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Rohrschlosser auf der VEB Warnowwerft Warnemünde

Manfred Basedow

 

 

 

Als ich 1975/ 76 in der zehnten Klasse der Polytechnischen Oberschule war, kamen Vertreter der größten Werft in der ehemaligen DDR, der VEB Warnowwerft Warnemünde in unsere Schulklasse und suchten sich für das bevorstehende erste Lehrjahr nach bestandener Abschlussprüfung neue Lehrlinge. In der Verfassung der ehemaligen DDR stand drin: - Jeder hat das Recht und die Pflicht einer geregelten Arbeit nachzugehen. -

 

Die brauchten in der ehemaligen DDR nicht zum Arbeitsamt, sondern die Betriebe kamen von selbst und warben um Lehrlinge.

 

So wurde ich irgendwann zum ersten Vorstellungsgespräch ins Personalbüro eingeladen. Dieses Gespräch verließ ich mit einem neuen Arbeitsvertrag, wo zu lesen war:

 

Beruf: Maschinen- und Anlagenmonteur

Spezialisierung: Rohrleitungs- und Behälterbau

Vergütung: 1. Lehrhalbjahr 100,00 M (Mark), davon wurden 10,00 M für die Sozialversicherung einbehalten

2. Lehrhalbjahr: 120,00 M, davon wurden 10 M für SV abgezogen

3. Lehrhalbjahr: 140,00 M, davon 20 M für SV

4. Lehrhalbjahr: 160,00 M, davon 20 M für SV

 

Nach erfolgreich bestandener Abschlussprüfung Anfang Juli 1976, bekam ich mein Abschlusszeugnis und begann nach meinen letzten acht Wochen Sommerferien, wie sie in der DDR üblich waren, am 1. September 1976 meine Lehrzeit als Maschinen- und Anlagenmonteur, Spezialisierung Rohrleitungs- und Behälterbau (kurz Rohrschlosser).

 

In der ersten Woche meiner Lehre wurden erstmal alle männlichen Lehrlinge in das betriebseigene Ferienlager in Graal-Müritz gebracht, mit einem Militär LKW vom Typ W50. Wir freuten uns zunächst und dachten, dass uns der Betrieb noch eine kleine Auszeit gönnen wollte. Doch weit gefehlt, dort angekommen, wurden wir in Zelte einquartiert und mussten uns jeder eine Uniform in passender Größe aussuchen. Die weiblichen Lehrlinge kamen in dieser Zeit in die Zivilverteidigung (ähnlich des heutigen THW).

 

 

Von da an waren wir automatisch Mitglieder der Gesellschaft für Sport und Technik, kurz GST der Jugendwehrorganisation der Freien Deutschen Jugend FDJ.

 

In dieser Woche wurden wir hart ran genommen und militärisch gedrillt, weil wir später in den Reihen der Nationalen Volksarmee NVA gut vorbereitete Soldaten werden sollten.

 

Bei einem Gesellschaftsspiel „Geländemarsch“ mussten wir durch einen dichten Wald marschieren und uns beim Kommando „Flieger von rechts!“ in die Büsche links und rechts des Weges werfen. Dabei trat einer meiner Kameraden, wie wir in der GST genannt wurden, in ein Wespennest und wurde derart in den rechten Arm gestochen, dass er in der Sanitätsstube versorgt werden musste. Deshalb brauchte er in der restlichen Woche beim Drill nicht mehr mitmachen.

 

Er war Rechtshänder und konnte sich seine Stullen nicht mehr selbst schmieren. Da nahm er sich einen tiefen Suppenteller, füllte dort Brot, Butter, Marmelade, Senf, Wurst und Käse hinein, rührte alles um und meinte: „Kommt sowieso alles in einen Magen.“

 

Jeden Morgen wurden wir selbst bei eisigem Nieselregen und dichtem Nebel zum Frühsport geweckt und trafen uns nach dem Waschen auf dem Sportplatz, der kurz zum Exerzierplatz umfunktioniert wurde zum Morgenrapport.

 

Manche machten sich einen Spaß daraus. Wenn nach den Kommandos „Still gestanden! Richt euch! Augen geradeaus! Rührt euch!“ kam, sollten alle ein Knie leicht einknicken. Das nutzten die Frechsten von uns aus und schlugen den Kameraden von hinten mit der Handkante in die Kniekehle. Der Getroffene wurde dabei so überrascht, dass er den Halt verlor und nach vorn fiel.

 

Dann kamen wir nach einer Woche Drill zur Warnowwerft, wo der eigentliche Start der Ausbildung begann. Später bekamen wir mit, dass der oberste Chef im GST-Trainingslager der Bereichsleiter für die Betriebsschule war, also quasi der Schuldirektor.

 

Die ersten Monate vergesse ich nie, weil wir in der Zeit fast ausschließlich im „Schruppkabinett“ lernen sollten, wie Metallsäge, Feilen jeder Art, Bohrer usw. richtig angewendet wurden. Dazu ging es gleich im ersten Lehrjahr in das Schweißkabinett, wo wir lernten mit einem Multifunktionswerkzeug umzugehen.

 

Das war das so genannte Acetylen-Schweißgerät, wo mit einem Schneidbrenner und Schweißdüsen, die unterschiedlichen Materialdicken verarbeitet werden konnten. Am Ende des Handstücks waren zwei Schlauchanschlüsse. Ein rot markiertes war für den Acetylengas-, ein blauer für den Sauerstoffanschluss. Dieser Doppelschlauch wurde zu einer so genannten Trockenvorlage geführt, wo sie über Druckmanometer angeschlossen wurden.

 

Jeder Gasschweißer bekam auf der Werft eine eigene Sicherheitsmarke, mit einer vorher in der Werkzeugausgabe notierten Nummer. Die durfte kein Gasschweißer vergessen, damit bei einem Fehler ermittelt werden konnte, wer dafür verantwortlich war.

 

Diese Vorlage war eine Sicherung, damit das brennbare Acetylen nicht bis zur Acetylenanlage zurück konnte und eine Verpuffung auslöste. Um Acetylen- und Sauerstoffschlauch zu unterscheiden, musste der Acetylenanschluss gegen den Uhrzeigersinn, der Sauerstoffanschluss im Uhrzeigersinn festgezogen werden.

So das reicht jetzt aber auch mit der ersten Kurzbeschreibung, wie in Zukunft mein Lehrlingsalltag aussehen sollte.

 

Im Sommer 1978 beendete ich die Facharbeiterprüfung erfolgreich und durfte mich nun Maschinen- und Anlagenmonteur/ Spezialisierung Rohrleitungs- und Behälterbau nennen.

 

Nach einem viel kürzeren Sommerurlaub als früher in der Schule, wurde ich in einer Meisterei für Rohrschlosser eingesetzt, die für die Wartung, Pflege und Neuinstallierung der Rohrleitungen für technische Gase wie Sauerstoff, Acetylen, CO2 und Druckluft zuständig war.

 

Unsere Abteilung hieß abgekürzt TAE und bedeutete „Technische Abteilung Energieversorgung“. Doch wir nannten die drei Buchstaben „Täglich Andere Entscheidungen“.

 

Auch die zentrale Überwachung über den Stromverbrauch gehörte dazu. Jeder Betrieb bekam in der DDR ein streng festgelegtes Limit an Strom. Dazu gab es eigens eine große Wand mit vielen Messinstrumenten und ein Stück weiter dahinter, war ein großer Schalttisch, von dem sofort der Verbrauch von Strom zum Beispiel gemessen wurde.

 

Wurde dieses überschritten, musste von dieser Zentrale eine Zwangsstrompause eingelegt werden. Dann funktionierte für eine vorgeschriebene Zeit keine Maschine mit E-Anschluss, auch nicht die vielen mobilen E-Schweißwagen.

 

Unsere Werkstatt befand sich neben dem alten Heizkraftwerk. Eigentlich arbeiteten wir in dieser in Normalschicht zwischen 6:45 – 16:00 Uhr, das hieß 8,75 Std. weil wir in der restlichen Woche den Samstag raus arbeiten mussten. Den hatten wir einst gegen diese Einschränkung als zusätzlichen freien Tag erhalten.

 

Irgendwann kamen schlaue Technologen auf die Idee, dass auch Reparaturmeistereien ihren Beitrag leisten müssten, um den „Schichtkoeffizienten“ zu erfüllen. Das bedeutete, dass wir von nun an eine Woche im Monat Spätschicht machen mussten, selbst bei stundenlangem Däumchendrehen.

 

So begannen wir vor lauter Langeweile Dinge zu bauen, die wir zweckentfremdet im eigenen Garten verwenden konnten oder für andere gegen ein bisschen Geld. Wir bauten Hollywoodschaukeln, Frühstücksbrettchen mit eingebrannten Mustern, die wir uns vorher aus Schweißdraht entworfen hatten.

 

Später kamen wir auf die Idee, Grills für den Garten zu fertigen. Die waren schon aufwändiger, da der Körper sich trichterförmig nach unten verjüngte. Unten wurde ein separates Aschefach eingebaut, wo diese hinab rieseln konnte. Davor befand sich eine Klappe, die sich in verschiedenen Stufen öffnen ließ, um gerade beim ersten Anheizen der Holzkohle genügend Luftdurchzug zu erzeugen. Die Grillrostauflage wurde aus Schweißdrähten gefertigt.

 

Bei diesem Eigenprodukt gingen wir sehr erfinderisch vor. Wir hatten hinter der Werkstatt in kleines Handlager für Material wie Flansche, Ventile und anderes. Dort lag immer ein Haufen stark verrostetes Schrott umher. Das waren ein Stück Blech und ein paar Schweißdrähte. Damit liefen wir zum Schrottlager und kauften dieses gleiche Material wohl mehrere Male. Dafür erhielten wir den für uns wichtigen Materialausfuhrschein, mit dem Kollegen der Werft legal Material kaufen konnten, was außerhalb schwer erhältlich war.

 

Zurück in der Werkstatt verschwand der Schrott wieder im Lager und holten uns aus einer Produktionshalle, wo es eine riesige Metallschere für Edelstahl Dünnbleche gab. Dort suchten wir uns von dem Verschnitt, der dort immer anfiel die Bleche raus. Zeichneten die Konturen ein und schnitten sie zu. Am Ende hatten wir nicht rostende Edelstahlgrills für den Garten.

 

Eine echt deutsche Leidenschaft sind Klein- und Schrebergärten. Da setzte bald ein großer Boom ein, weil immer mehr Kollegen einen Garten wollten, wo sie Gemüse und Obst anbauen konnten, das in den Geschäften und Kaufhallen Mangelware war. Die Gartenanlagen waren auch ein nicht weg zu denkender wirtschaftlicher Faktor, denn jede Anlage bekam Auflagen, wie viel Obst und Gemüse sie an die Gemeinschaft abgeben mussten.

 

Diese Früchte wurden in Kindergärten, Schulküchen und Betriebskantinen gebraucht, damit die schwer arbeitenden Schiffbauer und Schweißer sich satt essen konnten.

 

Auch meine Eltern, die beide auf der Warnowwerft beschäftigt waren, bekamen bald einen eigenen Garten in der neu angelegten Kleingartenanlage „Werftblick“, die so hieß, weil sie von ihrem Bungalow im Garten, die damals alles überragende Kabelkrananlage der Helling im Blick hatten. Für das Fundament und für den Gartenzaun bekamen meine Eltern Steine, die sonst für Kopfsteinpflasterstraßen Verwendung fanden.

 

In der DDR war der Spruch gängig: Geh in eine Gartenkolonie und rufe: „VEB (Volkseigener Betrieb) rausrücken!“, dann würden alle Gartenhäuschen in sich zusammenfallen.

 

Meinen Eltern schenkte ich damals einen selbst gebauten Edelstahlgrill, der bis lange Zeit nach der Wende benutzt wurde. Erst in den letzten Jahren legten sich meine Mutter und mein Vater ein neues Modell zu, wo der Deckel geschlossen werden kann, um die Garzeit zu verkürzen.

 

Der Bungalow wurde damals in der DDR aus Asbestplatten hergestellt und selbst das Welldach bestand daraus. Eigentlich gut gemeint, weil unbrennbar, wurde kurz nach der Wende schnell klar, wie Krebs erregend dieses Material war. Deshalb wurde damals auch der Palast der Republik in Berlin abgerissen, weil er total Asbest verseucht war.

 

Später wurde der Bungalow vollständig mit Holz verkleidet und bekam auch ein neues hölzernes Dach.

 

Im Jahr 1987 wechselte ich von den Rohrschlossern in die Qualitätsabteilung und wurde Wareneingangskontrolleur bis zur Wende.

 

Dann wurde die Warnowwerft Warnemünde im Jahr 1990 privatisiert, mit der Neptunwerft Rostock fusioniert und hieß bis zu meiner Betriebs bedingten Entlassung im Jahr 1992 Neptun-Warnow-Werft GmbH. Später übernahm der norwegische Konzern Kvaerner die Warnowwerft und ließ die Neptunwerft als älteste deutsche Werft, für Schiffe in Metallbauweise allein. Die Warnowwerft hieß von nun an Kvaerner Warnow Werft GmbH Warnemünde, bis sich die Norweger verabschiedeten und von Aker in Dänemark übernommen wurde.

 

Heute heißt die Werft Nordic Yards GmbH Warnemünde.

 

Noch heute blicke ich sehnsüchtig auf meine ehemalige geliebte Werft zurück, in der ich Kollege, in einer wirklich kameradschaftlichen Meisterei, war.

 

Neben der vielen Schweiß treibenden Arbeit, mit regelmäßig verrußten Gesichtern, mit verdächtigen Augenringen, die von der Schweißerbrille herrührten, feierten wir so manche Meistereifeier im damaligen Klubhaus der Warnowwerft am Leuchtturm in Warnemünde, wo es auch ein für DDR Verhältnisse gut geführtes Restaurant gab.

 

Eine Meistereifeier blieb mir dabei in besonderer Erinnerung. Wir besuchten das ehemalige Haus der DSF (Deutsch Sowjetische Freundschaft) in der Doberaner Straße in der Rostocker Innenstadt. Das war ein Samowarabend, wo wir echten russischen Tee aus einem Samowar tranken und dazu echte russische Soljanka zu Essen bekamen. Es war ein wundervoller Abend, und wir wollten danach noch nicht gleich nach Hause. Deshalb gingen wir zum ehemaligen Warnowhotel, zu der die beliebte Nachtbar „Newa“ gehörte.

 

Obwohl wir alle gut gekleidet waren, wollte uns der Einlasser nicht reinlassen, weil die Bar angeblich schon voll wäre.

 

Ein Kollege machte sich einen Scherz daraus und wedelte mit einem 50,00 Mark der DDR-Schein. Der Einlasser sah genau hin, bekam mit, dass das keine D-Mark war und meinte dann schnippisch: „Ich bin nicht bestechlich!“

 

Was wir damals gelacht haben. Der Bauch tat uns nachher schon weh.

 

Es gibt noch einen wesentlich Teil, den ich nicht vorenthalten will.

 

Seit dem Jahr 1982 musizierte ich als Flötist im Blasorchester der Warnowwerft Warnemünde, das aus dem so genannten K- und S-Fonds (Kultur- und Sozial Fonds) unterstützt wurde. Jeder Großbetrieb verfügte jährlich über eine festgeschriebene Geldmittelsumme, die zur Förderung von Kultur und Sport, sowie sozialen Projekten verwendet wurde.

 

Unser Orchester wurde bei jedem Stapellauf und Schiffsübergabe eingesetzt, um die beiden Nationalhymnen zu blasen. Nur das Deutschlandlied durften wir nie spielen, selbst als große Reeder aus Hamburg und Bremen bei uns Schiffe bauen ließen. Darüber war die Werftführung stets froh, dass sie die Hymnen nicht vom Tonband abspielen brauchten. Deshalb durften alle Musiker, die auf der Werft arbeiteten, jeden Freitag ab 13:00 Uhr an der Orchesterprobe teilnehmen und wurden ohne Verdienstausfall freigestellt.

 


Foto: Manfred Basedow® – Blasorchester der Warnowwerft Warnemünde kurz nach der Wende, beim Aufbau für ein Konzert auf dem Warnemünder Fischmarkt, wo wir bis 1997 alle zwei Wochen am Wochenende auftraten.

 

Das Blasorchester der Warnowwerft Warnemünde existierte bis zum Herbst 1997 und war gezwungen, ein halbes Jahr vor seinem vierzigjährigen Bestehen, sich aufzulösen. Es war einst im April 1958 aus dem Schallmaienorchester der Kampfgruppen der Warnowwerft hervor gegangen. Damals erhielten die Musiker ihre ersten richtigen Blasinstrumente wie Trompeten, Flügelhörner, Tenor- und Baritonhörner, Klarinetten und auch eine Querflöte.

 

Mit diesem Orchester war ich lange Zeit verbunden über 15 Jahre lang und werde insbesondere unsere viertägige Tournee in die ehemalige Volksrepublik Polen im Sommer 1986 in guter Erinnerung behalten, wo wir zum Nationalfeiertag nach Stettin eingeladen wurden.

 

Unser großes Konzert im Stettiner Schlossgarten wurde damals sogar live im polnischen Fernsehen übertragen.

 

Das waren meine Erinnerungen an meine Zeit als Rohrschlosser auf der Warnowwerft Warnemünde.

 

® Manfred Basedow, 17.05.2015, Rostock

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.05.2015

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