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Tommys Seenotrettung mit Stephan Jantzen




Am fünften Tag des Familienurlaubs, fand Tommy in einer Auslage des Hotels, in dem sie abgestiegen waren, eine Broschüre über den berühmten Kapitän und Lotsenkommandeur Stephan Jantzen aus Warnemünde. Die Familie legte sich, wie gewohnt, vor dem großen weißen Hotel an den Strand und Tommy begann in dieser Broschüre zu lesen.

Dabei erfuhr er, dass Stephan Jantzen 1827 in Warnemünde geboren wurde und im Alter von 14 Jahren auf der Rostocker Galeasse „Argo“ als Schiffsjunge anheuerte. Während einer Seereise nach Nordamerika erkrankte der Kapitän, für den er als Schiffsjunge zuständig war, an Schwarzen Pocken, was eine sehr ansteckende und bei Seeleuten gefürchtete Krankheit war. Die Mannschaft war kurz davor zu meutern. Nur der Schiffsjunge Stephan Jantzen bewies viel Mut, weil er trotz des Widerstandes der Besatzung dem Kapitän als einziges Mitglied Hilfe leistete. Bis 1854 reiste er umher, bis er in dem Jahr seine Frau heiratete, die wie er aus Warnemünde stammte. Zwei Jahre später erhielt er sein Patent zum Schiffer auf großer Fahrt und ließ in seinem Auftrag ein Schiff bauen, dass 38 Meter lang war. Es war eine Bark und bekam den Namen „Johannes Keppler“. Mit diesem Schiff umsegelte er zweimal die Erde, wo ihn jedes Mal seine Frau begleitete. Bald bekam sie ihren ersten Sohn Magnus, und wenig später auf einer der Reisen den zweiten Sohn Varelius.
Im Juni 1863 segelte er gerade vor der nordamerikanischen Küste, als er ein portugiesisches Schiff entdeckte, das durch eine Kollision mit einem anderen Schiff in Seenot geraten war. Er konnte alle 14 Besatzungsmitglieder mit Hilfe seiner Besatzung retten. Für diesen besonderen Einsatz erhielt Kapitän Stephan Jantzen vom portugiesischen König den „Jesus-Christus-Orden“ überreicht.
Die Broschüre las sich so spannend, dass Tommy schon nach kurzer Zeit wieder anfing zu träumen.

Tommy erwachte an Bord der Bark „Johannes Keppler“ beim Kapitän Stephan Jantzen als Schiffsjunge. Das Schiff segelte gerade am Äquator vor Afrikas Küste entlang, weil sie auf dem Weg nach Indien waren. Zu diesem Zeitpunkt waren die Seewege nach Indien und China schon entdeckt. Nur den Suezkanal, der heute das Mittelmeer über dem Roten Meer mit dem Indischen Ozean verbindet, existierte noch nicht. So dauerten Seereisen von Deutschland nach Indien mehrere Jahre. Nicht selten musste das Schiff eine Zwangspause einlegen, weil absolute Flaute das Fahrzeug am Weitersegeln hinderte. Es hatte ja auch noch keinen Hilfsmotor, den die nachgebauten Segelschiffe heute an Bord haben.

Kapitän Stephan Jantzen ließ den Schiffsjungen Tommy kommen: „Lieber Tommy. In diesem Moment befahren wir gerade den Äquator. Für dich bedeutet es, dass du zum ersten Mal in deinem jungen Leben die nördliche Halbkugel verlässt und die südliche Halbkugel als Seemann befährst. Deshalb muss sich jeder Mensch, dieser Zeremonie der Neptuntaufe unterziehen. Tritt bitte vor und knie nieder.“
Da er eine derartige Erfahrung noch nicht erlebte, kam er der Aufforderung des Kapitäns nach. Zwei Matrosen hatten sich wie zwei Barbiere angekleidet und schmierten ihn mit einem Spezialrasierschaum aus Schmierseife und Meeresalgen ein. Dann rasierten sie ihn mit einem übergroßen Rasiermesser, wobei Tommy dachte: `Gleich schlägt mein letztes Stündlein.´ Dann flößten sie ihm ein eklig schmeckendes Gemisch von Algen, Fisch und Muscheln ein, so dass er sich über die Reeling erleichtern musste. Danach wurde er mit zehn Eimern kaltem Seewasser übergossen. Pro Besatzungsmitglied ein Eimer. Die Mannschaft hatte dabei ihren Spaß.
Am Ende der Zeremonie hatte sich ein Matrose als Meeresgott „Neptun“ verkleidet. Er erhob sich und rollte ein Stück Pergamentpapier auseinander. Dann las er mit würdevoller lauter Stimme: „Sandgeborener! Du hast das Reinigungsritual sicher über dich ergehen lassen und wurdest gereinigt, von innen und von außen. Jetzt bist du würdig, dich in Neptuns Reich aufzuhalten. Du erhältst den Namen „Munterer Streifenbarsch“. Gibt es noch einen unreinen Sandgeborenen? Nein? Dann kehre ich in mein nasses Reich zurück. Ich wünsche der Bark „Johannes Keppler“ allzeit eine Handbreit Wasser unter dem Kiel und dir „Munterer Streifenbarsch“ viel Glück auf den Weltmeeren.“ Damit verließen der Meeresgott Neptun und sein Gefolge das Freideck. Kurze Zeit später kamen ein paar Besatzungsmitglieder zum Vorschein, die dem bunten Gefolge verdächtig ähnelten. Anschließend ordnete Kapitän Stephan Jantzen ein Fest zu Ehren von Tommys erstmaligem Übertritts von der nördlichen in die südliche Halbkugel am Äquator an, wie sie noch heute jede Person an Bord eines Schiffes über sich ergehen lassen muss.
Dank eines guten Windes erreichte die „Johannes Keppler endlich die südlichste Spitze von Afrika, das „Kap der guten Hoffnung“. Das war eine sehr gefährliche Schiffspassage, weil dort, wo der Atlantik und der Indische Ozean aufeinander trafen, sehr oft heftige Stürme tobten. Sie wurden sehr oft zum Seemannsgrab. Doch ihr Schiff hatte Glück und erreicht 1864 den Hafen von Bombay, wie die indische Stadt Mumbai früher hieß. Zu dieser Zeit war Indien eine der vielen Kolonien Großbritanniens. Die „Johannes Keppler“ hatte 800 Tonnen reinstes Leinen geladen, das in Indien und Asien sehr begehrt war. Der indische Händler hatte 400 Tonnen bestellt, die von den Stauern ausgeladen wurden. Sie trugen die Säcke mit dem Leinentuch auf dem Rücken aus dem Laderaum über die Gangway bis in die Lagerhalle des Händlers. Anschließend wurden 200 Tonnen Ceylon Tee verladen, der in Europa nur von den vornehmsten Leuten, besonders in England heiß begehrt war. Das Schiff segelte weiter in den Persischen Golf und machte am Hafen von Basra fest. Tommy sah zum ersten Mal in seinem Leben das bunte Treiben in der persischen Hafenstadt. Kapitän Stephan Jantzen war ein gutherziger Mensch, der immer das Leben hoch hielt. Deshalb lud er Tommy ein zu einem Einkaufsbummel durch den riesigen Basar von Basra. Solche Düfte hatte der Junge in seinem ganzen Leben noch nicht wahrgenommen. Die vielen verschiedenen Gewürze, die buntesten Stoffe, krumme Säbel mit Gold und Edelsteinen besetzt, die jeden europäischen König entzücken würden. Tommy wählte sich einen besonders schön gebundenen Turban. Dazu bekam er eine Anleitung mit Bildern, wie man so eine tolle Kopfbedeckung selbst binden konnte. Der Kapitän schenkte ihm diesen Turban als Dankeschön für seine Dienste für seinen Vorgesetzten.
In Basra wurden die restlichen 400 Tonnen Leinentuch entladen, denn der Kalif von Bagdad liebte gerade diesen Stoff sehr gern, weil man aus ihm schöne weiße Kaftane nähen konnte. Dafür nahm die „Johannes Keppler“ 300 Tonnen reinster Chinaseide an Bord, die die Perser über die berühmte Seidenstraße aus China importierten. Nun trat die Mannschaft die Heimreise an. Frau Jantzen war eine gutherzige Frau, die den jungen Seemann Tommy wie ihren dritten Sohn behandelte. Sie duldete es, das ihre Söhne Magnus und Varelius mit ihm spielten. Schließlich waren sie ja Kinder. Tommy durfte auch mit der Familie Jantzen am Mittagstisch sitzen. Deshalb fühlte er sich auf diesem Schiff sehr wohl.
Wieder Zuhause in Warnemünde
Wegen seiner einschlägigen Verdienste wählte der Rostocker Stadtrat den Kapitän Stephan Jantzen noch vor seinem 40. Lebensjahr zum Lotsenkommandeur von Warnemünde. Er war auch einer der Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), dessen Vormann er automatisch wurde.
Tommy sah sich im Jahre 1873 im Winter als Matrose der Rettungsmannschaft von Lotsenkommandeur und Vormann Stephan Jantzen wieder. Am 16. Dezember 1873 ging beim Kommandeur ein Telegramm ein, dass ein Schiff in Seenot geraten war. Es tobte eine schwere See. Sofort trommelte er die gesamte Rettungsmannschaft zusammen. Das Rettungsboot und die Rettungsraketen mussten auf ein Pferdefuhrwerk verladen werden, denn das Schiff befand sich nördlich von Doberan auf der tobenden Ostsee. So schnell wie möglich machte sich der Trupp auf den Weg. Als sie die Stadt Doberan erreichten, passte das Fuhrwerk mit dem überbreiten Rettungsboot nicht durch das Stadttor, deshalb musste kurzerhand eine Seite des Tores heraus gebrochen werden, um Platz für das Gefährt zu schaffen, denn es ging um Leben und Tod der Schiffbrüchigen. Erst am anderen Morgen erreichten sie an Land die Position, von der aus sie nur noch die obersten Masten, des bereits gesunkenen Wracks erkennen konnten. Lotsenkommandeur Stephan Jantzen befahl: „Halt! Alle Mann angepackt und das Rettungsboot zu Wasser lassen und festmachen! Versucht Rettungsraketen zum Wrack zu schießen, damit die Seile von den in Seenot geratenen Seeleuten gefangen werden können!“
Doch alle Versuche schlugen fehl. Die Rettungsraketen gingen zur Neige, so dass der Lotsenkommandeur zwei Männer zurück nach Warnemünde schickte. Sie sollten noch weitere Raketen holen. Inzwischen versuchte er es viermal vergeblich mit dem Rettungsboot die Position auf der tosenden Ostsee zu erreichen. Beim fünften Rettungsversuch verletzte sich Lotsenkapitän Stephan Jantzen an einer Hand und verlor kurzzeitig das Bewusstsein. Trotzdem blieb er hartnäckig und schaffte es in diesem Anlauf die überlebenden Besatzungsmitglieder, die sich an die Mastspitze retten konnten, zu sich an Bord zu holen. Sie stellten fest, dass es dänische Seeleute waren, die vor Heiligendamm in Seenot gerieten. Dafür erhielt der Lotsenkommandeur Stephan Jantzen vom dänischen König die „Goldene Medaille für Edeltat“ als Ehrung.

Dieses Mal wachte Tommy aus seinem Traum auf, ohne von Mandy oder seinem Vater Wasserbomben kassiert zu haben. Tommy stand von seinem Strandtuch auf und ging zum Strandkorb, wo sich seine Eltern gerade sonnten. Er sagte: „Über diese spannende Broschüre und meinen schönen Traum lernte ich den berühmtesten Warnemünder kennen und verehren. Sein Name ist „Lotsenkommandeur Stephan Jantzen“. Mein Traum ließ mich mit ihm an Bord nach Indien und Persien reisen. Doch am beeindruckendsten war die Rettung dänischer Seeleute an der Ostseeküste nördlich von Doberan, wo er nicht eher aufhörte, bis die Schiffbrüchigen sicher an Land waren. Dafür bekam er vom dänischen König die „Goldene Medaille für Edeltat“ überreicht. Auf dem alten Friedhof von Warnemünde soll sein Grabmal stehen. Das möchte ich gern besichtigen.“
Da lobte ihn sein Vater Dirk: „Ich freue mich, dass du so gern liest und dich für Personen der Geschichte interessierst, die gute Taten vollbrachten. Deshalb erfüllen wir gern deinen Wunsch.“
Tommy blieb lange andächtig vor dem Grabmal mit dem großen schwarzen Kreuz stehen. Er war sehr stolz, ein Teil der Besatzung des berühmten Warnemünder Kapitäns gewesen zu sein, auch wenn es nur im Traum war.
Das war Tommys Seenotrettung mit Stephan Jantzen.

Viel Spannung beim Lesen wünscht

Euer Baltikpoet
Rostock, 17.09.2012

Impressum

Texte: Manfred Basedow
Bildmaterialien: Manfred Basedow aus lizenzfreien Cliparts in Paint bearbeitet
Tag der Veröffentlichung: 17.09.2012

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