Oft legen wir grosse Entfernungen zurueck, um an den Ort zu kommen, an dem wir Entspannung, Unterhaltung, Anregung, Aufregung, schoene Landschaften, Freundschaften – und manchmal auch Heilung suchen: von New York nach Delphi, von Moskau nach Acapulco, von Sidney nach Luxor-Westbank, von Hongkong nach Santiago de Chile oder von Berlin nach Bali – um nur einige Beispiele willkuerlich herauszugreifen.
Das balinesische Dorf Muncan aber, am Fusse des den Balinesen heiligen Berges Gunung Agung gelegen, ist nur gut 40 Kilometer von Ubud entfernt. Und direkt unterhalb Muncans befindet sich der Ashram von Ratu Bagus. Dieser Ashram ist ein Ort, an dem sich solche Erwartungen (siehe oben) erfuellen koennen.
Komang und ich hatten das balinesische Hauptheiligtum besucht, den Muttertempel in Besakih, und waren auf dem Weg hinauf zum Pura Pasar Agung, als uns kurz nach Muncan ein grosser, dichtgedraengter Gebaeudekomplex auffiel: eine ungewoehnlich reiche, ungewoehnlich schoene und ungewoehnlich gut gepflegte Anlage. Aber keine Inschrift und kein Schild verrieten Zweck, Besitzer oder Betreiber des Ganzen. Die grossen Hakenkreuze auf einem hohen grauen Turm irritierten mich, mich, den 1943 auf den Namen Adolf getauften Deutschen. Dieses Hakenkreuz-Swastika-Phaenomen hat mich immer wieder am Wickel, seit ich auf Bali lebe.
Wir waren inzwischen weitergefahren, hielten aber dann doch an, schauten zurueck und beschlossen, umzukehren und herauszufinden, was es mit der Anlage auf sich hatte: ein Regierungsgebaeude, ein Hotel, eine kirchliche Einrichtung, eine Reha-Zentrum oder der Privatbesitz eines Multimillionaers? Wir fuhren durch ein maechtiges Tor auf einen weitlaeufigen Hof, stellten unser Motorrad ab und fragten einen Mann nach Bedeutung und Zweck der Anlage. „Das ist der Ashram von Ratu Bagus!“ „Ratu Bagus? Nie gehoert! Aber einen gepflegten Ashram hat er – das muss man ihm lassen.“ „Duerfen wir uns ein wenig umschauen?“ „Ja. Klar. Dort drueben ist unser Restaurant. Da koennt ihr etwas trinken, wenn ihr wollt.“ Das weitlaeufige, luftige Restaurant war mit grossen, soliden Tischen und vielen bequemen Stuehlen ausgestattet, und auf einigen Sofas, die mit vielen farbigen Kissen belegt waren, sassen und lagen Leute, die lasen oder schliefen; auf jeden Fall waren sie als „Westler“ auszumachen.
An einem der Tische sassen ein Mann, ein Balinese, und eine Frau, eine Weisse. Sie unterhielten sich. Als ungebetene Gaeste standen Komang und ich etwas verlegen im Eingang und ueberschauten die Szene. Der Mann blickte auf, fixierte uns kurz und machte eine einladende Handbewegung. Sein rundes Gesicht trug ein breites, offenen und sehr freundlichen Laecheln. Dieses Laecheln war so vereinnahmend, dass wir uns augenblicklich entspannten und darueber freuten, an dem Tisch des Paares Platz nehmen zu duerfen. Es folgte eine kurze Vorstellung. Wie gesagt, ich hatte von Ratu Bagus vorher noch nie etwas gehoert und auch von seinem Ashram nicht. Aber dass dieser Mann in seiner gewoehnlichen schwarzen Lederjacke, den weissen Unterkleidern, den blitzenden Augen hinter der goldgefassten Brille und dem lustigen kleinen Dutt auf dem Kopf ein besonderer Mann war, ein Guru eben, das konnte ich sofort spueren.
Als ich 1980 fuenf Wochen lang in Bhagwans Ashram war, hatte ich die ganze Zeit ueber den Wunsch gehabt, mit ihm zusammenzusitzen, etwas zu trinken und mit ihm zu plaudern. Von Mensch zu Mensch sozusagen – bei allem Respekt – aber doch ohne die Schranken von Protokoll und die hierarchischen Grenzen. Und hier in Ratu Bagus’ Ashram – dreissig Jahre spaeter - erfuellte sich dieser Wunsch wie zufaellig: ich durfte neben dem Meister sitzen, Tee mit ihm trinken und mit ihm ueber dies und das plaudern. Das mit dem „dies und das“ stimmt so nicht: es ging hauptsaechlich um Bioenergie, um Shaking, Ratu Bagus’ „Schuettel-Meditation“, und um die Bedeutung von Lachen und Gluecklichsein. Ratu Bagus faszinierte mich vom ersten Moment an, ich spuerte seine Milde und seinen Humor, seine Mitmenschlichkeit – aber auch die Kraft und die Konzentration, die von ihm ausging. Ohne uns lange absprechen zu muessen, waren Komang und ich uns sofort darueber einig, an einem „Shaking“-Kurs unter der Leitung von Ratu Bagus teilzunehmen. So wurden wir zwischen dem 5. und 10. Dezember 2011 Teil der Ashram-Community.
Ratu Bagus, Balinese, Jahrgang 1949, ist balinesisch-hinduistischer Priester, obwohl er nicht von Geburt an Brahmane ist, spiritueller Lehrer, Guru also, Bioenergetik-Meister und der offenbar stetig fliessende Quell von Einsichten und koerperlich intensiv erlebbaren Erfahrungen wie Angst, Trauer, Freude oder Lebendigsein. Er regt an, belehrt, reizt zum Lachen und Mitlachen, motiviert und strahlt eine so unmittelbare und reine Freude und Praesenz aus, die fast jeden Teilnehmer an der Arbeit stimmulieren. Das einzige Hilfsmittel, das Ratu Bagus anwendet, ist das Shaking, also das anhaltende Schuetteln und Durchschuetteln des Koerpers durch Bewegungen, die man ohne physikalische Einwirkungen von Aussen selbst ausfuehrt. Bei mir begann das rhythmisch in den Fuessen und Beinen, stieg ueber Becken und Bauch aufwaerts, bezog Nieren, Brust und Herz und Hals mit ein und erreichten Kehlkopf und Schaedel.
Ich habe das Schuetteln bereits 1980 als „Kundalini-„ und als „Dynamische Meditation“ bei Bhagwan Shree Rajneesh in Poona kennengelernt – die Dynamische am Morgen, die Kundalini am Abend.. Bei Ratu Bagus sind drei Schuettel-„Einheiten“ von je zwei Stunden am Tag angesagt. Waehrend des Schuettelns soll ein meditativer, von Gedanken freier Raum entstehen, in dem dann die urspruengliche, sich aus sich selbst schoepfende „Lebensenergie“ einfliessen kann und das kontrollierende Denken (mind) zurueckdraengt. Also Meditation pur. In einem solchen Zustand kann es gelingen, dass ein Teilnehmer in direkten und unverstellten Kontakt zu seinem „Inneren Selbst“ kommt: sowohl zu seinen Aengsten, seiner Wut, seiner Verzweiflung, seinen Schwaechen, seiner Resignation - aber auch zu seinen Staerken, seinem Optimismus, seiner Lebensfreude und seiner Lust, aus dem tiefsten Inneren heraus zu lachen. Das ganze Spektrum unserer Gefuehlswelt kann sich entfalten. Wie andere bioenergetischen Uebungen auch, sollen durch das intensive Schuetteln koerperlich verfestigte seelische Blockaden geloest werden – Blockaden, die in unserem Organismus als laehmend wirken.
Alles ist Energie, sagt Ratu Bagus, und wir selbst sind durch Energie entstanden und tragen diese Lebensenergie in uns. Und wenn wir mit der Quelle dieser Energie in Kontakt kommen, koennen wir unser Leben veraendern und uns selbst heilen. Der Kontakt mit diesem Energiestrom macht heiss und feurig, und das Feuer hilft, unsere koerperlichen, geistigen, gefuehlsmaessigen und spirituellen Blockaden aufzuloesen. Klingt simpel, nachvollziehbar und sehr esoterisch.
Es gibt ueberzeugende und glaubwuerdige Aussagen von Frauen und Maennern aus Europa, den USA und aus Australien, die durch die Teilnahme an Ratu Bagus’ Schuettel-Meditation von schweren Krankheiten geheilt wurden. Ratu Bagus wird also nicht nur von den Balinesen als Heiler verehrt.
Wie schon erwaehnt, wird im Ashram von Ratu Bagus drei Mal taeglich geschuettelt, jeweils zwei Stunden lang: von sieben bis neun, von eins bis drei und von sieben bis neun. Etwa die Haelfte der Teilnehmer sind Balinesen, die aus der Umgebung und von der ganzen Insel in den Ashram kommen, die andere Haelfte kommt aus verschiedenen Teilen der „Westlichen Welt“. Im Anschluss an die Abendmeditation spricht Ratu Bagus gerne zu seinen Schuelern, macht oefter besondere Uebungen mit einzelnen Teilnehmern und legt es geradezu schalkhaft darauf an, dass Situationen entstehen, die Anlass zu ausgelassenem Gelaechter geben. Er selbst lacht dabei am meisten.
Nach den jeweiligen Schuettel-Einheiten wird gemeinsam gegessen. Das Essen ist lecker, abwechslungsreich und reichlich. Die Teilnehmer verrichten verschiedene Dienste in der Spuelkueche, beim Kehren und Wischen etc.
Die Mindestzahl, fuer die sich ein Teilnehmer anmelden soll, sind fuenf Tage. Es braucht Zeit, die Widerstaende gegen die intensive Arbeit zu ueberwinden und die Verbindung zum eigenen Energiefluss herzustellen. Und es soll helfen, gefuehlsmaessige oder koerperliche Erschuetterungen zu integrieren, die durch sich loesende Blockaden entstehen koennen,.
Ich kann und will an dieser Stelle nicht ins Detail gehen: dazu sind die inneren und aeusseren Vorgaenge zu persoenlich und zu intim. Aber ueber einige allgemeine Phaenomene moechte ich schon kurz berichten: ich verspuerte Angst, Schmerz, Widerstand, Ueberdruss, Sehnsucht und immer wieder Schmerzen - die Fussohlen, Knoechel, Waden, Kniegelenke, Oberschenkel, das Herz – der ganze Koerper rebellierte; und ich wollte auf keinen Fall die Kontrolle ueber mich verlieren – eines meiner Hauptanliegen im Leben. Das Stoehnen, Schreien und oftmals hemmungslose Lachen um mich herum lenkte mich zwischendurch ab; auch manche Texte von Liedern, die mit voller Lautstaerke eingespielt wurden. „Das geht hier zu wie in einem Narrenhaus“, schoss es mir hin und wieder durch den Kopf. Dann aber bemerkte ich, warum mich gerade diese Art Schrei oder jenes Lachen so auf den Geist ging – weil dadurch eigene Stimmungen, Erinnerungen und Aengste beruehrt wurden. Also wurde ich etwas geduldiger und toleranter.
Wichtig bei der Teilnahme an der Shaking-Meditation ist die „Community“, also die Gruppe von Menschen aus Bali und aus vielen Laendern der Welt. Die Teilnehmer unterstuetzen sich gegenseitig durch ihre pure Anwesenheit, durch die Energie, die sie waehrend des Shakings einbringen, durch den Respekt, die Freundlichkeit, die Geduld und die Liebenswuerdigkeit, die sie fuereinander aufbringen. Obwohl doch jeder Teilnehmer zu Ratu Bagus und in dessen Ashram kommt, um moeglichst viel fuer sich selbst „herauszubekommen“, ensteht ganz schnell ein Gefuehl des Mit- und Fuereinander. Ich habe waehrend der fuenf Tage nichts erlebt, was den ueblichen „Verteilungsk(r)ampf“ in Gruppen glich.
Ein Frage, die besonders in Deutschland sofort im Zusammenhang mit Gurus, Heilern, Communities auftaucht, ist die „Sektenfrage“. Klar, niemand moechte gerne als manipulierbares, naives oder verfuehrtes Mitglied einer Sekte hingestellt werden. Ich persoenlich habe es in diesem Zusammenhang nicht leicht: in meiner Kindheit und Jugend war ich ein ueberzeugtes Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche und ein Jesus-Verehrer. Christliche Kirchen werden umstaendehalber als Religionsgemeinschaften gefuehrt und nicht als Sekten - obwohl ihren Urhebern doch etwas ausgesprochen Sektenhaftes, als von den Lehrmeinungen Abweichendes, anhaftet, und zwar beiden: Jesus und Luther. Spaeter wurde ich Schueler von Bhagwan (Bhagwan-/Osho-Bewegung), dann Teilnehmer an der Werner Erhard-Arbeit und ein Verehrer von Werner Erhard ganz persoenlich (Forum, Landmark Education). Und jetzt Ratu Bagus und sein Wirkungsbereich! Ich kenne die amtlich-deutsche Definition von „Sekte“, weil ich mich im Zusammenhang mit dem „Forum“ intensiv mit Sekten auseinandersetzte. In der Arbeit von Ratu Bagus sehe ich keines der immer wieder vorgebrachten Sektenmerkmale erfuellt.
Und der Uebergang vom „Sex-Guru“ Bhagwan zum „Lach-Guru“ Ratu Bagus ist ja auch nicht schlecht.
Texte: Adi Bachmann
Bildmaterialien: Adi Bachmann (1) & Anonym (1)
Tag der Veröffentlichung: 07.04.2012
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