. Durch eine Vollglatze wurde dieser Eindruck noch verstärkt. Trotz seines umfangreichen Ranzens (schwäbisch = Leibesumfang) war er sehr agil und temperamentvoll. Immer, wenn er auf diese Kugel angesprochen wurde, antwortete er: „Das ist mein Kompressor für den 'drunterliegenden Hammer.“

So ließ sich Paul auch das jährliche Neckarfest des Anglervereins im 5 km entfernten Nachbarort Kirchheim natürlich nicht entgehen. Ein Freund nahm ihn im Auto dorthin mit, denn seinen Führerschein hatte er bei einer Polizeikontrolle eingebüßt.
Es war ein rundes Fest . Mit vielen Freunden und Bekannten trank er je ein Viertele Wein, erzählte seine Witze - kurz um, er amüsierte sich köstlich. Die Zeit verging im Flug. Sein Freund war schon längst nach Hause gefahren. Weit nach Mitternacht beschloß er, zu Fuß an der B 27 entlang, von Kirchheim nach Walheim zurück zu marschieren. Zwar mußte er dabei den Berg überwinden, der zwischen den beiden Weinorten liegt, aber seinem leicht berauschten Zustand tat das sicherlich auch gut. Seine gestrenge Ehefrau wartete sicherlich schon auf ihn.
Es war eine wunderschöne klare Sommernacht. Eine kleine Brise wehte, der Sternenhimmel funkelte in voller Pracht. So machte der Nachhauseweg doppelt Spaß ! Allerdings hatte sich der Lebemann doch etwas überschätzt:
Er kam ordentlich ins Schwitzen.
Auf der Berghöhe angekommen, legte er eine kleine Ruhepause ein. Dabei wollte er sich mit dem Genuß einer Zigarre für den anstrengenden Marsch belohnen. Das Anzünden gelang trotz mehrmaliger Versuche nicht. Der Wind aus der Richtung Walheim vereitelte jeden Versuch. Erst als er sich mit dem Rücken gegen die Windrichtung stellte, glückte es, mit dem letzten Streichholz die ersehnte Cohiba aus Cuba in Brand zu setzen. Nach ein paar tiefen genußvollen Zügen, setzte er den Fußmarsch fort. Jetzt ging es ja nur noch bergab. Gerade, als er am Ortsschild vorbei kam, warf er einen kurzen Blick darauf. Er erstarrte vor Schreck ! Da stand in großen Buchstaben - K I R C H H E I M am Neckar . Hatten etwa Lausbuben das Ortsschild ausgewechselt ? Erst jetzt sah er sich genauer die Umgebung an ! Plötzlich ernüchtert, stellte Paul fest, daß er durch das Anzünden der Zigarre die Richtung gewechselt hatte und wieder zurück gelaufen war !


62. Die Elster
Ein lieber Ludwigsburger Kollege rief mich an und bat mich, die Weiterbetreuung seiner langjährigen Patientin zu übernehmen. Sie war über das Sozialamt in das Altersheim eingewiesen worden. Bei meinem ersten Besuch bei der neuen Patientin war ich überrascht über ihr jugendliches Aussehen. Dabei war sie schon 72 Jahre alt, wie ich aus den Personalien ersah. Sie stellte sich mit Martha F. vor : eine zierliche, geschmackvoll gekleidete, kleine Persönlichkeit, die so gar nicht in das übliche Schema einer Altenheimbewohnerin paßte. Das kleine Zimmer, das sie nunmehr bewohnte, war mit Büchern, Erinnerungsstücken und allerlei Krimskrams vollgestopft. Ein Tisch mit einem Barockstuhl, ein älterer Lehnstuhl, ein altmodischer Schrank und ein Bett vervollständigten die Einrichtung. Im Gespräch bestätigte sich mein erster Eindruck: Eine gebildete Dame, die sicherlich schon bessere Tage erlebt hatte.
Zu den nächsten Besuchen nahm ich 1 Pfund Kaffee mit. Dankbar brühte sie sogleich eine Kanne auf und erzählte mir ihre Lebensgeschichte. Die Ehe mit einem bekannten Kunstmaler war gescheitert , eine Tochter hatte den Kontakt zu ihr abgebrochen, der Sohn kümmerte sich nur selten um sie. Da eine Gütertrennung bestand, hatte sie kein eigenes Vermögen und war nach der Scheidung auf das Sozialamt angewiesen. Der Ex-Mann hatte als Künstler kein regelmäßiges Einkommen, sodaß dort nichts zu holen war. Der Sohn wurde vom Sozialamt zur Kasse gebeten. Erst später erfuhr ich, daß Frau F. alkoholkrank und tablettensüchtig war. Sie hatte bereits mehrere Entziehungskuren hinter sich und war deshalb von Amtswegen entmündigt worden. So mußte sie den früheren aufwändigen Lebensstil aufgeben und jetzt mit DM 50,- Taschengeld von der Sozialhilfe auskommen. Als starke Raucherin schnorrte sie bei den Mitbewohnern Geld und Zigaretten. Bei den täglichen Ausflügen in die Stadt, setzte sie sich auf die Parkbänke neben Raucher oder ältere Herren, die sie dann charmant in ein Gespräch verwickelte. Dabei erzählte sie stets, dass sie ihre Geldbörse verloren habe und deshalb zu Fuß in das etwas abseits gelegene Altersheim gehen müsse. Fast immer hatte sie mit dieser Masche Erfolg, wurde auch oft zum Essen oder zum Kaffee ins Restaurant eingeladen. Anfangs wurde sie von hilfsbereiten Autofahrern und Taxichauffeuren kostenlos an das gewünschte Ziel – manchmal sogar nach Ludwigsburg oder nach Stuttgart gebracht. Öffentliche Verkehrsmittel waren ihr zuwider !
Im Heim mehrten sich kleinere Diebstähle bei ihren Kontaktpersonen und den Heiminsassen. Es bestand ein Verdacht, jedoch konnte man nichts beweisen. In den hiesigen Restaurants und Lokalen kannte man sie bald bestens, weil sie entweder alles anschreiben ließ oder nach der Mahlzeit angab, das Portemonnaie im Auto vergessen zu haben. Sie kam natürlich nicht wieder! Aber bald waren auch diese Quellen versiegt. Die Kaufleute in der näheren Umgebung, bei denen sie sich als neue Hausdame von prominenten Industriellen ausgab und in deren Namen sie Delikatessen und Luxusartikel einkaufte, gaben ihr keinen Kredit mehr. Man nannte sie nur noch „ die Elster “.
Meine Besuche im Heim erwartete sie immer sehnsüchtig, denn ich brachte ihr - wie auch mein Vorgänger - eine Schachtel Zigaretten ihrer Lieblingsmarke mit. Die Gespräche mit ihr waren immer sehr kurzweilig und geistreich. Sie dauerten trotz meiner knappen Zeit oft eine Stunde.
Eines Tages bei der Hochzeitsfeier einer Kollegentochter traf ich sie unerwartet wieder: Festlich gekleidet und gut geschminkt mit einem Glas Schampus in der Hand , saß sie am Tisch, dinierte sehr gesittet und unterhielt sich angeregt mit ihrem Tischnachbarn. Ich war verblüfft ! Nachdem ich meinen Kollegen um Auskunft über die Bekanntschaft zu ihr gebeten hatte, wurde ich an die gegnerischen Schwiegerleute verwiesen. Doch auch diese kannten die Dame nicht. So behielt ich mein Geheimnis für mich und schwieg.
Beim nächsten Besuch der Elster fiel mir nach längerer Zeit wieder ein deutlicher Alkoholgeruch auf. Darauf angesprochen, erzählte sie mir, dass sie gerade von einer großen Beerdigung käme. Bei dem sogenannten Leichenschmaus hätte es reichlich Wein und Bier – auf Wunsch sogar Schnaps – gegeben. Aus der im Heim ausliegenden Tageszeitung schriebe sie sich immer die Daten der Hochzeiten und großen Beerdigungen auf. Entsprechend gekleidet ginge sie dann dorthin und würde gar nicht auffallen. So habe sie immer Abwechslung – und das in einer festlichen Umgebung, wie sie es von früher her gewohnt sei ! Nach einem Besuch vermißte ich mein Portemonnaie ! Ich mußte es verloren haben ! Das dumme daran war, das meine Kreditkarten, Ausweise und der Führerschein verloren waren. Trotz emsigen Suchens fand ich es nicht wieder. So mußte ich viele Rennereien und Zeit in Kauf nehmen, um die Ersatzpapiere wiederzubeschaffen. Nach 3 Wochen wurde ich erstmals von einer Bank benachrichtigt, dass meine inzwischen gesperrte Kreditkarte vom Geldautomaten eingezogen wurde. Eine Woche später: das gleiche von einer anderen Bank ! Ich vergaß die Angelegenheit.
Nach einem dringenden Besuch im Altenheim bei einem anderen Patienten, ging ich auf einen Sprung bei Frau F. vorbei. Diesmal deutlich alkoholisiert, bläffte mich die Dame an, weil ich in der Eile die gewohnten Zigaretten vergessen hatte. Sie wurde ausfällig, beschimpfte mich mit Ausdrücken, wie A....loch und ähnlichen Gossenwörtern. So hatte ich die bis dahin so vornehme Dame nicht erlebt ! Zum Schluß teilte sie mir mit, daß sie sich jetzt einen anderen Arzt suchen würde, der nicht so vergeßlich wäre wie ich. Ich wünschte ihr alles Gute. Einigermaßen verwundert verließ ich das Heim.
Vierzehn Tage später erhielt ich ein kleines Päckchen
( Porto zahlt Empfänger ), in dem ich meine vermißte Geldbörse fand. Natürlich ohne Geld, jedoch mit den vermißten Papieren ! Dabei lag ein handschriftliches Entschuldigungsschreiben mit der Bitte um künftige Hausbesuche. Ich lehnte ab.


63. Der Jurist
Nach seiner Pensionierung zog der weißhaarige betagte Jurist mit seiner Frau nach Walheim, um hier den Lebensabend zu verbringen. Täglich spazierte er mit aufrechter Körperhaltung in den Ort, um für seine Frau die Besorgungen zu machen. Er war stets mit Hut und Stock unterwegs. Immer korrekt mit Anzug und Krawatte bekleidet, grüßte er freundlich jeden Passanten, den er traf. Seine gute Laune und sein trockener Humor machten ihn bald im Ort sehr beliebt.
Es war zur Karnevalszeit als er wieder einmal den vollen Bäckerladen betrat. Mehrere Kunden standen Schlange vor der Verkaufstheke ; 3 Polizisten tranken an einem Stehtisch ihren frischen Kaffee. Plötzlich ertönte die unüberhörbare, energische und laute Stimme des Neuankömmlings. Es wurde schlagartig still in dem belebten Laden. „ Frau F., so geht das nicht ! In Ihrem Schaufenster haben Sie ja die reinste Pornoausstellung ! Das müssen Sie sofort ändern. Und das in einem Ort wie Walheim ! “
Die brave Bäckersfrau erblaßte. Verwundert spitzten die Kunden die Ohren. Wenn dieser Herr so etwas sagte, mußte es schon begründet sein. Ängstlich fragte die brave Frau zurück. Sie war sich keiner Schuld bewußt.
„ Was meinen Sie denn, Herr M. Wieso Pornodekoration? “ „ Na ja, erstens steht auf einem großen Schild - heute warme Berliner - und zweitens liegt da mitten im Schaufenster ein Amerikaner auf zwei Schnecken !“, lautete die Antwort. Dabei schmunzelte er verschmitzt. Nach einer Schrecksekunde ertönte lautes Gelächter.


64. Der Knitz
Wie der 65 jährige kleine Mann zu diesem Spitznamen kam ist nicht bekannt. Er war nur 1,59 m groß. Deshalb nannten ihn auch einige nicht wohlgesonnene Mitbürger den „ laufenden Meter “. Sein keilförmiger Kopf wurde durch die schütteren weißen Resthaare, die hufeisenförmig das Haupt umkränzten, noch betont. Wasserblaue, unruhige Augen, ein kleiner stets plappernder Mund mit nagetierartigem Gebiß gaben dem Mann einen etwas lauernden Ausdruck. Mit einem kleinen Handwagen zog er durch den Ort und in die nähere Umgebung, um seine Besorgungen zu erledigen. Den Führerschein hatte er natürlich vor langem endgültig wegen eines chronischen Alkoholmißbrauches eingebüßt. In seinem Weinberg und in einem gepachteten Naturgrundstück werkelte er jeden Tag emsig, wenn es das Wetter zuließ, oft begleitet von seinem 10 jährigen Enkel, um den er sich rührend sorgte. Der Junge genoß die Zuneigung seines Großvaters sehr, denn die elterliche Ehe war zerrüttet. So half er seinem Opa und erwarb sich so nebenbei viel handwerkliches Geschick.
Bei einer ärztlichen Konsultation in den achtziger Jahren zeigte mir der Knitz einen faustgroßen Tumor in der rechten Leistengegend, der ihn beunruhigte. Erwartungsgemäß handelte es sich um einen Leistenbruch, der operativ korrigiert werden mußte. Nach der Aufklärung über die Notwendigkeit dieser Maßname, stellte ich den Patienten dem Chirurgen im Krankenhaus vor. Dieser bestätigte die Diagnose. Er machte dem Knitz klar, dass er ohne OP nur noch sehr eingeschränkt körperlich arbeiten könne und mit einer künftigen Verschlechterung des Befundes rechnen müsse. Dann nahm er den störrischen und operationsunwilligen Mann stationär auf.
Als der Knitz aus der Narkose erwachte und beim ersten Verbandswechsel sich beschwerte, daß er doch auf der rechten Seite den Bruch habe, er aber auf der linken Seite die frische OP – Wunde vorfände, wurde er von den verblüfften Chirurgen nach kurzem Schweigen eines Besseren belehrt: „ Auf der linken Seite war eine fingerkuppengroße Bruchlücke, die zuerst dringend operiert werden mußte.Da bestand Einklemmungsgefahr. Da ist nichts verwechselt worden! Das haben wir erst auf dem OP – Tisch festgestellt ! Und wenn Sie weitere derartige Behauptungen anstellen, werden Sie wegen Verleumdung des Krankenhauses und Rufschädigung angezeigt ! “ Der Protest des kleinen Mannes und die Bitte um vorzeitige Entlassung oder Verlegung in eine andere Klinik wurde mit dem Hinweis auf den erneuten OP-Termin am nächsten Morgen abgewiesen. Er bekam eine Beruhigungsspritze, die am frühen Morgen wiederholt wurde. Dann erfolgte programmgemäß die erneute Operation. In der Folgezeit stellten sich Schmerzen und Fieber ein. Es war postoperativ zu einem beiderseitigen Hodenhochstand gekommen, sodaß in einer 3. OP beide Hoden entfernt werden mußten. Das nahm nun der Knitz nicht mehr hin. Trotz ständiger Einschüchterungsversuche lehnte er einen weiteren Krankenhausaufenthalt ab und verließ heimlich die Klinik. Dann tauchte er mit der Bitte um Weiterbehandlung in meiner Praxis auf. Empört und gestenreich schilderte er mir seine fehlerhafte Behandlung. Seine Enttäuschung über die Krankenhausärzte und ihre ärztliche Kunst saß tief und verbitterte ihn. Dann bat er mich um meine Meinung zu diesem Vorfall ! Ich saß in der Falle !!
Natürlich hatte er recht. Da war einiges schief gelaufen! Andererseits war ich auf die Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus angewiesen. Nach kurzer Überlegung bat ich den „ alten Eunuchen “, wie er sich nunmehr selbstkritisch bezeichnete, den Entlassungsbericht abzuwarten. Dieser bestätigte, wenn auch kaschiert und verharmlosend, das Geschehene.
Nach Aushändigung des der OP vorangegangenen Ambulanzberichtes, in dem nur der Leistenbruch auf der rechten Seite beschrieben war, und des stationären Entlassungsschreibens, begab sich der Mißhandelte zum Anwalt, der den Vorfall rechtlich weiter verfolgte. Wie ich später erfuhr, wurde er mit 5.000 DM entschädigt.
Auf Grund einer fortschreitenden durch toxischen Alkoholgenuß bedingten Lebererkrankung, die von ihm stets mit den Worten negiert wurde : “ Herr Doktor, ich trinke nur Klosterfrau Melissengeist, jeden Tag 1-2 Gläschen und dabei bleibt es !“, verstarb er plötzlich auf seinem Freizeitgrundstück an einer massiven Blutung der Speiseröhrenkrampfadern .( Oesophagus-Varizenruptur) Von seiner Frau erfuhr ich, daß ihr Gatte - seit er
„ Eunuch “ war -, täglich 1 - 2 Liter dieses 60% igen Gesundheitströpfchens zu sich genommen hatte . Kein Wunder .


65. Katzenjammer
Die gesamte Familie mit Großmutter, Eltern, Tochter Olga nebst sibirischen Ehemann Viktor, den sie auf einem Familienfest kennen und lieben gelernt hatte, war vor einigen Jahren aus Rußland ins Schwabenland übergesiedelt. Die fleißige Familie hatte sich gut eingelebt und fühlte sich in der neuen Heimat sehr wohl. Nur Viktor, der junge Ehemann und Vater des hier geborenen Sohnes, hatte Anpassungsschwierigkeiten. Im Gegensatz zu seiner hübschen Frau sprach er kaum Deutsch. In den letzten Monaten kam es häufiger zum Ehekrach. Der Umsiedler trank immer wieder – besonders, wenn er sich mit seinen befreundeten Landsleuten traf – seinen geliebten Wodka. Dabei betrank er sich oft dermaßen, daß er von seinen Freunden nach Hause getragen werden mußte, weil er nicht mehr gehfähig war. Er verschlief dann den nächsten Tag und ging nicht zur Arbeit. Sein Chef hatte ihn deshalb schon abgemahnt. Bei einem Sprechstundentermin beklagte sich Olga über die häusliche Situation. Ihre sonst sehr glückliche Ehe wurde dadurch sehr belastet. „Herr Doktor, geben Sie mir einen guten Rat, wie ich meinem Mann helfen kann !“ „Versuchen Sie, ihrem Mann den Alkoholkonsum abzugewöhnen !“ „Das geht nicht ! Darauf verzichtet er nicht ! Da ist er ein Sturkopf. Da läßt er sich von keinem etwas vorschreiben !“ „Dann hilft nur eines Werfen Sie ihn morgens mit aller Gewalt aus dem Bett. Dann machen Sie ihm ein schönes K a t e r f r ü h s t ü c k und jagen ihn anschließend zur Arbeit. So wird der Alkoholspiegel am schnellsten abgebaut !“ Mit der Zusicherung, es so zu versuchen, verließ die junge Frau die Praxis. Beim nächsten Mal traf ich Olga auf der Straße als ich zu einem Hausbesuch unterwegs war. Ich erkundigte mich nach dem Befinden von Viktor. „Ihr Rat hat wirklich gut geholfen! Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür. “ Sie zögerte einen kleinen Augenblick. Dann fuhr sie fort. „Allerdings ist unsere Oma immer noch sehr böse auf mich. Ich mußte ihr einen neuen Kater kaufen! Sie hing doch so sehr an dem Tier !!“ Ich war sprachlos!


66. Der Wengert
Der sehr beliebte Gemeindepfarrer eines Nachbarortes war den Freuden des Lebens sehr zugetan. Seine Frau hatte einen 17 Ar großen Weinberg geerbt, den er nun mehr schlecht als recht bewirtschaften mußte. Das fiel ihm sehr schwer, denn er hatte es nicht von der Pike auf gelernt, damit umzugehen. Selbst mit der Hilfe der Nachbarn gelang es ihm nicht den Wengert in Ordnung zu halten. Sei es aus Zeitnot oder auch Unlust, der Weinberg verwahrloste immer mehr. Schließlich beschränkte er sich auf das jährliche Ernten der restlichen Trauben zur Weinlese. Sein Grundstücksnachbar der begeisterte Freizeitweinbauer Alois ärgerte sich zusehends über den Wildwuchs von Unkraut, Brombeerranken, ausgesäten Birken und Weidensprößlingen, die auch seinen vorbildlichen Weinberg bedrohten. Immer wieder sprach er den Pfarrer an, ob er ihm nicht den Weinberg verkaufen oder wenigsten verpachten wolle. Doch stets erhielt er eine Abfuhr. Die Trauben wollte der Pfarrer nicht missen! Schließlich willigte der genervte Gottesmann doch ein. Zu einem ordentlichen Preis und unter der Auflage, daß er zur Lese jedes Jahr 3 große Körbe Trauben bekommt, wechselte der Besitzer. Alois schuftete nun von früh bis spät in seinem neuen Eigentum. Er schlug neue Pfähle ein, spannte Drähte, beschnitt die Reben und band sie an den Drähten fest. Er fräste den Boden, pflanzte neue Weinstöcke und setzte am Ende jeder Reihe bunte Astern. Nach 2 Jahren war der Wengert nicht mehr wiederzuerkennen. Es war eine Pracht !
Pünktlich zur Lese erschien der Pfarrer mit seinen Körben, um sein ausgelobtes Deputat abzuholen. Natürlich blieb er auch zum üblichen Vesper für die fleißigen Erntehelfer .Er genoß den gereichten Wein. In der Hochstimmung über den schönen Tag und das gute Wetter, stand er auf und lobte den fleißigen Alois mit den Worten: „Mein lieber Nachbar, Du hast mit Fleiß und Gottes Hilfe ein wahres Paradies geschaffen ! Auf Dein Wohl ! “ Dann trank er ein volles Viertele aus. Der so gelobte Wengerter stand auf, dankte dem Ortspfarrer für die Worte und entgegnete: „ Das ist schon richtig, was Sie sagen. Aber erinnern Sie sich doch daran, wie der Weinberg aussah, als ihn der Herrgott allein bearbeitet hat. “ Unter dem Gelächter der Anwesenden trank er sein Glas Wein aus.


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Tag der Veröffentlichung: 03.12.2008

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