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„Er ist so alt wie ich!“ sagte Jan gerade anklagend. Sie saßen alle um den großen Tisch im Wohnzimmer und aßen zu Abend.
Lena hatte kurz zuvor gefragt, ob sie nach dem Essen noch zu ihrem neuen Freund fahren dürfe. Oliver hatte sich daraufhin natürlich erkundigt, wer dieser neue Freund denn wäre, doch da Lena nur recht einsilbig antwortete, mischte Jan sich nun ebenfalls mit seinem Wissen ein.
Lena funkelte ihren Bruder böse an. „Und, was ist daran so schlimm? Diese Tussi die du letzte Woche angeschleppt hast, … Jenny, war auch nicht älter als ich und du hast sie trotzdem flach gelegt, oder?“
Jan tat seiner Schwester den Gefallen zumindest ein wenig zu erröten, doch weiter ließ er sich nicht beirren. „Das hat hiermit jawohl gar nichts zu tun! Und außerdem ist Jenny keine Tussi.“
Oliver sah Rebecca an und verdrehte genervt die Augen, was sie mit einem belustigten Schulterzucken quittierte, das so viel sagen sollte wie: selbst schuld, du hast mit dem Verhör angefangen.
„Ach, keine Tussi, aber blöd genug um sich von dir ficken zu lassen?!“
„Lena!“ Rebecca sah ihre Tochter streng an, die starrte trotzig vor sich hin und murmelte leise: „Tschuldigung, aber ist doch wahr.“ Etwas lauter fügte sie dann noch hinzu: „Diese scheiß Doppelmoral…“ Sie sah ihre Mutter bittend an „Jan muss sich auch nie rechtfertigen.“
„Ich bin volljährig“, kam es von ihrem Bruder.
„Als wäre das vorher anders gewesen!“ giftete Lena zu ihm hinüber und wandte sich dann schnell wieder ihrer Mutter zu.
Rebecca unterdrückte ein Seufzen und sah kurz zu Oliver rüber, bevor sie sich wieder an ihre Tochter wandte: „Du hast ja vollkommen recht, Liebling, und ich hab gar nichts dagegen, dass du nachher noch zu… Moritz?... fährst.“
Oliver nickte zustimmend, doch Rebecca wusste, wie viel es ihn kostete ihr nicht zu widersprechen. Zum Glück hatte er durch seine Schwestern jahrelange Erfahrung mit solchen Situationen gesammelt und schaffte es mittlerweile sich ein wenig zurückzuhalten. Jan war darin allerdings noch lange nicht so gut wie sein Vater. „Mama, das ist ja wohl nicht dein Ernst?! Du kannst sie nicht mit diesem Typen rumziehen lassen, das ist ein absolutes Arschloch!“
„Red doch nicht so einen Scheiß, du kennst ihn ja kauml!“
„Muss ich auch nicht, ich kenne seinen Ruf, das reicht mir voll und ganz!“
Bevor Lena etwas erwidern konnte und als nächstes der dritte Weltkrieg bei ihnen losbrechen würde, mischte Oliver sich nun endlich ein „Jan, es reicht. Wir haben Lena erlaubt sich mit ihrem Freund zu treffen und dabei bleibt es.“
Jan setzte einen störrischen Blick auf, verzichtete aber zum Glück darauf seinem Vater zu widersprechen.


***




Lena sah Moritz lachend an „Du spinnst.“
Er grinste „Sag bloß es gefällt dir hier nicht?“
„Doch, ist super“, gab Lena zu. „Aber ich bin ziemlich sicher, dass wir uns gerade strafbar machen.“
Moritz sah sie herausfordernd an „Schiss?“
Das konnte sie natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Mindestens ebenso herausfordernd wie er fragte sie: „Na, springst du mit mir vom Zehner?“
Ohne auf seine Antwort zu warten, zog sie ihr Top über den Kopf. Sie ließ es neben sich auf den Boden fallen und sah fragend zu ihm auf, während sie den Reißverschluss ihres Rockes öffnete.
Er hatte sie mit offenem Mund angestarrt, doch jetzt besann er sich eines Besseren. „Süße, wenn du den Rock auch noch ausziehst, dann spring´ ich mit dir überall runter.“
Der Rock fiel, die Flip Flops hatte sie bereits von den Füßen gestreift. Ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, marschierte sie auf den Sprungturm zu.
Als sie die Leiter hoch kletterte, hörte sie ihn hinter sich, doch sie drehte sich erst um als sie ganz oben angekommen war. Er hatte ebenfalls T-Shirt und Jeans ausgezogen und trug nur noch Boxershorts. Ihr fiel auf, dass er einen ziemlich sportlichen Körper hatte. Auch ohne Klamotten war er definitiv mehr als ansehnlich. Bevor er ihren Blick bemerkte, wandte sie sich schnell ab und ging bis zum Rand des Sprungturms.
Es war hoch und Lena spürte ein vertrautes Kribbeln im Bauch bei der Vorstellung hier gleich hinunter zu springen. Sie liebte dieses Gefühl. Moritz konnte es nicht wissen, aber er hätte kaum eine bessere Idee haben können. Schon als Kind mochte sie diesen Nervenkitzel. Ihre Eltern waren vollkommen baff gewesen als ihrer fünf jährigen Tochter das Einmeterbrett längst nicht mehr reichte und sie unbedingt vom Dreier springen wollte. Vor allem weil sie damals noch nicht mal richtig schwimmen konnte.
Ihr Vater hatte schließlich nachgegeben und war mit ihr auf den Turm gestiegen, in der Annahme sie würde ohnehin einen Rückzieher machen, wenn sie einen Blick runter geworfen hatte. Das erwies sich allerdings als großer Irrtum. Sobald er mit ihr oben stand, hatte sie sich von seinem Arm herunter gestrampelt und war alleine bis zum Rand des Turms gegangen, bevor Oliver reagieren konnte, war seine kleine Tochter schon in die Tiefe gesprungen. Zum Glück reichten ihre Schwimmkünste um gerade so notdürftig bis zum Rand zu paddeln. Trotzdem hatten ihre erschrockenen Eltern mit ihr geschimpft und ihr eingebläut so etwas nie wieder zu machen. Es hatte nicht gewirkt und Oliver hatte sie schleunigst im Schwimmverein angemeldet.
„Wow, wieso sieht das von oben eigentlich immer so viel höher aus?“ Moritz stand plötzlich neben ihr und starrte ebenfalls nach unten.
„Schiss?“ diesmal war es an Lena ihn frech anzugrinsen.
„Naja, bisschen mulmig ist mir schon“, gab er zu.
Sie griff lachend nach seiner Hand, „Komm, ich halt dein Händchen.“ Dann zählte sie bis drei und sprang.
Beide tauchten prustend und lachend wieder auf.
„Du bist total verrückt!“ Moritz machte ein paar Kraulzüge, bis er bei ihr angekommen war. „Ich finde, dafür hab ich mir eine Belohnung verdient…“
„Ach ja?“ fragte Lena, während sie ins flachere Wasser schwamm. Als sie wieder stehen konnte, drehte sie sich zu ihm um. Er war ihr gefolgt und stand nun genau vor ihr. „Also, wie sieht´s aus mit einer Belohnung?“
„Hm, an was hättest du denn da so gedacht?“ fragte sie langsam.
Er kam einen Schritt näher und beugte sich zu ihr runter. „An sowas ungefähr…“ er küsste sie sanft.
Danach sah er sie fragend an. Lena musste sich kurz räuspern um sprechen zu können. „Ich denke, über diese Art von Belohnung können wir reden.“
Er zog sie lachend an sich. „Können wir, ja?“ wieder küsste er sie. Lenas Arme legten sich wie von selbst um seinen Nacken. Gleichzeitig spürte sie seine Hände in ihrem Rücken, knapp über dem Po, als er sie noch enger an sich zog. Der Kuss wurde schnell stürmischer und seine Hand glitt langsam in ihren Slip.
Plötzlich begannen die Alarmglocken in Lenas Kopf zu schrillen. Das hier konnte zu weit gehen und das wollte sie auf keinen Fall. Sie spürte seine Hand zwischen ihren Beinen und erstarrte. „Moritz, Stopp!“
Er sah sie erstaunt an, machte aber keine Anstalten seine Hände wegzunehmen. Im Gegenteil, er küsste sie erneut und raunte an ihrem Mund: „Ach, komm schon…“
Einen schrecklichen Augenblick wusste Lena nicht was sie tun sollte, dann nahm sie all ihre Kraft zusammen und stieß ihn zurück. „Hör auf!“ Sie drehte sich um und hatte mit drei Schritten den Beckenrand erreicht. Hinter sich hörte sie seine frustrierte Stimme: „Verdammt, was hast du denn auf einmal?!“
In Windeseile stand sie auf dem Rasen, sammelte ihre Kleider zusammen und lief in Richtung des Loches im Zaun, durch das sie vorhin eingestiegen waren.
Sie hörte seine Schritte, als er ihr folgte und lief schneller.
„Lena! Scheiße! Lena, warte!“




***




Irgendwann am Nachmittag ging dann endlich Jans Zimmertür auf und Maja kam herein. Die Zwischenzeit war ihm unendlich vorgekommen und er hatte schon fast befürchtet, dass sie ihn doch nicht besuchen würde. Das Schlimmste an seinem Zustand war nämlich, dass die Kopfschmerzen sowohl fernsehen als auch lesen unmöglich machten, so dass ihm nicht viel anderes übrig blieb als aus dem Fenster zu starren und vor sich hin zu grübeln und das war nicht gerade die beste Beschäftigung, wenn man auf jemanden wartete von dem man nicht sicher war ob er auch kommen würde.
„Hey, wie geht´s dir?“ fragte sie während sie sich auf der Bettkante niederließ.
Er zuckte die Schultern. „Kopfschmerzen, aber ich gewöhn mich langsam dran.“
„Hier, hab ich dir mitgebracht, statt Blumen.“ Ein Päckchen Condome landete auf seiner Brust. „Ich dachte mir, damit kannst du mehr anfangen.“
„Hm, bunt und mit Fruchtgeschmack. Danke, aber ich dachte, das wird ein rein freundschaftlicher Besuch, so ganz ohne Sex…“
„Mach dir keine falschen Hoffnungen, das ist nur eine kleine Aufmerksamkeit“, erwiderte sie mit einem Grinsen.
„Ach so, dann pusten wir die wohl gleich ganz freundschaftlich zusammen auf und arrangieren sie dann in einer Vase zu einem schönen bunten Strauß, oder wie?“
„Nein, das“, sie beugte sich ein wenig vor und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust, „darfst du nachher ganz alleine machen, damit dir nicht langweilig wird, wenn ich wieder weg bin.“




***




Nachdem er Jan abgehandelt hatte, wandte Frank sich seinem anderen Enkel zu: „Und, Ben, wie geht es dir?“
„Gut, wie immer, Opa.“
Annika trat zu ihnen. „Hast du denn mittlerweile eine kleine Freundin?“ Alles was an der Frage noch fehlte, war, dass sie ihm in die Wange kniff. Deshalb zögerte er auch nur einen ganz kleinen Moment, bevor er antwortete: „Nein, Oma, ich hab keine Freundin, aber ich hab einen Freund. Ich denke, ich bin schwul.“
Sämtliche Gespräche im Umkreis von fünf Metern, also alle Gespräche, verstummten und Frank und Annika starrten ihn mit offenen Mündern entgeistert an. Ups. Vielleicht war das doch ein bisschen zu viel gewesen. „Ähm, das war ein Scherz, sorry.“ Ben sah sich kurz um und musste grinsen, als er die ganzen versteinerten Gesichter um sich herum sah.
Glücklicherweise erfassten Lena und Jan, die genau wussten wie ihre Großeltern waren, die Situation sofort und brachen in schallendes Gelächter aus, was die ganze Sache merklich entspannte.
„Also wirklich, Ben, das war geschmacklos“, sagte seine Oma jetzt tadelnd und sein Opa nickte dazu.
„Ach was, Oma, wäre es dir lieber, wenn es kein Scherz gewesen wäre?“
Leider kam in diesem Moment seine Mutter und forderte ihn auf mit ihr ins Haus zu kommen um Getränke zu holen, er hätte die Antwort seiner Oma zu gerne gehört. Rebecca führte ihn jedoch mit eisernem Griff ins Haus und es war eindeutig, dass sie sauer war. Kaum drinnen sagte sie dann auch: „Wirklich Ben, musste das sein?“
„Mama, sie haben angefangen!“ verteidigte er sich.
„Sie freuen sich einfach nur ihre Enkel zu sehen, und ihr seid alle drei rotzfrech.“
„Das stimmt überhaupt nicht. Lena hat noch gar nichts zu ihnen gesagt“, gab Ben aufgebracht zurück. Rebecca konnte ein Lachen nicht ganz unterdrücken, als sie antwortete: „Lena meine ich auch nicht. Deinem Vater würde ein wenig mehr Zurückhaltung allerdings nicht schaden. Kein Wunder, dass ihr alle denkt euer Verhalten wäre in Ordnung, wenn er euch so ein Vorbild ist.“
„Mama“, Ben verdrehte die Augen, "als bräuchten wir Papa um Oma und Opa die richtigen Antworten zu geben.“
Rebecca schüttelte resigniert den Kopf. „Tu mir wenigstens den Gefallen und lass es für heute gut sein, ok?“
Er lachte fröhlich. „Klar, ich wüsste eh nicht womit ich sie jetzt noch schocken sollte.“






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Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 24.12.2010

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