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Begrüßungsgeld und zum ersten Mal nach Westberlin

Autobiografisches vom Baltikpoet aus Rostock

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Jahr 1989 kurz nach dem 9. November führte die Bundesregierung für alle DDR Bürger das Begrüßungsgeld ein. Jeder DDR Bürger durfte in einer Bank seiner Wahl 100,00 DM Begrüßungsgeld abholen. Für uns Rostocker war der kürzeste Weg über den Grenzübergang Selmsdorf an der F 105. Anfang Dezember 1989 fuhren mein Bruder Dietmar, mein Schwager Ralf, mein kleiner Neffe Tim und ich nach Lübeck, weil wir das Begrüßungsgeld abholen wollten.

 

Auf der Reise dorthin wurden wir selbst Zeugen, wie raffiniert die Grenzanlagen zur Westgrenze gebaut waren, denn in Dassow sah es so aus, als würde dort der Grenzübergang sein, aber dort war für Bürger der ehemaligen DDR Schluss, wenn sie nicht in einem Ort innerhalb dieser Zone lebten. Der eigentliche Grenzübergang war erst in Selmsdorf. Der erste Ort nach dem Grenzübertritt war dann Schlutupp, ein Stadtteil von Lübeck.

 

In den frühen Morgenstunden kamen wir in Lübeck an und hatten viel Zeit, weil da noch keine Geschäfte und Banken geöffnet hatten. Endlich war es soweit, wir bekamen in einer Lübecker Bank unser Begrüßungsgeld 100,00 DM. Wir hatten befürchtet, dass mein zweijähriger Neffe Tim in den voll gestopften Gängen von Karstadt überall gierig nach dem vielen Spielzeug greifen würde, wie wir es von anderen Kindern gehört hatten. Doch er war wohl so von dieser Reizüberflutung beeindruckt, dass er den ganzen Tag wohl gar nicht begriff.

 

Am 22.12.1989 nachdem wir das erste Begrüßungsgeld in Lübeck bezogen hatten, wurde bekannt gegeben, dass das Brandenburger Tor zum Grenzübertritt zwischen Ostberlin und Westberlin freigegeben werden sollte. Mein Bruder Dietmar und ich brachen mit seinem roten Trabant 601 auf nach Berlin, weil wir zu den ersten DDR Bürgern gehören wollten, die am Freigabetag des Brandenburger Tores dabei sein wollten.

 

Als wir endlich einen Parkplatz gefunden hatten, in der Nähe des Hotels Stadt Berlin, kämpften wir uns bis zum großen Platz am Brandenburger Tor vor. Dort fanden wir dann eine riesige Menschentraube vor, die drängelten und sich fast die Luft abschnürten. Mein Bruder und ich wollten schon fast aufgeben, denn hätten wir uns brav hinten angestellt, hätten wir wohl drei Tage benötigt, um über die Grenze zu kommen.

 

Wir beobachteten die ganze Umgebung und wurden endlich fündig. Ganz vorn am Brandenburger Tor befand sich ein provisorischer Zaun als Absperrung, der genau bis zum Häuschen reichte, an der die Grenzsoldaten die Visa in die Personalausweise drückten. Wir schlichen uns immer den Zaun entlang und fügten uns wie im Straßenverkehr bei Einengungen kurz vor dem Wachhäuschen in die Schlange ein. Keinem fiel unsere List auf und wir waren in nicht mal fünf Minuten auf der anderen Seite des Brandenburger Tores in Berlin Tiergarten, wo später in den 90 iger Jahren die Love Parades durchgeführt wurden.

 

Wir marschierten an diesem einen Tag die gesamte Straße bis zur Berliner Siegessäule und dann weiter bis zum Kurfürstendamm.

 

Dann mussten wir aber zu Fuß die ganze Strecke vom Kurfürstendamm bis zum Hotel Stadt Berlin zurück, wo mein Bruder den Trabant geparkt hatte.

 

Bei solchen Begebenheiten kannte mein Bruder hinsichtlich meines Magens kein Erbarmen, denn er mied stets Imbissstände und konnte riesige Strecken zurücklegen ohne einen Bissen. Mir hing ganz schön der Magen auf Kniekehle als wir wieder in Rostock ankamen. Aber wir konnten stolz berichten, dass wir zu den Glücklichen gehörten, die am Öffnungstag des Grenzübergangs Brandenburger Tor die Grenze zwischen Ost- und Westberlin übertreten durften.

 

Manfred Basedow®, Rostock, 03.10.2013

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 03.10.2013

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