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Von strengster bis antiautoritärer Erziehung

In vergangenen Jahrhunderten waren die Eltern meistens der Meinung, dass Kinder nur mit fester, eiserner Hand erzogen werden müssten, damit aus unartigen Lausbuben, rechtschaffene Kerle wurden, die zupacken konnten.

 

Es gab Väter, die verlangten, dass das Kind mit blankem Po übers Knie gelegt wurde. Dann schlug der „Familienrichter“ in Selbstjustiz mit weit ausholender flacher Hand auf das Gesäß, bis es grün und blau anlief. Dabei sollte der Junge bloß nicht schreien, oder jammern, sondern er sollte es still ertragen, sonst gab es fürs „Memme“ sein, noch einen Klaps als Zugabe.

 

Andere Papas wollten soweit es ging, ohne Prügelstrafe auskommen, setzten mehr auf „pädagogischere“ Methoden. Sie zogen das unartige Kind an einem Ohr, bis zur Ofenecke, die zwischen dem Kachelofen und der Wand war, und riefen: „Pfui, schäme dich! Denk darüber nach, was du falsch gemacht hast! Aber, wehe du wagst es, auch nur einmal deinen Blick von der Ecke zu lösen, oder umher zu hampeln, dann setzt es eine Tracht Prügel!“

 

Im Winter, wenn der olle Kachelofen seine volle Wärme entfaltete und diese auch noch von der Wand zurück geworfen wurde, war das für ein ungeduldiges Kind fast eine schlimmere Strafe, als gleich den Po versohlt zu kriegen, wenn es am Ende doch aufs Selbe hinaus lief.

 

Ganz schlimm wurde es, wenn die Kinder in die Schule kamen. Dann waren sie den Launen und dem Jähzorn der oft alten Lehrbeamten ausgesetzt, ohne sich wirklich wehren zu können.

 

War ein Kind im Unterricht unaufmerksam, schmiss vielleicht Papierflieger durch den Klassenraum, in dem oft die Kinder von der ersten bis zur achten Klasse in einem Raum saßen. Ganz unten, wie heute im Hörsaal einer Uni, saßen die Erstklässler und oben die Achtklässler. Der eine Lehrer musste für jede Klassenstufe, einen anderen Lehrplan abarbeiten und nebenbei auf die Disziplin im Unterricht achten.

 

Damit waren manche auf Grund ihres Alters scheinbar überfordert, und wussten sich oft nicht anders zu helfen, als ihren Ärger über die Prügelstrafe abzureagieren.

 

Sie waren die uneingeschränkten Regenten, einer sehr gefährlichen Waffe, den „Rohrstock“, der aus Bambus bestand und sehr geschmeidig und biegsam war.

 

Wurde ein Kind erwischt, etwas Verbotenes zu machen, wurde es nach vorn gerufen. Es musste sich umdrehen, vor aller Augen, das Hinterteil entblößen und unter dem Gelächter und Spott der anderen, die Hiebe einstecken.

 

Zu dieser Zeit gab es vornehmlich getrennte Schulen für Jungen und Mädchen.

Meine Oma wurde 1899 in Fürstenwalde, bei Berlin in Preußen geboren und war eigentlich eine Musterschülerin.

 

Ihr Vater war ein anerkannter Schneidermeister, der noch im typischen Schneidersitz auf dem Tisch saß, wie es aus dem Märchen „Das tapfere Schneiderlein“ überliefert wurde.

 

Zu seinen besten Kunden, zählte er die Offiziere des Ulanenregiments des kaiserlichen Heeres, das in Fürstenwalde stationiert war. Meine Oma hatte an einem 8. Juni Geburtstag, und bekam aus diesem Anlass von ihrem Vater ein neues Schuluniformkleid, dass er ihr deshalb genäht hatte. Damals in der Zeit ab 1905, als meine Oma eingeschult wurde, kam sie also in ihrem neuen Kleid in den Unterricht. Wie damals üblich, trug sie zwei lange parallel nach hinten fallende, geflochtene Zöpfe, mit einer besonders tollen Schleife.

 

In der Schule wurden damals vor allem Griffel und Kreide benutzt, aber auch Papier und ein Federhalter mit Tinte gebraucht, dessen Schreibfeder sie ständig in ein Tintenfass eintauchen mussten, um dann soweit zu schreiben, bis sie von neuem eintauchten. Jede Schulbank war mit solchen Fässern ausgestattet.

 

Damals gehörte auch das berühmte Löschblatt zu den unabdingbaren Gegenständen in der Schule.

Ein Mädchen, das genau hinter meiner Oma saß, war neidisch auf das neue Kleid und tauchte daher, die beiden Zöpfe in ihr Fass. Meine Großmutter bemerkte das natürlich nicht sofort und die Zöpfe beschmierten allmählich den ganzen Rücken des Kleides.

 

Als meine Oma es schließlich bemerkte, drehte sie sich spontan um und gab dem anderen Mädchen eine Ohrfeige. Das war der Moment, wo der Lehrer einschritt. Anstatt zu erfragen, was passiert war, und was der Grund für den Ausraster meiner Oma war, nahm der Mann den Rohrstock.

 

Meine Oma musste ihre Hände so auf die vordere Kante der Schulbank legen, dass nur die Fingerspitzen den Tisch berührten. Dann schlug er mit der Rute in voller Länge genau über diese empfindlichen Fingerspitzen. Das tat noch vielmehr weh, als Prügel auf den Hintern.

 

Da steckte meine Oma geistesgegenwärtig ihre Hände in ihr Tintenfass, sodass sie erst richtig anschwollen und lief schnurstracks nach Hause zu ihrem Vater. Der hörte sich die Geschichte nur kurz an, lief dann zur Schule und nahm sich den Lehrer zur Brust und zerrte ihn zum Rektor. Der konnte gar nicht anders, als den Lehrer für sein hartes und unbesonnenes Vorgehen zu bestrafen. Er wurde strafversetzt und erhielt trotzdem von ihrem Vater eine Anklage wegen Körperverletzung.

 

Als ich 1966 eingeschult wurde, war die Prügelstrafe in Schulen mittlerweile abgesagt und tabu. Zuhause dagegen galt weiter die Prügelstrafe als normales Erziehungs- und Züchtigungsmittel.

 

Mein Vater war auch ein jähzorniger Mensch, der gern einen über den Durst trank und auch gegenüber meiner Mutter handgreiflich wurde. Sogar mit meiner Schwester im Arm, die damals ein Baby war, machte er nicht halt.

 

Deshalb wurde er später von den anderen männlichen Nachbarn aus dem Haus geworfen.

 

Bis es aber soweit war, gehörte er, besonders bei mir, als dem Ältesten meiner Geschwister, bei denen das Eckenstehen in der Ofenecke zur bevorzugten Strafe gehörte.

 

Der passte wirklich auf, dass ich eine ganze Stunde, die mir ewig lang vorkam, im Stillgestanden mit dem Gesicht zur Ecke stehen musste. Nicht einmal durfte der Kopf gedreht werden. Das wurde sofort als Missachtung der Autorität des Vaters mit einer Extrabackpfeife bestraft und mit einer Verlängerung des Eckestehens.

 

Meine jüngeren Geschwister hatten da viel mehr Glück. Als sie in dem Alter waren, in dem ich von ihm meine Strafen abbekam, waren meine Eltern längst geschieden. Er durfte uns auch nicht mehr besuchen und sehen. Da waren die Gerichte in der DDR sehr streng.

 

In den späten siebziger bis achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, kamen immer mehr Eltern auf den Dreh, dass die antiautoritäre Erziehung ohne Prügelstrafe besser wäre. Hatte das Kind etwas angestellt, kam Vati oder Mami, hockte sich nebenbei, um auf die Höhe des Nachwuchses zu kommen. Dann sagten sie: „Junge, das war jetzt aber gar nicht lieb, was du da gerade getan hast. Versprich mir, dass du das nicht wieder tust und nun geh weiter spielen.“

 

Das Kind bekam bald heraus: „Diese Strafe tut ja gar nicht mehr weh“ und testeten immer weiter aus, wie weit die Schmerzgrenze dieser Eltern reichte.

 

Hatten größere Kinder erst das berühmte Teenie Alter erreicht, waren sie gar nicht mehr lieb und brav, blieben die Nächte trotz Verbot in den Diskos, und mit ihren Straßengangs auf der Straße, und machten Blödsinn.

 

Heute gehört es schon fast zum normalen Schulalltag, dass die Jugendlichen ab ihrer Strafmündigkeit mit 14 Jahren, Kariere im Sozialstunden Leisten machen und Rekorde erzielen, wer am meisten schafft und noch stolz darauf sind.

 

Ist das die Vorstufe einer kriminalistischen Zukunft, wenn wir einst alt sind und diese Antiautoritär erzogenen Jungen die Arbeitsplätze und anderen Posten im Land besetzen sollen?

 

® Manfred Basedow, 01.06.2015, Rostock

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 02.06.2015

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