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Begierig zu sehn, in welches Meer der Strom mündet
Hast du dein Licht an beiden Seiten angezündet
Nun ringt es flackernd um seinen Schein
Mein fernes, mein geliebtes Kind, schlaf ein.


(Reinhard Mey, Drachenblut aus dem Album Mairegen)




„Hallo.“
Ganz selbstverständlich blieb das Mädchen neben ihm stehen. Erstaunt sah er sie an und erwiderte ihren Gruß: „Hallo.“
Hier war lange niemand mehr vorbei gekommen, zumindest glaubte er das. Er war sich eigentlich nicht ganz sicher wie lange er schon hier stand. Wenn jemand vorbei kam, hatte er immer das Gefühl als hätte er seit einer Ewigkeit keinen anderen Menschen mehr gesehen. Aber gleichzeitig fühlte es sich eben auch nicht so an, als würde er schon lange hier stehen. Es konnte ja schon alleine deshalb nicht so lange sein, weil schließlich niemand bis in alle Ewigkeit an einer staubigen Straße stehen und in die eine Richtung spähen konnte ohne jemals etwas anderes zu tun. Und er konnte sich nicht erinnern seit er hier war etwas anderes getan zu haben

.
„Wie heißt du?“
Wieder sah er das Mädchen überrascht an. Die meisten Leute die hier vorbeikamen, beachteten ihn überhaupt nicht. Es war schon ein Wunder wenn sie ihn grüßten, aber wirklich noch keiner hatte bisher nach seinem Namen gefragt.
„Max“, antwortete er und starrte wieder auf das Licht am weit entfernten Ende der Straße. Erst etwas später fiel ihm ein, dass er sie vielleicht auch nach ihrem Namen fragen sollte. Er hatte nicht darüber nachgedacht, schließlich hatte er sich ja auch lange nicht mehr mit jemandem unterhalten. Aber das würde er jetzt wieder gut machen: „Und wie heißt du?“
Sie zuckte die Schultern. „Das weiß ich nicht mehr?“
Überrascht riss er die Augen auf und betrachtete das Mädchen nun etwas genauer. „Wieso weißt du das nicht mehr? Jeder weiß doch seinen Namen!“
Sie war etwas kleiner als er und spargeldürr und ihr weißes Kleid war schon ziemlich schmutzig.
Wieder zuckte sie unbekümmert die Schultern. „Ich nicht.“
Langsam regte sie ihn auf, jeder wusste doch schließlich seinen Namen! Das konnte doch gar nicht anders sein! So ein Blödsinn, man musste seinen eigenen Namen wissen! Doch bevor er ihr das sagen konnte, fragte sie: „Warum stehen wir denn hier und gucken da vorne hin?“
„Ich stehe hier, weil ich eben hier stehen möchte und was du hier machst, weiß ich nicht!“ motzte er sie an. Er hatte eigentlich gedacht, dass sie danach endlich weiter gehen und ihn in Ruhe lassen würde, aber sie schien es ihm nicht übel zu nehmen. Sie blieb einfach stehen und wieder starrten sie schweigend Seite an Seite auf das Licht am Ende der Straße.
„Aber willst du nicht irgendwann mal weiter gehen?“ fing sie schließlich wieder an zu fragen.
„Nein!“ sagte er schroff. Und dachte dann er hätte es eigentlich wissen müssen, als sie weiter fragte: „Aber ist das nicht ziemlich langweilig, nur so rumzustehen?“
„Du kannst ja gehen!“ zischte er sie an. Sie sollte ihn endlich in Ruhe lassen, er war schließlich nicht hier um mit ihr zu quatschen.
„Hm, ich trau mich aber nicht“, gab sie jetzt zu bedenken.
Gut, das war ja kein Wunder, dachte Max, man konnte von jemandem der nicht einmal seinen Namen wusste ja wohl nicht erwarten, dass er besonders mutig war. Sie sah ihn an. „Und wieso gehst du nicht?“
„Weil ich mich noch nicht entschieden habe“, antwortete er und augenblicklich kam eine neue Frage von ihr zurück: „Wofür entschieden?“
„Für die Richtung!“
„Aber es gibt doch nur eine“, sie sah ihn verwirrt an und beinahe wäre ihm entgangen, dass sie diesmal eigentlich keine direkte Frage gestellt hatte, weil er gerade so genervt von ihr war. Aber dann fiel ihm doch auf was sie gesagt hatte und jetzt sah er sie verwirrt an und drehte sich auf der Straße um. Ja, da war es noch, stellte er beruhigt fest, und drehte sie ebenfalls in diese Richtung. „Nein, man kann doch auch in die andere Richtung gehen.“
Sie sah ihn seltsam an, dann sah sie in die Richtung die er ihr zeigte, dann sah sie wieder ihn an: „Aber da ist nichts. Von da komme ich doch. Bei jedem Schritt ist die Straße hinter mir ein Stückchen mehr verschwunden.“
Max lief ein kleiner Schauer über den Rücken und er sah besorgt die Straße entlang. Aber er konnte kein Nichts entdecken, er sah immer noch die Straße und am Ende, viel näher als auf der anderen Seite, das Licht.
Dieses Licht war etwas anders als das auf der anderen Seite, es war nicht ganz so hell und strahlend und aufregend, es war etwas wärmer und heimeliger und auch ein bißchen langweiliger. Es war wie der Unterschied zwischen einem Kaminfeuer und der Sonne. Deshalb sah er ja die ganze Zeit in die andere Richtung.
„Da ist nicht Nichts“, klärte er das Mädchen jetzt besserwisserisch auf, „da ist auch ein Licht… und ein Weg der zu ihm hin führt.“
Sie seufzte leise, dann sah sie ihn mir großen sehnsüchtigen Augen an: „Für mich ist da Nichts. Du hast es gut... Wieso gehst du nicht zurück?“
„Zurück?“ Wieder warf Max einen Blick hinter sich, diesmal allerdings fast ein bißchen nervös. „Ich… ich weiß nicht… ich will nicht.“
„Du willst nicht?!“ Sie klang schockiert und Max fuhr erschrocken zusammen. Er starrte Sie verwirrt an, warum schrie sie denn so? Und wieso führte sie sich überhaupt so auf? „N… Nein…ich glaube nicht“, antwortete er deshalb ein wenig verdattert.
„Aber wieso denn nicht?“
Er hatte sich wieder etwas gefangen und wurde nun böse, weil er ja eigentlich selbst nicht wusste, wieso er nicht endlich ging. Aber das wollte er vor ihr natürlich nicht zugeben. Und überhaupt, ging es sie ja auch gar nichts an.
„Es ist langweilig!“ schnauzte er.
Daraufhin hielt sie endlich den Mund. Wahrscheinlich hatte sie gemerkt, dass sie ziemlich nervig war. Gut so, vielleicht würde sie dann auch endlich weiter gehen. Er ignorierte sie so gut er konnte und sah wieder auf sein Licht.
Doch sie ging nicht weiter. Nach ein paar Minuten wurde er nervös. Was sollte das denn? Wollte sie ewig hier stehen bleiben? Vorsichtig sah er sie von der Seite an. Sie starrte zurück und schniefte ein wenig und eine Träne lief ihr über die Wange.
„Was… was ist denn?“ fragte er etwas beklommen.
Sie zog die Nase hoch. „Es ist nicht langweilig. Es ist schön“, sagte sie dann leise. „Ich will wieder zu meiner Mama.“
Wieder sah er hinter sich und fragte dann: „Ist sie da hinten?“
Sie nickte: „Ja, und ich kann nicht mehr zurück.“
Plötzlich tat sie ihm leid. „Aber vielleicht ist sie ja vorgegangen und wartet schon auf dich“, versuchte er sie zu trösten und deutete auf das ferne Licht vor ihnen.
„Nein“, sie schüttelte den Kopf. „Sie ist da geblieben und ich wollte auch, aber ich konnte nicht…“
„Aber, wieso denn nicht?“
„Ich weiß nicht…“, stotterte sie, „ich… ich konnte eben nicht.“ Sie sah ihn an: „War es denn bei dir anders?“
Max überlegte angestrengt. Wie war es bei ihm gewesen? Wie war er hier her gekommen? Es war schon so lange her. Zumindest glaubte er das. So sehr er es auch versuchte, er konnte sich einfach nicht erinnern. Er war einfach auf einmal da gewesen. Das sagte er ihr schließlich auch und sie sah ihn erstaunt an und fragte wieder: „Aber warum bist du denn nicht einfach zurück gegangen?“
„Ich wollte nicht.“ Max zuckte die Schultern, dann fügte er nach einem kurzen Zögern hinzu: „Glaube ich.“
„Aber vermisst du deine Mama gar nicht?“ wollte sie wissen.
„Nein“, sagte er schnell, eine Sekunde später gab er zu: „Doch schon. Ein bißchen.“
„Ich vermisse meine Mama ganz schrecklich“, sagte sie und begann wieder zu weinen.
Schüchtern legte Max ihr eine Hand auf die Schulter, weil er nicht wusste was er sonst tun sollte. „Bestimmt kommt sie dir bald hinter her. Sie vermisst dich doch auch.“ Langsam versiegten ihre Tränen und Max überlegte fieberhaft wie er sie ablenken könnte. Da ihm nichts Besseres einfiel, fragte er schließlich: „Weißt du wirklich nicht mehr wie du heißt?“
„Ich heiße…“ begann sie und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. „Ich heiße…“ versuchte sie es noch einmal, doch wieder brach sie ab um schließlich zu erklären: „Ich weiß es einfach nicht mehr.“
Wieder liefen ihr Tränen über die Wangen und sie ließ sich schluchzend auf den Boden plumpsen. Verzweifelt kniete Max sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. „Wein doch nicht. Das ist doch nicht so schlimm. Wir überlegen uns einfach einen neuen Namen für dich. Dann hast du wieder einen.“
Sie sah ihn hoffnungsvoll an: „Ja, wirklich? Geht das denn so einfach?“
Er nickte heftig. „Natürlich geht das!“ sagte er im Brustton der Überzeugung, obwohl er sich eigentlich nicht so sicher war, ob das wirklich einfach so ging, aber er wollte, dass sie aufhörte zu weinen.
„Und welchen Namen geben wir mir?“ fragte sie jetzt aufgeregt.
Max zuckte die Schultern: „Hm, vielleicht... Lulu?“ So hieß seine Schwester, deshalb war es der erste Name der ihm in den Sinn kam. Er hatte Lulu lange nicht gesehen. Als er jetzt an sie dachte, merkte er, dass er sie vermisste. Er hätte jetzt gerne mit ihr gespielt. Sie war lustig. Und manchmal fast so nerv tötend wie das kleine Mädchen neben ihm. Aber gerade fand er das gar nicht schlimm als er an sie dachte. Im Gegenteil, er merkte dadurch, dass ihm eigentlich ein bißchen langweilig war, hier so alleine in der Einöde.
Aber da wurde er daran erinnert, dass er ja im Moment gar nicht alleine war. „Nein, Lulu mag ich nicht so gern.“ Sie verzog ein bißchen das Gesicht. „Es klingt so… dunkel… und ich bin doch eher hell.“ Sie deutete auf ihr zerrissenes schmutziges weißes Kleidchen.
Er nickte, ja, irgendwie war sie wirklich hell. Nicht nur ihr Kleid. Auch der Rest von ihr. Sie nervte zwar ziemlich, aber eigentlich war es gar nicht so schlimm, dachte Max jetzt. Sie nervte eher so wie ein Sonnenstrahl, der einem Mitten ins Gesicht scheint, so dass man nichts mehr sehen kann. Er nervt, aber er ist trotzdem ein Sonnenstrahl.
„Ich glaube, ich will lieber Lilli heißen“, sagte sie jetzt. „Das ist fast wie Lulu, nur anders.“
Max nickte. Er war zufrieden mit seiner Leistung, denn jetzt lächelte sie wieder.
Fröhlich hielt sie ihm ihre Hand hin: „Hallo Max, ich bin Lilli.“
Er musste lachen. „Hallo Lilli“, antwortete er und schüttelte ihre Hand.
Sie saßen nebeneinander auf dem Boden und sahen sich an. „Und was machen wir jetzt?“ fragte Lilli neugierig.
Max zuckte die Schultern. Woher sollte er das wissen? Er hatte sich schließlich schon lange keine Gedanken mehr darüber gemacht was er tun sollte. Schließlich tat er ja immer nur dasselbe.
„Wir könnten was spielen“, schlug Lilli vor und sah sich um. „Aber eigentlich sieht es nicht so aus, als könnte man hier gut spielen. Vielleicht wenn wir weiter gehen…“ Sie sah in Richtung des Lichts.
„Nein!“ Max sah sie erschrocken an. „Ich kann nicht weiter gehen.“
„Aber warum denn nicht?“ fragte sie überrascht. „Du kannst doch nicht für immer hier bleiben. Du musst doch irgendetwas machen, Max.“
„Ich hab´s dir doch schon gesagt“, jetzt nervte sie ihn doch wieder, „ich will mich nicht entscheiden!“
„Aber das geht doch nicht, wenn du dich nicht entscheidest, dann kommst du doch nie irgendwo an, dann erreichst du doch nie ein Ziel.“
„Aber vielleicht will ich ja gar kein Ziel erreichen!“ rief Max wütend.
Lilli sah ihn erstaunt an und auch ein kleines bißchen fasziniert: „Wirklich nicht? Ich dachte jeder will irgendetwas?“
„Ich nicht“, erklärte Max, gab dann aber zu: „obwohl, doch, was ich will, ist, mich nicht zu entscheiden.“ Er nickte bekräftigend.
Lillis Blick schweifte nachdenklich hin und her und sie schwieg einen Moment, schließlich fragte sie aber doch: „Und wieso willst du dich nicht entscheiden?“
Jetzt war es an Max eine Zeitlang zu überlegen. Eigentlich war das gar keine so blöde Frage. Er hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, warum er das nicht wollte... Aber wenn er überlegte, dass er in die eine oder andere Richtung ging, dann kam es ihm falsch vor und er wusste, dass er das nicht

wollte, egal um welche der Richtungen es sich handelte. „Ich glaube“, erklärte er jetzt langsam, „das Schlimme ist nicht mich zu entscheiden, das Schlimme ist, es zu tun. Ich möchte einfach nirgendwo ankommen.“ Ja, genau das war es, stellte er fest nachdem er es ausgesprochen hatte. „Weißt du, wenn man ankommt ist die Reise vorbei und es geht nicht mehr weiter. Das mag ich nicht. Es ist viel schöner unterwegs zu sein, dann stehen einem noch alle Möglichkeiten offen.“
Lilli sah ihn seltsam an und plötzlich streckte sie die Hand aus und strich ihm über die Haare. „Du tust mir leid, Max“
Er sah sie überrascht an und wich ihrer Hand aus: „Warum das denn?“
„Weil du so niemals zur Ruhe kommst.“
„Aber ich sitze doch hier ganz in Ruhe“, sagte er verwirrt und schaute auf den staubigen Boden rund um ihn herum.
„Ja, aber nur, weil du ja gerade angekommen bist

. Gerade hast du dich entschieden hier zu bleiben, zumindest noch ein bißchen, mit mir. Aber wenn ich weiter gehe, dann stehst du doch wieder da und guckst und dann bist du ja wieder unterwegs.“ Sie lachte auf einmal auf: „Das ist lustig, du bist unterwegs obwohl du dich kein Stück fortbewegst.“
Obwohl er es nicht wollte, musste er auch ein bißchen lachen. „Ich mache eben eine unendliche Reise“, sagte er schließlich.
Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander und Lilli begann mit den Fingern ein Bild in den Straßenstaub zu malen. Ein Haus und einen Baum und ein winkendes Strichmännchen. Dann sah sie Max auf einmal traurig an. „Aber weißt du was seltsam ist? Wenn du an einem Ziel ankommst, dann geht dein Leben weiter, aber solange du auf Reisen bist steht es still.“
„Wie meinst du das?“
„Naja, du lebst ja nicht, wenn du unterwegs bist. Nichts ändert sich für dich, weißt du..., weil du ja im Urlaub bist.“ Sie sah ihn immer noch traurig an: „Weißt du eigentlich heißt es, dass du Angst hast dein Ziel zu erreichen, weil es da dann weiter geht und weil du dich dann wieder für etwas entscheiden musst, nicht wie du gesagt hast, weil es dann nicht

weiter geht.“ Sie verwischte ihr Bild im Sand. „Es heißt, du hast einfach nur Angst dich zu entscheiden.“
„Ich hab keine Angst!“ rief Max aufgebracht und sprang auf seine Füße. „Ich hab vor gar nichts Angst!“
Lilli sah zu ihm hoch. Sie hatte den Kopf schief gelegt und sah aus, als würde sie ihm nicht glauben. Deshalb schrie er sie an: „Ich heule immerhin nicht die ganze Zeit nach meiner Mama!“
Nun stand sie ebenfalls auf und sah ihn böse an: „Ja, aber das brauchst du auch nicht, du kannst ja immer wieder zu ihr zurück.“ Dann streckte sie ihm die Zunge heraus und fügte hinzu: „Zumindest könntest du das wenn du nicht so viel Angst hättest!“
„Ich hab keine Angst!“ schrie Max wieder. „Und ich beweis es dir, ich geh nämlich jetzt zurück!“ Schnell drehte er sich um und lief auf das dunkle gemütliche heimelige Licht zu, das bisher hinter ihm gelegen hatte.
Nach ein paar Schritten sah er sich noch einmal nach ihr um. Sie sah ängstlich aus und er ging ein bißchen langsamer.
„Max?“ sie klang

auch ängstlich. Ha, dachte er mit etwas Genugtuung, wer hatte hier Angst? „Max?“
„Ja?!“ rief er unfreundlich über die Schulter zurück, denn so schnell würde er ihr nicht verzeihen.
„Bist du noch da?“
Er drehte sich zu ihr um: „Natürlich bin ich noch da, bist du blind?“ Er war doch erst ein paar Schritte von ihr entfernt.
„Nein, also Ja“, sagte sie immer noch bange. „ich kann dich nicht mehr sehen. Du bist einfach im Nichts verschwunden.“
Ein kleiner Schauer überlief ihn wie schon vorhin, als sie das Nichts zum ersten Mal erwähnt hatte, und er sah sich schnell um um sich zu vergewissern, dass er nicht wirklich im Leeren stand. Dann ging er langsam und vorsichtig zu ihr zurück. Als er direkt neben ihr stand, zuckte sie erst zusammen, dann sagte sie erleichtert: „Da bist du ja wieder.“
„Ich war ja noch gar nicht weg“, sagte er mit einem Schulterzucken.
„Willst du denn jetzt wieder nachhause gehen?“ fragte Lilli.
„Vielleicht.“
„Hm, ich sollte wohl auch weiter gehen“, vorsichtig warf sie einen Blick die Straße entlang. „Ich kann ja nur in die eine Richtung.“
„Mhm“, Max folgte ihrem Blick und war ein bißchen neidisch. Er war schon viel länger hier als sie, aber wenn sie jetzt weiter ging, dann wäre sie vor ihm bei dem Licht und wüsste was danach kam. Dabei war er doch derjenige, der sich danach sehnte dorthin zu gehen. Sie wäre ja viel lieber wieder umgekehrt.
„Ich hab Angst.“
Er hatte es doch gewusst! Sie war der Feigling, nicht er!
„Soll ich mitkommen?“ bot er großzügig an.
„Würdest du das machen?“ sie sah ihn hoffnungsvoll an und er bereute schon fast, dass er es angeboten hatte. Jetzt musste er ja mitgehen, sonst würde sie wieder denken, dass er feige war.
„Ja, natürlich“, er nickte.
Sie sah erleichtert aus, doch dann verfinsterte sich ihr Gesicht auf einmal: „Aber das geht nicht. Du musst in die andere Richtung gehen.“ Er sah sie verständnislos an und sie fuhr fort: „Du musst in die andere Richtung gehen, weil du es kannst

.“
„Aber wenn ich es nicht will…?“ gab er zu bedenken.
„Hm, willst du es denn nicht?“
„Keine Ahnung, ich weiß es doch auch nicht.“
Einen Moment standen sie wieder schweigend da, dann sagte Lilli schließlich: „Ich glaube, du hast Recht, Max, ich habe mich geirrt. Du hast keine Angst dich zu entscheiden. Du weißt nur einfach nicht was du willst.“
Max überlegt kurz ob er wieder wütend werden sollte, entschied sich dann aber dagegen und gab ihr stattdessen Recht: „Stimmt, das weiß ich wirklich nicht. Aber hab ich das nicht die ganze Zeit gesagt?“
Lilli zuckte die Schultern: „Kann sein.“ Dann sah sie wieder in Richtung des hellen Lichts.
Max sah ebenfalls hin. Er wollte wissen was dort war. Er wollte es unbedingt. Es war eine andere Welt, ganz ohne Zweifel. Doch er musste nicht hinter sich sehen um zu wissen welche Welt dort lag. Die Welt die er kannte. Er sollte mit Lilli gehen und das Unbekannte entdecken. Aber was, wenn er wirklich irgendwann nicht mehr umkehren konnte? Was wenn die andere Welt ihm nicht gefiel und er zurück wollte, aber nicht konnte? Oder wenn sie ihm gefiel, aber er Heimweh bekam?
„Max, ich werde jetzt gehen“, sagte Lilli auf einmal fest. „Du kannst mitkommen, wenn du willst, aber du kannst auch in die andere Richtung gehen.“
„Hm“, unentschlossen sah er vom einen Ende der Straße zum anderen und dann zu Lilli.
„Du kannst auch hier stehen bleiben“, erklärte sie aufmerksam, „aber ich glaube, dann wirst du vielleicht niemals glücklich sein oder unglücklich. Ich glaube, dann bist du irgendwie Nichts.“

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 25.10.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
"der Lonely Planet hat mein Leben zerstört" ...ein kleines bißchen für meinen Mitbewohner :) ...

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