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Kuta, 12.10.2002

‚Die Bombe zerfetzte ihre Koerper’, hiess es dann. So las man es in den Zeitungen. So hoerte man es in den Nachrichten. So zeigte es das Fernsehen. Aber tatsaechlich lief es anders ab.
Zuerst hoerte er die Detonation. Sein Koerper reagierte sofort: er wurde starr. Dann schaute er verwundert auf seine linke Hand hinunter. Die Finger schwollen an. Sie bekamen die Form und die Farbe tiefroter, aufgeblasener Kondome. Nur die Nippel fehlten. Dann platzten sie. Nicht der Reihe nach – plopp, plopp, plopp, plopp, plopp – fuenf Mal. Sondern auf einmal. Mit einem lauten Plopp.
Haut- und Muskelpartikel flogen umher. Blut spitzte. Dann lagen die feinen Knochen und Gelenke frei.
Wie die Schale einer Banane zog es Haut und Muskeln vom Skelett. Pellte gewissermassen ab. Von den Haenden ueber die Unterarme, die knochigen Ellenbogengelenke und die kraeftigen, muskuloesen Oberarme hinauf zur Schulter.
‚Der Mensch besteht aus Hefteteig, gefuellt mit roter Tinte ...’,
schoss es ihm durch den Kopf. Ein absurder Reim aus seinen Kindertagen. Wie oft hatten sie sich das Gedicht gegenseitig vorgesagt? Karl, sein Vetter und er, wenn sie muede und und von der Sonne verbrannt am Ende eines langen Ferientages nach Hause trotteten.
‚... der Nabel ist Zweipfennig breit, darunter haengt die Flinte ...’
Nein. Es waren nicht die Schuesse einer Flinte, die ihm in dieser Sekunde den Koerper zerfetzten. Es war die Sprengkraft einer oder mehrerer Bomben.
‚Bin ich deshalb nach Bali gekommen’, schoss es ihm durch den Kopf, ‚um mich hier in die Luft sprengen zu lassen? Das ist doch scheisse’.
Dann hatte er ausgedacht.
Nichts bekam er mit von dem tatsaechlichen Umfang des Anschlags. Von seinen Urhebern und von der Zahl der Opfer. Nichts von den Massnahmen der Behoerden, die Taeter zu identifizieren, sie ausfindig zu machen und schlieslich festzunehmen. Nichts von der Tatsache, dass sich einer der Taeter in seinem Haus selbst in die Luft sprengte. Nichts von den beiden Gerichtsverfahren, den verhaengten Strafen. Und nichts von den Todesurteilen gegen die beiden Brueder Amrozi Nurhasyim und Ali Ghufon und einem weiteren Terroristen, Imam Samudra. Und nichts von dem Gewuerge und Gezerre und juristische Winkelzuegen, bis die Todesurteile gegen die drei tatsaechlich vollstreckt worden waren. Nichts bekam er mit von dem massiven Einbruch in die Entwicklung Tourismusindustrie auf Bali in darauf folgenden Jahren.
Er war eines der sechs Opfer aus Deutschland. Insgesamt starben bei dem Bomenanschlag 202 Menschen aus vielen Laendern. Vor allem aus Australien. Hunderte Menschen erlitten zum Teil schwerste Verbrennungen.
Nichts bekam er mit von der Angst. Einer von den Balinesen ganz weit nach hinten gedraengten Angst, dass sich so ein radikal-islamisch motivierter Anschlag wiederholen koennte. In ihrem Paradies. Das Reservoir an Selbstmord-Attentaetern scheint schliesslich unerschoepflich zu sein.
‚Fuck the Terrorists’, druckten die Balinesen beschwoerend auf T-shirts. Es half nicht viel: am fruehen Abend des 1. Oktober 2005 explodierten drei weitere Bomben. In Jimberan und wieder in Kuta. 23 Menschen starben, 100 wurden verletzt.
Wieder war der ‚Jemaah Islamiyah’ fuer das Attentat verantwortlich.


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Tag der Veröffentlichung: 12.11.2011

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