Einmal im Jahr wird alles noch kleiner auf Bali – und noch teurer. Ende Juli bis Anfang August treffen sich die Liebhaber des Zwergbaumes in Ubud – da ist das Football Field in der Ortsmitte fest in den geschickten Haenden der Bonsai-Kenner, der Bonsai-Zuechter, Bonsai-Kuenstler, Bonsai-Sammler und Bonsai-Haendler und all derer, die all das noch einmal werden wollen. Da gibt es Zwergbaeume zu bestaunen, die in der Diskrepanz zwischen ihrem Alter und ihrer Groesse grotesk wirken und fast unwirklich; vielleicht sind sie gerade deshalb so anziehend und bewundernswert.
Bonsai nennen die Balinesen abschaetzig-liebevoll – welch eine Begriffsmischung - einen etwas klein geratenen Menschen. Hat ein Maedchen ein solches Exemplar Mann zum Freund oder Liebhaber, lachen die anderen Maedchen, die entweder noch gar keinen oder aber einen normal hohen Freund oder Liebhaber haben, und nennen ihn – Bonsai. Einen auffaellig hochgewachsenen Mann uebrigens, nennen die Maedchen Stock oder Stecken, so wie im Oberbayrischen Stangl. Auf balinesisch, selbstverstaendlich.
Auf dem jaehrlichen Bonsai-Markt in Ubud sind an die dreihundert Bonsai-Baeume ausgestellt – Baeumchen getraue ich mir ihres oft sehr hohen Alters wegen gar nicht zu schreiben. Vor weissen, ueber einfach konstruierte Bambusgerueste gespannte Gewebebahnen aus Plastik, auf einer oder zwei schlanken Saeulen – zwei, wenn die Pflanzschale zu breit ist fuer eine einzige Saeule – stehen sie da und werden umkreist und bestaunt. Jeder Bonsai ist mit einer fortlaufenden Nummer gekennzeichnet. Ernst blickende maennliche Menschen tragen Schreibhefte oder dunkelfarbige Kladden mit sich und machen sich Notizen zu dem einen oder anderen Exemplar.
Frauen interessieren sich offenbar – wenn ueberhaupt – dann mehr fuer Zwergwuechsige aus Fleisch und Blut. Frauen sind auf dem Gelaende naemlich weder als Anbieter, noch als Interessenten oder Kenner vertreten.
Die knapp dreihundert Zwergwuechsigen aus dem Bereich der Flora stellen sich einem Wettbewerb, die ernsten Maenner mit den Kennerblicken sind die Juroren, die nachgefragten Lebensalter der Exponate erscheinen kaum glaubwuerdig, und die Preise fuer manche Bonsais sind schlicht schwindelerregend.
So weit, so gut. Im Prinzip unterscheidet sich eine solche Ausstellung nicht von einer Hasen-, Singvogel-, Gefluegel- oder Hundeschau. Nur stiller sind die Zwergbaeume und ihre Besucher, und auch manch strenger Geruch, dem man auf einer Tierschau ausgesetzt sein mag, fehlt auf einer Bonsai-Ausstellung. Das liegt in der Natur des Bonsai. Klar.
Was mich stark beschaeftigte, war das Symbolhafte, das bei einer solchen Praesentation von Pflanzen zum Ausdruck kommt. Noch nie im Leben habe ich so dicht gedraengt und so einfach nachvollziehbar erlebt, was fuer eine Beziehung wir Menschen zur Natur haben und auch tatsaechlich haben wollen. Da faellt auf einmal das ganze Mensch-und-Natur-und-Partnerschaft-Gerede weg, da kommt kein Rettet-die-Mutter-Erde-Gedanke auf, da zeigt sich der Mensch als das, was er im Grunde immer war und gerade heute so voellig unmaskiert ist: der Herrscher, der Beherrscher, der Former, der Manipulierer, der Ausbeuter der Natur und damit seines eigenen Lebensraumes.
Nicht mit Tiefseebohrungen, Massentierhaltung, riesigen Schuerfflaechen beim Abbau von Bodenschaetzen im Tagebau, gigantischen Holzeinschlaegen, Brandrodungen, engmaschiger Schleppnetzfischerei und-so-weiter-und-so-fort-ohne-Ende, nein, mit einer Rolle plastikumhuellten und leicht biegsamen Drahtes, einer Kneifzange, einem Messer und einem zugekiffenen Auge zum schaerferen Betrachten des Objektes, schafft sich der Mensch seine Baeume selbst. Er behindert ihren natuerlichen Wuchs, treibt sie ins Alter und nicht in die Hoehe, erntet weder Frucht, noch Laub, noch Holz in nennenswerten Mengen – nein, er delektiert sich an seiner Macht, dem Baum und damit der Natur seinen Gestaltungswillen aufzuzwingen.
Das ist kein Hobby, kein Geschaeft fuer einige Jahre. Nein: sogar ein ganzes Leben ist oft zu kurz dafuer. Ich sah Bonsais, die sind – nach den Auskuenften ihrer vertrauenserweckenden Besitzer – zwischen 150 und 300 Jahre Jahre alt. Sie werden gehalten wie kostbarer Familienschmuck, der von einer Generation zur naechsten vererbt wird. Ich finde das atemberaubend. Es hat etwas Dynastisches an sich, das mich in Aegypten immer so ergriffen hat: das Denken, Planen und Handeln ueber viele Generationen, ja, ueber Jahrtausende hinweg. Als haetten wir Menschen das Recht und die Faehigkeit, uns ueber Jahrtausende etwas von so langer Dauer zu schaffen, festgekrallt an eine Philosophie, Religion, Bestimmung oder an nur einfache Allmachtsgelueste. Wo sich doch alles bekanntlich dreht, sich alles bewegt und sich alles am laufenden Band veraendert. Dieses Dynastische reflektierte sogar Hosni Mubarak, der Schmalspur-Pharao im heutigen Aegypten, als er seinen Sohn zu seinem Nachfolger am aegyptischen Hof aufbaute und lancierte. Auch Herr Suharto, zu seien Lebzeiten Chef des beruechtigten Suharto-Clans in Indonesien, war ein Spezialist in Sachen Dynastie-Gruendung.
Des Menschen Lust, dessen Menschen Zwang und des Menschen Ueberzeugung, seinen Lebenraum und alles was sich darin befindet, dominieren und kontrollieren zu duerfen, zu koennen und zu muessen – das sah und fuehlte ich nie deutlicher als an diesem Dienstag, den 29, Juli 2009, auf dem Football Field in Ubud, Bali, angesichts der zahlreichen als Individuen, aber auch als Masse so beeindruckenden Bonsais.
Soll ich jetzt noch darueber schwadronieren, warum die Japaner solche Bonsai Freaks sind, die Franzosen aber nicht? Warum wir Deutsche den Japanern als Oberkontrollierer mindestens gleichrangig sind, aber deutsche Bonsais kaum zu Weltruhm gelangen? Warum Balinesen zwar keinen trinkbaren Rotwein auf die Reihe bringen wie die Franzosen, aber ihnen bonsaimaessig haushoch ueberlegen sind? Warum mich ein generationenalter Bonsai als ein aesthisches Phaenomen ergreift, mich seine Verkrueppelungen zum Weinen bringen koennen, ich aber lieber englische Parks als franzoesische Barockgaerten mag?
Ich denke, ich lasse es lieber sein. Ich muss ja nicht versuchen, unbedingt allem und jedem auf den Grund zu gehen. Hauptsache ist doch, der Bonsai ist schoen, es macht Freude, ihn anzuschauen und der Balinese verdient ein Paar Rupien damit.
Und allemal es es besser, eine Nation schickt Zwergbaeume in einen Wettbewerb und keine Kamikazeflieger oder Selbstmordattentaeter anderer Art. Oder?
Texte: Adi Bachmann
Tag der Veröffentlichung: 07.04.2012
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