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Martins Reise nach Indien

Manfred Basedow 

 

 

 

Es war einmal ein junger Mann, der wollte was von der Welt sehen. Deshalb machte er sich auf, ans Meer. Dort wollte er auf einem Schiff anheuern.

Viele Wochen war er schon unterwegs, als er eine große Hafenstadt erreichte. Zielgerichtet marschierte der Mann auf die Pier zu, wo es nach Pech, Petroleum, Fisch und Lebertran roch.

Vor ihm öffnete sich die alte Hafengasse und gab den Blick auf ein sehr schönes Segelschiff mit drei Masten, vielen Rahsegeln an Bord frei. Am Bug befand sich eine kunstvoll gearbeitete Galionsfigur, die dem Schiff Glück bringen sollte. Sie ähnelte der griechischen Göttin Aphrodite sehr. Die Aufbauten befanden sich am Heck, mit der größten Kajüte unter Deck, welches nur dem Kapitän vorbehalten war.

Der junge Mann atmete noch einmal tief Luft, stieg mutig den Landgang hinauf und sprach einen Matrosen an, der zufällig vorbeikam. „Mein Name ist Martin Brandes und ich möchte den Kapitän sprechen.“

Der Angesprochene ging voran und begleitete ihn bis vor die Kapitänskajüte. Er klopfte an die Tür und wartete ab, bis der Kapitän laut: „Herein!“ rief.

Mit seiner Hand deutete er Martin an, dass er die Kajüte betreten sollte, folgte ihm und meldete: „Kapitän, der junge Mann möchte Sie sprechen!“

Der Kapitän betrachtete den unbekannten Gast ausgiebig und fragte: „Wer seid Ihr und warum seid Ihr gekommen?“

Er antwortete: „Mein Name ist Martin Brandes und ich komme, um bei Ihnen anzuheuern. Mein Großvater Johannes Brandes gab mir dieses Empfehlungsschreiben mit.“ Mit diesen Worten überreichte er dem Kapitän den besagten Brief. Der alte Seebär las nun interessiert, was darin geschrieben stand. „Dein Großvater ist mir gut bekannt. Wir segelten früher gemeinsam nach Indien. Du darfst bei mir an Bord bleiben und fährst erstmal als Moses mit, das ist der Schiffsjunge. Ich kümmere mich persönlich um dich und lehre dich das Handwerk des Seemanns von der Pieke auf.“

Er erhob sich von seinem Platz und führte seinen neuen Schützling persönlich durch das Schiff und stellte ihn der übrigen Mannschaft vor.

„Du kamst gerade zur rechten Zeit, denn morgen macht unser Schiff „Aphrodite“ die Leinen los und nimmt Kurs nach Indien. Der neue Schiffsjunge freute sich sehr, dass alles so klappte, wie er sich das vorgestellt hatte. Kapitän Schwarzhaupt war lange Zeit ein enger Vertrauter seines Großvaters Johannes, der früher selbst als Schiffsführer die Weltmeere befuhr. Damals segelte der neue Vorgesetzte von Martin unter dem Kommando seines Opas und schuldete ihm diese Gefälligkeit, den Enkelsohn in seine Obhut zu nehmen.

„Wir werden ungefähr zwei Jahre benötigen, um an Afrika vorbei über das Kap der Guten Hoffnung in den Indischen Ozean zu gelangen, wenn das Wetter uns einigermaßen gewogen bleibt.“ Der Schiffsjunge Martin war ein kluger, aufgeweckter junger Bursche und sehr abenteuerlustig. Seereisen dauerten früher deshalb so lange, weil die Schiffe immer in Küstennähe segelten, wo sie bei schweren Orkanen und anderen Unwettern besser Schutz suchen konnten. Martin lernte schnell, kannte das Schiff bald bis zum letzten Spant. Außer den drei Masten mit den großen Rahsegeln, besaß es vorn dreieckige Focksegel und am Heck ein Besansegel.

Er wusste bald, dass bei einem Schiff die rechte Seite, vom Heck bis zum Bug gesehen, das Steuerbord und die linke Seite das Backbord war. Denn dort befand sich schon seit jeher die Kombüse, in der der Smutje (Schiffskoch) für das leibliche Wohl der Schiffsbesatzung verantwortlich war.

An beiden Seiten längsseits befanden sich je sechs Kanonen an Bord des Schiffes, damit sich die Mannschaft gegenüber Piraten oder Schiffe befeindeter Nationen verteidigen konnte. Das war in mittelalterlichen Segelschiffen üblich, weil sie ohne Bewaffnung eine viel zu leichte Beute sein würden.

Bis zum Atlantischen Ozean kam das Schiff „Aphrodite“ gut voran. Es segelte gerade vor der französischen Westküste, als der Matrose, der oben im Ausguck stand, rief: „Vom offenen Atlantik kommt ein starker Orkan mit Windstärke 12 auf uns zu!“ Sofort eilte Kapitän Schwarzhaupt auf das oberste Freideck am Heck, wo er mit einem Fernrohr in die Richtung blickte, die der Mann im Kuckucksnest genannt hatte. Tatsächlich peitschten die Wogen auf dem offenen Ozean schon gewaltig. Große Wellenberge bauten sich auf und begannen schon das Schiff zu erfassen.

Der Schiffsführer befahl: „Das Schiff gen Osten drehen, wir gehen noch tiefer unter Land, weil uns da der Orkan weniger Schäden zufügen kann!“

Sofort begaben sich alle Matrosen, einschließlich Martin zu den Segeln, um sie auf Kommando durch Fieren, in die richtige Windrichtung zu drehen.

Geschafft, das Schiff drehte sich ostwärts der französischen Küste entgegen. Sie hatten den stürmischen Wind von hinten und kamen so sehr schnell in seichtere Tiefen. „Jetzt um 180 Grad drehen, damit wir mit der schmalsten Seite, dem Bug Wind wärts gelangen und dann den Anker werfen!“

Wieder war die gesamte Mannschaft gefordert, damit das große Dreimastschiff bewegt wurde. Endlich war auch dieses Manöver vollzogen, der Anker wurde geworfen. Jetzt rief der Kommandant: „Alle Segel einholen und die Takelage sichern!“

Der Himmel verdunkelte sich immer mehr, bis es fast schwarze Nacht war, dabei war es kurz vor Mittag. Die Wogen peitschten erbarmungslos gegen die Fensterscheiben der Kapitänskajüte. Gleichzeitig öffnete sich die geschlossene Wolkendecke und ließ das Regenwasser auf Schiff und Besatzung niedergehen. Es schlingerte hin und her, wurde die Wellen hinauf und wieder hinunter geschaukelt, wie eine Nussschale in einem Wasserglas.

Wer von den Seemännern nicht gebraucht wurde, befand sich in der Mannschaftskajüte, die unter den Aufbauten des Vorschiffes eingebaut war. Das war ein großer Raum, wo überall Hängematten gespannt waren. Kojen hatten nur der Kapitän und der erste Offizier, der Steuermann an Bord eines Großseglers.

Martin erlebte seinen ersten Orkan und war drauf und dran, seekrank zu werden. Der Kommandant war ein guter Beobachter und gab seinem Schiffsjungen einen Tipp. „Moses, behalte immer den Horizont im Blick, das hilft dagegen, sich unwohl zu fühlen. Ansonsten suche dir eine Aufgabe, die dich ablenkt. Beim Smutje in der Kombüse gibt es noch Arbeit. Hilf ihm das Gemüse zu putzen.“

So schwer es dem Jungen fiel, sich bei diesem Unwetter an Deck gerade zu halten, musste er wohl oder übel, den Befehl ausüben. Damit ihn die Wellen nicht mit sich mitreißen konnten, band er sich eine Leine um den Bauch. Daran befand sich eine etwas dünnere, wo vorn ein Karabinerhaken dran war. Mit diesen verband er sich mit der Reling, die vom Vorschiff backbord in Richtung Heck führte. Durch diese Vorsichtsmaßnahme fühlte er sich doch etwas sicherer. Endlich erreichte er die Kombüse:

„Smutje, unser Skipper schickt mich zu dir, soll dir beim Gemüseputzen helfen, oder was du sonst noch für Aufgaben für mich hast.“ Der Schiffskoch freute sich, dass er jemanden zum Reden hatte, denn aus irgendeinem Grunde schienen die anderen seine Nähe zu meiden. Vielleicht lag das an seinem Furcht erweckenden Aussehen. Das rechte Auge schien blind zu sein, denn es war zugebunden, wie bei Piraten.

Seine Zahnreihe war aufgrund seines vorgerückten Alters nicht mehr vollständig und einige Kronen fehlten, sodass jeder seinen Blick abwandte, wenn der Smutje den Mund öffnete.

„Wie heißt du?“, war die knappe Frage von Georg, wie der Herr über die Schiffsküche hieß. „Ich bin Martin Brandes“, antwortete der junge Moses. Der Koch schien einige Zeit zu grübeln, dann fragte er: „Bist du mit dem alten Kapitän Johannes Brandes verwandt?“ „Ja, er war mein Großvater und schickte mich mit einem Empfehlungsschreiben auf dieses Schiff.“

„Na dann willkommen in unserer Boulettenschmiede“, begrüßte Koch Georg seine neue Arbeitskraft. „Ich zeige dir in der nächsten Zeit alles, was du können musst, um ein guter Schiffskoch zu werden. An dir lassen die anderen Besatzungsmitglieder ihren Ärger aus, wenn das Essen ihnen nicht schmeckt. Dann heißt es schnell in Deckung gehen, bevor die Holzteller geflogen kommen.“

„Ich bin gekommen, um alles an Bord zu lernen, was einen guten Seemann ausmacht“, sagte Martin. Als habe der Küchenchef auf die Antwort gewartet, antwortete er: „Genau wie der Kapitän Schwarzhaupt fuhr ich früher unter dem Kommando deines Großvaters, der wirklich ein guter Schiffsführer war.“

Am ersten Tag in der Kombüse lernte er, wie Kartoffeln geschält und Karotten geputzt wurden. Weil sie an einem Sonntag das Mittagsmahl zubereiteten, gab es für den Kapitän und die Offiziere an Bord Kotelett mit Kartoffeln und Karotten, sowie eine Kartoffelsuppe mit Karotten für die Mannschaft.

Als Schiffsjunge war es nun die Aufgabe des jungen Mannes dem Kapitän und den Offizieren das Essen in der Offiziersmesse zu reichen. Trotz des Unwetters wollten alle pünktlich ihr Mittagsmahl bekommen, denn die Arbeiten der Matrosen waren sehr anstrengend und verlangten ihnen häufig alles ab.

Jetzt bestand die Kunst von Martin darin, trotz des gewaltigen Orkans das Essen von der Kombüse zur Offiziers- bzw. Mannschaftsmesse zu bringen. Messe war die Bezeichnung des Raumes, wo die Mahlzeiten eingenommen wurden.

Der junge Mann stellte sich bei seiner Arbeit sehr geschickt an, sodass der Smutje sehr zufrieden mit ihm war. Deshalb gab er ihm einen wichtigen Tipp, wie er die Speisen transportieren konnte, ohne den Inhalt zu verschütten.

Zum Glück ließ der Sturm bald nach, sodass der Kapitän befehlen konnte, das Schiff auf etwaige Schäden zu untersuchen. Ein kleines Segel hatte den Naturgewalten nicht standgehalten und hing in Fetzen herab.

Darum wurde Martin zur Unterstützung gerufen, der bei dieser Arbeit lernen sollte, wie Rahsegel auf einem Segelschiff getauscht wurden.


Nachdem die Reparatur abgeschlossen war, befahl Käpt´n Schwarzhaupt die Segel zu setzen, Anker zu lichten und Kurs auf den Golf von Biskaya an der Reichsgrenze zwischen Frankreich und Spanien liegend.

Einige Tage waren sie schon unterwegs, als der Matrose vom Kuckucksnest rief: „Land in Sicht Steuerbord!“ Wie konnte das sein? Wenn das Schiff in südlicher Richtung segelte, müsste auf der rechten Seite nur der offene Atlantik zu sehen sein. Denn in den Seekarten war überhaupt nichts verzeichnet, was wie Land aussah.

Kapitän Schwarzhaupt blickte durch sein Fernrohr und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass der Seemann im Ausguck nicht gelogen hatte. „Steuermann, Kurs auf das unbekannte Land!“ Ruckzuck fassten alle Mannschaftskameraden mit an und das Schiff begann seinen vorbestimmten Kurs zu ändern. Es segelte jetzt westwärts auf das Unbekannte zu.

Als sie nahe genug dran waren, rief der Matrose von oben erneut: „Kapitän, Land in Sicht! Es scheint eine Insel zu sein!“ Als der Schiffsführer sich ebenfalls davon überzeugt hatte, befahl er eine günstige Stelle an der Küste des Eilandes zu suchen, wo sie Anker werfen und mittels Beiboot an Land rudern konnten.

„Was soll ich sagen“, schrieb Martin in sein persönliches Tagebuch: „Diese Insel hatte überhaupt nichts, was in diesen Breitengraden erwartet wurde. Riesige Palmen wuchsen auf ihr und bildeten einen Urwald, der schier undurchdringlich schien. Der Strand an der Küste war weiß, mit dem feinsten Strandsand, wie sonst in der Südsee oder in der Karibik üblich.

An vielen dieser Tropenbäume hingen reife Kokosnüsse dran, einige lagen überreif herunter gefallen auf dem Waldboden. Sie waren aufgesprungen und gaben den Blick auf den weißen Kern der Nuss frei. Während sonst an den Küsten vor Frankreich und Spanien häufig Nebelwetter herrschte, schien hier auf dieser Insel die Sonne über einem wolkenlosen, blauen Himmel, nahezu gleißend. Direkt hinein zu schauen, wäre töricht, so wurden die Ankömmlinge geblendet.

Endlich hatten sie eine Stelle entdeckt, wo Kapitän Schwarzhaupt anordnete: „Segel einholen, Anker werfen und Beiboote herunterlassen!“ Sogleich wurde der Befehl ausgeführt und in weniger als einer halben Stunde, saß der Großteil der Schiffsbesatzung in den zwei Kähnen. Nur eine kleine Notbesatzung blieb an Bord des großen Segelschiffes „Aphrodite“ zurück, denn ein Schiff durfte nie ganz ohne Bewachung, herrenlos zurückbleiben.

Mit so vielen kräftigen Ruderern auf den Booten, dauerte das Übersetzen auf die Insel nicht sehr lange. Kurz bevor sie das seichte Wasser erreichten, sprangen sie ins Wasser und zogen sie mithilfe der langen Festmacherleine heraus und in den Strandsand. So konnte sich das Meer nicht diese zu sich holen.

Der Kapitän befahl, dass sich alle Mannschaftsmitglieder eng beieinander aufhalten sollten, wenn sie sich aufmachten, die Insel zu erkunden. Je tiefer sie eindrangen, desto mehr beschlich sie das Gefühl, dass sie beobachtet wurden.

Plötzlich teilten sich vor den Männern die Palmen und gaben den Blick auf eine kleine Stadt frei, die aus Pfahlbauten bestand. Im Zentrum ragte ein Schloss empor, das ebenso erbaut war, aber trotzdem sehr kostbar wirkte. Was bekamen die Eindringlinge zu sehen? Überall waren nur barbusige Jungfrauen zu sehen, die ein Baströckchen trugen und geflochtene Kränze als Haarschmuck eingeflochten hatten.

Waren sie auf einer Amazoneninsel gelandet, von denen sich schon immer viele Märchen und Sagen erzählten?

Viele Männer, die seit dem Verlassen des Heimathafens keine Frau mehr gesehen hatten, bekamen glasige Augen vor Verzücken. Der erfahrene Kapitän musste sie erst zur Ordnung rufen, ehe er sagte: „Lasst uns eine der Frauen ansprechen. Sie soll uns zu ihrem Häuptling oder was auch immer sie ist, bringen.“

Das Mädchen blickte aus smaragdgrünen Augen, aus einem anmutigen Gesicht mit einem vollen Kussmund, dem sofort alle Männer gebannt folgten und sagte mit einer zuckersüßen Stimme: „Gern bringe ich euch zu Königin Aphrodite. Ja, es ist kein Zufall, dass ihr auf unsere Insel aufmerksam wurdet. Euer Schiff trägt den gleichen Namen unserer Herrin. Sie besitzt Zauberkraft und lenkte euch absichtlich hier her.“

Die Besatzung war völlig überrumpelt und ließ sich, wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen, weiterleiten, bis sie vor dem Thron standen.

„Werft euch mit dem Gesicht nach unten auf den Bauch als Ehrerbietung für Königin Aphrodite!“, befahl das Mädchen. Es war die erste Ministerin der Herrscherin über den Amazonenstamm. Viele bange Minuten, die den gestandenen Männern wie Stunden vorkamen, ließ die Inselmonarchin sie im Staub liegen, ehe sie ihnen erlaubte, sich zu erheben.

„Wer ist der Kapitän des Schiffes?“, fragte sie die Schar vor ihr. Kapitän Schwarzhaupt meldete sich und antwortete: „Ich habe das Kommando über die Aphrodite. Verzeiht Majestät, aber Ihre Insel ist auf keiner Seekarte zu finden. Danach müsste an dieser Position im Atlantischen Ozean nur Wasser zu sehen sein.“

Er war schon immer ein mutiger Mann und hielt tapfer dem Blick der Königin stand. Sie war von atemberaubender Schönheit, mit glänzenden schwarzen Haaren, einer Figur, die alle Männer der Welt faszinieren würde. Auf dem Haupt trug sie eine kunstvoll geflochtene Krone aus Palmblättern, die ihr Aussehen vollkommen komplettierte.

Genau in diesem Moment stolperte Martin, der Schiffsjunge über das Bein vom Smutje und machte sie so ungewollt auf sich aufmerksam. Doch sein Missgeschick erzürnte die Herrscherin der Amazonen nicht, sondern erheiterte sie derart, dass sie ihn fragte: „Wer bist du junger Mann?“ Die Männer wunderten sich, dass die Frauen des Stammes ihre Sprache verstanden und kein Dolmetscher vonnöten war. Der ertappte antwortete, nachdem er sich ehrfürchtig verbeugt hatte: „Eure Majestät, mein Name ist Martin Brandes.“

Die Amazonenkönigin schien etwas nachzudenken und fragte: „Dieser Name Brandes sagt mir was. Irgendwann und wo wurde der Name schon einmal erwähnt. Schreiberin, kannst du mal in deinen Annalen nachschlagen?“

Dienstbeflissen holte die Frau lauter Papyrusrollen hervor, bis sie eine auseinanderrollte: „Ja Majestät, vor genau dreißig Jahren war ein Kapitän Johannes Brandes hier zu Gast bei Ihnen.“

„Jetzt erinnere ich mich, das war doch so ein groß gewachsener kräftig gebauter Seebär“, kam es ihr Aphrodite in den Sinn. „Das ist auch der Grund, warum unsere Amazoneninsel für Eure Mannschaft sichtbar wurde. Dein Großvater bekam damals von mir einen ganz besonderen Kompass von mir als Abschiedsgeschenk, bevor er sich auf den Rückweg nach Hause begab, mit seinem damaligen Segelschiff „Alpenrose“. Hast du diesen bei dir?“

Der junge Moses antwortete: „Ja, den gab mir mein Großvater, bevor er mich in die Hafenstadt sandte, wo ich das Schiff finden sollte, auf dem Kapitän Schwarzhaupt das Kommando führte. Ich musste ihm fest versprechen, diesen Kompass wie meinen Augapfel zu hüten, weil der nie in falsche Hände geraten durfte.“

„Trägst du ihn bei dir?“, wollte die oberste Amazone von ihm wissen. „Ja, wie soll ich sonst auf ihn aufpassen?“ „Euer Schiff „Aphrodite“ wurde durch dieses Orientierungsgerät an unsere Insel gelenkt. Eigentlich beherrschen wir Amazonen dank angeborener Fähigkeiten die Möglichkeit, uns damit auf allen Meeren der Welt zurecht zu finden und konnten dabei Abkürzungen nutzen, die kein gewöhnlich sterblicher Mensch vermochte.

Doch eine schreckliche Meerhexe nahm uns die wichtigste, mit der wir uns ohne Kompass überall orientieren konnten. Dafür brauchen wir deine Hilfe Martin, denn auf der Rückseite soll sich eine geheimnisvolle Inschrift befinden, die in unserer uralten amazonischen Sprache verfasst wurde. Diese Worte muss meine Schreiberin laut lesen. Dann müsste sich eine Pforte öffnen, durch die unsere komplette Insel samt euch, in den Indischen Ozean gelangt, wodurch ihr das Jahr rund um das Kap der Guten Hoffnung an der Spitze Südafrikas spart.“

Gespannt was passieren würde, holte Martin Brandes den Kompass hervor, den er an einer massiven Kette um den Hals trug. Er drehte ihn um und eine Inschrift in einer den Menschen fremden Sprache wurde sichtbar.

Die Leserin las laut vor: „ Nichni towalu estewes juk. Traato muti brando capitano“. Sie übersetzte den Text: „Öffne dich indisches Tor! Für den mutigen Kapitän Brandes!”

Tatsächlich erschien ein riesiges, wie ein schwarzes Loch im All. Auf der anderen Seite waren tatsächlich fremde Ländereien mit Palmen, Dschungel und hohen Bergen zu sehen.

Die ganze Amazoneninsel schwamm ohne erkennbaren Antrieb und Segel durch dieses hindurch und erreichte so tatsächlich den Hafen Kalkutta im Westen Indiens.

Das war zu viel für die Ohren der Zuhörer in der alten Hafenkneipe, wo der greise Martin Brandes für gewöhnlich saß und sein Bierchen trank.

„Was erzählst du uns denn da für einen Blödsinn. Eine Südseeinsel mit Amazonen im Golf von Biskaya.“, lachten die Männer um ihn herum. „Niemand schafft den Weg nach Indien so schnell.“

Der alte Mann trank einen kräftigen Schluck Bier und antwortete: „Mein ganzes langes Leben träumte ich vom Leben als Seemann auf dem Meer und trieb mich schon seit frühester Zeit in der Nähe des Hafens herum. Wie oft hörte ich die alten Kapitäne, wenn sie von ihren Reisen und Abenteuern berichteten, wenn sie sich zur Ruhe gesetzt hatten und in ihre Stammkneipe kamen. Inzwischen bin ich ein alter Mann, der es nie geschafft hat, seine Träume zu verwirklichen. Durch die Erzählungen der alten Seebären wurde ich nun ermutigt, auch einmal etwas „Seemannsgarn“ zu spinnen. Seht ihr, es hat ja geklappt und habt mir zugehört, wie sonst bei den echten Seemännern.“

Die Männer in der Spelunke lachten, gaben ihm Recht, dass sie von ihm gut damit unterhalten wurden. Der Wirt krönte die Stimmung mit einer Runde Freibier.

Martin Brandes trank seinen Krug mit Bier aus, zahlte dem Wirt die Zeche und verließ die alte Hafenkneipe.

® Manfred Basedow, 09.10.2017, Rostock

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Tag der Veröffentlichung: 10.10.2017

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