Manfred Basedow
Es war einmal auf einer großen Wiese unter einem Blatt, da überwinterte eines von vielen Eiern eines Schmetterlings.
Als schließlich der letzte Schnee taute, die ersten Blumen ihre Knospen öffneten, begann sich im Inneren des Eis etwas zu regen.
- Schwupp – Plötzlich entstand unten am Boden des Eis ein kreisrundes Loch und ein kleines längliches Tier mit acht Beinchen, zwei kleinen lustigen Fühlern kam zum Vorschein. Auf beiden Seiten befanden sich jeweils sechs gelbe Punkte, weshalb die Raupe den Namen Gelbpünktchen bekam.
Die Raupe war durch den langen Winter im kleinen Ei völlig ausgehungert und suchte instinktiv nach einem Blatt, wo sie sofort anfing, zu fressen.
Gelbpünktchen war so vertieft mit ihrem Blatt, dass ihr nicht auffiel, wie ein anderes Tierchen neben ihm herum lief.
Das war eine kleine Ameise, die mit ihren sechs Beinchen zu ihrem Haufen wollte. Die Ameise sprach die Raupe an: „Wer bist denn du?“ Erschrocken hielt Gelbpünktchen beim Blätterknipsen inne und drehte sich zum Krabbeltier: „Ich bin die Raupe Gelbpünktchen. Warum fragst du nach mir?“ „Es ist mein erster Tag als Arbeiterameise. Ich heiße Krabbelflink.“, gab die Ameise zur Antwort. „Bist du schon ausgewachsen?“, fragte Krabbelflink neugierig nach.
„Ich habe jetzt einen Sommer zu überstehen und einen Winter. Dann werde ich ein schöner Admiralsschmetterling sein.“, beantwortete Gelbpünktchen die Frage.
Krabbelflink verabschiedete sich und setzte ihren Weg fort, wie alle anderen Ameisen vor und nach ihr.
Inzwischen war Gelbpünktchen mit ihrem ersten Blatt fertig und machte sich auf die Suche nach einem weiteren. Denn in diesem Sommer war es das wichtigste Ziel der Raupe, so viele Blätter wie möglich zu verputzen, um einmal ein schöner Schmetterling zu werden.
Während Gelbpünktchen unterwegs war, begegnete ihr ein anderes unbekanntes Tier.
Es trug ein schwarzes Köpfchen mit Fühlern und Beißwerkzeugen, krabbelte auf sechs Beinchen einen Blatthalm hinauf und trug auf dem Rücken einen roten Flügelpanzer mit schwarzen Punkten. Das war der Marienkäfer Läuseschreck, der Blattläuse zu seinen Leib- und Magenspeisen zählte. „Wer bist du?“, fragte die Raupe Gelbpünktchen, vom Anblick des Käfers überrascht.
„Ich heiße Marienkäfer Läuseschreck und bin auf der Suche nach Blattläusen.“ „Was sind Blattläuse?“, fragte die Raupe neugierig.
"Das sind Parasiten, die den Blättern den Lebenssaft aussaugen. Ohne uns Marienkäfer würden für dich kleine Raupe nicht genügend Blätter übrig bleiben.“, erklärte Marienkäfer Läuseschreck. „Dann bedanke ich mich dafür.“, antwortete die Raupe Gelbpünktchen und nannte dem Käfer ihren Namen.
Damit war der Käfer zufrieden und krabbelte weiter, den Halm hinauf zu den Blättern.
Zufrieden machte sich Gelbpünktchen an ihre Arbeit, das nächste Blatt zu verspeisen.
Gerade eben landete neben der Raupe eine Biene auf genau der Blüte, die sich neben dem Blatt befand, um im Inneren nach Nektar zu suchen. Da sie dabei laut summte, zuckte Gelbpünktchen erschrocken zusammen.
„Wer bist du denn?“, fragte die Raupe, nachdem sie sich vom ersten Schreck erholt hatte. „Ich bin die Honigbiene Summi und sammle aus den Blüten der Blumen, Sträucher und Obstbäume den Nektar. Den bringe ich in meinen Bienenstock, wo andere Bienen daraus Honig herstellen. Damit werden unsere Larven gefüttert.“
„Ich bin eine Raupe und heiße Gelbpünktchen wegen meiner gelben Punkte, die ich links und rechts an meinem Körper trage. Wenn ich ausgewachsen bin, wird aus mir mal ein stolzer Admiralsschmetterling.“ „Ja ich weiß.“, antwortete Summi: „So viele unterschiedliche Insekten leben auf so einer schönen, großen Wiese und in den Wäldern.“
„Höre darauf, was dir jetzt sage.“, forderte Summi die Raupe auf: „Nimm dich vor Vögeln wie Meisen, Buchfinken usw. in Acht. Die mögen sehr gern dicke Raupen, wie du eine bist und füttern damit ihre Brut in ihren Nestern.“ „Vielen Dank für deinen Rat. Ich werde vorsichtig sein. Weißt du, ich bin heute erst geschlüpft und muss noch viel lernen, bis ich eine Puppe werde.“
So lernte die Raupe Gelbpünktchen außer der Ameise Krabbelflink, den Marienkäfer Läuseschreck, die Honigbiene Summi, die Hummel Pummel und die Fliege Emma kennen.
Immer, wenn Gelbpünktchen eins dieser Tiere traf, unterhielten sie sich, wünschten sich einen guten Tag und freuten sich den ganzen sonnigen Sommer über. Ab und zu regnete es. Besonders gern ließ sich die Raupe Geschichten der Honigbiene Summi erzählen, die wirklich viel wusste.
Eines Tages bemerkte Gelbpünktchen, dass sich die Blätter, die bis dahin saftig grün gewesen waren, langsam verfärbten. Inzwischen wusste die Raupe, jetzt war der richtige Augenblick sich einen sicheren Ort zu suchen, um sich zu verpuppen.
So spann die Raupe Gelbpünktchen einen Chininkokon, der die Raupe komplett umhüllte. Diese Puppe hing unter einem großen Holzhaufen. So geschützt, konnte die ehemalige Raupe den langen kalten Winter mit Frost und Schnee überstehen.
Die Sonne kam allmählich häufiger zum Vorschein, ließ den Schnee tauen, die Bäche und Seen wecken und die Knospen der Pflanzen erwachen.
Das war der Moment für die Puppe. Sie regte sich von Innen, von unten fraß die Raupe ein Loch in den Kokonpanzer.
Dann endlich war es soweit. Wie von Zauberhand kam ein fertiger Admiralsschmetterling zum Vorschein, der sich auf einem Gänseblümchen niederließ und ihre schillernden Flügel der Sonne entgegen streckte.
So war aus der einstigen kleinen Raupe Gelbpünktchen der stolze Admiralsschmetterling Sonnentänzer geworden, der so genannt wurde, weil er beim Fliegen über die Wiese aussah, als würde er im Sonnenlicht tanzen.
® Manfred Basedow, 22.04.2015, Rostock
Tag der Veröffentlichung: 22.04.2015
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