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Prolog

Rebecca atmete tief durch und sah sich aufgeregt um. Außer ihr standen nur noch ihr Vater und der Pfarrer im Kirchenportal.
Nervös strich sie ihr Kleid glatt. Obwohl das eigentlich überflüssig war. Sie sah perfekt aus, zumindest hatten ihre Mutter, ihre Schwiegermutter und ihre beiden Schwägerinnen das behauptet.
Ihre „Schwägerinnen“, wie alt sich das anhörte... Und genau betrachtet war sie mittlerweile ja auch schon alt, naja, alt vielleicht nicht gerade, aber sie hatte bereits einen dreijährigen Sohn.
Sie konnte kaum glauben, dass es schon drei Jahre her war, seit Jan zur Welt gekommen war. Es hörte sich kitschig an, aber er war ihr ein und alles. Sie hätte nie gedacht, dass sie jemanden so lieben könnte, wie sie ihren Sohn liebte. Es war eine völlig bedingungslose Liebe, die ganz automatisch gekommen war und sie konnte sich nicht einmal vorstellen, dieses Gefühl jemals nicht empfunden zu haben. Und das war definitiv einer der Hauptgründe, weshalb sie jetzt hier stand.
Oliver hatte von Anfang an darauf gedrängt zu heiraten, doch sie hatte sich geweigert. Heute wusste sie selbst nicht mehr so genau warum. Irgendwie hatte sie sich damals noch nicht bereit gefühlt, für die Ehe. In den letzten drei Jahren hatte sich jedoch einiges geändert. Sie war erwachsen geworden. Hatte erwachsen werden müssen. Genau wie Oliver. Und nachdem sie nun schon so lange mit ihm zusammenlebte, konnte es für sie gar keinen anderen Weg geben als seine Frau zu werden.
Außerdem wäre es auch für Jan schöner, wenn er älter würde und seine Eltern denselben Namen trügen. Und so hieß sie seit heute Morgen nicht mehr Rebecca Holtmann sondern Rebecca Spengler. Sie hatte nicht erwartet, dass es einen solchen Unterschied für sie machen würde doch sie spürte, wie es in ihrem Bauch kribbelte allein bei dem Gedanken, dass sie Oliver ab heute als ihren Ehemann würde bezeichnen können.
Und noch etwas spürte sie in ihrem Bauch, neben der langsam aufsteigenden Übelkeit als ihr Vater jetzt nach ihrem Arm griff und sie gemessenen Schrittes durch die nahezu voll besetzten Bankreihen auf den Altar zu führte. Gleichzeitig war sie stolz und aufgeregt. Sie lächelte Oliver zu, der bereits am Altar auf sie wartete. Und kurz musste sie über seine Ahnungslosigkeit schmunzeln. Er wusste noch nicht, was sie wusste. Ihr war Übel vor Aufregung, aber das war nicht der einzige Grund. Noch acht Monate und Jan würde ein Geschwisterchen bekommen. Sie würde es Oliver heute Nacht erzählen, als Hochzeitsgeschenk sozusagen.

Oliver warf einen Blick zu Rebecca rüber, die mit Jan auf dem Arm eine Runde zwischen den Gästen drehte. Er war so verdammt stolz. Wie sie da stand in ihrem langen weißen Kleid, seinen Sohn auf dem Arm und die langen glänzend braunen Haare, die ihr den Rücken herabfielen.
„Haaallooo, Erde an Bräutigam!“ Sophie fuchtelte ihm mit der freien Hand vor den Augen herum, „Man sollte meinen, in den letzten drei Jahren hättest du dich irgendwann an den Anblick gewöhnt...“, neckte sie ihn.
Er grinste auf seine kleine Schwester runter: „Gewöhnt schon, aber noch nicht dran satt gesehen.“
„Gut, sonst hätte ich mir auch ziemliche Sorgen gemacht, wenn ich ehrlich bin“, Sie lächelte doch dann wurde ihr Gesicht plötzlich ernst: „Irgendwie ist es komisch, jetzt bist du endgültig weg“, Sie zögerte einen Moment, doch nicht lange genug, dass er etwas hätte erwidern können „Weißt du eigentlich, dass ich ziemlich eifersüchtig war, als du damals ausgezogen bist?“
Er sah sie erstaunt an: „Eifersüchtig? Warum?“
„Naja,...“ Sie warf ihm einen schüchternen Blick zu, was eigentlich gar nicht zu ihr passte, „....du bist immerhin mein großer Bruder und plötzlich warst du weg und hattest dich um soviel anderes zu kümmern.“ Sie machte eine kurze Pause. „Aber eigentlich wollte ich dir nur sagen: Du hast das Alles echt gut hingekriegt, und ich freue mich wirklich für euch.“
„Danke.“ Er nahm sie kurz in den Arm. Nie hätte er vermutet, dass seine Schwester so empfand. Er hatte immer nur darüber nachgedacht, wie groß die Veränderung damals für ihn gewesen war und für Rebecca. Dass sie auch andere Menschen beeinflusst hatten, war ihm nie bewusst gewesen. Zumindest nicht so sehr.
Doch jetzt hatte er keine Zeit viel darüber nachzudenken.
Gerade kam Rebecca auf ihn zu, den Kleinen hatte sie seiner Mutter in den Arm gedrückt. Sie blieb vor ihm stehen und lächelte schelmisch: „Es ist Zeit für den Walzer, mein Schatz!“
Er riß in gespieltem Entsetzen die Augen auf: „Bitte nicht!“ Sie hatte ihn gezwungen Tanzen zu lernen. Er hatte herumgemosert und zugegeben, er konnte sich Besseres vorstellen, aber wenn er ehrlich war, dann freute er sich eigentlich darauf den Hochzeitswalzer mit ihr zu tanzen. Er würde es ihr nicht verraten, aber er fand es romantisch. Und so wehrte er sich auch nicht wirklich, als sie ihn nun hinter sich herzog auf die Tanzfläche.

Um vier Uhr nachts schließlich saßen sie nur noch mit ein paar besonders hart gesottenen Freunden in einer Runde. Manu und Timm waren natürlich dabei, genau wie David, Stephan und Olivers Schwestern.
Manu grinste: „Wisst ihr eigentlich, dass Timm und ich länger zusammen sind, als ihr beide? Schon komisch, wenn ich mir überlege, dass ihr jetzt verheiratet seid...“ Sie warf Timm einen Blick zu und der sagte, zur allseitigen Erheiterung: „Komm bloß nicht auf dumme Ideen, mich kriegst du ganz bestimmt nicht so schnell zum Tanzen!“
Oliver spürte, wie Rebeccas Kopf langsam gegen seine Schulter sank. Er drehte sich zu ihr um: „Hey, sollen wir uns langsam mal verdrücken?“ Ihre Antwort war ein lautes Gähnen, woraufhin Paula über den Tisch hinweg rief: „Das hier ist eure Hochzeit, ihr wollt doch wohl nicht schlapp machen?!“
Oliver ließ sich nicht von seiner Schwester beirren: „Vergiss es Paula, das ist gerade unsere Hochzeitsnacht!“ Mit einem vielsagenden Grinsen zog er Rebecca von ihrem Stuhl hoch und gab ihr einen stürmischen Kuss.
„Ach ja, babyfreie Zeit...“ meinte Stephan grinsend und unterbrach damit Paula, die noch etwas hatte sagen wollen „...da bleibt uns ja wohl nur noch euch viel Spaß zu wünschen.“ Unter erneuten Glückwünschen und Verabschiedungen flohen Rebecca und Oliver aus dem Saal. Sie verabschiedeten sich von den Wirtsleuten, doch als Oliver ein Taxi rufen wollte, hielt Rebecca ihn auf. „Lass, ich kann noch fahren.“
Er sah sie verwirrt an: „Wie, du kannst noch fahren? Das ist unsere Hochzeit...“
Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Ich weiß.“ Damit ließ sie ihn stehen und ging auf den Parkplatz hinaus. Doch bevor sie ihr Auto aufschließen konnte, beschleunigte er seine Schritte und hielt sie am Arm fest. „Das ist nicht dein Ernst, oder? Ich bin drauf und dran dich wieder reinzuschleifen und so lange abzufüllen, bis du garantiert nicht mehr Auto fahren kannst.“
Sie sah ihn streng an: „Sei nicht albern, ich war einfach zu aufgeregt um viel zu trinken.“
Diese Antwort schien er einigermaßen zu akzeptieren, denn er verlor kein Wort mehr über die Angelegenheit, während sie auf dem Heimweg waren. In ihrer Wohnung erwartete sie dann noch ein Schlafzimmer voller Luftballons, vermutlich das Werk von Paula und Sophie. Jan würde seine helle Freude daran haben, wenn Rebeccas Eltern ihn am nächsten Tag nach Hause brachten.
Nachdem sie ihr Bett freigeschaufelt hatten, ließ Rebecca sich erschöpft darauf fallen. Oliver knöpfte sein Hemd auf und grinste zufrieden auf sie runter. „Na, müde?“
„Total fertig!“ gab sie zurück und drehte sich auf den Bauch um. „Auf machen!“ stöhnte sie erschöpft. Sie spürte, wie er neben ihr auf das Bett sank und sich über sie beugte. Sanft strich er ihr die Haare aus dem Nacken und machte sich an den Schnüren ihres Kleides zu schaffen. Wo der schwere Satinstoff auseinander glitt, hauchte er ihr sanfte Küsse auf die Haut. Kurz über ihrem Po endete der Verschluß und Oliver zog sich ein wenig zurück als er dort angekommen war. Sie drehte sich auf den Rücken um und zog ihn über sich. Langsam strichen seine Lippen über Ihre, während seine Hände zu ihren Brüsten wanderten.
„Ich liebe dich.“ hauchte sie an seinem Mund. „Dito“ gab er leise zurück, bevor seine Zunge sanft in ihren Mund glitt. Der Kuss wurde schnell wilder und es dauerte nicht lange, bis sie ihr Hochzeitskleid los war. Er wandte sich kurz von ihr ab, um Hemd und Hose achtlos abzustreifen. Sie nutzte die Gelegenheit um sich aufzustützen. „Übrigens, ich habe noch ein Geschenk für dich...“ Er drehte sich um und grinste sie an, dann sagte er, nachdem er sie vielsagend gemustert hatte: „Das sehe ich!“ Sie lachte und streckte die Hand nach ihm aus. Er sank wieder neben sie und zog sie lächelnd an sich. Sie versank ganz in seiner Aufmerksamkeit und beschloss erst einmal zu genießen, bevor sie ihr Vorhaben für diese Nacht verwirklichen würde. Etwas später lag sie schwer atmend in seinem Arm. „Bist du glücklich?“ fragte sie leise.
Er lächelte sie zärtlich an: „Hey, davon träume ich seit drei Jahren, ich könnte nicht glücklicher sein.“
„Gut, denn ich habe noch sowas wie ein Geschenk für dich...“
„Was? Noch eins?“ neckte er sie.
Sie beachtete seinen Einwurf nicht, sondern ergriff statt dessen seine freie Hand. „Weißt du, es ist was worüber wir schonmal gesprochen haben...“ Sie spielte mit seinen Fingern herum. „... und eigentlich waren wir uns einig, dass wir das jetzt noch nicht wollten...“ Langsam führte sie seine Hand abwärts. „...aber jetzt ist es eben doch passiert.“ Sie legte seine Hand leicht auf ihren Bauch und sah ihn erwartungsvoll an.
Er betrachtete sie einen Moment, bevor er den Mund aufmachte: „Vermutlich liegt´s daran, dass ich etwas mehr getrunken habe als du, aber wovon sprichst du eigentlich?“
„Oh Mann,...“ stöhnte sie belustigt „... da versucht man schonend dir was beizubringen und du verstehst nur Bahnhof! Auf was hab ich mich da nur eingelassen?“
Er grinste: „Tja, vielleicht sagst du nächstes Mal einfach: Schatz, wir bekommen ein Baby. Das wär doch mal was Neues.“
Sie riss überrascht die Augen auf, dann boxte sie ihm leicht in den Bauch. „Du hast mich verarscht, du Blödmann!“
Als er sich von dem darauffolgenden Lachanfall erholt hatte und sie beide wieder halbwegs ernst waren, fragte sie gespannt: „Und, was sagst du?“
Er runzelte die Stirn: „Naja, wie du schon meintest, wir wollten mit dem nächsten Kind eigentlich noch ein bißchen warten.“ Er zuckte die Schultern. „Aber für Jan ist es doch auch ganz schön, wenn er endlich ein Geschwisterchen bekommt.“ Er lächelte. Sie beugte sich vor und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. „Danke!“
Er musterte sie belustigt: „Wofür? Dafür, dass ich dich schon wieder geschwängert hab?“
Sie lachte: „Nein, dafür, dass du dich freust, auch wenn es immer noch nicht so ganz der richtige Zeitpunkt ist.“

Kapitel 1

Nachdem sie es sich am nächsten Morgen endlich nochmal gegönnt hatten auszuschlafen und dann gemütlich im Bett zu frühstücken, begannen sie zu packen. Es würden wohl keine richtigen Flitterwochen werden, aber ein paar Tage an der Meer waren ja auch ganz schön.
Sie packte gerade Jans Spielsachen zusammen als Oliver leise hinter sie trat und sie umarmte. Sie hielt in ihrer Bewegung inne und schmiegte sich an ihn. Seine Hand strich zärtlich über ihren Bauch: „Wissen deine Eltern schon davon?“
Sie drehte sich zu ihm um. „Nein, ich wollte es zuerst meinem Mann erzählen.“ Sie runzelte die Stirn. „Meinst du wir sollten es ihnen gleich erzählen, wenn sie Jan herbringen?“
Ihre Eltern hatten sich bereit erklärt auf Jan aufzupassen, damit Rebecca und Oliver etwas Zeit für sich hatten. Die beiden waren durch Jan regelrecht aufgeblüht. Obwohl sie anfangs Probleme gehabt hatten, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ihre Kleine ein Kind bekommen würde, hatten sie Jan vom ersten Augenblick an vergöttert. Und auch ihr Verhältnis zueinander hatte sich seltsamerweise verbessert, seit sie gemeinsam Zeit mit ihrem Enkelkind verbrachten.
Bevor Oliver Rebecca antworten konnte klingelte es an der Tür. Sie löste sich von ihm und sah sich gehetzt um. „Mist, sie sind schon da! Was sagen wir ihnen denn jetzt?“ Sie lief aus dem Zimmer auf die Wohnungstür zu und Oliver machte einen schnellen Schritt nach vorn um sie am Arm zu nehmen und zurückzuhalten. Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen und sagte dann schnell: „Mach dich nicht verrückt. Wir sagen ´s ihnen einfach erst, wenn wir wieder zurück sind.“
Sie nickte kurz, dann drückte sie auf denn Summer und öffnete die Tür.

„Mama!“ Jan drängte sich so stürmisch an Rebeccas Beine als hätte er sie seit Wochen nicht gesehen. Sie hob den Kleinen hoch und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, dann trat sie beiseite um ihre Eltern hereinzulassen. Die Beiden stellten Jans Sachen und seinen Autositz in den Flur und folgten Rebecca dann ins Wohnzimmer. „Wollt ihr was trinken? Vielleicht einen Kaffee?“ fragte sie, während sie Jan an Oliver weiterreichte.
„Papa ´bielen!“ forderte Jan lauthals. „Gleich du Quälgeist.“ Oliver grinste seinen Sohn an und ließ ihn mit dem Kopf nach unten in der Luft baumeln, was der Kleine mit lautem Lachen quittierte. Dann ließ er sich in einen Sessel sinken. Jan begann auf ihm herum zu klettern wie auf einem Klettergerüst.
Annika sagte ihrer Tochter gerade, dass sie keine Umstände machen wollten und gleich wieder fahren würden. Daraufhin ließ Rebecca sich neben Oliver auf der Sessellehne nieder.
„Und, wie lange habt ihr gestern noch gefeiert?“ erkundigte sich Frank, Rebeccas Vater, jetzt.
„Och, schon noch ein bißchen...“ antwortete Oliver ihm vage und griff nach Jans Ärmchen um zu verhindern, dass der Junge rückwärts vom Sessel fiel.
„Und es ist dir wirklich nicht zuviel jetzt noch bis nach Holland rüber zu fahren?“
Oliver schüttelte den Kopf. „Quatsch, das ist schon in Ordnung.“ Rebecca, die wieder die unnötige Diskussion auf sich zukommen sah, ob es denn wirklich nötig wäre mit einem kleinen Kind so weit wegzufahren, schritt ein, und erkundigte sich bei ihrer Mutter ob Jan auch brav gewesen sei und durchgeschlafen habe.
„Ja, der war so müde, dass er geschlafen hat wie ein Stein“, antwortete Annika lächelnd. Rebecca wuschelte ihrem Sohn durch die Haare, die ebenso blond waren, wie die seines Vaters.
„Ihr seid heute Nacht aber nicht mehr selber gefahren, oder?“ fragte Frank jetzt und wechselte damit erneut das Thema. Oliver warf Rebecca einen kurzen Blick zu, das war gefährliches Terrain auf das sie sich gerade begaben. „Ich hatte nicht so viel getrunken“, antwortete Rebecca ihrem Vater gerade.
„Was heißt nicht so viel?“ fragte der skeptisch „Wenn du fährst, dann solltest du gar nichts trinken.“
„Ein Glas Sekt...“ stöhnte Rebecca jetzt „Und das schon Nachmittags!“
Annika sah ihre Tochter verwundert an: „An deiner Hochzeit? Warum denn das?“
„Mir war einfach gestern nicht danach“, gab Rebecca defensiv zurück.
„Geht´s dir nicht gut?“ fragte Annika jetzt besorgt „Das ist dir alles zuviel, oder? Vielleicht solltet ihr wirklich hier bleiben.“
Oliver konnte förmlich spüren wie Rebecca wütend wurde, aber noch bemühte sie sich ruhig zu bleiben. „Mir ist das ganz bestimmt nicht zuviel! Können wir jetzt bitte das Thema wechseln? Ich bin die Diskussion über unseren Urlaub endgültig leid.“ Frank und Annika wechselten einen das-wissen-wir-besser-Blick und Annika sagte daraufhin mit immer noch besorgter Stimme: „Wenn du meinst, aber wir wollen ja nur das Beste für dich, und wenn du an deiner eigenen Hochzeit zu sehr im Streß bist um auch nur ein bißchen zu genießen...“ „Ich war nicht zu sehr im Streß!“ unterbrach Rebecca ihre Mutter wütend. „Ich wollte einfach keinen Alkohol trinken, andere Eltern würden sich darüber freuen.“
In dem Moment ging Annika ein Licht auf, oder wohl eher ein ganzer Kronleuchter, zumindest war es nicht zu übersehen und Olivers kurze Hoffnung sie würde ihre Vermutung für sich behalten, verpuffte schon im nächsten Augenblick.
„Sag mal, bist du wieder schwanger?“ fragte Annika ihre Tochter langsam und in ungläubigem Ton. Rebecca wechselte einen kurzen verzweifelten Blick mit Oliver, dann sah sie wieder ihre Eltern an. „Ja, Jan bekommt ein Geschwisterchen. Wir wollten es euch nach dem Urlaub sagen.“ Annika schien einigermaßen sprachlos zu sein, aber Frank hatte sich schneller wieder gefangen. Er sah seine Tochter und seinen frisch gebackenen Schwiegersohn scharf an. „Seid ihr verrückt geworden?! Noch ein Kind?! Man sollte meinen, ihr hättet aus euren Fehlern gelernt!“
„Ich dachte, ihr wolltet damit noch etwas warten...“ stammelte seine Frau entgeistert.
Rebecca sprang auf. „Verdammt, ihr könnt einem wirklich alles mies machen!“ Auf einmal hatte sie Tränen in den Augen. „Könnt ihr euch nicht einfach freuen?!“ „Wir sind nur realistisch!“ gab ihr Vater heftig zurück. „Entschuldige bitte, dass wir keine Freudensprünge machen!“
„Schön! Aber wisst ihr was? Ich freue mich! Und ich bin glücklich über dieses Baby, auch wenn ihr das nicht verstehen könnt!“ Rebecca stürmte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen. Oliver war mittlerweile ebenfalls aufgestanden. Jan, der längst vom Schoß seines Vaters in die Spielecke gewechselt hatte, sah seiner Mutter nach, dann sah er zu Oliver und streckte ihm mit bebender Unterlippe die Ärmchen entgegen: „Mama... Papa hoch!“ Oliver hob den Kleinen hoch und drehte sich dann zu seinen Schwiegereltern um. „Ich weiß, ihr macht euch nur Sorgen, aber das hier betrifft hauptsächlich Rebecca und mich, also lasst uns bitte unsere eigenen Entscheidungen treffen.“
Frank stand nun ebenfalls auf. „Wenn du meinst, aber ich bin mir nicht sicher, ob ihr dafür bereit seid...“
„Du selber warst gestern einer von denen, die mir gesagt haben, wie toll Becky und ich die letzten drei Jahre hinbekommen haben...“ antwortete Oliver ruhig „...und damals waren wir bestimmt nicht besser vorbereitet als heute.“ Er machte eine kurze Pause, dann sagte er: „Ich glaube, es ist besser, wenn wir nach dem Urlaub nochmal darüber sprechen. Ich will euch nicht rausschmeißen, aber ich würde mich jetzt gerne um meine Frau kümmern.“
Frank warf ihm einen kalten Blick zu, den Oliver ruhig erwiderte. Rebecca war seine Frau und er würde sie verteidigen, notfalls auch gegen ihre eigenen Eltern. Nachdem die beiden gegangen waren, sah er Jan an, der immer noch auf seinem Arm saß. „Na komm, Zwerg. Wir gehen Mama trösten.“
„Mama Aua?“
Oliver seufzte: „Ich schätze, das trifft´s. Mama hat ein Aua.“

Mama warf energisch Kleider in eine Reisetasche, während ihr immer noch Tränen über die Wangen liefen. Sie machte keine Anstalten in ihrer Tätigkeit inne zu halten, als Oliver mit Jan ins Schlafzimmer kam. Schließlich verstellte er ihr kurzerhand den Weg zum Kleiderschrank. „Hey, sie sind weg“, sagte er überflüssiger Weise, „Würdest du jetzt vielleicht mal kurz mit mir reden?“
Sie sah ihn aus verheulten Augen an und sie sah so fertig aus, dass es ihm beinah weh tat. Mit dem freien Arm zog er sie an sich und sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Jan streckte sein kleines Händchen aus und patschte ihr unbeholfen auf den Kopf. „Ei, ei, Mama.“ Bei dem Anblick musste Oliver unwillkürlich grinsen. Als sie sich etwas ausgeweint hatte, lehnte Rebecca sich zurück um ihn anzusehen. „Warum können sie sich nicht einfach freuen?“ fragte sie leise. Er zog sie wieder an sich. „Sie werden sich freuen!“ sagte er fest. „Sie waren nur überrascht...“ Rebecca schluchzte auf: „Man kann auch positiv überrascht sein.“
„Warte ab. Du hast doch gesehen, wie es bei Jan war.“ Er strich ihr nocheinmal besänftigend über den Rücken, bevor er sie los ließ. Jan war mittlerweile langweilig geworden und er zappelte um vom Arm seines Vaters herunterzukommen. Der ließ ihn kurzer Hand auf das Bett plumpsen, was Jan ausnehmend gut gefiel.
„Vielleicht sollten wir doch lieber hier bleiben“, meinte Oliver jetzt ernst. „Bist du verrückt?“ fragte Rebecca wütend zurück, „Jetzt erst recht nicht!“

Kapitel 2

Die paar Tage Abstand taten Rebecca sichtlich gut. Sie war fröhlich und entspannt, wie schon lange nicht mehr. Als sie jedoch wieder zuhause ankamen setzte die Übelkeit ein, die sie bereits in der ersten Schwangerschaft begleitet hatte.
Eines Morgens wachte Oliver auf und bemerkte, dass Rebecca nicht mehr neben ihm lag. Erst dachte er sich nichts dabei, doch als er eine halbe Stunde später erneut erwachte und sie immer noch nicht wieder da war, zwang er sich aufzustehen und nach ihr zu sehen. Er fand sie schließlich zusammengekauert vor der Toilette im Badezimmer wie ein Häufchen Elend und am ganzen Körper zitternd.
„Hey!“ er ging neben ihr in die Knie und strich ihr besorgt über die Haare. „Was ist los?“
Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen und mutig zu lächeln. „Nichts, mir ist nur schlecht.“
„Das ist doch nicht normal...“ begann er „...du musst nochmal mit deinem Arzt sprechen, du bist ja total fertig.“
„Er hat gesagt es ist normal“, antwortete sie, und begann im selben Moment wieder zu würgen. Er strich ihr sanft über den Rücken und als sich ihr Magen wieder etwas beruhigt hatte, machte er Anstalten sie hoch zu heben. „Komm, ich bring dich ins Bett.“
„Nein“, flüsterte sie, „ich muss doch nur wieder aufstehen.“
„Egal, ich hol dir einen Eimer. Du musst zumindest versuchen dich noch ein bißchen auszuruhen!“ damit hob er sie hoch und trug sie zurück ins Schlafzimmer.
Mittags ging es Rebecca immer noch nicht besser und Oliver begann sich ernsthaft Sorgen zu machen. Sie konnte kaum einfaches Wasser bei sich behalten, geschweige denn etwas anderes. Er versuchte schließlich Rebeccas Arzt zu erreichen, doch dort ging nur das Band ran, das auf den Arzt verwies, der Bereitschaft hatte. Statt dessen rief er schließlich bei seiner Mutter an.
„Spengler?“ meldete sie sich.
„Hallo Mama, ich bin´s.“
„Oliver...“ ihre Stimme klang fröhlich „...was gibt´s?“
„Ich wollte fragen, ob eine von euch vorbei kommen kann, um auf Jan aufzupassen.“ Er zögerte einen Moment, seine Mutter wusste noch nichts davon, dass Becky wieder schwanger war. Nachdem Desaster mit ihren Eltern hatten sie es für besser gehalten das Ganze noch eine Weile für sich zu behalten. Doch jetzt würde er wohl kaum noch um die Wahrheit herum kommen. „Ich muss mit Rebecca ins Krankenhaus.“
„Was?“ Nun klang seine Mutter gründlich erschrocken, „Was ist denn passiert?“
Er wollte nicht weiter unnötig Zeit verschwenden und fasste sich deshalb kurz: „Sie ist wieder schwanger und seit heute morgen geht´s ihr total dreckig. Ich erklär´s dir später in Ruhe. Kannst du vorbei kommen?“
Zwanzig Minuten später standen seine Mutter und Sophie vor der Tür. Seine Mutter gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und übernahm dann augenblicklich das Kommando. Und er musste zugeben, er war nie so froh über ihre zupackende Art gewesen, wie in diesem Moment.
„Sophie bleibt mit Jan hier...“ der Zwerg hatte sich bereits begeistert auf seine Tante gestürzt „...und ich komme mit ins Krankenhaus.“ Sie stürmte in Richtung Schlafzimmer und hielt sich nicht lange mit Klopfen auf. Rebecca lag noch immer bleich und nass geschwitzt auf dem Bett. Andrea beugte sich über sie und strich ihr sanft über die Haare. „Kannst du aufstehen?“
Rebecca nickte benommen und schwang langsam die Beine über den Bettrand. Als sie aufstand war sie jedoch so wackelig auf den Beinen, dass Andrea sie stützen musste. Rebecca trug Olivers Boxershorts und ein T-Shirt. „Du brauchst nichts anderes anzuziehen...“ meinte Andrea gerade „...draußen ist es warm.“ Dann warf sie Oliver einen auffordernden Blick zu. Er verstand. Mit zwei Schritten stand er vor den beiden und hob Rebecca in seine Arme. Fünfzehn Minuten später waren sie in der Notaufnahme der Uni-Klinik. Eine Krankenschwester komplementierte Oliver und Andrea freundlich aber bestimmt aus dem Behandlungszimmer, während sie gleichzeitig anfing Rebecca auszufragen in der wievielten Schwangerschaftswoche sie sei, seit wann sie die Übelkeitsanfälle habe und wie lange sie schon nichts mehr zu sich genommen hatte. Rebecca, die sich nicht erinnern konnte, wann sie sich jemals so Elend gefühlt hatte, musste sich wirklich konzentrieren die Fragen der Schwester, die alles gewissenhaft notierte, zu beantworten. Schließlich hatten die Fragen aber ein Ende und Rebecca durfte nur einfach daliegen, während die Frau ihren Blutdruck und ihre Temperatur maß.

Im Warteraum legte Andrea ihrem Sohn, der nervös mit den Fingern auf sein Bein trommelte, beruhigend die Hand auf den Arm. „Mach dir nicht so große Sorgen, diese Übelkeit hatte sie doch in der ersten Schwangerschaft auch schon.“
Er sah sie nervös an. „Ja, aber so extrem war´s da nie. Du hast doch gesehen, dass sie kaum alleine gehen kann.“ Andrea nickte, drängte ihre Gedanken dann aber in eine etwas andere Richtung. „Seit wann wisst ihr es denn schon?“ Oliver tat nicht so, als wüsste er nicht, wovon sie sprach: „Sie hat´s mir in der Hochzeitsnacht gesagt.“ Andrea runzelte die Stirn. „Und da habt ihr in den letzten anderthalb Monaten nicht mal was gesagt?“ „Frank und Annika haben´s mitbekommen“, antwortete Oliver defensiv. Seine Mutter verzog beleidigt das Gesicht. „Ach, die beiden wussten davon, aber mir sagt niemand was?“ „Sie haben einen riesen Stress gemacht und da wollten wir es erst mal für uns behalten, OK?!“ erwiderte Oliver leicht genervt. Er machte sich im Moment wirklich Sorgen um Rebecca und hatte absolut keine Geduld für die Eifersüchteleien seiner Mutter. „Außerdem warst du gerade so glücklich, da wollten wir nicht, dass du dir wegen uns Sorgen machst“, sagte er nun sanfter. Andrea seufzte: „Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass du nicht die Verantwortung für meinen Seelenzustand trägst? Hör auf ständig so verdammt rücksichtsvoll zu sein, das geht mir echt auf den Keks!“ Dann setzte sie etwas verwirrt hinzu: „Was meinst du überhaupt damit, dass ich gerade so glücklich war?“ Er grinste sie frech an: „Paula hat mir erzählt, dass du dich in letzter Zeit öfter mit einem Mann triffst. Und wenn ich an deinen verträumten Gesichtsausdruck in den letzten Wochen denke...“ „Was?“ Andreas Gesichtsfarbe verfärbte sich ein wenig ins Rote. „Das ist ja wohl meine Sache.“
„Ach ja? Aber Rebecca und ich müssen unser Privatleben immer vor der ganzen Sippe ausbreiten, oder was?“ fragte er ironisch und spielte damit auch etwas auf die Klatschsucht seiner Mutter und seiner Schwestern an. „Also, das ist ja wohl etwas komplett anderes!“ antwortete Andrea energisch. Er grinste nur leicht.

Endlich öffnete sich erneut die Tür und ein Arzt betrat den Raum. Für Rebeccas Begriffe wirkte er viel zu jung um ein richtiger Arzt zu sein, doch es ging ihr zu schlecht, als das sie sich lange Gedanken darum gemacht hätte. „Guten Tag, Frau...“ er warf einen Blick auf die Karte, die die Schwester ihm gereicht hatte „...Spengler.“ Er schüttelte Rebecca die Hand, dann studierte er die Daten auf dem Krankenblatt. Rebecca war so erschöpft von den Krämpfen, die sie schon den ganzen Tag schüttelten, dass sie beinahe einnickte, während der junge Arzt der Schwester ein paar Fragen stellte. Doch dann wandte er sich wieder ihr zu. „So,... wie geht es ihnen?“ Sie musste beinahe lachen über diese Frage. „Ehrlich gesagt, beschissen.“ Er grinste sie an: „Ja, ich kann mir vorstellen, dass es ihnen zum kotzen geht.“ Jetzt konnte sie sich ein Lachen nicht mehr verkneifen, und scheinbar war das auch sein Ziel gewesen, denn er lächelte freundlich zurück und meinte: „Aber immerhin können sie noch lachen.“ Dann wurde er ernst, „Ich würde vorschlagen, dass wir erstmal ein Ultraschall machen, um zu sehen ob es dem Kind...“ er deutete auf ihren Bauch „...gut geht. Sie haben keine Blutungen gehabt, oder?“ fragte er beiläufig. Rebecca merkte, dass er sich Mühe gab sie nicht zu beunruhigen und schüttelte den Kopf. „Nein, hatte ich nicht.“
Während er erst vorsichtig ihren Bauch abtastete und dann das Ultraschallgerät heranzog, gab er sich Mühe sie von dem was er tat abzulenken. „Das ist schon ihr zweites Kind?“ fragte er und lächelte ihr flüchtig zu. Das musste er aus ihrem Mutterpass wissen, den sie der Schwester in die Hand gedrückt hatte. Sie nickte: „Ja.“ „Wie alt sind sie, wenn ich fragen darf?“ Scheinbar hatte er keine Zeit gehabt auf ihr Geburtsdatum zu achten. „Vierundzwanzig, Jan ist vor knapp drei Jahren zur Welt gekommen.“ Sie ärgerte sich darüber, dass ihre Stimme leicht defensiv klang, als müsste sie sich dafür schämen, ein Kind bekommen zu haben. Um sich nicht weiter aufzuregen, stellte sie ihm eine Gegenfrage: „Und wie alt sind sie, wenn ich fragen darf?“ Er lächelte wieder: „Sie dürfen, ich bin siebenundzwanzig.“ Er sah auf den Bildschirm und runzelte die Stirn, während er das Ultraschallgerät auf ihrem Bauch ein Stück bewegte. Er sah ein wenig besorgt aus, und sie wollte schon fragen, ob etwas nicht stimmte, als er beiläufig bemerkte: „Einundzwanzig, das war aber noch relativ jung, oder?“ Sie ließ sich von ihm ablenken und zuckte die Schultern: „Ja, ich...“ Ihr Magen krampfte sich zusammen und sie musste sich anstrengen um sich nicht vor Schmerzen zu krümmen. Er sah sie besorgt an: „Haben sie Schmerzen?“ Sie zwang sich tief durchzuatmen, dann nickte sie leicht: „Ja, und ich glaube, mir wird wieder schlecht.“

„Und, was denkst du darüber?“
Oliver sah seine Mutter verständnislos an und musste einen Moment überlegen wovon sie eigentlich sprach. Ach ja, sie hatten kurz darüber gesprochen, dass sie einen neuen Freund, oder so was, hatte. Bevor er genug Zeit hatte um nachzudenken, half sie ihm auf die Sprünge: „Ich meine, was du darüber denkst, dass ich mich mit einem Mann treffe.“ Aha, also meinte sie tatsächlich diese Sache. „Wurde langsam Zeit“, antwortete er knapp. Sie sah ihn seltsam an: „Heißt das, es ist in Ordnung für dich?“ „Mama! Du brauchst nicht meine Erlaubnis! Außerdem...“ er machte eine kurze Pause und bemühte sich etwas ruhiger zu sprechen „... außerdem ist Papa seit neun Jahren tot.“ Er griff nach ihrer Hand und drückte sie kurz. „Glaub mir, es ist absolut in Ordnung wenn du endlich wieder ein eigenes Leben führst.“

„Bleiben sie einfach ruhig liegen, wir sind jetzt ohnehin fertig.“ Rebecca nickte dem Arzt, er hatte sich mittlerweile als Dr. Höchner vorgestellt, mit einem gezwungenen Lächeln zu: „Mir bleibt wohl kaum eine Wahl; aber keine Angst, in meinem Magen ist ohnehin nichts mehr drin, was noch raus kommen könnte.“ Er nickte etwas abwesend, während er die Apparaturen fort schob und leise ein paar Worte mit der Schwester wechselte. Einige Augenblicke später wandte er sich wieder Rebecca zu, die sich langsam aufsetzte. „Also, Frau Spengler, dem Kind scheint es gut zu gehen. Trotzdem wäre es mir lieber sie erstmal hier zu behalten. Da sie, nach eigener Aussage, seit ca. vierundzwanzig Stunden nichts mehr zu sich genommen haben und wohl auch nichts bei sich behalten können, kann ich es nicht verantworten sie nachhause zu schicken.“ Rebecca verzog das Gesicht und fragte dann: „Können sie mir nicht einfach irgendwas gegen die Übelkeit verschreiben?“ Er lächelte: „Tut mir leid, aber erstens glaube ich nicht, dass es da ein effektives Mittel gibt und zweitens, selbst wenn es etwas gäbe wäre es bestimmt nichts, das für eine Schwangere geeignet ist.“ Rebecca seufzte: „Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig.“ Er wollte aufstehen, doch Rebecca streckte die Hand aus, um ihn noch kurz zurückzuhalten: „Ist mit dem Kind wirklich alles in Ordnung?“ Sein Gesicht, das vorher noch leicht amüsiert gewesen war, wurde ernst: „Dem Kind geht es gut, so weit sich das sagen lässt, aber ich müsste kein Arzt sein, um zu sehen, dass sie völlig entkräftet sind. Ihr Kreislauf ist im Keller. Es kann sein, dass der ganze Spuk morgen vorbei ist, aber wenn das nicht so ist, dann kann es sich sehr wohl auf das Baby auswirken.“
Sie spürte wieder, wie ihr Magen sich zusammenkrampfte, aber diesmal nicht vor Übelkeit, sondern vor Angst.

Rebecca lag in einem Doppelzimmer der gynäkologischen Abteilung der Uniklinik, lauschte dem Schnarchen ihrer Bettnachbarin und starrte in die Dunkelheit. Sie fühlte sich wieder total elend. Nachdem Abendessen hatte sie sich erneut zwei Mal übergeben. Oliver war nochmal nachhause gefahren und hatte ihr ein paar Sachen geholt. Er machte sich Sorgen, genau wie sie. Sie konnte ihm ansehen, dass er darunter litt ihr nicht helfen zu können. Sie hatte Angst und sie überlegte, was es für sie bedeuten würde, wenn wirklich etwas passierte. Es widerstrebte ihr, hier im Krankenhaus zu liegen und nichts tun zu können, während die Arbeit zuhause liegen blieb. Außerdem wollte sie Jan nicht so lange alleine lassen. Er war doch noch so klein. Wenn die Übelkeit allerdings nicht bald aufhörte, hätte sie wohl kaum eine Wahl. Morgen war Sonntag, dass wäre also erstmal kein Problem, da Oliver ohnehin zuhause war. Aber was sollten sie unter der Woche mit Jan machen? Oliver musste arbeiten, genau wie seine Mutter, Sophie hatte Schule, sie steckte gerade mitten im ABI und Paula musste in die Uni. Damit blieb nur noch ihre Mutter. Sie hatte Oliver vorhin gebeten ihren Eltern noch nicht Bescheid zu sagen. Sie wusste, dass die beiden trotz ihres Streits sofort für sie da wären, aber sie war zu stolz ihnen einzugestehen, dass sie ihre Hilfe brauchte. Es war zwar unvernünftig, aber sie wollte ihre Eltern im Moment einfach nicht um sich haben.

Oliver zappte ruhelos durch das Fernsehprogramm, er konnte sich auf nichts konzentrieren. Als er schließlich nachhause gekommen war, hatte Sophie Jan schon das Abendbrot gemacht. Der Kleine hatte den Tag mit seiner Tante genossen, doch jetzt vermisste er seine Mama und es verwirrte ihn, dass sein Papa alleine nachhause kam. Seit Oliver ihn vorhin ins Bett gebracht hatte, war er schon zweimal wieder aufgestanden und ins Wohnzimmer gekommen und den Geräuschen nach zu schließen, würde er gleich wieder in der Tür stehen.
Oliver flitschte den Fernseher aus und stand auf, im selben Moment schwang die Tür auf, die ohnehin nur angelehnt gewesen war, und Jan tapste herein. Mit dem einen Ärmchen hielt er seinen Teddy umklammert, der den einprägsamen Namen „Bär“ trug, mit dem anderen wischte er sich über die verschlafenen Augen. „Mama?“ fragte er hoffnungsvoll. Er tat Oliver so leid. Er zog ihn in seine Arme. „Morgen fahren wir zu Mama.“ Er strich ihm über die Haare. „Komm, du darfst heute bei mir schlafen.“
Sofort fingen die braunen Augen an zu leuchten, er hatte genau dieselben Augen wie seine Mutter. „Bei Papa schlafen!“ Er klatschte unbeholfen in die kleinen Händchen. „Jan groß Bett!“
„Ja, du darfst im großen Bett schlafen.“
„Bär auch?“
„Ja, Bär auch.“

„Nein, ich möchte gerne, dass Jan Zuhause schläft!“ wiederholte Oliver energisch.
Es war Mittwoch, er kam gerade von Rebecca aus dem Krankenhaus, es ging ihr immer noch nicht besser. Jan hatte die letzten drei Tage bei Beckys Eltern verbracht und jeden Abend durfte Oliver sich anhören, dass es doch viel praktischer wäre, wenn Jan bei ihnen schliefe.
„Aber es wäre für dich doch viel weniger Fahrerei, wenn du Jan nicht immer herbringen und abholen müsstest“, meinte Annika gerade zum bestimmt hundertsten Mal.
„Ich glaube, es ist schon stressig und verwirrend genug für ihn, dass Rebecca nicht da ist, da muss er nicht auf einmal auch noch in einem fremden Bett schlafen und von mir getrennt sein. Dafür nehme ich das bißchen Fahrerei gerne auf mich!“ sagte Oliver ebenfalls zum hundertsten Mal. Dann fügte er noch hinzu: „Rebecca ist übrigens auch meiner Meinung, und wir sind schließlich Jans Eltern.“ Er hatte längst festgestellt, dass man bei seinen Schwiegereltern schnell verloren hatte, wenn man sich nicht durchsetzten konnte.
„Wollt ihr nicht wenigstens noch was essen, bevor ihr fahrt? Ich habe Spaghetti gekocht.“
Eigentlich wollte er so schnell wie möglich nachhause um endlich seine Ruhe zu haben. Die Verlockung eines warmen Abendessens, ohne die geringste Arbeit damit zu haben, war jedoch zu groß und er willigte ein.
Jan saß beim Essen natürlich auf Omas Schoß, was Oliver nicht gerade störte, weil er dadurch in Ruhe essen konnte.
„Und Rebecca geht es immer noch nicht besser?“ Frank sprach beiläufig, aber Oliver hörte trotzdem die Sorge in seiner Stimme. Er schüttelte leicht den Kopf: „Nein, sie hängt immer noch am Tropf und alles was sie zu essen versucht, kommt direkt wieder raus.“ Er wollte ihren Eltern keine Angst machen, doch er wollte sie auch nicht belügen.
„Ich hatte überlegt morgen mal mit Jan vorbei zu fahren“, sagte Annika jetzt, „Oder glaubst du es wäre besser das zu lassen?“ Es kam nicht oft vor, dass Annika ihn in solchen Dingen um Rat fragte. Wie die meisten Eltern sahen Annika und Frank ihre Tochter und auch deren Mann nach wie vor als Kinder an. Vermutlich würde sich das auch niemals ändern. Oliver wägte ab, was er antworten sollte. Einerseits konnte es Rebecca schnell zuviel werden, wenn ihre Mutter erstmal richtig aufdrehte, andererseits sehnte sie sich nach Jan und je öfter er seine Mutter zu sehen bekam, desto besser. Deshalb sagte Oliver: „Ich glaube, das ist kein Problem, du solltest nur aufpassen, dass es ihr nicht zuviel wird.“ „Ja, natürlich!“ Annika nickte lebhaft. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass sie sich auch daran hielt.

Als Oliver am nächsten Tag in Rebeccas Zimmer kam, waren Annika und Jan immer noch da. Doch entgegen seinen Befürchtungen sah Rebecca wesentlich besser aus als in den letzten Tagen. Er beugte sich zu ihr runter und küsste sie. Jan saß in ihren Arm gekuschelt neben ihr und hatte eins seiner Kinderbücher auf den Knien.
„Und, wie geht´s dir?“ fragte Oliver lächelnd, nachdem er sich wieder von ihr gelöst hatte. Sie erwiderte sein Lächeln und meinte fröhlich: „Viel besser!“ Er hätte sich gerne in Ruhe mit ihr unterhalten, doch das ließ Jan nicht zu. Er zerrte bereits quengelnd am Arm seiner Mutter und forderte sie energisch auf weiterzulesen.

Etwas später meinte Annika dann: „Soll ich mit Jan schonmal runtergehen und den Sitz in dein Auto bringen?“ Oliver warf ihr einen dankbaren Blick zu: „Gerne, danke.“ Er reichte ihr die Autoschlüssel und sie streckte eine Hand nach Jan aus. „Komm, wir gehen zum Auto.“
Jan starrte sie einen Moment an, dann schüttelte er trotzig den Kopf: „Nein, bei Mama bleiben!“
„Die Mama muss sich ausruhen, Jan. Und ich muss jetzt nach hause“, meinte Annika streng. „Nein!“ Jan krabbelte auf Rebeccas Schoß und klammerte sich an sie. Oliver unterdrückte einen Seufzer und meinte, bevor Annika etwas sagen konnte: „Lass mal, ich komm mit runter wegen dem Sitz, dann kannst du schon los.“
Sie winkte ab: „Brauchst du nicht, nimm einfach meinen Wagen, wir können ja morgen wieder tauschen wenn du den Kleinen vorbei bringst.“ Sie drückte ihm die Schlüssel in die Hand, verabschiedete sich von Rebecca und ermahnte Jan seine Mutter nicht zu ärgern, dann war sie weg. Jan sah Rebecca von unten herauf an und fragte hoffnungsvoll: „Bei Mama schlafen?“
Rebecca drückte ihm einen Kuss auf die Stirn: „Nein Schatz, du fährst mit Papa nachhause. Ich muss mich noch ein bißchen ausruhen.“ Jans Flunsch ignorierend sah sie Oliver an: „Paula war heute morgen kurz da. Du hast mir gar nicht erzählt, dass du mit deiner Mutter über ihren neuen Freund gesprochen hast.“ Er grinste: „Ist mir wohl irgendwie entfallen.“ Während er sich einen Stuhl heran zog, fragte er: „Hat Paula ihn schon kennengelernt?“ „Ich denke nicht.“ Rebecca sah etwas nachdenklich aus. „Sie war wohl in letzter Zeit nicht oft zuhause.“ Sofort wurde Oliver hellhörig, stellte Rebecca belustigt fest. Obwohl sich in den letzten drei Jahren einiges geändert hatte, sein ausgeprägter Beschützerinstinkt gegenüber seinen Schwestern zählte nicht dazu. „Was weißt du, was ich nicht weiß?“ fragte er misstrauisch.
„Also, ich sollte es dir schonend beibringen...“ begann sie „...aber da ich dich so gut kenne, dass ich weiß, dass es sowieso keinen Unterschied macht, geb ich mir erst gar keine Mühe… Sie hat einen neuen Freund, schon seit ein paar Monaten. Er ist vierunddreißig, hat eine Ex-Frau und zwei Kinder. Paula hat vor zu ihm zu ziehen.“
„Was?!“ Oliver reagierte genauso, wie sie es erwartet hatte. Er war sofort auf hundertachtzig und tat, als hätte Paula ein Verbrechen begangen. Rebecca hörte sich sein Gefluche kurz an, dann sagte sie: „So genug! Worüber regst du dich eigentlich auf? Freu dich doch für sie.“ Er warf ihr einen verächtlichen Blick zu: „Der Kerl könnte ihr Vater sein!“ Sie zog die Augenbrauen hoch und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Stimmt, da wäre er immerhin schon dreizehn gewesen...“ Er sah sie an und musste schließlich auch lachen.
„Bitte mach´s ihr nicht so schwer. Sie hat sich die ganze Zeit nicht getraut dir was zu sagen, aus Angst vor deiner Reaktion“, meinte Rebecca ernst. Er schnaubte. „Bitte, für mich...“ setzte sie nach. Es war unfair, doch es funktionierte.
„Ich werd´ mich zusammenreißen, ok?“
Nach einer kurzen Pause fragte er hoffnungsvoll: „Und jetzt erzähl mal: Geht´s dir wirklich besser?“ „Ja.“ Sie lächelte „Ich kann sogar wieder einigermaßen essen. Falls es so bleibt kann ich übermorgen wieder nachhause, meint Daniel.“ „Super!“ er beugte sich vor und drückte ihr einen Kuss auf die Nasenspitze, dann fragte er mit gerunzelter Stirn: „Daniel?“
„Dr. Höchner, du weist schon, der der auch schon in der Notaufnahme war“, erklärte sie ihm.
„Du duzt deinen Arzt?“ Oliver spürte ein unbehagliches Gefühl im Magen. Er hatte diesen Höchner einmal kurz gesehen, als er Rebecca besuchte, der Kerl war ziemlich jung für einen Arzt und soweit Oliver das Beurteilen konnte sah er nicht schlecht aus.
„Was ist denn dabei?“ fragte Rebecca jetzt „Er hat´s mir halt angeboten.“
„Kann ich mir vorstellen!“ schnaubte Oliver.
Sie sah ihn verwundert an: „Bist du etwa eifersüchtig?“
„Quatsch!“
Sie grinste: „Bist du doch, dass ist so süß!“
„Hör auf! Ich bin nicht eifersüchtig!“ gab er abwehrend zurück.
Rebecca bemühte sich ein Lächeln zu unterdrücken. Sie konnte sich nicht erinnern, dass Oliver schonmal irgendwann eifersüchtig gewesen war. Sie selbst dagegen hatte des öfteren Schwierigkeiten gehabt ihre diesbezüglichen Gefühle zu unterdrücken. Vor allem als er zusammen mit einer Kommilitonin für das Examen gelernt hatte. Wenn die beiden nicht gerade zusammen saßen, hatte das Mädel mehrmals täglich angerufen, weil sie irgendwelche Fragen hatte. Rebecca, die, bildlich gesprochen, knietief in Jans vollgeschissenen Windeln steckte, musste sich einige Male wirklich zusammenreißen um nicht auszurasten.
Leider konnte sie nicht weiter auf seine Eifersucht eingehen, da in diesem Moment ihre Bettnachbarin, Claudia, mit ihrem Säugling hereinkam.
Jan bekam große Kugelaugen und kletterte von Rebeccas Bett. Bevor sie ihn aufhalten konnte, stand er vor Claudia, die sich gerade mit ihrem Bündel auf dem Bett niederließ. „Baby!“ Claudia lächelte ihn freundlich an: „Na, wer bist denn du?“ „Jan!“ er zeigte mit seinem kleinen Fingerchen auf seinen Bauch und machte einen Schritt nach vorne, so dass seine kleine Hand jetzt auf Claudias Knie lag.
„Schau mal.“ Sie hielt das schlafende Baby so, dass er es sehen konnte. „Das ist Penelope.“
Jan streckte ehrfürchtig das Ärmchen aus. „Lope is´ Baby.“
„Genau, Penelope ist noch ein Baby.“ Claudia lächelte und ließ zu, dass Jan ihrer Kleinen vorsichtig über das Köpfchen streichelte.

Nachdem Oliver es geschafft hatte Jan von seiner Mutter und dem Baby loszueisen und die beiden schließlich gefahren waren, lehnte Rebecca sich entspannt zurück. Claudia lächelte sie von ihrem Bett aus freundlich an. „Das war also dein Kleiner. Ist ja ein richtiger Schatz.“
Rebecca lächelte ebenfalls. „Danke. Bevor ich Jan bekam hätte ich nie gedacht, dass ich jemanden so lieben kann.“
„Ich weiß, was du meinst“, antwortete Claudia und warf einen liebevollen Blick auf ihre kleine Tochter. Es war bereits ihr drittes Kind, die beiden Älteren waren Jungs und schon neun und sieben Jahre alt. Penelope war also eine richtige kleine Nachzüglerin. Claudia war sechsunddreißig, schon ein paar Jahre älter als Rebecca, trotzdem konnte sie sich gut mit ihr unterhalten. Und Rebecca fand es sehr angenehm sich mit einer älteren Mutter unterhalten zu können, die nicht ihre eigene oder Olivers Mutter war. Es war vielleicht albern, aber Rebecca kam sich immer irgendwie unterlegen vor, wenn sie eine der beiden um Rat fragen musste. Es war nicht so, dass sie sie von oben herab behandelt hätten, aber manchmal hatte sie schon den Eindruck, als würden sie ihr nicht allzuviel zutrauen. Wahrscheinlich war es einfach das übliche Problem, dass die beiden sie wie ein Kind behandelten, während Claudia in ihr, trotz des Altersunterschiedes, eine erwachsene Frau sah. Davon zeugte auch, dass Claudia sie plötzlich angrinste und dann sagte: „Dein Mann ist aber auch ziemlich niedlich.“
Rebecca musste lachen: „Stimmt, aber er ist meiner.“
Claudia lachte ebenfalls: „Danke, im Moment ist mir sowieso noch nicht wieder so sehr nach körperlicher Liebe.“
„Aber mal im Ernst...“ meinte Claudia ein paar Augenblicke später. „... ich finde es total niedlich, wie verliebt ihr beide seid.“ Rebecca sah sie überrascht an und spürte wie sie rot wurde: „Was?“ „Ja, wenn ihr euch anseht, das ist so... es tut mir leid... aber es ist einfach niedlich.“ „Ach ja?“ fragte Rebecca verlegen. „Ja!“ sagte Claudia fest. „Ich beneide dich fast ein bißchen, nachdem ich gesehen hab, wie dein Oliver dich ansieht.“
Plötzlich musste Rebecca an seine Eifersucht vorhin denken. Sie gluckste leise. „Heute Mittag war er eifersüchtig, als er gehört hat, dass der Höchner mir das ‘Du‘ angeboten hat.“

Oliver konnte nicht schlafen. Gerade jetzt, wo Rebecca vermutlich bald nach hause kommen würde, vermisste er sie noch mehr. Außerdem hatte sie recht gehabt, er war eifersüchtig gewesen, als er gehört hatte, dass sie diesen seltsamen Arzt duzte. Er war nicht oft eifersüchtig gewesen, bis jetzt. Weder bei Rebecca, noch bei einer seiner Ex-Freundinnen. Deshalb war es auch so ungewohnt für ihn.
Er lag im Bett und grübelte darüber nach weshalb er gerade jetzt auf einmal solche Gefühle entwickelte. Schließlich war Rebecca im Krankenhaus. In den letzten Tagen ging es ihr definitiv nicht sehr gut und der Kerl war eben ihr Arzt. Aber wahrscheinlich war er einfach verwöhnt, schließlich hatte Rebecca in den letzten Jahren wenig Zeit gehabt wegzugehen, oder junge Leute kennenzulernen. Er war in Bezug auf sie nie in die Situation gekommen eifersüchtig sein zu müssen. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst wie unterschiedlich die Opfer waren, die Rebecca und er gebracht hatten. Während er sein Studium hatte beschleunigen müssen, arbeiten gegangen war und sich Sorgen um Prüfungen, Geld und einen Job gemacht hatte, hatte Rebecca ihr eigenes Leben mehr oder weniger an den Nagel gehängt. Er fragte sich ob er die letzten drei Jahre überstanden hätte, wenn es umkehrt und er an ihrer Stelle gewesen wäre. Er musste zugeben, dass er sie bewunderte, dafür dass sie sich nie wirklich beschwert hatte, obwohl sie den ganzen Tag zuhause verbrachte mit Jan. Natürlich hatten sie sich ab und an mal gestritten. Vor allem, wenn sie beide im Stress waren. Einmal richtig heftig, als er gerade in einer Klausurphase steckte und Jan jede Nacht geschrien hatte, weil er zahnte. Als Jan zum dritten Mal aufgewacht war, hatte Oliver irgendeinen genervten Kommentar abgegeben, daraufhin hatte Rebecca Jans Fläschen nach ihm geworfen und gesagt er könne sich ja auch mal selbst um seinen Sohn kümmern. Er hatte geantwortet, dass er das gerne tun könnte, schließlich müsste er dann wenigstens keine Klausuren mehr schreiben, nicht mehr früh aufstehen und könnte den ganzen Tag zuhause bleiben. Ein Wort hatte das andere gegeben, zum Schluß war Jan zwar wieder eingeschlafen, dafür waren sie beide hellwach gewesen. Er hatte wütend im Bett gelegen und konnte nicht mehr einschlafen und sie hatte sich in Jans Zimmer verkrochen und versucht auf dem Sessel neben seinem Bettchen noch etwas Schlaf zu finden. Zum Schluß hatte er es im Bett nicht mehr ausgehalten. Er war in die Küche gegangen und hatte sich aus dem Kühlschrank etwas zu trinken geholt, als er sich umdrehte, stand sie vor ihm in der Tür. Ein Blick in ihre verheulten Augen und das schlechte Gewissen hatte ihn gepackt. Als sie dann auch noch vollkommen ernst fragte: „Denkst du wirklich, dass ich den ganzen Tag nur faul zuhause rumsitze?“ wäre er am liebsten im Erdboden versunken für sein Verhalten.
Das war aber auch der einzige wirkliche Streit zwischen ihnen gewesen, alles andere waren lediglich Kleinigkeiten, Meinungsverschiedenheiten über die sie sich hinterher miteinander kaputt lachten.
Die Erinnerung an ihr Lachen brachte ihn wieder auf den Gedanken, wie sehr er sie gerade vermisste. Er hatte sich so sehr an ihre Anwesenheit gewöhnt. Daran abends mit ihr über den Tag zu sprechen, einfach daran, dass sie da war. Vielleicht, überlegte er nachdenklich, war es ganz gut, dass ihm so noch einmal vor Augen geführt wurde, dass ihre Anwesenheit eben nichts selbstverständliches war.

Rebecca ging es tatsächlich auch am nächsten Tag noch besser, so dass sie am Samstag endlich entlassen wurde. Wieder zuhause packten ihre Männer sie erstmal auf das Sofa und umsorgten sie. Irgendwann wurde ihr das jedoch zu langweilig und sie protestierte lautstark: „Ich musste schon im Krankenhaus die ganze Zeit liegen. Sie haben mich wieder rausgelassen, weil ich das jetzt nicht mehr muss!“ Oliver grinste und schob sie zurück auf´s Sofa. „Keine Chance. Ich kenne dich, wenn du jetzt aufstehst, dann räumst du stundenlang die Küche auf, oder du kommst auf die Idee, du müsstest dringend das Bad putzen, oder sonst irgendwas...“
Jan war aber doch etwas verwirrt darüber, dass seine Mama immer noch nicht wieder voll einsatzfähig sein sollte. Rebecca zog ihn schließlich auf ihren Schoß und fragte ihn: „Sag mal, Jan, kannst du dich noch an Penelope erinnern. Als du mit Oma und Papa im Krankenhaus warst?“
„Lope Baby!“ teilte er ihr stolz mit.
„Genau. Das Baby Penelope. Weißt du was? Ich bekomme auch ein Baby.“ Er sah sie mit großen Augen an. „Mama Lope?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Penelope hat ja schon eine Mama.“ Sie setzte ihn neben sich und zeigte auf ihren Bauch. „Hier drin, da wächst ein kleines Baby. Ein Brüderchen oder ein Schwesterchen für dich.“
„´Westerchen?“ fragte er. „Ja, so wie Tante Paula und Tante Sophie Papas Schwestern sind.“ In diesem Moment betrat Oliver den Raum und stutzte einen Augenblick, als er den letzten Wortwechsel hörte. Dann sagte er: „Sag nicht, dass du meinen Sohn gerade aufklärst.“
Sie antwortete schelmisch: „Keine Angst, den guten Teil hab ich noch ausgelassen. Du weißt schon, den über Bienchen und Blümchen...“
„Ach ja?“ er beugte sich zu ihr runter und küsste sie zum ersten Mal seit Tagen richtig. „Gut dass du wieder da bist. Ich hab dich vermisst.“ Sie zog ihn zu sich auf´s Sofa. „Ich dich auch.“
Für einen Moment fielen sie ziemlich aus ihrer Elternrolle heraus, doch Jan hatte wie immer das perfekte Timing. Wegen grober nicht Beachtung stand er irgendwann vor dem Sofa und rief in seinem besten Forderton: „Mama Baby!“ dazu stampfte er energisch mit dem Fuss auf den Boden. Oliver stand mit einem bedauernden Lächeln auf „Ich widme mich dann mal der Küche und überlasse das mit den Bienchen und Blümchen dir...“

Als Jan endlich im Bett war, hatten sie doch noch etwas Zeit für sich. Während Oliver sie ins Schlafzimmer trug, genoß Rebecca einmal mehr sein Kraft und Sportlichkeit. Es war doch schön, wenn man von jemandem einfach so hochgehoben wurde, als wäre man federleicht. Er legte sie so vorsichtig auf das Bett als wäre sie ein rohes Ei und sie fühlte sich empfindlich an ihre erste Schwangerschaft erinnert, als er auch schon übervorsichtig gewesen war. Als er sich über sie beugte um sie zu küssen, schob sie ihn ein Stück von sich weg. Er runzelte die Stirn: „Was ist los?“
„Ich wollte nur eins klarstellen...“ begann sie und strich ihm zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn. „... mir geht es wieder gut. Heute das war eine Ausnahme, aber ab morgen werde ich nicht mehr faul auf der Couch liegen.“ Er nickte zustimmend und wollte sie erneut küssen, doch sie hielt ihn noch einmal zurück: „Und noch eins: Bitte kehr nicht wieder den supervorsichtigen-zukünftigen-Daddy raus, sonst werde ich echt sauer.“ Statt zu antworten beugte er sich schnell vor und küsste sie, bevor sie sich noch einmal wehren konnte. Mit einiger Mühe brachte sie ihn dazu sich auf den Rücken zu drehen, so dass jetzt sie über ihm lag. Kurzerhand setzte sie sich auf ihn: „Versprich mir, dass du nicht wieder anfängst mir alles zu verbieten, was Spaß macht.“ Er zwickte sie in den Allerwertesten: „Sieht das gerade so aus, als wollte ich dir irgendwas verbieten, was Spaß macht...?“ Seine Hände fuhren zielstrebig ihre Oberschenkel entlang bis hinauf zum Reißverschluß ihrer Jeans.
„Ich mein´s ernst!“ sagte sie und hielt seine Hände fest, was jedoch leider dazu führte, dass sie kurz darauf wieder auf dem Rücken lag, mit über dem Kopf gefangenen Händen. „Oliver!“ sagte sie energisch, doch es war einer dieser Moment, in denen sie ganz sicher nicht sauer auf ihn werden würde, und das wusste er auch. Deshalb antwortete er: „Ich verspreche dir gar nichts. Ich bin vorsichtig, wenn ich´s für nötig halte und zwar weil ich dich liebe!“ Damit küsste er sie wieder und die Diskussion war beendet.

Kapitel 3

Eine Woche später waren sie bei Olivers Mutter zum Essen eingeladen. Sie wollte ihnen sozusagen offiziell ihren neuen Freund vorstellen. Rebecca und Oliver waren schon Nachmittags gekommen, um zu helfen und um noch ein bißchen Zeit alleine mit Andrea zu verbringen. Am frühen Abend trudelte dann auch Paula ein, die gerade von ihrem Freund kam. Oliver hatte sie noch nicht getroffen seit Rebecca ihm die Neuigkeiten berichtet hatte und sie hoffte, dass das Zusammentreffen der beiden jetzt glimpflich ablaufen würde. Schon bei der Begrüßung meinte Oliver etwas schneidend: „Du hast einen neuen Freund, ja?“ Paula sah Rebecca fragend an. Die nickte um ihr zu zeigen, dass Oliver alles wusste. Daraufhin sagte Paula, sich aus der Umarmung ihres Bruders lösend: „Richtig. Ich hoffe du kannst mittlerweile besser damit umgehen, als damals als ich mit Stephan zusammen war.“ Damit hatte sie einen wunden Punkt getroffen, und das wusste sie genau. Er hatte sich damals, als sie mit seinem besten Freund zusammengekommen war, ganz schön angestellt, aus Angst Stephan könnte ihr weh tun. Und nach einem Jahr war sie dann diejenige gewesen, die mit Stephan Schluß gemacht hatte und ihm damit das Herz brach.
„Keine Angst, ich sage nichts. Aber ich hoffe, du weißt, dass du dich mit deinem Studium ein bißchen beeilen musst, damit du einen Job hast, bevor er in Rente geht“, antwortet Oliver nun betont gleichgültig.
„Pension“, sagte Paula. Oliver sah seine Schwester verwirrt an: „Was?“ „Er geht in Pension, nicht in Rente, er ist Lehrer.“
Oliver stöhnte „Das wird ja immer schlimmer!“ Plötzlich schien ihm ein neuer schrecklicher Gedanke zu kommen, denn er verzog entsetzt das Gesicht und fragte: „Sag mal, kenn ich ihn?“ „Wen?“ fragte Paula scheinheilig. „Stell dich nicht blöd!“ fuhr Oliver sie an. „Wo unterrichtet er?“ Paula zuckte die Schultern. „Weißt du, Bruderherz, das ist genau die Unterhaltung, die ich eigentlich vermeiden wollte.“ Damit wollte sie an ihm vorbei gehen, doch er stellte sich ihr in den Weg. „Wer ist es?“ In diesem Moment kam Jan in den Flur gestürzt und warf sich mit einem Aufschrei an Oliver: „Papa! Hoch! Hoch! Hoooch!“ Oliver war gezwungen sich von Paula abzuwenden um Jan hochzuheben und sie nutzte kurzerhand ihre Chance und schob sich an ihm vorbei. Dabei drückte sie Jan noch schnell einen Kuss auf die Haare: „Tolles Timing, Kleiner.“
Oliver sah ihr wütend hinterher. Rebecca trat neben ihn: „Lass sie in Ruhe. Ob du ihren Freund nun kennst oder nicht, im Endeffekt ist es sowieso egal, denn sie wird deinetwegen bestimmt nicht mit ihm Schluß machen. Und erfahren wirst du es schon noch früh genug.“ Er brummelte missmutig etwas vor sich hin, dann sah er auf sie runter und lächelte plötzlich: „Wieso bist du eigentlich immer so vernünftig?“ Sie erwiderte sein Lächeln: „Erstens: weibliche Intuition und zweitens: es sind nicht meine Schwestern.“ Er hätte sie in diesem Moment gerne geküsst, doch Jans immer lauteres Geschrei nach Bauklötzen lenkte seine Aufmerksamkeit leider massiv ab.
Nachdem Jan schließlich mit seinen Klötzchen versorgt war, kehrte wieder etwas mehr Ruhe ein. Rebecca stellte beruhigt fest, dass Oliver sich tatsächlich zusammenriß und kein Wort mehr über Paulas mysteriösen Freund verlor.
Während Andrea nebenan in der Küche werkelte und jedes Hilfsangebot ablehnte, saßen Rebecca und die drei Geschwister im Wohnzimmer. Paula baute mit ihrem Neffen Türme und Sophie erzählte Oliver und Rebecca von ihren ersten beiden Abiturklausuren. Irgendwann erkundigte Oliver sich, wann „dieser Peter“ denn eigentlich kommen wollte. Andrea steckte ihren Kopf durch die Küchentür: „In einer viertel Stunde. Hab ich eigentlich erwähnt, dass er seinen Sohn mitbringt?“ Rebecca sah belustigt zu, wie die drei Geschwister einen skeptischen Blick wechselten. „Seinen Sohn?“ fragte Oliver schließlich. „Ja, Markus, er ist in Sophies Alter. Seid bitte nett zu ihm.“ Bei dem letzten Satz verdrehte Sophie die Augen und Oliver rief lachend: „Mama, wir sind keine kleinen Kinder mehr!“

Pünktlich fünfzehn Minuten später klingelte es an der Tür. Aufgeregt rannte Andrea in den Flur. Rebecca stand von der Couch auf und sah sich nach ihrem Mann um. Die Geschwister machten keine Anstalten ebenfalls aufzustehen. Paula versteckte sich hinter dem neuesten Turm, den ihr Neffe gerade gebaut hatte und Sophie und Oliver lümmelten sich noch tiefer in ihre Sessel. „Was ist denn mit euch los? Spielt ihr jetzt die Null-Bock-Brigade, oder was? Macht´s eurer Mutter gefälligst nicht noch schwerer.“
Grummelnd erhoben sich die drei um dann brav die beiden Neuankömmlinge zu begrüßen, die ihre Mutter in diesem Moment hereinführte.
Peter wirkte sympathisch, fand Rebecca, er schüttelte ihnen die Hände und lächelte freundlich. Er war ziemlich sportlich, hatte aber nicht mehr allzuviele Haare. Er hatte dieselbe offene freundliche Art, wie Andrea, doch am besten gefiel Rebecca die Brille, die er auf der Nase trug. Sie hatte kleine runde Gläser und erinnerte Sie an Peter Lustig.
Peters Sohn, Markus, war allerdings nicht ganz so offenherzig wie sein Vater. Ganz im Gegenteil, er war gutaussehend und sportlich, allerdings schien er eher introvertiert und auch ein bißchen arrogant. So als wüsste er genau, wie gut er aussah.
Allerdings fiel Rebecca auch auf wie seltsam er sie musterte, als Andrea sie und Jan vorstellte. Sie war es schon lange leid, es als total außergewöhnlich zu betrachten, dass sie bereits mit zwanzig ein Kind bekommen hatte. Andrea war nicht älter gewesen als sie Oliver bekam. Also starrte Rebecca einfach dreist zurück, bis Markus den Blick senkte.
Nach dem Essen setzten sich alle gemütlich auf´s Sofa. Sie überließen Andrea und Peter das größere Sofa. Paula und Sophie teilten sich das kleinere, Oliver und Rebecca teilten sich einen Sessel, wobei Rebecca auf der Lehne saß und ihre Beine über Olivers Knie ausstreckte, und Markus saß in dem anderen Sessel. Er zog ein Gesicht als würde er jeden auffressen, der die Dreistigkeit besäße ihn anzusprechen. Jan spielte brav auf dem Boden mit seinen Autos. Er wurde langsam müde und Rebecca überlegte, dass sie wohl bald fahren müssten, sonst würde er total quengelig werden.
„Und wo arbeitest du jetzt?“ fragte Peter Oliver gerade.
„In einem großen Architekturbüro. Einer meiner Professoren hat mich da empfohlen.“
„Ach, dann bist du so ein richtiger kleiner Streber, ja?“ Sieben Augenpaare richteten sich überrascht auf Markus, der sich unverschämt grinsend in seinem Sessel lümmelte. Dann sahen auf einmal alle zu Oliver. Seltsamerweise grinste er ebenfalls über das ganze Gesicht. „Ja, ich schätze, das trifft den Nagel auf den Kopf, genau das bin ich, ein kleiner Streber und nichts weiter. Es kann halt nicht jeder so cool sein, wie du, Kleiner.“
Zu Rebeccas Überraschung wurde Markus ein bißchen rot und senkte verlegen den Blick. Für den Rest des Abends hielt er den Mund. Auf der Nachhausefahrt sagte Rebecca: „Dieser Markus ist ja ein richtiger Idiot. Das du so ruhig bleiben konntest...“ Er lächelte: „Liegt wahrscheinlich daran, dass ich nie ein Streber war. Eher das Gegenteil. Ich glaube Markus ist einfach unsicher. Könnte sein, dass ich mich vor ein paar Jahren genauso benommen hätte wie er.“
„Ja, mit sechzehn!“ antwortete Rebecca boshaft. „Ich meine, im Ernst, er ist doch nicht mehr in der Pubertät!“
Oliver griff nach ihrer Hand, die auf ihrem Oberschenkel lag. „Du weißt doch, Jungs brauchen da immer ein bißchen länger...“

Mitten in der Nacht wachte Rebecca auf als Jan plötzlich neben ihrem Bett stand. Er zog die Nase hoch und sagte in weinerlichem Ton: „Mama Bett?“ Vermutlich hatte er einen Alptraum gehabt. Sie schlug die Decke zurück und ließ ihn zu sich ins Bett kriechen. Leider genügte ihm das noch nicht, mit einem energischen „Zwischen Mama und Papa!“ krabbelte er über sie hinweg. Es dauerte eine Ewigkeit bis alles endlich zu Jans Zufriedenheit war und er zumindest einigermaßen still lag. Rebecca war mittlerweile hellwach. Sie lauschte auf die leisen Atemgeräusche von Oliver und Jan und plötzlich schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, wo sie heute wohl wäre, wenn sie Jan damals nicht bekommen hätte. Solche Gedanken waren eigentlich nichts neues für sie. Gewöhnlich schob sie sie einfach bei Seite, was brachte es schon, über etwas nachzudenken, das sowieso niemals Realität werden könnte. Dieser Zug war schon vor langer Zeit endgültig abgefahren.
Doch als sie jetzt wach lag und merkte, dass sie vermutlich nicht so bald wieder würde einschlafen können, konnte sie der Versuchung einfach nicht widerstehen. Ob sie wohl auch mit Oliver zusammen wäre, wenn sie nicht schwanger gewesen wäre? Ja, bestimmt. Sie waren schließlich ineinander verliebt gewesen. Aber ob sie immer noch zusammen wären? Das war schon schwieriger zu beantworten. Natürlich liebte sie ihn. Sie hätte ihn nie geheiratet, wenn sie das Gefühl gehabt hätte, dass sie nur wegen Jan zusammen waren. Aber wenn es Jan nicht gäbe, naja, dann hätte sie weiter studiert, wäre weiterhin Abends ausgegangen, hätte Leute kennengelernt, möglicherweise ein Auslandssemester gemacht... Wer wusste schon, wie sich ihre Beziehung dann entwickelt hätte? Aber mal angenommen sie wären auch ohne Jan noch immer zusammen. Was wäre dann? Vermutlich würden sie beide noch studieren. Oliver hätte keinen Grund gehabt sein Studium so schnell abzuschließen. Sie würden wahrscheinlich nicht zusammen wohnen. Sie würde noch bei Eva wohnen und Oliver vielleicht zuhause, oder mit Stephan zusammen, oder sonst irgendwas. Und dann?
Sie stellte sich vor, wie Oliver bei ihr übernachten würde, in der Wohnung, die sie sich mit ihrer Freundin Eva geteilt hatte. Sie würde neben ihm liegen, wach wie jetzt auch, und was würde sie denken? Vielleicht würde sie davon träumen, wie es wäre, wenn es anders wäre, wie es wäre, wenn sie zusammen ein Kind hätten...

Am Mittag des nächsten Tages versuchte Rebecca gerade mit zunehmender Ungeduld Jan wenigstens ein paar Löffel seines Mittagessens schmackhaft zu machen, als es an der Tür klingelte und Paula hereinschneite.
Rebecca war einigermaßen überrascht, normalerweise rief Paula an, bevor sie vorbeikam. Doch statt zu fragen zog sie ihre Schwägerin erst einmal hinter sich her in die Küche, da sie eine mittel schwere Katastrophe befürchtete, wenn sie Jan zu lange mit seinem ungeliebten Essen allein ließ.
Als der Kleine Paula erblickte, nahm er sofort die Gelegenheit war, setzte sein charmantestes strahle Grinsen auf und streckte ihr die kleinen Ärmchen entgegen. Sein niedliches Gehabe wurde noch von dem Spinatmund, der sein Gesicht zierte, unterstützt. Rebecca seufzte, jetzt würde sie ihn auf keinen Fall mehr dazu bewegen können noch einen Bissen zu essen. Sie wischte ihm den Mund mit seinem Lätzchen ab und ließ zu, dass Paula ihn aus seinem Stühlchen hob.
„Hab ich euch beim essen gestört?“ fragte sie mit leichtem Bedauern.
Rebecca winkte ab: „Es wäre ein Wunder gewesen, wenn ich ihn dazu bekommen hätte aufzuessen.“ Sie lächelte ihre Schwägerin an. „Aber warum bist du eigentlich hier? Gibt´s was Bestimmtes, oder hast du dir einfach gedacht, du verschaffst uns mal ein bißchen Abwechslung?“
„Naja, also es gibt schon etwas Bestimmtes... Ich hab dir doch erzählt, dass ich mit Christian zusammen ziehen will, oder?“
Rebecca nickte: „Ja, das hast du erzählt, aber was hat das mit mir zu tun?“ Sie grinste frech: „Willst du vielleicht Tipps für ein harmonisches Zusammenleben?“
Paula lachte: „Nein, das nun eher nicht“, gab sie zu, „Aber es geht schon um den ein oder anderen Tipp von dir.“ Rebecca warf ihr einen ermunternden Blick zu und Paula fuhr fort. „Also, es ist so, Christians Frau will demnächst für ein paar Monate ins Ausland, und die Kinder sollen bei uns bleiben...“
Rebecca machte große Augen: „Wow, ist das dein ernst? Wie alt sind die beiden?“
„Fünf und Drei.“ Paula strich Jan abwesend über die Haare.
„Und sie lässt zwei so kleine Kinder einfach so allein?“ fragte Rebecca ungläubig. Sie sah ihren Sohn an und musste daran denken, dass sie es schon kaum aushielt, wenn er ausnahmsweise mal eine Nacht bei ihren Eltern verbrachte.
„Naja, sie ist eben nicht der mütterliche Typ, meint Christian“, antwortete Paula gerade. Nun sah Rebecca etwas entsetzt an sich selbst hinunter. Sie hatte sich selbst noch nie als mütterlichen Typ betrachtet. Und um ehrlich zu sein, war sie sich auch nicht sicher, ob sie so bezeichnet werden wollte. Paula, die ihren Blick offenbar richtig gedeutet hatte, lachte laut auf und meinte prustend: „Guck nicht so! Ich meinte damit nicht, dass ich dich für ein kleines dickes Hausmütterchen halte, das den ganzen Tag nur mit Kochen, Putzen und Backen beschäftigt ist.“ „Na, da bin ich aber froh!“ gab Rebecca ironisch zurück. Dann fügte sie etwas ernster hinzu: „Aber um ehrlich zu sein, soviel anders ist mein Leben gar nicht...“
„Du bist nicht dick und trägst auch noch keine Schürze, also beschwer dich nicht!“ gab Paula scherzhaft zurück. Rebecca lächelte und fragte: „Gut, aber worum geht´s dir jetzt eigentlich?“
„Also, wenn ich bei Christian einziehe...“ begann Paula mit einem leichten Seufzen, „...dann werde ich mich ja wahrscheinlich öfter mal um die beiden kümmern, aber ich habe doch keinen blassen Schimmer von Kindern, geschweige denn, dass ich was kochen könnte, dass nicht vorher komplett in einer einzigen Tüte eingeschweißt war....“ Paula legte eine kurze Pause ein, und Rebecca ahnte schon was jetzt kommen würde und sie hatte recht. „Ich dachte, vielleicht kannst du mir ein paar Tipps geben, oder auch die ein oder andere Kochstunde?“
Rebecca zuckte die Schultern. „Klar, warum nicht?!“ Eine Frage hatte sie allerdings noch: „Aber warum fragst du denn nicht einfach deine Mutter, die hat doch schließlich auch drei Kinder?“
Ein unbehaglicher Ausdruck huschte über Paulas Gesicht, der Rebecca sofort misstrauisch machte. Konnte es sein, dass Paula ihr nicht alles erzählt hatte? Ihr fiel ein, dass sie das auch schon am Vortag überlegt hatte, als Oliver gefragt hatte, ob er „Paulas Lehrer“ eventuell kenne. Deshalb harkte sie nach: „Du verschweigst mir doch irgendwas, Paula.“ Ihr kam ein Gedanke und sie zögerte nur kurz ihn auszusprechen: „Du willst doch nicht etwa dein Studium schmeißen, oder?“ Der betretene Ausdruck auf Paulas Gesicht war ihr Antwort genug. Einen Moment überlegte sie ihr die Idee auszureden, doch sie ahnte, dass Paula wohl ohnehin Strafpredigten von ihrer Mutter und ihrem Bruder bevorstanden und so überlegte sie, was sie statt dessen sagen könnte. Doch Paula kam ihr zuvor: „Ich will´s ja nicht komplett schmeißen, nur ein Semester Pause, oder so. Schließlich will seine Frau ja nicht ewig wegbleiben...“
„Das ist ja noch schöner!“ rutschte es Rebecca raus. Und trotz ihrer guten Vorsätze schaffte sie es nicht ganz ruhig zu bleiben: „Kannst du mir mal sagen, wieso du dein Leben aufgeben sollst, für fremde Kinder und das nur, weil die Mutter ein paar Monate ausspannen will?“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf und setzte dann noch hinzu: „Ich meine, was denkt sich dein Christian eigentlich? Es sind doch schließlich seine Kinder, soll er doch ein halbes Jahr zuhause bleiben! Außerdem sind die beiden doch wohl alt genug für den Kindergarten.“
Mittlerweile schwankte Paulas Gesichtsausdruck zwischen Wut und Scham. „Ich hab geahnt, dass du es nicht verstehen würdest. Es war nicht Christians Idee, Rebecca, sondern meine. Um ehrlich zu sein, war er anfangs auch nicht so begeistert von der Idee.“
„Was?“ Rebecca war total baff und brachte nichts mehr raus, außer diesem einen Wort.
In der folgenden Stunde erklärte Paula Rebecca in aller Ausführlichkeit, dass sie sich, was ihr Studium betraf nicht mehr so sicher wäre, dass sie die Gelegenheit, etwas anderes auszuprobieren gerne wahrnehmen würde (wo hatte man sonst schon die Chance die Mutterrolle mal ein halbes Jahr lang zu testen?) und dass sie die Zeit ja nutzen könne sich über ihr weiteres Leben Gedanken zu machen und zu überlegen, ob eine Ausbildung, oder etwas Ähnliches nicht doch geeigneter für sie wären, als das was sie jetzt tat.
Danach war Rebecca zwar nicht von Paulas Idee überzeugt, doch sie hatte auch keine Argumente mehr, die sie ihr entgegensetzten konnte.
Schließlich sagte Paula mit einem flehenden Blick: „Selbst wenn du es nicht so ganz nachvollziehen kannst, hilfst du mir? Ich werd´ schon genug Probleme mit Mama und Oliver kriegen, ich könnte eine Verbündete brauchen...“
Rebecca nickte langsam: „OK, aber nur unter einer Bedingung. Schmeiß dein Studium nicht gleich komplett.“ Paula wollte schon etwas erwidern, doch Rebecca brachte sie mit einer Geste zum schweigen und fuhr schnell fort: „Die Kinder sind wirklich schon alt genug für den Kindergarten und damit hast du Vormittags Zeit zumindest ein paar Kurse zu besuchen. Glaub mir, wenn du´s nicht tust, dann wirst du es hinterher bereuen, denn wenn du einmal komplett aufgehört hast, dann wird es nur umso schwerer wieder anzufangen.“
Paula warf ihr einen langen Blick zu, dann sagte sie resigniert: „Das ist unfair, wenn du mich mit diesem Ich-weiß-es-aus-eigener-Erfahrung-Blick ansiehst, hab ich dir nichts mehr entgegen zu setzen.“
Rebecca grinste: „Na, dann ist ja alles gut. Du kannst dich revanchieren, wenn meine Kinder irgendwann in deinem Alter sind...“

Natürlich blieb es wieder an Rebecca hängen, Oliver das Ganze „schonend“ beizubringen. Und natürlich reagierte er wie erwartet. Er war stocksauer. Mit einiger Mühe schaffte sie es schließlich ihn zu beruhigen indem sie darauf hinwies, dass Paula es sich nun einmal in den Kopf gesetzt habe, dass sie ja aber weiter studieren würde und dass es immerhin sein könnte, dass sie nach zwei Wochen alles hinschmiss und von ihren Vorstellungen für´s erste geheilt wäre.

Nachdem Paula ein paar Wochen später in aller Eile von zuhause aus- und bei Christian eingezogen war, überraschte Andrea sie alle mit der Ankündigung, dass, jetzt wo ja soviel Platz im Haus war, Peter bei ihr einziehen würde, und mit ihm auch sein Sohn Markus. Sie waren Abends bei Andrea gewesen und sie hatte ihnen von ihren Plänen erzählt, und als sie endlich wieder zuhause waren und Jan im Bett lag, konnte Rebecca sich nicht länger zurückhalten.
„Sag mal, findest du nicht, dass das mit deiner Mutter und diesem Peter etwas schnell geht?“
Oliver grinste sie an: „Vielleicht, aber ich glaube nicht, dass wir diejenigen sind, die sich da ein Urteil erlauben dürfen...“
Sie wischte seinen Einwand ärgerlich bei Seite: „Das war was anderes, ich denke nicht, dass deine Mutter schwanger ist. Es geht einfach zu schnell.“
Er verzog angeekelt das Gesicht: „Mann, sag doch so was nicht. Das ist meine Mutter, und jetzt muss ich mir vorstellen, wie sie...“ Er brach ab, und schüttelte sich.
Sie saßen auf der Couch und Rebecca hatte die Beine über ihn ausgestreckt und angelte gerade nach einem Kissen das auf dem Sessel lag, doch bei seinen Worten beugte sie sich schnell vor und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Eigentlich hatte sie ihm nur einen kurzen Kuss geben wollen, um ihn abzulenken, aber scheinbar war er der Ansicht, dass er etwas mehr Ablenkung bräuchte, denn er zog sie augenblicklich an sich und sie spürte seine Zunge in ihrem Mund. Sofort vergaß sie das Kissen das sie eigentlich hatte holen wollen. Sie setzte sich auf, ohne von ihm abzulassen und schaffte es schließlich sich rittlings auf seinem Schoß niederzulassen.
Während sie zärtlich an seiner Lippe knabberte, fuhren seine Hände sanft über ihren Rücken und machten sich dann schnell an ihrem T-Shirt zu schaffen. In Sekundenschnelle war sie nicht nur ihr Shirt sondern auch ihren BH los. Keuchend drückte sie sich an Oliver und rieb sich an der schwellenden Ausbuchtung seiner Jeans. Er stöhnte leise auf und schob sie ein Stück von sich um mit dem Mund ihre Brustwarze zu erreichen. Sanft umkreiste er sie mit der Zunge, bevor er zu saugen anfing. Sie biss sich auf die Lippe, um nicht laut aufzuschreien und grub ihre Finger in sein Haar. Als er sich etwas später wieder von ihr löste, um seinen Mund weiter oben zu beschäftigen, glitten ihre Hände beinah automatisch zwischen ihre Körper und öffneten mit aller Übung, der letzten drei Jahre, seine Jeans. Sie spürte ihn erschauern, als sie ihn zu streicheln begann. Sanft rutschte sie von seinem Schoß um sich zwischen seine Beine zu knien. Mit einiger Mühe zog sie seine Hose und die Shorts noch ein Stück tiefer und ließ dann ihren Mund die Hand ersetzen.
Irgendwann erbebte er und sie spürte, dass er nahe daran war, die Selbstbeherrschung zu verlieren, doch statt sich vollkommen von ihr befriedigen zu lassen, zog er sie mit einem heiseren „Komm her“, auf die Füße. Schnell befreite er sie aus ihrer Hose und zog sie dann auf sich, so dass sie erneut rittlings auf ihm saß. Doch diesmal gab es keine störenden Stoffschichten zwischen ihnen.
Mit einem heftigen Stoß drang er tief in sie ein, und augenblicklich begann ihrer beider Höhepunkt.

Rebecca kam wieder zu sich, als sie ein leises Rufen aus dem Kinderzimmer hörte. In Zeitlupentempo lehnte sie sich zurück und löste sich langsam von Oliver.
Doch statt sie gehen zu lassen zog er sie noch einmal an sich um sie zu küssen. „Ich liebe dich“, flüsterte er leise an ihrem Mund. Sie schmiegte sich kurz an ihn, unfähig sich so schnell von ihm zu entfernen. Während sie ihre Hand gemächlich nach ihrem T-Shirt ausstreckte, lachte sie leise. Er sah sie fragend an und sie sagte: „Ich hab gerade überlegt, was ich wohl daraus schließen soll, dass du mir ausgerechnet in so einem Moment sagst, dass du mich liebst...“
Er lachte laut auf, bevor er mit einem frechen Grinsen antwortete: „Na, was wohl? Natürlich, dass du ein Knaller im Bett bist, Baby!“
Sie stand auf und schlüpfte in ihren Slip, dann warf sie ihm einen verächtlichen Blick über die Schulter zu „Alter Macho!“ und spazierte rüber ins Kinderzimmer.
Jan ließ sich zum Glück schnell beruhigen, er hatte lediglich seinen Bären nicht mehr gefunden. Nachdem Rebecca ihn ihm erneut in den Arm gedrückt hatte, schlief er direkt wieder ein.
Sie strich ihm vorsichtig über die weichen Haare und lächelte leise, als sie Olivers Arme um ihre Taille spürte. Er blickte über ihre Schulter zärtlich auf Jan hinunter.
„Er ist ein Wunder, oder?“
Sie nickte leicht und lehnte sich an Oliver. Dann fiel ihr etwas ein und sie flüsterte mit einem Lächeln: „Ja, vor allem bei dem Vater.“
Er stieß ein empörtes Schnauben aus, und sie drehte sich in seinen Armen um. „Aber ich liebe dich trotzdem.“

Kapitel 4

„Doch, die Jeans steht dir super! Ich wünschte bei mir würde mal was so sitzen.“
Rebecca warf erneut einen skeptischen Blick in den Spiegel.
Manu hatte heute morgen angerufen und gefragt ob sie nicht Lust hätte mal wieder ein bißchen bummeln zu gehen. Und so drehte Rebecca sich jetzt seit einigen Minuten vor dem Spiegel hin und her, um herauszufinden ob diese Jeans wirklich so unwiderstehlich war, wie sie dachte, während Manu und Jan sie dabei beobachteten.
„Ach nein, ich glaube, ich kauf sie nicht“, entschloss Rebecca gerade resigniert, „In ein paar Wochen wäre sie ohnehin viel zu eng.“
„In ein paar Wochen sind dir alle deine Hosen viel zu eng!“ versetzte Manu. „Und außerdem: Tu nicht so, als würde die Schwangerschaft deine Figur für immer ruinieren. Du hast doch trotz Jan kein Gramm zugenommen seit unserem Italienurlaub. Was ich von mir übrigens nicht behaupten kann.“
Jan, der seinen Namen gehört hatte, sah fragend zu Manu auf und klopfte sich auf die Brust. „Jan?!“ „Ja, das bist du, du Zuckerschnute!“ Manu kitzelte ihn unter´m Kinn und er kicherte.
Zum Schluß kaufte Rebecca nicht nur die Jeans sondern auch noch zwei Pullis und eine absolut niedliche Latzhose für Jan. Manu überredete sie schließlich auch noch einen Kaffee mit ihr trinken zu gehen, bevor sie zurück in die Uni musste. Zu Rebeccas enormer Beruhigung war Jan irgendwann in seinem Kinderwagen eingeschlafen, vermutlich aus Langeweile. Sonst war es nämlich immer der Horror mit ihm in ein Café oder Restaurant zu gehen, da er zu zappelig war um auch nur fünf Minuten still zu sitzen.
Als sie gemütlich in einer Ecke des Cafés saßen, erkundigte sich Rebecca, was es bei Manu Neues gäbe.
„Wir haben die ganze Zeit über mich geredet, ich hab schon ein ganz schlechtes Gewissen“, meinte sie.
„Ach Quatsch“, winkte Manu ab, „Bei euch passiert einfach so viel, dagegen ist mein Leben geradezu langweilig.“
Rebecca lachte „Die Langeweile hätte ich auch gerne nochmal! Gott, ich würde so gerne mal wieder Abends richtig feiern gehen.“
„Na dann tu´s doch!“ Manu warf ihr einen herausfordernden Blick zu. „Soll Oliver doch mal einen Abend auf den Kleinen aufpassen, oder noch besser, lass ihn eine Nacht bei deinen Eltern.“ Rebecca wollte schon widersprechen, als sie bemerkte, dass Manu eigentlich recht hatte. Jan war mittlerweile wirklich alt genug um auch mal einen Abend ohne sie auszukommen. Und die Vorstellung endlich mal wieder richtig tanzen zu gehen erfüllte sie geradezu mit einem ungeahnten Hochgefühl. Doch dann kam ihr ein anderer Gedanke und sie schüttelte den Kopf: „Nein, wär schon toll, aber ich fürchte ich hab mir das für die nächsten ein zwei Jahre erstmal wieder selbst versaut...“
Es dauerte einen Moment, doch dann verstand Manu was sie meinte. „Ach so, weil du wieder schwanger bist.“ Sie überlegte einen Moment, dann zog sie einen Stift raus und schrieb etwas auf eine Serviette. Rebecca sah ihr erstaunt zu und fragte schließlich verwundert: „Sag mal, was machst du da? So toll sieht der Kellner jetzt auch nicht aus, dass du ihm unbedingt deine Nummer geben musst...“
„Pfft, als würde ich dem meine Nummer geben. Ich hab doch meinen Schnucki schon gefunden.“ Seltsamerweise schlich sich bei diesen Worten ein leicht ironischer Unterton in Manus Stimme, doch bevor Rebecca fragen konnte was los sei, fuhr Manu fort: „Das hier ist ein Pakt, du wirst das unterschreiben, und ich auch. Und darauf steht, dass wir uns in genau zwei Jahren, nämlich am 23. August 2007, treffen und mal wieder richtig feiern gehen!“
Rebecca bekam einen Lachanfall und Manu warf ihr einen missbilligenden Blick zu. Schließlich stieß sie keuchend hervor: „Das ist so... süß von dir,... Manu!“
Nachdem sie die „Formalitäten“ geregelt hatten, denn Manu bestand auf die feierliche Unterzeichnung des Vertrages, kam Rebecca jedoch noch einmal auf ihr vorheriges Thema zurück.
„So, jetzt haben wir schon wieder nur über mich geredet. Erzähl endlich mal wie es dir geht?! Wie läuft´s mit Timm?“ An Manus Gesicht konnte sie erkennen, dass sie auf der richtigen Fährte war, scheinbar stimmte wirklich etwas nicht, mit ihr und Timm. Nach einigem freundschaftlichen Bohren rückte Manu schließlich mit der Sprache heraus. Oder vielmehr zog sie einen Brief aus der Tasche und legte ihn Rebecca hin. „Hier, den habe ich heute morgen im Briefkasten gehabt.“
Es stellte sich heraus, dass es sich nicht, wie Rebecca im ersten Moment befürchtet hatte, um einen Brief von Timm handelte, in dem er mit Manu Schluß machte, sondern um einen anonymen Brief. Der Verfasser war der Meinung, Manu sollte wissen, dass Timm keine Gelegenheit ausließe um mit anderen Mädels rumzumachen. Rebecca sah erstaunt von dem Fetzen Papier zu Manu. „Das ist ja wohl ein schlechter Scherz, oder? Wer schreibt denn so einen Mist?“
„Keine Ahnung.“ Manu sah mit einemmal total fertig aus. Was man ja auch verstehen konnte, dachte Rebecca. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es ihr ginge, wenn sie so einen Wisch bekommen hätte.
„Aber du glaubst das doch nicht, oder? Hast du schon mit Timm darüber gesprochen?“ fragte sie drängend.
Manu nickte: „Ja, er war heute morgen da als ich den Brief gefunden hab.“
„Und?“ fragte Rebecca ungeduldig.
„Er hat natürlich gesagt, dass es nicht stimmt und das ich ja wohl soviel Vertrauen in ihn haben müsste. Da bin ich sauer geworden und hab gefragt woher ich denn wissen sollte, was er ständig treibt, er ist in letzter Zeit ständig mit seinen Jungs unterwegs und die machen doch nichts anderes als sich zu betrinken. Auf jeden Fall haben wir uns dann total gestritten und er ist wütend abgehauen.“ Jetzt standen Manu endgültig die Tränen in den Augen und Rebecca legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. „Du Arme, und dann hörst du dir auch noch mit einer Engelsgeduld mein dämliches Gelaber den ganzen Morgen an...“
Als Manu sich wieder etwas beruhigt hatte, fragte Rebecca vorsichtig: „Sag mal, aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Timm dich betrügt?“
Manu zuckte die Schultern: „Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht so genau was ich glauben soll. Irgendwie hat er ja recht, eigentlich müsste ich ihm vertrauen, aber... wenn er mich betrügt, würde er dann nicht genau das Argument bringen, um mich ruhig zu stellen?“
Rebecca musste zugeben, dass eine gewisse Logik hinter dieser Überlegung steckte. Wenn er sie wirklich nicht betrogen hatte, dann blieb Manu vermutlich nichts anderes übrig, als Timm zu vertrauen, denn es war nun mal unmöglich zu beweisen, dass er etwas nicht getan hatte.
„Selbst wenn er´s getan hat, und das glaube ich eigentlich nicht, wer schreibt denn bitte solche bescheuerten Briefe?“
Manu zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, vielleicht irgendein Mädel, dass uns auseinander bringen will, oder irgendein Idiot, der das komisch findet.“
„Und ich dachte immer, so was gibt´s nur in schlechten Soaps. Wie kann man nur so ein feiges Arschloch sein?“ Rebecca musste sich richtig zusammen reißen, um sich nicht augenblicklich in eine Schimpftirade gegen den anonymen Briefeschreiber hineinzusteigern.
Schließlich musste Manu wieder in die Uni. Rebecca umarmte sie zum Abschied noch mal fest, da kam ihr ein Gedanke: „Sag mal, soll ich Oliver sagen, dass er mal mit Timm reden soll?“ Manu sah im ersten Moment etwas erschrocken aus, über diese Idee, doch dann nickte sie langsam: „Ja, vielleicht wäre das gar nicht so schlecht. Aber wenn´s geht, nicht ganz so auffällig.“
Rebecca wusste zwar nicht, wie Oliver das machen sollte, doch sie lächelte ermutigend und sagte noch: „Und wenn du jemanden zum reden brauchst, ruf an, oder komm einfach vorbei!“ bevor Manu und sie sich in verschiedene Richtungen aufmachten.

Jan schlief noch den ganzen Nachmittag hindurch. Rebecca hatte ihn zuhause einfach aus dem Kinderwagen direkt in sein Bettchen verfrachtet. Sie wusste, dass er Abends unerträglich aufgedreht sein würde, wenn er jetzt so lange schlief, doch sie brachte es nicht über sich ihn zu wecken. Es kam schließlich nicht oft vor, dass er ganz freiwillig schlief.
So kam es, dass er pünktlich wieder aufwachte, als Oliver von der Arbeit kam. Immer noch ein bißchen verpennt, tapste er ihm auf dem Flur entgegen und klammerte sich an seine Beine. „Papa! Jan hoch!“
„Na, Zwerg?“ Oliver drückte ihm einen Kuss auf die zerknitterte Wange und ging mit ihm in die Küche, wo Rebecca gerade dabei war die Spülmaschine auszuräumen.
Sie lächelte ihn an und strich sich mit dem Handgelenk eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Hallo.“ Er konnte nicht widerstehen und küsste sie mit dem Anflug eines Lächelns. „Hi.“
„Wie war dein Tag?“ fragte sie während sie sich wieder der Spülmaschine widmete. „Wie immer, nichts besonderes“, sagte er mit einem Schulterzucken. „Und was habt ihr gemacht?“
„Mama eintaufen, mit Manu!“ erklärte Jan sofort. „Ihr wart einkaufen, mit Manu?“ wiederholte Oliver an seinen Sohn gewandt. Der nickte wie wild. „Und war´s schön?“ Das Nicken verwandelte sich in ein noch wilderes Kopfschütteln und Oliver lachte. „Eindeutig mein Sohn!“
„Ja,...“ seufzte Rebecca, „...das glaube ich auch. Er ist vor Langeweile sogar eingeschlafen.“
Oliver machte ein empörtes Gesicht: „Hey, mir erlaubst du das nie!“ Sie warf lachend ein Handtuch nach ihm und er wich aus.
Ein paar Minuten später sagte sie möglichst beiläufig: „Manu hat Probleme mit Timm.“ Sie war gespannt auf seine Reaktion, vielleicht hatte er ja schon mit Timm gesprochen, oder irgendwas von einem der anderen Jungs gehört. Doch er fragte nur ebenso beiläufig: „Ach ja?“
„Sie hat einen anonymen Brief bekommen.“
Oliver lachte ungläubig: „Was?!“
„Lach nicht, das ist wirklich nicht lustig!“ aber sie konnte sich selbst nicht ganz ein Grinsen verkneifen. „Auf jeden Fall behauptet darin jemand, dass Timm sie betrügt.“
„Glaub ich nicht“, meinte Oliver ohne zu zögern.
„Naja, ich weiß nicht. Sie sagte, dass er in letzter Zeit fast jeden Abend mit den Jungs unterwegs ist...“ antwortete Rebecca skeptisch.
Oliver prustete verächtlich. „Eben, er ist mit den Jungs unterwegs, nicht mit Mädels, oder?“
Rebecca musterte ihn verwundert: „Ist das dein Ernst? Ich meine, du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass die es nicht drauf anlegen Frauen aufzureißen wenn sie zusammen unterwegs sind?“
„Denkst du vielleicht bei allem was du tust daran andere Männer aufzureißen?“ fragte er etwas gereizt.
„Das ist ja wohl was ganz anderes...“ setzte sie an, doch er unterbrach sie. „Wieso ist das was anderes? Weil du eine Frau bist?“
Sie zuckte die Schultern und antwortete etwas provozierend: „Vielleicht!“
„Ich kenne Timm immerhin schon ein bißchen länger, und ich glaube nicht, dass er irgendeinen Grund hat Manu zu betrügen, wenn er mit ihr glücklich ist“, sagte er energisch.
Rebecca konnte es nicht lassen: „Und wenn er nicht glücklich ist, dann darf er sie betrügen, oder was? Und überhaupt, woher soll sie denn wissen ob er glücklich ist?“
„Bitte! Man merkt ja wohl, ob eine Beziehung in Ordnung ist, oder nicht!“ gab er selbstverständlich zurück.
„Ach ja?“ sie zog skeptisch die Augenbrauen hoch und fragte unbedacht: „Und wie war das damals mit Lisa? Die hatte wohl auch nicht den Eindruck, als wäre eure Beziehung schon so kaputt gewesen...“
Sofort bereute sie, dass sie dieses Thema angeschnitten hatte. Sie wusste, dass Lisa immer noch irgendwie ein wunder Punkt für ihn war und sie musste gestehen, dass sie das ein bißchen ärgerte.
Jetzt sah er sie wütend an und stand auf: „Darauf hab ich jetzt echt keinen Bock!“ damit ging er aus dem Zimmer und ein paar Minuten später hörte sie ihn im Wohnzimmer mit Jan spielen.
Sie schwankte zwischen Reue und Wut. Natürlich hätte sie das nicht sagen sollen. Aber er war so selbstgerecht, was Timm betraf. Wieso sollte es so unmöglich sein, dass Timm mal was mit einer anderen hatte? Nicht das sie sich das wünschte, im Gegenteil, aber es war doch wohl auch nicht unmöglich.
Und dann diese ganze Sache mit Lisa. Er sprach nie über sie, nicht dass Rebecca besonders scharf darauf gewesen wäre Geschichten von Olivers Ex-Freundinnen zu hören, aber es war doch auch nicht normal, dass er jeder Frage über sie auswich und nie auch nur das geringste Wort über sie verlor. Und Rebecca hätte zu gerne gewusst, warum das überhaupt so war. Es wäre ja nicht so schlimm gewesen, wenn er es nur tat, weil er dachte, es wäre ihr lieber so. Doch er wich ja auch ihren gelegentlichen Fragen aus. Und bei Rebecca regte sich dann immer ein sehr vages, aber doch unbehagliches Gefühl im Magen.
Plötzlich war sie der Ansicht, dass sie es in der Wohnung keine Sekunde länger aushalten konnte. Sie ging in den Flur schlüpfte schnell in ihre Schuhe und griff sich den Schlüssel vom Telefontischchen.

Oliver hörte die Tür zuschlagen. Es ärgerte ihn. Welchen Grund hatte sie denn bitte jetzt zu gehen? Wenn er das getan hätte, ok. Aber dass sie es tat war irgendwie nicht in Ordnung. Er wusste, dass er ihr eigentlich hinterher müsste um sie zurück zu holen, aber.... Ach, sollte sie doch bleiben wo der Pfeffer wächst.
„Papa bau!“ Jan stupste ihn auffordernd mit einem Duploklötzchen an und lenkte seine Gedanken kurz in eine andere Richtung.
Wie bescheuert das alles war, wieso musste sie sich überhaupt mit ihm darüber streiten ob Manu und Timm glücklich waren? Das war doch wohl eindeutig nicht ihr Problem. Das Frauen sich ständig in alles einmischen mussten. Nervtötend!
Und was hatte das Ganze eigentlich mit Lisa zu tun? Konnte sie nicht einfach akzeptieren, dass er nicht über seine Ex-Freundin sprechen wollte? Die Sache war doch damals schon schlimm genug gewesen. Das musste man sie doch nicht immer wieder aufwärmen.
Oder gab es noch einen anderen Grund, weshalb er nicht über Lisa sprechen wollte?
Gut, vielleicht wollte er sich sein eigenes Fehlverhalten von damals einfach nicht so gerne eingestehen, aber war das nicht normal? Möglicherweise hatte er auch nie so richtig mit Lisa abgeschlossen, es war damals auf einmal alles so schnell gegangen, vor allem nachdem Rebecca ihm gesagt hatte, dass sie schwanger war. Er hatte kaum noch einen Gedanken an Lisa verschwendet, und das war nach einer anderthalb jährigen Beziehung bestimmt nicht normal. Aber unter den damals gegebenen Umständen...
Er stand auf „Ich komme gleich wieder.“ Damit ging er in den Flur und holte das Telefon.
„Hallo Lisa, hier ist Oliver.“

Rebecca lief ziellos durch die Gegend. Sie war ein wenig durch den Park spaziert, dann in Richtung Innenstadt, aber da waren ihr zu viele Menschen im Kaufrausch, also war sie Richtung Rhein gegangen. Und ehe sie noch wirklich darüber nachgedacht hatte stand sie vor ihrem ehemaligen Mietshaus. Eva wohnte immer noch hier in ihrer Wohnung im dritten Stock. Nach Rebeccas Auszug hatte sie ein paar Mal die Mitbewohner gewechselt, ihre neueste „Errungenschaft“ war ein schwuler Jurastudent. Er war gelegentlich ein bißchen durchgedreht, aber eigentlich sehr nett.
Rebecca zögerte einen Augenblick, dann drückte sie auf die Klingel. Einige Sekunden später ertönte der Summer. Eine Sprechanlage gab es hier nach wie vor nicht. Drei Stockwerke weiter oben stand Eva lächelnd in der Tür. „Was machst du denn hier?“ fragte sie etwas verwundert und ließ sie herein.
„Ich kam grade zufällig vorbei und dachte ich klingle einfach mal. Hast du ein bißchen Zeit?“
Eva nickte: „Ja, ich hab gerade gedacht, dass ich unbedingt eine Lernpause brauche. Du kommst also gerade richtig, ich wollte mir eben einen Tee machen, willst du auch?“
„Gern.“ Rebecca setzte sich in die Küche, die auch einmal ihre Küche gewesen war. Irgendwie war es immer ein seltsames Gefühl hier zu sein. Es war schon so weit entfernt. Die Zeit, als Eva und sie eingezogen waren, total aufgeregt, dass sie ihre erste eigene Wohnung hatten... Als Eva sich ihr gegenüber an den Tisch setzte musste sie lächeln. „Genauso haben wir hier gesessen, als ich dir das erste Mal von Oliver und dem ganzen Schlamassel erzählt habe, weißt du noch?“
„Wie könnte ich das vergessen?“ erwiderte Eva grinsend „Und als dann Stephan vorbei kam und ich einfach mal schnell den Schwangerschaftstest eingesteckt hab, als wäre es das Alltäglichste für mich...“
Sie prusteten bei los.
Als sie sich wieder beruhigt hatten, fragte Eva: „Und, wie läuft es mit euch beiden? Wir haben ja seit Ewigkeiten nicht mehr richtig geredet.“
„Stimmt“, gab Rebecca zu. „Ach, bei uns ist eigentlich alles in Ordnung, gerade haben wir uns ein bißchen gestritten, aber nichts dramatisches.“
„Ach deshalb bist du hier...“ stellte Eva mit einem wissenden Unterton fest.
„Ja, ich hatte einfach noch keine Lust mich schon wieder zu versöhnen. Aber es war wirklich nur eine Kleinigkeit.“ Sie winkte ab, um anzudeuten, dass ihr Streit mit Oliver ihr wirklich nicht sonderlich schwer auf der Seele lastete. „Und wie geht es dir? Wie läuft´s mit deinem neuen Mitbewohner?“
„Oh, du meinst Charlotte?“ fragte sie kichernd.
„Charlotte?“ fragte Rebecca verwirrt zurück.
„Ja, er ist einer von den Schwulen, die auch ganz gerne mal Frauenkleider tragen. Und ich muss sagen, wenn ich lesbisch wäre...“ Sie brachen in Gelächter aus.
Es war fast wie in alten Zeiten. Sie verquatschten sich richtig gut. Wie früher, wenn sie gemeinsam Nächtelang in der Küche gesessen hatten.

Es war schon fast halb elf und Rebecca war immer noch nicht wieder da. Langsam begann Oliver sich Sorgen zu machen. So schlimm hatten sie sich jetzt auch nicht gestritten.
Er hatte mit Lisa telefoniert. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass er das brauchte, aber während er mit ihr sprach, hatte er gemerkt, dass es noch soviel zwischen ihnen gab, dass nie geklärt worden war. Sie sagte das selbe. Sie meinte, sie hätte verstehen können, dass er anderes zu tun gehabt hatte, aber sie hätte es vermisst mit ihm zu reden, schließlich waren sie ja auch gute Freunde gewesen. Und es hatte sie verletzt, dass er die Gespräche mit ihr offenbar kein bißchen vermisste und sie einfach so von einem Tag auf den anderen vergessen konnte. Er hatte ihr versichert, dass das bestimmt nicht der Fall gewesen war. Er wusste zwar nicht warum, aber das Gespräch hatte ihm definitiv gut getan.
Jetzt machte er sich allerdings doch Sorgen um Rebecca. Und gerade fing er auch an sich selbst Vorwürfe zu machen, dass er sie einfach so hatte gehen lassen.

Halb Elf, eigentlich hatte Rebecca nicht die Absicht gehabt so lange wegzubleiben, aber es war so schön gewesen bei Eva, dass sie die Zeit einfach vergessen hatte. Mittlerweile hatte es Draußen aber auch merklich abgekühlt und sie war froh, als sie endlich zuhause ankam.
Als sie die Wohnungstür aufschloss und in den Flur trat, sah sie Oliver in der dunklen Küche sitzen. Während sie die Tür abschloss und ihre Schuhe von den Füßen streifte, stand er auf und blieb, in den Türrahmen gelehnt, stehen.
„Wo warst du?“ Die Frage klang nicht wütend, sondern lediglich neugierig und ein wenig besorgt.
„Bei Eva. Wir haben uns ein bißchen verquatscht. Ich wollte nicht so lange wegbleiben....“
„Ich hab mit Lisa telefoniert“, sagte er langsam. Sie sah ihn verwundert an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Unter anderen Umständen hätte sie es vielleicht nicht gerade als positiv erachtet wenn er nach einem Streit mit ihr seine Ex-Freundin anrief, aber unter den gegebenen Umständen wunderte es sie bloß, dass er sich diesem Thema tatsächlich gestellt hatte.
„Und, wie geht es ihr?“ fragte sie vorsichtig, weil sie nicht wusste, was sie sonst hätte sagen sollen.
Er lächelte „Ganz gut, denke ich. Mir war nie so richtig bewusst, wie abrupt ich unsere Beziehung eigentlich beendet habe.“
Sie nickte. „Es tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe. Ich war einfach nur so wütend.“
„Mir tut´s auch leid“, antwortete er. „Können wir uns darauf einigen, dass Timm und Manu ihre Beziehung selber regeln müssen? ... Stell dir mal vor, Timm erzählt mir, dass an dem Brief wirklich was dran ist. Ich würde dich nicht belügen wollen, aber wenn ich es dir erzählen würde, dann müsstest du es Manu erzählen, und dann hätte ich Timm hintergangen.“
Sie musste ihm recht geben. Es war wahrscheinlich nicht besonders klug gewesen, Manu zu sagen, dass Oliver ja mal mit Timm sprechen könnte. Aber das würde sie morgen richtig stellen, für heute hatte sie eindeutig genug Stress gehabt.
Unvermittelt trat Oliver aus dem Türrahmen und zog sie an sich. „Hey, du bist ja eiskalt.“ Er strich ihr über die nackten Oberarme. „Eiskalt...“ antwortete sie mit einem leisen Prusten „...es ist Sommer.“
„Ja, aber es ist Nacht und wir sind in Deutschland“, antwortete er streng.
„Dann küss mich doch warm!“ forderte sie lächelnd. Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Doch als er sie hoch hob um sie ins Schlafzimmer zu tragen, wurden sie von Jan unterbrochen, der plötzlich verschlafen im Flur stand. „Mama.“
Rebecca strampelte sich aus Olivers Armen frei und ging in die Knie um Jan zu umarmen. „Mama du hast nich´ gute Nacht gesagt!“ nuschelte er vorwurfsvoll. Sie drückte ihm einen Kuss auf die rote Wange: „Tut mir leid, aber das mache ich ja jetzt.“
Sie hob ihn hoch, um ihn ins Bett zu bringen, doch er wehrte sich energisch: „Will bei dir schlafen!“ Seufzend warf sie Oliver einen Blick zu. Der sah eben so wenig begeistert aus wie sie selbst. Er trat neben sie und wuschelte Jan durch die Haare. „Hör mal Kumpel, das geht heute nicht, ich muss morgen früh aufstehen. Und für dich ist sowieso schon längst Schlafenszeit.“
„Will aber!“ rief Jan energisch und wenn Rebecca ihn nicht auf dem Arm gehabt hätte, dann hätte er wohl mit dem Fuss aufgestampft.
Rebecca schüttelte nun ebenfalls den Kopf: „Nein Schatz, heute Nacht nicht. Du musst jetzt endlich schlafen und bei uns tobst du ja doch nur die halbe Nacht rum.“
„Gar nicht!“ erwiderte er trotzig und begann zu strampeln um von dem Arm seiner Mutter herunter zu kommen. Rebecca stellte ihn auf den Boden, hielt ihn aber am Arm fest, damit er nicht auf die Idee kam fortzulaufen. Sofort versuchte er sich aus ihrem Griff zu befreien. „Jan, hör auf jetzt! Sonst werd´ ich wirklich böse.“
Er hörte auf zu zappeln, sah sie aber trotzig an und rief: „Will nich´ ins Bett!“
„Du gehst aber jetzt ins Bett“, sagte Rebecca ruhig. „Und wenn du weiter so trotzig bist, dann musst du morgen eben noch ein bißchen früher ins Bett, damit du dich mal richtig ausschläfst.“
„Nein!“ kreischte er und die ersten Wuttränen glitzerten in seinen Augen.
„Dann mach jetzt nicht so einen Zirkus, dann musst du morgen auch nicht früher schlafen gehen.“
Jan zog die Nase hoch und zwei Tränchen kullerten über seine Wange. Verzweifelt streckte er sein freies Ärmchen nach Oliver aus. „Papa!“
Der kreuzte jedoch nur ungerührt die Arme vor der Brust und meinte: „Das brauchst du gar nicht zu versuchen. Mama hat vollkommen recht, du solltest schon längst schlafen.“
Rebecca führte ihren schniefenden Sohn ins Kinderzimmer, wo er beleidigt in sein Bett kroch und sich bemühte sie nicht mehr zu beachten. Doch kaum hatte sie seine Zimmertür hinter sich geschlossen, da hörte sie auch schon ein weinerliches „Mama!“
Sie wechselte einen Blick mit Oliver, der beugte sich mit einem kurzen Schulterzucken vor, drückte ihr noch einen Kuss auf den Mund und verschwand dann mit den Worten: „Ich geh schon mal“ im Schlafzimmer. Rebecca machte kehrt und ging zurück ins Kinderzimmer. Jan streckte ihr die kleinen Ärmchen entgegen und sie nahm ihn bereitwillig in den Arm und drückte ihre Lippen in seine weichen Kinderhaare. Sie hielt ihn so lange, bis er sich ein wenig beruhigt hatte. „Na, alles wieder gut? Ich hab dich doch lieb“, flüsterte sie. „Hm.“ Er war schon beinahe wieder eingeschlafen. Sanft deckte sie ihn zu und drückte ihm noch einen letzten Kuss auf die Stirn, bevor sie das Zimmer verließ.

„Und, ist er eingeschlafen?“ erkundigte sich Oliver, der bereits im Bett war, während sie sich auszog und zu ihm unter die Decke kroch.
Rebecca nickte und kuschelte sich an ihn. Er war schön warm und erst jetzt merkte sie, dass ihr wirklich ziemlich kalt war. Sie drückte sich gähnend noch ein bißchen tiefer in die Kissen.
„Bist du sauer?“ fragte Oliver plötzlich unvermittelt. Verwundert wandte sie den Kopf und sah ihn an. „Wegen der Sache mit Timm und Manu? Nein, ich denke du hast recht, das müssen sie selber regeln.“ Er nickte, dann fragte er ernst: „Und wegen Lisa?“
Rebecca überlegte einen Moment. War sie sauer, dass er mit Lisa telefoniert hatte? Nein, wenn er das gebraucht hatte. Und außerdem hatte er es ihr ja sofort erzählt, deshalb schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich nehme an, du hast... versteh mich jetzt nicht falsch...“ sie rückte ein Stück von ihm ab, um ihn besser ansehen zu können. „...ich nehme an, du hast nie richtig mit ihr abgeschlossen. Ich meine das jetzt nicht in Bezug auf uns. Aber du hast ja selbst gesagt, es hat sich damals alles ziemlich schnell verändert und du hast ja nie mehr wirklich mit ihr gesprochen...“
Er dachte über ihre Worte nach und sagte schließlich: „Ja, ich glaube, irgendwie habe ich das gebraucht, ich weiß selbst nicht genau warum. Weißt du, am Anfang als ich mit ihr zusammen war, konnte wir uns echt gut unterhalten. Wir waren einfach direkt auf einer Wellenlänge.“ Obwohl sie sich vor ein paar Stunden noch Gedanken darüber gemacht hatte, dass er nicht über Lisa sprach, war Rebecca sich nun doch nicht so sicher, ob sie das hören wollte. Doch wenn er es erzählen musste, dann würde sie ihm zuhören.
„Sie meinte, sie hätte diese Gespräche vermisst, weil wir auf einmal gar keinen Kontakt mehr hatten. Ich glaube, unterbewusst hat mir auch plötzlich irgendwas gefehlt, so wie wenn der Kontakt zu einem guten Freund plötzlich abricht...“ er verstummte und warf ihr einen seltsamen Blick zu. „Ich will nicht, dass du glaubst... das hat wirklich nichts mit uns zu tun.“
„Ich weiß.“ Rebecca lächelte, obwohl es sie ein bißchen Mühe kostete ihrer Stimme einen festen Unterton zu verleihen.
Er beugte sich über sie und küsste sie fest. „Ich liebe dich.“ Dann grinste er plötzlich „Ich hoffe das war jetzt der richtige Zeitpunkt.“
Sie küsste ihn ebenfalls. „Perfekt.“
Sie lag in seinem Arm, den Kopf an seine Schulter gelehnt und spürte wie er zärtlich über ihren, noch relativ flachen, Bauch streichelte. „Kannst du eigentlich schon was spüren?“
Sie hatte es ihm bisher noch nicht erzählt, da das Gefühl noch so vage war, dass er es ohnehin noch nicht nachvollziehen konnte. Doch jetzt nickte sie. „Manchmal, ganz leicht. So ein Flattern...“ sie lächelte „...wie ein Fisch oder so.“
Er sah sie skeptisch an: „Dir ist aber schon bewusst, dass das ein ziemlich seltsames Bild ist, oder?“
Sie antwortete mit einem leisen Lächeln.

Kapitel 5

Am Donnerstag Abend waren sie bei Rebeccas Eltern zum Essen eingeladen. Rebecca hatte eigentlich keine Lust. Sie war Mittags mit Jan beim Kinderarzt gewesen, nur zur Vorsorge, aber seitdem war er quengelig. Und da ihr Morgens auch wieder ein wenig übel gewesen war, war sie schon den ganzen Tag etwas schlapp und lustlos. Außerdem stand ihr der Sinn nun gar nicht nach der bevormundenden Art ihrer Eltern. Aber sie wollte auch um keinen Preis absagen, da sie sonst, je nachdem wie sie die Absage begründete, entweder eine besorgte oder eine beleidigte Mutter am Hals hätte.
So stand sie pünktlich um sieben Uhr mit Oliver und Jan bei ihren Eltern vor der Tür. Sie hatte Oliver nichts von ihrer morgendlichen Übelkeit erzählt, zum einen, weil sie noch keine Zeit dazu gehabt hatte, zum anderen, weil sie sich nicht sicher war, ob sie es überhaupt erzählen sollte. Vermutlich war es ja gar nichts und dann würde sie ihm nur grundlos Sorgen machen.
Beim Essen sprachen ihre Eltern fast ohne Unterlaß von der Gartenparty, die sie in zwei Wochen anlässlich des 50. Geburtstages ihres Vaters veranstalten würden. Das Büfett, das der Partyservice liefern würde, war so erlesen und ausgefallen, dass Rebecca beinah wieder schlecht wurde, und die Länge der Gästeliste hätte bequem die Frage zugelassen, ob ihre Eltern die Leute in Schichten übereinander im Garten stapeln wollten, doch Rebecca wollte den beiden den Spaß nicht verderben und hörte sich deshalb alles gleichmütig an.
Schließlich hatten ihre Eltern dieses Thema aber doch erschöpft und ihr Vater sah sich mit einem Räuspern am Tisch um, als würde ihm erst jetzt wieder auffallen, dass er ja nicht alleine war. „Und, was gibt es bei euch so neues?“
Rebecca zuckte die Schultern und Oliver meinte: „Nicht viel.“
„Das Jan einen Kindergartenplatz hat und nach den Ferien dahin geht, wisst ihr ja schon, oder?“ erkundigte sich Rebecca pflichtbewusst.
Ihre Mutter nickte: „Ja, aber glaubst du wirklich, dass er schon alt genug ist?“
Rebecca musste sich Mühe geben, um nicht die Augen zu verdrehen. „Ja, Mama. Er braucht endlich Kontakt zu anderen Kindern.“
Zu ihrer Verwunderung machte Annika ein zustimmendes Gesicht. „Vielleicht ist es wirklich ganz gut so. Du kannst ein bißchen Zeit für dich bestimmt auch ganz gut gebrauchen, du siehst müde aus.“
Rebecca lächelte ihre Mutter zärtlich an: „Es war nur ein anstrengender Tag. Wir waren heute beim Kinderarzt und seitdem ist Jan motzig.“ Sie sah zu ihrem kleinen Sohn hinüber. Nachdem er sein Essen kaum angerührt hatte, saß er jetzt auf dem Boden und spielte mit ihren alten Playmobil Sachen. In regelmäßigen Abständen bekam er einen Wutanfall, weil etwas nicht so klappte, wie er wollte und die ein oder andere Figur war schon auf dem Boden gelandet. Gerade war es wieder so weit und Oliver meinte zu ihren Eltern: „Ich glaube, es ist auch Zeit, dass wir uns auf den Weg machen. Jan muss langsam ins Bett.“
Bei der Erwähnung seines Namens im Zusammenhang mit dem Bett stieß Jan ein wütendes Kreischen aus „Nein!“ und die nächste Figur wurde mit Gewalt auf den Boden gepfeffert.
„Nicht schon wieder“, stöhnte Rebecca und zu ihren Eltern gewandt erklärte sie: „Das macht er seit ein paar Tagen immer, wenn er ins Bett soll. Er wird trotzig und fängt an zu schreien.“
Ihre Eltern grinsten sich wissend an, dann meinte ihr Vater: „Das ist das Alter, du warst ganz genauso.“
Oliver war bereits aufgestanden und entwandt dem trotzig kreischenden Jan die nächste Playmobil Figur, die wohl auf dem Boden hatte landen sollen. „Das reicht jetzt, Jan!“
Ohne viel Federlesens klemmte er sich das zappelnde Kind unter den Arm. Rebecca war ebenfalls aufgestanden und verabschiedete sich von ihren Eltern. Dann sah sie fragend zu Jan, der immer noch plärrend an Oliver hing. „Willst du Oma und Opa Tschüß sagen?“
Er schüttelte trotzig den hochroten Kopf. Rebecca zuckte die Schultern: „Er muss wirklich ins Bett...“
Kurz darauf saßen sie im Auto und kaum zehn Minuten später war Jan tief und fest eingeschlafen. Oliver lächelte und strich Rebecca mit der freien Hand sanft übers Bein. „Bist du sehr müde?“ Sie bejahte matt und musste sich bemühen, dass ihr nicht ebenfalls die Augen zu fielen.
„Wir hätten deine Eltern fragen sollen, wie lang wir diese Trotzphase noch ertragen müssen, vielleicht kann er bis dahin öfter bei ihnen übernachten...?“ Olivers Stimme hatte einen so hoffnungsvollen Unterton, dass Rebecca lachen musste. „Wahrscheinlich bis in die Pubertät“, gab sie resigniert zurück.
„Na dann, viel Spaß!“

Am nächsten Tag kam Oliver schon früher von der Arbeit. Er holte Jan ab und fuhr mit ihm zu seiner Mutter, da sie noch Sachen für den Zwerg hatte und Oliver ohnehin mal bei ihr vorbeischauen wollte. Außerdem konnte Rebecca die freie Zeit gut gebrauchen, auch wenn sie das nicht ausdrücklich gesagt hatte. Ihre Mutter hatte recht, sie sah wirklich müde aus.
Als er zuhause ankam, war Paula da. Sie machte jedoch sofort Anstalten zu gehen als er das Haus betrat. Glücklicherweise war Jan diesmal auf seiner Seite: „Mit mir spielen, Paula!“ rief er und stürzte sich begeistert auf Olivers Schwester. Sie versuchte ihn freundlich abzuschütteln: „Nein Schatz, das geht heute nicht.“
Jans Unterlippe begann unvermittelt zu beben und Oliver sah schon wieder den nächsten Trotzanfall auf sich zu kommen. Paula, die gegen die neuesten Waffen ihres Neffen noch nicht so gut gewappnet war, wollte natürlich um jeden Preis Tränen vermeiden und resignierte sofort: „Ist ja schon gut, ein paar Minuten kann ich ja noch bleiben.“
Jans Miene hellte sich augenblicklich auf und er rannte freudestrahlend in die Küche, wo er, ganz richtig, seine Oma vermutete. Oliver und Paula folgten ihm etwas langsamer. „Und wie läuft´s?“ erkundigte sich Oliver so ruhig wie möglich. „Was geht dich das an?“ gab Paula giftig zurück. „Oh, wir sind also immer noch sauer, was?“ fragte er provozierend, während er ihr die Küchentür aufhielt. „Sauer? Dafür ist mir deine Meinung viel zu unwichtig. Mein Leben geht dich einfach nichts an.“
„Hört auf euch zu streiten!“ unterbrach Andrea die beiden gewohnheitsmäßig, bevor Oliver etwas erwidern konnte.
Er umarmte sie kurz zur Begrüßung. „Und, wie geht´s dir? Ich hoffe, du bist gesprächiger als mein Schwesterherz.“
Andrea ignorierte den Seitenhieb auf Paula und strahlte ihn an. Eigentlich, dachte er war es überflüssig zu fragen, wie es ihr ging, es war nicht zu übersehen, dass sie glücklich war.
„Ich bin zufrieden“, sagte sie gerade, „Nur Sophie ist ein bißchen bockig in letzter Zeit, aber das wird sich auch wieder geben.“
Oliver runzelte die Stirn: „Was hat sie denn? Ärgert sie sich weil Peter und Markus hier eingezogen sind?“
„Ich weiß es nicht, sie sagt ja nichts.“
„Soll ich vielleicht mal mit ihr reden?“ erbot Oliver sich zögernd. Er war sich nicht sicher, ob Sophie eher mit ihm reden würde, als mit ihrer Mutter.
Statt dessen schüttelte jedoch Paula den Kopf: „Zwecklos, ich hab´s auch schon versucht. Sie spielt die beleidigte Leberwurst und hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen.“
Beinahe wäre Oliver rausgerutscht, dass Sophie ja nicht die einzige in der Familie wäre, die beleidigte Leberwurst spielte, aber er hielt sich zurück. Damit würde er schließlich auch nichts besser machen. Für´s erste ignorierte er also die Probleme mit Sophie und meinte zu Paula: „Könntest du vielleicht mal kurz mit deinem Neffen spielen? Ich will Mama fragen wie es dir geht...“
Sie kommentierte sein Grinsen mit einem knappen „Ha ha!“ schnappte sich aber schließlich doch Jan und marschierte mit ihm durch die offene Terrassentür nach draußen.
Oliver ließ sich seiner Mutter gegenüber am Küchentisch nieder: „Und, wann kriegt sie ihre Kinder?“
„Sei nicht so sarkastisch“, wies seine Mutter ihn zurecht. „Die beiden kommen Mitte September, wenn ihre Mutter in die USA fliegt.“
„Tu doch nicht so, als fändest du die Idee gut“, gab er leicht genervt zurück.
„Tu ich ja gar nicht. Aber sie ist alt genug um zu entscheiden was sie tut. Und du bist schließlich auch nicht unfehlbar.“
„Was soll das denn heißen?!“ fragte er mit einem Anflug von Zorn in der Stimme, doch Andrea ließ sich davon nicht im geringsten einschüchtern. „Das soll heißen, dass sie sich im Gegensatz zu dir bewusst dafür entschieden hat.“
Er verdrehte leicht die Augen. „Mmh hmm...“
Seine Mutter machte eine abwehrende Handbewegung. „Lass uns nicht über Paula streiten. Im Endeffekt hat sie recht, es ist nicht unsere Sache.“
Er wollte noch etwas darauf erwidern, doch er schluckte es runter, da er einsah, dass seine Mutter recht hatte. Es brachte gar nichts wenn sie sich über Paulas Entscheidung auch noch zerstritten. Deshalb wechselte er erneut das Thema: „Und was ist das mit Sophie? Hat sie einfach nur Stress, weil sie mit der Schule fertig ist, und so, oder ist da noch was anderes?“
Andrea schüttelte resigniert den Kopf. „Ich kann es dir doch auch nicht sagen.“
„Könnte es sein...“ er zögerte und fuhr dann sehr vorsichtig fort „Könnte es vielleicht wirklich sein, dass sie ein Problem damit hat, dass Peter so schnell hier eingezogen ist?“
„Ich weiß nicht.“ Andrea überlegte kurz. „Aber ich glaube eigentlich nicht. Sie hatte nichts dagegen, als ich mit ihr darüber gesprochen habe. Im Gegenteil, sie schien sich sogar zu freuen.“
In diesem Moment kamen Paula und Jan wieder herein. Paula triefte vor Nässe, aus ihren Haaren tropfte das Wasser und ihr Oberteil klebte an ihrer Brust. Jan hüpfte vergnügt um sie herum. „Dein Sohn...“ begann sie ohne Umschweife „...weiß wie man einen Gartenschlauch bedient!“ Das sagte sie in einem derart anklagenden Ton, dass Oliver und Andrea einfach nicht anders konnten, als loszuprusten. Jan, der mittlerweile an Olivers Seite stand, fiel kichernd in ihr Gelächter ein. „Paula is´ nass!“ Da musste selbst Paula lachen.
Nachdem sie sich einigermaßen abgetrocknet hatte, brach sie schließlich doch auf. Während sie sich von ihrer Mutter und ihrem Neffen herzlich verabschiedete, fiel die Trennung von ihrem Bruder recht frostig aus. Nachdem Paula gegangen war, kamen Oliver und Andrea noch einmal auf Sophie zu sprechen.
„Ist es denn wirklich so schlimm, wie Paula behauptet?“ erkundigte sich Oliver „Ich meine, dass sie die ganze Zeit bockig ist, und sich sogar einschließt?“
Andrea schüttelte den Kopf: „Nein, ganz so schlimm ist es eigentlich nicht. Paula hat sie vorhin wohl nur ein bißchen gereizt. Du weißt doch wie sie ist...“
„Allerdings.“ Er grinste, wurde dann aber schnell wieder ernst. „Soll ich vielleicht doch mal versuchen mit ihr zu reden? Ich meine, es ist unwahrscheinlich, dass sie eher mit mir spricht, als mit Paula, aber...“
„So unwahrscheinlich ist das gar nicht“, erwiderte Andrea. Oliver sah sie erstaunt an und sie fügte erklärend hinzu: „Nein, wirklich, Sophie gibt viel auf deine Meinung.“
Bei diesen Worten spürte Oliver ein leichtes Unbehagen. Er musste an seine Hochzeit denken, daran was Sophie ihm damals gesagt hatte und er hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen, weil er sie so vernachlässigt hatte.
„Passt du ´nen Moment auf Jan auf? Dann geh ich mal hoch zu ihr.“ Andrea nickte: „Selbstverständlich.“

Oliver klopfte kurz an Sophies Zimmertür, bevor er reinging. Sie saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf ihrem Bett und las. Als er hereinkam, sah sie erstaunt von ihrem Buch auf. „Hallo. Ich hab gar nicht mitbekommen, dass du da bist.“ Er trat zu ihr ans Bett und umarmte sie zur Begrüßung. „Rebecca wollte mal ein bißchen ihre Ruhe haben und hat uns rausgeschmissen“, gab er dann mit einem Grinsen zurück. „Recht hat sie“, erwiderte Sophie frech, „Ich kann mir vorstellen, dass Jan und du manchmal ganz schön nervtötend sein können.“
„Hey, wie wär´s mit ein bißchen mehr schwesterlicher Loyalität, wenn ich bitten darf!“ antwortete er in gespielt beleidigtem Ton und sie lachte. Doch dann wurde sie schnell wieder ernst. „Also, sag schon, wer hat dich geschickt? Mama, oder Paula, die alte Gewitterziege...?“
Er grinste: „Da die alte Gewitterziege kaum noch mit mir spricht, erübrigt sich die Frage wohl.“ Er zog sich den Schreibtischstuhl heran und setzte sich falsch rum darauf, so dass er die Arme auf der Rückenlehne abstützen konnte. „Also, erzähl mal, was gibt´s neues?“
Sie lachte: „Was soll´s schon neues geben? Und überhaupt willst du jetzt Psychogespräche führen, oder was?“
Er zuckte die Schultern: „Mama macht sich Sorgen um dich. Sie meint, du wärst ständig so gereizt in letzter Zeit.“
„Und du fühlst dich mal wieder für alles verantwortlich und hast dir vorgenommen es am besten selbst in die Hand zu nehmen.“ Sie konnte den sarkastischen Unterton aus ihrer Stimme nicht ganz verbannen. Und obwohl sie nicht wirklich feindselig gesprochen hatte, erschreckte ihn dieser direkte Angriff doch ein wenig.
„Wenn du´s so ausdrücken willst“, antwortete er deshalb knapp, bevor er sie aufforderte: „Also, sag schon was mit dir los ist.“
„Nichts! Verdammt nochmal!“ Ganz plötzlich schien sie wütend zu werden. „Darf ich nicht auch einfach mal schlechte Laune haben?!“ Energisch sprang sie vom Bett auf und trat ans Fenster, als wolle sie die räumliche Distanz zwischen ihnen vergrößern und auf gewisse Art vor ihm flüchten. Für ihn bestätigte dieses Verhalten jedoch nur, die Vermutung, dass da wirklich etwas im Busch war. Er stand ebenfalls auf. Sie sah zum Fenster hinaus und er trat langsam hinter sie. „Bist du ...“ Er zögerte einen Moment und schickte ein Stoßgebet zum Himmel: Bitte nicht! Davon hatte er im Moment wirklich genug. Rebecca war wieder schwanger, Paula hatte die neun Monate übersprungen und würde sich einfach so ein paar Kinder zu legen. Sophie musste jetzt nicht auch noch in ihre Fußstapfen treten. Trotzdem schaffte er es, die Frage vollkommen ruhig zu stellen: „Bist du schwanger?“ Sie lachte laut auf und drehte sich zu ihm um: „Nein, schwanger bin ich ganz bestimmt nicht, und falls es dich beruhigt, ich verspüre im Moment auch nicht unbedingt das Verlangen eine eigene Familie zu gründen.“ Erst als er erleichtert den Atem ausstieß, merkte er, dass er zuvor die Luft angehalten hatte. „Was ist es dann?“ fragte er ruhig weiter und trat noch einen Schritt näher an sie heran, so dass sie zu ihm hochsehen musste. „Bist du vielleicht genervt von diesem Markus?“
„Pff...“ Sie gab ein verächtliches Geräusch von sich, als wäre diese Idee das absolut Abwegigste. „Der ist doch so gut wie nie da. Und außerdem, ich glaube, so schlimm ist er gar nicht. Nur ein bißchen unsicher und das muss er dann mit coolen Sprüchen überspielen.“
Trotz ihres Widerspruches spürte er, dass sie der Sache näher kamen und wollte nicht locker lassen. „Aber irgendwas ist doch mit dir los, das merk ich doch.“ Sie schwieg, scheinbar unschlüssig, was sie sagen sollte, und so fuhr er fort: „Komm schon, wenn du es mir nicht sagen willst, dann sprich wenigstens mit Mama, ich glaube, sie macht sich wirklich Sorgen.“
Sie schüttelte den Kopf und wirkte plötzlich deprimiert, als sie leise sagte: „Das kann ich nicht.“
Er betrachtete sie einen Moment eindringlich und bemühte sich innerlich um Ruhe, wenn er sich jetzt nicht zusammen riss, dann würde er gar nichts bei ihr erreichen. Schließlich fragte er ebenso leise: „Warum kannst du das nicht?“
Sie stieß einen resignierten Seufzer aus und hob den Kopf um seinen Blick zu erwidern: „Mama ist gerade so glücklich und... es ist auch eigentlich gar nichts. Ihr würdet es sowieso nicht verstehen. Ich kann´s ja selber nicht richtig erklären.“
„Versuch´s doch einfach!“ drängte er sie nun doch etwas energischer.
„Es geht um Peter“, begann sie zögernd. Oliver nickte ihr ermunternd zu. „Ich kann´s nicht erklären, aber irgendwie,... irgendwie mag ich ihn nicht.“
„Du magst ihn nicht?“ fragte Oliver ungläubig. „Mir schien er ganz nett zu sein.“
Sophie überlegte einen Moment. „Ja, du hast ja recht. Eigentlich ist er wirklich nett, wahrscheinlich spinne ich einfach nur rum, weil das alles noch so ungewohnt ist...“
„Ist das wirklich alles?“ fragte Oliver noch einmal nach, weil es ihn doch ein bißchen wunderte, dass Sophie wegen so einer Nichtigkeit eine solche Heimlichtuerei veranstaltete.
Sie nickte: „Ja, aber erzähl´s auf keinen Fall Mama, ich will nicht, dass sie sich Vorwürfe macht oder so.“

Am Abend erzählte Oliver Rebecca von der ganzen Sache. Als er geendet hatte, fragte Rebecca neugierig: „Und warum kann Sophie Peter nicht leiden?“
Oliver zuckte die Achseln: „Keine Ahnung, hat sie nicht gesagt.“
„Und du hast natürlich auch nicht nachgefragt.“ In Rebeccas Stimme schwang so ein Tonfall mit, als wollte sie sagen: das ist mal wieder typisch. Und Oliver begann automatisch sich zu verteidigen: „Wenn sie irgendeinen Grund hätte ihn nicht zu mögen, dann hätte sie das ja wohl gesagt, oder? Und außerdem meinte sie selber es wäre alles nur weil die Situation so ungewohnt für sie ist.“
„Vielleicht hast du recht“, gab Rebecca zu. „Aber ich halte Sophie eigentlich nicht für einen Menschen, der leicht Behauptungen über andere aufstellt. Und wenn sie zu dir sagt, dass sie Peter nicht mag, dann wird sie schon einen Grund dafür haben ihn nicht zu mögen.“
„Und selbst wenn.“ Oliver zuckte erneut die Achseln. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es was schlimmeres ist, als dass er die Dreckwäsche im Bad liegen lässt, oder so.“
Rebecca ließ ihren Blick über den wild überwucherten Hinterhof gleiten. Sie saßen auf ihrem kleinen Balkon und genossen den lauen Sommerabend. Schließlich nickte sie: „Ja, wahrscheinlich hast du recht.“

In der Nacht wachte Rebecca plötzlich Schweiß gebadet auf. Sie konnte sich nicht an den Traum erinnern, der sie geweckt hatte, sie spürte nur noch die Angst die sie daraus begleitete. Mit einem tiefen Seufzer drehte sie sich zu Oliver um und schmiegte sich enger an ihn, um etwas Geborgenheit zu finden. Kaum hatte sie ihn berührt, da schlang er auch schon einen Arm um sie und zog sie fester an sich. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und genoß seinen vertrauten, männlichen Geruch. Als er ihr einen Kuss auf die verwuschelten Haare drückte, bemerkte sie, dass er nicht mehr ganz so fest schlief. Probeweise rieb sie ihre Hüften an ihm und bekam prompt eine Reaktion. Seine Hand wanderte zu ihrem Po und begann sanft ihn zu massieren. Ihre eigene schob sie zwischen ihre Körper um ihn zu liebkosen. Er war bereits voll erigiert. Ein paar Sekunden später ließ sie sich langsam unter ihn gleiten und er drang mit einem heftigen Stoß in sie ein. Sie keuchte auf und er hielt inne. „Tu ich dir weh?“ fragte er mit noch vom Schlaf rauher Stimme. Sie schüttelte den Kopf und brachte etwas atemlos hervor: „Ist schon in Ordnung.“
Er schob eine Hand zu der Stelle ihrer Vereinigung und streichelte sie sanft während er begann sich ganz langsam und vorsichtig in ihr zu bewegen. Innerhalb weniger Augenblicke keuchte sie erneut auf, doch diesmal nicht vor Schmerz sondern vor Lust. Er erkannte den Unterschied und bewegte sich schneller, doch sie merkte, dass er sich immer noch zurück hielt. Unfähig etwas zu sagen, hob sie ihm ihre Hüften entgegen und schlang ihre Beine noch ein wenig fester um ihn.
Wenige Stöße später kamen sie schließlich beinah gleichzeitig. Schwer atmend lagen sie danach aneinander geschmiegt. Rebecca spürte die leichten Bewegungen wie einen Flügelschlag und instinktiv fuhr eine Hand zu ihrem Bauch. Olivers Hand senkte sich leicht auf ihre und er fragte etwas heiser: „Na, haben wir es aufgeweckt?“ Statt einer Antwort drehte sie nur den Kopf und gab ihm schmunzelnd einen Kuss.
„Es ist verrückt,...“ sagte er eine Minute später „...ich liebe dich so sehr.“
„Ach, und das ist verrückt?“ fragte sie immer noch schmunzelnd.
Er lachte leise und strich ihr dabei zärtlich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. „Nein, das meine ich nicht. Es ist nur...“ Oliver zögerte und Rebecca knuffte ihn leicht in die Seite um ihn zum weiterreden zu bewegen. „Es hört sich blöd an, es so auszusprechen, aber... weißt du eigentlich, dass ich dich nur einmal ansehen muss und am liebsten sofort mit dir ins Bett gehen würde? Selbst wenn wir gerade miteinander geschlafen haben...“ Er brach ab.
Auch sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete: „Glaubst du denn, dass es mir mit dir anders geht? Ich liebe dich, Oliver. Mehr als ich mir jemals hätte vorstellen können...“

„Paaapaaaa!“ Jan krabbelte stürmisch auf das Bett und plazierte sein Knie gekonnt in Olivers Magen. Schließlich erreichte er aber doch die Mitte des Bettes und kuschelte sich zwischen seine Eltern. Vergeblich versuchte Oliver seinen Sprößling zu ignorieren, der vergnügt damit anfing sich aus den Decken seiner Eltern eine Höhle zu bauen. Rebecca setzte sich gerade seufzend auf und rieb sich verschlafen die Augen. Oliver warf einen vorsichtigen Blick auf den Wecker. 7.00 Uhr, am Samstag. Er schnappte sich seinen Sohn und zwang ihn unter der Bettdecke aufzutauchen: „Jan, entweder du bleibst hier ruhig liegen, oder du gehst in dein Zimmer spielen, aber zum Höhlen bauen ist es noch zu früh.“ Jan sah einen Moment so aus, als würde er überlegen, ob er einen Wutanfall bekommen sollte, doch dann schien er zu erkennen, dass sich das nicht lohnen würde und er legte sich so still hin, wie es ein dreijähriger Junge eben kann. Oliver sah zu Rebecca rüber: „Und was dich angeht, wehe du stehst jetzt schon auf!“ Mit einem leichten Grinsen ließ auch sie sich wieder zurück in die Kissen sinken.

Am Nachmittag kam Stephan vorbei um mit Oliver joggen zu gehen. Jan stürzte sich sofort auf seinen Patenonkel.
„Na, Kleiner! Was hast du heute so gemacht?“ erkundigte Stephan sich.
„Hab eine Höhle gebaut!“ antwortete Jan begeistert. Oliver grinste seinen Freund an, während er nach seinem Schlüssel griff. „Heute Morgen um sieben, bei uns im Bett...!“
„Gut gemacht du Racker, nicht dass deine Eltern noch auf dumme Ideen kommen!“ sagte Stephan lachend und wuschelte Jan durch den blonden Haarschopf.
„Haha, sehr lustig!“ gab Oliver säuerlich zurück und hielt Stephan die Tür auf.
Sie liefen schweigend nebeneinander an den Uniwiesen entlang um dann am Aachener Weiher und den grillenden Studenten vorbei zum Stadtwald zu kommen.
Oliver hing seinen eigenen Gedanken nach.
Plötzlich fragte Stephan: „Sag mal, wie geht´s deinen Schwestern eigentlich?“ Oliver warf Stephan einen kurzen Seitenblick zu. Er hatte ihm bis jetzt noch nichts von Paulas Plänen, eine Familie zu gründen, erzählt. Die beiden waren zwar schon lange nicht mehr zusammen, aber Oliver war sich manchmal nicht ganz sicher, ob Stephan Paula wirklich überwunden hatte.
„Geht so“, antwortete er jetzt zögernd, „Sophie mag den neuen Freund unserer Mutter nicht und Paula redet im Moment nicht mit mir.“
Stephan lachte: „Lass mich raten, sie hat ´nen neuen Freund und du hast dich mal wieder daneben benommen.“
Oliver war nahe daran ihm alles zu erzählen, doch aus irgendeinem Grund entschied er sich dann doch dagegen. Statt dessen zuckte er die Schultern und meinte: „So in etwa, aber lass uns nicht drüber reden. Ich hab im Moment viel mehr Angst davor, dass Sophie in ihre Fußstapfen tritt und auch zu einer kleinen Zicke mutiert.“
„Sophie?“ fragte Stephan ungläubig. „Kann ich mir nicht vorstellen.“
Oliver erzählte ihm wie seltsam Sophie sich am Vortag benommen hatte und dass er ihr Verhalten absolut nicht nachvollziehen konnte. Mehr oder weniger zu seinem Ärger reagierte Stephan ganz ähnlich wie Rebecca und meinte, er könne sich nicht vorstellen, dass Sophie jemanden leichtfertig verurteile. Wieder folgte ein längeres Schweigen und schließlich kamen sie, Oliver konnte nicht sagen wie, auf Timm und Manu zu sprechen.
„Wird auch mal Zeit, dass die beiden sich trennen“, meinte Stephan leichthin. Oliver sah ihn erstaunt an: „Wieso das denn?“ Stephan zuckte gleichgültig die Schultern: „Läuft doch schon lange nicht mehr zwischen den Beiden.“ „Also, da hab ich jetzt irgendwas verpasst...“ Bevor Oliver wieder einfiel, dass er ja eigentlich gar nichts darüber wissen wollte, setzte ihm Stephan schon Timms sämtliche Affären der letzten drei Monate auseinander. Als er geendet hatte, fragte Oliver: „Kannst du mir mal sagen, warum er nicht schon längst Schluß gemacht hat?“
„Na, weil er ein Feigling ist“, gab Stephan mit einem verächtlichen Schnauben zurück. „Du kennst doch Timm.“

Nachdem er geduscht und sich umgezogen hatte, spielte Oliver mit Jan, der immer noch quengelig war, weil Oliver und Stephan am Nachmittag ohne ihn gegangen waren. Oliver überlegte, ob er Rebecca erzählen sollte, was Stephan gesagt hatte. Jetzt befand er sich genau in der Zwickmühle, die er eigentlich hatte vermeiden wollen. Ach, was sollt´s? Er würde es erstmal für sich behalten, es handelte sich ja schließlich um nichts, was Rebecca direkt betraf. Das Telefon klingelte und er hörte sie rangehen. Dann einen Moment Stille bevor sie sagte: „Ja, einen Moment, ich hole ihn.“
Er stand auf, als sie zur Tür hereinkam. Das Gesicht finster wie eine Gewitterwolke streckte sie ihm das Telefon hin: „Für dich, Lisa!“ Er nahm ihr das Telefon ab, woraufhin sie sich Jan schnappte und das Zimmer verließ.

Rebecca war sauer. Dabei versuchte sie selbst sich gut zuzureden. Sie hatte Oliver schließlich irgendwie dazu gebracht sich bei Lisa zu melden. Aber sie hätte sich nicht träumen lassen, dass Lisa sich so schnell wieder bei ihm melden würde. Und jetzt telefonierten die beiden schon seit über einer Stunde.
Trübsinnig sah sie zu, wie Jan in seinem Badewasser planschte. Er war schon viel zu lange da drin und sie zwang sich, sich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren. Nachdem sie ihm die Haare gewaschen hatte, was fast immer mit Tränen und Geschrei verbunden war, wickelte sie ihn in ein großes Handtuch und rubbelte ihn trocken. Oliver erschien in der Tür. „Papa weiter spielen?“ fragte Jan fröhlich. Rebecca schüttelte den Kopf, während sie Jan in seinen Schlafanzug steckte. „Nichts da, das könnt ihr morgen machen. Jetzt ist Schlafenszeit.“
Jan zog sofort eine Flunsch: „Aber...“ „Kein Aber, Morgen“, unterbrach Rebecca ihn energisch und sie war beinah selbst erstaunt, als Jan sich daraufhin anstandslos hochheben und ins Bett bringen ließ.
Sobald sich Jans Zimmertür hinter ihnen geschlossen hatte, meinte Oliver resigniert: „Du bist sauer, oder?“
„Hab ich etwa Grund dazu?“ fragte sie mit gespielter Gleichgültigkeit, doch als sie merkte, wie zickig sie klang, meinte sie in versöhnlicherem Ton: „Es tut mir leid, ich weiß, ich hab keinen Grund sauer zu sein. Ich bin nur müde.“
„Vielleicht hatten deine Eltern doch Recht und uns wächst das alles ein bißchen über den Kopf“, sagte Oliver schulterzuckend.
Rebecca sah ihn scharf an und er konnte förmlich sehen, wie sie ihre Stacheln aufstellte. „Was meinst du damit?“
„Nichts“, antwortete er beschwichtigend. „Nur, dass es mit einem zweiten Kind eben auch nicht gerade einfacher wird.“ Als er ihren Gesichtsausdruck sah, hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verschwand im Schlafzimmer.
Er zögerte, sollte er ihr folgen, oder ihr erstmal Zeit lassen sich wieder etwas abzuregen? Wie hatte er nur so dumm sein können, diesen Gedanken so unbedacht auszusprechen? Vor allem, nachdem sie vermutlich ohnehin schon sauer gewesen war, wegen Lisa. Er war ja selber völlig überrascht gewesen, dass sie anrief. Und eigentlich hatte er auch gar nicht vorgehabt so lange mit ihr zu telefonieren, aber irgendwie hatte es damit angefangen, dass sie sich bei ihm über ihren derzeitigen Freund ausheulte, und dann waren sie irgendwie in ihr altes Gesprächsschema zurückgefallen und hatten sich immer weiter in eine Unterhaltung vertieft. Er hatte einiges gut zu machen, das war ihm klar.
Langsam trat er ins Schlafzimmer. Zu seiner Überraschung tobte sie nicht vor Wut. Im Gegenteil, sie lag auf dem Bett und starrte an die Decke, ohne ihn zu beachten. Er setzte sich vorsichtig auf die Bettkante und überlegte einen Moment, was er sagen sollte. Das einfache: „Es tut mir leid.“ Das schließlich aus seinem Mund kam, klang selbst für ihn lächerlich. Sie stützte sich auf ihre Ellbogen und warf ihm einen langen Blick zu. Schließlich sagte sie leise: „Vielleicht war es ein Fehler, dass wir geheiratet haben.“
Das traf ihn wie ein Schlag und er brauchte einen Moment um das Entsetzten zurück zu drängen und seine Sprache wiederzufinden. Als es ihm schließlich gelang, fragte er mit erstickter Stimme: „Ist das dein Ernst?“ Sie zuckte leicht die Schultern und mit einemmal sah er die Tränen in ihren Augenwinkeln glitzern, die sie kaum noch zurück halten konnte. „Sei ehrlich, ich hab nicht den Eindruck, dass du im Moment besonders glücklich bist. Ich dachte wirklich du freust dich genauso wie ich, aber...“ sie brach ab, weil sie sonst losgeschluchzt hätte. Er wollte sie in den Arm nehmen, sie trösten, doch sie wich vor ihm zurück. „Nein, jetzt sei nicht wieder so verdammt nett, nur weil ich fertig bin. Sei ehrlich, bist du glücklich?“
Er zog seine Hand zurück und starrte sie einen Moment ungläubig an. Ganz offensichtlich meinte sie das wirklich ernst. Er besann sich darauf, dass sie eine Antwort von ihm erwartete. Er schluckte: „Ich geb zu, es ist nicht alles so gelaufen, wie ich´s erwartet hätte, aber ... ja, ich bin glücklich.“ Er zögerte einen Moment, dann sprach er den Gedanken aus, der ihm gerade erst gekommen war und der ihm mehr Angst machte als alles andere: „Aber bist du es auch?“
Die Stille die auf seine Frage folgte, wurde nur von ihrem leisen Schluchzen unterbrochen und er kam sich auf einmal wie ein Idiot vor. Sie war nicht glücklich, das war ja wohl offensichtlich. Sie saß vor ihm wie ein Häufchen Elend und die Tränen liefen ihr über die Wangen. Er hielt es nicht mehr aus und zog sie in seine Arme, diesmal wehrte sie sich nicht.
Er hielt sie eine Ewigkeit einfach nur fest, versuchte sie zu trösten, obwohl er langsam das Gefühl hatte, keine Ahnung zu haben, was eigentlich los war. Schließlich beruhigte sie sich und rückte ein Stück von ihm ab um sich die Nase zu putzen. Er ließ ihr noch einen Moment Zeit, bevor er beinahe verzweifelt fragte: „Rebecca, was ist eigentlich los?“
„Ich weiß nicht“, antwortete sie kläglich. „Ich bin einfach nur so müde. Und ... ich hab Angst. Was ist wenn du recht hast, und ich das alles nicht schaffe?“ Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. „Ich mein, meine eigenen Eltern trauen es mir nicht zu... und... nicht mal du traust es mir zu....“
Als er das hörte, musste er schlucken, er hatte nicht gedacht, dass er sie mit seiner unbedachten Äußerung so sehr verletzt hatte. „Hör mal, was ich vorhin gesagt hab,... „ begann er langsam „...das war wirklich nur so dahin gesagt. Es sollte nicht heißen, dass ich dir irgendwas nicht zutraue. Im Gegenteil, ich trau dir so ziemlich alles zu...“ Er konnte sich ein Lächeln nicht ganz verkneifen und war froh, als sie es ein wenig zaghaft erwiderte. „Es war total dämlich von mir zu sagen das dir alles über den Kopf wächst. Nur..., du bist in letzter Zeit so oft müde und erschöpft und dann quengelt Jan ständig... ich mach mir eben Sorgen, wenn ich sehe wie fertig du bist.“
Sie fuhr sich mit einer Hand über die rot geweinten Augen. „Ich weiß ja auch nicht was ich in den letzten Tagen hab. Ich hab das Gefühl, dass ich bei jeder Kleinigkeit heulen könnte und ich kotze mich selber so an.“
Dafür ahnte Oliver jetzt langsam was mit ihr los war, diese Launenhaftigkeit hatte sie auch gehabt, als sie mit Jan schwanger gewesen war, er hütete sich allerdings davor das jetzt auszusprechen und er versuchte außerdem sich keine Gedanken darüber zu machen was ihm in den nächsten Monaten bevorstand, wenn das jetzt schon anfing. Statt dessen strich er ihr mit einer Hand über den Rücken und sagte: „Manchmal muss man lachen, manchmal muss man heulen, ist halt so...“
Damit löste er einen Lachanfall bei ihr aus. Sie kicherte hemmungslos bis sie beinah keine Luft mehr bekam, als sie fertig gelacht hatte, erkundigte er sich was sie eigentlich so erheiternd fände. Sie lächelte ihn liebevoll an: „Du bist so niedlich. Manchmal muss man heulen? Ich hab dich genau einmal richtig fertig erlebt und ich dagegen flenne dir fast jeden Tag was vor.“
„Tust du nicht!“ widersprach er energisch.
„Mir kommt´s aber so vor...“ gab sie wieder ernster zurück.
„Es ist wirklich nicht so“, sagte er noch einmal. „Außerdem hast du auch viel eher das Recht dazu als ich, schließlich bin ich der Egoist von uns beiden.“ Sie wollte ihm widersprechen, doch er brachte sie mit einer knappen Geste zum Schweigen. „Nein, es stimmt doch. Ich bin derjenige, der jeden Tag rauskommt, der Abwechslung hat und ... der sein Studium abgeschlossen hat. Du dagegen bist von Morgens bis Abends an Jan gebunden und hast keine Zeit auch mal was für dich zu machen.“ Er sah ihr fest in die Augen. „Glaub nicht, ich wüsste nicht, welches Opfer du bringst.“
Dafür musste sie sich einfach vorbeugen und ihm einen Kuss auf die Lippen drücken. Auch wenn sie es nicht ganz so sah wie er. Natürlich hätte sie gerne weiter studiert, aber sie liebte Jan und sie blieb gerne bei ihm. Vielleicht hatte sie nicht viel Zeit dafür gehabt, aber sie hatte sich doch ganz bewusst dafür entschieden zuhause, bei ihrem Kind, zu bleiben und diese Entscheidung bereute sie nicht. Natürlich gab es die Momente in denen sie gerne einfach alles hingeschmissen hätte, aber gab es die nicht überall? Garantiert erreichte man diesen Punkt im Studium ganz genauso. Nur dass sie den Vorteil hatte, dass sie nur einen Blick auf Jan werfen musste und wieder wusste wofür sie das alles tat, sie bezweifelte sehr, dass es den meisten Studenten mit ihrem Studiengang genauso ging. Das sagte sie auch Oliver.
Er warf ihr einen leicht skeptischen Blick zu: „Vielleicht hast du recht, aber ich glaube nicht das ich es könnte.“

Als sie später im Bett lagen, fiel Rebecca ein, dass sie gar nicht mehr über Lisa gesprochen hatten. Vielleicht war es besser so. Sie hasste die Rolle der eifersüchtig keifenden Freundin. Beziehungsweise Frau, verbesserte sie sich stumm. Trotzdem, sie hatte gelernt, dass es nichts brachte den Kummer in sich reinzufressen, dann flippte man nur irgendwann völlig aus und das hatte sie ja nun heute schon gründlich erledigt. Wie hatte sie nur sagen können ihre Hochzeit wäre ein Fehler gewesen? Aber die Zweifel wegen ihrer Schwangerschaft nagten so sehr an ihr und sie brauchte um so mehr seine Bestätigung. Und die gab er ihr nun mal gar nicht, in dem er sich wieder mit Lisa anfreundete, dachte sie bitter. Sie musste dieses Thema wirklich ansprechen. Andererseits war es auch nicht gut aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen und er hatte ihr ja schon gesagt, dass Lisa nichts mit ihnen zu tun hatte. Vielleicht würde sie doch lieber noch ein bißchen abwarten und nicht sofort etwas sagen...

Am nächsten Morgen um neun klingelte das Telefon und Rebecca wunderte sich schon, wer außer ihnen Sonntags um neun wach war. Zu ihrem Erstaunen war es Manu, die ihr mit verheulter Stimme erzählte, dass Timm und sie sich am Vorabend endgültig getrennt hätten. Scheinbar hatte er ihr gesagt, dass er sie tatsächlich betrogen hatte und die Beziehung in seinen Augen keinen Sinn mehr hätte. Rebecca war, obwohl sie ja von dem Brief gewusst hatte, doch ziemlich überrascht als sie das hörte. Sie hatte immer geglaubt Timm und Manu wären glücklich, und sie musste an ihre Hochzeit denken, als Timm noch gewitzelt hatte, Manu würde ihn nicht so schnell zum Tanzen kriegen.
Außerdem fand Rebecca es irgendwie seltsam, dass Manu und Tim, über die Oliver und sie sich immerhin kennengelernt hatten, sich jetzt trennten. Es war ein komisches Gefühl so direkt zu spüren, wie sehr sich ihre eigene Situation von der ihrer Freunde unterschied. Manu und Timm konnten sich einfach trennen, ohne sich wirklich Gedanken darum machen zu müssen wie es danach weiterging. Natürlich tat es weh und gerade nach so einer langen Zeit würde der Verlust des Partners nicht leicht sein, aber sie würden drüber wegkommen und mussten sich nie wiedersehen, wenn sie nicht wollten. Doch Rebecca verbannte diese Überlegungen schnell aus ihren Gedanken um sich wieder auf Manu zu konzentrieren, denn die schien eine Freundin nun bitter nötig zu haben. Außerdem hatte sie ja, toi toi toi, nicht vor sich in nächster Zeit von Oliver zu trennen.
Nachdem Manu sich ein wenig beruhigt hatte, schlug Rebecca ihr vor doch einfach vorbei zu kommen, wenn sie etwas Ablenkung bräuchte. Manu nahm den Vorschlag bereitwillig an und Rebecca hatte die Vermutung, dass sie sich die ganze Nacht alleine und mit Grübeleien um die Ohren geschlagen hatte und etwas Gesellschaft jetzt gut gebrauchen konnte.
Als sie aufgelegt hatte, kam Oliver gerade aus dem Badezimmer. Seine Haare waren noch feucht und Rebecca fand, dass er einfach unwiderstehlich aussah. Als er ihren Blick bemerkte, fragte er grinsend: „Na, hast du was Interessantes gesehen?“ Sie tat unbeeindruckt: „Nicht wirklich, ich mein wenn du dein T-Shirt ausziehst vielleicht...“
Er lachte und machte Anstalten sich besagtes Kleidungsstück über den Kopf zu ziehen, doch Rebecca hielt ihn auf. „Tut mir leid, aber ich fürchte das muss warten. Manu kommt gleich vorbei.“
Er setzte eine beleidigte Miene auf und in dem Moment erinnerte er Rebecca so sehr an Jan, dass es ihr glatt die Sprache verschlug. Er nutzte ihre Sprachlosigkeit um sich schnell herunterzubeugen und sie zu küssen. „Wenn ich will...“ flüsterte er mit dem Anflug eines Lächelns „...kann ich ziemlich schnell sein...“ Sie lachte: „Ja, das glaub ich dir blind!“ Sie löste sich von ihm und wurde wieder ernst, weil ihr einfiel, dass Timm und Manu sich gerade getrennt hatten und plötzlich kam es ihr falsch vor, dass sie selbst so glücklich waren.
Als Oliver sich verwundert erkundigte was auf einmal mit ihr los sei, erzählte sie ihm warum Manu vorbei kommen würde. Seltsamerweise schien es Oliver kaum zu überraschen, dass die beiden sich getrennt hatten. Auch dass Timm Manu betrogen hatte, schien ihn nicht zu erstaunen, obwohl er seinen Freund doch vor kurzem noch so vehement verteidigt hatte. Rebecca hatte jedoch keine Zeit sich weiter Gedanken darüber zu machen, da ihnen beiden schlagartig bewusst wurde, dass es verdächtig still war und sie Jan schon eine Zeitlang nicht mehr zu Gesicht bekommen hatten.
Sie fanden ihn in der Küche wo er auf dem Boden saß und vergnügt mit den Töpfen spielte, die er sämtlich aus dem Schrank geräumt hatte und nun fleißig mit Mehl und Zucker füllte. Er erinnerte ein wenig an einen Zwergenschneemann, wie er da hockte und sie glücklich anstrahlte von oben bis unten voller Mehlstaub.
Rebecca und Oliver wechselten einen Blick und er fragte seufzend: „Ok, Kind oder Küche?“
„Küche“, erwiderte Rebecca, woraufhin Oliver seinen Sohn auf die Beine stellte um ihm ersteinmal den gröbsten Staub von den Kleidern zu klopfen, bevor er ihn ins Badezimmer beförderte während Rebecca begann die Küche aufzuräumen.

Rebecca widmete sich gerade der letzten dünnen, aber auch hartnäckigsten Mehlschicht, als sie gleichzeitig einen wütenden Aufschrei von Jan und die Türklingel hörte. Toll, dachte sie, Manu hatte ja echt ein tolles Timing. Sie rappelte sich hoch und ging zur Tür um auf den Summer zu drücken und die Wohnungstür zu öffnen, dann ging sie zurück in die Küche. Manu würde den Weg herein ja wohl alleine finden. Das Geschrei aus dem Badezimmer schwoll an und wurde immer schriller, was daraufhin deutete, dass Oliver gerade dabei war Jan die Haare zu waschen. Hoffentlich beeilte Manu sich ein bißchen, Rebecca wollte sich gar nicht vorstellen wie das Geschrei durchs ganze Treppenhaus schallte. Noch bevor sie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, erkundigte sich eine amüsierte Stimme von der Küchentür her: „Wer wird denn bei euch gerade abgeschlachtet?“
Rebecca sah verwundert auf und fast wäre ihr buchstäblich der Unterkiefer runtergesackt. Vor ihr stand nicht Manu, sondern Timm. Hastig rappelte sie sich hoch und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen: „Hallo, was machst du denn hier?“ Timm zuckte die Schultern: „Ich wollte mit Oliver reden, falls er Zeit hat.... Aber was ist hier eigentlich los?“
Rebecca antwortete zwischen einem schluchzenden Schrei ihres Sohnes und einer wütenden Erwiderung ihres Mannes: „Jan hat Bäcker gespielt und nicht drüber nachgedacht, dass er das mit Haarewaschen bezahlen muss.“ Timm lächelte: „Sehr interessante Erziehungsmethoden...“
Rebecca erwiderte das Lächeln so gut sie konnte und überlegte fieberhaft was sie tun sollte. Manu konnte jeden Augenblick kommen und Timm war jetzt bestimmt der Letzte den sie sehen wollte. Aber sie konnte ihn doch auch nicht so einfach rausschmeißen. Schließlich sagte sie: „Setz dich ´nen Moment, ich geh Oliver holen.“ Olivers Freund, Olivers Problem. Sollte er gucken was er mit Timm machte. Sie lief ins Badezimmer, wo Oliver seinen verheulten Sohn gerade in ein Handtuch wickelte.
„Hey, Timm ist da“, sagte Rebecca so leise wie möglich „Er will mit dir sprechen. Tu was! Manu kann jeden Moment kommen!“
Er riss die Augen auf: „Wow, die beiden haben ja echt ein scheiß Timing.“
Kurzerhand drückte er Rebecca Jan in den Arm und verschwand selbst in Richtung Küche. Während Rebecca den Kleinen in frische unvermehlte Kleider steckte, lauschte sie die ganze Zeit mit einem Ohr auf die Türklingel. Es wäre vermutlich eine mittelschwere Katastrophe, wenn Manu jetzt käme. Und wieso brauchte Oliver überhaupt so lange um Timm loszuwerden? Was machte er denn bloß?
Als Jan fertig war und sie hinter ihm in den Flur trat, fiel ihr Blick auf ihr Handy, das neben dem Telefon lag. Sollte sie Manu anrufen oder ihr eine SMS schicken und sie warnen, dass Timm da war? Es war wahrscheinlich besser, wenn Manu nichts von Timms Besuch wusste, aber... Nein, wenn Oliver das nicht regelte, dann würde sie es eben doch selbst in die Hand nehmen. Entschlossen folgte sie Jan, der schon zielstrebig auf die Küchentür zusteuerte, wo er die Stimmen von Oliver und Timm hörte.
Rebecca zögerte einen Moment, während sie zusah, wie Jan ganz selbstverständlich auf Olivers Schoß krabbelte. Doch dann riss sie sich zusammen und wandte sich an Timm: „Hör mal, Timm...“ begann sie in ehrlich bedauerndem Ton „...es tut mir wirklich leid, ich will euch nicht rausschmeißen, oder so, aber... vielleicht könntet ihr irgendwo ´nen Kaffee trinken gehen und euch da weiter unterhalten..., weil...ääh.“ Mist, wenn sie jetzt als Begründung sagte, dass Manu gleich vorbei kommen würde, dann hätte sie Manu irgendwie bloß gestellt. Darüber hatte sie zuvor gar nicht nachgedacht. Sie warf Oliver einen hilfesuchenden Blick zu, doch der sah nur ziemlich erheitert zu wie sie herumdruckste und war ihr gar keine Hilfe „...ich ... muss noch putzen, du siehst ja, wie es hier aussieht...“ Sie traute sich nicht zu Oliver rüberzusehen, weil sie befürchtete, dass er einem Lachanfall nahe war. Glücklicherweise schien Timm ihr die Begründung aber abzukaufen, denn er erhob sich sofort und meinte, dass das natürlich kein Problem wäre. Es kam Rebecca sogar so vor, als wäre er beinahe ein bißchen erleichtert darüber, dass er woanders mit Oliver sprechen konnte, und sie fragte sich plötzlich, ob er vielleicht auch über die Trennung reden wollte.
Naja, wenigstens verabschiedeten sich die beiden jetzt zügig. Bevor er jedoch ging, drückte Oliver ihr noch einen schmunzelnden Kuss auf die Lippen und fragte frech: „Und, sollen wir Jan mitnehmen, ich mein, weil du doch putzen willst...“ „Du hättest es verdient, dass ich Ja sage!“ zischte sie zurück. Lachend zog er die Tür hinter sich zu.

Zehn Minuten später kam Manu. Sie hatte verheulte Augen und Rebecca war verdammt froh, dass Timm schon weg war. Sie hoffte nur, dass ihr Mann wenigstens soviel Hirn beweisen würde, ihn nicht noch einmal mit in die Wohnung zu bringen.
Der Nachmittag erwies sich sowohl für Rebecca als auch für Oliver als äußerst anstrengend. Denn Rebeccas Verdacht bezüglich Timms Wunsch zu reden, traf den Nagel auf den Kopf. Obwohl Timm, wie Oliver ja bereits von Stephan wusste, Manu einige Male betrogen hatte und scheinbar nicht mehr glücklich war, in der Beziehung mit ihr, schien es ihm trotzdem ganz schön an die Nieren zu gehen, dass sie sich nun endgültig getrennt hatten.
Später erzählte Oliver Rebecca: „Ich glaube, er weiß im Moment gar nicht was er eigentlich will.“ Rebecca sah ihn frustriert an: „Manu dagegen weiß leider sehr genau was sie will: Timm.“
Oliver ließ einen anerkennenden Blick durch das Wohnzimmer schweifen, während er gleichzeitig nach der Fernbedienung griff. „Wow, wie sauber es hier ist, ich wette du hast den ganzen Tag geputzt...!“
Sie warf ein Kissen nach ihm, verfehlte ihn aber knapp, weil er auswich. „Da haben wir beide sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen! Du hättest ruhig mal ein bißchen hilfreicher sein können, nächstes Mal mach ich keinen Finger mehr krumm, dann kannst du Timms Einzelteile aufsammeln, wenn Manu mit ihm fertig ist!“
Er bekam einen Lachanfall und auch sie konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen...“ keuchte Oliver lachend „...wie du... verzweifelt eine Ausrede gesucht hast..... Ich dachte ich sterbe!“
Sie warf ein weiteres Kissen nach ihm und diesmal traf sie, weil er vor Lachen nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte. Doch als sie Anstalten machte sich noch ein Kissen zu schnappen, beugte er sich schnell vor und packte ihre Handgelenke. „Hey, ich wusste gar nicht, dass ich mit so einer gewalttätigen Frau verheiratet bin.“ „Tja, jeder bekommt das was er verdient!“ antwortete sie frech während sie vergeblich versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. „Ach ja?“ fragte er schmunzelnd und beugte sich vor um sie zu küssen. Sie erwiderte seinen Kuss, doch als er ihre Handgelenke noch immer nicht frei gab, rückte sie etwas von ihm ab. „Hey, du kannst mich langsam wieder loslassen. Ich verspreche auch ganz brav zu sein...“
Er lachte. „Ach ja?“ fragte er dann zurück und zog sie etwas grob wieder zu sich hin. „Und was ist, wenn ich das gar nicht will?“
Die Zweideutigkeit seiner Worte verursachte Rebecca ein leichtes Kribbeln im Bauch. Trotzdem lächelte sie ihn gelassen an. „In Ordnung, aber was auch immer du vorhast, ich hoffe du denkst daran, dass du eine schwangere Frau vor dir hast.“ Er zuckte lächelnd die Schultern, aber der Griff um ihre Handgelenke wurde lockerer. Bevor er jedoch noch etwas erwidern konnte, störte das Klingeln des Telefons sie auf. Seufzend wollte Rebecca aufstehen, doch Oliver hielt sie zurück. „Nein, lass mich gehen. Du brauchst deine Ruhe...“ er stand auf und ging zur Tür, bevor er in den Flur verschwand, drehte er sich noch einmal um „...schließlich hast du doch den ganzen Tag geputzt!“ Ihr Lachen begleitete ihn nach draußen.

Zwei Wochen später fand die Geburtstagsfeier von Rebeccas Vater statt. Ihre Eltern hatten sie gebeten etwas früher zu kommen als die anderen Gäste, weshalb Rebecca schon den ganzen Tag hektisch hin und her rannte, weil sie Angst hatte, dass sie es sonst nicht rechtzeitig schaffen würden. Kurz bevor sie dann los wollten, bekam Jan mal wieder einen Trotzanfall. Er beschloß plötzlich, dass er nicht zu seiner Oma und seinem Opa wollte, er wollte zuhause bleiben und spielen!
„Hör jetzt auf, Jan! Ich hab´s echt satt!“ Rebecca war einem Nervenzusammenbruch nahe. Oliver griff sie kurzerhand um die Taille und entfernte sie gewaltsam aus dem Kinderzimmer. Wütend strampelte sie sich aus seinem Arm frei. „Kannst du mir mal sagen was das soll? Wir müssen los, wir sind sowieso schon zu spät dran. Kümmer dich also lieber darum, dass dein Sohn sich endlich zum Auto bewegt!“
„Ok, du hast jetzt mal Sendepause!“ fuhr er Rebecca an. „Ich kann Jan nämlich durchaus verstehen, bei der Unruhe, die du schon die ganze Zeit verbreitest, würde ich mich auch lieber zuhause verkriechen, als irgendwohin zu fahren.“
„Das stimmt doch überhaupt nicht!“ rief sie wütend.
„Doch, es ist jedesmal so, wenn wir irgendwas mit deinen Eltern machen, du bist ein nervliches Wrack. Widersprich mir nicht, ich hab dich heute Morgen gehört.“
Sie warf ihm einen lodernden Blick zu. „Was meinst du damit?“
„Ich meine damit, dass ich gehört habe, wie du dich heute Morgen übergeben hast. Mach mir nichts vor Rebecca, dir geht´s wieder schlechter und ich glaube, dass hängt auch damit zusammen, dass du dir so einen Stress machst wegen deiner Eltern.“
„Ach, dass ist doch Quatsch, ich liebe meine Eltern“, antwortete sie, ohne auf seine Anspielung auf ihre morgendliche Übelkeit einzugehen.
„Ich weiß,...“ antwortete er ruhig „...aber Fakt ist: ihr habt nun mal kein sehr entspanntes Verhältnis zueinander.“
Sie schwieg einen Moment, dann erkundigte sie sich seufzend: „War ich echt so schlimm?“
Er schüttelte den Kopf: „Ging so, aber versuch dich ein bißchen zu entspannen. Es ist nur ´ne Party. Ich will nicht, dass du wegen so einem Scheiß wieder im Krankenhaus landest...“
Sie sah die Sorge in seinen Augen und konnte nicht anders als ihn dafür zu lieben. Schließlich versprach sie sich zu beruhigen, während er sich darum kümmerte Jan zur Kooperation zu bewegen.

Eine halbe Stunde später standen sie bei ihren Eltern vor der Tür. „Kommt rein, dein Vater zieht sich gerade um, aber er wird gleich kommen.“ Sie folgten Annika durch´s Wohnzimmer und in den Garten, wo ein paar fleißige Serviceleute gerade dabei waren die Tische für das Büfett aufzubauen. Annika bot Rebecca und Oliver etwas zu trinken an und erkundigte sich bestimmt zum fünfzigtausendsten Mal in den letzten paar Tagen, ob Olivers Mutter und Peter auch wirklich kommen würden und Oliver bejahte zum fünfzigtausendsten Mal. „Ich hatte euch eigentlich etwas früher erwartet, die ersten Gäste werden wahrscheinlich gleich kommen“, wandte Annika sich dann vorwurfsvoll an ihre Tochter. Na toll, dachte Oliver, da hatte er es gerade geschafft Rebecca etwas zu beruhigen und seine Schwiegermutter machte alles mit einem einzigen Satz wieder zunichte. Als er bemerkte, dass Rebecca nach irgendeiner entschuldigenden Antwort suchte, meinte er kurzerhand: „Wir konnten nicht früher da sein, Becky ging´s heut morgen nicht so gut.“ Seine Frau warf ihm einen Blick zu, der ihm das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen müssen. Aber schließlich hatte er nur die Wahrheit gesagt und es würde Annika nicht schaden, wenn sie aus Sorge mal etwas Rücksicht auf ihre Tochter nahm.
Rebecca war noch immer damit beschäftigt ihre Mutter davon zu überzeugen, dass Oliver maßlos übertrieben hatte, als ihr Vater in den Garten trat. Eine willkommene Ablenkung. Sie gratulierten Frank und Rebecca reichte ihm ihr Geschenk, irgendein Bildband, Oliver wusste nicht mehr genau was, Rebecca hatte ihn besorgt.
„Ach, es freut mich, dass ihr hier seid!“ rief Frank überschwänglich.
„Ja, aber sie können wahrscheinlich nicht so lange bleiben.“ klärte Annika ihn sofort auf. „Rebecca geht es nicht gut.“
Rebecca warf Oliver erneut einen bitterbösen Blick zu und er hatte wirklich Mühe ein Grinsen zu verbergen, als seine Schwiegermutter daraufhin rügend bemerkte: „Du brauchst ihn gar nicht so anzusehen, er hat nur Recht wenn er vorsichtig ist.“
Frank legte besorgt einen Arm um seine Tochter, die in diesem Moment vermutlich am liebsten Feuer gespuckt hätte. „Du musst auf dich aufpassen, gerade jetzt. Sag einfach wenn es dir hier zuviel wird, ich verstehe das schon.“ Rebecca musste sich sichtlich zwingen ruhig zu bleiben: „In Ordnung, Papa, aber Oliver hat wirklich übertrieben, mir geht´s schon wieder richtig gut.“ Die ersten Gäste die ankamen waren Rebeccas Onkel Richard und seine Frau Elke mit ihren drei Kindern. Die jüngste, Hannah, war mittlerweile sechs Jahre alt, und wie üblich stürzte sie sich sofort auf Jan. Es war beinahe rührend, wie sie ihn bei jeder Gelegenheit bemutterte. Die beiden sahen aber auch wirklich niedlich aus zusammen, zwei kleine blonde Engelchen, zumindest so lange sie nicht auf dumme Ideen kamen... Hannah würde mal eine Schönheit werden, davon war Oliver überzeugt, mit ihren blonden Löckchen und ihren großen blauen Augen. Sie hatte ihn schon vor knapp vier Jahren total um den Finger gewickelt, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Damals war er Rebecca zu ihren Großeltern nachgefahren, wohin sie vor ihm „geflohen“ war. Leider hatte er dort nur ihre Verwandtschaft vorgefunden, die ihn direkt als Babysitter eingespannt hatte. Er schmunzelte bei der Erinnerung. Mann, was für ein kleiner eingebildeter Junge er damals gewesen war.
Elke kam grinsend auf ihn zu. Oliver verstand sich gut mit ihr. Sie war mit Abstand das lockerste Familienmitglied in Rebeccas Sippe und ohne ihre Ironie hätte er einige der Familientreffen der letzten Jahre vermutlich nicht überstanden. „Ich würde eine Menge Geld dafür bezahlen zu erfahren was du gerade gedacht hast“, begrüßte sie ihn. „Ach ja? Ich kann dir versprechen, es war nichts was nicht jugendfrei wäre“, erwiderte er ebenfalls grinsend. „Nein?“ fragte sie scheinbar erstaunt. „Was war es dann?“ „Du lässt nicht locker, was?“ gab er amüsiert zurück. „Nicht wenn ich eine interessante Neuigkeit wittere“, erwiderte sie. Er lachte. „Da muss ich dich leider enttäuschen! Ich hab nur gerade an unsere erste Begegnung gedacht und daran wie jung und eingebildet ich damals war.“
„Also jung bist du immer noch, das kann ich dir versprechen“, erklärte sie lächelnd. Er ließ seinen Blick durch den Garten schweifen. Gerade waren weitere Gäste angekommen. Scheinbar jemand mit dem Frank geschäftlich zu tun hatte, denn er stellte Rebecca gerade mit stolz geschwellter Brust vor. Hannah und Jan saßen auf dem Rasen und sahen sich ein Bilderbuch an. Hannah kam nach den Ferien in die Schule und sie hatte ihre Mutter so lange gelöchert, bis die ihr schon mal ein wenig das Alphabet beigebracht hatte. Zu ihrer aller Erstaunen hatte Hannah sich daraufhin fast im Alleingang Lesen beigebracht. Die beiden älteren Matthias und Frederik hingen an ihrem Vater und wollten diesen offensichtlich zu irgendetwas überreden. Olivers Blick kehrte zu Elke zurück und er fragte etwas skeptisch: „Zu jung?“
„Für mich?...“ fragte sie spaßhaft mit anrüchig gehobener Augenbraue „...oder für ein zweites Kind?“
„Also wirklich, hättest du dich dafür nicht früher entscheiden können? Seit Jahren warte ich und jetzt, wo ich endgültig unter der Haube bin, da kommst du...!“ sagte Oliver in gespielter Entrüstung und sie brachen in ein freundschaftliches Lachen aus, doch dann wurde er wieder ernst: „Und wie siehts aus, krieg ich von dir jetzt noch den Vortrag, oder nicht?“ Sie wusste wovon er sprach und zuckte die Schultern. „Ehrlich gesagt, glaube ich ihr habt schon genug Leute, die sich einmischen.“ Ihr Blick traf auf Annika und sie fuhr fort: „Mein herzliches Beileid deswegen übrigens. Außerdem...“ meinte sie nach einer kleinen Pause „...bin ich der Meinung, dass ihr es so genau richtig macht. Ihr habt ein Kind und kommt gut über die Runden, das zweite Kind läuft sowieso erst Mal so nebenher, das kannst du mir glauben, eigene Erfahrung. Was hätte es euch also gebracht länger zu warten?“
Rebecca kam über den Rasen auf sie zu. „Hallo Elke. Wie geht´s dir?“
„Besser als dir, wie ich höre“, sagte die mit einem leichten Stirnrunzeln. Rebecca verdrehte die Augen und sah Oliver wütend an, der hob die Hände in einer schnellen hey-ich-hab-nichts-getan-Geste. „Deine Mutter ist ziemlich besorgt“, fuhr Elke fort.
„Ja und das habe ich alles ihm...“ Rebecca stupste Oliver mit dem Ellbogen an „...zu verdanken.“
„Dann geht´s dir gar nicht so schlecht?“
„Mir war heute morgen wieder ein bißchen übel, aber das war auch alles“, antwortete Rebecca fest, doch Oliver warf ihr einen Blick zu der einem verächtlichen Ja,klar... gleichkam.
„Naja, immerhin könnt ihr jetzt gehen wann ihr wollt, hat doch auch seine Vorteile“, stellte Elke heiter fest.
Sie unterhielten sich noch etwas, bis Frank Rebecca und Oliver zu sich rief um sie weiteren Geschäftsfreunden vorzustellen.

Als sie etwas später gerade wieder in einer solchen Vorstellungsrunde dastanden, fiel Olivers Blick zufällig auf seinen Sprößling, der es irgendwie geschafft hatte sich aus der Gesellschaft seiner mütterlichen Großcousine zu befreien und gerade alleine auf Streifzug durch den Garten war. Irgend etwas schien ihn in der einen Ecke des Gartens geradezu magisch anzuziehen. Oliver folgte seinem Blick und stellte halb erschrocken halb amüsiert fest, dass der Kleine auf den Gartenschlauch zusteuerte, der aufgerollt an der Wand hing. Leider nicht so hoch, dass er außerhalb von Jans Reichweite gewesen wäre. Glücklicherweise geleitete Frank seine Bekannten gerade zu einem Tisch an dem bereits Geschäftsfreunde von ihm saßen, so dass Oliver und Rebecca plötzlich wieder zu zweit da standen. Den Blick nicht von Jan abwendend, fragte Oliver langsam: „Schatz, was ist dir lieber, eine kleine Katastrophe, oder ein Trotzanfall?“
„Was?“ fragte Rebecca verwirrt. Er drehte sie um und zeigte auf Jan, der den Gartenschlauch gerade erreicht hatte und sich nun nach Kräften bemühte ihn abzuwickeln. „Ach was, der weiß doch nicht wie man so ein Ding aufdreht“, meinte Rebecca mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Darauf würde ich nicht wetten.“ gab Oliver zurück. „Bei meiner Mutter letztens konnte er´s. Paula war klatschnass, hab wohl vergessen es zu erzählen.“
Rebecca sah wieder zu ihrem Sohn, dann entfuhr ihr ein leises aber herzliches: „Scheiße!“ „Ich schätze, wir wählen den Trotzanfall, oder?“ fragte Oliver etwas enttäuscht, drückte Rebecca aber bereits sein Glas in die Hand um sich seinen Sohn zu schnappen. Er erreichte den Zwerg gerade noch rechtzeitig, als dieser begann an dem Ventil herumzudrehen. Jan sah seinen Vater mit einem schelmischen Lächeln von Unten an: „Papa nass spritzen?!“ „Das könnte dir so passen!“ antwortete Oliver und löste Jans kleine Finger von dem Schlauch. „Heute nicht. Du darfst Paula wieder nass spritzen, wenn wir sie das nächste Mal sehen, ja?“ Jans Augen leuchteten. „Ja! Jetzt!“ Oliver hob ihn hoch. „Nein, später.“ Er sah bereits wie Jans Gesichtsausdruck von Freude zu Wut wechselte, als seine Rettung nahte. Hannah zupfte an seinem Hemd: „Darf ich noch ein bißchen mit Jan spielen? Er darf auch Frederiks Autos haben.“ Bei dem Wort Autos begann Jans Gesicht augenblicklich wieder zu strahlen und er strampelte um vom Arm seines Vaters herunterzukommen. Dem blieb nichts anderes übrig als zu sagen: „In Ordnung, aber pass ein bißchen auf ihn auf, ja?“ Mann, er hörte sich wirklich wie ein Vater an. Irgendwie fand er das immer noch seltsam. Das war doch nicht er selbst, oder? Rebecca stand plötzlich vor ihm und gab ihm sein Glas zurück. „Souveräne Problemlösung, Herr Spengler. Ich kann sie dafür nur loben.“ „Danke, ich hoffe dir ist klar, dass dein Sohn jetzt die offizielle Erlaubnis hat Paula demnächst nochmal nasszuspritzen.“ Rebecca lachte laut auf, dann sagte sie ironisch: „Du willst mir aber jetzt nicht weismachen, dass das keine Absicht von dir war, oder?“ Oliver zuckte lächelnd die Schultern. Er griff nach Rebeccas Hand und sie schlenderten langsam zu dem Tisch hinüber an dem seine Mutter und ihr Freund mittlerweile zusammen mit Elke und Richard saßen.
Gerade als sie sich zu ihnen gesetzt hatten, hielt Frank den Zeitpunkt für gekommen seine Rede zu halten. Glücklicherweise saß Jan zwischen Elke und Hannah eingeklemmt und spielte ruhig mit Frederiks Matchboxautos. Er würde also vermutlich nicht plötzlich für irgendeinen Aufruhr sorgen.
Frank, das stellte Oliver nun einmal mehr fest, gehörte gelegentlich zu den Menschen, die sich selbst gern reden hörten. Mit anderen Worten er hielt seine Rede nicht besonders kurz, naja, aber immerhin hatte er ja auch fünfzig Jahre zusammen zu fassen. Olivers Blick streifte Elke und sie grinsten sich in schweigendem Einverständnis an. Irgendwann kam Frank dann aber doch langsam zum Ende. „Ja, und nachdem ich nun auf fünfzig Jahre meines Lebens zurückblicken kann, muss ich sagen, die eine Sache, auf die ich wirklich stolz bin in meinem Leben, die hat nun gar nichts mit meiner beruflichen Karriere zu tun.“ Er machte eine Kunstpause und Oliver hoffte, dass er jetzt nicht zu pathetisch werden würde. „Nein, dabei handelt es sich um meine wunderschöne Tochter Rebecca und um meinen Enkel Jan, oder vielleicht sollte ich sagen: um meine Enkel, denn bald werden es zwei sein!“
Rebecca starrte ihren Vater mit offenem Mund an, als dieser nun sein Glas erhob und allen zuprostete, auf seine wunderschöne Tochter. Oliver legte schnell seine Hand über ihre und flüsterte dann: „Ganz ruhig, er meint das nur nett. Und mach den Mund zu, vermutlich wirst du gerade von allen Seiten gemustert.“ Wie automatisch klappte Rebecca den Mund zu, dann riss sie den Blick von ihrem Vater los und sah Oliver an: „Das hat er gerade nicht wirklich gesagt, oder?“ Er nickte: „Doch, ich fürchte schon.“ „Oh Gott, wie peinlich, ich möchte im Erdboden versinken. Und ich glaube, jetzt wird mir gerade wirklich wieder schlecht.“
Oliver musterte seine Frau besorgt, in der Tat war sie auf einmal ziemlich blass geworden. Schließlich sagte er halb ironisch: „Der Zeitpunkt ist gerade nicht sehr günstig gewählt, aber tu was du nicht lassen kannst. Nach der Rede könnt ich´s verstehen.“ Das brachte sie zum Lachen und direkt bekam sie wieder etwas mehr Farbe im Gesicht, was Oliver ein wenig beruhigte.
Nachdem Frank seine Rede endgültig beendet und das Büfett eröffnet hatte, begannen an ihrem Tisch erneut die Gespräche. Irgendwann beugte Andrea sich zu Oliver vor und fragte in gedämpftem Ton: „Sag mal, bist du noch sehr wütend auf Paula?“ Er sah sie verwundert an: „Warum?“ Darüber hatte er sich in letzter Zeit nun gar keine Gedanken mehr gemacht. „Sie will diesen Christian demnächst zum Essen mitbringen und ich glaube, es wäre ihr wichtig, dass du auch da bist.“ Oliver verzog unbehaglich das Gesicht. Meinte seine Mutter das ernst? Es würde bestimmt in einer Katastrophe enden, wenn er sich mit seiner Schwester und ihrem Freund zum Essen traf. „Ich weiß nicht. Bist du dir sicher, dass Paula das will?“ „Ich würd mich auch freuen“, antwortete seine Mutter ihm schmunzelnd. „Aber ich glaube, sie leidet langsam wirklich unter eurer Funkstille.“ „Ach ja? Den Eindruck hab ich eigentlich nicht...“ gab Oliver skeptisch zurück und warf einen hilfesuchenden Blick zu Rebecca rüber, doch die unterhielt sich gerade angeregt mit Peter, der neben ihm saß und bekam nichts von seinem Dilemma mit. „Sei bitte nicht so stur“, bearbeitete Andrea ihn jetzt. „Reiß dich einen Abend zusammen, vielleicht magst du ihn ja, und selbst wenn nicht, kannst du dich nicht einfach für deine Schwester freuen?“ „Freuen? Weshalb denn bitte?“ fragte er verächtlich. „Vielleicht, weil sie glücklich ist“, gab seine Mutter zurück. Oliver schwieg einen Moment. Er musste zugeben, dass seine Mutter nicht ganz Unrecht hatte. Wenn Paula nunmal glücklich war mit ihrer Entscheidung und da sie sich sowieso nicht davon abbringen ließ... „Meinetwegen, ich melde mich die Tage mal bei ihr“, antwortete er resigniert. Seine Mutter konnte sich ein kleines triumphierendes Lächeln nicht ganz verkneifen. „Gut, mehr erwarte ich ja gar nicht.“

Es war bereits dunkel und Andrea und Peter hatten sich gerade verabschiedet, doch Oliver stellte resigniert fest, dass Rebecca noch eine weitere Runde unter den Gästen drehte. Scheinbar hatte sie beschlossen zu beweisen wie gut es ihr ging und erst zu gehen, wenn alle anderen schon lange im Bett lagen. Oliver ärgerte sich gerade über sich selbst, wieso hatte er eigentlich erwähnen müssen, dass es ihr heute morgen nicht so gut ging? Jetzt hatte sich seine vermeintlich gute Idee gegen ihn gewandt.
Elke stand plötzlich wieder neben ihm. „Wir werden uns langsam mal auf den Weg machen, wie´s aussieht bleibt ihr ja wohl noch ein bißchen, oder?“ „Ja, ich glaube auch...“ gab Oliver mürrisch zurück. Sie legte ihm mitfühlend die Hand auf den Arm. „Mach dir nichts daraus, irgendwann ist jede Party zu Ende.“
„Na, du machst mir Mut!“ antwortete er belustigt. Sie grinste ihn an, während sie sich runterbeugte, um Hannah hochzuheben, die schon so müde war, dass sie kaum noch die Augen offen halten konnte. Oliver sah sich suchend nach Jan um. Elke schien seine Gedanken erraten zu haben. „Falls du deinen Sohn suchst, ich bin nicht ganz sicher, aber es sieht mir sehr danach aus, als wäre er dahinten unter dem Tisch eingeschlafen.“ Sie deutete lachend mit dem Kinn in eine Richtung und in der Tat, Oliver sah Jans blonden Schopf unter einem Tisch im Gras aufblitzen. Er verabschiedete sich hastig von Elke und Richard und wandte sich in die Richtung in der sein Sohn lag. Kurz wurde er von Annikas Freundinnen aufgehalten, die Rebecca offenbar noch nicht erwischt hatten und sich nun bei ihm erkundigten, wann es denn so weit wäre. Er bemerkte sofort, dass er es hier mit der ganz neugierigen Sorte zu tun hatte, entsprechend zurückhaltend fielen seine Antworten aus. Als dennoch die Frage: „Aber jetzt sag mal ehrlich, dass war doch nicht geplant?“ kam, wies er kurzerhand darauf hin, dass er Jan holen müsste und ließ die Damen einfach stehen. Das war mal wieder typisch für Rebeccas Eltern, dass sie ihr Privatleben in aller Öffentlichkeit ausbreiteten und an Rebecca und ihm blieb es schließlich hängen die lästigen Fragen zu beantworten.
Er ging in die Knie und musste lächeln, als er sah, wie niedlich Jan sich im Gras zusammengerollt hatte. Den Daumen im Mund schlummerte er selig. Es war Oliver zuwider ihn zu wecken, aber liegen lassen konnte er ihn schließlich auch nicht. Schweren Herzens streckte er die Arme aus und zog Jan behutsam unter dem Tisch hervor. Der Kleine blinzelte kurz und gab ein leises Geräusch von sich. Oliver legte ihn an die Schulter und strich ihm beruhigend über den Rücken, und im Nu war er wieder eingeschlafen.
Mit seiner Last drehte er sich um und hielt erneut nach Rebecca Ausschau. Sie stand immer noch in einer Gruppe von Freunden ihrer Eltern. Wenn er jetzt zu ihr ginge, würde die Hälfte der Leute anfangen an Jan herum zu fingern, oh, wie süüüß, und dann würde der Kleine vermutlich nicht mehr lange schlafen. Die Alternative war allerdings, dass er Jan ins Haus brachte und ihn dort schlafen legte, doch er wusste jetzt schon, wie das dann ausgehen würde, und darauf hatte er nun wirklich keine Lust. Annika und Frank würden garantiert versuchen ihnen einzureden, dass es doch viel besser wäre hier zu übernachten oder zumindest Jan dazulassen. Nein, er wollte definitiv in seinem eigenen Bett schlafen heute Nacht.
Als er noch unschlüssig dastand, trat Frank auf ihn zu. „Na, ist Jan eingeschlafen?“ Oliver nickte und fügte mit einem Lächeln hinzu: „Unter dem Tisch.“ Frank erwiderte sein Lächeln. „Ja, es ist ja auch schon ziemlich spät.“ Er strich Jan kurz über die Haare bevor er fortfuhr. „Ich wollte kurz mit dir sprechen bevor ihr fahrt.“ Obwohl er Gespräche hasste, die auf diese Art begannen, zuckte Oliver gelassen die Schultern, zumindest so gut das mit Jan auf dem Arm ging. „Du hast alle Zeit der Welt, Rebecca macht nicht den Eindruck als wollte sie in nächster Zeit fahren.“
Frank warf einen Blick zu seiner Tochter hinüber und lächelte: „Ja, es scheint ihr doch wieder richtig gut zu gehen.“ Er zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr. „Nichtsdestotrotz wollte ich euch anbieten, wenn es Rebecca, oder auch euch beiden, irgendwann zuviel werden sollte, dann könnt ihr Jan jederzeit herbringen, aber das wisst ihr ja. Und falls ihr Geld braucht, müsst ihr nur etwas sagen. Wir wissen doch, dass Kinder ziemlich teuer sind.“
Oliver wusste, dass dieses Angebot nur gut gemeint war und dass Rebecca und er sich verdammt glücklich schätzen konnten, dass ihre Eltern ihnen jederzeit finanziellen Rückhalt boten, das war wesentlich mehr, als die meisten anderen jungen Familien hatten. Trotzdem fühlte er sich nie so recht wohl dabei, wenn er Geld von Frank und Annika annahm. Er hatte dann das Gefühl in ihrer Schuld zu stehen, auch wenn sie so etwas nie angedeutet hätten.
Deshalb antwortete er: „Es ist nett von euch das anzubieten, aber wir kommen ganz gut über die Runden.“
„Im Moment noch, aber was ist, wenn das Baby erst da ist, dann werdet ihr auch irgendwann eine größere Wohnung brauchen...“
Tja, das würde wohl nicht so einfach werden, wie Oliver gedacht hatte. Tatsächlich hatten Rebecca und er auch schon überlegt, ob die Wohnung für zwei Kinder groß genug wäre. Sie waren zu dem Schluß gekommen, dass das für´s erste kein Problem wäre. Das Kleine würde die erste Zeit vermutlich ohnehin bei ihnen schlafen und später konnten sich beide Kinder ein Zimmer teilen, dafür war Jans Zimmer auf jeden Fall groß genug. Das erklärte Oliver nun auch Frank. Als er geendet hatte und sah, wie sein Schwiegervater bereits zu einem Widerspruch ansetzte, fügte er schnell hinzu: „Aber wenn wir etwas brauchen, wenden wir uns natürlich an euch.“ Frank zögerte einen Moment, offenbar unschlüssig, ob er noch etwas zu dem Thema sagen sollte, oder nicht. Zu Olivers enormer Erleichterung entschied sich sein Schwiegervater für ein einfaches: „Gut.“
Sie schwiegen einen Moment und Oliver fragte sich erneut, wann Rebecca endlich genug von den alten Leuten hatte. Sie konnte doch nicht wirklich Spaß mit diesen alten Ömchen haben, oder? Frank räusperte sich und Oliver wandte ihm erneut seine Aufmerksamkeit zu. „Was ich dir auch noch sagen wollte...“ begann Frank langsam. „...auch wenn wir in letzter Zeit vielleicht einige Meinungsverschiedenheiten hatten, das was ich vorhin über Rebecca gesagt habe, gilt für dich ebenfalls.“ Als er Olivers fragenden Blick sah, setzte er hinzu: „Ich bin auf dich nicht weniger stolz. Du machst deine Sache gut und du liebst sie, das respektiere ich.“ Mit einem Klopfen auf die Schulter ließ er ihn stehen. Oliver sah ihm verdutzt nach. Was war das denn? Schon das zweite Mal, dass sein Schwiegervater an diesem Abend Gefühle zeigte, langsam wurde ihm das unheimlich. Aber er musste zugeben, dass dies eben kein geringes Kompliment gewesen war. Trotzdem war er froh, dass Frank sich das für ein Gespräch unter vier Augen aufgehoben hatte. Rebecca war die Anspielung auf sie schon peinlich gewesen, aber wenn er das auch noch ausgesprochen hätte.... Oliver schauderte beinahe bei dem Gedanken. Über dieser Überlegung hätte er fast seine große Chance verpasst. Rebecca hatte sich von der Gruppe, bei der sie bisher gestanden hatte, gelöst und steuerte nun auf einen Tisch zu.
Er schaffte es sie zu erreichen, bevor sie sich vom nächsten Krampfadergeschwader mit Beschlag belegen ließ. „Schatz, ich weiß, du hast gerade tierisch viel Spaß,...“ begann er mit einem dreisten Grinsen „...aber ich fürchte Jan will unbedingt nachhause und ich muss zugeben, ich finde die Idee gar nicht so schlecht.“ Sie überlegte einen Moment. „Wir können jetzt noch nicht gehen. Wie wär´s wenn du Jan einfach drinnen hinlegst?“ Er sah sie entgeistert an: „Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Sie nickte: „Doch, jetzt stell dich bitte nicht so an. Mama hat sowieso schon angeboten, dass wir hier übernachten können, und vielleicht sollten wir ihr ausnahmsweise mal den Gefallen tun.“ Oliver starrte seine Frau mit offenem Mund an und war anscheinend völlig sprachlos. Das war der Punkt, an dem Rebecca ihr Lachen nicht länger zurück halten konnte. Sie prustete los. „Diesmal hättest du dein Gesicht sehen sollen...!“ Oliver atmete demonstrativ auf: „Mann, hast du mir einen Schreck eingejagt!“ Sie grinste: „Rache!, für die Sache mit Timm!“ „Ha, ha!“ gab er trocken zurück. „Können wir dann los?“ Ihr Blick schweifte zu ein paar älteren Damen, die ihm ziemlich bekannt vorkamen. „Eigentlich müsste ich noch...“ „Nein!“ unterbrach er sie „Musst du nicht! Die haben mich eben schon erwischt, das reicht voll aus, mehr Informationen brauchen die nicht.“ Rebecca lachte bei seinem grimmigen Gesichtsausdruck. „Gut, dann verabschieden wir uns von meinen Eltern.“

Im Auto schmiegte sich Rebecca mit einem glücklichen Lächeln kurz an Olivers Schulter bevor sie sich in ihren Sitz zurück sinken ließ. Er musterte sie mit einem seltsamen Blick und sie fragte was los sei. „Nichts, ich habe mich nur gerade gefragt,...hast du das etwa wirklich genossen?“ Sie sah ihn belustigt an: „Natürlich, endlich mal wieder eine richtige Party.“ Diesmal war er besser auf ihre Fopperei vorbereitet: „Jetzt verarschst du mich!“ „Stimmt!“ antwortete sie lachend und drückte ihm überschwenglich einen Kuss auf die Wange. „Nein, im Ernst“, sagte sie einen Moment später, „Ich fand´s ganz erträglich, aber um ehrlich zu sein, sind meine Füße kurz davor abzusterben und ich habe die ganze Zeit sehnsüchtig darauf gewartet von dir gerettet zu werden.“
„Tut mir leid, dein Vater wollte mit mir sprechen...“ Sie sah erstaunt auf. „Ach ja? Was wollte er denn?“
„Erstmal ...“ begann Oliver „... wollte er uns Geld anbieten, falls wir irgendwie knapp sind und...“ Rebecca unterbrach ihn. „Was soll das denn, bitte? Will er jetzt Wohlfahrt spielen?“
„Reg dich nicht auf.“ Oliver tätschelte ihr beschwichtigend das Knie. „Er hat´s nur nett gemeint. Außerdem, der richtige Hammer kommt erst noch...“
Rebecca sah ihn mit einer Mischung aus Spannung, Wut und Neugier an. Er grinste frech bevor er fortfuhr: „Dein Vater liebt mich!“
„Was?!“ fragte sie verwirrt und er lachte. „Naja, vielleicht war das ein bißchen zu krass ausgedrückt, aber er ließ mich wissen, dass er auf mich ebenso stolz ist wie auf Jan und dich.“
„Oh...“ Rebecca war einen Moment sprachlos, schließlich fragte sie verblüfft: „Wie hast du das denn hingekriegt?“
„Na, mit meinem unvergleichlichen Charme, das müsstest du doch eigentlich wissen!“ gab er in beleidigtem Ton zurück, konnte sich ein Grinsen aber doch nicht ganz verkneifen.

Am nächsten Tag war Rebecca einigermaßen erstaunt, als das Telefon klingelte und Paula ihren Bruder sprechen wollte. Mit fragend hochgezogenen Augenbrauen hielt sie Oliver das Telefon hin. „Paula, für dich.“
Er machte eine Geste, die wohl soviel heißen sollte wie: erkläre ich dir später.
Verwirrt beobachtet Rebecca, wie Oliver zum ersten Mal seit Wochen ein einigermaßen normales Gespräch mit seiner Schwester führte. Da musste ihr irgendetwas entgangen sein. Wann hatten die beiden denn beschlossen wieder miteinander zu reden? Naja, war ja eigentlich auch egal, Hauptsache sie taten es.
Oliver schaffte es allerdings sie in noch größeres Erstaunen zu versetzen, als er das Telefonat beendet hatte und ohne Umschweife meinte: „Wir sind nächsten Donnerstag bei meiner Mutter zum Essen eingeladen. Paula und ihr neuer Freund kommen auch.“
Einen Augenblick blieb Rebeccas Mund offen stehen, dann fragte sie misstrauisch: „Veräppelst du mich gerade?“
„Nein!“ er sah sie etwas gereizt an. „Warum denken eigentlich immer alle...“ er unterbrach sich „Ach, auch egal. Mama hat mich gestern Abend gebeten nicht länger wütend auf Paula zu sein.“
„Ach, so einfach ist das?!“ gab Rebecca ironisch zurück. Oliver lachte, wenn auch etwas mürrisch. „Ok, wahrscheinlich hab ich mal wieder ein bißchen überreagiert...“
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm lächelnd einen Kuss. „Hab ich dir schon mal gesagt, dass ich deine Großerbruder-allüren ziemlich niedlich finde?“ Er überlegte einen Moment angestrengt, dann antwortete er: „Nein, ich glaube eigentlich hast du immer nur gesagt ich soll mich nicht so anstellen.“
„Das war die Stimme der Vernunft, die da aus mir gesprochen hat. Kannst du dir also ruhig mal hinter die Ohren schreiben“, antwortete sie mit einem frechen Grinsen.

Der Donnerstagabend kam und Rebecca stellte frustriert fest, dass sie ihre Lieblingsjeans nicht mehr zu bekam. „Ach, so ein Scheiß“, murmelte sie und knallte die Jeans zurück in ihren Schrank. Ratlos warf sie einen Blick auf die Auswahl an Klamotten die sie hatte. Oliver streckte den Kopf zur Tür herein und warf ihr einen amüsierten Blick zu.
„Na Schatz, wir müssen langsam los, ziehst du dir noch was an oder kommst du so mit?“
Sie sah ihn trotzig an: „Ich komme so mit. Außer Unterwäsche hab ich nämlich nichts in das ich noch reinpasse!“ „Kein Problem, meine Mutter wird sich zwar ein bißchen wundern, wenn du dort in String und BH auftauchst, aber ich glaube nicht, dass sie etwas dagegen hat“, gab er ernsthaft zurück. Mit einem Seufzen wandte sich Rebecca wieder ihrem Kleiderschrank zu. Oliver trat hinter sie und sah ihr über die Schulter.
„So schlimm?“ fragte er, als sie lustlos in einem Haufen Oberteile stocherte. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin nur zu fett für meine normalen Klamotten, und noch nicht fett genug für Umstandskleider...“
Er legte die Arme um sie. „Du bist kein bißchen zu fett...“ murmelte er, während seine Lippen langsam an ihrem Hals abwärts wanderten. Sie lehnte sich mit einem leisen Aufstöhnen gegen ihn. Seine Rechte umfasste ihre Brust und zog sanfte Kreise um die Brustwarze, die unter dem Stoff im Nu hart wurde. Keuchend drehte sie sich zu ihm um und schmiegte sich an ihn. Er drängte seine Hüften gegen sie und ihre Lippen trafen hungrig aufeinander. Als Olivers Hand nach unten glitt um den Knopf seiner Jeans zu öffnen, fragte Rebecca atemlos: „Wo ist Jan?“ „Spielt im Wohnzimmer...“ antwortete Oliver heiser an ihrem Mund.
Er nahm sie im Stehen, es ging schnell und es war gut.

Paula und Christian waren bereits da, als sie ankamen. Die Vorstellung lief ein bißchen gezwungen, aber eigentlich glimpflich ab. Danach saßen sie alle auf der Terasse. Es war ein warmer Sommerabend und Peter hatte ihren alten Grill aus dem Schuppen ausgegraben, auf dem nun das Fleisch vor sich hin brutzelte.
Rebecca saß neben Oliver und fragte sich, ob es wohl doch ein Fehler gewesen war, dass sie sich letztlich für das dünne Sommerkleid entschieden hatte, das ihren Bauch noch recht gut kaschierte. Wenn es nachher kühler werden würde, dann würde sie sich den Arsch abfrieren. Plötzlich kam Jan ganz aufgeregt zu ihnen gelaufen und zerrte energisch an Olivers Arm. „Papa, Papa...!“ Oliver, der gerade dem Gespräch zwischen Christian und seiner Mutter gelauscht hatte, sah Jan verwirrt an: „Was ist denn, Zwerg?“
Jan sah ihn mit einem geradezu diabolischen Funkeln in den Augen an. „Paula nass spritzen! Jetzt!“ Rebecca lies den Blick amüsiert zwischen ihrem Mann und ihrem Sprößling hin und her wandern. Oliver sah sie hilfesuchend an, doch sie zuckte nur die Schultern. Das war sein Problem. Oliver warf einen Blick zu seiner ahnungslosen Schwester hinüber. „Jan, ich glaub, das geht heute nicht...“ begann Oliver zögernd. „Doch!“ rief Jan entrüstet und stapfte mit seinem kleinen Fuß auf. Oliver warf einen weiteren Blick zu Paula hinüber, dann schien ihm eine Idee zu kommen. „Ok, aber du musst erst Paula fragen.“ Paula sah auf, als sie ihren Namen hörte: „Was ist mit mir?“ „Dein Neffe möchte dich was fragen.“ Paula lächelte Jan an. Der vergrub ein bißchen schüchtern sein Gesicht an Olivers Ärmel, doch schließlich brachte er doch genug Mut auf um Paula zu fragen: „Paula nass spritzen?“
Paula, die zuerst nicht richtig verstand, lachte: „Ja, du hast mich schon mal ganz schön nass gespritzt, du Racker!“ Jans Augen begannen wieder zu glitzern: „Nochmal!“ „Oh Nein!, ganz bestimmt nicht!“ rief Paula grinsend „Sonst spritz ich dich auch nass, das kannst du mir aber glauben!“ Jan zog eine Schnute: „Nein...“ „Oh, doch!“ Paula beugte sich herüber um ihn zu kitzeln, was ihm ein lustiges Glucksen entlockte.
Glücklicherweise war das Thema Gartenschlauch damit erstmal abgehandelt. Rebecca grinste Oliver an: „Da hast du jetzt aber verdammt Schwein gehabt.“ „Pfff, Schwein gehabt, alles diplomatisches Geschick!“ damit wandte er sich Paula zu, offensichtlich entschlossen ein ganz normales Gespräch mit seiner Schwester zu führen.
Nach einer Weile erkundigte Rebecca sich wo Sophie eigentlich wäre. Paula warf Oliver und ihrer Schwägerin einen offensichtlich genervten Blick zu: „Fragt besser nicht... Sie ist kurz nach uns nachhause gekommen, hat `Hallo´ gesagt und sich dann sofort auf ihr Zimmer verdrückt. Sie benimmt sich wie ein pubertierender Teenager.“ Rebecca und Oliver tauschten einen überraschten Blick. Schließlich fragte Oliver in gedämpftem Ton: „Was ist denn mit ihr los? Ist das immer noch wegen Peter?“ Paula zuckte die Schultern und meinte ebenso leise: „Ich nehm´s an, aber sie redet ja nicht. Kann sein, dass sie auch ein bißchen stinkig ist, weil ich mich so schnell verpisst hab.“
Rebecca fand Sophies Verhalten genauso seltsam wie ihre Geschwister und nachdem was Sophie Oliver erzählt hatte, machte sie sich nun auch ein wenig Sorgen um sie. Doch sie verdrängte ihre düsteren Gedanken und konzentrierte sich stattdessen auf Paulas Freund.
Christian war wirklich nett. Er unterhielt sich freundlich mit Andrea und Peter und puzzelte sogar mit Jan, doch Oliver und er behandelten sich mit einiger Zurückhaltung wie Rebecca bald bemerkte. Vermutlich hatte Paula ihm erzählt, was Oliver von ihren Plänen hielt.
Einmal fürchtete Rebecca die Situation könnte aus dem Ruder laufen, als Christian mit Jan spielte, was Andrea dazu veranlasste sich nach seinen Kindern zu erkundigen. „Momentan sehe ich die beiden, mit ein bißchen Glück, vielleicht einmal im Monat. Ich muss zugeben, ich bin wirklich froh, wenn ich sie demnächst endlich wieder länger bei mir habe.“ Rebecca sah aus dem Augenwinkel, wie Oliver sich aufsetzte und auch Paula versteifte sich in ihrem Stuhl, als würden beide sich bereits auf eine große Diskussion vorbereiten. Bevor jedoch einer von ihnen irgendetwas sagen konnte, meinte Andrea: „Das glaube ich ihnen gern, aber ich wäre froh, wenn Paula dafür nicht gleich ihr Leben aufgeben würde.“ Paula stöhnte auf, doch zur allgemeinen Verwunderung antwortete Christian, während er Paula besänftigend das Knie tätschelte: „Ja, ich wäre auch froh, wenn sie etwas weniger Engagement zeigen würde. Obwohl ich ihr natürlich dankbar bin, aber um ehrlich zu sein, will ich nicht dafür verantwortlich sein, dass sie ihr Studium abbricht.“ „Ich brech mein Studium nicht ab, ich leg´s nur ein bißchen auf Eis“, antwortete Paula gereizt. „Trotzdem!“ erwiderte ihr Freund unbeeindruckt.
„Wieso kann eigentlich keiner von euch akzeptieren, dass ich das Gefühl habe, dass das genau das Richtige für mich ist? Ich bin eben nicht so karrieregeil!“ rief Paula wütend. Rebecca spürte förmlich, wie Oliver sich zusammenreißen musste, um nichts zu sagen. Sie selbst verspürte allerdings nicht das Verlangen sich mit Paula anzulegen und sie musste zugeben, dass Paulas Argumente, nämlich, dass sie es für sich selbst ausprobieren wollte, mit einemmal wesentlich glaubwürdiger auf sie wirkten. Vermutlich, weil sie jetzt von Christian selbst gehört hatte, dass er offensichtlich nicht die treibende Kraft hinter dieser Sache war. Gerade beugte er sich zu Paula hinüber und drückte ihr einen besänftigenden Kuss auf die Lippen.

Etwas später ließ sogar Sophie sich noch blicken. Sie sah ziemlich erschöpft aus, fand Rebecca. Sie war blass und hatte dunkel Ringe unter den Augen, außerdem glaubte Rebecca, dass sie abgenommen hatte, seit sie sie zuletzt gesehen hatte. Und Sophie war schon damals alles andere als dick gewesen.
Sie umarmte Rebecca zur Begrüßung und ließ sich dann auf Olivers Lehne nieder, obwohl durchaus noch ein Stuhl für sie frei war. Rebecca hatte beinah den Eindruck, als würde Sophie Schutz bei ihrem großen Bruder suchen, was sie doch sehr wunderte, da sie Sophie nie als besonders schutzbedürftig angesehen hatte.
„Und, hast du dich mittlerweile entschieden, was du studieren willst, und wo?“ erkundigte Paula sich gerade bei ihrer Schwester. Sophie schüttelte den Kopf. „Ich glaube, es läuft auf Mathe hinaus, aber Psyschologie ist auch noch im Rennen. Ich hab mich nach wie vor noch nicht entschieden.“
„Oh Gott, Mathe!“ stöhnte Christian „Ich bin schon in der Schule an Mathe verzweifelt.“ „Ja, ich auch.“ gab Rebecca lachend zurück. „Was unterrichtest du eigentlich?“ erkundigte sie sich einen Moment später, da sie sich daran erinnerte, dass er ja selbst Lehrer war. „Deutsch, Geschichte und Sport“, antwortete er lächelnd.
„Das wäre wiederum nichts für mich“, meinte Sophie, „Erstens kann ich mir absolut keine Jahreszahlen merken, und dann Lehrer...“ sie schüttelte sich „Nein, auf keinen Fall.“ Alle lachten.
Es wurde noch ein lustiger Abend, doch Rebecca fiel auf, dass Sophie kaum von Olivers Seite wich. Als sie gingen, schlossen Paula und Christian sich an. Vor der Tür blieben sie noch einen Moment stehen um sich zu verabschieden. Jan war todmüde und hing wie ein Mehlsack auf Rebeccas Arm. Paula wuschelte ihrem Neffen durch die Haare: „Gute Nacht, Kleiner.“ Rebecca umarmte sie, dann gab sie Christian die Hand. „War schön dich kennen zu lernen.“ Er lächelte: „Ja, fand ich auch.“
Oliver umarmte seine Schwester. Als sie sich von ihm löste, fragte sie direkt: „Bist du immer noch sauer auf mich?“ Er zögerte einen Moment. „Nein. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass du dein Studium zu Ende machen solltest, aber es ist deine Entscheidung.“ Sie nickte langsam: „Danke.“ Sie beugte sich noch einmal vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

Am nächsten Tag kam Stephan überraschend vorbei. Oliver war noch arbeiten , doch Rebecca, die gerade das Gefühl gehabt hatte, als würde ihr die Decke auf den Kopf fallen, freute sich über die Abwechslung.
„Ich dachte, ich überrasche euch mal. Hab mich ja lang genug nicht mehr mit meinem Patenkind beschäftigt.“ Er lächelte Jan an, der sich begeistert an sein Bein klammerte. „Stephan! Spielen!“ Stephan hob ihn hoch und warf ihn in die Luft. „Wir gehen gleich spielen, Kleiner.“ Er lächelte Rebecca an. „Ich hoffe ich störe nicht...“ Sie schüttelte ebenfalls lächelnd den Kopf. „Nein, im Gegenteil, ich bin verdammt froh, dass du da bist. Ich kann ein bißchen volljährige Gesellschaft vertragen.“
Er lachte. „Das glaub ich. Wie geht´s dir?“ „Ich werde fett, aber ansonsten kann ich mich nicht beklagen“, gab sie trocken zurück. Er musterte sie scheinbar abschätzend „Glaub mir, du siehst besser aus als jemals zuvor.“ „Klar!“ erwiderte sie ironisch. „Aber ich hätt´s trotzdem lieber wie Paula. Zwei Kinder ohne ein Kilo zuzunehmen oder ständig zu kotzen.“ Stephan sah sie erstaunt an und sie ahnte plötzlich, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. „Wie? Paula und Kinder?“ Mist, sie hatte nicht damit gerechnet, dass Oliver ihm noch nichts davon erzählt hatte. Das hätte er ihr aber ruhig auch mal sagen können. Jetzt musste sie wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und Stephan die ganze Geschichte erzählen. Anfangs schien er etwas erstaunt, doch als sie geendet hatte, meinte er lediglich ruhig: „Wer weiß, ich könnte mir vorstellen, dass es für Paula wirklich die richtige Entscheidung ist.“ Rebecca sah ihn erstaunt an: „Wirklich? Du bist der erste, der das so sieht.“ Er grinste: „Könnte daran liegen, dass ich nicht mit ihr verwandt bin, oder?!“ Rebecca lächelte ebenfalls. „Stimmt.“ Er fuhr fort: „Außerdem...“ er zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde „... Paula wollte schon mit mir damals ein Kind.“
Rebecca riss die Augen auf und starrte ihn sprachlos an. Er zuckte die Schultern: „Ich hab´s Oliver nie erzählt. Schließlich weiß ich wie er ist, wenn es um seine Schwestern geht.“ Langsam fand Rebecca ihre Sprache wieder: „Wow! Ist das dein Ernst?“ Wieder zuckte er die Schultern. „Naja, ich hab´s damals eher für eine Phase gehalten, weil ihr gerade Jan bekommen hattet und so. Ich hab sie nicht wirklich ernst genommen, aber wenn ich gesagt hätte: Klar, lass uns Kinder kriegen! Ich glaube, sie hätte sofort Ja gesagt.“
„Davon wusste ich gar nichts. Aber vor dem Hintergrund, vielleicht wird Paula wirklich glücklich mit ihrer Wahl.“ Stephan nickte: „Ich würde es ihr gönnen.“
„Wirklich?“ fragte Rebecca erstaunt. „Du hast kein Problem damit?“ Stephan überlegte einen Moment, schließlich schüttelte er den Kopf: „Nein. Ich geb zu, ich bin selber ein bißchen überrascht, aber es stört mich tatsächlich nicht.“
Rebecca hätte sich gerne noch weiter mit Stephan unterhalten, aber der konnte Jans laute Rufe nun doch nicht länger ignorieren. Während die beiden in Jans Zimmer verschwanden, machte sie sich in der Küche daran zu kochen. Wobei kochen eigentlich etwas zuviel gesagt war. Sie rollte lediglich den Pizzateig aus, den sie bereits vorbereitet hatte, und belegte ihn mit allem was sie noch da hatte. Nachdem sie die Pizza in den Ofen geschoben hatte, nutze sie die freie Zeit, die Stephans überraschender Besuch ihr verschaffte um sich nochmal schnell an den Computer zu setzten.
Sie hatte schon vor längerer Zeit beschlossen, dass sie wieder anfangen wollte zu schreiben. Bis jetzt hatte sie ein paar kleinere Artikel geschrieben, nichts großartiges, nichts politisches, wie sie es eigentlich mal vorgehabt hatte. Eher amüsante Freizeitlektüre, etwas in Richtung Frauenzeitschriften. Doch solange sie nicht wusste, ob sie gut genug war um veröffentlicht zu werden, wollte sie auch niemandem davon erzählen. Nur Manu wusste davon und das auch nur, weil Rebecca wusste, dass ihre beste Freundin hundertprozentig dicht halten würde.

Oliver kam pünktlich als sie die Pizza aus dem Ofen holte nachhause. Sie saßen zu viert am Tisch und scheinbar überzeugte die Anwesenheit seines großen Idols, denn das war Stephan zweifellos für ihn, Jan davon sein Essen ausnahmsweise ohne die üblichen Keinen-Hunger- und Trotzanfälle zu sich zu nehmen.
„Wie geht´s eigentlich Sophie?“ erkundigte Stephan sich irgendwann. Oliver zuckte die Schultern: „Gut, denke ich. Obwohl sie sich immer noch nicht entschieden hat, was sie machen soll.“ „Ich hab sie letztens in der Stadt getroffen“, erzählte Stephan, „Ich fand, dass sie ziemlich fertig aussah, aber vielleicht hatte sie auch nur zuviel gefeiert.“ Rebecca sah zu Oliver: „Gestern sah sie auch nicht so besonders gut aus, fand ich.“ Bevor Oliver etwas erwidern konnte klingelte das Telefon und er verschwand im Flur. Einige Augenblicke später hörten sie seine Stimme am Telefon: „Hi Lisa, wie geht´s dir?“
Rebecca stand auf und machte sich daran die Spülmaschine einzuräumen. Sie wollte nicht, dass Stephan ihr Gesicht sah. Vermutlich war es kaum zu übersehen wie sauer sie war. Sie hatte das Thema Lisa noch immer nicht angesprochen. Sie hatte es in letzter Zeit schon fast wieder vergessen, aber eigentlich hätte sie sich denken können, dass sie bald wieder etwas von Lisa hören würden.
Obwohl sie ihre Gefühle so gut es ging verbarg, schien Stephan doch zu merken was mit ihr los war. Er schickte Jan in sein Zimmer, mit dem Versprechen gleich nachzukommen und noch etwas mit ihm zu spielen. Nachdem der Kleine das Zimmer verlassen hatte, schwiegen beide einen Moment und es war nur das Klappern der Teller zu hören, die Rebecca wegräumte. Schließlich fragte Stephan: „Du bist sauer, oder?“
Rebecca räumte den letzten Teller ein und schloß die Spülmaschine, dann drehte sie sich zu Stephan um. „Ja, ich geb zu ich bin stinksauer. Und ich weiß auch, dass ich eigentlich keinen Grund dazu hab, aber ich bin´s trotzdem.“
„Ich nehm nicht an, das ich mal mit ihm reden soll, oder?“
Rebecca schüttelte den Kopf: „Nein, aber danke für das Angebot.“
Stephan stand ebenfalls auf und trat einen Schritt auf sie zu. „Versprich mir wenigstens, dass du selbst mit ihm darüber redest.“
Sie sah ihn verwundert an: „Warum?“
Er lächelte: „Weil ich dich mittlerweile auch seit ein paar Jahren kenne, und ihn ja sowieso. Wenn du´s ihm nicht vernünftig sagst, dann bist du irgendwann so gereizt, dass ihr euch total fetzt und er wird es nicht nachvollziehen können, oder zumindest behaupten, dass er es nicht kann.“
„Was studierst du? Psychologie?“ fragte Rebecca ironisch.
„Ach komm schon,“ er stupste sie leicht an „du weißt doch genau, dass es so läuft.“
Sie seufzte und ehe sie genau wusste wie, hatte Stephan einen Arm um sie gelegt und sie lehnte an seiner Schulter und hatte die größten Probleme die Tränen zurückzuhalten, die ihr in den Augen brannten. „Wieso merkt er denn nicht einfach, dass es mich stört?“ fragte sie leise, während Stephan ihr tröstend über den Rücken strich.
„Er ist ein Mann! Ist das nicht Antwort genug?“ fragte Stephan grinsend zurück.
Doch Rebecca war im Moment nicht so besonders nach Scherzen zu Mute. „Ich mein´s ernst. Weiß er nicht wie ich mich dabei fühle, wenn er ständig mit seiner Ex-Freundin telefoniert?“
Stephan zögerte einen Moment, bevor er antwortete: „Vermutlich weiß er es wirklich nicht. Oliver ist nunmal kein eifersüchtiger Typ, war er nie. Und du hast ihm in den letzten Jahren ja auch nicht wirklich einen Grund dazu gegeben, oder?“
Ihr fiel Olivers Verhalten in Bezug auf Daniel Höchner ein und ihr kam eine Idee. „Das kann sich ja ändern...“ sagte sie grimmig.
Stephan stöhnte auf: „Nein, bitte, so war das jetzt nicht gemeint...“
„Wie dann?“ fragte sie gereizt „Du hast mir doch gerade gesagt, dass ich eigentlich selbst schuld bin, weil ich Oliver nie einen Grund zur Eifersucht gegeben habe.“
„Du weißt ganz genau wie ich das gemeint hab. Hör zu, wie wär´s wenn ich Jan heute Abend mit zu mir nehme, immerhin ist er mein Patenkind. Und so habt ihr mal wieder einen Abend für euch.“
Rebecca sah dankbar zu ihm auf: „Das würdest du tun?“ Er lächelte: „Ja, ich kann´s auch kaum fassen, dass ich das wirklich vorschlage. Meinst du denn Jan würde überhaupt bei mir übernachten?“ Rebecca löste sich aus seinem Arm. „Ich glaube, er wär´ begeistert, wenn er mit zu dir darf und wenn er´s ´ne Nacht bei meiner Mutter aushält...“ Beide lachten. „Nein, im Ernst, würdest du das wirklich machen?“ Stephan nickte: „Da du es mir zuzutrauen scheinst..., wieso nicht?“
Rebecca hatte zwar doch ein wenig Bedenken, falls es Jan mitten in der Nacht einfallen sollte, dass er lieber zu seinen Eltern wollte, doch Stephan beruhigte sie, dass das kein Problem wäre. Im Notfall würde er ihn eben wieder nachhause bringen. Jan war wie erwartet, begeistert von der Idee die Nacht bei Stephan zu verbringen. Während er entschied welche Spielsachen er unbedingt mitnehmen musste, packte Rebecca seine Schlafsachen und „Bär“ in einen Rucksack. Eine halbe Stunde später waren die beiden weg. Rebecca bezweifelte, dass Stephan wusste, was er sich damit antat, aber wofür hatte man schließlich Paten...?
Oliver hatte immer noch mit Lisa telefoniert als sie gingen und Stephan hatte nur kurz den Kopf zur Tür reingestreckt um ihm anzudeuten, dass er weg war.
Als Rebecca allein war, überlegte sie einen Moment, sie konnte entweder schmollen, oder weglaufen, oder sie würde ihm einfach zeigen was sie von seinem Verhalten hielt...

Ein paar Minuten später betrat sie das Wohnzimmer, in dem Oliver nach wie vor saß und telefonierte. Bei ihrem Anblick riss er erstaunt die Augen auf.
„Was...? Nein, entschuldige Lisa, genau das denk ich auch.“ Er versuchte sie wortlos aufzufordern ihre Erscheinung zu erklären, während er gleichzeitig sichtlich Probleme hatte sich auf das Gespräch mit Lisa zu konzentrieren. Rebecca warf ihm ein vergnügtes Lächeln zu und beugte sich über ihn um ihn zu küssen. Als sie von ihm abließ um sich, splitternackt wie sie war, zwischen seine Beine zu knien, sagte er gerade: „Ja. Wirklich?“ allerdings klang seine Stimme nicht so interessiert, wie sie hätte sein sollen. Argwöhnisch beobachtete er jede von Rebeccas Bewegungen, die ihre Hände gerade unter seinem T-Shirt hervorzog, um sich mit seinem Reißverschluß zu beschäftigen. Mit seiner freien Hand hielt er ihre fest. Sie warf ihm einen Blick zu und hob fragend die Augenbrauen. Er schüttelte leicht den Kopf, doch sie ließ sich davon nicht beeindrucken. Da er immer noch ihre Hände fest hielt, beugte sie kurzerhand den Kopf herab und machte sich mit dem Mund an seinem Reißverschluß zu schaffen. Er stöhnte auf. „Nein, was hast du gesagt?“ Sein Widerstand war eher pro Forma und zerfiel spätestens in dem Augenblick zu Nichts, als sie ihn in den Mund nahm. „Ja. Hör mal, Lisa...“ seine Stimme klang auf einmal verdammt heiser und Rebecca grinste in sich hinein. Sie fand, dass sie sich mit dieser Strafe selbst übertroffen hatte. Sie verstärkte ihre Anstrengungen noch. „Ja, aber...“ Er hatte seine Stimme kaum noch unter Kontrolle und sie spürte, dass er nur noch ein paar Sekunden brauchte. Schließlich unterbrach er seine Gesprächspartnerin einfach. „Lisa, ich muss Schluß machen, Sorry!“ damit legte er auf und warf das Telefon mit einer schnellen Bewegung neben sich auf das Sofa. „Oh, Gott! Kannst du mir mal sagen...“ weiter kam er nicht.

Rebecca schlängelte sich mit einem genüßlichen Lächeln an Oliver hoch und schmiegte sich an ihn. „Hallo Schatz!“ sagte sie lächelnd und knabberte an seinem Hals. Langsam, als bräuchte er etwas Zeit um wieder zu Kräften zu kommen, legte er den Arm um sie und zog sie an sich. „Kannst du mir vielleicht mal sagen, was das gerade war?“ Sie sah ihn lächelnd an. „Das war meine Art dir zu sagen, dass wir heute sturmfrei haben. Jan schläft bei Stephan.“ Er sah erstaunt auf. „Wie kommt´s?“ „Tja, Stephan war der Ansicht wir bräuchten Zeit für uns.“ Oliver musterte sie argwöhnisch und sie sah sich gezwungen fortzufahren mit der Lektion, die sie so erfolgreich begonnen hatte. „Er hat mein Gesicht gesehen, als Lisa anrief...“ Oliver ließ den Kopf mit einem Aufstöhnen zurück fallen und schloss die Augen. „Ich weiß, ich hab keinen Grund eifersüchtig zu sein, aber würde es dir gefallen, wenn ich stundenlang mit Daniel telefonieren würde?“ „Daniel?“ fragte er immer noch mit geschlossenen Augen. „Der Arzt“, antwortete sie ruhig und erntete nur ein ebenso ruhiges: „Ach so.“
Wieder schmiegte sie sich an ihn und wartete einige Minuten, als er weiterhin schwieg, richtete sie sich ein wenig auf. „Willst du nicht irgendwas dazu sagen?“ Er öffnete die Augen und hob den Kopf. „Mach das nie wieder?!“ „Oh, ich dachte, es hätte dir gefallen, aber wenn ich mich geirrt habe...“ sie machte Anstalten aufzustehen, doch er hielt sie zurück und zog sie wieder an sich. „Nicht das, das kannst du so oft machen wie du willst. Du weißt was ich meine.“ Er küsste sie und fuhr dann fort: „Was den Rest angeht: Du hast Recht! Wir haben da jetzt nur ein winziges Problem...“ „Und das wäre?“ fragte sie misstrauisch. „Naja, ich hatte eben einigermaßen Schwierigkeiten mich auf das Gespräch zu konzentrieren...“ begann er zögernd „...und ich glaube, da hab ich Lisa gesagt..., ich glaub, ich hab ihr gesagt,... dass sie demnächst vorbei kommen kann, um Jan und dich kennenzulernen...“

„Sie will Jan und mich kennenlernen?“ Rebecca starrte ihn mit einer Mischung aus Unglauben, Entsetzen und einem Schuß Humor an. „Ja“, antwortete Oliver knapp. Einen Moment wusste Rebecca nicht, was sie tun oder sagen sollte, dann begann sie zu lachen. Oliver ließ sich von ihr anstecken und kurz darauf schüttelten sie sich beide vor Lachen. Ihre plötzliche Heiterkeit wurde schließlich von einem lauten Klingeln unterbrochen. Rebecca sprang sofort auf und strebte auf die Tür zu. Oliver sah ihr etwas amüsiert nach: „Äh, Schatz? Bist du dir sicher, dass du so an die Tür gehen willst?“ „Haha,“ kam Rebeccas verächtliche Antwort aus dem Flur „du machst auf, ich zieh mir nur was an.“ „Schade...“ murmelte Oliver vor sich hin, während er aufstand um zur Tür zu gehen, wo es gerade zum zweiten Mal ungeduldig klingelte.
Rebecca hörte im Schlafzimmer nur kurz Olivers Stimme an der Sprechanlage: „Ja klar, komm hoch.“ Dann herrschte einige Minuten Stille. Während sie sich ein T-Shirt über den Kopf zog und in ein paar Shorts schlüpfte, fragte sie sich wer das nun wieder sein mochte. Ob es wohl Stephan war, dem Jan bereits zuviel wurde? Das wäre dann allerdings extrem schnell gegangen. Doch es war nicht Stephan.
Rebecca trat gerade rechtzeitig in den Flur um zu sehen wie Sophies verheultes Gesicht in der Tür erschien.
„Kann ich bei euch schlafen?“ fragte sie und erklärte knapp „Ich hab mich mit Mama gestritten.“ Oliver trat einen Schritt zurück: „Komm erstmal rein.“ Dabei fiel sein Blick auf Rebecca, die neben ihn getreten war und er verzog ratlos das Gesicht.
Sophie sah zwar sehr erschöpft aus, doch sie schien schon wieder ziemlich gefasst und sie weigerte sich etwas Genaueres über ihren Streit mit Andrea zu sagen, so dass Oliver und Rebecca nichts anderes übrigblieb, als es sich erstmal mit ihr vor dem Fernseher gemütlich zu machen.
Irgendwann spürte Rebecca wie sie müde wurde. Gleichzeitig kam ihr der Gedanke, dass Sophie Oliver vielleicht eher etwas erzählen würde, wenn die beiden alleine waren. So gähnte sie demonstrativ und bemerkte ein paar Sekunden später, dass sie ins Bett gehen würde.

Oliver blieb alleine mit Sophie zurück. Als der Film, den sie sich angesehen hatten, zu Ende war, schnappte er sich die Fernbedienung und stellte den Ton ab. Mit einem Aufstöhnen wandte Sophie sich ihm zu. „Falls du jetzt anfangen willst irgendein Psychogespräch mit mir zu führen, vergiss es. Ich bin einfach nur fertig.“ Er warf ihr nur einen ironischen Blick zu, bevor er fragte: „Weiß Mama, dass du hier bist?“ Sophie zögerte einen Moment, schließlich schüttelte sie den Kopf: „Sie denkt ich würde bei einer Freundin übernachten.“ Oliver war überrascht: „Wieso das denn? Wolltest du ursprünglich nicht herkommen, oder was?“ Statt einer Antwort fragte Sophie ärgerlich zurück: „Was soll das werden? Ein Verhör?“ Oliver blieb unnachgiebig. „Ich will nur wissen, ob Sie Zuhause sitzt und sich Sorgen macht!“ Sophie setze eine trotzige Miene auf, doch scheinbar war ihr klar, dass es keinen Ausweg gab. „Sie macht sich keine Sorgen, sie denkt, dass ich heut Abend feiern bin und danach bei einer Freundin schlafe.“ „Wie, ich denke ihr habt euch gestritten?“ Oliver war verwirrt. Hätten Sophie und Andrea sich gestritten und wäre Sophie dann beleidigt abgehauen, dann hätte sie sich wohl kaum noch irgendeine Geschichte ausgedacht, dass sie mit ihren Freundinnen feiern gehen würde, oder? „Kannst du mir mal sagen, was eigentlich los ist?“ Sie schwieg so lange, dass er schon dachte sie wollte ihm einfach nicht antworten, aber als er gerade wieder zum Sprechen ansetzte, kam sie ihm zuvor. „Ich hab mich nicht mit Mama gestritten. Es ist nur, ich...hab´s Zuhause einfach nicht mehr ausgehalten.“ Er versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, was los war, doch was er sah, war weniger aufschlußreich als alarmierend. Ihr traten Tränen in die Augen und sie versuchte krampfhaft sie zurückzuhalten. Instinktiv griff er nach ihrer Hand und drückte sie leicht. „Hey, was ist los? Hat es wieder mit Peter zu tun?“ Sie sah auf ihre Hand runter, die in seiner verschwand. „Ja, ich ... „ Sie zögerte, dann meinte sie: „Ich kann´s dir nicht sagen.“ Er zögerte einen Moment: „Egal was es ist, du kannst es mir sagen. Ich mein, es ist offensichtlich, dass es dir schlecht geht und vielleicht ist es besser wenn du es nicht weiter in dich reinfrisst.“ Als Sophie immer noch nichts sagte, setzte er noch hinzu: „Wenn du´s wirklich nicht sagen willst, dann ist das auch in Ordnung, aber ... wenn sich das ändert, ... ich bin da.“ Wieder folgte ein längeres Schweigen und als Sophie weiterhin keine Anstalten machte etwas zu sagen, umarmte Oliver sie kurz und stand dann auf um ebenfalls ins Bett zu gehen. Als er beinah an der Tür war hörte er Sophies Stimme, leise und rauh, als müsste sie sich Mühe geben die Worte heraus zu bekommen. „Er ... hat mich angefasst...“ Oliver drehte sich langsam um und er hatte große Mühe seine Stimme ruhig klingen zu lassen. „Was?“ „Er kommt ständig in mein Zimmer, oder ins Bad, wenn ich drin bin. Und, ... ich weiß nicht, vielleicht bilde ich mir das Alles ja auch nur ein,... aber er fasst mich ständig an, legt den Arm um mich, oder ... seine Hand auf meinen Oberschenkel.... Heute ist er reingekommen als ich gerade geduscht hab und dann..., dann...“ Sie brach ab und wurde von Schluchzern geschüttelt.
Oliver war sprachlos vor Entsetzen. Er ließ sich wieder neben seiner Schwester auf das Sofa sinken und zog sie an sich um sie zu trösten. Absurderweise fragte er sich gleichzeitig, ob ihr das nicht vielleicht auch unangenehm wäre. Doch er unterdrückte den Gedanken als sie ihr Gesicht an seiner Schulter vergrub um sich auszuweinen.

Rebecca döste bereits, als Oliver endlich ins Bett kam. Verschlafen kuschelte sie sich an ihn. „Hat sie dir etwas erzählt?“ erkundigte sich Rebecca gähnend. Oliver drehte sich mit einem Stöhnen auf den Rücken. „Er belästigt sie“, sagte er und seine Stimme bebte vor unterdrückter Wut. „Was?“ Rebecca war plötzlich hellwach. „Wer?“
„Peter“, antwortete Oliver knapp. „Gott, ich würde den Kerl am liebsten umbringen!“
Rebecca legte ihm beruhigend die Hand auf die Brust. „Was genau ist denn passiert?“
Er erzählte es ihr, zumindest soweit Sophie sich ihm anvertraut hatte. Rebecca war entsetzt. „Aber, er ist doch so nett?!“
Oliver schnaubte eher grimmig als belustigt. „Offensichtlich nicht!“
„Was will sie denn jetzt tun?“
„Nichts!“ antwortete Oliver wütend. „Sie meint, sie hätte ja keine Beweise und wenn sie Mama etwas davon erzählt, dann würde er vermutlich sagen, dass sie sich das alles nur eingebildet hat.“
Rebecca überlegte einen Moment. Die Erklärung klang ziemlich wahrscheinlich in ihren Ohren, aber war es wirklich richtig einfach gar nichts zu sagen...?
„Aber sie kann ihn doch nicht einfach so weitermachen lassen?“ fragte sie schließlich entgeistert.
„Sag das nicht mir, sondern ihr!“ gab Oliver gereizt zurück.
Rebeccas Gedanken schweiften weiter: „Deine arme Mutter, sie ist so glücklich mit ihm.“ Sie sah Oliver nachdenklich an. „Hat das vielleicht auch etwas mit Sophies Entscheidung zu tun nichts zu sagen?“
Er zuckte die Schultern: „Ich weiß nicht, ich denke schon. Ich hab ihr gesagt sie kann erstmal hier bleiben.“ Er sah Rebecca fragend an und sie nickte schnell. „Natürlich. Aber was will sie Andrea sagen?“
„Am besten die Wahrheit!“ schnaubte Oliver und setzte dann noch zornig hinzu: „Und wenn sie es nicht tut, dann mach´ ich´s!“
Rebecca stützte sich auf einen Ellbogen und sah alarmiert auf ihn runter: „Das ist hoffentlich nicht dein Ernst.“
„Wieso denn nicht?“ fragte er herausfordernd. „Ich kann doch wohl kaum zulassen, dass sie weiterhin mit diesem Kerl unter einem Dach wohnt.“
Rebecca legte ihm wieder die Hand auf die Brust, wie um ihn zurückzuhalten und sagte eindringlich: „Oliver, bitte, lass es. Wenn Sophie es noch nicht will, dann lass ihr ihren Willen. Es ist ihre Sache und sie muss damit fertig werden und ich glaube nicht, dass du ihr dabei hilfst in dem du ihre Wünsche missachtest und sie in eine noch schlimmere Lage bringst.“
„Du glaubst, es könnte noch schlimmer werden?“ seine Stimme klang verächtlich.
„Zumindest nicht solange sie hier bleibt“, gab Rebecca scharf zurück.
„Sorry.“ Oliver seufzte und rieb sich mit der Hand fest über die Augen, wie um seine Gedanken wegzuwischen. „Ich weiß, du hast Recht, aber ich bin so verdammt wütend. Ich würde am liebsten auf irgend jemanden einschlagen.“
Rebecca ließ langsam den Kopf an seine Schulter sinken. „Ja, ich weiß.“

Rebecca wachte am nächsten Morgen früh auf, obwohl sie wusste, dass es eine einmalige Gelegenheit war endlich mal wieder auszuschlafen. Um Oliver nicht zu wecken stand sie so leise wie möglich auf und ging in die Küche. Als sie gerade Kaffee aufsetzte, kam Sophie herein, die offenbar auch nicht mehr schlafen konnte.
Rebecca begrüßte sie mit einem freundlichen Lächeln. „Guten Morgen.“
Sophie erwiderte ihr Lächeln etwas zurückhaltend. „Na, konntest du auch nicht mehr schlafen?“
„Nein.“ Rebecca lachte kurz auf. „Ich schätze, ich hab mich schon so daran gewöhnt von Jan geweckt zu werden, dass ich´s gar nicht mehr merke, wenn er nicht da ist.“
Sophie lachte. „Du Arme. Meinen Bruder scheint das allerdings wenig zu beeindrucken.“
„Du kennst ihn doch. Bis man den aus dem Bett hat, muss schon einiges passieren“, antwortete Rebecca mit einer wegwerfenden Handbewegung. Sie machte sich daran Wasser für die Frühstückseier aufzusetzten.
„Und wie geht´s dem anderen kleinen Wurm?“ erkundigte Sophie sich fröhlich.
Rebecca legte lächelnd eine Hand auf ihren Bauch. „Gerät nach seinem Vater, es schläft noch!“ Beide lachten und verharrten schließlich in einem freundschaftlichen Schweigen, das Sophie schließlich mit einem Seufzer brach. „Er hat´s dir erzählt?“
Rebecca nickte. Sie musste nicht fragen, wovon Sophie sprach.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll“, sagte Sophie ruhig. Sie zog ihre Beine an, legte die Arme um die Knie und sah Rebecca nachdenklich an. Rebecca setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. „Das kann ich dir auch nicht sagen. Aber lass dir Zeit, lass dich nicht von Oliver zu etwas drängen, das du vielleicht nicht möchtest.“
„Er ist ziemlich sauer, oder?“ fragte Sophie zögernd. „Nicht auf dich“, wehrte Rebecca ab, „Es stört ihn das er nichts tun kann.“
„Er wird doch Mama nichts sagen?“ Sophie klang ängstlich. Und Rebecca antwortete beruhigend: „Ich denke nicht, solange du das nicht willst. Aber ... , Sophie, irgendwann wirst du es ihr vielleicht sagen müssen.“
„Wieso? Ich ziehe doch sowieso bald aus wenn ich studiere, dann ist es doch auch egal“, wandte Sophie ein.
„Ist es das wirklich?“ fragte Rebecca mit hochgezogenen Augenbrauen zurück. „Außerdem kannst du ihm nicht immer aus dem Weg gehen, auch wenn du ausziehst und deine Mutter...“ Sophie unterbrach sie heftig: „Meine Mutter ist verdammt glücklich mit ihm! Und sie hatte keine wirklich feste Beziehung mehr, seit mein Vater gestorben ist. Soll ich ihr das wirklich kaputt machen?!“
Rebecca schwieg einen Moment, dann hob sie resigniert die Hände. „Wie gesagt, es ist deine Entscheidung. Und ich verstehe, dass das nicht leicht ist. Das Wichtigste ist, dass du es geschafft hast dich überhaupt jemandem anzuvertrauen...“

Oliver bequemte sich doch irgendwann aus dem Bett und tappte verschlafen in die Küche, wo sein Frau und seine Schwester bereits mit dem Frühstück begonnen hatten. Er brummte ein verschlafenes „Morgen“ und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
„Na Schatz, hast du nicht gut geschlafen?“ fragte Rebecca neckend und wuschelte ihm grinsend mit der Hand durch die Haare. Er warf ihr einen bösen Blick zu und wich ihrer Hand aus.
Sophie und Rebecca tauschten einen amüsierten Blick über den Morgenmuffel, der zwischen ihnen saß und führten dann ihre Unterhaltung weiter, die sie bei Olivers Erscheinen unterbrochen hatten.
„Also, falls es ein Mädchen wird, an welche Namen denkt ihr so?“ erkundigte sich Sophie.
Rebecca zuckte die Schultern. „Wie gesagt, es ist ja eigentlich noch ein bißchen früh, aber mir würde Lena gut gefallen, allerdings....“ Sie warf einen vielsagenden Blick auf den Morgenmuffel, der bereits abwehrend die Hände gehoben hatte. „Auf gar keinen Fall!“
Sophie lachte: „Was hast du denn dagegen, ist doch ein schöner Name.“
Er schüttelte angewidert den Kopf. „Da könnten wir sie ja gleich Magda nennen, oder Brunhilde, oder so.“ Während Sophie sich vor Lachen schier ausschütten wollte, sagte Rebecca streng: „Du übertreibst total. Lena ist ein ganz normaler Name.“
„Eben!“ gab er mit einem Grinsen zurück, „Du willst doch sicher nicht, dass deine Tochter nur einen ganz normalen Namen bekommt!“ Er nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und setzte dann noch hinzu: „Außerdem wird es sowieso ein Junge!“
„Oh, ich fänd´ ein Mädchen besser“, warf Sophie ein, „Einem Mädchen kann man viel schönere Kleider kaufen.“
„Genau deshalb ...“ antwortete ihr Bruder bissig „... wird es ein Junge!“

Kurz darauf brachte Stephan ihren älteren Sprößling zurück. Jan stürzte sich in Beckys Arme, als hätte er sie seit Wochen nicht gesehen. „Und, war´s schön bei Stephan?“
„Jaaa!“ antwortete er aufgedreht und strampelte bereits wieder um vom Arm seiner Mutter herunter zu kommen. Rebecca setzte ihn ab und begrüßte Stephan mit einer kurzen Umarmung. „Na, hast du´s überlebt?“ Er grinste. „Knapp, aber ja.“ Er folgte ihr in die Küche und sie fragte über die Schulter: „Willst du einen Kaffee, oder so? Wir frühstücken gerade.“
„Gern.“ Er begrüßte Oliver und Sophie und ließ sich dann ebenfalls am Tisch nieder.
Jan, der voller Begeisterung festgestellt hatte, dass seine Tante auch da war, hatte es sich mittlerweile auf deren Schoß bequem gemacht und ließ einen geradezu euphorischen Wortschwall auf sie nieder gehen. Sophie warf ihrer Schwägerin einen hilfesuchenden Blick zu, was Rebecca ihr nicht übel nehmen konnte, denn selbst sie verstand höchstens die Hälfte von dem was ihr Sprößling von sich gab. Schließlich lächelte sie Sophie entschuldigend an und wandte sich statt dessen ihrem anderen Gast zu: „Jetzt erzähl mal, wie war die Nacht mit deinem Patenkind?“
Stephan warf ihr ein Grinsen zu, das aussah, als wollte er sagen: Es wäre viel interessanter zu erfahren wie eure Nacht ohne mein Patenkind war. Doch zu Rebeccas enormer Erleichterung sprach er diesen Gedanken nicht aus.
„Oh, es war eine sehr lehrreiche Erfahrung, die mich einigermaßen zu der Überzeugung gebracht hat eurem Beispiel in nächster Zeit nicht zu folgen...“ Er grinste wieder frech.
„So schlimm?“ erkundigte sich Rebecca erschrocken.
„Nein.“ Stephan lächelte sie fröhlich an. „Nur die Bauklötzchen hätten mich fast in den Wahnsinn getrieben...“
„Ach das Bauklötzchenspiel!“ mischte Oliver sich ein und nun war es an ihm seinem Freund ein freches Grinsen zu zu werfen. „Aufbauen und Umschmeißen, du hast mein herzliches Beileid.“
„Ich danke dir“, bemerkte Stephan ironisch. „Wie wär´s wenn du als Gegenleistung morgen mal wieder mit mir joggen gehst?“
„Klar, kein Problem. Schließlich will ich ja nicht so dick werden wie meine Frau!“ antwortete Oliver neckend in Rebeccas Richtung.
Rebecca wusste genau, dass er das nur sagte um auf ihre angebliche Paranoia anzuspielen. Trotzdem konnte er froh sein, dass sie nicht ernsthaft zu körperlicher Gewalt neigte, sonst hätte er sich zweifellos eine Ohrfeige gefangen. Das sagte sie ihm auch mit einem zuckersüßen Lächeln. Woraufhin er sich kurzerhand herüber beugte und sie auf seinen Schoß zog um sie zu küssen. Dann sagte er mit einem Grinsen: „Ich liebe dich.“
Hinter ihrem Rücken hörte Rebecca ein lautes Räuspern und als sie sich umdrehte, sah sie gerade noch den Blick, den Stephan und Sophie tauschten, bevor Stephan meinte: „Ääh, sagt es einfach, wenn wir lieber gehen sollen....“
„Kein Problem, wir sagen euch rechtzeitig Bescheid“, gab Oliver lächelnd zurück, bevor er Rebecca einen weiteren Kuss auf die Lippen drückte.
Sie alberten noch ein wenig herum, doch schließlich verabschiedete Stephan sich und Oliver und seine Schwester machten sich daran die Küche aufzuräumen, während Rebecca sich unter die Dusche verdrückte.

Als sie alleine waren, konnte Oliver sich nicht länger zurück halten und stellte die Frage, die ihm schon den ganzen Morgen auf der Zunge gebrannt hatte. „Weißt du schon, was du Mama sagen willst warum du hier bleibst?“
„Nein.“ Sophie vermied es ihn anzusehen und beschäftigte sich statt dessen damit den Kühlschrank einzuräumen. „Vielleicht sollte ich besser doch nicht hierbleiben. Mama würde doch auf jeden Fall merken, dass etwas nicht stimmt.“
„Du gehst ganz bestimmt nicht zurück solange der Kerl noch da ist“, erwiderte Oliver bestimmt und versuchte erneut ihren Blick aufzufangen. Sie wich ihm immer noch aus. „Bitte, spiel dich jetzt nicht als großer Bruder auf.“
„Was?!“ er fasste sie am Oberarm und drehte sie zu sich um, so dass sie ihn ansehen musste. „Kannst du mir mal sagen was du von mir erwartest? Glaubst du ernsthaft, nachdem du mir sowas erzählt hast tue ich einfach so als wäre nichts?“ fragte er entgeistert.
„Ja!“ rief sie wütend „Ja, genau das hab ich gehofft! Es war schon schwer genug überhaupt was zu sagen, auch ohne dass ich mir dann noch Vorwürfe machen lassen muss!“ Sie funkelte ihn böse an.
„Vorwürfe?“ fragte er überrascht.
Sie nickte. „Ja, Vorwürfe oder Vorschriften, wenn dir das lieber ist! Tu dies, tu das, sag es allen, bla, bla!“ Sie hielt inne um Luft zu holen und fuhr dann leise fort: „Ich mach mir selber schon genug Vorwürfe, das kannst du mir glauben.“
Er sah sie entgeistert an und brauchte einen Moment um seine Sprache wieder zu finden. Weshalb machte sie sich denn bitte Vorwürfe? Sie hatte ja wohl gar nichts getan. Und es war ganz bestimmt nicht seine Absicht gewesen ihr Vorwürfe zu machen. „Warum machst du dir Vorwürfe?“ fragte er schließlich ebenso leise wie sie.
Sie sah ihn mit einem bitteren Lächeln an. „Vielleicht weil Mama endlich wieder ein eigenes Leben führt und ich nichts besseres zu tun habe als es ihr zu zerstören?“
„Du bist doch nicht diejenige die irgendetwas zerstört“, brachte er fassungslos hervor. „Das ist doch nicht deine Schuld.“ Er schüttelte sie leicht, wie um sie wach zu rütteln. „Verdammt, du kannst nichts dafür, glaub mir das!“
Sie sah ihn zweifelnd an. „Wenn ich etwas sage, dann kann ich schon was dafür.“
„Nein“, sagte er fest, „Nein. Du tust das einzig richtige, wenn du es erzählst. Glaubst du wirklich unsere Mutter könnte mit so einem Schwein glücklich werden?“
Plötzlich standen Tränen in ihren Augen. „Ich weiß gar nichts“, sagte sie kläglich, „Ich weiß einfach gar nichts mehr.“ Sanft zog er sie an seine Schulter um sie zu trösten. „Hey, ist ja gut. Du bleibst jetzt erstmal hier und wir überlegen uns irgendeine Ausrede für Mama. Becky fällt schon was ein. Was Ausreden angeht ist sie einmalig.“ Er grinste seine kleine Schwester fröhlich an und sagte in verschwörerischem Ton: „Ganz unter uns, bei den Eltern ist das auch verständlich.“ Das zauberte zumindest ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht.

Rebecca hatte auch tatsächlich schnell eine Ausrede parat. Auch wenn sie dafür zu einer kleinen Notlüge greifen mussten. So fuhr Oliver am Nachmittag mit Sophie zu ihrer Mutter um noch ein paar von Sophies Sachen zu holen. Vorgeblich sollte Sophie ein paar Tage bei ihnen einziehen, weil es Rebecca immer noch nicht wieder richtig gut gehe und sie ein bißchen Hilfe gut gebrauchen könne.
Bei Oliver regte sich zwar das schlechte Gewissen, als er sah, wie besorgt seine Mutter wegen Rebecca war, doch er beruhigte sich damit, dass das schließlich nur ein kleines Opfer war, um Sophie die Zeit zu geben über alles nachzudenken. Und diese Zeit hatte sie nun einmal bitter nötig.
Er hatte vorher bedenken gehabt, ob er es schaffen würde sich zusammen zu reißen, falls Peter da wäre, aber glücklicherweise telefonierte der gerade als sie kamen und begrüßte sie lediglich mit einem kurzen Nicken, bevor er sich in Andreas Arbeitszimmer zurück zog. Trotzdem kostete es Oliver einiges an Selbstbeherrschung sich nichts anmerken zu lassen, als er sah, wie sehr selbst diese kurze Begegnung Sophie zusetzte.
Sophie packte ein paar Klamotten zusammen und einige Unterlagen zu verschiedenen Studiengängen, über die sie sich noch informieren wollte. Als sie ihr Zimmer danach wieder verließen, trafen sie Markus auf dem Flur. Oliver grüßte ihn nur kurz und wollte weitergehen. Doch zu seinem Erstaunen blieb Sophie stehen. Markus Blick wanderte von ihrem Gesicht zu der Reisetasche in ihrer Hand. Dann sagte er in einem seltsamen Ton: „Du ziehst also aus...“ Er nickte ihr ironisch zu, machte kehrt und verschwand in seinem Zimmer, das früher einmal Olivers Zimmer gewesen war.
Der sah ihm verblüfft nach, aber noch bevor er etwas sagen konnte, hatte Sophie ihm ihre Tasche in die Hand gedrückt und war mit den Worten: „Bring die schon mal runter, ich komm gleich nach“, ebenfalls in seinem ehemaligen Zimmer verschwunden.
Völlig perplex blieb Oliver noch einen Moment stehen und versuchte vergeblich dieses kurze Zwischenspiel, das er gerade verfolgt hatte, zu deuten. Was hatte Sophie denn mit dem Kerl am Hut? Konnte es vielleicht sein ... ? Nein, ganz bestimmt nicht. Er vertrieb seine seltsamen Gedanken mit einem kurzen Kopfschütteln und schlenderte langsam die Treppe hinunter um sich noch etwas mit seiner Mutter zu unterhalten.
Andrea saß auf der Terasse in der Sonne und las. Als er zu ihr hinaus trat, sah sie mit einem Lächeln auf. Er suchte in ihrem Gesicht vergeblich nach irgendwelchen Zeichen, dass sie doch nicht so glücklich war, wie es den Anschein hatte. Das hätte es für Sophie wesentlich einfacher gemacht, doch er fand nichts. Scheinbar war sie tatsächlich glücklich mit Peter. Und wieso auch nicht? Er hielt sich vor Augen, dass er selbst ja bis gestern Abend gedacht hatte, dass der Mann genau das war, was seine Mutter brauchte. Plötzlich fiel es ihm sehr viel leichter Sophies Skrupel zu verstehen. Dennoch hielt er es für falsch nichts zu sagen.
Er war so in Gedanken, dass er nicht mitbekam was seine Mutter zu ihm sagte. Sie blickte ihn fragend an. „Entschuldige, was hast du gesagt?“
Sie beugte sich zu ihm vor und legte ihm leicht die Hand auf den Arm. „Machst du dir Gedanken, wegen Rebecca?“ Er brauchte einen Moment um zu kapieren wovon sie sprach, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, weißt du, es geht ihr nicht wirklich so schlecht, wir wollen nur vorsichtig sein“, versuchte er ihre Notlüge herunterzuspielen. Sie lächelte. „Aber irgendwas geht dir doch im Kopf herum, das merke ich doch.“ Mist, er konnte ihr wohl kaum erzählen, was ihn wirklich beschäftigte. Fieberhaft überlegte er, was er ihr auftischen könnte, als ihm die perfekte Ausrede in den Sinn kam. „Ich hab mich nur gerade gefragt, seit wann Sophie und Markus sich so gut verstehen...?“
Es klappte. Er konnte an ihrem Gesicht sehen, dass sie ihm das Thema voll und ganz abkaufte. Sie warf ihm einen warnenden Blick zu und sagte dann: „Sie haben sich von Anfang an gut verstanden und jetzt versuch bitte, dich nicht wie üblich aufzuspielen!“
Er lachte. „Keine Angst, es war nur eine einfache Frage. Kein Grund mich gleich wieder zu verdächtigen. Außerdem ist Sophie nicht halb so unvernünftig wie Paula, das musst du ja wohl zugeben.“
Andrea warf ihm einen äußerst ironischen Blick zu. „Na, dann bin ich ja beruhigt.“

Nachdem Sophie sich dann endlich doch bequemt hatte herunter zu kommen und sie schließlich im Auto saßen, konnte Oliver sich doch nicht ganz zusammen reißen und erkundigte sich was das eben für eine seltsame Aktion mit Markus gewesen sei.
„Ich hab mich nur von ihm verabschiedet. Ich hab dir doch schon mal gesagt, er ist eigentlich wirklich nett“, antwortete sie ruhig.
„Er schien aber irgendwie ziemlich ... angepisst, darüber das du dich verdrückst...?“ fuhr Oliver vorsichtig fort. Sophie zuckte die Schultern. „Wir verstehen uns eben gut. Außerdem,...“ sie zögerte einen Moment. „...ich glaube, er ahnt, warum ich ausziehe.“
Oliver sah sie erstaunt an. „Wirklich? Du meinst, er weiß es?“
Wieder zuckte sie die Schultern. „Ich kann´s nicht genau sagen, vielleicht ist so was schon öfter vorgekommen.“ Darauf wusste Oliver vor Sprachlosigkeit nun auch nichts mehr zu sagen.

Am nächsten Morgen holte Stephan ihn zum Joggen ab und Oliver musste zugeben, dass er ganz froh war mal rauszukommen. Zwei Frauen waren doch wesentlich stressiger als eine, wie er einmal mehr feststellen musste.
„Ich hoffe wirklich es wird ein Junge“, sagte er deshalb zu Stephan, „Stell dir mal vor, eine Mutter, zwei Schwestern, eine Frau und dann auch noch eine Tochter! Es wäre ein Alptraum!“
„Diesmal hast du mein herzliches Beileid!“ stieß sein Freund lachend hervor.
Als Stephan sich später allerdings erkundigte, weshalb Sophie eigentlich bei ihnen eingezogen war, zögerte Oliver kurz, unschlüssig, ob er dem Freund die Wahrheit erzählen sollte oder nicht. Er wusste, dass es Sophie vermutlich nicht recht wäre, wenn er die ganze Geschichte vor Stephan breittrat. Andererseits hätte er es sich wirklich gerne von der Seele geredet. Trotzdem entschied er sich schließlich dagegen, er konnte Sophies Privatsphäre nicht so missachten. Statt dessen erzählte er Stephan, sie habe sich mit Andrea gestritten und müsste wohl einfach mal raus.
Stephan nickte lediglich und schien mit seinen Gedanken schon bei einem ganz anderen Thema zu sein. Leider war es nicht unbedingt ein Thema, das Oliver mehr behagte wie er gleich darauf feststellen musste als Stephan mit einem kurzen Seitenblick auf ihn fragte: „Warum hast du mir eigentlich nicht erzählt, dass Paula vorhat eine Familie zu gründen?“
„Hast du sie getroffen?“ fragte Oliver verwirrt zurück.
Stephan schüttelte den Kopf. „Nein, Rebecca hat´s letztens erwähnt. Also, warum hast du nichts erzählt?“
„Ich wusste nicht wie du reagieren würdest....“ antwortete Oliver schließlich langsam.
„Warum denken eigentlich alle, dass ich noch immer nicht über Paula hinweg bin?!“ Stephan klang gereizt. „Naja, du hast in den letzten zwei Jahren nicht unbedingt den Eindruck gemacht, als wärst du über sie hinweg.“ gab Oliver ruhig zurück. Als Stephan daraufhin schwieg, fuhr er fort: „Da du´s jetzt weißt, was denkst du drüber?“
Stephan zuckte die Schultern. „Könnte sein, dass es für sie die richtige Entscheidung ist.“ Olivers Einwand ahnend setzte er schnell noch hinzu: „Aber ich kann mir vorstellen, dass du da etwas anderer Meinung bist.“ Er grinste Oliver breit an. Schließlich hatte er damals am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie Oliver reagieren konnte, wenn es um seine Schwestern ging.
„Du brauchst gar nicht so zu grinsen!“ fuhr Oliver ihn an. „Du musst ja wohl zugeben, dass es total bescheuert ist, ihr Studium zu schmeißen um zwei fremde Gören aufzuziehen, oder?“
„Ich könnte jetzt sagen, Stimmt, Rebecca zieht wenigstens ihre eigenen Gören groß, aber weil ich dein Freund bin, sag ich´s nicht.“ Er grinste Oliver fröhlich an, bevor er fortfuhr: „Aber ein kleiner Tipp, selbst wenn du es nicht verstehst, heißt das nicht, dass es für Paula die falsche Entscheidung ist. Schließlich kenn ich sie auch ganz gut...“
Oliver warf ihm einen misstrauischen Blick zu, aber Stephan war der Ansicht, er hätte genug gesagt. Sein Freund musste auch nicht alles wissen. Und so ließen sie das Thema Paula wieder fallen.

Ein paar Tage später bekamen Rebecca und Sophie Besuch. Scheinbar hatte Paula sich wirklich vorgenommen richtig kochen und backen zu lernen bevor Christians Kinder bei ihnen einzogen. Da ihnen nichts anderes übrig blieb, nahmen Sophie und Rebecca also ihre Ausbildung in Angriff. Entgegen aller Erwartungen wurde es ein sehr lustiger Vormittag. Rebecca musste zugeben, dass sie schon lange nicht mehr soviel gelacht hatte, wie an diesem Morgen mit Paula und Sophie. Die Küche sah hinterher allerdings aus wie ein Schlachtfeld. Während sie begannen aufzuräumen, wobei Jan ihnen natürlich permanent im Weg herum tapste und einen riesen Spaß hatte, meinte Paula plötzlich: „Ich bin ja richtig froh, dass es dir wieder besser geht, Rebecca. Ich hatte schon überlegt gar nicht zu kommen, weil Mama meinte Sophie wäre sogar eingezogen um dir ein bißchen zu helfen.“
Rebecca wechselte einen schnellen Blick mit Sophie und setzte dann an etwas unbestimmtes zu antworten, doch noch ehe sie einen Ton herausgebracht hatte, wurde sie unterbrochen. „Rebecca geht´s gut. Ich musste einfach mal zuhause raus. Ich ... wollte nicht, dass Mama sich Sorgen macht.“
Paula sah ihre Schwester verwirrt an, dann schien ihr plötzlich ein Licht aufzugehen. „Oh, Markus....“ flötete sie in anzüglichem Ton. „Ach Quatsch!“ fuhr Sophie ihre Schwester an. „Markus?!“ erkundigte sich Rebecca in Paulas Richtung, denn jetzt war es an ihr verwirrt zu sein. „Sie hat sich in ihn verliebt“, antwortete Paula ganz selbstverständlich. Eine Sekunde später hatte sie einen nassen Spüllappen im Gesicht.
„Paula nass ´pritzen!“ rief Jan begeistert und dann brach das Chaos aus.
Hinterher war die Küche zwar kein bißchen sauberer, aber dafür wesentlich nasser. Genau wie ihre Insassen. Rebecca sah sich erschöpft und fröhlich in der Küche um. Paula saß schwer atmend am Tisch und warf Sophie, die kichernd mit einem klatschnassen Jan auf dem Schoß auf dem Boden saß, immer noch misstrauische Blicke zu. Mit einem kurzen Aufatmen fragte Rebecca: „Kaffee?“
Ihre Schwägerinnen nickten in stummem Einverständnis. Während sie sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte, viel ihr wieder ein, was Stephan ihr kürzlich von Paula erzählt hatte. „Sag mal Paula, Stephan hat mir da letztens etwas sehr Interessantes erzählt..., stimmt es, dass du ihm damals auch vorgeschlagen hast eine ... Familie zu gründen?“ erkundigte sie sich neugierig.
Paula sah sie etwas unbehaglich an, während Sophie große Augen machte. „Ist das wichtig? Es ist doch ewig her...“ „Also stimmt es“, stellte Rebecca fest, obwohl sie eigentlich nicht daran gezweifelt hatte, dass Stephan die Wahrheit sagte. „Was muss er das jetzt wieder ausgraben? Wahrscheinlich hat er´s auch noch Oliver erzählt, oder?“ meinte Paula missmutig. Rebecca schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaub nicht, dass er´s ihm erzählt hat.“ Rebecca schmunzelte. „Schlafende Hunde soll man nicht wecken...“
Das brachte Paula zum lachen. „Der Vergleich trifft´s mal.“ Sie schwieg einen Moment, dann meinte sie plötzlich nachdenklich: „Sag mal, erzählst du Oliver eigentlich alles?“
Rebecca drehte sich erstaunt um. „Wie meinst du das? Ob ich ihm alles erzähle? Also, die Geschichte von eben hab ich ihm nicht erzählt, wenn du das meinst.“
„Aber wie entscheidest du denn was du ihm erzählst und was nicht?“ bohrte Paula weiter und Rebecca war bewusst, dass auch Sophie neugierig die Ohren gespitzt hatte.
„Also gut.“ Sie schaltete die Kaffeemaschine ein und lehnte sich dann an die Anrichte. „Normalerweise erzähle ich eurem Bruder alles. Die Sache mit dir und Stephan zum Beispiel, hab ich einfach vergessen und außerdem ist das was, das mich eigentlich nichts angeht. Aber in der Regel verschweige ich Oliver nichts.“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fragte: „So und jetzt kannst du mir vielleicht mal erzählen, woher dein Interesse an unserem Eheleben kommt.“
Paula sah etwas verlegen drein. „Nur Neugier, das hat keinen bestimmten Grund.“ „Aaah, ja“, meinte Rebecca gedehnt. Sie war überzeugt davon, dass Paula ein bestimmtes Ziel verfolgt hatte, mit ihrer Frage, leider wusste sie nicht welches.
Nun mischte sich auch Sophie wieder ins Gespräch ein. Während sie langsam herüber zum Tisch schlenderte, meinte sie: „Also, wenn Paula so neugierig ist, dann darf ich doch wohl auch was fragen, oder?“ Bevor Rebecca reagieren konnte, fuhr sie dreist fort: „Also, was ich schon immer wissen wollte, was hat er eigentlich gesagt, als du ihm damals erzählt hast, dass du schwanger bist, also mit Jan?“
Rebecca sah sprachlos von Sophie zu Paula und wieder zurück. Beide musterten sie gespannt. „Ihr seid ja auch gar nicht unverschämt?!“ antwortete Rebecca schließlich immer noch fassungslos. „Und gleich fragt ihr mich wohl noch, wie er im Bett ist, oder was?“
Paula grinste Sophie verschwörerisch an. „Nicht, dass ich das unbedingt wissen möchte, aber wenn du es uns erzählen möchtest...“ Sophie erwiderte das Grinsen ihrer Schwester und blickte dann wieder neugierig zu Rebecca. In diesem Moment ahnte Sie, was Oliver gemeint hatte, wenn er von der Klatschsucht seiner Schwestern sprach. Sie hatte bis jetzt immer geglaubt, er übertreibe ein wenig, aber nachdem, was sie hier gerade erlebte, musste sie ihm recht geben. Sie machte eine abwehrende Geste, bevor sie sehr bestimmt sagte: „Also, ich werde euch nicht erzählen wie euer Bruder im Bett ist!“
Wieder wechselten die beiden einen Verschwörerblick, bevor Sophie die Schultern zuckte: „Eh nicht so interessant für uns. Außerdem, ...“ ihr Blick streifte Rebeccas kleines Bäuchlein „... kann man sich das ohnehin denken...“ Beide kicherten, während Rebecca wütend zurück zur Kaffeemaschine stapfte. „Ihr habt auch gar keine Schmerzgrenze, was?“ schnaubte sie über die Schulter.
Sofort wurden die beiden wieder etwas ruhiger und Paula meinte schließlich: „Sei nicht sauer. Er erzählt halt so wenig und uns interessiert so viel.“
Rebecca musste unfreiwillig lachen, als sie diese Erklärung hörte. „Habt ihr vielleicht mal drüber nachgedacht, dass er euch so wenig erzählt, weil es euch einfach nichts angeht?“
„Ach komm schon!“ meinte Sophie, „Spann uns nicht so auf die Folter. Was hat er damals gesagt?“ Rebecca seufzte auf, vermutlich würde sie aus dieser Nummer nicht so einfach wieder rauskommen. Und solange keine schlimmeren Fragen kamen, als diese, konnte sie sich vermutlich noch glücklich schätzen. „Na gut, wenn´s sein muss... Ich kann mich wirklich nicht mehr dran erinnern was er gesagt hat, aber erstmal war er ohnehin ziemlich sprachlos. Und hinterher, ...“ Rebecca überlegte, hatte er irgendetwas besonderes gesagt, damals? War er dazu überhaupt in der Lage gewesen?, fragte sie sich mit einem Schmunzeln, „... naja, halt sowas, das wir schon eine Lösung finden würden, nichts Hochtrabendes.“
„Wie kam es überhaupt dazu?“ fragte Paula weiter, „Ich mein, in Italien sah es doch überhaupt nicht so aus, als wäre da was zwischen euch.“
„Sah es nicht?“ Rebecca konnte sich ein verschmitztes Lächeln nicht ganz verkneifen und Paula meinte verdutzt: „Ihr kamt aus Neapel zurück und habt so getan als wäre gar nichts zwischen euch und ... am nächsten Morgen kam Lisa.“
Bei der Erinnerung an Lisas Erscheinen damals verfinsterte sich Rebeccas Gesichtsausdruck. Sie würde nie ihr Entsetzen in dem Moment vergessen, als sie festgestellt hatte, dass Oliver eine Freundin hatte. Sie schob die unerfreulichen Erinnerungen jedoch so schnell es ging weg und erinnerte sich lieber an die Nacht davor, die Nacht in der Jan entstanden war. Sie wusste selbst nicht so genau welcher Teufel sie ritt, als sie jetzt sagte: „Naja, in Neapel war auch noch nicht wirklich was, ... zumindest nicht so...“ ließ sie den Satz unbestimmt und doch recht eindeutig ausklingen. Sophie und besonders Paula bekamen große Augen. „Ihr habt, ... du meinst, ...im Haus?!“ fragte Paula und schwankte scheinbar zwischen Überraschung und Entsetzten.
Rebecca zuckte lächelnd die Schultern. „So, und jetzt wisst ihr eindeutig mehr als euch angeht, also gebt Ruhe!“
Natürlich gaben die beiden nicht so schnell auf, aber Rebecca ließ sich nicht von ihnen überreden noch mehr zu erzählen.
Nachdem die Küche schließlich endlich aufgeräumt und Paula sich auf den Heimweg gemacht hatte, setzte sich Rebecca nochmal an den Computer. Je mehr sie in letzter Zeit schrieb, desto mehr Freude hatte sie auch wieder am Schreiben. Sie vertiefte sich so sehr in die Kurzgeschichte, die sie begonnen hatte, dass ihr erst bewusst wurde, dass Sophie hinter ihr stand, als diese erstaunt fragte: „Du schreibst wieder?“
Rebecca drehte sich erschrocken um. „Nein, dass ist nur Spielerei, ein bißchen Ablenkung.“ erwiderte sie schnell.
„Ach ja?“ Sophie ließ sich auf der Sofalehne schräg hinter ihr nieder. „Wieso fängst du nicht wieder richtig an zu schreiben. Das wolltest du doch eigentlich mal, oder nicht?“ Rebecca nickte. „Ja, aber ich hab ja gar keine Zeit. Ich könnte nicht mal vernünftig recherchieren. Also mit dem großen Journalismus den ich mal angestrebt hab wird´s wohl nichts.“ Sophie erwiderte ihr Lächeln, allerdings lag eine gewisse Nachdenklichkeit auf ihrem Gesicht. „Aber du musst ja auch nicht direkt ganz groß anfangen. Du kannst doch genauso gut einfach mal probieren ein paar kleinere Artikel zu schreiben, meinetwegen für irgendeine blöde Frauenzeitschrift, oder auch nur Leserbriefe, aber dann bleibst du wenigstens ein bißchen drin.“
„Mal sehen“, murmelte Rebecca vage. Sie wusste, dass Sophie nicht ganz Unrecht hatte. Aber sie wusste auch, dass es nicht so einfach war überhaupt einen Fuß in die Tür zu bekommen im Journalismus. Und sie hatte weder ein abgeschlossenes Studium in der Hand, noch die Möglichkeit sich ihrer Arbeit hundertprozentig zu widmen und sich richtig in die Aufgabe reinzuknien. Und sie war sich nicht sicher, wie gut sie damit umgehen könnte, wenn sie mit ihren Artikeln keinen Erfolg hätte.
Sophie dagegen war von ihrer Idee plötzlich richtig begeistert. Sie hatte auf einmal ein ziemlich unternehmungslustiges Glitzern in den Augen. „Nein, ernsthaft, du hast doch nichts zu verlieren! Und wenn ich jetzt sowieso ein paar Tage bei euch wohne, dann kann ich dir Jan ja mal öfter vom Hals halten, so hast du auch ein bißchen mehr Zeit.“
„Ich weiß nicht.“ Rebecca war immer noch unschlüssig, obwohl Sophies Vorschlag schon sehr verlockend klang. Als sie das aufgeregte Leuchten in Sophies Augen sah, meinte sie dann aber doch: „Ok, ich kann ja mal ein bißchen rumprobieren. Aber erwarte nicht zuviel, ich werd bestimmt nicht auf die Schnelle einen politischen Bestseller aus dem Hut zaubern.“
Sophie schüttelte den Kopf. „Das erwartet ja auch niemand.“ Sie machte ein verschmitztes Gesicht. „Obwohl es schon toll wäre, wenn ich auf einmal mit einer Berühmtheit verwandt wäre.“
Rebecca lachte. „Mach dir nicht zu viele Hoffnungen.“

Am Abend telefonierte Sophie mit einer Freundin und verdrückte sich daraufhin mit den Worten: „Dafür, dass ich ABI gemacht hab, hab ich noch gar nicht genug gefeiert.“
Oliver sah ihr kopfschüttelnd nach, allerdings musste er zugeben, dass er froh war, sie so gut gelaunt zu sehen. Sie war viel lockerer und gelöster als in den letzten Tagen und von der Gereiztheit der letzten Wochen war ihr kaum noch etwas anzumerken.
Nachdem sie sich einmal mehr den Kampf geteilt hatten, Jan ins Bett zu bekommen, machten sie es sich auf dem Balkon bequem. Oliver erzählte wie sein Tag gewesen war und fragte schließlich, was sie so getrieben hätten. „Oh, ich weiß jetzt endlich was du immer damit meinst, dass deine Schwestern entsetzliche Klatschweiber sind“, sagte sie, während sie ihre Füße auf seinen Knien ablegte. „Was haben sie getan?“ fragte er vorsichtig. Rebecca grinste: „Sagen wir sie waren ein bißchen neugierig.“ „Das ist keine Neugier, dass ist eine Krankheit“, sagte er spitz, bevor er sich selbst gespannt erkundigte: „Sag schon, was wollten sie wissen?“ Sie lächelte. „Ich bin nicht sicher, ob du das wirklich wissen willst.“ Sie zog ihn noch ein wenig mit der Klatschsucht seiner Schwestern auf, doch irgendwann wurde sie wieder ernst. Sie hatte ihm bis jetzt nicht erzählt, dass sie wieder mit dem Schreiben angefangen hatte, doch wenn sie jetzt wirklich ernsthaft versuchen wollte Artikel zur Veröffentlichung zu schreiben, dann wollte sie ihm das nicht länger verschweigen. Sie erzählte ihm also von Sophies Idee. Er war begeistert. „Ich finde du solltest das wirklich ausprobieren. Du hast doch nichts zu verlieren. Und wenn Sophie dir Arbeit abnimmt, dann tut sie wenigstens was nützliches“, bemerkte über seine kleine Schwester.
Dabei fiel Rebecca etwas ein, das sie im Tumult des heutigen Tages schon fast vergessen hatte: „Hey, weißt du, was Paula heute angedeutet hat? Sie meinte, Sophie wäre in Markus verliebt.“
Oliver sah erstaunt auf. „Ach deshalb.“
„Was deshalb?“ fragte sie verwirrt.
„Als wir letztens ihre Sachen abgeholt haben ...“, begann er. „...da haben wir ihn gesehen und er ist irgendwie beleidigt in sein Zimmer abgerauscht. Ich hab mich ziemlich gewundert, aber noch komischer war es, dass Sophie ihm hinterher ist. Sie meinte allerdings danach sie würden sich einfach nur gut verstehen.“
„Also meinst du es ist was dran, an Paulas Anspielung?“
„Vielleicht.“
Rebecca überlegte einen Moment, dann sah sie Oliver an und fragte ernst: „Könnte es sein, dass das auch damit zu tun hat, dass sie nichts ... sagen will?“
„Oh...“ an diese Möglichkeit schien Oliver noch gar nicht gedacht zu haben. „Oh, das wär ja ... wow, ... das wär verdammt scheiße.“
Rebecca nickte und konnte es sich nicht verkneifen ihn ein bißchen zu necken: „Stimmt, und ich beneide dich wirklich manchmal um die Fähigkeit etwas so klar in Worte zu fassen.“ Er grinste: „Tja, wenn was scheiße ist, dann ist es scheiße, auch wenn du Kaviar draufschreibst!“
Sie hingen beide einige Minuten ihren eigenen Gedanken nach, bis Rebecca meinte: „Es würde passen, ich meine, klar ist es schwer es überhaupt jemandem und dann auch noch eurer Mutter zu sagen, die gerade total glücklich mit Peter ist, aber stell dir mal vor wie Übel es ist, wenn du sagen musst, dass der Vater deines Freundes dich belästigt hat.“
„Ich glaube dir das einfach mal, denn ich denke, ich will mir lieber nicht vorstellen, wie es wäre, wenn dein Vater mich belästigt...“ Er schüttelte sich lachend. Sie versetzte ihm einen leichten Klaps auf den Oberarm und meinte ernst: „Sei nicht so albern, das ist nicht lustig!“
Sein Lächeln erlosch schlagartig und er sah sie eine Minute schweigend an, bevor er erwiderte: „Ich weiß, dass das nicht lustig ist. Aber glaub mir, wenn ich das Ganze nur ernst betrachte, dann werde ich entweder verrückt, oder ich bringe Peter um.“
Sofort bereute sie, dass sie ihn angefahren hatte. Sie zog ihre Füße von seinem Schoß und beugte sich zu ihm rüber. „Es tut mir leid“, flüsterte sie reuevoll und küsste ihn sanft.
Sie betrachtete ihn, als sie sich wieder in ihrem Stuhl zurück lehnte und konnte plötzlich sehen wie sehr ihn die ganze Sache mitnahm. Viel mehr, als er es bis jetzt gezeigt hatte. Sie strich ihm zärtlich über den Arm, griff nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. Dabei musste sie an das erste Mal denken, als ihre Hand so in seiner gelegen hatte. Damals hätte sie ihn um nichts in der Welt loslassen wollen und fast erstaunt stellte sie fest, dass es ihr immer noch so ging. Als sie schließlich von ihren Händen auf und ihm in die Augen sah, erkannte sie, dass er ebenfalls daran gedacht hatte.

Es kam selten vor, dass Oliver nicht schlafen konnte, aber in dieser Nacht wurde er, lange bevor er aufstehen musste, wach und er merkte sofort, dass er nicht wieder einschlafen würde. Ihm ging eindeutig zu viel im Kopf herum, was ja auch kein Wunder war. Um sich von seinen trübsinnigen Gedanken an Sophie abzulenken, drehte er sich schließlich zu Rebecca um. Im Mondlicht, das durch das Fenster fiel sah sie sehr jung aus. Sie lag auf der Seite, die Hände unter dem Gesicht verschränkt. Sanft strich er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und fuhr dann ganz leicht die Linien ihres Gesichts mit den Fingerspitzen nach. Er musste sie einfach berühren, er konnte nicht anders.
Ihre Decke lag zusammen geknüllt am Fußende des Bettes und das T-Shirt war nach oben gerutscht, so dass es den Blick auf ihren noch kleinen Babybauch freigab. Er musste lächeln. Nein, eigentlich war es ihm egal, ob es ein Mädchen oder ein Junge wurde. Aber das würde er nicht so schnell zugeben. Sie wusste ohnehin, dass es so war.
Er musste schlucken, sie sah wirklich sehr jung aus. Verdammt, sie war jung! Gerade mal 24, und bald zweifache Mutter.... Ihn quälten noch immer Zweifel, aber das würde er ihr ebenfalls nicht sagen. Mit Sicherheit ging es ihr selbst nicht anders als ihm, auch wenn sie das niemals zugeben würde.
Er bereute selten wie ihr Leben bis jetzt verlaufen war, doch als er sich nun vor Augen führte wie jung sie noch war, konnte er nicht verhindern, dass er sich selbst Vorwürfe machte. Wenn er damals nicht so schrecklich eingebildet gewesen wäre und nur einmal kurz nicht daran gedacht hätte mit ihr zu schlafen, dann wäre es vielleicht nicht so weit gekommen. Er war sonst nie so unvorsichtig gewesen, aber gerade in dieser einen Nacht hatte er auf alle Vorsicht gepfiffen, hatte sein Hirn einfach abgeschaltet. Und auch wenn er Jan nicht missen wollte, so wusste er doch, dass er sich wie der letzte notgeile Idiot aufgeführt hatte.
Sie bewegte sich im Schlaf und kuschelte sich an ihn. Automatisch legte er den Arm um sie und zog sie an sich. Zärtlich drückte er ihr einen Kuss auf den schmalen gebräunten Nacken. Vielleicht konnte er in dieser Nacht doch noch schlafen.

Das blieb leider eine Illusion. Gerade als er wieder eindöste, hörte er den Schlüssel in der Tür. Gut, dann kam Sophie wohl zurück. Kurz darauf hörte er ihre Stimme, die ziemlich lallte: „Gott, mir ist so schlecht!“ Dann eine grimmigere Männerstimme, die ihm irgendwie bekannt vorkam: „Das ist auch kein Wunder, schließlich bist du total dicht!“
Rebecca regte sich in seinem Arm und er spürte, dass sie nahe daran war aufzuwachen. Deshalb raunte er ihr zu: „Alles gut, schlaf weiter.“ Bevor er sich mit einem leisen Seufzer umdrehte und aufstand.
Als er in den Flur trat, bot sich ihm ein äußerst interessantes Bild. Sophie hing total betrunken an Markus Schulter, der versuchte sie in Richtung Wohnzimmer zu bugsieren. Als er Oliver sah, schien Markus sichtlich aufzuatmen. „Hi“, begrüßte er ihn kurz um dann direkt zum Punkt zu kommen. „Sie ist total hinüber“, sagte er mit einem Nicken in Sophies Richtung. „Ich seh´s“, gab Oliver ironisch zurück ohne Sophies lallenden Einwand, sie sei gar nicht betrunken, zu beachten. Er trat an Sophies andere Seite und half Markus sie ins Wohnzimmer zu bringen und auf der Couch abzuladen. „Sie wollte nicht nachhause, deshalb hab ich sie hergebracht“, sagte der gerade entschuldigend. „Danke.“ Oliver beschloss seine Chance zu nutzen und fragte scheinbar gleichgültig: „Wart ihr zusammen unterwegs?“ Zu seiner enormen Überraschung schüttelte Markus den Kopf. „Nein, sie hat mich vorhin heulend angerufen und ich hab sie dann abgeholt.“
Oliver warf einen erstaunten Blick auf Sophie, die mittlerweile mit geschlossenen Augen auf der Couch lag und wohl nicht mehr richtig ansprechbar war. „Kann ich dich mal was fragen?“ Oliver zögerte nur eine Sekunde, so dass Markus ihn, selbst wenn er es gewollt hätte, nicht hätte abweisen können. „Was ist das zwischen euch?“
Markus warf ebenfalls einen kurzen Blick auf Sophie, dann verzog er das Gesicht zu einem freudlosen Lächeln. „Da musst du sie schon selbst fragen, denn ehrlich gesagt, hab ich selber keine Ahnung.“
Oliver musterte ihn noch einen Moment, doch er hatte den Eindruck, dass Markus die Wahrheit sagte, er wusste tatsächlich selbst nicht, woran er bei Sophie war.
„Ok, dann nochmal danke, dass du sie hergebracht hast.“ Er wollte Markus nach draußen begleiten, doch als der einen Schritt vom Sofa wegmachte, streckte Sophie plötzlich die Hand aus und hielt ihn fest. „Nich´ gehen!“ nuschelte sie in ihr Kissen.
Seufzend beugte Markus sich zu ihr herunter: „Hey, ich fahr nach hause, du kannst hier bei deinem Bruder bleiben.“
„Nein, geh nicht.“
Oliver und Markus wechselten einen ratlosen Blick.
„Willst du auch hier übernachten?“ fragte Oliver schließlich. Markus sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Glaubst du das ist eine gute Idee?“
„Nein“, gab Oliver ohne Zögern zu, „Aber ich denke du bist zu vernünftig und sie zu betrunken um Dummheiten zu machen. Also, bleibst du hier?“
Nach einem Blick auf sein Handgelenk, das Sophie nach wie vor fest umklammerte, stimmte er zu.
Nachdem er die beiden mit einem Eimer und einer weiteren Decke, mehr konnte er Markus leider nicht anbieten, versorgt hatte, verdrückte er sich wieder in sein eigenes Bett.
Wie erwartet lag er noch einige Zeit wach. Er wusste wirklich nicht was er von Sophie halten sollte. Und scheinbar war er nicht der einzige dem es so ging.
Irgendwann schaffte er es doch nocheinmal einzuschlafen.

Als Oliver am nächsten Morgen aufstand, fühlte er sich wie gerädert. Er setzte Kaffee auf und stellte sich dann erstmal unter die Dusche. Als er wieder aus dem Badezimmer kam, traf er auf seinen Sohn, der sich gerade fröhlich auf den Weg machte, um seine Tante zu wecken. „Nein, nein, nein,...“ schnell schnappte er Jans Ärmchen, bevor der die Tür aufmachen konnte, für den Anblick war es jetzt definitiv noch zu früh. Jan sah ihn fröhlich lächelnd an: „Mit Sophie spielen!“ „Nein, dafür ist es noch zu früh.“ Oliver nahm ihn kurzerhand auf den Arm und trug ihn in die Küche. „Wir beide frühstücken jetzt erstmal.“
Jan zog eine Schnute und zu Olivers Belustigung imitierte er genau seinen Tonfall: „Nein, nein, zu früh!“
Da er wusste, dass Jan ohnehin nachher mit Rebecca frühstücken würde, tat er es sich nicht an zu versuchen seinem Sohn irgendetwas Eßbares einzuflößen. Das hätte ohnehin nur in einer Katastrophe geendet. Stattdessen ließ er ihn auf dem Boden mit seinen Autos spielen und goß sich selbst einen Kaffee ein.
Oliver war einigermaßen überrascht, als sich plötzlich die Tür öffnete und Markus hereinkam. „Morgen. Kaffee?“ begrüßte er ihn knapp. Oliver stand auf und drückte ihm eine Tasse in die Hand, bevor er fragte: „Und, wie geht´s ihr?“ „Wie schon?“ Markus zuckte die Schultern. „Sie hat ´nen Kater.“ Jan hatte sich bei Markus Erscheinen schüchtern zu seinem Vater geflüchtet und krabbelte jetzt schnell auf dessen Schoß, als er sich wieder hinsetzte.
Oliver ließ Markus noch einen Moment Zeit und einen Schluck Kaffee trinken, dann fragte er: „So und jetzt nochmal, was ist das mit euch beiden.“
Markus schien sich offenbar gar nicht daran zu stören so ausgefragt zu werden. Er antwortete lediglich: „Ich hab dir doch schon gesagt, ich weiß es nicht.“ Er stand an der Küchentheke und rieb sich ratlos mit der Hand über das Gesicht, bevor er weiter sprach. „Einmal denke ich, sie ist total verrückt nach mir und dann geht sie mir wieder tagelang aus dem Weg...“ Er schien wirklich verwirrt und wäre es nicht um seine Schwester gegangen, dann hätte er Oliver sogar ein bißchen Leid getan.
Da es offensichtlich zwecklos war, Markus weiter auszuquetschen und er sowieso los musste, verabschiedete Oliver sich kurz von ihm. Dann schnappte er sich Jan, um ihn bei Rebecca abzuliefern. Der Kleine war immer noch verwirrt von der Tatsache, dass plötzlich ein fremder Mann in der Wohnung war. Und selbst wenn Markus es angeboten hätte, bezweifelte Oliver, dass Jan anstandslos bei ihm geblieben wäre.
Er hasste es zwar Rebecca wecken zu müssen, aber es ging nun mal nicht anders. Außerdem war es vielleicht besser, wenn sie darauf vorbereitet war, dass sie einen Überraschungsgast hatten.

Die Informationen die Rebecca bekommen hatte waren äußerst knapp gewesen und sie war so kurz nach dem Aufwachen noch nicht aufnahmefähig, alles was sie verstanden hatte, war, dass irgendjemand betrunken war und Markus hier übernachtet hatte. Als sie, dank Jan, schließlich endlich richtig wach war, war Oliver natürlich schon längst weg. Kurzerhand folgte sie dem Kaffeegeruch in die Küche. Die Küche war leer, aber dafür hörte sie Stimmen aus dem Wohnzimmer. Einen Moment überlegte sie hineinzugehen, entschied sich dann aber doch dagegen. Sie wollte nicht genau so neugierig erscheinen wie Paula und Sophie.
Nachdem sie Frühstück gemacht hatte, verfrachtete sie Jan in seinen Hochstuhl, die einzige Möglichkeit ihn während des Essens einigermaßen ruhig zu stellen. Im Wohnzimmer erhoben sich plötzlich die Stimmen, die vorher nur ein leises Gemurmel gewesen waren.
„Dann sag mir doch mal bitte warum?!“ das war wohl Markus. Sophies Erwiderung fiel leiser aus, so dass Rebecca nicht verstand worum es eigentlich ging.
Eine Minute später konnte sie durch die offene Küchentür verfolgen, wie Markus aus dem Wohnzimmer stürmte. „Dann kann ich ja gehen!“ Er klang wütend.
Sophie erschien hinter ihm in der Wohnzimmertür. „Jetzt warte doch mal.“ Sie sah ziemlich bleich und mitgenommen aus und Rebecca kam zu dem Schluß, dass es um sie gegangen sein musste, als Oliver erzählte jemand wäre betrunken.
An der Wohnungstür drehte Markus sich noch einmal um. „Worauf soll ich denn bitte warten? Du redest ja sowieso nicht mit mir!“
Sophie schwankte leicht und hielt sich an der Türklinke fest. Rebecca wollte sich gar nicht vorstellen, welche Wirkung ein solcher Streit auf einen verkaterten Kopf hatte. Sophie setzte gerade zu einer Antwort an, doch noch bevor sie einen Ton herausbekam, schlug sie dir Hand vor den Mund, drehte sich auf dem Absatz um und raste ins Bad. Markus stand immer noch an der Tür und sah ihr resigniert nach, scheinbar unschlüssig, ob er ihr folgen, warten oder einfach abhauen sollte. Rebecca fand es war an der Zeit, sich bemerkbar zu machen. Mit einem freundlichen Lächeln fragte sie in den Flur: „Hey! Hast du Hunger?“ Markus wandte sich verwirrt um, als er sie sah, schlenderte er langsam in die Küche. „Guten Morgen.“
„Morgen“, gab sie fröhlich zurück. „Willst du was essen? Oder hast du wirklich vor, jetzt abzuhauen?“
Er musterte sie fragend: „Du hast das gehört, ja?“ Rebecca zuckte die Schultern. „Ließ sich nicht vermeiden.“
„Vielleicht sollte ich wirklich lieber gehen“, meinte Markus zögernd. Rebecca sah ihn einen Moment mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann antwortete sie: „Ich denke, wenn du das wirklich wolltest, dann wärst du schon längst nicht mehr hier.“ Er musterte sie belustigt, dann ließ er sich mit einem resignierten Seufzer auf einen Stuhl fallen. „Ok, bevor du fragst, ich habe keine Ahnung, woran ich bei ihr bin. Das hab ich Oliver übrigens auch schon gesagt.“
Rebecca sah ihn mit großen Augen an. Das hatte er Oliver gesagt, dann hier übernachtet und er lebte noch?! Ihr Respekt vor Markus stieg gerade enorm. Dennoch hütete sie sich das zu sagen und konzentrierte sich lieber auf die wesentlichen Dinge. „Ich blicke zwar noch nicht so ganz durch, aber ich denke ich verstehe dich richtig, dass da irgendwas läuft, zwischen Sophie und dir...“ Er zögerte einen Moment, dann nickte er leicht. „So könnte man´s ausdrücken.“
Aus dem Badezimmer hörten sie das Geräusch der laufenden Dusche und Markus machte Anstalten wieder aufzustehen. „Du haust jetzt nicht einfach so ab!“ ermahnte Rebecca ihn. „Also, wo ist das Problem? Du bist in sie verliebt, dass seh ich, und nach allem, was ich eben rein zufällig mitangehört habe, ist sie auch in dich verliebt. Also, wo liegt das Problem?“
Er ging sofort in Verteidigungshaltung. „Das musst du sie fragen, nicht mich. Sie ist diejenige die mir ständig aus dem Weg geht.“
Nach einem kurzen Schweigen fragte Rebecca langsam: „Und du hast keine Ahnung warum das so ist?“
Bevor Markus jedoch antworten konnte, wurde Rebecca lautstark daran erinnert, dass sie auch noch andere Aufgaben hatte, als sich um das Liebesleben von Olivers Schwestern zu kümmern.
„Mama runter! Spielen!“ Rebecca wandte sich ruckartig ihrem Sprößling zu und stellte fest, dass der ihre Ablenkung genutzt hatte um aus dem Großteil seines Brötchens Knetfiguren zu basteln. Sie überlegte einen Moment, ob es die Sache wert war ihm ein Ultimatum zu stellen und ihn zu zwingen wenigstens die Hälfte seines Frühstücks zu essen, entschied sich dann aber dagegen. Sie wischte ihm den Mund ab, zog ihm das Lätzchen aus und hob ihn aus dem Hochstuhl. Als sie ihn auf dem Boden abstellte, strahlte er sie mit seinem schönsten Lächeln an: „Jetzt Sophie wecken?!“
Rebecca tat es in der Seele weh, diese freudige Erwartung enttäuschen zu müssen. „Schatz, Sophie ist schon wach.“ Noch ehe Rebecca weiter sprechen konnte, raste Jan in Richtung Wohnzimmer. Zwei Sekunden später kam er mit weit aufgerissenen Augen wieder in die Küche. „Sophie is´ weg!“
Rebecca schüttelte lachend den Kopf. „Nein, sie ist nur unter der Dusche, aber nachher spielt sie bestimmt ein bißchen mit dir.“ Jan machte ein beleidigtes Gesicht, doch da er keine Wahl hatte, beschäftigte er sich schließlich mit seinen Bausteinen.
Nach diesem Zwischenspiel, brauchte Rebecca einen Moment um sich wieder auf Markus konzentrieren zu können. „Also, du hast keine Ahnung, warum Sophie dir aus dem Weg geht?“
Er zuckte die Schultern. „Sie sagt ja nichts.“
So falsch hatten sie und Oliver mit ihrer Vermutung also gar nicht gelegen. Oliver hatte ihr gestern noch von Sophies Verdacht berichtet, dass Markus eventuell schon etwas ahnte, doch das schien nicht der Fall zu sein. Dann war Sophie wirklich in einer sehr großen Zwickmühle. Es kostete sie nicht nur Überwindung Andrea die Wahrheit über Peter zu erzählen, sie würde es dann auch Markus erzählen müssen. Und da es um seinen Vater ging war es sehr zweifelhaft, ob er Sophie glauben würde. Oder glauben konnte.
Rebecca betrachtete den jungen Mann nachdenklich. Er schien immerhin doch nicht so schrecklich zu sein, wie sie zu Anfang dachte. Im Gegenteil, gerade fand sie ihn sogar ziemlich sympathisch.
Trotzdem lag es nicht bei ihr, ihm zu sagen worin Sophies Verhalten gründete. Sie war sich nicht mal sicher, ob sie ihm irgendeinen nützlichen Rat geben konnte, schließlich sagte sie nur: „Warte ab, irgendwann wird sie bestimmt mit dir reden. Das eben sah doch schon fast nach einem vielversprechenden Anfang aus.“ Sie deutete in Richtung Flur.
„Ha, ha!“ gab er ironisch zurück und sie musste lachen.
Sie blieben noch eine Weile in der Küche sitzen und unterhielten sich über dies und jenes, bis Sophie schließlich, mit noch nassen Haaren und in ein Handtuch gewickelt, in der Tür stand. Sie stutzte einen Moment als sie Markus sah, dann kam sie mit einem gemurmelten „Du bist ja doch noch nicht abgehauen“ herein.
„Ich hatte die Hoffnung, dass du mir vielleicht endlich sagst, woran ich bin.“ Er betrachtete sie aufmerksam und Rebecca musste zugeben, dass man vor seiner schonungslosen Offenheit nur Respekt haben konnte.
Sophie allerdings schien sich davon eher in die Enge getrieben zu fühlen. „Kannst du nicht einfach akzeptieren, dass es nicht so einfach ist?!“ fuhr sie auf. „Was ist nicht so einfach?“ fragte er prompt zurück. „Alles“, antwortete Sophie mit einem resignierten Seufzer und machte eine umfassende Geste.
Markus starrte einen Moment schweigend vor sich hin. Dann wandte er sich an Rebecca und sagte, während er aufstand: „Siehst du, ich hatte recht, es hat keinen Sinn. Danke, dass ich hier übernachten konnte.“ Damit war er auch schon fast aus der Wohnung. Rebecca starrte ihm einen Moment nach, als die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Sophie zu.
Die sah nun elender denn je aus. Sie schwiegen einen Moment, dann hob Sophie plötzlich den Kopf und sah Rebecca verzweifelt an. „Was soll ich denn tun?“ Tränen traten ihr in die Augen und sie begann zu schluchzen.
Rebecca ging zu ihr hinüber und nahm sie in die Arme, mehr konnte sie im Moment bei Leibe nicht für sie tun.

Als Sophie sich wieder etwas beruhigt hatte, meinte Rebecca schließlich: „Glaubst du nicht, du könntest ... es ihm eventuell ... sagen...?“ Sophie zuckte schniefend die Schultern. „Denkst du denn, er würde mir glauben?“ Rebecca überlegte einen Moment. Schließlich war es ja nicht so, dass sie Sophies Misere nicht verstand, im Gegenteil, sie sah genau in welcher Zwickmühle sie sich befand. „Einen Versuch wäre es vielleicht wert. Ich weiß, dass das nicht so einfach ist und vielleicht wird er auch erstmal wütend werden, aber wenn er dann drüber nachdenkt, ich denke, dann würde er dir glauben. Er scheint doch ganz vernünftig zu sein und warum solltest du dir so was ausdenken?“
Sophie nickte langsam: „Ok, ich denke drüber nach, aber ... ich weiß wirklich nicht, ob ich´s kann.“

Später ging Sophie mit Jan in den Park, um Rebecca etwas freie Zeit zu verschaffen. Als Oliver von der Arbeit kam, waren die beiden immer noch nicht zurück, was Rebecca gar nicht so unrecht war, denn so hatte sie Gelegenheit erst einmal in Ruhe mit Oliver zu sprechen.
Sie saß immer noch am Computer als er nach hause kam. Er trat leise hinter sie und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel, bevor er einen interessierten Blick auf den Bildschirm warf.
„Lass das. Ich hasse es, wenn mir jemand beim Schreiben zusieht.“ Er grinste. „Ich weiß.“
Sie schloß die Datei und schaltete den Computer aus, bevor sie sich zu ihm umdrehte. „Na, wie war dein Tag?“
Er zuckte die Schultern. „Ganz in Ordnung.“ Dann kam er ohne weitere Umschweife auf das Thema zu sprechen, dass ihn brennend interessierte. „Und, wie geht´s meinem Schwesterherz?“
Rebecca zögerte einen Moment, dann sagte sie: „Nicht so gut, denke ich. Wir hatten recht, was das mit ihr und Markus angeht...“
„Hab ich mir gedacht“, gab Oliver mit hochgezogenen Augenbrauen zurück. Dann lachte er kurz auf, bei der Erinnerung an letzte Nacht. „Sie wollte ihn nicht gehen lassen. Sie war total betrunken.“
„Ach deshalb hat er hier übernachtet!“ rief Rebecca. „Ich hab mich schon gewundert wie er das geschafft hat ohne von dir gelyncht zu werden...“ Oliver warf ihr einen bösen Blick zu. „Sehr lustig!“
Danach erzählte sie ihm wie der Morgen schließlich noch verlaufen war und wie fertig Sophie gewesen war, nachdem Markus gegangen war.
„Ich hab ihr gesagt, sie soll es ihm sagen, aber ich weiß nicht, ob sie´s macht.“
Oliver zuckte die Schultern: „Wie du schon sagtest, es ist ihre Entscheidung. Dabei können wir ihr jetzt wirklich nicht helfen.“ Damit schien das Thema für´s erste abgehakt.
Er saß auf der Sofalehne und lächelte zu Rebecca hoch, die vor ihm stand. „Und wie geht´s dir?“ Er zog sie näher, so dass sie zwischen seinen Knien stand und schlang die Arme um ihre Taille. Sie beugte sich zu ihm runter und küsste ihn. „Ich kann mich nicht beschweren.“
Er vergrub sein Gesicht an ihrem Bauch: „Und wie geht´s dem Wurm?“ „Frag ihn doch.“ neckte Rebecca ihn, während ihre Finger zärtlich durch seine Haare fuhren.
Er murmelte etwas an ihrem Bauch, was Rebecca aber nicht verstand und küsste ihn dann sanft. Sie legte ihm locker die Arme um die Schultern und vergrub nun ihrerseits ihr Gesicht in seinen Haaren. So verharrten sie einige Augenblicke.
Als Oliver sich schließlich in ihren Armen regte, löste Rebecca sich ein wenig von ihm, so dass sie ihn ansehen konnte. Er sah müde aus. „Du bist fertig, hm?“ Er zuckte die Schultern, nickte aber leicht. „Ich hab nicht so gut geschlafen letzte Nacht...“ Sie zog ihn erneut an sich und streichelte ihn. „Sophie?“ fragte sie sanft.
„Auch...“ gab er ausweichend zu. „Ich bin im Moment einfach ein bißchen erschöpft.“ Sanft streichelte sie seine Schultern und seinen Rücken. „Willst du dich noch ein bißchen hinlegen? Sophie und Jan sind sicher noch eine Weile unterwegs.“
Er zögerte einen Moment, dann meinte er: „Ich geh jetzt erst mal duschen, dann geht´s mir bestimmt schon wieder besser.“ Er warf ihr noch ein Lächeln zu als er aufstand. Rebecca sah ihm nach während er das Zimmer verließ. Er sah wirklich erschöpft aus. Das war sie von ihm gar nicht gewohnt. Selbst wenn er Stress hatte, z.B. während seiner Abschlußprüfungen, hatte er eigentlich nie ein Problem damit fertig zu werden. Im Gegenteil, er konnte gut damit umgehen und Andrea hatte mal zu ihr gesagt, sie glaube, dass Oliver überhaupt nur unter Druck die besten Leistungen brächte. Rebecca verdrängte das ungute Gefühl, das sie ergriff. Er hatte schließlich gesagt, dass er schlecht geschlafen hatte, was ja auch verständlich war, wenn seine Schwester nachts betrunken nach Hause kam.

Rebecca überlegte gerade, ob sie Sophie anrufen und ihr auftragen sollte noch schnell mit Jan einkaufen zu gehen, als das Telefon klingelte.
„Rebecca Spengler?“
„Hallo Rebecca, hier ist Lisa. Ist Oliver da?“
Rebecca zögerte einen Moment. Selbst wenn Oliver nicht gerade unter der Dusche gewesen wäre, hätte sie ihn jetzt nicht ans Telefon holen wollen. Nicht weil sie selbst etwas dagegen hatte, dass er mit Lisa sprach, sondern weil ihm der Sinn jetzt bestimmt nicht nach einem stundenlangen Telefonat stand, auch wenn er selbst vermutlich zu höflich wäre um es Lisa zu sagen.
Schließlich gab sie zögernd zurück: „Er ist gerade unter der Dusche, soll ich ihm was ausrichten, oder ... soll er dich zurückrufen?“
„Ja, das wäre nett. Obwohl...“ Lisa überlegte kurz. „... eigentlich kann ich das auch mit dir besprechen.“ Rebecca sog erstaunt die Luft ein. „Ach ja?“ Ohne ihre Verwirrung zu beachten fuhr Lisa fort: „Oliver hat dir doch bestimmt erzählt, dass ich dich und den Kleinen unbedingt mal kennenlernen will. Ich mein, immerhin verstehen Oliver und ich uns ja wieder ganz gut, und ich will nicht, dass das für dich irgendwie komisch ist, oder so.“
Rebecca starrte einen Moment völlig perplex auf die Tischplatte vor sich. Hatten heute alle die Offenheit mit Löffeln gefressen? Als sie nicht sofort etwas erwiderte, sprach Lisa weiter: „Und du kannst mir vermutlich ohnehin besser sagen, wann ihr mal Zeit habt als Oliver.“
„Ääh ... ja.“ Rebecca versuchte sich zusammen zu reißen. Lisa schien ja in der Tat sehr nett zu sein. „Hör mal, Lisa, im Moment geht´s bei uns ein bißchen drunter und drüber. Sophie ist für ein paar Tage hier eingezogen... und ... naja, es ist halt alles ein bißchen stressig.... Aber wie wär´s, wenn ich das mal ganz in Ruhe mit Oliver bespreche und dann sagen wir dir Bescheid.“
„Ja, das wäre toll.“ Sie schwieg einen Moment. „Das ist irgendwie komisch, oder?“
„Allerdings.“ Rebecca schnaubte kurz. „Ich an deiner Stelle würde mir die Augen auskratzen wollen.“
Lisa lachte: „Du kannst mir glauben, damals wollte ich das auch, aber ... mein Gott, es ist schon so lange her und ... du konntest damals ja schließlich auch nichts dafür.... Ich bin nur froh, dass Oliver und ich wieder normal miteinander reden können. Immerhin war er mein erster Freund.“ Für den Bruchteil einer Sekunde musste Rebecca gegen ein seltsames Gefühl der Eifersucht ankämpfen, aber dann war der Moment vorbei und sie sagte: „Ich werd´ mit ihm sprechen und dann melden wir uns bei dir.“
„Gut, ich freu mich.“
„Ja, ... ich mich auch.“
Danach brauchte Rebecca noch ein paar Minuten um zu verarbeiten was da gerade passiert war. Schließlich stellte sie erstaunt fest, dass sie sich tatsächlich irgendwie darauf freute Lisa kennenzulernen. So seltsam es auch war, sie hatte auf einmal das Gefühl als könnte Lisa eine gute Freundin werden.

Nach dem Duschen schien Oliver kaum fitter als vorher und so drängte Rebecca ihn sich schließlich doch noch auf die Couch zu legen. Er gehorchte ihr scheinbar widerwillig, war aber nachdem er sich einmal hingelegt hatte in Sekundenschnelle eingeschlafen.
Rebecca hatte gerade die zweite Maschine Wäsche angeworfen als Jan und Sophie wieder herein geschneit kamen.
„Mama, wir wa´n Eis essen!“ verkündete Jan lauthals, „Schoko uuund Erdbeer und da war ein Huud, der ...“
Rebecca unterbrach ihn und fragte verwirrt: „Ein Hut?“ Er verdrehte die Augen: „Ein Huud!“ „Ein Hund“, berichtigte Sophie grinsend. „Ach so. Und was hat der Hund gemacht?“ „Auch Eis ge´esst!“ rief Jan aufgeregt. „Wirklich?!“ Er nickte wild. „Jaaa! Aber nich´ meins.“ Rebecca warf Sophie einen Blick zu und die nickte immer noch grinsend. „Am Nachbartisch, der Köter hatte sogar seinen eigenen Stuhl.“ „Was is´ ein Kötter?“ fragte Jan. „Ein Köter ist ein Hund, aber das sagen nur Leute die Hunde nicht mögen“, erklärte Rebecca schnell und hoffte er würde das Wort bald wieder vergessen, denn sie sah es schon auf sich zu kommen, wie er das nächste mal, wenn sie einen Hund sähen laut über die Straße schrie: „Guck mal, Mama, ein Köter!“ Stattdessen sah er jetzt mit großen Augen Sophie an und fragte: „Du mags´ Huude nich´?“ „Nur keine die am Tisch sitzen“, antwortete Sophie schnell.
Nachdem die darauf folgende Diskussion, warum Hunde die am Tisch säßen weniger liebenswert seien als andere, erschöpft war, wollte Jan, der vor Energie schier platzte mit Papa spielen. Rebecca konnte ihn gerade noch zurück halten, bevor er das Wohnzimmer stürmte.
„Jan, bleib hier, Papa schläft. Du kannst in deinem Zimmer oder hier in der Küche spielen.“ Er überlegte einen Moment und sie konnte förmlich sehen, wie sich die Rädchen in seinem Gehirn drehten. Schließlich rief er, mit dem besserwisserichsten Gesichtsausdruck, den sie bis jetzt an ihm gesehen hatte, triumphierend: „Nein, Papa schläft nich´, zu früh!“
Rebecca musste lachen und so war es an Sophie ihrem Neffen zu erklären, dass es zum Schlafen nie zu früh sei.
So ganz wollte Jan diese Erklärung aber nicht akzeptieren und natürlich ließ er sich nicht ewig vom Wohnzimmer und damit von seinem Vater fernhalten. Irgendwann schaffte er es schließlich Rebecca und Sophie zu entwischen und ehe die zwei auch nur blinzeln konnten war Jan schon im Wohnzimmer verschwunden.
Rebecca unterdrückte ein Seufzen und folgte ihm so schnell sie konnte. Oliver war schon wach. Trotzdem schnappte sie sich Jan energisch. „Jan, ich hab dir doch gesagt, nicht ins Wohnzimmer“, sagte sie streng.
„Ach, ist schon in Ordnung“, meinte Oliver von der Couch. Er hatte einen Arm über den geschlossenen Augen und sah noch ziemlich verschlafen aus.
Rebecca trat zu ihm. „Und, wie geht´s dir?“ „Keine Ahnung“, murmelte er ohne die Augen zu öffnen, „Ich hab tierische Kopfschmerzen.“
Sie sah besorgt auf ihn runter: „Hast du dir vielleicht irgendwas eingefangen, eine Grippe, oder so?“
Er schnaubte kurz: „Im Sommer ... ?“ „Schonmal was von Sommergrippe gehört?“ gab sie bissig zurück.
„Wohl eher einen Sonnenstich, nur hätte ich dafür irgendwann in den letzten Tagen mal die Sonne sehen müssen!“ antwortete er ebenfalls gereizt.
„Sag Bescheid, wenn du was brauchst. Ich nehm Jan wieder mit raus.“
„Quatsch, brauchst du nicht.“ Er setzte sich auf. „Sorry, ich wollte dich nicht blöd anmachen.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und ließ sich neben ihn auf das Sofa sinken. „Egal. Aber was ist mit dir los?“
„Ich weiß es nicht.“ Er griff nach ihrer Hand und nahm sie zwischen seine beiden. „Mach dir keine Sorgen, ich nehme jetzt eine Tablette und dann geht´s mir wieder gut.“
Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu, sagte aber nichts, da sie sich vorstellen konnte wie sehr es ihn selbst nervte, dass er nicht voll auf der Höhe war. Statt dessen drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange und stand auf. „Ich bring dir eine.“

Anfang 5.Monat

Kapitel 6

Oliver schien es die ganze Woche über nicht wirklich besser zu gehen. Er sagte zwar nichts, aber es war kaum zu übersehen, dass er müde war. Rebecca vermutete, dass er ihr nur keine Sorgen machen wollte und sich deshalb so zusammen riss.
Am Donnerstagabend waren sie bei Paula und Christian zum essen eingeladen. Paula wollte ihre neu erworbenen Kochkünste testen.
Sophie verzichtete darauf mitzukommen, da sie auf den Geburtstag einer Freundin eingeladen war. Als sie gingen, konnte Oliver es sich nicht verkneifen sie mit einem Grinsen zu bitten, nicht den letzten Donnerstagabend zu wiederholen. Sie gab ihm einen leichten Klaps auf den Oberarm und meinte gereizt: „Das ist nicht komisch!“ „Doch, find ich schon!“ erwiderte ihr Bruder glucksend.

Entgegen Rebeccas Befürchtungen verlief der Abend bei Paula ganz harmonisch. Zumindest wenn man davon absah, dass die Gastgeberin zu Anfang beinah einen Nervenzusammenbruch bekommen hätte, als sie feststellte, dass ihr die Kartoffeln angebrannt waren. Nachdem Rebecca sie aber beruhigt hatte, dass so was ja mal passieren könne, wurde es ein wirklich angenehmer Abend.
Christian bestätigte den ersten guten Eindruck, den Rebecca von ihm gehabt hatte voll und ganz. Er hatte eine schier unendliche Geduld mit Jan und beschäftigte sich lange mit ihm. Er schien seine Kinder wirklich zu vermissen.
Oliver und Rebecca verabschiedeten sich schließlich mit der üblichen Begründung, dass Jan ins Bett müsse. Woraufhin Paula ihren Bruder ein paar Sekunden lang musterte und dann meinte: „Ich glaube, Jan ist nicht der einzige der hier ins Bett muss. Nimm´s mir nicht übel, aber du siehst aus wie ´ne Leiche, Bruderherz.“
Oliver lachte: „Ach was, packst du jetzt schon deine mütterliche Seite aus?“
„Ganz bestimmt nicht bei dir!“ gab Paula grinsend zurück, wurde dann aber sofort wieder ernst: „Nein, du siehst wirklich müde aus.“
„Jetzt red du mir nicht auch noch ein, dass ich krank bin, das versucht Rebecca auch schon die ganze Woche.“ Er konnte den genervten Unterton nicht ganz aus seiner Stimme verbannen. Paula hob in einer Ist-ja-schon-ok Geste die Hände und beugte sich statt dessen zu Rebecca rüber, um sie zum Abschied zu umarmen.
Als sie Jan endlich ins Bett verfrachtet hatten, meinte Oliver er sei tierisch müde (Rebecca verkniff es sich zu sagen, dass das ja kaum zu übersehen sei) und verschwand im Schlafzimmer.
So hatte Rebecca die nötige Ruhe um sich nochmal an den Computer zu setzen. Sie öffnete die Datei mit den Artikeln, die sie in letzter Zeit angefangen hatte, fand jedoch keinen, der gerade nach ihrem Sinn war. Sie hatte im Moment keine Lust auf das seichte Geplänkel für irgendwelche Frauenzeitschriften. Statt dessen ging sie schließlich ins Internet um sich vielleicht an paar Anregungen zu holen.
Dopingskandale, Nahost-Krise, alles zu deprimierend. Nachdem sie eine halbe Stunde ziellos herumgeklickt hatte, beschloss sie es für diesen Abend gut sein zu lassen und ebenfalls ins Bett zu gehen.
Als sie schließlich ins Schlafzimmer kam, stellte sie zu ihrem Erstaunen fest, dass Oliver noch nicht schlief. Sie grabbelte zu ihm ins Bett und kuschelte sich an ihn. „Hey, ich dachte, du wärst so müde?“
„Hm.“ Er zuckte die Schultern und drehte sich zu ihr um. Ein paar Sekunden betrachtete er sie schweigend, sie lächelte ihm zu, doch er erwiderte ihr Lächeln nicht. Langsam streckte er seine Hand aus und berührte ihr Gesicht. Im schwachen Licht der Straßenlaternen, das durch das Fenster drang, sah sie den blauen Fleck an seinem Oberarm. Sie wollte fragen, was er da wieder gemacht hätte, doch er legte ihr einen Finger auf die Lippen und beugte sich ein wenig vor, um ihren Mund mit einem Kuss zu verschließen.
Es war seltsam, beinahe traumähnlich, als sie miteinander schliefen. Sie bewegten sich langsam, wie in Zeitlupe und Rebecca glaubte fast, nie etwas so schönes und gleichzeitig so beängstigendes erlebt zu haben. Hinterher hielt er sie fest und sie schwiegen lange, bis sie sich schließlich traute zu fragen, was mit ihm los sei. Doch er antwortete ihr nicht.
Er schlief endlich ein, als wäre ihre Gegenwart alles worauf er gewartet hatte.

Als Rebecca am nächsten Morgen aufwachte, war Oliver schon weg.
Die letzte Nacht kam ihr immer noch vor wie ein Traum und sie bemühte sich die Erinnerung daran zu verdrängen. Sie konnte es nicht genau benennen, aber eine dunkle Sorge ging damit einher.
Als Oliver am Nachmittag nachhause kam, verlor er kein Wort mehr über die letzte Nacht. Er zog Sophie damit auf, dass sie schon wieder einen Kater hatte und es schien ihm besser zu gehen als irgendwann in den letzten Tagen und Rebecca versuchte die beunruhigenden Gefühle, die in ihr aufgekeimt waren zu verdrängen
Aber als sie Abends schließlich wieder alleine in ihrem Schlafzimmer lagen, konnte sie sich nicht länger beherrschen.
„Oliver, was ist los mit dir?“
Er sah sie erstaunt an, während er sein T-Shirt auszog. „Was soll los sein?“
„Ich meine,....“ sie hatte sagen wollen letzte Nacht, aber was war da schon gewesen? Sie hatten Sex gehabt, aber das war nun bei Leibe nicht so außergewöhnlich...
„Du meinst was?“ hakte er etwas gereizt nach, als sie zögerte.
Sie saß auf dem Bett, die Knie angezogen, das Kinn darauf abgestützt und beobachtete ihn. „Irgendwas stimmt doch nicht mit dir, Oliver.“
Er schüttelte genervt den Kopf. „Es wäre echt toll, wenn ihr alle aufhören könntet, mir ständig irgendeine Krankheit zu unterstellen!“ Wütend pfefferte er sein T-Shirt in die Ecke und da fiel Rebeccas Blick auf seinen Arm.
„Woher hast du eigentlich den blauen Fleck?“ fragte sie ruhig.
„Keine Ahnung!“ gab Oliver spitz zurück und schlug energisch auf den Lichtschalter. Das Schlafzimmer versank in plötzlicher Dunkelheit. Er hätte kaum deutlicher sagen können, dass das Thema damit für ihn beendet war. Langsam gewöhnten ihre Augen sich an die Dunkelheit und sie konnte Olivers Körper neben sich ausmachen. Seufzend drehte sie sich um und versuchte sämtliche Gedanken abzuschalten.
Wie üblich funktionierte das natürlich nicht. Manchmal hasste sie sich fast selbst dafür, dass sie sich immer um alles Gedanken machte. Es reichte ja schon, wenn jemand sie schief ansah und schon hatte sie das Gefühl etwas falsch gemacht zu haben. Obwohl, dachte sie mit einiger Genugtuung, sie seit Jan schon viel selbstbewusster geworden war. Tja, es war eben doch was dran, dass man mit seinen Aufgaben wuchs. Sie musste sich allerdings eingestehen, dass sie seit Jan auch oft aus Sorge um Jan Nachts wach lag.
Aber wie bescheuert war es eigentlich, wach zu liegen und darüber zu philosophieren, warum man Nachts wach lag?
Sie kuschelte sich tiefer in ihre Decke und merkte, wie sie langsam eindöste.
„Ich hab Angst.“
Mit einem Schlag war Rebecca wieder hellwach. „Was?“ Sie wandte sich zu Oliver um und suchte in der Dunkelheit seinen Blick. Er lächelte reumütig. „Du hast recht. Es geht mir beschissen. Und ich hab Angst, weil ich keine Ahnung hab, was mit mir los ist...“
Rebecca zögerte einen Moment, dann ergriff sie Olivers Hand und zog sie an ihre Lippen. „Mach dir keine Sorgen. Es ist bestimmt nichts Schlimmes, aber ... geh bitte endlich zum Arzt.“
Oliver musterte sie lange, schließlich nickte er. „Ok, ich versprech´s dir.“

„Ich hasse mein Leben! Es ist alles einfach nur ätzend!“
Seit mindestens einer halben Stunde hörte Rebecca sich nun Manus Hasstiraden auf Timm, die Welt im Allgemeinen und ihr Leben im Besonderen an, und langsam ging ihr nun doch die Geduld aus. Vor allem, da heute Abend noch ein Familienessen bei Andrea anstand, und so langsam hatte sie darauf auch keine Lust mehr. Andrea hatte Geburtstag und somit bot sich auch für Sophie keine Möglichkeit ein Ausrede vorzuschieben und zu Hause zu bleiben. Und Rebecca befürchtete, dass Oliver ausrasten würde, sollte Peter seiner Schwester, auf welche Art auch immer, zu nahe kommen.
Sie riss sich zusammen und bemühte sich Manu wieder zuzuhören, da stellte sie fest, dass diese sie fragend musterte.
„Ääh,... entschuldige, um was ging´s gerade?“
„Hast du ihn in letzter Zeit gesehen?!“ wiederholte Manu ungeduldig. Rebecca seufzte innerlich auf. Natürlich ging es um Timm. Sie konnte es ihrer Freundin nicht einmal übel nehmen. Ihr selbst ginge es in der Situation vermutlich auch nicht anders und Manu würde sich mit Sicherheit um sie kümmern, wenn es umgekehrt wäre.
Sie zögerte kurz, dann antwortete sie: „Ich hab ihn nicht gesehen, aber Oliver war vor ein paar Tagen mit ihm unterwegs.“
„Und, wie geht´s ihm?“ fragte Manu plötzlich vorsichtig.
Rebecca zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht so genau, aber ich glaube, nicht so gut.“
Manu konnte sich ein ironisches: „Na der Arme!“ natürlich nicht verkneifen.

Am Abend fühlte Rebecca sich wie erschlagen. Sie saßen noch mit der Familie um Andreas Wohnzimmertisch, doch Rebecca hatte das deutliche Gefühl, der Unterhaltung nicht mehr lange folgen zu können. Schließlich warf sie Oliver einen vielsagenden Blick zu, er grinste sie fröhlich an und unterhielt sich dann weiter mit Christian.
Nachdem die anfänglichen Schwierigkeiten überwunden waren, verstanden die beiden sich prächtig, was Rebecca zwar freute, doch im Moment hätte sie viel dafür gegeben, dass Oliver sich in dieser Gesellschaft unwohl fühlte.
Rebecca gähnte demonstrativ und streckte sich, wofür sie immerhin ein kleines Lächeln von Peter erntete. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr dabei ein leichter Schauer über den Rücken lief. „Na, bist du müde?“ er beugte sich leicht vor und Rebecca musste sich bemühen nicht zurückzuweichen.
Stattdessen rang sie sich ein freundliches Lächeln ab und nutzte ihre Chance: „Ja, ziemlich. Es war ein langer Tag...“ Er nickte verständnisvoll. Durch dieses kurze Zwischenspiel war nun auch Andrea aufmerksam geworden. „Vielleicht solltet ihr wirklich lieber fahren, Oliver. Der Kleine wird auch langsam quengelig. Außerdem...“ Sie brach ab und musterte ihren Sohn, dann machte sie eine wegwerfende Handbewegung. Oliver warf ihr einen herausfordernden Blick zu. „Was ‚Außerdem‘?“
„Du siehst auch ziemlich müde aus, in letzter Zeit.“ Sie wechselte einen Blick mit Paula und es war klar, dass die beiden über ihn gesprochen hatten. Er sah seine Mutter einen Moment scharf an, dann sagte er ruhig aber bestimmt: „Mir geht´s gut. Danke der Nachfrage.“
Andrea hätte sich wohl damit zufrieden gegeben, doch wie üblich ließ Paula sich nicht so einfach abspeisen. „Mein Gott! Musst du immer den starken Mann markieren?! Dir würde wohl kein Zacken aus der Krone fallen, wenn du mal zum Arzt gehst!“
Oliver wollte etwas erwidern, doch Andrea, mit ihrem geschulten Mutterinstinkt, ging sofort dazwischen: „Paula sei still und Oliver reg´ dich nicht auf, wir machen uns nur Sorgen.“
Im ersten Moment dachte Rebecca Oliver würde wütend werden. Doch er riss sich zusammen und ließ es bei einem kurzen Kopfschütteln bewenden.
Immerhin hatte dieses kleine Zwischenspiel schließlich doch zur Folge, dass sie sich auf den Nachhauseweg machten.
Zu Rebeccas Erstaunen entschied Sophie sich bei ihrer Mutter zu übernachten. Oliver versuchte zwar noch kurz sie umzustimmen, doch als Andrea und Peter zu ihnen in den Flur traten, gab er seine Bemühungen mit einem Schulterzucken auf.
Glücklicherweise schlief Jan schon während der Fahrt ein, so dass sie ihn Zuhause nur noch in sein Bett verfrachten mussten und der üblichen allabendlichen Diskussion entgingen.
Nachdem die Kinderzimmertür sich hinter ihnen geschlossen hatte, folgte Rebecca Oliver in die Küche. Sie setzte sich an den Tisch, während er direkt auf den Kühlschrank zusteuerte um sich etwas zu trinken zu holen. Die Autofahrt war mehr oder weniger schweigend verlaufen, doch nun meinte Rebecca: „Lass dich nicht so davon stressen, dass deine Mutter sich Sorgen macht. Es geht ihr gut.“
Oliver drehte sich zu ihr um und warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Doch dann sagte er: „Im Moment stresst es mich viel mehr, dass Sophie mit diesem Arschloch unter einem Dach schläft.“
Rebecca nickte. „Ich weiß auch nicht, wieso sie das jetzt gemacht hat. Vielleicht wegen Markus?“
„Naja, wenn dann hat sie wenigstens ihren kleinen Beschützer in der Nähe!“ antwortete Oliver spöttisch.
„Sei nicht so gemein!“ Rebecca stand auf. „Er ist doch eigentlich ganz nett.“
„Ach ja?“ plötzlich stand Oliver vor ihr und zog sie an sich. „Wie nett?“ fragte er scherzhaft.
„Haha!“ antwortete Rebecca und wollte sich umdrehen, doch Oliver hielt sie zurück. Er drehte sie zu sich um und beugte sich schnell vor um sie zu küssen.
„Ich liebe dich“, flüsterte er mit einem Lächeln. „Dann geh endlich zum Arzt“, gab sie eindringlich zurück. Er trat einen Schritt von ihr zurück und meinte gereizt: „Ich hab dir doch schon versprochen, dass ich gehe, was willst du denn noch?!“
„Dass du´s auch wirklich machst!“ Eigentlich hatte Rebecca keine erneute Diskussion auslösen wollen. Aber sie fühlte sich im Recht und sah deshalb auch nicht ein wieder einen Rückzieher zu machen. „Paula hat gar nicht so Unrecht, dir wird schon kein Zacken aus der Krone fallen...“
„Klasse, jetzt fang du auch wieder damit an! Genau das hat mir jetzt noch gefehlt!“ fuhr Oliver sie wütend an um dann an ihr vorbei aus dem Raum zu stapfen.
Rebecca blieb einen Moment wie angewurzelt stehen. Mist, sie hätte sich doch zusammenreißen sollen. Oliver hatte in letzter Zeit wirklich schon genug Stress gehabt, sie hätte sich also ruhig auf die Zunge beißen können. Seufzend machte sie sich daran das saubere Geschirr aus der Spülmaschine zu räumen um sich und Oliver noch ein wenig Zeit zum Verschnaufen zu geben. Als sie schließlich fertig war und Oliver folgen wollte, kam er ihr im Flur schon wieder entgegen. Er hatte seine Sportklamotten an und beachtete sie kaum als er an ihr vorbei zur Wohnungstür ging. Mit einem kurzen: „Ich geh joggen“, war er auch schon weg.
Na toll, wenn sie in letzter Zeit mal nicht eine super Art hatten ihre Probleme zu lösen..., dachte Rebecca ironisch. Kurz überlegte sie auf ihn zu warten, aber augenblicklich wurde ihr bewusst, dass sie immer noch todmüde war und sich seit Stunden auf ihr Bett freute. Also dachte sie sich zum Teufel mit dem alten Dickschädel und ging ins Bett.
Innerhalb von Minuten war sie tief und fest eingeschlafen.

Als sie am nächsten Morgen aufwachte, lag Oliver nicht neben ihr. Zuerst bekam Rebecca einen Schreck, doch dann fiel ihr Blick auf den Wecker und sie stellte fest, dass Oliver schon längst auf der Arbeit sein musste. Sie musste tatsächlich geschlafen haben wie ein Stein, normalerweise wurde sie zumindest kurz wach, wenn Oliver aufstand.
Gähnend streckte sie sich und schwang die Beine über den Bettrand.
Sie machte Frühstück und genoß es dabei noch ihre Ruhe vor Jan zu haben, der nach dem gestrigen Tag scheinbar genauso müde gewesen war, wie seine Mutter.
Als sie ihr gemeinsames Frühstück gerade beendet hatten, klingelte das Telefon. Rebecca zögerte einen ganz kleinen Moment, eigentlich wollte sie so schnell wie möglich die Küche aufräumen um dann einkaufen zu gehen, doch schließlich nahm sie doch ab.
„Becky, ich bin‘s, Sophie.“
„Oh, hi, was gibt’s?“ Rebecca klemmte den Hörer zwischen Schulter und Ohr und begann den Tisch abzuräumen.
„Ich wollte nur sagen, naja, ihr habt euch sicher gewundert, dass ich gestern hier geblieben bin, oder?“ fragte Sophie etwas zögernd.
„Hm, stimmt. Wie lief´s denn? Und warum bist du überhaupt dageblieben?“ Rebecca stellte ihren und Jans Teller zusammen, während sie ihrem Sohn mit der anderen Hand den Mund abwischte.
„Hmm, ich ... wollte nochmal mit Marcus reden und ... irgendwie hab ich gedacht...“ Sie brach ab und holte tief Luft, „...irgendwie hab ich gedacht, vielleicht hab ich ja auch übertrieben und mir bei dieser ganzen Sache mit Peter was eingeredet.“ Bei diesen Worten wäre Rebecca beinah das Telefon von der Schulter gerutscht. „Das ist nicht dein Ernst, oder? Redest du dir jetzt ein, dass eigentlich gar nichts war, oder was?“
„Ich ... weiß nicht ... aber ich denke, ich werd’s erst nochmal ein bißchen versuchen. Ich kann euch ja auch nicht ewig auf die Nerven gehen...“ „Sophie! Du weißt, dass du so lange hier bleiben kannst wie du willst! Und was das andere angeht, ich glaube eigentlich nicht, dass du leichtfertig so was in die Welt setzen würdest, mit anderen Worten, ich glaube nicht, dass du dir irgendwas eingeredet hast!“
Rebecca hörte Sophie am anderen Ende aufseufzen. „Ich hab mich jetzt erstmal entschieden. Trotzdem Danke.“
„Hat es was mit Markus zu tun?“ bohrte Rebecca nach.
„Ich ... Ja, es hat auch mit Markus zu tun.“
„Hast du ihm gestern was erzählt? Hast du überhaupt mit ihm gesprochen?“
Sophie zögerte, dann sagte sie schließlich: „Bist du nachher Zuhause? Dann komm ich vorbei und hol meine Klamotten und dann können wir ausführlicher drüber reden, ok?“
„Wann wolltest du denn vorbei kommen? Ich muss noch einkaufen gehen...“
Sie einigten sich schließlich darauf, dass Sophie am Nachmittag kommen würde, so dass Rebecca in Ruhe aufräumen und mit Jan einkaufen gehen konnte, ohne sich hetzen zu müssen.

Schließlich saß sie aber doch zusammen mit Sophie in der Küche und hatte endlich Gelegenheit zu erfahren, was nun genau am letzten Abend passiert war. „Also...?“
„Ich hab ihm nichts erzählt, also von Peter....“ begann Sophie langsam. „...aber ich, ... wir ....“
Rebecca lächelte sie ermutigend an. Sophie seufzte: „Erst haben wir geredet, dann haben wir gestritten und dann ... habne wir miteinander geschlafen.“
„Wow!“ entfuhr es Rebecca, ehe sie sich zusammen reißen konnte. „Ich meine“, sprach sie schnell weiter: „...dann seid ihr jetzt zusammen, oder was? Und was sagen eure Eltern dazu?“ Der Gedanke war Rebecca erst in diesem Moment gekommen, aber es wäre ja durchaus möglich, dass Andrea und Peter es nicht so gerne sahen, wenn ihre Kinder plötzlich ein Paar waren.
Sophie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, die haben nichts mitbekommen, da bin ich mir ziemlich sicher.“
Die beiden Frauen schwiegen einen Moment, bis Rebecca schließlich fragte: „Und, was willst du jetzt tun? Wieder nach Hause ziehen und einfach so tun, als wäre nichts gewesen?“
Sophie zögerte einen sehr langen Moment und Rebecca ahnte, dass sie mit ihrer Einschätzung genau ins Schwarze getroffen hatte. Schließlich meinte Sophie: „Ich hab kaum eine andere Wahl, und ... mittlerweile weiß ich wirklich nicht mehr, ob ich mir das alles nicht irgendwie mehr eingeredet habe. Vielleicht hab ich einfach überreagiert, weil plötzlich ein fremder Mann mit uns unter einem Dach gewohnt hat.“
Rebecca wollte eine scharfe Erwiderung zurückgeben, doch schließlich begnügte sie sich damit ein wenig überzeugtes „Vielleicht hast du recht“ zu murmeln.
Gemeinsam packten sie schließlich Sophies restliche Sachen zusammen.
„Also seid ihr jetzt zusammen?“ fragte Rebecca irgendwann noch einmal beiläufig.
„Ich denke schon...“ antwortete Sophie etwas zögerlich.
Rebecca streckte die Hand aus und berührte ihren Arm um Sophies ganze Aufmerksamkeit zu haben. „Sophie, falls, ich sage nur falls du dich irrst und doch wieder etwas passiert, dann musst du es Markus sagen. Wenn du ... ihn wirklich magst...“ sie hatte eigentlich sagen wollen wenn du ihn wirklich liebst, doch dann hatte sie das Gefühl es wäre noch zu früh für Sophie von Liebe zu reden. „...dann musst du mit ihm darüber reden.“ Rebecca war nicht überrascht, dass Sophie sofort die Stacheln aufstellte.
„Wie gesagt, ich glaube, ich habe überreagiert und wenn nicht, dann ist das immer noch meine Sache!“ Sie griff nach ihrer Tasche. „Nicht deine, nicht Ollis, sondern meine! Sag ihm das bitte auch; seine Einmischung ist das Letzte was ich jetzt noch gebrauchen kann!“ damit stürmte sie zur Tür hinaus.
Rebecca hob Jan auf ihren Arm, dessen Unterlippe nach dem Ausbruch seiner Tante verdächtig zitterte, und starrte Sophie einen Moment lang nach. Natürlich war es ihre Sache und Rebecca konnte ihre Reaktion nur zu gut verstehen, doch sie selbst zweifelte nach wie vor daran, dass Sophie sich das alles nur eingebildet hatte. Und sie wollte nicht, dass Sophie sich möglicherweise selbst etwas einredete, nur um es ihrer Mutter und Markus recht zu machen. Nur um den beiden zu gefallen.
Schließlich wandte sie sich ihrem Sprößling zu: „Na, hilfst du mir beim Wäsche aufhängen?“

Als Oliver nachhause kam, brachte sie ihm die Neuigkeiten so schonend wie möglich bei. Entgegen ihrer Befürchtungen reagierte er aber ziemlich gelassen. Als sie ihn fragte ob er sich keine Sorgen machen würde, erwiderte er: „Natürlich mach ich mir Sorgen, aber, ich schätze, im Moment können wir wohl nichts ändern, oder?“
Rebecca blieb nichts anderes übrig als ihm zuzustimmen.
Etwas später, als Jan wieder einmal Anstalten machte, weil es Zeit war ins Bett zu gehen, klemmte Oliver ihn sich einfach unter den Arm und meinte er würde das schon machen.
Verwundert sah sie ihrem jungen Mann nach, während er Jan ins Badezimmer verfrachtete. Ob er wohl ein schlechtes Gewissen hatte, weil er gestern einfach abgehauen war?
Jan lag schließlich im Bett und Oliver kam zu ihr in die Küche. „Er will dir noch gute Nacht sagen.“
Rebecca nickte, damit hatte sie gerechnet. Sie warf den Spüllappen ins Waschbecken und trocknete sich die Hände ab.

„Hey, mein Schatz...“ Jan streckte ihr die Arme entgegen. Sie beugte sich zu ihm runter und gab ihm den obligatorischen gute Nacht Kuss. „Träum süß. Ich hab dich lieb.“
Jan gähnte etwas, das sich ungefähr wie „‘Ch, ‚‘ch auch, Mama“ anhörte und war schon halb eingeschlafen als Rebecca seine Zimmertür hinter sich zu zog.

Oliver wartete in der Küche auf sie.
Beide schwiegen einige Sekunden. Rebecca hauptsächlich, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte, was ein seltsames Gefühl war. Das war Oliver. Sie waren verheiratet und hatten einen dreijährigen Sohn zusammen. Weshalb hatte sie plötzlich so ein komisches Gefühl der Unwirklichkeit in der Magengegend?
Schließlich brach Oliver das Schweigen: „Willst du gar nicht fragen wo ich gestern war?“
Rebecca zuckte innerlich zusammen. Was konnte er meinen? Was wollte er ihr sagen?
Äußerlich ruhig erwiderte sie: „Ich denke, du warst joggen...?“
Er nickte: „Und dann war ich bei Stephan und wir haben uns richtig volllaufen lassen.... Ich war heute morgen nur kurz hier um zu duschen und mich umzuziehen.“
Er machte eine Pause und Rebecca sah ihn schweigend an, war das alles? Oder würde er ihr gleich noch etwas Schlimmeres sagen? Etwas, das sie vielleicht lieber gar nicht wissen wollte.... Oder doch?
Sie hielt es nicht aus: „Wart ihr... allein? Du und Stephan?“
Er sah sie scharf an: „Ich weiß nicht, was du gerade denkst, aber hoffentlich nicht das wonach es sich anhört...!“
Sie musste sich zusammen reißen um ihn nicht anzuschreien, doch schließlich sagte sie bloß tonlos: „Sag einfach was du sagen willst, Oliver.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, denn sie bemerkte, dass ihre Hände zitterten.
Einen Augenblick schien es, als wolle er auf sie zukommen, doch dann entschied er sich anders und blieb wo er war. „Es tut mir leid, Becky. Eigentlich wollte ich mich nur dafür entschuldigen, dass ich mich gestern wie ein Arschloch benommen hab, stattdessen mach ich wieder genauso weiter...“ Er sah sie direkt an und wiederholte noch einmal: „Es tut mir leid.“
Rebecca atmete vorsichtig ein. War das nun alles?
„Was genau meinst du mit: Wie ein Arschloch benommen?“ fragte sie leise.
Kurz sah es aus, als würde er wieder wütend werden, doch er riss sich zusammen und brachte sogar ein schiefes Lächeln zustande: „Nicht das was du denkst. Ich hätte dich nicht so anfahren sollen, weil du dir Sorgen gemacht hast und dann einfach abzuhauen war das Letzte.“
Erst jetzt traute Rebecca sich richtig aufzuatmen. Sie sah vorsichtig zu ihm auf und hatte das Gefühl, als wäre immer noch nicht alles gesagt. Da er aber keine Anstalten machte weiterzusprechen, atmete sie noch einmal tief durch und fragte dann langsam: „Was ist los mit dir? Du hast doch noch irgendwas...“
Er sah sie an, konnte ihrem Blick aber nicht lange standhalten und sah wieder weg. „Ja, ...“ er schluckte „... um ehrlich zu sein, da ist noch was.“
Warum rückte er denn nicht endlich mit der Sprache raus? Rebecca schossen tausend Möglichkeiten durch den Kopf, eine schlimmer als die andere, und sie schwankte zwischen dem Wunsch ihm an die Gurgel zu gehen, schon allein, weil er nicht einfach mit der Sprache herausrückte, sondern sie so schrecklich quälte, und dem Verlangen einfach rauszurennen und sich solange die Ohren zuzuhalten, bis dieser Alptraum vorbei wäre. Da sie sich nicht entscheiden konnte, tat sie im Endeffekt keins von beidem.
Er schien dennoch bemerkt zu haben, was seine Worte bei ihr ausgelöst hatten, den plötzlich trat er doch auf sie zu. Sie zuckte unwillkürlich zusammen und abrupt blieb er stehen.
„Hey, es ist nichts Schlimmes“, sagte er nun beschwichtigend. Da er jetzt so nah vor ihr stand, musste sie wirklich zu ihm hoch sehen. „Ich ärger mich ja selbst, dass ich´s dir nicht längst gesagt hab.“
„Verdammt, was denn?!“ entfuhr es ihr. Sie war selbst überrascht über ihre Heftigkeit, aber ihre Nerven waren mittlerweile zum Zerreißen gespannt und sie hielt es einfach nicht länger aus.
„Hör zu...“ Er löste ihre vor der Brust verschränkten Arme und ergriff fest ihre Hände, die immer noch leicht zitterten. „... es ist wirklich nichts schlimmes und ich werd´s dir sofort sagen, aber lass uns vorher ins Wohnzimmer gehen und in Ruhe hinsetzen. Sonst kippst du mir hier noch um.“ Sie wollte widersprechen und er fügte schnell noch hinzu: „Du bist jetzt schon weiß wie ´ne Wand.“
Damit schob er sie vor sich her ins Wohnzimmer, wo er sie auf einem Sessel platzierte um sich ihr gegenüber auf´s Sofa zu setzen.
Er beugte sich leicht vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und rieb sich fest übers Gesicht, bevor er sie ansah. „Es ist wirklich nichts Dramatisches, ich hätte es dir nur längst sagen sollen.“ Er machte eine kurze Pause. Rebecca spürte, wie sie unabsichtlich die Fingernägel der einen in die Fläche der anderen Hand grub und versuchte sich etwas zu entspannen. Er fuhr fort: „Es ist ... ich war längst beim Arzt. Ich hab mich komplett durchchecken lassen und... er hat nichts gefunden.“
Rebecca atmete auf. Als Oliver gesagt hatte er wäre beim Arzt gewesen, hatte sie bereits mit dem Schlimmsten gerechnet. Nun brauchte sie einen Moment um ihre Gedanken zu ordnen. „Er hat nichts gefunden?“
Oliver schüttelte den Kopf. „Nein. Wahrscheinlich ist es was psychisches...“ er spuckte das Wort förmlich aus und Rebecca dämmerte langsam was los war, trotzdem fragte sie: „Wieso hast du mir das denn nicht gesagt?“
Er sah zu Boden. „Keine Ahnung, es ist so...“ er sah sie hilflos an. „Es ist so bescheuert. Ich wünschte, es wäre was wogegen ich einfach ein paar Tabletten schlucken könnte, nicht sowas... substanzloses..."
Sie konnte nachvollziehen was er meinte. Er war nicht wie sie, nicht der Typ, der Nachts wach lag und sich Gedanken machte, andererseits übernahm er immer wieder die Verantwortung für alle und jeden... Wahrscheinlich war es für ihn nicht leicht nachzuvollziehen, dass er so gestresst sein konnte, dass sich das sogar körperlich auswirkte.
„Ich verstehe was du meinst“, sagte sie deshalb, „Aber es ist unbestreitbar, dass du in letzter Zeit ziemlich viel Stress hattest, oder?“ Sie sah, dass er ärgerlich widersprechen wollte und fuhr schnell fort: „Nein, wirklich. Du willst das vielleicht nicht hören, aber es ist doch so. Erst die Hochzeit und das ich wieder schwanger bin und dann noch die Sache mit Sophie und Jans ständige Trotzanfälle.... Und mein ewiges Genörgel war wahrscheinlich auch nicht gerade entspannend.“
„Wehe du gibst dir jetzt die Schuld daran, dass ich so ein Weichei bin!“ gab er heftig zurück.
Sie erwiderte ebenso scharf: „Hör auf so einen Mist zu reden! Du hast wesentlich mehr Verantwortung als sonst irgendwer in unserem Alter und wenn dir das ausnahmsweise mal zu viel wird, dann hat das nichts damit zu tun, dass du ein Weichei bist.“ Sie grinste ihn frech an. „Was natürlich nicht heißt, dass du kein´s bist...“
„Ha ha!“ gab er ironisch zurück, aber immerhin hatte sie ihn kurz zum Lächeln gebracht. Doch er wurde sofort wieder ernst. „Ich weiß einfach nicht was ich tun soll“, gestand er, „Ich mein, wie soll ich mich denn entspannen, wenn ich nicht mal merke, dass ich gestresst bin?“
Rebecca musste zugeben, dass dieses Argument nicht einer gewissen Logik entbehrte. Sie überlegte einen Moment, dann antwortete sie: „Ich weiß nicht, aber ich denke, es war schon mal ein guter Anfang, dass du eingesehen hast, dass Sophie ihre Probleme selber lösen muss. Was den Rest angeht, keine Ahnung, versuch einfach nur das zu tun wozu du auch Lust hast. Und mach dir nicht zu viele Gedanken.“
„Du hast leicht reden.“ Er lehnte sich seufzend zurück. „Dabei fällt mir ein, erzähl´s nicht meiner Mutter, oder sonst irgendwem, ok? Muss ja nicht jeder Wissen, dass ich ein Rad ab hab.“ Er grinste sie an.
„Spinner!“ antwortete sie lächend.
„Eben, genau das meine ich...“

Später im Bett zog Oliver sie an sich und sie kuschelte sich gähnend an seine Schulter.
„Es tut mir leid, dass ich wieder schwanger bin, wir hätten wirklich besser noch warten sollen“, sagte sie leise.
„Hör auf, das ist das Letzte wofür du dich entschuldigen solltest. Außerdem hast du das wohl kaum allein gemacht, das hab ich dir schonmal gesagt“, antwortete er ruhig.
„Trotzdem...“ beharrte sie „... es hätte nicht sein müssen. Gerade nach dem das damals mit Jan passiert ist, hätte ich eigentlich besser aufpassen müssen.“
„Wir beide“, gab er fest zurück. „Schon damals in Italien, ich hab mir danach riesige Vorwürfe gemacht.“
Sie drehte den Kopf und sah ihn erstaunt an. „Wirklich? Wieso? Da gehörten ja wohl auch zwei dazu.“
Er lachte leise auf. „Stimmt, aber ich konnte einfach an nichts anderes denken als daran mit dir zu schlafen, sonst wäre ich nie so unvorsichtig gewesen.“
Ihre Augen wurden groß: „Wirklich?“
Er lachte wieder leise: „Hör mal, drei Nächte in einem Bett und ich durfte dich nicht anfassen...“
Jetzt musste sie auch schmunzeln: „Ach komm, anfassen durftest du mich schon.“
„Das war ja das Schlimme...“ antwortete er grinsend und gab ihr einen schnellen Kuss.
Rebecca schüttelte den Kopf. „Tu doch nicht so, andere hätten dich viel länger hingehalten.“
Er zögerte kurz, dann sagte er, diesmal ohne zu lachen: „Bei anderen hätte es mir aber auch nicht soviel ausgemacht.“
Gespannt stützte sie sich auf einen Ellbogen und sah ihn an: „Sag mal, wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen mit mir nach Neapel zu fahren?“
Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und erinnerte sich lächelnd. „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr so genau. Ich glaub, ... „ er grinste in sich hinein „...nach der Nacht am Strand hab ich nur noch überlegt wie ich’s hin kriegen könnte mit dir allein zu sein.“
„Und du warst dir natürlich total sicher, dass ich einfach so mitkommen würde“, sagte sie ein bißchen empört.
„Naja, ich war eingebildet“, gab er fröhlich zurück, doch dann meinte er: „Nein, eigentlich war ich mir gar nicht sicher ob du mitkommen würdest, ich weiß noch, dass ich hinterher irgendwann gedacht hab, so wenig Interesse könnte von deiner Seite ja nicht da sein, wenn du einfach so in mein Auto springst.“
„Wenig Interesse!“ Rebecca kicherte. „Wenn du wüsstest...“ Jetzt war es an ihm sie gespannt zu betrachten. Lächelnd fuhr sie fort: „Ich hab schon am ersten Rastplatz gedacht, dass du verdammt niedlich bist und, dass du vermutlich dran gewöhnt bist, dass die Mädels dir nachgucken.“
Er lachte laut auf und meinte schließlich immer noch keuchend: „Deshalb hast du mich da so angestarrt! Das war so niedlich, als ich dich angesehen hab, du bist knallrot geworden und hast dich ganz schnell wieder umgedreht!“
„Oh Gott.“ Rebecca vergrub ihr Gesicht im Kissen und wollte am liebsten im Erdboden versinken. „Wieso kannst du dich daran überhaupt noch erinnern? Ich hab gehofft, du hättest das gar nicht richtig wahrgenommen“, nuschelte sie in ihr Kissen.
„Naja, das war auch der Moment in dem du mir aufgefallen bist“, gab er mit einem Lächeln in der Stimme zu. Sie hob ihren Kopf wieder aus dem Kissen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, woraufhin er erneut den Arm um sie schlang.
Einige Minuten später meinte Rebecca: „Manchmal denke ich, es wäre schön wenn wir nochmal zurück könnten. Was wäre zum Beispiel geworden, wenn ich in dieser einen Nacht nicht zufällig an den Strand gekommen wäre?“
„Vermutlich hättet ihr mich am nächsten Morgen als Leiche aus dem Wasser ziehen können, so leichtsinnig wie ich damals drauf war“, antwortete er schulterzuckend.
„Red nicht so einen Quatsch.“ Rebecca wurde beinah wieder sauer, wenn sie an seine blödsinnige Springerei dachte. Und dass wirklich etwas hätte passieren können, wollte sie sich erst gar nicht ausmalen.
Mit seiner freien Hand strich er mittlerweile abwesend über ihren Bauch. „Du hast recht, manchmal wär ich auch gern wieder so jung.“ Kaum hatte er es ausgesprochen, stöhnte er: „Hilfe, ich hör mich an, als wär ich 50.“
Sie lächelte, „Ja, tust du, aber ich weiß was du meinst.“
Rebecca spürte, wie die Müdigkeit langsam in ihr aufstieg und auch Oliver gähnte gerade ausgiebig. Sie drehte sich auf die Seite und genoß die gemächlichen Kreise, die Olivers Hand sanft auf ihrem Bauch zog. Er freute sich auf dieses Baby, das spürte sie, genau wie sie es schon bei Jan gespürt hatte.
Rebecca war schon fast eingeschlafen, als Oliver nocheinmal zu sprechen anfing. Scheinbar waren seine Gedanken in ein ganz andere Richtung gewandert als die ihren: „Sag mal, dachtest du vorhin wirklich ich hätte dich betrogen?“
„Was?“ fragte sie im ersten Moment verständnislos.
„Als ich gesagt hab, dass ich mich mit Stephan besoffen hab, hast du wirklich gedacht...?“ er beendete den Satz nicht, musterte sie nur, auf einen Ellbogen gestützt.
„Ich....“ Rebecca brauchte einen Moment um ihre Gedanken zu ordnen, dann setzte sie nocheinmal an: „Ich weiß nicht, du hast dich so komisch benommen und du hast gesagt, dass du betrunken warst und ... die ganze Nacht nicht zuhause...“ sie zuckte unschlüssig die Schultern. „Keine Ahnung, ich glaub, ich habs nicht wirklich gedacht, aber du hast mir in dem Moment irgendwie ... Angst gemacht....“
„Tut mir leid“, meinte er bedauernd, „Ich weiß, ich hab mich bescheuert benommen.“
„Schon vergessen. Ich mach das schließlich auch oft genug“, gab sie lächelnd zurück.
Er erwiderte ihr Lächeln kurz, wurde aber schnell wieder ernst. „Du weißt aber, dass ich sowas nie machen würde, oder?“
„Eigentlich schon, aber... sag mal, Stephan hat recht, du hast keine Ahnung was Eifersucht ist, oder?“ fragte sie zurück.
Er verdrehte die Augen: „Was soll das denn jetzt?“
„Sei ehrlich, warst du schon jemals wirklich eifersüchtig?“
„Keine Ahnung.“ Er zuckte genervt die Schultern, sagte dann aber doch: „Als du im Krankenhaus warst und dieser komische Arzt..., aber das war total bescheuert.“
„Eben!“ rief sie triumphierend. „Das ist es ja gerade was ich meine, Eifersucht ist total bescheuert und alles andere als rational.“ Er sah sie an, als hätte sie einen Vollschatten und fragte vorsichtig: „Was willst du mir eigentlich sagen?“
„Ich will dir sagen...“ begann sie langsam „... auch wenn ich eigentlich weiß, dass du mich nicht betrügen würdest, ändert das nichts daran, dass ich mir Gedanken mache, wenn du die ganze Nacht nicht nachhause kommst, oder... wenn du stundenlang mit deiner Ex-Freundin telefonierst.“
Er wollte etwas erwidern, doch sie brachte ihn mit einer knappen Geste zum Schweigen und fuhr fort: „Ich weiß, das mit Lisa hat nichts mit uns zu tun, aber es verletzt mich trotzdem, ok? Ich will´s dir auch gar nicht verbieten, oder so, aber es ist einfach so, dass ... oh man, es ist einfach ein Mädel mit dem du mal im Bett warst und das will ich mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen.“ Es war raus und sie drehte sich zur Seite, da sie nicht das Gefühl hatte ihm im Moment in die Augen sehen zu können.
Er schwieg lange und Rebecca fragte sich, ob er überhaupt etwas dazu sagen würde, doch sie wollte sich auch nicht zu ihm umdrehen. Sie hatte sich gerade eine riesen Blöße gegeben und sie hoffte nur, dass er ihre Gefühle verstehen würde.
Schließlich spürte sie wie er sein Gesicht in ihrem Haar vergrub und beinahe unhörbar murmelte: „Ich werd‘ verrückt bei dem Gedanken, dass du vor mir schon mit anderen geschlafen hast.“ Sie hielt die Luft an und wagte sich kaum ihren Ohren zu trauen, als er, immer noch so leise, fortfuhr: „Das hatte ich bei keiner anderen, nie. Und manchmal wünsche ich mir fast, du wärst meine erste Freundin gewesen....“
Nun musste sie sich doch zu ihm umdrehen. „Das wünsch‘ ich mir auch.“

Am nächsten Morgen rief Annika an und überredete Rebecca mit Jan vorbei zu kommen. Sie meinte, sie hätte sie schon so lange nicht mehr gesehen und es wäre doch schön, wenn Jan bei dem guten Wetter im Garten spielen könnte. Rebecca, die eigentlich noch viel zu tun hatte, ließ sich schließlich widerwillig von ihrer Mutter überzeugen, sie hatte ja recht, dachte Rebecca etwas säuerlich. Wenn sie schon selbst keinen Garten hatten, sollte sie doch zumindest jede Möglichkeit nutzen, damit der Kleine mal an die frische Luft kam.
Annika war bester Laune und begrüßte sie schon überschwenglich an der Tür. Dann ging sie direkt voraus in den Garten und zu Rebeccas großer Überraschung war dort ihr altes Planschbecken aufgebaut. Geistesgegenwärtig schnappte sie sich Jan, bevor er in voller Montur ins Wasser platschen konnte. Dann wandte sie sich ihre Mutter zu. „Mama, was...?“
Ihre Mutter lächelte sie fröhlich an: „Wir dachten, Jan hätte bestimmt Spaß an dem Planschbecken, deshalb hat dein Vater es gestern aufgestellt. Das Wasser ist von der Sonne schon aufgewärmt.“
Rebecca wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Eltern sich so für Jan ins Zeug legen würden. Bei ihr hieß es früher immer das Planschbecken aufzubauen wäre zu umständlich, oder es wäre nicht warm genug, oder unnötig, da es sich ja ohnehin nur um ein Pfütze handle. Sie hatte immer tagelang quengeln müssen, ehe ihre Eltern sich umstimmen ließen. Deshalb war sie einigermaßen erstaunt, dass sie das für Jan einfach freiwillig taten. Andererseits war es wohl beim Enkelkind etwas anderes als beim eigenen Kind. Man sagte ja auch immer, dass Großeltern im Gegensatz zu Eltern die Freiheit hatten zu verwöhnen und natürlich die, das Kind Abends wieder abzugeben, dachte Rebecca.
„Wenn du am Telefon etwas gesagt hättest, dann hätte ich Schwimmsachen für ihn mitgebracht“, sagte Rebecca gerade, während sie gleichzeitig versuchte Jan, der weiterhin in Richtung Wasser strebte noch etwas zurückzuhalten.
„Ach was“, antwortete ihre Mutter „Er braucht doch hier keine Badesachen und Handtücher haben wir auch da. Und außerdem wollte ich nicht, dass du deswegen unnötige Mühe hast.“
Auch gut, dachte Rebecca, immerhin sparte sie es sich so den ganzen Krempel mitzuschleppen und hinterher waschen zu müssen.
Jan wurde immer unruhiger und versuchte sich aus dem Griff seiner Mutter zu befreien. „Mama, lass lohos! Ich will zum Wasser!“
„Moment, Schatz. Du darfst ja gleich, aber erst ziehen wir deine Kleider noch aus.“ Kurzerhand klemmte sie sich ihren widerwilligen Sprößling unter den Arm und verfrachtete ihn zur nächsten Gartenliege, wo er sich ungeduldig ausziehen ließ. Glücklicherweise übernahm Annika den Zappelphillip dann um mit ihm ans Wasser zu gehen. Rebecca machte es sich derweil auf der Liege bequem und genoß es zuzusehen, wie Jan kichernd seine Oma mit Wasser bespritzte und sich dann etwas schockiert zeigte, als er merkte, dass das Wasser nicht so warm war wie in der Badewanne.
Rebecca lehnte sich entspannt zurück und innerhalb von Sekunden war sie eingedöst.
Sie erwachte erst wieder, als sich neben ihr etwas bewegte. Verschlafen öffnete sie die Augen und bemerkte, dass ihr Vater sich neben sie gesetzt hatte und auf sie herab lächelte. „Hallo, meine Kleine.“ Er beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
„Papa, hallo.“ Sie sah sich um und stellte fest, dass sowohl ihre Mutter als auch Jan nicht mehr im Garten waren. „Wo ist Jan?“
„Er hilft deiner Mutter das Abendessen zu machen“, antwortete ihr Vater lächelnd.
„Abendessen? Wieviel Uhr haben wir?!“ fragte sie alamiert und setzte sich ruckartig auf.
Frank warf einen Blick auf sein Handgelenk. „Kurz nach sechs, warum?“
„Mist!“ Rebecca sprang auf, schnappte sich ihre Tasche und wühlte hektisch nach ihrem Handy. „Oliver hat keine Ahnung wo wir sind.“
„Ganz ruhig, deine Mutter hat ihn vorhin angerufen und Bescheid gesagt, dass ihr hier seid und noch zum Abendessen bleibt“, meinte ihr Vater beschwichtigend. Rebecca ließ ihr Handy sinken und sah ihren Vater an. „Hm, eigentlich wollte ich gar nicht so lange bleiben, ich hab noch ziemlich viel Arbeit zu hause.“
„Wenn du schonmal hier bist, dann kommt es auf die halbe Stunde doch nun auch nicht mehr an“, wandte ihr er energisch ein.
Rebecca bezweifelte, dass es bei einer halben Stunde bleiben würde, und dann mussten sie ja auch noch nachhause kommen. Das sagte sie ihrem Vater auch. „Jan war in letzter Zeit schon viel zu oft spät im Bett.“
„Ach was, ich fahre euch nachher nachhause, dann kann er im Auto schon schlafen“, wischte ihr Vater diesen Einwand weg. „Außerdem solltest du dir wirklich nicht so einen Stress machen. Du musst ein bißchen auf dich aufpassen, mein Schatz. Gerade jetzt.“
Irgendwie fand Rebecca es immer noch seltsam mit ihrem Vater über ihre Schwangerschaft zu sprechen, es passte irgendwie nicht. Sie wäre ja auch nie auf die Idee gekommen ihm zu sagen, dass sie Regelbeschwerden hatte, oder so was. Andererseits kam sie sich pubertär und verklemmt vor, weil sie es so komisch fand mit ihm über diese Dinge zu sprechen, weshalb sie sich auch jetzt zusammennahm. „Papa, bitte, ich übernehm mich doch nicht. Ich hab halt nur noch Wäsche zuhause liegen und hätte gern noch ein bißchen was von Olivers Feierabend.“
„Das verstehe ich ja, aber Oliver könnte dir auch ruhig noch ein bißchen was abnehmen, finde ich.“
„Oliver tut schon genug, das kannst du mir glauben“, erwiderte Rebecca heftig. „Außerdem geht´s ihm im Moment auch nicht so gut.“
Ihr Vater sah sie überrascht an. „Wirklich? Was ist denn mit ihm?“
Rebecca hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Wie hatte ihr das nur rausrutschen können? Oliver wollte schon nicht, dass seine Familie etwas wusste und was ihre Eltern anging, sah das mit Sicherheit nicht anders aus. „Ach, nichts“, versuchte sie ihren Ausrutscher jetzt herunterzuspielen. „Er hatte in letzter Zeit nur ziemlich viel Stress.“
„Auf der Arbeit?“ bohrte Frank weiter.
„Ja, auch. Es kam einfach einiges zusammen in letzter Zeit“, antwortete Rebecca vage.
Ihr Vater schüttelte missbilligend den Kopf und musterte sie durchdringend. „Ihr wisst doch, dass ihr euch an uns wenden sollt, wenn es euch zuviel wird. Habt ihr Geld Probleme?“
„Nein! Papa, es ist nichts wobei ihr uns helfen könnt. Es ist überhaupt nichts Dramatisches, nur war eben in letzter Zeit einiges los bei uns.“ Sie hatte nicht den Eindruck, dass sie ihn wirklich überzeugt hatte, aber immerhin ließ er es dabei bewenden und für Rebecca war es eine willkommene Ablenkung, als Jan jetzt bis über beide Ohren grinsend aus dem Haus gelaufen kam. „Maaamaaaa!“ Er rannte in ihre Arme und erzählte dann atemlos er habe mit Oma Salat „gekocht“ und jetzt wären sie fertig und es gäbe Essen.
„Dann lass uns reingehen, Schatz.“ Sie nahm Jan auf den Arm und ging mit ihrem Vater ins Haus. Dabei entging ihr der missbilligende Blick nicht, mit dem er erfasste, dass sie Jan hoch hob.
Das Essen verlief einigermaßen harmonisch, bis auf Jan, der zwar bei der Zubereitung des Salates begeistert geholfen hatte, von der Idee ihn zu essen aber gar nichts hielt. Rebecca hatte natürlich recht gehabt, ihre Mutter schaffte es soviel zu erzählen, dass es schon fast halb acht war, ehe sie bei ihrem Vater im Auto saßen.
Jan war auf dem Rücksitz in Sekundenschnelle eingeschlafen und auch Rebecca fühlte sich wie erschlagen, obwohl sie ja den ganzen Nachmittag geschlafen hatte.
„Hat deine Mutter dir erzählt, dass wir im Oktober zwei Wochen an die Nordsee fahren?“ erzählte ihr Vater gerade. Sie nickte und sah aus dem Fenster und freute sich darauf nachhause zu kommen.
„Wir dachten, es wäre vielleicht ganz angenehm für Oliver und dich, wenn wir Jan mit in den Urlaub nehmen würden.“
Rebeccas Kopf fuhr ruckartig zu ihrem Vater herum. „Was?!“
„Naja, ihr könntet bestimmt beide ein wenig Zeit für euch gebrauchen. Das hast du vorhin ja selber gesagt. Und deiner Mutter und mir würde es wirklich nichts ausmachen Jan mitzunehmen.“
Rebecca starrte ihren Vater sprachlos an. Dann stieg plötzlich Wut in ihr auf. Das war wiedermal typisch für ihre Eltern. Gerade dann wenn sie an nichts Böses dachte, wenn sie im Gegenteil gerade dachte, dass sie sich zurückhielten und sie sich gut mit ihnen verstand, dann versuchten sie wieder sie so zu manipulieren. Aus der entspannten Stimmung heraus kam dann plötzlich so ein Hammer. Trotzdem versuchte sie sich jetzt etwas zusammen zu reißen und nicht sofort aus der Haut zu fahren. Sie schüttelte nur leicht den Kopf und meinte: „Papa, Jan ist drei Jahre alt, zwei Wochen sind viel zu lang für ihn. Er bekommt ja schon nach einer Nacht spätestens Heimweh.“
Ihr Vater schien den inneren Aufruhr, den dieser Vorschlag bei ihr ausgelöst hatte nicht bemerkt zu haben und erst recht nicht ihre direkte Abwehrhaltung, oder er ignorierte beides einfach, was auch nicht so untypisch gewesen wäre. „Ach, das würde er schon überstehen, so ein bißchen Heimweh schadet doch auch nicht, wir wären ja bei ihm.“
Rebecca bemühte sich weiterhin ruhig zu bleiben, obwohl es sie fast auf die Palme brachte, dass ihr Vater ihre Entscheidungen mal wieder geflisentlich überging.
Als sie nichts sagte, lächelte er sie wohlwollend an und meinte: „Naja, das muss ja jetzt auch nicht über dem Knie abgebrochen werden. Wir können ja noch in aller Ruhe darüber nachdenken.“
Meinetwegen, dachte Rebecca, könnt ihr soviel darüber nachdenken wie ihr wollt, meine Entscheidung steht fest. Sie sparte es sich aber das laut auszusprechen, denn sie wollte keinen Streit vom Zaun brechen, sie würde ihre Meinung schon rechtzeitig kundtun.
Schließlich hielten sie vor ihrem Haus. Rebecca stieg aus und wollte Jan auf den Arm nehmen um ihn nach oben zu tragen, doch ihr Vater kam ihr zuvor. „Ich nehm ihn schon.“
Rebecca verdrehte innerlich die Augen, was die Vorsicht anging, stand ihr Vater Oliver in nichts nach.
Oliver erwartete sie an der Wohnungstür. Er begrüßte sie mit einem kurzen Kuss und nahm ihrem Vater dann Jan ab. Glücklicherweise verabschiedete der sich dann recht schnell, so dass sie Jan in sein Bett verfrachten und es sich selbst auf dem Sofa bequem machen konnten.
Rebecca erzählte Oliver von ihrem Tag und von der Idee ihrer Eltern, Jan mit in den Urlaub zu nehmen. Oliver sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Sei mir nicht böse, aber deine Eltern können echt nerven, mittlerweile müssten sie doch wissen, wie wir dazu stehen...“
Rebecca seufzte: „Hm, naja, lässt sich nicht ändern. Vermutlich werden sie´s nie verstehen.“
Beide schwiegen kurz, dann fragte Rebecca: „Aber wie war eigentlich dein Tag?“
Er zuckte die Schultern: „Eigentlich wie immer...“ dann fiel ihm etwas ein und er sagte seufzend: „Ach, wir müssen demnächst zu einer Grillparty bei meinem Chef.“ Er verzog genervt das Gesicht. „Ich würd´s am liebesten ausfallen lassen, aber ich fürchte, das lässt man mir nicht durchgehen.“
„Wann genau?“ erkundigte Rebecca sich. „Wir brauchen einen Babysitter.“
„Samstag in zwei Wochen, glaub ich. Vielleicht hat Paula ja Zeit, sind ihre Kinder nicht bald da?“ fragte er unschuldig.
„Tu nicht so, du weißt genau, dass Christian die beiden am Wochenende abholt.“
Er grinste: „Wo ich jetzt so drüber nachdenke, ist vielleicht gar nicht das Schlechteste, dass Paula plötzlich auf dem Familientrip ist, ich mein, für uns. Wenn sie ohnehin zwei Kinder am Hals hat, macht es doch sicher nichts wenn wir unseres auch ab und zu bei ihr abladen, oder?“
Rebecca knuffte ihn leicht. „Blödmann!“
Ihr fiel plötzlich wieder ein, dass Lisas Besuch bei ihnen auch noch ausstand. Sie überlegte einen Moment, ob sie Oliver daran erinnern sollte, doch dann verzichtete sie darauf, das Thema würde vermutlich noch früh genug wieder aufkommen.

Kapitel 7

Am Sonntagabend rief Andrea an und berichtete Rebecca ausführlich wie erfolgreich Paulas erstes Wochenende als Familie verlaufen war. Laut Andrea war Paula hellauf begeistert und schwärmte in einer Tour von Tobias und Jenny, Christians fünfjärigem Sohn und der dreijährigen Tochter.
Schließlich wollte Andrea dann noch mit ihrem Sohn sprechen. Rebecca reichte das Telefon an Oliver weiter, der neben ihr saß und schnappte sich ihr Buch, bei dem Andreas Anruf sie unterbrochen hatte.
Rebecca hatte gerade wieder angefangen zu lesen, als der veränderte Ton, in dem Oliver sprach sie wieder aufhorchen ließ.
„Oh, Mamaaaa....“ er klangt extrem genervt „Ich weiß, aber...“ Rebecca musterte ihn von der Seite und er verdrehte die Augen.
„Manchmal kommt echt alles zusammen! Ich hab wirklich keine Lust darauf...“ Dann wechselte seine Mutter offensichtlich das Thema, denn Oliver sagte, kaum weniger genervt: „Mir geht´s besser.“ Dann zeigte sich jedoch ein plötzlicher Hoffnungschimmer auf seinem Gesicht. „Aber voll auf der Höhe bin ich immer noch nicht wieder...“
Nachdem er schließlich aufgelegt hatte, starrte Rebecca ihn gespannt an. „Und?“
Er verzog das Gesicht. „Meine Großeltern kommen demnächst...“
„Oh...“ darauf wusste Rebecca im ersten Moment nichts zu erwidern. Sie hatte Olivers Großeltern, die Eltern seines Vaters, kurz nach Jans Geburt kennengelernt, doch die beiden hatten sie und Jan kaum zur Kenntnis genommen. Sie konnten nicht akzeptieren, dass sie Oliver nicht sofort geheiratet hatte, nachdem sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, und überhaupt gaben sie ihr wohl dieSchuld an der ganzen Situation.
Seitdem hatte Rebecca sie vielleicht dreimal auf größeren Familienfesten gesehen, wo sie weiterhin geflissentlich ignoriert wurde, genau wie Jan, obwohl der Kleine ja nun wirklich nichts für die Entscheidungen seiner Mutter konnte. Ihrer Hochzeit waren die beiden unter dem Vorwand eine Kreuzfahrt gebucht zu haben, ferngeblieben. Spätestens nach diesem Affront legte Oliver nicht mehr viel Wert auf einen weiteren Kontakt zu ihnen.
Rebecca erinnerte sich nur allzugut, wie er sich aufgeregt hatte. Immerhin, so meinte er, sei sein Vater ihr einziger Sohn gewesen und sie lebten schließlich auch nicht mehr im 18. Jahrhundert, aber wenn ihnen das so wenig bedeutete, dann könnten sie ihm auch gestohlen bleiben.
„Was heißt, sie kommen, genau?“ fragte Rebecca jetzt vorsichtig.
„Sie haben meiner Mutter gegenüber angedeutet, dass sie mich gerne sehen würden.“
„Und sie will, dass du ihnen diesen Gefallen tust?“ fragte sie erstaunt. Eigentlich fand Andrea das Verhalten ihrer Schwiegereltern auch nicht sonderlich freundlich, deshalb wunderte es Rebecca, wenn sie nun darauf pochte, dass Oliver sich ihnen fügte.
„Naja, vermutlich denkt sie, wir wären es Papa schuldig, oder so ´nen Mist“, gab er frustriert zurück.
Rebecca sah ihn etwas ratlos an. Was sollte sie auch sagen? Einerseits konnte sie es verstehen, wenn Andrea nicht wollte, dass er den Kontakt zu seinen Großeltern abbrach, andererseits war Rebecca wohl kaum in der Postion ihm zu sagen er solle sich mit ihnen treffen.
Plötzlich lächelte er: „Ich denke, ich werd‘ mich mit ihnen treffen, aber du und Jan, ihr kommt mit, ich seh gar nicht ein, warum ich jetzt vor ihnen auch so tun soll als würdet ihr nicht existieren, nur weil sie das so gut können...“
Rebecca stöhnte auf: „Och, nee! Muss das sein? Das wird doch dann nur wieder total gezwungen und stressig für alle...“
„Ja, das muss sein!“ erwiderte er fest. „Entweder sie lernen endlich dich zu akzeptieren, oder sie sollen mich auch in Ruhe lassen. Aber ich werd den Teufel tun und mich bei ihnen einschleimen und so tun als gäb´s dich nicht.“
Damit war die Diskussion beendet. Rebecca war zwar nicht gerade wohl bei dem Gedanken an ein Treffen, doch sie schob das mulmige Gefühl erstmal weg, schließlich dauerte es noch etwas bis sie sich dem Problem wirklich würde stellen müssen.

In der folgenden Woche bekam Rebecca einen aufgeregten Anruf von Manu, die ihr hektisch erzählt, Timm habe sich wieder bei ihr gemeldet. „Wirklich?“ fragte Rebecca erstaunt. Damit hatte sie nun nicht gerechnet, wenn Timm wirklich soviel Mist gebaut hatte, wie es den Anschein hatte, dann war es ihr ein Rätsel, was er jetzt wieder von ihrer Freundin wollte.
Manu dagegen schien einfach nur glücklich zu sein, offensichtlich hatte sie alles was vor ihrer Trennung passiert war vollkommen vergessen, denn sie stellte sich nicht einmal die Frage, ob Timm überhaupt noch eine Chance verdient hatte, wenn er die denn überhaupt wollte, bis jetzt hatte er nicht wirklich gesagt was los war. Er hatte Manu lediglich gefragt, ob sie sich mit ihm treffen würde, weil er mit ihre reden wolle. Alles woran die überglückliche Manu jetzt noch dachte war das passende Outfit, mit dem sie ihren Exfreund auch tatsächlich zurückgewinnen würde.
Rebecca setzte einmal kurz an Manu daran zu erinnern, wie Timm sich verhalten hatte und sie zu warnen nicht zu viel zu erwarten, aber Manu unterbrach sie sofort, daran wolle sie im Moment nicht denken. Daraufhin hielt Rebecca ihren Mund, obwohl sie sich wirklich Sorgen machte, dass Manu sich da völlig in etwas verrannte.
Nachdem sie Manu ausgiebig bei der Wahl ihrer Klamotten beraten hatte, so gut das eben über´s Telefon ging, überlegte sie sogar tatsächlich, ob sie Timm anrufen und ihn fragen sollte, was er von Manu wollte, nur um ihre Freundin notfalls warnen zu können. Aber glücklicherweise wurde ihr noch früh genug bewusst, dass das ein Ding der Unmöglichkeit war. Das konnte sie einfach nicht machen.
Unschlüssig starrte sie auf das Telefon in ihrer Hand, dann kam ihr ein anderer Gedanke. Wieder zögerte sie kurz, doch dann wählte sie kurzerhand Stephans Nummer.

„Hey, ich bin´s wieder.“ meldete Stephan sich eine halbe Stunde später bei ihr. „Ich hab Timm angerufen und gefragt ob er heute Abend mit mir rausgeht. Daraufhin hat er mir erzählt, dass er sich heut Abend mit Manu trifft.“ Rebecca grinste in sich hinein, geniale Idee von Stephan einfach zu fragen, ob Timm heute Abend schon was vor hatte, sie hatte schon Angst gehabt, Timm könnte irgendwie bemerken, dass Stephans Fragen direkt auf seine Absichten Manu gegenüber zielten. „Und?“ fragte sie jetzt gespannt.
„Naja...“ begann Stephan langsam „...sieht so aus, als wollte er wirklich wieder mit ihr zusammen kommen. Zumindest so weit sich das aus dem bißchen schließen lässt, das er gesagt hat.“
„Hm, gut, dann hat Manu sich wenigstens nicht in irgendwas reingesteigert, aber den plötzlichen Sinneswandel find ich trotzdem ein bißchen komisch...“
„Ich auch“, gab Stephan zu und fügte dann an: „Das bleibt aber alles unter uns, ok? Timm wäre verdammt sauer, wenn er hört, dass ich ihn für dich aushorche.“
„Klar. Gilt für dich aber auch, Manu wäre auch nicht gerade begeistert“, gab Rebecca grinsend zurück. Stephan hörte das Lächeln in ihrer Stimme und antwortete gut gelaunt: „Hey, vielleicht sollte ich mein Studium schmeißen und mit dir zusammen ´ne Detektei gründen, ich hab das Gefühl wir wären ein gutes Team...“
Rebecca lachte: „Oh ja, ganz bestimmt.“
Sie hatte gerade wieder aufgelegt, als Oliver zur Tür herein kam.
Sie begrüßte ihn mit einem Kuss und er musterte sie etwas erstaunt: „Was ist los?“
„Was soll los sein?“ fragte sie überrascht zurück.
„Du grinst mich an als wäre irgendwas passiert...“ antwortete er misstrauisch.
Sie lachte. „Nein, ich hab nur...“ dann fiel ihr ein, dass sie Oliver vielleicht lieber nichts von ihrer und Stephans Aktion erzählen sollte, aber war es richtig ihm das zu verschweigen? Vermutlich war es zumindest besser so... Nach der Einstellung die Oliver zu dem Manu/Timm Thema hatte, würde er es wohl kaum befürworten, was Stephan auf ihr Betreiben hin getan hatte. Andererseits hatte sie das Gefühl ihn zu belügen wenn sie ihm nichts sagte. Er sah sie gespannt an: „Du hast was?“ Und ihr wurde schlagartig bewusst, dass er darauf wartete, dass sie weitersprach. „Ich hab mit Manu telefoniert, und sie hat heute Abend ein Date mit Timm!“ erklärte Rebecca schnell. Und fragte sich gleichzeitig ob sie ihm den Rest der Geschichte wohl noch irgendwann erzählen würde, oder nicht. Gleichzeitig kannte sie sich selbst gut genug, um zu wissen, dass sie normalerweise ohnehin nichts lange vor Oliver geheim halten konnte, selbst wenn sie es sich vorgenommen hatte, irgendwann musste es dann immer raus. Und wem hätte sie auch mehr vertrauen können als ihm?

Das darauffolgende Wochenende verbrachten sie endlich nochmal ganz ohne Familienessen oder sonst irgendwelche stressigen Termine. Sie nahmen sich Zeit für Jan und machten, bei dem glücklicherweise immer noch guten Wetter, ein Picknick mit ihm im Volksgarten, wobei sich Oliver anfangs etwas unbehaglich umsah und beinah schaudernd bemerkte: „Man, ich hätte irgendwie nicht gedacht, dass ich so schnell auch zu diesen Parksitzerfamilien hier gehören würde...“
Rebecca bekam vor Lachen kaum noch Luft bei seinem Gesichtsausdruck, doch Jan genoß den Tag sichtlich und sie merkte, dass auch Oliver sich endlich mal wieder etwas entspannte.
In der darauffolgenden Woche bemerkte sie allerdings, wie er immer unruhiger wurde, weil sie so lange nichts von Sophie gehört hatten und da half es auch nicht, dass Rebecca argumentierte, gerade wenn etwas wäre, hätten sie sicher von ihr gehört.
Am Donnerstag wurde es ihr dann schließlich zu dumm und sie wählte die Nummer seiner Mutter und drückte ihm kurzerhand das Telefon in die Hand. Da ihm nichts anderes übrig blieb, ging er mit einem Murren ran und verlangte Sophie.
Nachdem er aufgelegt hatte, fragte sie ihn was Sophie gesagt hätte. „Es ist alles in Ordnung“, antwortete er, aber vollkommen beruhigt schien er dennoch nicht zu sein.
Und dann hatte Rebecca die rettende Idee. „Sag mal, wollte Sophie nicht ohnehin ausziehen, wenn sie jetzt anfängt zu studieren?“
Oliver sah überrascht zu ihr rüber: „Wenn du jetzt vorschlägst, dass Sie und Markus zusammen ziehen sollen, dann raste ich aus!“ Rebecca lachte: „Gute Idee! Aber das würde ich dir nicht antun... und mir auch nicht.“ Sie grinste ihn fröhlich an. „Nein, hast du nicht gesagt, dass diese Ökopflanze mit der Stephan zusammen wohnt ausziehen will und er einen neuen Mitbewohner sucht?“
„Ha ha, weil Stephan so sehr dazu neigt die Finger von meinen Schwestern zu lassen...!“ erwiderte Oliver ironisch.
„Hey! Red nicht so ´nen Mist! Stephan ist dein bester Freund und die Sache mit Paula ist ewig her und davon abgesehen ist Sophie nicht Paula und sie hat schon ´nen Freund, falls du´s grade wieder vergessen hast!“ gab Rebecca beinah wütend zurück. Oliver sah sie einen Moment sprachlos an. „‘Tschuldige, ich hab´s nicht so gemeint.“
Sie sah ihn nicht an, meinte aber: „Er ist dein bester Freund, nicht meiner. Aber manchmal bist du ihm gegenüber wirklich unfair.“
„Oh man!“ er klang gereizt „So ernst war das jetzt auch nicht gemeint!“
Bevor Rebecca noch etwas erwidern konnte, kroch ein Spielzeugauto mit Jan im Schlepptau um die Ecke und eine rügende Kinderstimme sagte: „Papa, niiich´ schrei’n!“
Beide blickten auf ihren Sprößling runter und mussten lachen, was die Situation eindeutig entschärfte. Oliver ging in die Knie und verwuschelte Jan die Haare. „Ich bin ja schon still, Zwerg.“
Dann sah er zu Rebecca hoch und fragte grinsend: „Und du meinst das würde funktionieren?“

Am selben Abend telefonierte Oliver noch mit Stephan, der von der Idee begeistert war. Die Aussicht mal wieder hunderte eventueller Mitbewohner durch die Wohnung zu scheuchen sagte ihm ohnehin nicht besonders zu. Oliver versprach so bald wie möglich mit seiner Schwester zu sprechen und war dann einigermaßen überrascht, als Stephan Rebecca noch kurz sprechen wollte. Mit einem fragenden Blick reichte er das Telefon an sie weiter.
„Wie hast du ihn dazu gebracht eine seiner Schwestern bei mir einziehen zu lassen?“ fragte er ohne Umschweife aber mit einem fröhlichen Grinsen in der Stimme. „Oh Gott, ihr seid wirklich die besten Freunde!“ gab Rebecca stöhnend zurück. Stephan lachte. „Stimmt, und das schon ziemlich lange...“
Es kostete Oliver kaum Anstrengung Sophie am nächsten Tag von der Idee zu überzeugen, was ihn widerum misstrauisch machte, denn, wie er nicht ganz unlogisch begründete, wenn wirklich alles in Ordnung wäre, dann wäre Sophie doch wohl nicht so schnell für die Idee zu begeistern gewesen von ihrem neuen Freund wegzuziehen. Oder?
Bevor Oliver das Gespräch mit seiner Schwester jedoch beendet hatte, fiel ihm noch glühend heiß ein, dass am nächsten Tag der Grillabend bei seinem Chef anstand und sie sich noch nicht um einen Babysitter gekümmert hatten. Also versuchte er seinen momentan guten Stand bei Sophie sofort auszunutzen, wie Rebecca erheitert feststellte.
„Dabei fällt mir ein, du hast doch morgen Abend bestimmt noch nichts vor, oder Schwesterherz?“ Als wäre Sophie an einem Samstagabend zu hause, dachte Rebecca zweifelnd und wurde im Nu bestätigt.
„Und was ist mit Mama?“ Noch eine Abfuhr tippte Rebecca stumm.
„Ok, dann bis nächste Woche, oder so...“
Er legte auf und schüttelte den Kopf. Rebecca lächelte: „Hab ich mir gedacht, wir sollten das nächstes Mal nicht so lang vor uns herschieben.“
„Pff, herschieben, das war schon eher Verdrängung, ich zumindest hab absolut keine Lust auf diese gezwungene Gartenparty.“ Rebecca zuckte die Schultern: „Da wir jetzt auf keinen Fall noch absagen können, tut das leider nichts zur Sache, fürchte ich.“
„Ich ruf Paula an“, seufzte er.

So stellte sich heraus, dass Oliver gar nicht so Unrecht gehabt hatte, als er bemerkte, dass der plötzliche Kindersegen seiner Schwester für sie möglicherweise ungeahnte Vorteile haben könnte. Paula war sofort einverstanden damit, dass Jan bei ihnen übernachten würde. Und der Kleine war ebenfalls begeistert von der Aussicht, erst recht als sie ihm erzählten, dass dort noch zwei andere Kinder sein würde. Seit er die ersten paar Male im Kindergarten gewesen war, war er total verrückt nach anderen Kindern.
So war er zwar zuerst etwas schüchern, als Oliver ihn zu Paula brachte, doch das gab sich schnell, auch dank Paulas engagierter Art und Oliver musste sich widerwillig eingestehen, dass seine Schwester für sich vielleicht doch die richtige Wahl getroffen hatte. Sie wirkte völlig gelöst und entspannt und war keineswegs das Nervenbündel das er definitiv erwartet hatte.
Als Oliver sich schließlich verabschiedete, bemerkte Jan das kaum, so fasziniert war er von dem zwei Jahre älteren Tobias.
Zuhause ging Oliver noch schnell duschen und zog sich um, als er aus dem Bad kam, war Rebecca bereits fertig und sie sah umwerfend aus, wie er fand.
Sie trug eine helle Jeans, bei der er sich zugegebenermaßen fragte wie sie sie wohl noch zu bekommen hatte, denn mittlerweile war ihr Bauch nicht mehr zu leugnen, er hütete sich allerdings diese Frage laut zu stellen, dazu ein rot-orange gemustertes Babydoll-Oberteil, dass ihre braunen Schultern zeigte und gleichzeitig den bereits erwähnten Bauch kaschierte.
Er blieb stehen und musterte sie einen Moment. „Was?“ fragte sie und sah an sich runter.
„Du siehst super aus!“ antwortete er. Sie sah auf und lächelte. „Lügner.“ Er küsste sie leicht, doch sie schob in sofort weg und trieb ihn zur Eile an, weil sie meinte, sie wären schon spät dran. In diesem Augenblick wäre es Oliver zwar egal gewesen etwas später zu kommen, aber vermutlich hatte Rebecca recht, es würde wohl keinen guten Eindruck machen.
So standen sie wenig später pünktlich vor der beeindruckenden Villa von Olivers Chef. Schon von außen war das alte Stadthaus ein faszinierender Anblick, aber das Innere übertraf das noch. Hier waren moderne Elemente mit den altmodischen hohen Stuckdecken perfekt vereint, aber schließlich, dachte Rebecca, waren sie ja auch im Haus eines erfolgreichen Architekten.
Nachdem sie an der Tür die üblichen Höflichkeiten mit den Gastgebern ausgetauscht hatten, wurden Sie in den Garten geführt. Der schon etwas ältere Arthur Goldmann war Rebecca auf Anhieb sympathisch, nachdem er sie mit einem herzlichen Lächeln begrüßt hatte. Auch seine Frau schien wirklich nett zu sein, auch wenn sie Rebecca etwas an ihre eigene Mutter erinnerte.
Kaum waren sie durch die Gartentür getreten, da wurden sie auch schon voneinander getrennt. Während Oliver seinem Chef folgte um wem-auch-immer vorgestellt zu werden, blieb Rebecca mit ihrer Gastegeberin zurück.
„Was kann ich ihnen zu trinken anbieten?“ erkundigte Frau Goldmann sich freundlich „Wein, Sekt, ein Bier,...?“
Rebecca musste sich ein Lächeln vekneifen, scheinbar kaschierte ihr Oberteil wirklich fabelhaft. „Danke, ein Mineralwasser, bitte.“ Dann folgte sie ihrer Gastgeberin zu einer Gruppe anderer Frauen, die Rebecca sämtlich als Begleitungen weiterer Arbeitskollegen von Oliver vorgestellt wurden. Etwas unbehaglich stellte sie fest, dass sie eindeutig die jüngste in dieser Runde war. Entsprechend wurde sie ziemlich interessiert gemustert. Glücklicherweise kannte Rebecca das ja bereits von den Empfängen ihres Vaters und nicht zuletzt auch von seinem letzten Geburtstag, weshalb sie sich nicht sonderlich daran störte.
Sie folgte mit halbem Ohr dem Gespräch und sah sich dabei unauffällig nach Oliver um. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn er nicht direkt von ihr entführt worden wäre, aber daran ließ sich nunmal nichts ändern. Eine der älteren Damen bemerkte ihren Blick. Sie lächelte Rebecca verschmitzt an und beugte sich dann zu ihr vor. Sie berührte vertraulich ihren Arm und meinte in gedämpftem Ton: „ Sie wären wohl auch lieber woanders als hier mit so ein paar alten Schachteln, was?“
Rebecca riss die Augen auf und war einen Moment sprachlos. Die ältere lachte auf. „Keine Angst, Mädchen. Ich kann das nur zu gut verstehen. Ich könnte bis heute gut auf diese Veranstaltungen verzichten.“
Rebecca erwiderte das Lächeln und versuchte vergeblich sich zu erinnern als wer ihr die Frau vorgestellt worden war. Als hätte sie ihre Gedanken gelesen meinte sie nun: „Ich bin übrigens Elisabeth Reinartz. Mein Mann ist Arthurs Seniorpartner.“
Rebecca reichte ihr die Hand. „Rebecca Holt... ähh... Spengler.“ „Noch nicht lange verheiratet, was?“
Rebecca spürte wie sie rot wurde und sagte: „Naja, relativ, schon ein paar Monate.“
Elisabeth Reinartz machte eine wegwerfende Handbewegung: „Pfff, ein paar Monate... Das ist nicht lang, warten sie ab, ich bin über fünfzig Jahre verheiratet.“ Sie kicherte vergnügt und fügte dann noch hinzu: „Da wissen sie, was sie geleistet haben, das kann ich ihnen sagen.“
Irgendwie erinnerte die Frau sie ein wenig an ihre Tante Elke, nur dass die noch wesentlich jünger war.
Gerade wisperte sie ihr zu: „Und, ist denn schon was Kleines unterwegs? Sonst heiratet ihr jungen Leute heutzutage doch nicht mehr so schnell...“
Rebecca spürte wie sie rot wurde. „Ähh, naja, sie haben schon Recht, ich bin schwanger, aber ehrlich gesagt, haben wir schon einen dreijährigen Sohn.“
Die alte Dame lüftete erstaunt die Augenbrauen, doch dann lächelte sie Rebecca warm an: „Sie gefallen mir, Kindchen. Ich habe selber vier Töchter.“ Jetzt war es an Rebecca erstaunt die Augen aufzureißen.
Bereitwillig ließ sie sich von der alten Frau ausfragen, die ihr wirklich sympathisch war.
Schließlich bekamen sie Gesellschaft von ihrem Gastgeber und Herrn Reinartz. „Hans, darf ich dir Frau Spengler vorstellen“, begann Arthur Goldmann „Olivers Frau.“
Rebecca, die langsam begriff, dass es hier nicht sonderlich förmlich zuging, reichte Hans lächelnd die Hand: „Rebecca, Hallo.“

Sie hatte sich schließlich an der Seite von Elisabeth Reinartz, die ihr großzügig angeboten hatte sie Elli zu nennen, durch die halbe Gesellschaft geplaudert, doch zu Oliver hatte sie es immer noch nicht geschafft und so sah sich Rebecca nun einmal mehr suchend nach ihm um. Leider konnte sie ihn nirgendwo entdecken. Elli sagte etwas zu ihr, doch sie war so beschäftigt damit nach ihrem Mann Ausschau zu halten, dass sie erst aufmerksam wurde, als eine Hand leicht ihren Arm berührte.
Sie sah ihre Begleiterin fragend an: „Entschuldigung...?“
„Er ist da drüben“, sagte Elli und deutete lächelnd in Richtung des Hauses. In der Tat stand Oliver da, und zwar nicht allein. Er schien sich angeregt zu unterhalten, mit einer hübschen Blondine, die Rebecca bis dahin nicht aufgefallen war. Sie schätzte sie ungefähr auf ihr eigenes Alter.
„Wer ist das?“ erkundigte Rebecca sich neugierig.
Elli machte eine wegwerfende Handbewegung: „Oh, das ist nur Kiara. Die Tochter von Goldmanns.“
Aha, nur die Tochter von Goldmanns. Sie war wirklich hübsch und Rebecca musste sich ein wenig bemühen, die sofort aufkeimende Eifersucht zu unterdrücken.

Oliver seinerseits sah sich ebenfalls zum bestimmt hundertstenmal nach Rebecca um. Außerdem überlegte er, wann sie sich wohl frühestens verdrücken könnten, denn er hatte mittlerweile wirklich genug von dieser Veranstaltung. Besonders seit die kleine Goldmann ihn festgenagelt hatte. Leider machte es nicht den Anschein, als wollte sie ihn in nächster Zeit wieder entkommen lassen. Ganz im Gegenteil, so wie sie die ganze Zeit mit den Wimpern klimperte, hatte er das Gefühl ihr ganz dringend seine Frau vorstellen zu müssen.
Wieder sah er sich nach Rebecca um. Sie stand immer noch mit der alten Frau Reinartz und ein paar anderen da. Konnte sie nicht einfach rüberkommen und ihn retten?, fragte er sich etwas verärgert.
„Wie Bitte?“ er bemühte sich, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren. Kiara lächelte ihn mit einem verführerischen Augenaufschlag an und wäre sie nicht die Tochter seines Chefs gewesen, dann hätte er sie spätestens jetzt ganz schnell stehenlassen.
„Wie alt bist du?“ fragte sie neugierig. „Sonst sind alle Mitarbeiter meines Vaters immer viel älter als ich...“
Er zwang sich ebenfalls zu lächeln. „Ist mir in der Tat auch schon aufgefallen.... Ich bin 25.“
Sie sah ihn überracht an, er war sich sicher, dass sie nur eine Show abzog. „Dann bist du doch älter als ich, ich bin erst 20.“
„Wäre ziemlich anstrengend gewesen, mit zwanzig schon das Studium hinter mir und außerdem einen festen Job zu haben“, gab er zurück. Sie lachte und er wusste nicht, ob sie die Ironie in seiner Stimme nicht wahrgenommen hatte oder sie einfach ignorierte. Sie schnatterte munter weiter und er versuchte seine wachsende Ungeduld im Zaum zu halten.

Schließlich wurde es Rebecca zu bunt. Mochte die Tussi auch die Tochter des Chefs sein, wie sie Oliver so lasziv anlächelte, ging definitiv zu weit.
Sie trat zu den beiden und gab Oliver einen schnellen Kuss auf den Mund, dann streckte sie Kiara ihre Hand entgegen und sagte: „Hallo! Ich bin Rebecca, Olivers Frau.“
Der Anblick, wie die andere die Augen aufriß, während gleichzeitig ihr Unterkiefer herabsank, war Rebecca eine gewisse Genugtuung. Allerdings gewann Kiara Goldmann ihre Fassung doch ziemlich schnell zurück. Mit einem etwas gezwungenen Lächeln erwiderte sie: „Kiara Goldmann. Hallo.“

„Hey, du hast mir echt das Leben gerettet!“ stöhnte Oliver, als sie endlich wieder zuhause waren.
„Hmm?“ erwiderte Rebecca fragend, während sie sich bückte um eins von Jans Spielzeugautos aufzuheben und in die dafür vorgesehene Kiste zu befördern.
„Ich dachte schon die kleine Goldmann würde mich nie wieder gehen lassen...“ fuhr Oliver erläuternd fort.
Rebecca grinste ihn an: „Tja, es ist halt ein Kreuz mit deinem guten Aussehen, Schönheit!“ Sie kicherte über seinen entrüsteten Gesichtsausdruck und setzte noch hinzu. „Keine Angst, ich liebe dich trotzdem.“
„Na danke, da bin ich aber froh!“ gab er säuerlich zurück. Er schnappte sich die Fernbedienung und ließ sich auf’s Sofa fallen. Ein paar Minuten später meinte er beiläufig: „Vielleicht sollte ich mir doch mal überlegen eine Affäre mit ihr anzufangen, könnte mich beruflich weiterbringen, oder was meinst du?“
Rebecca nickte ernsthaft: „Stimmt, solltest du vielleicht wirklich mal in Erwägung ziehen. Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass dich das privat sehr weit zurückwerfen würde. Ich ginge sogar soweit, zu behaupten, dass dich die Scheidung finanziell ruinieren könnte...“
Sie kuschelte sich neben ihn und schnappte sich die Fernbedienung.
„Hey!“ protestierte er als sie umschaltete.
„Keine Lust auf Fußball“, erläuterte sie knapp, während sie durch die Programme zappte. „Außerdem gehört der Fernseher nach der Scheidung sowieso mir.“
„Ach ja?“ er lächelte sie an und beugte den Kopf um sie zu küssen. „Ist dir eigentlich aufgefallen, dass wir sturmfrei haben?“
Sie grinste ihn an: „ Nein, sag bloß?! Und was machen wir jetzt?“
„Ne heiße Nummer auf dem Küchentisch?“ fragte er neckend zurück.
Rebecca setzte sich auf und strahlte ihn an. Eigentlich stimmte es ja, es war Samstagabend und Jan war die ganze Nacht bei Paula. Sie sollten die Zeit wirklich nutzen, denn gerade wenn das Baby erst da war würden sie die Zeit ersteinmal nicht mehr haben. Das sagte sie Oliver auch.
Er musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, dann machte er Anstalten aufzustehen. „Na dann, ab in die Küche!“
Sie zog ihn wieder neben sich auf das Sofa. „Ach, hör auf, Sex in der Küche können wir doch andauernd haben. Ich mein, wir könnten wirklich was machen, also, irgendwas Verrücktes...“ Leider wollte ihr partout kein Beispiel einfallen, doch glücklicherweise verstand Oliver sie auch so.
„Was Verrücktes, hm?“ Sie konnte förmlich sehen, wie ihm die Ideen durch den Kopf schossen und seine Augen blitzen mit einemal beinah vor Abenteuerlust. Dann sah er sie plötzlich skeptisch an und meinte: „Dir ist aber schon klar, dass wir nur eine Nacht sturmfrei haben, oder?“
Sie lachte. „Oh Gott, was planst du denn schon alles?“
„Verrücktheiten plant man nicht!“ gab er streng zurück und zog sie von der Couch hoch und hinter sich her in den Flur. Er drückte ihr ihre Jacke in die Hand und schnappte sich die Autoschlüssel.
„Äh, langsam, was machen wir denn überhaupt?“ fragte sie verwirrt.
„Abwarten, wir fahren jetzt einfach mal los“, gab er zurück und schob sie aus der Wohnung.

„Ich hab grad ein deja vu...“ sagte Rebecca wenig später, als sie neben Oliver im Auto saß.
„Bis Neapel ist es jetzt ein bißchen weit“, gab er zurück, hielt dann aber kurz inne: „Aber du bringst mich auf eine Idee...“ Er wechselte die Spur und grinste Rebecca dann fröhlich an: „Was hältst du davon, wenn wir mal wieder ans Meer fahren?“
„Was?! Nur eine Nacht, du erinnerst dich?“
„Überlaß das einfach mir, Baby!“ erwiderte er immer noch breit grinsend.
Da ihr nicht viel anderes übrig blieb, lehnte sie sich zurück und hoffte, dass er wusste was er tat. Es dauerte allerdings nicht lange bis sie sich denken konnte, was er vorhatte. „Holland?“ fragte sie gähnend. „Meer!“ antwortete er und musterte sie dann mit hochgezogenen Augenbrauen. „Schlaf doch was, ich glaub nicht, dass wir vor morgen früh wieder zuhause sind.“
„Du bist verrückt!“ murmelte sie, während sie sich tiefer in den Sitz sinken ließ und die Jacke enger um ihre Schultern zog.
„Das wolltest du doch“, erwiderte er und griff nach ihrer Hand.

Es war mitten in der Nacht, als Rebecca wieder aufwachte. Verschlafen sah sie sich nach Oliver um. „Sind wir da?“ fragte sie gähnend. Er nickte: „Ja, hast du Hunger? Oder Durst?“ Während sie geschlafen hatte, hatte er an einer Tankstelle halt gemacht, um Proviant zu besorgen. Sie lehnte jedoch dankend ab und rieb sich mit der Hand über´s Gesicht. Am liebsten hätte sie ja weiter geschlafen, allerdings zuhause in ihrem Bett und das war im Moment eher unrealistisch, also setzte sie sich stattdessen langsam auf. Er war schon halb aus dem Auto und machte eine auffordernde Handbewegung in ihre Richtung: „Komm schon!“
Als sie sich aus dem Auto gequält hatte, ihr Rücken schmerzte tierisch, hatte er schon die alte Decke aus dem Kofferraum geholt und unter den Arm geklemmt. Dann nahm er ihre Hand und zog sie hinter sich her. Müde stolperte sie die Dünen hinauf. Als sie merkte wie der Sand in ihre Schuhe drang, blieb sie stehen und zog Schuhe und Socken aus.
Er ginste sie an: „Langsam Süße, wir haben doch noch die ganze Nacht Zeit...“ Sie knuffte ihn leicht in die Seite, ließ dann allerdings zu, dass er wieder ihre Hand ergriff und stapfte weiter hinter ihm her.
Der Geruch des Meeres war ihr schon am Parkplatz in die Nase gestiegen, aber als sie jetzt die glitzernde, wellige Oberfläche sah, war sie doch überwältigt, schon allein von der Tatsache, dass sie wirklich hier war. Sie lehnte sich an Oliver und genoß einfach nur den wunderschönen Anblick des Mondes der sich auf der Wasseroberfläche spiegelte.
Schließlich blinzelte sie zu Oliver hoch: „Du bist verrückt...“ Er schlang den Arm fester um sie und lächelte nur leise vor sich hin.

Oliver hatte schließlich die Decke im Sand ausgebreitet und Rebecca hatte es sich in seinem Arm bequem gemacht. Sie merkte schnell, dass sie wieder schläfrig wurde und kuschelte sich enger an Oliver. „Bist du sehr müde?“ fragte er leise an ihrer Wange.
Sie nickte fröstelnd und er breitete die zweite Decke über sie. Sanft streichelte er ihr Gesicht, küsste ihre geschlossenen Augen, ihre Lippen und sie spürte wie er auf sie herab lächelte.
„Erinnerst du dich an unsere erste Nacht in Italien am Strand?“ fragte er flüsternd. Wieder nickte sie leicht. Er berührte mit dem Finger ihre Lippen und sie formte einen leisen Kuss. Als sie jedoch spürte wie seine Hand weiter nach unten wanderte, flüsterte sie: „Oliver, ich bin totmüde...“. „Ich weiß...“ antwortete er während er den Arm fest um sie schlang „...schlaf einfach.“ Nach kurzem Schweigen fügte er noch hinzu: „Ich liebe dich.“

Die Sonne war noch nicht wirklich aufgegangen, doch es zeigten sich die ersten Lichtstreifen am Horizont, als Rebecca wieder aufwachte. Oliver schlief ruhig neben ihr. Sie ließ den Blick über das Wasser schweifen, dann löste sie sich vorsichtig von ihm und stand auf.
Die Wellen plätscherten lau um ihre nackten Füße und plötzlich zog sie ohne nachzudenken ihr Oberteil über den Kopf und ihre Jeans aus und stampfte, nur noch in BH und Slip ins Wasser.
Es war herrlich das lauwarme Wasser um ihren Körper zu spüren und sich einfach treiben zu lassen, während sich am Horizont ein sonniger neuer Tag ankündigte.

Oliver wachte auf und Rebecca lag nicht mehr neben ihm. Verschlafen setzte er sich auf, es dauerte einen Moment, bis er ihr Winken bemerkte. Es dauerte einen weiteren Moment, bis er realisiert hatte, dass sie sich tatsächlich im Wasser befand, doch sobald dieses Bewusstsein zu ihm durchgedrungen war, war er auch schon auf den Beinen. War sie verrückt geworden? In ihrem Zustand... „Komm sofort da raus!“ rief er ihr aufgebracht zu. „Das ist viel zu gefährlich!“
Sie lachte ihn aus: „Sei kein Spielverderber! Warum sind wir am Meer, wenn wir nicht mal schwimmen gehen?!“ Damit tauchte – TAUCHTE! - sie einfach ab. Als ihr Kopf ein Stück weiter entfernt wieder auftauchte rief er: „Ich meins ernst, Rebecca! Komm da raus!“ Mit einem gut vernehmbaren „Pfff...!“ ließ sie ihn stehen und schwamm weiter raus. Mit einem leisen Fluch zog er sich sein T-Shirt über den Kopf. Wenn sie so unvernünftig war, dann würde er sie eben holen!

Rebecca jauchzte innerlich, als sie sah wie Oliver ihr ins Wasser folgte. Erneut tauchte sie und schwamm unter Wasser ein Stück am Strand entlang von ihm weg. So einfach würde sie es ihm nicht machen.
Nachdem sie wieder aufgetaucht war dreht sie sich um und grinste ihn an. Er sah stinkwütend aus, doch sie konnte es sich nicht verkneifen ihn noch ein wenig aufzuziehen: „Na, wenn du mich mit Gewalt rausholen willst, dann musst du mich erstmal kriegen!“
„Rebecca, das ist kein Spaß, das Wasser ist eiskalt und...“
Sie lachte ihn aus: „Eiskalt, du Weichei! Das Wasser ist total warm!“
„...und du bist schwanger!“ fuhr er unbeirrt fort.
„Eben, schwanger, nicht krank!“ erwiderte sie energisch.
„Und vielleicht solltest du aufpassen, dass du´s auch nicht wirst!“ erwiderte er ebenso energisch.
Einen Moment lang funkelten sie sich wütend an, dann holte Rebecca aus und spritze in ordentlich nass. Als er sich von der ersten Überraschung erholt hatte, revanchierte er sich gebührend und sie versuchte sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen. Natürlich hatte sie keine Chance und Oliver hatte sie ziemlich schnell eingefangen. Er war schon immer wesentlich sportlicher gewesen als sie.
„So, reicht das? Können wir jetzt raus aus dem Wasser?“ fragte er als sie schließlich klatschnass vor ihm stand. Sie blinzelte zu ihm hoch. Dann schlang sie die Arme um seinen Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Nachdem sie sich wieder etwas von ihm gelöst hatte, war der genervte Ausdruck von seinem Gesicht verschwunden und er sah sie leicht fragend an. „Was, hier?“ Sie nickte und lehnte sich an seine Brust. „Ich denke, du bist so müde?“ fragte er schelmisch. „Jetzt nicht mehr“, erwiderte sie nur und küsste ihn erneut.
Sie wusste, dass er riesen Zweifel hatte, aber sie wusste auch, dass er ihr in diesem Moment nicht würde widerstehen können. Zu ihrer Enttäuschung jedoch hörten sie plötzlich Stimmen, die vom Strand herüber geweht kamen und als sie sich umdrehten, sahen sie ein paar Spaziergänger, die offensichtlich einen schönen Morgenspaziergang am Strand machen wollten.
„Falls du nicht plötzlich auf Zuschauer stehst...“ meinte er leise, „...sollten wir´s vielleicht verschieben.“
„Hm, schade...“ meinte sie und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Er streichelte ihren Nacken und erwiderte lächelnd: „Glück gehabt, würd ich eher sagen. Du hattest mich fast soweit...“
„Ich weiß!“ erwiderte sie seufzend. Und er lachte. Doch dann sah er sie plötzlich besorgt an und rieb fest ihre Arme. „Tu mir einen Gefallen und komm mit raus aus dem Wasser, du hast schon Gänsehaut an den Armen und ich find´s ehrlich gesagt wirklich nicht warm.“
Etwas enttäuscht fügte sie sich seinem Wunsch, es ließ sich schließlich auch nicht abstreiten, dass ihr langsam etwas frisch wurde.
Wieder am Strand wickelte er sie in eine Decke ein und hielt sie im Arm, bis ihre Zähne nicht mehr ganz so laut klapperten, bevor er ihre und auch seine eigenen Kleider zusammen suchte.
Als er sich wieder neben ihr auf der Decke niederließ, sah er sie ernst an. „Mach sowas nicht. Ich hab echt Angst um dich.“
Sie sah ihn nicht an, sondern ließ ihren Blick stattdessen über´s Meer schweifen. „Ich weiß, aber ich mach das doch nicht um dich zu ärgern. Wirklich nicht. Ich hab gar nicht drüber nachgedacht, ich wollte eben einfach ins Wasser... Außerdem,...“ jetzt sah sie ihn an, „...ich bin schwanger, aber ich kann immer noch auf mich selbst aufpassen.“ Sie sah, wie er mit sich kämpfte um die Bemerkung, die ihm wahrscheinlich auf der Zunge lag, herunterzuschlucken. Schließlich fuhr sie fort: „Naja, und es macht mich auch ein bißchen wütend, wenn du versuchst mir Vorschriften zu machen. Das ist immer noch mein Körper.“
Er lächelte: „Egal was du sagst, ich werd mir trotzdem weiter Sorgen machen.“
Sie lächelte ebenfalls: „Und ich werd dich weiter damit aufziehen.“

Sie waren schon wieder im Auto und auf dem Rückweg, als Olivers Handy klingelte, er warf einen Blick auf das Display. „Scheiße, wir haben Paula gesagt wir würden Jan so um elf abholen.“ Rebecca sah ihn fragend an und er erwiderte: „Halb zwölf.“ während er ihr sein Handy in die Hand drückte.
Seufzend ging Rebecca ran: „Hallo Paula, wir haben ... verschlafen.“
„Kein Problem, wir haben uns nur gewundert wo ihr bleibt. Und ich glaube, Jan bekommt langsam Heimweh“, antwortete ihre Schwägerin freundlich. „Wann seid ihr denn hier?“
Rebecca sah Oliver an: „Wann können wir da sein?“ Oliver sah sie mit hoch gezogenen Augenbrauen an und meinte dann, während er sich mit Mühe ein Grinsen verkniff: „Frühestens in zwei Stunden...“
Sie gab das an Paula weiter, die etwas erstaunt reagierte und schließlich meinte: „Ich wusste ja, dass mein Bruder ein Schönling ist, aber dass er mittlerweile so lang im Bad braucht...“ Rebecca kicherte „Ja, es ist unerträglich, aber er ist halt sooo eitel...“
Oliver warf ihr einen misstrauischen Blick zu.
Schließlich meinte Paula mit einem leicht anzüglichen Ton in der Stimme: „Naja, was auch immer ihr getrieben habt, oder treibt, Jan kann noch ein bißchen hier bleiben, das ist gar kein Problem.“
„Ok, danke Paula, wir beeilen uns“, damit legte Rebecca auf.
„Ich hoffe, als du sagtest er ist sooo eitel, hast du nicht von mir gesprochen...?!“ erkundigte Oliver sich. „Wie käm ich denn dazu?“ fragte Rebecca ironisch, „Du und eitel??“
Den Rest der Fahrt vebrachte Rebecca damit ihn mit seiner angeblichen Eitelkeit aufzuziehen.

Jan schien sie wirklich sehr vermisst zu haben, denn er wollte Rebecca gar nicht mehr loslassen, und war nur mit Mühe dazuzubewegen sich nochmal auf die eigenen Füße zu stellen und seine Spielsachen einzusammeln. Rebecca sah ihm stirnrunzelnd zu: „Hat er sich einigermaßen benommen?“ Paula nickte und lächelte ihren Neffen an: „Wie eine eins, oder Jan?“ Dann musterte sie ihren Bruder und ihre Schwägerin nun ebenfalls stirnrunzelnd: „Und was habt ihr so gemacht? Ihr seht etwas... derangiert aus, wenn ich das mal so sagen darf.“
„Allerdings“, pflichtete Christian ihr bei, der gerade in den Flur kam und sie mit einem freundlichen Lächeln begrüßte.
Rebecca und Oliver grinsten sich kurz an, dann meinte Rebecca: „Naja, wir haben einen kleinen Ausflug gemacht, aber das erzählen wir mal bei Gelegenheit...“ „...oder auch nicht!“ fügte Oliver mit einem finsteren Blick in Richtung seiner Schwester hinzu. Die grinste nur und wechselte dann das Thema: „Hat Mama dir gesagt, dass Opa demnächst kommt?“
Oliver stöhnte demonstrativ. „Ja, hat sie.“ Rebecca bemerkte, wie Christians Blick, bei Olivers gereiztem Ton, neugierig zwischen den Geschwistern hin und her ging.
„Er hängt so an dir, vor allem seit Papas Tod...“ fuhr Paula fort.
Oliver schwieg einen Moment, dann holte er tief Luft und sagte bemüht ruhig: „Hör auf, Paula. Ich hab Mama schon gesagt, dass ich vorbeikomme, aber sollte er Renecca und Jan nach wie vor wie Luft behandeln, dann kann er mir ein für alle mal gestohlen bleiben. Egal wie sehr er an mir hängt...“
„Mehr kann man nun wirklich nicht von dir verlangen“, meinte Paula mit einem leichten Schulterzucken.
Oliver schwieg darauf und Rebecca war mehr als erleichtert, als Jan mit seinem Teddy unter dem Arm und zwei Spielzeugautos in der Hand auf sie zugelaufen kam und sich nun endgültig nicht mehr bereit erklärte von der Seite seiner Mutter zu weichen.

Kapitel 8

„Und er ist so süß in letzter Zeit! Das glaubst du gar nicht!“ Manu ließ sich mit einem theatralischen Seufzer zurück auf die Decke sinken. Rebecca entschied sich Manu ein kurzes Lächeln zu schenken, auch wenn sie ihrer Freundin lieber ordentlich den Kopf gewaschen oder zumindest gern gesagt hätte, wie sehr sie ihr mit ihrem Timmi hier, Timmi da auf den Keks ging.
Sie hatten sich im Park getroffen, um die vermutlich letzten warmen Tage dieses Sommers noch ein wenig zu nutzen. Rebecca sah sich nach Jan um, aber der spielte nach wie vor brav im Sandkasten. Sie wandte sich wieder ihrer besten Freundin zu und meinte vorsichtig: „Und du glaubst, es war wirklich nur so eine Art Ausrutscher?“
Manu warf ihr einen seltsamen Blick zu: „Natürlich war es ein Ausrutscher. Er hat mir doch alles erzählt.“
Timm hatte Manu erzählt, er hätte ein einziges Mal, als er mit den Jungs unterwegs war, ein anderes Mädel mit nachhause genommen. Es wäre aber wirklich nichts Ernstes gewesen und ohnehin nur passiert, weil er so betrunken war. Er meinte es wäre der größte Fehler seines Lebens gewesen, vor allem dass er dann mit Manu Schluß gemacht hätte, statt einfach vernünftig mit ihr darüber zu reden.
Manu glaubte ihm, was Rebecca irgendwie verstehen konnte, da sie sich selbst noch gut genug daran erinnerte, wie es war sich etwas so sehr zu wünschen, dass man auch nach dem kleinsten hoffnungsvollen Strohhalm griff, doch sie selbst hatte ihre Zweifel, an Timms Ehrlichkeit.
Gut, vielleicht hatte er Manu tatsächlich nur einmal betrogen, aber er hatte immerhin auch gesagt, dass die Beziehung in seinen Augen keinen Sinn mehr hätte und das hörte sich irgendwie nicht nach einem bedeutungslosen Ausrutscher an... Andererseits hatte Rebecca keine wirklichen Anhaltspunkte um etwas gegen Timm zu sagen und wenn Manu ihm glaubte und damit glücklich war und das war sie ganz offensichtlich, dann war es wohl nicht an Rebecca ihre Zweifel zu äußern.
„Vielleicht sollte ich ihn heiraten“, meinte Manu plötzlich. Rebecca starrte sie völlig perplex an: „Was?“ Manu begann zu lächeln: „Ja, ich meine, wir sind so lang zusammen wie Oliver und du, und bei euch klappt das ja auch.“ Rebecca fing an zu lachen. Das konnte Manu nicht ernst meinen. „Komm schon, das ist ja wohl ein klein bißchen was anderes. Neben der winzigen Tatsache, dass wir ein Kind zusammen haben, wohnen wir beide auch schon seit über drei Jahren zusammen.“
Manu wollte zuerst widersprechen und man konnte förmlich sehen, wie sie nach Argumenten suchte, doch schließlich wurde ihr wohl bewusst, dass Rebecca recht hatte. Und sie musste selbst zugeben, dass es wohl irgendwie eine Schnapsidee und dazu äußerst fraglich war, ob Timm dabei mitmachen würde. Trotzdem ließ die Idee sie scheinbar nicht so schnell wieder los, denn etwas später meinte sie mit einem Mal, als hätten sie nie das Thema gewechselt: „Vielleicht hast du recht, und ich sollte Timm wirklich vorschlagen zusammenzuziehen.“ Sie hatten mittlerweile den Standort gewechselt und waren zu Jan auf den Spielplatz rüber gewandert. Rebecca wollte langsam nachhause, doch sie hatte um des lieben Friedens Willen, Jan erlaubt, dass er nochmal rutschen durfte, bevor sie gingen. Bei Manu´s Worten, hätte sie vor Überraschung allerdings fast vergessen ihn am Ende der Runde aufzufangen und sie bemerkte deshalb auch gar nicht, wie er ihr wieder entwischte und sich nocheinmal auf die Rutsche hochmogelte.
„Wie? Was? Hey, leg mir nichts in den Mund, ich hab nie gesagt, dass ihr zusammenziehen sollt“, antwortete Rebecca entgeistert.
„Natürlich, du hast gesagt, dass Oliver und du schließlich auch schon ziemlich lange zusammen wohnt und, wie gesagt, ihr seid nicht länger zusammen als wir.“
Rebecca seufzte, manchmal hörte Manu wirklich nur das was sie hören wollte. „Ich hab aber auch gesagt, dass unsere Situation wohl eine etwas andere ist...“
Manu sah sie plötzlich wütend an: „Irgendwie hab ich den Eindruck, als würde es dich stören, dass Timm und ich wieder zusammen sind. Kannst du mir mal bitte sagen, was du dagegen hast? Kannst du mir das nicht einfach gönnen?!“
„Entschuldigung!“ gab Rebecca nun ebenfalls gereizt zurück. „Wenn du es für richtig hältst jetzt sofort mit Timm zusammen zu ziehen, dann lass dich nicht von mir aufhalten. Ich mach mir halt nur ein paar Gedanken, nachdem ihr euch immerhin vor Kurzem erst getrennt habt.“
Rebecca brauchte nur einmal in Manus Gesicht zu sehen, um zu erkennen, dass sie sich lieber zusammen gerissen und einfach entschuldigt hätte.
„Dann mach dir halt Gedanken, aber behalt sie bitte für dich, ja?! Ich hab nämlich keinen Bock mir meine Beziehung von dir mies reden zu lassen, nur weil du selber langsam zur frustrierten Mami mutierst!“ Sie schnappte sich ihre Tasche und machte auf dem Absatz kehrt, so dass Rebecca ihr nur noch mit offenem Mund nachgucken konnte. Sie war vollkommen perplex, bis ein lautes und sehr energisch „Mama!“ sie daran erinnerte, dass Jan oben auf der Rutsche stand und darauf wartete, dass sie ihn auffing.

Manu ließ die ganzen nächsten Tage nichts von sich hören und Rebecca überlegte schon ihrerseits anzurufen, doch dann war sie der Ansicht, dass es nicht an ihr wäre, jetzt nachzugeben. Schließlich hatte sie nichts Schlimmes getan. Sie hatte die Zweifel, die sie unbestreitbar hatte, ja nicht mal wirklich geäußert.
Sie fühlte sich nur nicht so ganz wohl bei dem Gedanken, Manu demnächst vielleicht bei einem ihrer anderen Freunde zu begegnen, Stephan zum Beispiel hatte in zwei Wochen Geburtstag, und sie stellte es sich einigermaßen ungemütlich vor, Manu dort zu begegnen, wenn dann immer noch Funkstille zwischen ihnen herrschte.
Schließlich fiel auch Oliver auf, dass der Streit zwischen ihnen heftiger gewesen sein musste. Sie hatte ihm zwar davon erzählt, aber nicht erwähnt, was Manu ihr an den Kopf geworfen hatte und dass sie dann einfach so abgehauen war.
„Was ist denn bitte so Schreckliches passiert, dass ihr jetzt nicht mehr miteinander redet?“ erkundigte er sich schließlich. Sie saßen mal wieder auf ihrem kleinen Balkon, nachdem sie es gemeinschaftlich geschafft hatten, den brüllenden Jan in sein Bett zu verfrachten.
„Ach,...“ Rebecca machte eine wegwerfende Handbewegung. „...gar nichts. Ich hab dir doch erzählt, was los war.“
Er grinste: „Stimmt, aber ich hab stark den Eindruck, als würde da noch eine ganze Menge fehlen...“
„Du hast also den Eindruck, Dr. Freud?“ gab sie ironisch zurück und er lachte, aber locker ließ er noch nicht: „Willst du´s mir nicht lieber erzählen?“
Sie seufzte: „Es ist ja gar nichts.“ Sie sah ihn an „Ich hab dir doch erzählt, dass sie diese Schnapsidee hatte mit Timm zusammenzuziehen?“ Er nickte. „Ich schwöre dir, ich hab nicht mal wirklich was dagegen gesagt, aber sie hat trotzdem gemerkt, dass ich die Idee nicht so prickelnd fand. Daraufhin ist sie total ausgerastet und meinte, ich würde es ihr einfach nicht gönnen, weil ich mich langsam selbst in ein frustriertes Hausmütterchen verwandeln würde, oder so. Und dann ist sie wütend abgedampft.“
Oliver fing an schallend zu lachen. Rebecca sah ihn erst verdutzt und schließlich schon leicht gereizt an: „Danke, du bist mir eine echte Hilfe!“
Er riss sich etwas zusammen, doch das Grinsen konnte er noch nicht ganz aus seinem Gesicht verbannen, als er ihr einen Kuss auf die Wange drückte und dann meinte: „Entschuldige, aber ich hab mir gerade diesen Zickenkrieg mitten auf dem Kinderspielplatz vorgestellt. Außerdem, hat sie das wirklich zu dir gesagt?“ Rebecca nickte beleidigt. „Das ist echt hart“, sagte er dann und wurde langsam wieder ernst. „Ich hoffe dir ist klar, dass sie das nur gesagt hat, weil sie wütend war...?“
Rebecca verdrehte die Augen: „Hm, klar, aber sauer bin ich trotzdem.“ Sie schwieg einen Moment, dann fragte sie: „Bin ich echt nicht frustriert?“
„Ich hoffe nicht, sonst hab ich ein Problem“, gab Oliver zurück und küsste sie lächelnd.
Als sie sich wieder voneinander lösten, fragte sie ihn: „Denkst du ich sollte sie anrufen?“ Er zuckte die Schultern: „Ich weiß nicht, du hast schließlich nichts getan. Ich bin ja vielleicht ein klein wenig parteiisch, aber ich finde, sie ist diejenige, die sich entschuldigen müsste... aber wenn du dich wohler fühlst, wenn die Sache aus der Welt ist, dann ruf sie an.“
„Hmm...“ jetzt war sie auch nicht viel schlauer als vorher. Klar, würde sie sich wohler fühlen, wenn die Sache aus der Welt wäre. Trotzdem beschloss sie Manu zumindest noch ein paar Tage zappeln zu lassen. Nicht zuletzt, weil sie zwar Oliver belügen konnte, aber nicht sich selbst. Natürlich war sie verletzt wegen der Sachen die Manu ihr an den Kopf geworfen hatte und natürlich hatte sie sich Gedanken darüber gemacht. Klar, hatte Manu das nur im Zorn gesagt, aber Rebecca konnte nicht verhindern, dass sie dennoch darüber nachgrübelte. Vielleicht wirkte sie tatsächlich so auf Andere, irgendwo musste es ja herkommen, wenn Manu so etwas sagte. Sie würde Manu noch etwas warten lassen, denn gerade ihre beste Freundin, die es eigentlich wissen müsste, sollte sie nicht wegen einer Nichtigkeit in solche Selbstzweifel stürzen.
Beide hingen eine Weile ihren eigenen Gedanken nach und plötzlich fiel Rebecca sieden heiß ein: „Scheiße, wir haben Lisa vergessen!“
Oliver sah sie verduzt an und hatte offensichtlich keine Ahnung wovon sie auf einmal sprach.
„Ich hab dir doch gesagt, dass sie irgendwann angerufen hat um zu fragen, wann wir mal Zeit hätten und ich hab zu ihr gesagt, wir würden uns melden, aber das ist jetzt schon ziemlich lange her...“
„Du hast mit Lisa telefoniert?“
„Das hab ich dir doch erzählt...“ fing Rebecca an, doch dann war sie sich plötzlich selber nicht mehr so sicher, ob sie Oliver damals davon erzählt hatte. Immerhin war das gerade die Zeit gewesen in der Sophie bei ihnen wohnte und in der ohnehin alles so stressig war. „Hab ich dir das echt nicht erzählt?“ fragte sie deshalb verblüfft.
Oliver schüttelte den Kopf: „Nein, definitiv nicht, daran würde ich mich erinnern.“
„Naja, sie war ganz nett und ich hab ihr gesagt, ich würde das mit dir besprechen und wir würden ihr dann bescheid sagen wann wir Zeit hätten. Ist jetzt allerdings, wie gesagt, schon eine Weile her“, erklärte sie knapp.
„Ihr habt euch normal unterhalten?“ fragte Oliver jetzt skeptisch und Rebecca gab ihm einen leichten Klaps.
„Natürlich. Was denkst du denn?“ dann fügte sie mit einem Grinsen noch hinzu: „Zickig bin ich nur bei dir...“
Sie entschlossen sich Lisa sofort anzurufen und für die nächste Woche einzuladen. Selbst Rebecca, die sich immer noch nicht so ganz wohl fühlte bei dem Gedanken Olivers Ex-Freundin kennenzulernen, wollte das Ganze nun doch lieber nicht mehr auf die lange Bank schieben.
Während Oliver mit Lisa telefonierte, überlegte Rebecca, dass kennenlernen eigentlich das falsche Wort war. Sie hatte Lisa schließlich damals in Italien schon kennengelernt. Allerdings vermutete sie, dass diese Begegnung für sie damals etwas einprägsamer gewesen war, als für Lisa, die ja nicht geahnt hatte, was zwischen Oliver und Rebecca passiert war.
Mittlerweile konnte sie bei der Erinnerung daran aber schon schmunzeln. Es war ja auch wirklich ein wenig komisch, wenn man sich vorstellte, wie Oliver und sie, sobald sie alleine waren, direkt Lippe an Lippe hingen nur um dann regelrecht auseinander zu springen als Lisa völlig überraschend reingerauscht kam und schwupps, schon knutschte Oliver mit der nächsten rum und Rebecca guckte extrem blöd aus der Wäsche. Ja, wahrscheinlich war Lisa ihr damals wesentlich mehr aufgefallen, als umgekehrt. Hätte Oliver sich nicht kurz danach wegen ihr von Lisa getrennt, dann wüsste die heute vermutlich schon lange nicht mal mehr ihren Namen.
Plötzlich kamen Rebecca erneut Zweifel, ob dieses Treffen eine so gute Idee war. Sie sah zu Oliver rein, der sich gerade am Telefon von Lisa verabschiedete und zuckte innerlich die Schultern. Jetzt war es ohnehin zu spät.

Rebecca ahnte es zwar nicht, aber auch Oliver hatte seine Vorbehalte, was dieses Treffen anging.
Vielleicht wäre es anders gewesen, wenn Lisa nicht gerade mit ihrem letzten Freund Schluss gemacht hätte, aber so fand er es irgendwie seltsam, nicht zuletzt auch weil er, was er Becky niemals sagen würde, in den Gesprächen mit Lisa das Gefühl bekommen hatte, dass sie immer noch einen gewissen Besitzanspruch an ihn zu haben glaubte. Es waren nur Kleinigkeiten, eigentlich nicht mal das, eher ein unbestimmtes Gefühl und er war sich nicht einmal sicher, ob er sich das alles nicht vielleicht doch nur einbildete, aber unbestreitbar fühlte er sich bei dem Gedanken nicht so ganz wohl.
Andererseits mochte er Lisa und er traute sowohl ihr, als auch Rebecca, die Größe zu, sich der anderen gegenüber freundlich zu verhalten.

Stephan schaffte es allerdings ein paar Tage später ihm seinen Optimismus mit einem Satz wieder zu nehmen. „Du bist lebensmüde!“ war sein Kommentar, als Oliver ihm davon erzählte. Sie waren mit Sophie und Rebecca etwas trinken gegangen, auch weil Sophie und Stephan nochmal über ihr bevorstehendes Zusammenziehen sprechen wollten. Gerade waren die Mädels allerdings auf der Toilette verschwunden und Oliver hatte die Gelegenheit genutzt um Stephan zu erzählen, dass Lisa sie am nächsten Abend besuchen würde.
Jetzt sah Oliver seinen Freund verächtlich an: „Ach, übertreib doch nicht, Lisa hat´s immerhin selbst vorgeschlagen...“
Stephan grinste: „Na, wenn du meinst.... Mir würde an deiner Stelle Lisa auch weniger Sorgen machen, als Rebecca. Immerhin ist sie diejenige mit der du zusammen lebst, falls du´s noch nicht gemerkt hast.“
Oliver entging der leicht rügende Ton in Stephans Stimme nicht und er ärgerte sich ein bißchen darüber, weshalb er vielleicht auch etwas zu heftig fragte: „Willst du mir damit irgendwas sagen?“
Stephan machte eine abwehrende Geste, ganz im Sinne von das-geht-mich-nichts-an, sagte dann aber trotzdem: „Ich sag‘ nur, dass du nicht zweimal denselben Fehler machen solltest. Dir sollte Rebecca wichtig sein, nicht Lisa.“
Oliver ärgerte sich: „Ach komm, das ist doch Mist. Ich liebe Rebecca.“
„Dann sorg dafür, dass sie’s auch weiß“, erwiderte Stephan gnadenlos.
Oliver hätte gerne gefragt, wie er das nun wieder meinte, doch leider kamen Rebecca und Sophie in diesem Moment zurück, so dass sie das Thema fallen lassen mussten.
Nachdem Stephan gemeint hatte, seine Ökomitbewohnerin hätte längst die Koffer gepackt, beschloss Sophie am nächsten Wochenende umzuziehen und es war kaum zu übersehen, dass sie es kaum erwarten konnte von Zuhause wegzukommen. Oliver und Rebecca versprachen natürlich ihr beim Umzug zu helfen, auch wenn Rebecca jetzt schon ahnte, dass es ein einziger Kampf werden würde, Oliver die Erlaubnis abzuringen, dass sie ebenfalls irgendetwas helfen durfte.
Später fuhren sie Sophie nachhause und holten Jan bei Andrea ab. Als Oliver den schlafenden Jungen in seinen Autositz setzte und festschnallte, meinte Rebecca seufzend: „Ich glaub, wir müssen uns doch endlich mal nach einem richtigen Babysitter umsehen. Wir können ihn nicht immer deiner Mutter oder deinen Schwestern aufhalsen und es wäre für ihn auch besser, wenn zuhause jemand auf ihn aufpasst.“
Oliver zuckte die Schultern. „Meinetwegen. Du wolltest ja nie, dass ein Fremder auf ihn aufpasst.“
„Hm, vielleicht hab ich doch ein bißchen übertrieben mit meinem Rumgeglucke...“ antwortete Rebecca reumütig. Er sah sie an und musste plötzlich lächeln. „Hm, vielleicht, aber ich kann dich ja auch irgendwie verstehen“, damit drückte er ihr einen Kuss auf die Lippen, bevor er ums Auto ging um ebenfalls einzusteigen.

Als Lisa am nächsten Abend kam, war die Situation im ersten Moment schon ziemlich seltsam. Rebecca und sie gaben sich die Hand und dann beugte Lisa sich zu Jan runter, der sich schüchtern an seine Mutter drängte.
„Na, du bist bestimmt Jan, oder?“ Er antwortete nicht sondern sah sie nur mit großen Augen an. „Ich bin Lisa.“ Sie kniete sich hin und zog etwas aus ihrer Tasche. „Schau mal, das hab ich dir mitgebracht. Ich hoffe, du kannst was damit anfangen.“ Es war ein kleines Matchboxauto und sie eroberte damit augenblicklich Jans Herz.
Als Lisa sich wieder aufrichtete, meinte Rebecca entschuldigend: „Oliver ist noch nicht da. Er hat vorhin angerufen, dass es ausgerechnet heute später wird, aber ich dachte mir, vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn wir erstmal ein bißchen Zeit ohne ihn haben.“
Nachdem sie mit Oliver telefoniert hatte, hätte Rebecca die Chance am liebsten augenblicklich genutzt und Lisa abgesagt, aber dann hatte sie gedacht, wenn schon, dann wollte sie es doch lieber so schnell wie möglich hinter sich bringen und möglicherweise war es ja tatsächlich besser Lisa ersteinmal ohne Olivers Gesellschaft ein bißchen besser kennenzulernen.
Lisa bestätigte gerade, dass sie die Idee auch gar nicht so schlecht fände. Dann blieb ihr Blick an Rebeccas Bauch hängen. „Oh, du bist schwanger?“
Rebecca nickte lächelnd: „Ja, hat Oliver nichts davon erzählt?“
Lisa schüttelte den Kopf: „Nein, ich glaub nicht. Wann ist es denn soweit?“
„Ende Dezember oder Anfang Januar wahrscheinlich. Ich hoffe nur, dass es nicht zu nah an Weihnachten ist...“
Lisa lachte: „Stimmt, um Weihnachten rum Geburtstag zu haben ist verdammt blöd. Ich hab eine Cousine, die am 23.Dezember Geburtstag hat, die hat eine Zeitlang immer erst im Sommer nachgefeiert, weil sie ihren Geburtstag so gehasst hat.“
Wie bei ihrem Telefongespräch damals, überkam Rebecca auch jetzt wieder plötzlich das Gefühl, dass sie sich gut mit Lisa verstehen könnte. Seltsamerweise war sie ihr, trotz aller Vorbehalte die sie hegte, sehr sympathisch.
Als sie gemütlich in der Küche saßen, Rebecca hatte, der Einfachheit halber mal wieder Pizza gemacht, fragte Lisa: „Und, habt ihr schon einen Namen für das Baby? Wisst ihr überhaupt schon, was es wird?“
Rebecca schüttelte den Kopf und schluckte hastig den Bissen Pizza runter, den sie noch im Mund hatte. „Nein, ich wollte nicht wissen, ob´s ein Mädchen oder ein Junge wird. Und was den Namen angeht, Doppelnein. Es ist so schrecklich...“ Sie verdrehte theatralisch die Augen. „Ich könnt mir die ganze Zeit Namen ausdenken, aber Oliver findet alles schrecklich.“
„Das kann ich mir vorstellen!“ meinte Lisa.
Rebecca nickte: „Ja, letztens hab ich ‚Lena‘ für ein Mädchen vorgeschlagen und er fand den Namen fürchterlich und meinte, dann könnten wir ja gleich was ganz altmodisches nehmen. Ich mein, Lena, hallo?!“
Lisa lehnte sich zurück und sah sie plötzlich beinah verschwörerisch an. „Weißt du woran das liegt? Er hat eine Ex-Freundin, die so heißt.“
Rebecca riss erstaunt die Augen auf und war einen Moment sprachlos, schließlich fragte sie: „Das ist nicht dein Ernst, oder? Das hat er mit keinem Wort erwähnt.“
„Ist auch schon ewig her. Wir waren ja zusammen auf der Schule, mit Stephan und den Anderen. Aber Olli und ich sind erst nach dem Abi zusammen gekommen. Lena war, lass mal überlegen...“ Sie rechnete an den Fingern nach, dann meinte sie: „Mit Lena müsste er so mit 17 zusammen gewesen sein, wenn ich mich nicht irre. Das war so eine üble Zicke. Die war auch bei uns in der Stufe, aber so eine richtig blöde besserwisserische Kuh, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Eine von denen, die ich nie mehr wiedersehen müsste und ich würd sie kein bißchen vermissen. Kennst du das?“
Rebecca nickte: „Allerdings, da kenn ich auch ein paar Leute, die mir echt gestohlen bleiben können.“ Unter anderem dachte sie dabei an ihren Ex-Nichtfreund Björn, aber im Moment interessierte Olivers Vergangenheit sie wesentlich mehr, deshalb sagte sie nichts weiter dazu, sondern fragte stattdessen: „Und wieso war Oliver mit ihr zusammen?“
„Keine Ahnung“, meinte Lisa mit einem ratlosen Schulterzucken. „Das frage ich mich auch schon seit Ewigkeiten. Aber du kennst ihn ja, was das angeht, ist er wirklich nicht gerade der Gesprächigste...“
„Oh ja, da kann ich ein Lied von singen“, bestätigte Rebecca nickend.
Als Oliver endlich nachhause kam, hatten die beiden Jan schon gemeintschaftlich ins Bett verfrachtet und festgestellt, dass sie außer über Oliver auch über andere Themen ziemlich gut quatschen konnten.
Lisa sprang auf und umarmte Oliver stürmisch, als der zur Tür herein kam. Rebecca spürte einen leichten Stich der Eifersucht, als sie die beiden so zusammen sah und feststellte, wie gut sie immer noch zusammen passten. Sie bemühte sich aber sofort das Gefühl zu unterdrücken, schließlich hatte sie sich bis jetzt sehr gut mit Lisa verstanden.
„Wie lang bist du denn schon hier?“ fragte Oliver gerade mit einem kurzen Seitenblick auf Rebecca.
Lisa warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und sah dann fragend zu Rebecca hinüber: „Seit anderthalb Stunden ungefähr, oder?“
Rebecca nickte: „Ja, kommt hin, glaube ich.“
Oliver löste sich von Lisa um zu Rebecca herüber zu schlendern und sie mit einem Kuss zu begrüßen. Rebecca konnte sich ein Lächeln nicht ganz verkneifen, da sie erkannte, dass Oliver durch diese kleine Geste klarmachen wollte, dass eine Freundschaft mit Lisa lediglich platonisch sein könnte. Seltsamerweise beruhigte dieses Verhalten sie mehr, als jede Beteuerung seinerseits, Lisa hätte nichts mit ihnen zu tun. Tatsächlich wurde es dann auch noch ein wirklich schöner Abend und nachdem Lisa schließlich gegangen war, fiel Rebecca müde aber glücklich ins Bett. Beinah fühlte sie sich so als hätte sie eine große Aufgabe hinter sich gebracht und definitiv fiel ihr ein Stein vom Herzen, weil alles so gut geklappt hatte.

Oliver, der gerade sein T-Shirt über den Kopf gezogen hatte, sah wie sie lächelte und fragte: „Und war´s sehr schlimm?“
Sie grinste: „Nein, im Gegenteil, sie ist wirklich nett.“
„Puuh, ich dachte schon, du wärst stinksauer, als ich nachhause kam und euch beide gesehen hab“, erwiderte Oliver erleichtert und zog sie an sich um sie zu küssen.
„Das hätte ich dir ja nicht vorwerfen können, ich hätte ja genauso gut absagen können, wenn ich gewollt hätte“, meinte Rebecca dann.
„Und du wolltest nicht?“ fragte Oliver neugierig.
Rebecca lachte: „Oh doch, und wie. Aber dann dachte ich mir, dass es vielleicht gar nicht das Schlechteste ist, wenn wir uns zuerst mal ohne dich beschnuppern können.“ Dann fing Rebecca plötzlich an zu grinsen und Oliver ahnte sofort, dass es für ihn möglicherweise gar kein so großer Vorteil war, dass seine Frau und seine Ex-Freundin Zeit gehabt hatten sich ohne ihn, also vermutlich über ihn, zu unterhalten. Misstrauisch fragte er: „Was denkst du gerade?“
„Naja, ich hätte nicht gedacht, dass es so aufschlussreich sein könnte, wenn ich mich mit Lisa treffe...“ antwortete sie immer noch grinsend.
Er stöhnte innerlich auf und fragte resigniert: „Will ich wissen worüber ihr geredet habt, oder lieber nicht?“
Sie lachte: „Ich schätze, du willst es lieber nicht wissen, aber mich interessiert, warum du mir nicht gesagt hast, warum du was gegen den Namen Lena hast...“
Er sah sie überrascht an: „Was?“
„Naja, Lisa hat mir erzählt, dass du mal mit einer Lena zusammen warst...“
Oliver ließ sich mit einem theatralischen Seufzer auf sein Kissen fallen und meinte schließlich mit einem halben Lachen: „Mein Gott, warum bist du eigentlich so neugierig?“
Sie krabbelte zu ihm rüber und beugte sich über ihn, so dass ihre Haare ihm übers Gesicht fielen, während sie ihn ausgiebig küsste. „Ich bin halt so“, sagte sie schließlich, während sie sich die Haare aus dem Gesicht strich.
Er streckte die Hand aus und strich eine weitere Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Manchmal versteh ich dich echt nicht.... Ich wäre nicht neugierig, sondern rasend eifersüchtig.“
„Wow, dieses Eingeständnis von dir!“ gab Rebecca lachend zurück, fügte dann aber noch hinzu: „Aber du übertreibst, außerdem bist du neugieriger als du immer zugibst.“
„Ok“, er gab sich geschlagen: „Mit Lena war ich zusammen als ich...“ er überlegte kurz „... ungefähr 17 war. Hat vielleicht höchstens ein halbes Jahr gedauert, dann war wieder Schluß. Vollkommen unspektakulär.“
Rebecca verdrehte die Augen: „Ja, aber nur, weil du die interessanten Details auslässt. Wer von euch hat z.B. Schluß gemacht?“
Er verzog ein wenig das Gesicht, meinte dann aber trotzdem: „Das lässt sich ehrlich gesagt nicht so einfach beantworten. Beim ersten Mal hab definitiv ich Schluß gemacht, aber danach...“
Rebecca sah ihn an: „Beim ersten Mal?“ „Danach ging es eine Zeit lang so ein bißchen hin und her“, erläuterte er unbestimmt. „Und richtig aus war´s dann, als ...“ er hielt plötzlich inne und sah sie etwas verlegen an.
„Wann war´s richtig aus?“ fragte Rebecca neugierig.
Er räusperte sich: „Also, ..., richtig aus war´s dann erst, als ich was mit ihrer besten Freundin angefangen hab.“
„Oh...“ Rebecca starrte ihn mit offenem Mund an. „...oh...“
„Ich gebe zu, dass das absolut daneben war!“ fuhr Oliver schnell fort, bevor Rebecca ihre Sprache wiederfinden konnte. „Aber dieses Mädel war irgendwann auch so dermaßen nervig, und anders wäre ich sie nie losgeworden.“
„Bitte was?!“ fragte Rebecca hin und her gerissen zwischen Entsetzen und Lachen.
„Sie war total besitzergreifend und meinte immer mir sagen zu müssen was ich tun oder mit wem ich mich treffen soll.“ Mit Fistelstimme äffte er nach: „Trink nicht so viel, Schaaaatz!“ Er schüttelte sich angewidert und nun musste Rebecca ihrem Lachanfall doch nachgeben.
„Oh Mann, bist du ein Arschloch!“ brachte sie schließlich keuchend heraus.
Er sah sie beleidigt an: „Wenn du sie kennen würdest, dann würdest du mich verstehen...“
„Warum warst du dann überhaupt mit ihr zusammen?“ fragte Rebecca neugierig.
Oliver überlegte, warum war er damals mit Lena zusammen gewesen? Er schmunzelte, er wusste ziemlich genau, warum er sich in sie verguckt hatte und auch warum sie ihn immer wieder rum gekriegt hatte, nachdem sie eigentlich schon Schluß gemacht hatten. Die Frage war nur, sollte er das Rebecca wirklich erzählen? Ach was, dachte er schließlich, es war immerhin ein paar Jahre her und wenn er ihr schon antwortete, dann sollte es wohl auch die Wahrheit sein. „Na, rate mal.... Um ihren tollen Charakter ging’s dabei weniger.“
Sie beobachtete ihn einen Moment spöttisch, dann fragte sie: „Und, hat es sich wenigstens gelohnt?“
Er grinste sie frech an: „Offensichtlich nicht genug, sonst wäre ich ja noch mit ihr zusammen.“
„Haha!“ machte Rebecca ironisch. Sie kuschelte sich neben Oliver unter die Decke. „Wieviele Ex-Freundinnen gibt´s denn noch?“
Oliver löschte das Licht und drehte sich wieder zu ihr um: „Jetzt willst du aber auch alles ganz genau wissen, oder?“ Rebecca überlegte einen Augenblick, dann nickte sie: „Ja, ist doch schon irgendwie komisch, dass wir vier Jahre zusammen sind und ich trotzdem so wenig über deine ganzen Ex-Freundinnen weiß.“
„Ich weiß gar nicht, warum dir das so wichtig ist...?“
Sie flüsterte kichernd „Ich will eben alles über dich wissen“, und biss ihn spielerisch in die Schulter.
„Au! Hm, wenn du drauf bestehst.“
„Tu ich. Du warst 16 als du deine erste Freundin hattest, oder?“
„Nee, bei der ersten war ich noch im Kindergarten“, neckte er sie, doch sie brachte ihn mit einem Klaps wieder zum Thema zurück. „Ok, ok, ich war sechzehn.“
„Und?“ bohrte Rebecca weiter.
„Was Und?“ gab er etwas gereizt zurück, auch weil er nicht wusste, was sie eigentlich hören wollte, dann fuhr er aber doch fort: „Katharina, sie war die Schwester von einem Freund von mir, Tobi. Sie war fünfzehn.“ Er wusste gar nicht mehr, ob er wirklich so verliebt in sie gewesen war. Vermutlich wollte er sich zum Teil einfach ablenken. Sein Vater war ein paar Monate zuvor gestorben und seiner Mutter ging es in letzter Zeit immer schlechter. Da kam Tobis kleine Schwester genau richtig. Sie war niedlich, irgendwie... unschuldig, aber auch verdammt hübsch. Lange honigblonde Haare, große blaue Augen, schlank, zierlich, und sie war total in ihn verknallt, was ihm nicht entging. Also nutze er seine Chance sobald sie sich bot.
Es war auf irgendeiner Fete, vermutlich Tobis Geburtstag. Auf jeden Fall hatten die beiden sturmfrei. Später am Abend sah Oliver wie Katharina alleine nach Draußen ging, er überlegte nicht lange, sondern folgte ihr in den Garten. Dort machte er sich als erstes eine Zigarette an. Sie saß mit angezogenen Beinen auf einer Gartenbank auf dem Rasen und er schlenderte langsam zu ihr hinüber. Sie sah mit einem schüchternen Lächeln zu ihm auf, was er ziemlich niedlich fand und was zugegebenermaßen sein Selbstbewusstsein stärkte.
„Krieg ich auch eine?“ fragte sie mit einem Wink in Richtung seiner Zigarette. Er hielt ihr wortlos die Packung hin und gab ihr Feuer. Ihre Hand zitterte, als sie an der Zigarette zog.
Er setzte sich neben sie auf die Bank. „Was machst du so alleine hier draußen?“ In dem Moment überraschte sie ihn zum ersten Mal mit ihrer Offenheit. „Auf dich warten“, war ihre Antwort. Er sah sie an und musste Lächeln. „Ach ja?“ Sie nickte und er nahm an, dass sie in dem Moment ein bißchen rot wurde, aber im Garten war es zu dunkel, als dass er das wirklich hätte sehen können. Er überlegte kurz zu testen, wie weit ihre Offenheit ging und zu fragen, warum sie auf ihn gewartet hätte, doch dann ließ er es sein und küsste sie stattdessen einfach.
Irgendwann wurde es Katharina zu kalt und da, als sie reinkamen ohenhin alle entweder gegangen oder schon halbe Alkoholleichen waren, fiel ihnen die Wahl sofort auf Katharinas Zimmer zu verschwinden nicht schwer.
„Wow, ihr habt aber auch nichts davon gehalten Zeit zu verschwenden, was?“ unterbrach Rebecca Oliver jetzt.
Sie hörte das Grinsen in seiner Stimme, als er antwortete: „Na, ich ganz bestimmt nicht, aber falls es dich beruhigt, sie war da etwas anderer Meinung.“ So war in dieser ersten Nacht eigentlich nicht wirklich was passiert. Und am nächsten Morgen gab´s erstmal Stress, weil Tobis und Katharinas Eltern früher zurückkamen als ihre Kinder erwartet hatten. Sie waren nicht sonderlich begeistert von dem Durcheinander, das sich ihnen bot und noch weniger von der Tatsache, dass ihre fünfzehnjährige Tochter nicht alleine im Bett lag.
Rebecca lachte: „Nee! Also praktisch inflagranti ertappt?!“
„So schlimm war´s jetzt auch nicht...“ wehrte Oliver ab. Allerdings schien das für Katharinas Eltern kaum einen Unterschied zu machen und er war froh, als er sich endlich verdrücken konnte.
Montags nach der Schule hatte sie dann auf ihn gewartet. Er fragte ob ihre Eltern noch sehr sauer wären. Sie tat die Frage mit einer Geste ab, die zwischen sie-wollen-dich-köpfen und ach-was,-kein-thema alles bedeuten konnte. Er beschloss, das Beste zu hoffen und fragte geradeheraus: „Was machst du heute Abend?“ Als sie meinte, abends würden ihre Eltern sie in nächster Zeit wohl kaum aus dem Haus lassen und schon gar nicht in der Woche, meinte er schlicht und ergreifend: „Na dann, was machst du jetzt?“
Das, musste er zugeben, war einer der zweifelhaften Vorteile, an der Tatsache, dass seine Mutter in letzter Zeit so wenig Interesse an allem zeigte, es fiel ihr nicht auf, wenn er mal nicht da war und die Kraft etwas zu sagen, weil er Katharina mit nachhause brachte, hatte sie zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr.
„Wusste dieser Tobi eigentlich was zwischen euch lief?“ fragte Rebecca neugierig.
Oliver zuckte die Schultern: „Keine Ahnung, er hat nicht gefragt und ich hab nichts gesagt, zumindest die ersten Wochen nicht, bis sich ihre Eltern ein bißchen abgeregt hatten.“ Dann fiel ihm etwas ein und er meinte: „Du willst mir jetzt aber keine Standpauke halten, weil ich so sauer auf Stephan war, obwohl ich selber so einen Scheiß gebaut hab, oder?“ Sie lachte. „Ausnahmsweise nicht. Außerdem muss man dabei wohl bedenken, dass du immerhin erst zarte und unschuldige sechzehn warst“, antwortete sie neckend.
„Oh ja, allerdings nicht mehr sehr lange...“ Katharinas Eltern dachten, sie übernachte bei einer Freundin, denn die beiden hatten sich zwar mittlerweile wieder abgeregt, aber soweit, dass sie Katharina erlaubt hätten bei Oliver zu übernachten, oder umgekehrt, waren sie noch lange nicht. Katharina schlief also heimlich bei ihm, was ja glücklicherweise von seiner Mutter her kein Problem war.
In der Nacht war es dann eben passiert. Da es für beide das erste Mal war, war es eher... bescheiden, meinte Oliver. Rebecca musste ein Kichern unterdrücken und wies darauf hin, dass er ja vermutlich noch die bessere Seite der Sache erwischt hätte, zumindest soweit sie das beurteilen konnte.
„Da bin ich mir nicht so sicher“, antwortete Oliver lakonisch. Katharina hatte angefangen zu weinen, hatte aber auch nicht gewollt, dass er aufhörte, also hatte er eben weitergemacht. „Aber, ich kann dir sagen, es gibt wesentlich angenehmeres als ein Mädel zu vögeln, das flennt, als würdest du sie grad vergewaltigen.“
„Ich weiß, du warst sechzehn, aber vielleicht hättest du trotzdem einfach aufhören und sie in den Arm nehmen sollen“, schlug Rebecca freundlich vor.
„Wofür hältst du mich?“ fragte er trocken. „Irgendwann wird sogar dem größten Deppen, sprich MIR, bewusst, dass ein geheultes Nein, hör nicht auf nicht unbedingt wörtlich zu nehmen ist.“
„Das beruhigt mich“, antwortete Rebecca eben so trocken und gähnte ausgiebig. „Und wie ging´s dann weiter?“
„Nicht sonderlich spektakulär. Wir haben eben irgendwann Schluß gemacht.“ Er sah ihre Frage schon voraus. „Ok, ich habe Schluß gemacht.“ Nach dem Selbstmordversuch seiner Mutter, hatte er festgestellte, dass er Katharina zwar mochte, aber wirklich reden konnte er mit ihr nicht und sie war ihm in dem Moment einfach zu anstrengend gewesen. Also hatte er ihr gesagt, er bräuchte Zeit für sich, irgend so ein psycho-bla-bla, sie war am Boden zerstört, hatte aber natürlich jede Menge Verständnis. Das war das Ende dieser Beziehung und nach ein paar Zwischenspielen war er dann ein paar Monate später mit Lena zusammengekommen.
„Wow, hast du nicht irgendwann mal behauptet es hätte auch mal ein Mädel gegeben, das dir das Herz gebrochen hat und nicht umgekehrt?“
„Oh, ja.“ Jetzt unterdrückte er ein Gähnen. „Maike... aber nicht mehr heute, ok?“ Er drehte sich auf die Seite und zog sie an sich. „Ich bin totmüde und du kannst mir glauben, es gibt Schöneres als sich an die ganzen fiesen Sachen zu erinnern, die man mal gemacht hat.“
Sie drehte den Kopf und drückte ihm einen Kuss auf’s Kinn. „So schlimm warst du jetzt auch nicht..., ok, ein bißchen schon, aber das war ja durchaus verständlich...“

Kurz bevor sie einschlief, dachte Rebecca noch, zu ihrem Erstaunen, dass sie tatsächlich nicht eifersüchtig war, weder auf Lisa, noch auf die unbekannte Katharina. Sie fand die Geschichte irgendwie süß und dass er sie zum Schluß so bereitwillig erzählt hatte, war auch ganz niedlich, aber eifersüchtig war sie nicht. Worauf auch? Auf ein kleines Mädchen mit dem Oliver vor Jahren Schluß gemacht hatte? Obwohl sich nichts an dem Gefühl geändert hatte, dass sie gerne Olivers erste und letzte Freundin gewesen wäre, hatte es ihr seltsamerweise nichts ausgemacht, diese Geschichte zu hören. Vielleicht auch deshalb, so dachte sie noch kurz vorm Einschlafen, weil dieser sechzehnjährige Junge für sie nicht mehr sonderlich viel mit ihrem 25jährigen Ehemann gemeinsam hatte, und auch nicht mit dem zwar noch sehr coolen aber doch etwas vernünftigeren 21 Jährigen, den sie damals in Italien kennengelernt hatte.

Oliver blieb noch einen Moment liegen, bevor er endgültig die Augen öffnete. Rebecca lag auf seinem Arm und er fragte sich, ob sich darin irgendwo noch ein Rest Blut befand, oder ob der Arm schon komplett abgestorben war. Andererseits musste er fairerweise zugeben, dass das vermutlich nicht nur an Rebecca, sondern auch daran lag, dass er eine Morgenlatte hatte, mit der er durch die Wand hätte rennen können und das wiederum lag vermutlich daran, dass er die ganze Nacht wirres Zeug von irgendwelchen Ex-Freundinnen geträumt hatte. Er sah zu Rebecca rüber. Man, sie hätte es wirklich verdient, dass er sie jetzt sofort weckte und darauf hinwies, was sie ihm mit ihrer Neugier angetan hatte.
Mit einem Grinsen befreite er seinen Arm und ging ins Badezimmer.
Während er unter der Dusche stand, dachte er plötzlich daran was Stephan gesagt hatte. Hm, offensichtlich hatte Stephan Unrecht gehabt, schließlich hatten Lisa und Rebecca sich bestens verstanden, dachte Oliver leicht verächtlich. Doch ihm ging der kurze Wortwechsel nicht aus dem Kopf, als er sagte, er liebe Rebecca und Stephan erwidert hatte: Dann sorg auch dafür, dass sie es weiß! Hatte Stephan das einfach nur so dahin gesagt? Oder hatte Rebecca vielleicht wirklich mit ihm gesprochen? Und wenn ja, warum sprach sie mit seinem besten Freund und nicht mit ihm selbst? Er redete schließlich auch nicht mit Manu über sie. Er war schon beinah wütend auf Rebecca als er das Wasser abdrehte und sich ein Handtuch schnappte und musste sich daran erinnern, dass er ja gar nicht wusste ob und wenn ja, was sie mit Stephan geredet hatte.
Allerdings ärgerte es ihn, egal wie Stephan zu seiner Meinung gekommen war, dass er sich einmischen musste. Schließlich ging ihr Leben ihn herzlich wenig an.
Irgendwie hatte sich ihr Verhältnis in letzter Zeit etwas abgekühlt, überlegte Oliver. Er hatte keine Ahnung warum, er konnte nicht mal konkret sagen, weshalb er das Gefühl hatte, dass es so war, aber es war definitiv so, dass sie beide angespannter waren und schneller angepisst, wenn der Andere etwas sagte. Das war erst recht albern, schließlich waren sie keine kleinen Mädchen, die sich bei jedem falschen Wort anzickten. Aber wie sollte er es ändern? Es war eine Sache ein Problem zu erkennen, jedoch eine ganz andere es zu beheben.

Am Wochenende kam erstmal Sophies Umzug, der zum Glück nicht so wild war, da sie, was große Möbel anging, ja lediglich ihr Bett und den Schreibtisch von zuhause mitnahm. Markus und Paula kamen ebenfalls zum helfen und noch eine Freundin von Sophie, Claudia, eine kleine quirlige, die aber total freundlich und nett war. Zusammen war die Sache ziemlich schnell über die Bühne, obwohl Rebecca, die schon einen bösen Blick von Oliver erntete, wenn sie nur einen größeren Umzugskarton ansah, sich die meiste Zeit mit Hilfsarbeiten wie Kaffee kochen und Kissen, Decken und unverpackten Kleinkram hochtragen, begnügte.
Als Sophie und Markus losgefahren waren, um die letzte Fuhre zu holen, saßen die fünf Anderen in der Küche und warteten.
Rebecca musste grinsen, als Stephan etwas sagte und Claudia ihn von unten bewundernd anlächelte. Sie konnte sich schon denken, wer Sophie in nächster Zeit oft besuchen kommen würde.
Sie setzte sich auf Olivers Schoß, denn in die kleine Küche passten maximal drei Stühle und da Paula bereits auf einem saß, wollte sie den letzten Platz nicht auch noch belegen.
Stephan, der mit Claudia an der Küchenzeile lehnte, schien es entweder nicht aufzufallen, wie er angehimmelt wurde oder er hegte umgekehrt kein ähnliches Interesse, denn sobald er Claudia dazu überredet hatte sich doch hinzusetzen, wandte er sich Paula zu. „Hey, ich hab gehört du hast einen neuen Freund?“
„Oh bitte, Stephan, nicht wieder eine Gardinenpredigt, die hab ich mir von ihm...“ sie deutete auf Oliver „...schon oft genug angehört.“
Stephan hob abwehrend die Hände. „Keine Angst, ich hab ganz bestimmt nicht vor, mich in dein Leben einzumischen, selbst wenn´s mich stören würde, hätte ich wohl kaum ein Recht dazu.“ Claudia sah interessiert zwischen ihnen hin und her, scheinbar hatte Sophie vergessen zu erwähnen, dass ihr neuer Mitbewohner nicht nur der beste Freund ihres Bruders, sondern auch der Ex-Freund ihrer Schwester war. „Ich wollt dir eigentlich nur sagen, dass es mich für dich freut und ich hoffe, dass du glücklich bist.“
Stephan und Paula sahen sich einen Moment schweigend an und man konnte das Knistern in der Luft förmlich spüren. Rebecca drehte sich zu Oliver um, doch der antwortete ihr mit einem eindeutigen keine Angst, da misch‘ ich mich bestimmt nicht ein-Blick.
Schließlich meinte Paula mit einem kleinen Lächeln: „Danke. Du bist vermutlich der erste der das so sieht.“
Stephan warf Rebecca nur einen ganz kurzen Blick zu, doch sie wusste sofort, dass er daran dachte, dass sie genau dasselbe gesagt hatte. Zu Paula sagte er jetzt grinsend: „Das kann ich mir vorstellen...“ Was dazu führte, dass er von einem Brötchen getroffen wurde, dass Oliver nach ihm warf.

Später fragte Sophie wie es eigentlich in der Namensfrage aussähe.
„Bitte, nicht schon wieder!“ reagierte Oliver genervt. Und Rebecca fügte lächelnd hinzu: „Muss ich dazu noch mehr sagen?“
Sophie sah ihren Bruder streng an: „Also wirklich Oliver, ein bißchen mehr Begeisterung könntest du schon an den Tag legen!“
„Hör dir ihre Vorschläge an, dann weiß du wie´s mir geht“, erwiderte Oliver grimmig in dem er auf Rebecca deutete.
„Hallo?“ fragte die zurück „Bis jetzt hab ich ja nur zwei Vorschläge gemacht. Und egal welche Assoziationen du dabei hast, ich finde Lena weder altmodisch noch sonst irgendwie schräg!“
Paula und Sophie pflichteten ihr bei, dass Lena in der Tat ein süßer Name wäre und Stephan, bei dem der Groschen anscheinend längst gefallen war, bekam einen Lachanfall. Als er sich wieder einigermaßen erholt hatte, meinte er schließlich keuchend: „Ich kann sehr gut verstehen, dass du dein Kind nicht Lena nennen willst!“ Er und Oliver grinsten sich in schweigendem Einvernehmen an.
Da Stephan die Neugier von Olivers Schwestern nur zu gut kannte, fragte er, um sie abzulenken, schnell weiter: „Wie war denn der andere Vorschlag?“
Rebecca lächelte: „Mio, also für einen Jungen.“
Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann prusteten plötzlich alle los, selbst Markus, der der Diskussion bis dahin eher desinteressiert gelauscht hatte, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Rebecca sah sich empört um: „Pff, ihr habt doch alle keinen Geschmack!“
„Das ist wohl Geschmackssache!“ prustete Paula und löste damit eine neue Lachsalve aus.
Rebecca setzte einen leicht schmollenden Gesichtsausdruck auf und meinte schließlich zu Oliver: „Ok, du hast gewonnen, Mio fällt weg!“
Oliver zog sie lachend an seine Schulter und erwiderte fröhlich: „Du glaubst gar nicht, was du mir damit für eine Freude machst!“
„Und dem Kind erst!“ kicherte Paula, die sich immer noch nicht wieder ganz einbekommen hatte.
Schließlich verabschiedeten Oliver und Rebecca sich aber auch recht zügig, da sie Jan zum ersten Mal mit seinem neuen Babysitter alleine gelassen hatten und Rebecca, obwohl sie wusste, dass sie nicht so sehr klammern sollte, dennoch etwas Bedenken hatte.
Allerdings vollkommen unbegründet, wie sie zuhause feststellten. Britta, eine einundzwanzigjährige Studentin, hatte alles im Griff und Jan wollte sie am liebsten schon gar nicht mehr gehen lassen. Somit hatten sie glücklicherweise auch sofort einen Babysitter für Stephans Geburtstagsparty am folgenden Wochenende, die vermutlich auch gleichzeitig Sophies Einweihungsparty werden würde.

„Klara!“ rief Rebecca plötzlich. Oliver sah verwirrt auf: „Was?“ Er saß in der Küche und hatte gelesen, bis Rebecca gerade hereingekommen war.
„Wenn`s ein Mädchen wird, dann nennen wir sie Klara“, wiederholte Rebecca begeistert.
Oliver sah sie skeptisch an. „Klara? Ist das dein Ernst?“
„Allerdings!“ gab Rebecca fest zurück. Dann musterte sie Oliver auf einmal beinahe ängstlich. „Findest du den Namen sehr schlimm?“
Er konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen. „Das überleg ich mir noch... dabei fällt mir ein, was wäre denn mit Anna?“
„Hmm,... Anna... Anna...“ sie ließ den Namen förmlich auf der Zunge zergehen. „Ich weiß nicht, schön, aber ... so normal...“
„Und was ist an normal verkehrt?“ erkundigte er sich mit hochgezogenen Augenbrauen, doch sie probierte bereits weiter und achtete nicht auf ihn. „Anna Klara .... Klara Anna... nee, hört sich nicht so toll an, oder?“
„Gibt Schöneres“, gab er trocken zu, dann meinte er: „Ist Marie auch zu normal?“
Sie überlegte einen Moment. „Marie ist toll! Klara Marie ... Marie Klara, Nein, Klara Marie ... Klara Marie Spengler...“ Er stöhnte auf und sie warf ihm einen Blick zu. „Was hältst du von Klara Marie Spengler?“
„Du bist mit der Klara-Nummer noch nicht durch, hm?“
„Ach komm schon, Klara ist so schön.“ Sie sah ihn bittend an und zog einen Schmollmund, bevor sie noch hinzufügte: „Wir können Anna auch noch reinnehmen: Klara Anna Marie, ja, ich glaub, das gefällt mir auch noch besser!“
Er zog sie mit einem Seufzer heran, bis sie genau vor ihm stand, so dass er zu ihr aufsehen musste: „Findest du nicht, dass das ziemlich viele Namen sind, für so einen kleinen Wurm?“ Er küsste zärtlich ihren runden Bauch und schlang die Arme fester um ihre Taille.
„Klara Anna Marie Spengler“, wiederholte sie langsam. „Ich find, es hört sich genau richtig an.“ Sie drückte ihm einen Kuss auf die verwuschelten Haare und blieb noch einen Moment so eng bei ihm stehen, dann löste sie sich jedoch ein wenig und fragte ernsthaft: „Ganz ehrlich, findest du´s total scheiße?“
Er überlegte einen Augenblick, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, es geht, aber gib mir drei Tage, um mich dran zu gewöhnen.“ Und vielleicht, so dachte er im Stillen, hatte sie bis dahin ohnehin alles wieder umgeschmissen. Plötzlich fiel ihm etwas ein: „Aber versteif dich nicht zu sehr auf den Namen, es könnte immerhin auch noch ein Junge werden.“
Zu seiner Verwunderung schüttelte sie jedoch lachend den Kopf. „Nein, glaub mir, das wird ein Mädchen!“
Er sah sie überrascht an. „Woher weißt du das? Hat der Arzt...?“
„Nein“, wieder schüttelte sie den Kopf, „Ich weiß es einfach.“
„Aha, dann ist ja gut“, gab er ironisch zurück.

Oliver hatte sich nicht geirrt, schon am nächsten Morgen hatte Rebecca sich beinahe umentschieden, und das nicht nur was den Namen anging.
Er war noch im Halbschlaf, als sie wisperte: „Bist du wach?“
„Hmm...“ gab er verschlafen zurück, ohne die Augen zu öffnen, doch Rebecca brauchte nicht mehr als Aufforderung.
„Was hältst du von Alix? Ich finde, das hört sich nicht so brav an wie Klara.“
Er gab erneute ein unbestimmtes „Hmm“ von sich und als sie schwieg, dachte er schon, er könnte noch ein bißchen weiterschlafen. Leider sah sie das anders. „Aber vielleicht wird’s doch ein Junge...“ Wieder schwieg sie kurz, doch Oliver wagte nicht mehr zu hoffen, dass das von Dauer sein könnte.
Auf einmal sagte sie fest: „Wenn´s ein Junge wird, dann will ich auf jeden Fall, dass wir ihn Ben nennen!“
Er öffnete die Augen und drehte sich zu ihr um. „Süße, ich bin voll und ganz mit Ben einverstanden, vorausgesetzt du benutzt deinen Mund in der nächsten Stunde für alles andere aber nicht um zu reden...“
Sie kicherte. „Damit kann ich leben.“ Und dann nutzte sie ihren Mund ganz eindeutig nicht mehr zum Reden...

Am Nachmittag klingelte das Telefon und Rebecca wäre beinahe aus den Latschen gekippt, als sie eine ältere aber energische Männerstimme am anderen Ende sagen hörte: „Hallo Rebecca, Wilhelm Spengler hier, ich würde gerne Oliver sprechen.“
„Äh, ja...“ Rebecca war einen Moment sprachlos, doch als sie sich wieder gefangen hatte, antwortete sie: „Es tut mir leid, Oliver ist im Moment nicht da. Er ist mit Jan schwimmen gegangen. Soll ich ihm etwas ausrichten?“
„Hm, wann wird er denn ungefähr wieder zurück sein?“ erkundigte sich Olivers Großvater.
Rebecca warf einen Blick auf ihre Uhr. „Spätestens in einer Stunde.“ schätzte sie dann vage.
„Sag ihm bitte, dass ich heute Abend um 18 Uhr vorbeikommen werde.“ Etwas verspätet fiel ihm ein zu fragen: „Ihr habt doch Zeit, oder?“
Rebecca schluckte: „Ääh, Ja.“ „Gut, dann bis später“, kam die resolute Antwort und bevor Rebecca noch etwas erwidern konnte, wurde aufgelegt.
Sie starrte einen Moment auf das Telefon in ihrer Hand. Wow, was sollte das nun wieder? Nicht nur, dass Olivers Großvater bei ihnen anrief, was er bisher noch nie getan hatte, er wollte auch noch vorbeikommen und das wo er ihr und Jan in den letzten drei Jahren freiwillig nicht näher gekommen war, als es auf einem Familienfest unvermeidlich war.
Als Oliver mit Jan nachhause kam, erzählte sie ihm sofort was passiert war. Bevor er etwas dazu sagen konnte, richtete Jan, der vom Schwimmen müde auf Olivers Arm hing, sich plötzlich auf und fragte hocherfreut: „Opa kommt?“ Rebecca schüttelte lächelnd den Kopf: „Nein, Schatz, Papas Opa kommt, nicht deiner.“
Jan sah verwirrt von ihr zu Oliver, dann sagte er voller Überzeugung: „Papa hat keinen Opa!“
„Oh doch, leider“, erwiderte Oliver und Rebecca fügte hinzu: „Ich habe doch auch einen Opa und eine Oma, das weißt du doch. Die Mama und der Papa von deiner Oma Annika sind mein Opa und meine Oma und dein Uropa und deine Uroma.“ Mit dieser Erklärung musste Jan sich für´s erste zufrieden geben, denn Oliver wollte nun von Rebecca wissen, was sein Großvater genau gesagt hätte.
Rebecca zuckte die Schultern: „Nicht viel, er wollte dich sprechen und als ich dann gesagt hab, dass du nicht da bist, da meinte er, ich soll dir sagen, dass er heut Abend kommt und dann hat er auch schon wieder aufgelegt.“
„Komisch, ich hätte nicht gedacht, dass er freiwillig hier vorbeikommt. Ich hab erwartet, dass er versucht mich alleine zu treffen.“ Er ging vor Rebecca her in die Küche und fragte über die Schulter: „Soll Jan jetzt schon was essen?“ Jans „Kein Hunger!“ ignorierend antwortete Rebecca: „Ja, so müde wie er ist, schläft er nachher beim Essen ein.“
Oliver setzte den protestierenden Jan in seinen Hochstuhl, aus dem der Kleine sofort wieder herauszuklettern versuchte. Rebecca hielt in fest und meinte: „Nein, Jan! Sitzen bleiben, wenn du da runterfällst, dann tust du dir weh. Außerdem, wenn du jetzt brav bist, dann darfst du nachher noch ein bißchen länger spielen bevor du ins Bett musst.“ Damit rang sie Jan sein widerwilliges Einverständnis ab.
Nachdem das erledigt war, erkundigte Oliver sich neugierig: „Hat er zufällig gesagt, ob Oma mitkommt?“
„Nö.“ Rebecca sah von Jans Brot auf. „Glaubst du es wäre besser wenn sie mitkommt?“
„Ich bin nicht sicher...“ meinte Oliver, während er sich auf die Arbeitsplatte setzte und sich einen Apfel schnappte. „Einerseits hatte ich immer das Gefühl, dass sie gerne mehr von Jan mitbekommen würde, andererseits geht eine wilde Ehe...“ das sagte er mit einem Grinsen „...absolut gegen ihre moralischen Grundsätze.“
„Naja, immerhin führen wir mittlerweile keine wilde Ehe mehr“, meinte Rebecca säuerlich.

Wilhelm kam schließlich alleine. Jan spielte im Wohnzimmer mit seinen Autos, als Oliver seinen Großvater hereinführte. Der Kleine flüchtete sich zuersteinmal zu seiner Mutter auf den Schoß, von diesem sicheren Ort aus, traute er sich dann allerdings den Neuankömmling in skeptischem Ton zu fragen: „Bist du Papas Opa?“
Wilhelm sah seinen Urenkel mit einem freundlichen Lächeln an und nickte: „Ja, der bin ich.“
Zu Rebeccas Überraschung stellte Jan daraufhin fest: „Dann bist du mein Uropa.“
Oliver lächelte. „Jan ist die Vorstellung, dass ich auch einen Opa habe noch nicht so ganz geheuer“, sagte er dann erklärend. Sein Großvater lächelte ebenfalls: „Oh, das war bei dir nicht anders, als du meinen Vater kennengelernt hast.“
Oliver sah ihn erstaunt an. „Ich hab Uropa kennengelernt? Daran kann ich mich gar nicht erinnern.“
„Ja, du musst ungefähr in Jans Alter gewesen sein“, Wilhelm zögerte einen Moment. „Das ist auch der Grund, warum ich hier bin.“ Er räusperte sich und sah von Oliver zu Rebecca. „Ich möchte nicht, dass eure Kinder sich an mich auch irgendwann nicht mehr erinnern können. Deine Großmutter denkt übrigens genauso wie ich.“ Er zögerte nocheinmal kurz, dann sah er Rebecca fest an. „Wir möchten uns für unser Verhalten dir und Jan gegenüber in den letzten Jahren entschuldigen. Es war nicht richtig von uns, wie wir uns dir gegenüber verhalten haben, als Rechtfertigung dafür kann wohl höchstens dienen, dass wir uns Sorgen um Oliver gemacht haben. Aber wie gesagt, wir möchten uns entschuldigen.“
Bevor Rebecca diese Entschuldigung annehmen oder auch nur etwas erwidern konnte, fragte Oliver ruhig: „Warum ist Oma nicht hier, wenn euch das so wichtig ist?“
Wilhelm schwieg einen Moment, als würde er abwägen, was er ihnen erzählen sollte, schließlich sagte er mit einem unterdrückten Seufzer: „Sie weiß nicht, dass ich hier bin. Ich wollte erst einmal alleine mit euch sprechen. Es geht ihr in letzter Zeit nicht sehr gut, ihr Herz.... Ich wollte nicht, dass sie sich aufregt.“
Oliver sah seinen Großvater alarmiert an: „Ihr Herz? Ist es was Ernstes?“
„Nein“, sein Großvater schüttelte den Kopf. „Aber wir sind eben beide nicht mehr die Jüngsten.“
Daher wehte also der Wind, dachte Rebecca. Die beiden hatten das Gefühl alt zu werden und wollten sich deshalb mit ihrem Enkel und dessen Familie aussöhnen. Durchaus verständlich und sie schienen es ehrlich zu meinen. Zumindest hatte sie diesen Eindruck. Deshalb lächelte Rebecca den alten Mann jetzt auch an und sagte: „Ich nehme die Entschuldigung auf jeden Fall an. Und ich freue mich, dass sie Jan als ihren Urenkel akzeptieren.“
„Danke. Es wäre schön, wenn ihr morgen Abend zum Essen zu Andrea kommen könntet, dann wird meine Frau auch da sein. Sie freut sich schon sehr darauf Jan zu sehen.“
Rebecca und Oliver willigten sofort ein.
Nachdem Wilhelm gegangen war, drückte Oliver Rebecca einen Kuss auf die Wange und meinte: „Wow, damit hätte ich jetzt wirklich nicht gerechnet.“
Rebecca nickte: „Ja, wenn das nicht mal eine Wendung um hundertachzig Grad war.“
Sie brachten Jan ins Bett, der ausnahmsweise so müde war, dass er kaum protestierte. Als sie danach im Wohnzimmer saßen, fiel Rebecca plötzlich ein, dass Oliver ihr ja noch eine Geschichte schuldete.
„Hey, du wolltest mir doch noch von dieser Maike erzählen, oder?“
„Von wollen kann ja wohl mal gar keine Rede sein“, gab Oliver mit einem Grinsen zurück und legte den Arm um Rebeccas Schultern.
„Komm schon, neugiieriiig...“ bettelte Rebecca und kuschelte sich enger an ihn.
„Dir ist aber schon klar, dass das Ganze auch andersrum geht, oder?“ fragte er amüsiert.
Doch Rebecca schüttelte lächelnd den Kopf. „Nee, ich hab gar nicht genug Ex-Freunde, als dass du das bei mir auch machen könntest.“
„Hm, das denkst du vielleicht.“ Rebecca lachte: „Lenk nicht ab, ich will jetzt endlich hören, wer Maike war.“
„Na gut, da du eh keine Ruhe gibst...“ er gab ein theatralisches Stöhnen von sich, begann dann aber zu erzählen: „Also, Maike kam nach Lena.“
„Wieder die Schwester eines Freundes?“ unterbrach Rebecca ihn neckend.
„Haha!“ gab er ironisch zurück. „Nein, Maike hab ich... über eine Ex-Freundin von Stephan kennengelernt, ... mehr oder weniger...“
„Oh, dabei fällt mir ein,...“ unterbrach Rebecca ihn erneut „...ist dir eigentlich aufgefallen, wie diese Claudia Stephan gestern angehimmelt hat?“
„Claudia?“ Oliver sah sie verständnislos an.
„Ja, die Freundin von Sophie“, antwortete Rebecca ungeduldig. „Allerdings hat Stephan es ziemlich ignoriert, meinst du er hängt immer noch an Paula?“
Oliver zuckte die Schultern: „Mittlerweile glaub ich das eigentlich nicht, aber Claudia ist auch definitv nicht sein Typ.“
Rebecca sah erstaunt auf: „Wie, nicht sein Typ? Sie ist doch total hübsch, ich mein, klein, zierlich, rote Locken...“
Oliver lachte: „Und? Nur weil sie dein Typ ist, muss sie Stephan doch nicht gefallen.“
„Ach ja? Worauf steht Stephan denn dann bitte?“
Oliver zuckte ärgerlich die Schultern: „Keine Ahnung, guck dir eben Paula an!“
Ok, Rebecca musste ihm zugestehen, dass Paula ein ganz anderer Typ war als Claudia, größer, dunkler und nicht so flatterig, piepsig. Aber trotzdem, ging Stephan in der Auswahl seiner Freundinnen so krass nach dem Aussehen?
„Naja, erster Eindruck“, meinte Oliver lediglich dazu und natürlich hatte er auch damit Recht. „Aber er war doch nicht immer nur mit großen, dunkelhaarigen, schlanken, sportlichen Mädels zusammen, oder?“ fragte Rebecca schließlich skeptisch.
„Nein“, gab Oliver zu. „Es ist jetzt nicht so, dass er ein Mädel mag, dann aber sagt: Nein, die ist blond, die will ich nicht! Aber er steht eben schon eher auf dunkle Mädels.“ Plötzlich grinste er, „Du wärst zum Beispiel genau sein Typ.“
„Echt?!“ fragte Rebecca überrascht, dann meinte sie aber: „Das hättest du mir jetzt nicht sagen sollen.“
Oliver sah sie fragend an: „Wieso nicht?“ dann neckte er sie mit einem Lachen in der Stimme: „Ist er etwa auch dein Typ?“
Rebecca wollte ihm erst ärgerlich antworten, dass Stephan das natürlich nicht wäre, doch dann antwortete sie ebenfalls breit grinsend: „Naja, schlecht sieht er zumindest nicht aus und ich meine, ein Sportstudent...“
„Hey!“ Oliver sah sie empört an, „Denk nicht mal dran!“ „Mann, du bist so süüüß, wenn du eifersüchtig bist!“ erwiderte Rebecca lachend. Was Oliver natürlich sofort veranlasste darauf hinzuweisen, dass er keinesfalls eifersüchtig wäre. Schließlich wurden sie aber doch wieder ernst und Oliver erkundigte sich nocheinmal, warum er ihr nicht hätte sagen sollen, dass sie Stephans Frauentyp entsprach.
Rebecca musste einen Moment überlegen, ehe sie antworten konnte. „Ich kann´s nicht so richtig erklären“, begann sie schließlich. „Aber irgendwie ist das komisch, weil ich jetzt bestimmt denke, dass er irgendwelche Hintergedanken hat, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.“ Sie berichtigte sich. „Nein, Hintergedanken hört sich irgendwie falsch an. Aber kennst du das nicht, wenn ein guter Freund, bzw. in deinem Fall eine gute Freundin, sich in dich verliebt hat und es dir sagt, du willst aber absolut nichts von der Person und dann hast du erstmal das Gefühl, du müsstest auf Abstand gehen, damit sich derjenige nicht irgendwelche Hoffnungen macht?“
Oliver konnte es nur zu gut nachvollziehen, schließlich ähnelte das ansatzweise dem Gefühl, dass er in letzter Zeit ein wenig mit Lisa verbunden hatte. Das sagte er Rebecca aber lieber nicht, sondern nickte lediglich, während er sie aber gleichzeitig darauf hinwies: „Stephan ist aber nicht in dich verliebt, hoff ich zumindest, also brauchst du dir auch keine Gedanken zu machen. Davon abgesehen, hat er nicht selber gesagt, dass du sein Typ bist, dass hab ich nur behauptet.“
„Stimmt“, gab Rebecca zu. „Wahrscheinlich ist das Gefühl auch wieder weg, sobald ich ihn das nächste Mal sehe.“
„Eben!“ meinte Oliver überzeugt und flitschte den Fernseher an, während er noch hinzufügte: „Und wenn nicht, werd ich wirklich eifersüchtig.“

Als sie im Bett lagen, fiel Oliver ein, dass Rebecca über die Stephan-Disskusion glücklicherweise Maike komplett vergessen hatte. Das war ihm, wie er sich selbst eingestehen musste, gar nicht so unrecht. Er war wirklich nicht wild darauf von Maike zu erzählen. Katharina und Lena waren so lange her und an beiden lag ihm schon lange nichts mehr und vor allem war er in beiden Fällen derjenige gewesen der Schluß gemacht hatte, doch mit Maike war alles ein bißchen anders gewesen. Nicht zuletzt Maike selbst war anders. Vermutlich, dachte er, die interessanteste Frau die er jemals kennengelernt hatte. Und das hatte absolut nichts damit zu tun, dass er Rebecca oder Lisa oder eine seiner anderen Freundinnen für langweilig hielt, aber Maike war eben anders. Außerdem war er auf die Geschichte mit Maike nicht unbedingt stolz. Und er wusste nicht, ob er das Alles so erzählen konnte, dass es für Rebecca nicht irgendwie seltsam klang. Aber wenn sie darauf bestand, dann würde er ihr die Wahrheit sagen. Schweigen war eine Sache, Lügen eine ganz andere.

Am nächsten Abend bei Andrea, war Rebecca, trotz des Besuches von Wilhelm am vorangegangenen Tag, überrascht wie ehrlich herzlich sie auch von Olivers Großmutter empfangen wurde. Die alte Dame wiederholte die Entschuldigung ihres Mannes nocheinmal und genoß es dann sichtlich sich endlich einmal ausgiebig ihrem ersten Urenkel widmen zu können.
Was Rebecca ebenfalls überraschte, war wie locker die beiden zum einen mit der Tatsache umgingen, dass Andrea einen neuen Freund hatte und zum anderen auch damit, dass Paula nicht nur einen neuen Freund, sondern auch direkt dessen zwei Kinder, hatte.
Im Laufe des Abends fiel Rebecca allerdings auch auf, dass Olivers Oma, Maria, ziemlich schnell erschöpft wirkte. Was natürlich auch verständlich war, in ihrem Alter und dann noch mit drei kleinen, den ganzen Abend lang quäkenden Kinder um sich herum. Trotzdem kam ihr irgendwann der Gedanke, dass Wilhelm ihnen am Vorabend vielleicht nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte, was den Gesundheitszustand seiner Frau anging. Das, überlegte sie schließlich, konnte tatsächlich auch ein guter Grund dafür sein, dass die beiden sowohl die Fehde gegen sie beigelegt hatten, als auch dafür, dass sie die anderen familiären Veränderungen so verhältnismäßig gelassen hinnahmen.
Sophie wirkte an diesem Abend richtig fröhlich und zufrieden, was Rebecca freute, denn sie hatte die letzten Male an denen Rebecca sie in der Umgebung ihres Elternhauses gesehen hatte immer einen wesentlich angespannteren Eindruck gemacht. Allerdings hielt sie sich auch die meiste Zeit in Markus Nähe auf und wich ihm kaum von der Seite, aber schließlich, dachte Rebecca, waren die beiden ja auch noch frisch verliebt.
Irgendwann erkundigte Oliver sich bei seiner kleinen Schwester: „Und, wie läuft´s mit Stephan, benimmt er sich?“
Sophie lachte: „Oh ja, ich kann mich nicht beschweren.“ Dann konnte sie es sich nicht verkneifen ihren Bruder ein bißchen aufzuziehen: „Allerdings hat er auch schon prophezeit, dass du mich genau das fragen würdest.“
Oliver zuckte grinsend die Schultern: „Tja, wir kennen uns eben ziemlich gut.“
Als er das sagte, warf Paula Rebecca einen kurzen fragenden Blick zu und die schüttelte zur Antwort kaum merklich den Kopf. Sie hatte Oliver nicht erzählt, dass Paula damals ein Kind von Stephan gewollt hatte und in nächster Zeit würde sie es wohl auch nicht tun. Manche Sachen musste er wirklich nicht wissen, zumindest nicht, solange noch die Gefahr bestand, dass er deshalb einen völlig überflüssigen Wutanfall bekommen würde.

Kapitel 9

Rebecca stand mal wieder unschlüssig vor ihrem Kleiderschrank, als Oliver mit Jan auf dem Arm das Schlafzimmer betrat. „Na, hast du nicht endlich mal was gefunden?“ Es war Samstagabend und sie wollten gleich zu Stephan und Sophie fahren, allerdings stand Rebecca seit mittlerweile mindestens einer dreiviertel Stunde vor ihrem Schrank ohne sich entschließen zu können was sie anziehen sollte.
Gerade verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah Oliver trotzig an. „Muss ich überhaupt mit? Kannst du nicht einfach alleine hingehen?“
Oliver stöhnte: „Was ist denn jetzt schon wieder los?“
„Verdammt, selbst wenn ich was zum Anziehen finde, was nicht total scheiße aussieht, dann wird trotzdem jeder sehen, dass ich schwanger bin und ich stapfe rum wie ´ne fette Wachtel!“ antwortete Rebecca frustriert und ließ sich rücklings auf ihr Bett fallen.
Jan strampelte sich mit einem „Auch auf’s Bett!“ von Olivers Arm und krabbelte zu Rebecca, wo er sich an sie kuschelte. „Mama zuhause bleiben.“
„Oh Nein“, erwiderte Oliver. „Mama und ich gehen heute Abend weg und Britta kommt her um auf dich aufzupassen.“
„Nein!“ protestierte Jan sofort lautstark. Rebecca warf Oliver einen genervten Blick zu. Musste das jetzt sein? Ein Trotzanfall war das Letzte, was sie noch gebrauchen konnte. Seufzend setzte sie sich auf und zog den Kleinen auf ihren Schoß. „Pass, auf, nachher kommt Britta vorbei und du darfst ein bißchen mit ihr spielen, ist das schön?“ Jan nickte, sah seine Mutter aber gleichzeitig noch immer skeptisch an und Rebecca fuhr fort: „Papa und ich besuchen einen Freund...“ hätte sie Stephan gesagt, dann hätte Jan mit Sicherheit darauf bestanden mitkommen zu wollen und das hätte dann erst recht Stress gegeben „...aber wir kommen ganz schnell wieder zurück und dann sagen dir noch gute Nacht.“ Widerwillig gab Jan sein Einverständnis, doch Rebecca ahnte schon jetzt, dass es garantiert noch eine Disskusion geben würde, wenn sie dann wirklich gehen wollten. Doch für`s erste war die Situation entschärft und sie schickte Jan ins Wohnzimmer, damit er sich schon einmal aussuchte, was er mit Britta noch spielen wolle. Als sie alleine waren, meinte Oliver schließlich, nun ebenfalls etwas genervt: „Du willst mir aber jetzt nicht ernsthaft sagen, dass du zuhause bleibst, oder?“
„Wäre das denn wirklich so schlimm?“ fragte Rebecca jetzt bettelnd, da sie keinen Streit provozieren wollte.
„Ach, tu was du nicht lassen kannst!“ erwiderte Oliver ungeduldig ohne ihren bettelnden Tonfall zu beachten und machte auf dem Absatz kehrt um das Zimmer zu verlassen.
„Oliver...“ Er drehte sich langsam um und sah sie mit fragend hochgezogenen Augenbrauen an. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht schon wieder so rumnörgeln.“
Er schwieg einen Moment, dann schloss er dir Tür wieder hinter sich und lehnte sich dagegen: „Entschuldige, ich hab einfach den Eindruck, dass du genau wissen müsstest, dass du weder fett bist, noch scheiße aussiehst, egal was du anziehst, aber ich hab das Gefühl, egal wie oft ich dir das sage, es macht ohnehin keinen Unterschied.“
Sie sah ihn an. „Tut mir leid. Ich weiß, ich bin schrecklich im Moment.“ Sie zögerte kurz, doch dann fuhr sie fort: „Aber ehrlich gesagt, geht´s mir gerade gar nicht so sehr um mein Aussehen. Oder irgendwie schon, aber nicht so wie du denkst...“
„Ach ja?“ er sah sie fragend an.
„Ich mein, erstens werden da nur Freunde von Stephan und Sophie sein, also nur junge Leute in unserem Alter und zweitens wird Manu da sein...“ Zwischen ihnen herrschte nach wie vor Funkstille, denn nachdem Manu sich nicht gemeldet hatte, war Rebecca wider erwarten ebenfalls stur geblieben und hatte es nicht eingesehen den ersten Schritt zu machen. Leider fand sie die Vorstellung Manu nun aber heute Abend zu begegnen nicht unbedingt prickelnd, was Oliver auch verstehen konnte. „Aber weshalb bitte stört es dich, dass das eine stinknormale Party mit jungen Leuten ist?“ fragte er verwirrt.
„Ich weiß nicht, ich... es ist so blöd... aber, ich find´s einfach scheiße, dass jeder sofort sehen wird, dass ich schwanger bin“, brach es schließlich aus ihr heraus.
Oliver sah sie verständnislos an: „Was? Wie meinst du das?“
Das war eine gute Frage. Wie meinte sie das? „Ich glaub, es hört sich total blöd an, aber irgendwie, nachdem was Manu letztens gesagt hat und so, hab ich mir auf einmal vorgestellt, als was mich andere Mädels in meinem Alter sehen und...“ sie zögerte „... und ich hab irgendwie das Gefühl, als würden mich heute Abend alle blöd anstarren..., ach, keine Ahnung, ist ja auch egal. Ich bin einfach nur paranoid.“
Oliver setzte sich langsam neben sie auf`s Bett. Er setzte an etwas zu sagen und starrte sie stattdessen einen Moment sprachlos an. Schließlich fragte er stockend: „Hör mal..., schämst du dich?“
„Quatsch, Nein!“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Ich find nur, es müsste einfach nicht jeder auf den ersten Blick wissen, dass ich schwanger bin.“
Oliver griff nach ihrer Hand und sah sie reumütig an. „Hey, wenn du wirklich lieber hier bleiben willst, dann ist das in Ordnung.“
„Ach was! Wär doch albern. Wie gesagt, ich bin einfach ein bißchen paranoid. Und jetzt raus, ich brauch meine Ruhe, sonst find ich nie das richtige Outfit.“ Damit drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange und schob ihn in Richtung Tür.

Das richtige Outfit war schließlich ein knielanger brauner Rock und ein relativ enges beigefarbenes Spaghettiträgeroberteil, beides kein bißchen geeignet um ihren Babybauch zu kaschieren, doch es stand ihr gut und sie hatte gedacht, wenn ohnehin alle bemerkten, dass sie schwanger war, was mittlerweile kaum noch zu verbergen war, dann war es ohnehin egal was sie anzog. Sie drehte sich nocheinmal vor dem Spiegel hin und her und stellte fest, dass sie zufrieden war mit ihrem Aussehen. Im selben Moment bewegte sich das Baby und Rebecca legte lächelnd eine Hand auf ihren Bauch und murmelte leise: „Na, freust du dich schon auf die Party, hm?“ Beruhigend strich sie über die Rundung ihres Bauches und schmunzelte bei dem Gedanken, dass sie da vielleicht schon eine kleine Partymaus mit sich herumtrug.

Als sie ankamen, war die Party bereits mehr oder weniger in vollem Gange. Manu und Timm waren glücklicherweise noch nicht da, aber dafür erwartete Paula sie bereits in Sophies Zimmer.
„Na, Schwesterchen, hast du Ausgang bekommen?“ neckte Oliver sie. Doch sie ließ sich nicht von ihm ärgern und erwiderte im selben Ton: „Genau wie ihr, wie ich sehe.“
Oliver grinste sie an, wechselte aber das Thema und erkundigte sich wo Stephan wäre. Nachdem sie ihn gefunden und ihm gratuliert hatten, ließ Rebecca Oliver bei seinen Jungs, sprich in der Küche beim Bier, stehen und schlenderte wieder in Sophies Zimmer zurück um Paula Gesellschaft zu leisten.
Die beiden hatten es sich gerade auf Sophies Bett bequem gemacht, als Paula ihren Blick aus der Zimmertür schweifen ließ und dann mit einem fröhlichen Lächeln zu Rebecca meinte: „Man, die beiden turteln wie mit sechzehn.“ Rebecca brauchte einen Moment, bis sie erkannte, dass Paula von Sophie und Markus sprach. Sophie lehnte gerade im Flur an der Wand, gegenüber ihrer Zimmertür und knutschte leidenschaftlich mit ihrem Freund, was eigentlich süß war, aber Rebecca vermuten ließ, dass Sophie nicht mehr ganz nüchtern war.
„Stephan hat mir vorhin erzählt, dass Markus jede Nacht hier war, seit Sophie eingezogen ist“, fuhr Paula gerade fort.
„Und, was hat Stephan dagegen? Sind sie ihm zu laut?“ fragte Rebecca grinsend.
Paula lachte laut auf. „Nicht, dass er´s explizit gesagt hätte, aber ich könnt mir vorstellen, dass du damit nicht gerade falsch liegst.“
In dem Moment kam Claudia an, nachdem sie Paula und Rebecca begrüßt hatte, machte sie sich auch sofort auf die Suche nach Stephan, was Rebecca extrem lustig fand, schließlich war Claudia eigentlich wohl doch eher als Sophies Gast da. Das meinte sie auch zu Paula, die der Freundin ihrer Schwester ohnehin skeptisch nachblickte. Jetzt sah sie ihre Schwägerin an und meinte mit einem Schulterzucken: „Armes Mädel, ich glaub nicht, dass sie eine große Chance hat.“ Rebecca schüttelte leicht den Kopf und meinte, dass Oliver das auch schon gesagt hätte. „Stimmt ja auch“, erwiderte Paula überzeugt. Rebecca sah sie etwas erstaunt an: „Du hörst dich fast so an, als würdest du dir wünschen, dass es so ist.“
„Ach was, ich würde es Stephan gönnen, aber sie ist nicht das Wahre“, antwortete Paula schnell. Rebecca war sich nicht sicher, ob sie es ihr ganz abnahm, aber andererseits hatte Paula ja ihren Christian, mit dem sie glücklich war, weshalb sollte sich also plötzlich wieder bei Stephan ihre Eifersucht zeigen.

Schließlich kam der Punkt vor dem Rebecca sich beinahe am meisten gefürchtet hatte, an diesem Abend. Timm und Manu kamen. Zumindest dachte Rebecca, dass es so wäre, als sie Timm im Flur sah, doch zu ihrer Überraschung musste sie dann feststellen, dass Timm alleine gekommen war. Augenblicklich spürte sie neben Erleichterung auch Enttäuschung, zwar hatte sie Manu nicht unbedingt hier begegnen wollen, aber das wäre möglicherweise immer noch besser gewesen, als die Funkstille noch weiter fortzuführen. Weil ihr diese ganze Sache mit Manu jetzt erst recht unter den Nägeln brannte, sagte sie Paula sie würde Oliver mal suchen und ging zu den Jungs in die Küche.
Natürlich schmiegte sie sich zuerst einmal an Oliver, der wie automatisch den Arm um sie legte und sie an sich zog. Während sie mit halbem Ohr dem Gespräch zuhörte, überlegte sie, ob sie Timm einfach fragen sollte wo Manu wäre oder ob sie lieber warten sollte, bis sie ihn unter vier Augen erwischte. Während sie noch überlegte fiel ihr Blick auf Stephan, bzw. auf Claudia, die neben ihm stand und förmlich an seinen Lippen hing. Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er bemerkte ihren Blick und grinste mit einem leichten Schulterzucken zurück, so dass Rebecca sich gar nicht mal so sicher war, ob ihr Mann und ihre Schwägerin mit ihrer Einschätzung Recht behalten würden. Irgendwann schlenderte Stephan zu ihr herüber. „Na, was grinst du so?“ fragte er überflüssigerweise.
„Oh, ich bin nur begeistert von deinem Fanclub“, antwortete Rebecca lachend und musterte Claudia, die mittlerweile in der Tat nicht mehr alleine dastand, sondern Gesellschaft von zwei weiteren Freundinnen bekommen hatte, die nicht minder interessiert an Stephan schienen.
„Danke, aber du hast nicht zufällig eine Idee, wie ich die loswerden könnte? Ich krieg schon langsam Kopfschmerzen von dem Gegacker“, meinte er und vermied es dabei absichtlich hinüberzusehen.
„Keine Ahnung, tut mir leid. Außer, knutsch mit einer von ihnen rum, dann bist du die anderen los und der einen hast du, im wahrsten Sinne des Wortes, auch das Maul gestopft.“ Rebecca grinste ihn fröhlich an und war eigentlich relativ begeistert von ihrer Idee. Stephan allerdings meinte, ebenfalls grinsend: „Hm, das war nicht so ganz das woran ich dachte, aber ich kann ja mal drüber nachdenken.“ Er warf einen Blick zu den Mädels rüber und verzog leicht das Gesicht. „Naja, ich kann sie mir bestimmt schön saufen...“
Rebecca knuffte ihn lachend in die Seite. „Komm schon, so schlecht sehen die alle drei nicht aus.“

Danach hatte Rebecca doch noch Gelegenheit Timm nach Manu zu fragen. Er lächelte sie säuerlich an und meinte dann: „Sie hatte absolut keine Lust, vermutlich weißt du eher warum als ich. Sie hat mir nur erzählt, dass ihr euch gestritten habt.“
Rebecca nickte: „Ja, eigentlich war`s gar nicht so heftig, ich sollte sie vielleicht einfach mal anrufen.“
„Bitte, tu das. Sie ist total unausstehlich, seit zwischen euch Funkstille herrscht.“
Rebecca versprach ihm sich bei Manu zu melden und hätte am liebsten sofort ihr Handy gezückt und eine SMS geschrieben, doch zum Einen kannte sie Manu gut genug um zu wissen, dass sie jetzt ohnehin nicht mehr kommen würde und zum Anderen dachte Rebecca, dass es bestimmt besser wäre, nach dieser Funkstille nicht einfach nur eine SMS zu schreiben.
Etwas später wanderte Rebecca wieder zu Paula zurück, die mittlerweile mit einem anderen Mädel da saß. Rebecca kannte sie nicht.
„Rebecca, das ist Helena, sie hat mit Stephan und Olli ABI gemacht. Helena, das ist Rebecca, Olivers Frau“, stellte Paula sie gerade vor.
Sofort erntete Rebecca einen interessierten Blick. Und ein: „Hey, ich hab schon viel von dir gehört.“
Ach ja? dachte Rebecca, na, das war ja ein Wunder. Die Freunde aus ihrer alten Stufe hatten auch schon viel von Oliver gehört. Tja, Klatsch und Tratsch gehörten nunmal dazu, wenn plötzlich jemand schwanger wurde, vor allem da sowohl sie als auch Olli soweit sie wusste, die ersten in ihren Stufen gewesen waren, die Eltern wurden. Laut sagte sie das jedoch nicht, sondern zuckte nur lächelnd die Schultern, was Paula wohl dazu veranlasste ihre Vorstellung noch etwas auszubauen. „Helena ist eine von Lisas besten Freundinnen.“
„Oh.“ Rebecca wusste nicht, was sie sagen sollte. Natürlich hatte sie Lisa vor kurzem kennengelernt und es war auch wirklich nett gewesen, aber trotzdem war ihr bewusst, dass es eine ziemlich lange Zeit vorher gegeben hatte, in der Lisa mit Sicherheit nicht gut auf sie zu sprechen war. Glücklicherweise war Helena so nett ihr aus ihrer Verlegenheit zu helfen, in dem sie meinte: „Lisa hat erzählt, dass sie euch letztens besucht hat.“ Sie grinste Rebecca an. „Mutig von Oliver, Frau und Ex-Freundin zusammen zu bringen.“
Rebecca musste in sich reingrinsen und war froh, dass sie nicht betrunken war, sonst wäre sie möglicherweise auf die dumme Idee gekommen zu erzählen, wie es ursprünglich dazu gekommen war, dass Oliver dem Treffen mit Lisa zugestimmt hatte.
Paula antwortete gerade an ihrer Stelle frech: „Ja, mein Bruder hatte schon immer einen kleinen Schatten.“ Um zu verdeutlichen was sie meinte, wedelte sie kurz mit der Hand vor ihrem Gesicht auf und ab. Im selben Moment kam Stephan rein und ließ sich neben Rebecca auf das Bett plumpsen. Mit einem theatralischen Stöhnen meinte er: „Mann, diese kleinen Kinder gehen mir so auf den Keks!“
Rebecca lachte und Paula meinte grinsend: „Siehst du, ich hatte Recht.“
Stephan setzte sich neugierig auf: „Womit hattest du Recht?“
„Paula meinte, die Mädels, oder zumindest Claudia wäre absolut nicht dein Typ“, erläuterte Rebecca freundlich.
Stephan grinste Paula an: „Ach ja? Woher willst du wissen wer mein Typ ist?“ fragte er dann lächelnd.
„Schätzchen, ich kann mich noch dunkel erinnern worauf du stehst...“ erwiderte Paula mit einem charmanten Lächeln und Rebecca tauschte einen Blick mit Helena, die die beiden ebenfalls mit hochgezogenen Augenbrauen musterte, scheinbar dachte sie dasselbe wie sie. Das sah ganz schön nach einem Flirt aus und Rebecca war nicht sicher, was passiert wäre, wenn sie nicht zwischen den beiden gesessen hätte.
Stephan lachte: „Dann ist ja gut.“ Er warf einen Blick Richtung Küche. „Ich werd mir jetzt trotzdem noch ein Bier holen, denn wenn eine von denen heute noch mein Typ werden soll, dann brauch ich noch viel mehr Alkohol“, meinte er scherzhaft und stand auf.
„Hey, aber hau dich nicht total weg, wir wissen doch beide, dass du nichts verträgst!“ rief Paula ihm noch lachend nach, was zur Folge hatte, dass das Letzte was sie von ihm sahen, sein ausgestreckter Mittelfinger war. Als er weg war, meinte Helena etwas wehmütig: „Man, ich werde nie verstehen, warum du mit ihm Schluß gemacht hast...“
Paula und Rebecca sahen sie überrascht an und Paula fragte: „Ist das dein Ernst?“
Helena lachte: „Hey, er ist schon niedlich, aber erzählt`s ihm nicht, sonst wird er nur noch eingebildeter.“ Sie warf den beiden anderen ein Grinsen zu und meinte dann: „Ihr habt keine Ahnung wie verknallt ich in der siebten und achten Klasse abwechselnd in jeden von den beiden war.“
„Jeden von den beiden?“ fragte Paula erstaunt.
„Stephan und Oliver, ich garantiere euch, jedes Mädchen aus unserer Stufe war irgendwann mal in einen von beiden verknallt. Naja, oder fast jedes.“ Paula und Rebecca grinsten sich an und Rebecca wurde plötzlich bewusst, dass ihre Neugier und Klatschsucht der von Paula und Sophie in letzter Zeit in nichts nachstand.
„Ernsthaft?“ fragte Paula jetzt. Rebecca konnte sich das bei beiden eigentlich ganz gut vorstellen, sie waren beide die Typen dafür. Gutaussehend, sportlich, in einem gewissen Alter vermutlich extrem cool...
Helena nickte, meinte aber gleichzeitig: „Ach komm, ihr kennt das doch! Die coolen Typen in die jeder Mal verknallt ist, zwischen der sieben und der zehn.“
„Oh ja, allerdings!“ meinte Rebecca mit einem resignierten Seufzer.
„Ja, ganz schön lang her. Wir werden alt.“ Alle drei mussten lachen.

Später gesellten sich dann irgendwann auch mal Oliver und Timm zu ihnen. Rebecca fiel auf, dass die Begrüßung zwischen Oliver und Helena relativ kühl ausfiel. Während Timm sie umarmte, meinte Oliver lediglich: „Hi Helena.“ Was sie mit einem kaum wärmeren: „Hi Olli“, erwiderte.
Danach ließ Oliver sich neben Rebecca auf dem Bett nieder, wo vorher Stephan gesessen hatte und küsste sie dann beinahe demonstrativ, so dass Rebecca sich schon fragte ob ihr irgendetwas das Oliver und Helena betraf entgangen war. Leider konnte sie in diesem Moment aber kaum fragen, was mit den beiden los war, weshalb sie gezwungenermaßen beschloss sich noch etwas zu gedulden.

Olivers Laune sank beträchtlich, als er Helena sah. Man, es gab doch wirklich Leute, die brauchte man nicht unbedingt wiederzusehen. Und dann musste sie sich natürlich auch noch genau mit Rebecca und Paula unterhalten, super!
Eigentlich hatten sie sich mal ziemlich gut verstanden. Sie war eine gute Freundin von Lisa und in den anderthalb Jahren ihrer Beziehung hatten sie auch oft etwas mit Helena unternommen, aber gerade das war das Problem. Helena war, wie er sowohl von ihr selbst, als auch von Lisa wusste, verdammt sauer auf ihn gewesen, nachdem er sich von Lisa getrennt hatte. Sie fand sein Verhalten, verständlicherweise, absolut mies und hatte ihn das die paar Male die sie sich seitdem gesehen hatten auch spüren lassen. Sehr passend, dass sie sich jetzt mit Rebecca unterhielt...
Er wollte gerade wieder aufstehen um sich noch ein Bier zu holen, doch Rebecca war schneller, nahm ihm die Flasche aus der Hand und rauschte ab in die Küche.
Er tauschte einen Blick mit Helena, Paula unterhielt sich gerade mit Timm, so dass er sich gezwungen sah, sich bei Helena zu erkundigen, wie es ihr denn so gehe. „Ganz gut“, war ihre einsilbige Antwort. Er beugte sich etwas nach vorn und fragte direkt: „Helena, meinst du nicht, dass du lang genug sauer auf mich warst? Ich mein, die Sache mit Lisa ist vier Jahre her...“ Helena zuckte die Schultern: „Stimmt, eigentlich hast du recht und ich finde es auch wirklich gut, dass Lisa und du wieder Kontakt habt, aber weißt du Oliver...“ sie sah ihn fest an „...ich hab gesehen wie sie damals gelitten hat und ich durfte sie monatelang trösten und ganz ehrlich ich hab keinen Bock, dass dasselbe nochmal passiert.“
Oliver sah sie leicht verächtlich an: „Wieso sollte das nochmal passieren? Falls du´s nicht gemerkt hast, ich bin mittlerweile verheiratet.“
Helena schnaubte kurz: „Ja, klar. Das ändert aber nichts daran, dass Lisa immer noch wahnsinnig an dir hängt und ganz ehrlich, ich hätte das zwar nie von dir gedacht, aber wer einmal fremdgeht...“
Er musste sich ziemlich zusammenreißen um nicht aus der Haut zu fahren, aber dann hätten Paula und Timm es auf jeden Fall mitbekommen und er war so schon verdammt froh, dass die beiden sich so angeregt unterhielten und ihnen keinerlei Beachtung schenkten. Also atmete er einmal tief durch und meinte dann relativ ruhig zu Helena: „Ich hab echt keinen Bock zum weiß-nicht-wievielten-mal mein Fehlverhalten von vor vier Jahren mit dir durchzudisskutieren. Ok, ich hab Scheiße gebaut, aber eigentlich solltest du mich gut genug kennen um zu wissen, dass ich kein solches Arschloch bin, dass ich sowas absichtlich machen würde.“
„Dann mach Lisa bitte auch keine falschen Hoffnungen, denn darunter würde sie genauso leiden“, antwortete Helena fest.
„Ganz ehrlich, wenn Lisa sich irgendwelche Hoffnungen macht, dann ganz bestimmt nicht, weil ich ihr einen Anlass gegeben hab. Sie weiß, dass ich mit Rebecca glücklich bin, sie weiß das ich einen dreijährigen Sohn und bald noch ein zweites Kind haben werde und wenn sie trotzdem denkt, dass zwischen uns wieder was laufen könnte, dann ist sie wirklich selber Schuld.“
Helena seufzte: „Du hast recht, aber ich fürchte ihr reicht unter Umständen schon die Tatsache, dass ihr wieder Kontakt habt, um sich Hoffnungen zu machen.“ Sie zögerte einen Moment, dann fügte sie noch hinzu: „Aber sag ihr bitte nicht, dass ich dir das gesagt hab. Ich will nur nicht, dass es ihr wieder so dreckig geht wie damals.“
Oliver nickte, widerwillig musste er sich eingestehen, dass Lisa froh sein konnte eine solche Freundin zu haben, auch wenn sie Helena wahrscheinlich erwürgen würde, wenn sie wüsste, was die eben zu ihm gesagt hatte.
Glücklicherweise tauchte Rebecca in dem Moment endlich wieder auf. Sie meinte, sie hätte etwas länger gebraucht, weil Claudia und ihre Freudinnen sie erwischt und nach Stephan ausgefragt hätten. Sie lachte: „Der arme Kerl hat echt schon einen ganzen Fanclub da stehen und man sieht ihm förmlich an, wie er immer genervter wird.“

Sie unterhielten sich noch ein wenig, bis die Runde sich wieder mehr oder weniger auflöste und schließlich wieder nur Paula und Rebecca übrig blieben, allerdings waren sie nicht lange unter sich, denn Sophie und Markus gesellten sich zu ihnen. „Na, ihr wartet auch nur darauf, dass das Bett endlich frei wird, was?“ fragte Paula ihre kleine Schwester frech. Die lächelte: „Und wenn schon, hast du was dagegen?“ bevor Paula jedoch antworten konnte, fuhr Sophie bereits fort: „Außerdem solltest du vielleicht besser auf deinen Ex-Freund aufpassen. Ich fürchte meine sämtlichen Freundinnen haben sich heute Abend verliebt.“
Diesmal antwortete Rebecca: „Ist uns auch schon aufgefallen. Würde mich nicht wundern, wenn du in nächster Zeit öfter Besuch von diversen Freundinnen hättest.“
Sophie stöhnte laut auf. „Och Nee, da hab ich ja noch gar nicht dran gedacht...“ Nachdem Sophie sich noch ein wenig ausgemalt hatte, wie sie in der nächsten Woche jeden Tag eine andere liebeskranke Freundin in der Bude sitzen haben würde, stand sie schließlich auf, um sich und Markus noch was zu trinken zu holen und Paula schloß sich ihr an, so dass Rebecca sich plötzlich allein mit Markus wiederfand. Nach etwas Smalltalk meinte Rebecca schließlich mit einem Lächeln: „Freut mich übrigens, dass ihr es doch noch gepackt habt zusammen zu kommen.“ Er erwiderte ihr Lächeln: „Danke. Ich weiß, dass ich mich bei unserer ersten Begegnung ziemlich daneben benommen hab...“ Rebecca nickte lachend: „Allerdings, aber das ist längst vergessen.“
„Hm...“ er zuckte die Schultern „...ich war einfach genervt, du glaubst nicht wie oft ich dieses verdammte Spiel schon mitmachen musste.“ Rebecca sah ihn fragend an: „Welches Spiel?“ „Diese nette pseudo Familienzusammenführung, so ganz nach dem ätzenden Motto: hier, das sind deine neuen Geschwister, also bennimm dich auch so!“ „Und das kam so oft vor?“ fragte Rebecca mitfühlend. Er nickte. „Meine Eltern haben sich getrennt, als ich zehn war, Zeit genug um das Ganze ein paar Mal zu machen.“ „Puuh... Hast du eigentlich Geschwister?“ fiel es Rebecca plötzlich ein zu fragen. Er nickte: „Eine Schwester, Verena, sie lebt bei meiner Mutter.“ „Wie alt ist sie?“ erkundigte sich Rebecca neugierig. „Zwei Jahre jünger als ich“, antwortete er lächelnd und fügte dann noch hinzu: „Deshalb kann ich Olivers Verhalten Paula und Sophie gegenüber ehrlich gesagt auch ein bißchen nachvollziehen.“ Rebecca gab ein mitfühlendes: „Deine arme Schwester!“ von sich und sie mussten beide lachen.
Paula und Sophie kamen schließlich äußerst amüsiert zurück und Paula meinte zu Rebecca: „Ich fürchte, du hattest recht... Stephan hat´s doch scheinbar tatsächlich geschafft sich Claudia noch schön zu trinken.“ Sophie sah ihre Schwester böse an: „Hey, das war jetzt echt fies!“ Paula zuckte die Schultern: „Das kam nicht von mir, mit dem schön saufen.“ Rebecca musste ihr zustimmen und fragte dann: „Knutschen sie schon rum, oder was?“ Sophie nickte kichernd: „Und wie! Dabei fällt mir ein, vielleicht solltest du dich lieber mal bei Oliver blicken lassen, denn ich fürchte ein paar von meinen Freundinnen haben nicht so ganz mitbekommen, dass er vergeben ist.“ Rebecca lachte: „Ehrlich gesagt, trau ich ihm zu, dass er sich auch selber ein bißchen zur Wehr setzen kann.“ Schließlich ging sie aber doch mal rüber, weniger, weil sie dachte er benötige ihre Hilfe, als vielmehr aus Neugier, vor allem auf Stephan und Claudia.
Als sie einen Blick in Stephans Zimmer warf, sah sie die beiden, Stephan auf einem Sessel sitzend und Claudia auf seinem Schoß, leidenschaftlich knutschen. Da Oliver sich nicht hier befand, ging sie weiter in die Küche, wo er immer noch mit Timm und David und den restlichen, nunmehr verlassenen Mädels aus Stephans Fanclub stand.
Rebecca blieb einen Augenblick in der Tür stehen und betrachtete fasziniert, wie sich die Bewunderung der Mädchen, die anfangs noch vollkommen Stephan gegolten hatte, nun auf Timm, David und ihren eigenen Mann verteilte. Dann ging sie zu Oliver rüber und fragte mit einem charmanten Grinsen: „Na, amüsierst du dich?“ „Nicht so gut wie Stephan!“ erwiderte er ebenfalls mit einem frechen Grinsen und fügte dann noch hinzu: „Du hättest die beiden eben hier in der Küche sehen sollen, ich dachte schon sie fangen direkt auf dem Herd an rumzupoppen.“ „Hey, ist doch schön, wenn er seinen Spaß hat!“ antwortete Rebecca mit einem Kichern. Sie wollte noch etwas sagen, doch das blieb ihr buchstäblich im Hals stecken, als sie bemerkte wie Timm mit einer von Sophies Freundinnen, ihren Namen hatte Rebecca vergessen, Händchen haltend an ihr vorbei aus der Küche spatzierte. Sie starrte den beiden mit offenem Mund nach, dann sah sie Oliver ungläubig an. „Wow, glaubst du das? Wie dreist!“ „Hey!“ Oliver macht eine beschwichtigende Handbewegung, als würde er befürchten, dass sie Timm jeden Moment hinterher rannte. „Ich fürchte, das ist weniger dreist, als vielmehr der Tatsache zuzuschreiben, dass er total betrunken ist. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung...“ würgte er Rebecca ab, bevor sie etwas sagen konnte. „...aber misch dich bitte nicht ein. Es ist deine Sache, was du Manu erzählst, aber Timm muss selber wissen, was er tut.“
Rebecca sah ihn wütend an, doch schließlich musste sie sich eingestehen, dass er recht hatte. Es war nicht ihre Sache Timm eine Szene zu machen, schließlich war nicht sie seine Freundin.
Als Oliver sich jetzt vorbeugte und sie küsste, sah Rebecca aus dem Augenwinkel, wie eins der Mädels, das sich vorher mit Oliver unterhalten hatte, ihr einen bitterbösen Blick zu warf. Am liebsten hätte sie der anderen die Zunge raus gestreckt, stattdessen schloss sie aber die Augen und bemühte sich es Claudia und Stephan nachzutun, sollten die kleinen Mädels hier ruhig sehen, dass Oliver ihr gehörte. Danach grinste Oliver beeindruckt auf sie herab: „Wow, wenn ich nicht wüsste, dass du nüchtern bist...“ „Ich wollte nur verhindern, dass hier jemand auf dumme Gedanken kommt“, gab sie trocken zurück und ließ ihren Blick kurz zu der Blondine schweifen die nun mit einer Freundin am Fenster stand und äußerst finster drein blickte. Oliver folgte ihrem Blick. „Ach, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, ich denke, wo Stephan einmal dabei ist, kann er sich um die auch noch kümmern, wenn er mit der anderen fertig ist.“
„Manchmal bist du echt ein richtiges Arschloch!“ antwortete sie lachend. Er legte grinsend die Arme um sie und zog sie an sich: „Ts, ts, ts, was ich auch sage, es ist immer falsch.“

Als Rebecca etwas später von der Toilette zurückkam, kam Stephan ihr im Flur entgegen. „Na, ich hab gesehen, du hast meinen Rat befolgt“, bemerkte sie grinsend. Er blieb lächelnd stehen: „Oh man, Rebecca, ich bin dermaßen blau... Ich werd`s dir persönlich zur Last legen, wenn ich das morgen früh bereue.“
Sie lachte. „Ach was, warum solltest du denn irgendwas bereuen? Du genießt doch nur dein Singledasein!“ Er warf ihr einen seltsamen Blick zu, nickte dann aber: „Das stimmt auch wieder.“ Er lehnte sich an die Wand und sah sie wieder mit diesem seltsamen Blick an, bevor er sagte: „Trotzdem beneide ich Oliver ganz schön um dich.“ „Ja klar! Blöder Süßholzraspler!“ erwiderte Rebecca lachend. Er zuckte mit einem Lächeln die Schultern und berührte dann ganz kurz mit seiner Hand ihre Wange. „Ich hoffe, du weißt wie toll du bist...“ damit ließ er sie stehen. Sie sah ihm einen Moment nach. Obwohl sie sein Gerede als Schmeichelei abgetan hatte, fühlte sie sich doch ein bißchen ubehaglich dabei. Verdammt, das lag nur daran, dass Oliver letztens diesen Mist von wegen: Du bist genau sein Ty,p von sich gegeben hatte. Sie hätte ihn erwürgen können.
Genau wie Timm, dachte sie eine Minute später, den hätte sie auch erwürgen können. Er saß mit seiner kleinen Flamme mittlerweile ebenfalls in Stephans Zimmer. Sie hatte die beiden noch nicht knutschen sehen, zum Glück, doch allein die Tatsache, dass sie die ganze Zeit Händchen hielten, gefiel ihr gar nicht.
Glücklicherweise musste Rebecca sich das Ganze nicht mehr lange ansehen, denn da mittlerweile ohnehin alle mehr oder weniger vom Alkohol hinüber waren, beschlossen auch sie und Oliver sich langsam auf den Heimweg zu machen.
Bei ihrer Verabschiedungsrunde blieben sie schließlich vor Stephan und Claudia stehen, die wieder ziemlich beschäftigt waren. Oliver sah Rebecca zweifelnd an: „Ich glaub nicht, dass wir stören sollten.“ Sie warf einen Blick auf das Paar vor ihnen und schüttelte dann den Kopf. Da jetzt dazwischen zu gehen wäre unverantwortlich gewesen. „Außerdem...“ fügte Oliver dann noch mit einem Schmunzeln hinzu „...so wie das aussieht, wird er sich morgen vermutlich eh nicht dran erinnern ob wir uns verabschiedet haben oder nicht.“

Nachdem Britta gegangen war, stand Rebecca noch kurz an Jans Bettchen und betrachtete ihren schlafenden Sohn. Als sie schließlich das Zimmer verließ, dachte sie noch bei sich, dass er ziemlich schnell schon ziemlich groß geworden war.
Oliver, der gerade mit einer Flasche Wasser aus der Küche kam, betrachtete sie einen Moment, dann fragte er: „Und, war`s so schlimm heute Abend?“
Sie lächelte. „Klar, es war ganz, ganz schrecklich und du schuldest mir richtig viel dafür dass ich mitgekommen bin.“ Sie ging zu ihm und küsste ihn, dann sagte sie: „Man, hast du eine Fahne!“
Er lachte: „Ich bin ja auch einigermaßen betrunken.“
„So richtig, richtig betrunken?“ fragte sie mit einem unschuldigen Lächeln, während sie die Arme um ihn schlang.
„Kommt drauf an, was du mit so richtig, richtig meinst...“ antwortete er und küsste sie lächelnd.

„Sag mal, kannst du diese Helena eigentlich nicht leiden?“ fragte Rebecca als sie schließlich neben Oliver im Bett lag.
„Hm?“ er wandte ihr verschlafen sein Gesicht zu. „Warum?“
„Es wirkte irgendwie so“, antwortete sie vage. Oliver seufzte. „Ja, naja, sie hält mich immer noch für ein Arschloch, weil die Sache mit Lisa damals so scheiße gelaufen ist. Die beiden sind ziemlich gut befreundet.“
„Oh, deshalb.“ Rebecca überlegte kurz. „Hätt ich mir auch denken können, ich fand´s ja schon komisch als Paula meinte, sie wäre eine Freundin von Lisa.“
„Ach, ich glaub nicht, dass sie was gegen dich hat. Du konntest schließlich auch nichts dafür.“ Er schnaubte eher grimmig als belustigt. „Vermutlich tust du ihr eher leid.“
„Was?!“ fragte Rebecca ungläubig, dann meinte sie kichernd bevor Oliver etwas sagen konnte: „Den Eindruck hatte ich nicht. Sie hat erzählt, dass sie in der siebten und achten Klasse abwechselnd in dich und Stephan verliebt war.“
„Ach ja?“ fragte Oliver leicht amüsiert. „Da wusste sie allerdigs auch noch nicht, was ich für ein Arschloch bin.“
„Hat sie das gesagt?“ Rebecca war überrascht, bis auf die kühle Begrüßung zwischen Helena und Oliver war das Mädchen ihr eigentlich ziemlich sympathisch gewesen.
„So ungefähr“, anwortete Oliver vage, erläuterte dann aber noch: „Gut, sie hat ja irgendwo recht. Was Lisa angeht hab ich mich einfach total daneben benommen und... naja...“ Er zögerte, sollte er Rebecca sagen, welche Befürchtungen Helena noch hatte in Bezug auf ihn und Lisa? Sie würde das auf keinen Fall gerne hören, das war ihm klar. Andererseits sollte er es ihr wohl erzählen, zum Einen, weil er einfach ehrlich zu ihr sein wollte, zum Anderen, weil es ihn beschäftigte und er gerne mit ihr darüber reden würde. „...sie hat Angst, dass ich das nochmal mache.“
„Bitte?“ fragte Rebecca entgeistert. „Wie? Dass du das nochmal machst?“
„Deshalb meinte ich, dass du ihr vermutlich leid tust. Sie denkt, Lisa würde sich wieder Hoffnungen machen, weil wir jetzt wieder Kontakt haben und ... ja, Helena ist der Meinung, da ich Lisa gewissermaßen betrogen hab, würde ich das jetzt vielleicht andersrum nochmal machen...“
„Wow!“ Rebecca war einen Moment sprachlos. Dann meinte sie: „Wie dreist! Erst unterhält sie sich nett mit mir und dann sagt sie sowas zu dir?! Und wie kommt sie denn bitte darauf?!“
„Keine Ahnung“, Oliver zuckte ansatzweise die Schultern, so gut das eben im Liegen ging. „Vielleicht hat sie ja recht und Lisa macht sich wirklich wieder Hoffnungen...“
„Glaubst du das denn?“ fragte Rebecca bemüht ruhig.
„Ich weiß es nicht. Es wäre bescheuert. Sie weiß, dass ich mit dir glücklich bin und dass wir gerade erst geheiratet haben und du wieder schwanger bist“, antwortete etwas unsicher.
Rebecca überlegte einen Moment und versuchte ihre eigene erneut aufkeimende Eifersucht zu unterdrücken um objektiver nachdenken zu können. „Hm, ich weiß, es ist ein Klischee, aber Frauen sind, glaub ich, tatsächlich manchmal so, dass sie sich ziemlich schnell was einbilden, was gar nicht der Fall ist.“ Sie zögerte einen Moment, dann fuhr sie fort: „Weißt du, so war das damals bei mir mit Björn auch ein bißchen. Er hat mich nie belogen, oder mir irgendwas vorgemacht. Wir haben von Anfang an gesagt: keine Gefühle, aber trotzdem hab ich mir immer wieder eingeredet, dass ja irgendwelche Gefühle da sein müssten, sonst würde er ja nicht immer wieder was mit mir anfangen...“
Einige Sekunden lang sagte keiner von beiden etwas, dann brach Oliver das Schweigen: „Ich glaube, jetzt weiß ich ungefähr, wie du dich gefühlt hast, als ich plötzlich wieder Kontakt mit Lisa hatte.“
Rebecca musste widerwillen lachen. „Falls es dich beruhigt“, sagte sie schließlich, „ich hab weder vor wieder verstärkt Kontakt mit Björn aufzunehmen, noch würde ich heute Gefahr laufen mich in ihn zu verlieben.“
Er lächelte. „Das beruhigt mich in der Tat.“
„Schön. Aber um nochmal auf Lisa zurück zu kommen. Vermutlich kennt diese Helena sie wesentlich besser als ich und, gut ich an Lisas Stelle hätte mir auch nicht die Blöße gegeben und wäre zu mir unfreundlich gewesen, aber es stimmt schon was du sagst, sie weiß gerade nach ihrem Besuch hier ziemlich genau, dass sie sich keine Hoffnungen machen sollte. Und eigentlich wirkte sie auf mich nicht so abgehoben, als wäre sie eine von denen, die es trotzdem tun.“ Sie sah Oliver fest an. „Und wenn sie es tut, dann ist das ganz bestimmt nicht deine Schuld. Ich hoffe, dass weißt du, egal was Helena denkt.“
„Eigentlich schon.“ Er schluckte. „Aber... nachdem sie das vorhin gesagt hat, hab ich überlegt, vielleicht war´s doch ein Fehler mich einfach so aus heiterem Himmel wieder bei Lisa zu melden. Ich mein, das muss nach der langen Zeit doch seltsam wirken und irgendwie... als wollte ich wieder was von ihr.“
„Willst du denn was von ihr?“
„Verdammt Nein!“ fuhr Oliver auf.
Rebecca grinste. „Dann ist ja gut.“
Etwas später sagte sie: „Wenn du dich wohler dabei fühlst, dann lass das Ganze eben wieder ein bißchen schleifen und meld dich nicht von dir aus bei ihr. Mehr kannst du eh nicht tun, außer du willst den Kontakt wieder ganz abbrechen und das wäre jawohl erst recht seltsam.“
„Wieso kannst du eigentlich gerade so ruhig darüber nachdenken? Ich hätte eher gedacht, dass du sauer wirst“, fragte Oliver daraufhin.
Rebecca dachte kurz nach: „Vermutlich war ich in letzter Zeit schon oft genug grundlos auf Lisa eifersüchtig, zumindest hoffe ich dass es grundlos war“, neckte sie ihn, bevor sie aber noch hinzufügte: „Aber ehrlich gesagt, ganz so prickelnd find ich´s trotzdem nicht.“
Oliver zog sie an sich und gab ihr einen Kuss: „Tut mir leid.“

„Papaaa! Aufstehen!“ Oliver zog sich das Kissen über den Kopf, was Jan allerdings nur als neues lustiges Spiel auffasste und sich nun, auf der Brust seines Vaters sitzend, nach Kräften bemühte das Kissen in seinen Besitz zu bringen. Oliver musste einsehen, dass er hier den Kürzeren ziehen würde. Verschlafen fragte er seinen Sprößling: „Wo ist deine Mutter?“
„In der Küche! Du soll`s aufstehen! Hat Mama gesagt!“ antwortete Jan in einer beachtlichen Lautstärke.
Er würde Rebecca umbringen, ihm einfach Jan als lebendigen Wecker zu schicken...
Als er immer noch brummelnd in die Küche kam, blieb ihm jedoch keine Zeit irgendetwas zu sagen, da sie ihm sofort freudestrahlend entgegen rief: „Ich hab endlich den perfekten Namen!“ Sie ignorierte sein Aufstöhnen und fuhr lächelnd fort: „Rate mal! Leonie! Super oder?! Ich weiß gar nicht, warum ich nicht sofort dran gedacht hab, ich fand Leonie schon immer total schön! Also, was sagst du?!“
„Muss ich was dazu sagen?“ fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Pfff!“ sie machte eine wegwerfende Handbewegung und sah zu wie er sich eine Tasse Kaffee einschenkte. „Jetzt sag schon, wie schlimm findest du´s diesmal?“
Er umging die Antwort in dem er seufzend fragte: „Wie sind wir eigentlich bei Jan so schnell auf einen Namen gekommen, der uns beiden gefallen hat?“
Sie grinste: „Du warst damals noch jünger und flexibler und nicht ganz so spießig...!“
„Stimmt, und du nicht ganz so ausgeflippt, was die Namen anging!“ konterte er.
Etwas später meinte Oliver: „Warum bist du eigentlich schon so hinterher mit dem Namen aussuchen, wir haben doch schließlich noch ein bißchen Zeit...“
Rebecca zuckte die Schultern und antwortete neckend: „Bei deinem großen Mitteilungsbedürfniss hätte ich schon vor einem Jahr damit anfangen sollen...!“
Bevor er etwas erwidern konnte fiel ihr ein: „Oh, du solltest deine Mutter zurückrufen. Sie hat heut morgen angerufen, ich hab aber keine Ahnung was sie wollte. Sie meinte nur, du sollst zurückrufen.“
Oliver verzog leicht das Gesicht, stand aber auf um sich das Telefon zu holen.

Schon als Andrea sich meldete, hörte Oliver, dass etwas nicht stimmte.
„Mama? Ist alles in Ordnung? Rebecca hat gesagt ich soll mich bei dir melden...“
„Oliver, Wilhelm hat mich vorhin angerufen.“ Ihre Stimme zitterte. „Maria ist heute Nacht gestorben.“
„Was?!“ Oliver brauchte einen Moment um seine Gedanken zu ordnen, während seine Mutter leise fortfuhr zu erklären, dass seine Oma in der letzten Nacht ganz sanft eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht wäre.
„Wilhelm schien relativ gefasst, aber ich dachte, du könntest dich vielleicht trotzdem bei ihm melden oder auch hinfahren“, endete sie schließlich.
„Ja, klar... ich...“ er brach ab, wusste nicht mehr was er sagen sollte. Ob seine Großmutter das schon gespürt hatte, schoss es ihm durch den Kopf. Hatte sie sich deshalb so dringend mit ihm versöhnen wollen? Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er sie in den letzten Jahren so selten gesehen hatte.
„Oliver, ich ruf jetzt noch Paula und Sophie an. Meld dich nochmal, falls du hinfährst, ja?“
„Mach ich“, gab er abwesend zurück bevor er auflegte.
Er musste das Ganze erst einmal realisieren. Es war so unwirklich, wenn jemand so unerwartet starb. Der Gedanke, nie wieder mit seiner Großmutter sprechen zu können, war vollkommen irreal.
Als er aufblickte, sah er Rebecca in der Küchentür stehen. Ihrem Gesichtsausdruck konnte er entnehmen, dass sie gehört hatte was passiert war.
Sie sahen sich einen Moment schweigend an, bevor sie zu ihm herüber kam und die Arme um ihn legte. „Deine Oma? Es tut mir leid“, flüsterte sie dann an seinem Hals.
Als sie sich kurz darauf wieder voneinander lösten, fragte sie zögerlich: „Und, wie geht´s dir?“
Er zuckte die Schultern, doch bevor er etwas sagen konnte, kam Jan in den Flur gerannt, was eigentlich ein Glück war, denn er hätte ohenhin nicht gewusst, was er Rebecca antworten sollte. Er überließ es ihr dem Kleinen zu erklären, was es bedeutete, dass seine gerade entdeckte Uroma gestorben war und verzog sich ins Wohnzimmer.
Irgendwie fühlte er sich leer. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Es war nicht wie damals, als sein Vater gestorben war, da hatte er vollkommen den Boden unter den Füßen verloren. Er würde niemals diesen schrecklichen Augenblick vergessen, als seine Mutter ihnen mit Tränen in den Augen gesagt hatte, dass ihr Vater einen schrecklichen Autounfall gehabt habe, den er nicht überlebt hatte. Im ersten Moment hatte Oliver das seltsame Bedürfnis verspürt zu lachen, dann hatte ihn die Gewissheit, dass sein Vater nicht wiederkommen würde, mit voller Härte getroffen. Er war wütend geworden, weil es einfach nicht sein konnte. Er hatte seine Mutter angeschrien und seine Schwestern, die beide angefangen hatten zu weinen, und war dann Hals über Kopf aus dem Haus gestürmt. Erst verspürte er den Drang zu Stephan zu gehen und einfach ein bißchen mit ihm rumzugammeln, einfach so zu tun, als wäre überhaupt nichts passiert. Um wenigstens noch ein bißchen länger an einer Normalität festzuhalten, die es schon nicht mehr gab. Schließlich war er aber nur ziellos durch die Straßen gelaufen und als es dunkel wurde, wieder nachhause gegangen. Als er dort ankam, waren seine Großeltern da und seine Tante, die Schwester seiner Mutter.
Andrea war auf ihn zu gestürmt und hatte ihm eine schallende Ohrfeige gegeben, dann nahm sie ihn in den Arm und beide begannen zu weinen.
Jetzt war es anders. Seine Großmutter war in den letzten Jahren nicht gerade eine unmittelbare Bezugsperson für ihn gewesen. Im Gegenteil. Wieder fühlte er die Gewissenbisse und er wünschte sich, er hätte sie nochmal alleine gesehen, nicht nur im Trubel der ganzen Familie.
Obwohl er ihr Verhalten Rebecca gegenüber stark kritisiert hatte, wusste er doch, dass sie ihn immer geliebt hatte. Manchmal hatte er sogar das Gefühl gehabt, dass sie ihn Paula und Sophie deutlich vorzog, vermutlich weil er seinem Vater so ähnlich war. Zumindest sagten ihm das immer alle.
Seine Gedanken schweiften kurz zu seinem Vater und einmal mehr wünschte er sich, dass er noch am Leben wäre, dann würde er sich jetzt nicht so schrecklich verantwortlich fühlen. Seine Mutter hatte recht, er musste hinfahren. Irgendwer musste sich schließlich um seinen Opa kümmern. Sein Vater war das einzige Kind seiner Großeltern gewesen. Seine Mutter war nur die Schwiegertochter und das ja mittlerweile auch nicht mehr richtig. Er fühlte sich plötzlich wieder so hilflos wie damals, als seine Mutter schwer depressiv gewesen war und versuchte das Gefühl schnell wieder abzuschütteln.
Etwas später rief Paula an. Sie begann immer wieder zu schluchzen und Oliver bekam ein noch schlechteres Gewissen, weil er sich so kalt vorkam.
Sie wollte wissen, ob er schon mit ihrem Opa gesprochen hätte und wann er hinfahren würde, sie und Sophie würden dann selbstverständlich mitkommen. Oliver war verdammt froh über dieses Angebot, so fühlte er sich immerhin nicht mehr ganz so alleine. Dennoch fand er die Vorstellung seltsam beängstigend, vor allem, weil die beiden so offensichtlich trauerten, während er immer noch gar nichts fühlte.
Nach dem Gespräch mit Paula riss er sich zusammen und rief endlich bei seinem Opa an. Immerhin zeigte der genauso wenig Gefühl, wie er selbst. Allerdings war Oliver sich sicher, dass das an andere Gründe hatte als bei ihm.
Natürlich meinte Wilhelm, sie müssten wirklich nicht vorbeikommen, er wollte keine Umstände machen und käme schon mit allem alleine zurecht. Oliver überging diese Einwände einfach und sagte er würde am Nachmittag oder frühen Abend mit seinen Schwestern kommen. Sein Großvater gab den Widerstand schließlich auf und Oliver hatte den deutlichen Eindruck, dass er eigentlich doch froh war, seine Enkel am Abend um sich zu haben und nicht alleine in dem großen Haus zu sein.

„Ich nehm mir morgen frei und komm irgendwann abends wieder. Ist es wirklich in Ordnung für dich, dass ich fahre?“ Oliver wusste gar nicht, warum er das eigentlich fragte. Er war sicher, dass Rebecca nie etwas dagegen gesagt hätte, dass er zu seinem Großvater fuhr. Vielleicht hoffte er unterbewusst sie würde ihm doch noch einen Grund geben nicht hin zu müssen. Wie albern. Er wusste gar nicht, weshalb er nicht fahren wollte. Gut, es gab mit Sicherheit angenehmeres, aber im Gegensatz zu Sophie und Paula hatte er kein bißchen von sich aus das Bedürfnis seinem Opa beizustehen. Wenn er ehrlich war, dann wollte er am liebsten gar nichts mit dem Tod seiner Oma zu tun haben. Am liebsten hätte er das alles einfach ausgeblendet.
Wie erwartet antwortete Rebecca: „Quatsch, was soll ich denn dagegen haben?!“ Dann sah sie ihn ein wenig besorgt an: „Geht´s dir wirklich gut?“
Er konnte sich ein kurzes Grinsen nicht ganz verkneifen. „‘Gut‘ ist vielleicht das falsche Wort, aber es geht schon.“
Sie schien nicht gerade überzeugt, doch sie sagte nichts mehr.

Er fuhr zuerst Sophie abholen, die unter Tränen dabei war die letzten Reste der Party zu entfernen. Stephan warf ihm einen resignierten Blick zu. „Ich hab ihr gesagt sie soll sich nicht drum kümmern, ich würde das schon machen, aber sie meinte, sie bräuchte Ablenkung.“ Oliver nickte nur leicht.
Schließlich hatten sie auch Paula abgeholt, die so ziemlich im selben Zustand war, wie Sophie. Beide schnieften gelegentlich leise vor sich hin, ansonsten schwiegen alle drei die meiste Zeit über.
Wilhelm begrüßte sie verhalten, doch man merkte ihm an, dass er froh war sie zu sehen.
Die Haushälterin hatte ein warmes Essen vrobereitet und danach saßen die drei noch mit ihrem Opa zusammen im Wohnzimmer. Die Unterhaltung lief etwas schleppend, aber das war unter diesen Umständen ja nicht außergewöhnlich. Oliver schämte sich jedoch fast wegen der großen Erleichterung die er empfand, als sein Großvater endlich verkündete, dass er ins Bett gehen würde. Immerhin konnte er sich so auch endlich auf sein Zimmer zurückziehen. Er war verdammt froh endlich ein bißchen allein sein zu können.
In seinem Zimmer stand er am Fenster und sah in die Dunkelheit hinaus. Es war komisch wieder hier zu sein. Das war dasselbe Zimmer in dem er schon als kleiner Junge übernachtet hatte, wenn er in den Ferien bei seinen Großeltern gewesen war. Dieses Zimmer, die Gerüche, das ganze Haus, weckten soviele Erinnerungen. Schöne Erinnerungen. Trotzdem hatte er seit sie angekommen waren ein paar Mal gewaltsam ein Gefühl der Enge niederkämpfen müssen, fast wie Platzangst, als wäre er hier eingesperrt.
Er lehnte die Stirn an die kühle Scheibe und hoffte das würde seine Kopfschmerzen etwas lindern.
Warum fühlte er nichts als Widerwillen bei dem Gedanken an seine Oma? Er hatte sich doch immerhin noch mit ihr versöhnt, bevor sie gestorben war. Und er hatte ihr ihr Verhalten wirklich verziehen, zumindest glaubte er das.
Er starrte noch ein paar Minuten in den dunklen Garten hinaus, bevor er zu dem Schluß kam, dass er dort draußen auch keine Antwort auf seine Gefühle finden würde. Also beschloss er ins Bett zu gehen.

Kaum lag er unter der Decke und hatte das Licht ausgemacht, als die Tür auch schon leise geöffnet wurde. Er unterdrückte ein Stöhnen und dachte, dass er es sich hätte denken können.
„Olli, bist du noch wach?“ fragte Paula leise. Er knipste zur Antwort das Licht wieder an und sah sie fragend an.
„Oh, gut“, fuhr Sie erleichtert fort, „Ich kann nämlich auch nicht schlafen.“
Ihm lag auf der Zunge zu fragen, wer behauptet hätte, dass er nicht schlafen könne, doch dann riss er sich zusammen.
Ohne sich mit falscher Zurückhaltung aufzuhalten, durchquerte sie den Raum und ließ sich neben ihm auf dem Bett nieder.
„Ist irgendwie komisch hier zu sein, oder?“
Oliver nickte zur Antwort bloß leicht. Sie warf ihm einen seltsamen Blick zu, bevor sie fragte: „Was ist los mit dir? Du bist schon den ganzen Tag so komisch...“
Er zuckte unbehaglich die Schultern. „Nur weil ich nicht die ganze Zeit flenne, wie du und Sophie, bin ich noch lange nicht komisch.“ Er hatte gehofft, dass es nicht auffallen würde, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
Paula zögerte einen Moment, dann meinte sie: „Hm, wenn du meinst. Ich hab nur gedacht, ... vielleicht erinnert es dich irgendwie an Papas Tod...“
„Nein, das nun wirklich nicht“, antwortete er ruhig. Dann fragte er seinerseits: „Wieso? Erinnert´s dich daran?“
„Ja, schon“, gab sie zu, „Obwohl ich eigentlich das Gefühl hab gar nicht mehr richtig zu wissen, wie das damals war.“
Ohne nachzudenken erwiderte er: „Sei froh!“
Sie sah ihn mit einer Mischung aus Wut und Trauer an. „Mit dir kann man echt überhaupt nicht mehr vernünftig reden! Ich wär verdammt froh, wenn ich mich besser an Papa erinnern könnte.“
„Tut mir leid“, sagte er schnell, „Ich hab´s nicht so gemeint.“
Sie schien sofort wieder versöhnt und brachte ihn mit einer energischen Handbewegung dazu zu rücken, so dass sie bequem zu ihm unter die Decke kriechen konnte.
„Weißt du, du könntest ruhig ein bißchen zeigen, dass du trauerst. Immerhin hast du ihr auch sehr viel bedeutet, vor allem weil...“
„...ich Papa so ähnlich bin. Jaja, ich weiß. Ich wünschte, dass mir das nicht immer alle vorhalten würden“, beendete er ihren Satz.
„Kann ich verstehen, ich glaub, mich würd´s auch nerven an deiner Stelle“, gab Paula zu. Dann setzte sie noch etwas zögerlich hinzu: „Allerdings muss ich zugeben, dass ich immer ein bißchen eifersüchtig darauf war, dass dich ständig alle mit ihm verglichen haben. Ich denk dann immer, dass ich gar nichts von ihm habe.“
„Ach Quatsch, das liegt doch nur daran, dass du ein Mädchen bist. Klar werde ich mit ihm verglichen, dass heißt nicht, dass ich ihm ähnlicher bin, ich bin einfach nur auch ein Kerl.“
Paula lachte kurz auf: „Stimmt, da hast du auch wieder recht.“ Kurz herrschte Stille, dann fragte sie plötzlich unsicher: „Bin ich ihm denn ähnlich?“
Oliver überlegte einen Moment was er darauf antworten sollte. Dann gab er mit einem Lächeln zurück: „Na, immerhin bist du genau so stur wie er. Er hat sich auch nie von mir überzeugen lassen.“
Paula streckte ihm die Zunge raus und er lachte.
„Ich mein‘s ernst, hab ich irgendwas von ihm?“
Oliver zuckte die Schultern: „Frag Mama, die kann dir das besser beantworten. Oder überleg selber, du hast ihn doch schließlich auch gekannt.“
Sie rutschte tiefer unter die Decke und überlegte einen Moment. „Ich kann mich aber nicht mehr richtig erinnern.“
„Natürlich kannst du das. Du warst dreizehn als er gestorben ist“, antwortete er ein bißchen gereizt.
„Ja, schon“, sagte sie langsam „Aber ich weiß nicht mehr wie er wirklich war. Und das woran ich mich noch erinnere, wird auch immer weniger, glaub ich.“
Oliver dachte nach und versuchte vor seinem geistigen Auge das Bild seines Vaters heraufzubeschwören, wie er gewesen war, was sie zusammen gemacht hatten, woran er sich noch erinnern konnte. „Er war ziemlich sportlich und hat immer was mit uns unternommen wenn er Zeit hatte. Erinnerst du dich, wie wir im Sommer immer mit den Rädern zum See gefahren sind? Sophie war noch so klein, dass sie im Kindersitz saß und du hast die ganze Zeit gequengelt, dass das unfair wäre, weil du selber fahren musstest.“
Paula nickte langsam. „Ja, das weiß ich noch.“
„Und er hatte sehr viel Geduld, sonst hätte ich nie schwimmen gelernt.“ Oliver grinste: „Später hatte er weniger Geduld mit mir, aber das lag wohl an meinem Alter.“
„Ich kann mich erinnern, ihr habt euch immer fürchterlich gestritten.“
„Ja, mit vierzehn, fünfzehn war ich fast so zickig wie du heute“, neckte er sie, fuhr dann aber wieder ernster fort: „Er war immer sehr gerecht, was ich damals allerdings noch nicht so zu schätzen wusste...“
Nach einer erneuten Pause fragte Paula ernst: „Glaubst du, er würde wollen, dass ich weiter studiere, auch wenn ich denke, dass es nicht das richtige für mich ist?“
Oliver stöhnte leise auf. Für die Diskussion hatte er gerade wirklich keinen Nerv, doch Paula unterbrach ihn noch einmal, bevor er überhaupt etwas erwidern konnte. „Ich will jetzt nicht wieder mit dir darüber streiten, keine Angst. Deine Meinung dazu kenn ich ja schon. Ich will wissen, was er gesagt hätte.“
Oliver schüttelte langsam den Kopf: „Ok, aber das kann ich dir nun wirkich nicht sagen, Paula. Ich weiß nicht, vielleicht hätte er genauso reagiert wie ich, vielleicht auch nicht.“ Er schwieg einen Moment und rang sich dann schweren Herzens dazu durch zumindest ansatzweise das zu sagen, was Paula hören wollte: „Vermutlich hätte er gewollt, dass du glücklich bist, aber ich nehm an, ihm wäre auch wohler gewesen, wenn du wenigstens irgendeine Berufsausbildung in der Hand hättest.“
Mit dieser Antwort schien sie einigermaßen zufrieden zu sein, denn sie kuschelte sich gerade noch tiefer in sein Bett und meinte schließlich mit einem leisen Gähnen: „Es stimmt ja auch, ich werd auch noch irgendeine Ausbildung oder so machen, ich muss nur erstmal sehen, was ich machen will.“
Darauf erwiderte er nichts mehr. Stattdessen sah er fragend auf sie herunter und erkundigte sich dann skeptisch, ob sie denn nochmal gedenke, in dieser Nacht in ihr eigenes Bett rüber zu wandern. Mit einem verschlafen „M-m...“ löschte sie das Licht und er hatte seine Antwort.
Paula schien augenblicklich eingeschlafen zu sein, nachdem es dunkel war. Oliver lag neben ihr und lauschte ihren regelmäßigen Atemzügen. Als er gerade das Gefühl hatte nun endlich auch selbst schlafen zu können, hörte er leider noch etwas anderes als Paulas Atem. Das durfte doch nicht wahr sein!, dachte er halb verzweifelt, halb belustigt. Glücklicherweise schien Sophie im Gegensatz zu Paula im Moment kein so großes Gesprächsbedürfnis zu haben. Ohne große Erklärungen kam sie herüber und kuschelte sich auf Olivers andere Seite. Na, kein Wunder, dass er das Gefühl hatte Platzangst zu bekommen... schoss es ihm durch den Kopf.

Am nächsten Morgen fühlte Oliver sich beim Aufwachen verständlicherweise wie gerädert. Er kämpfte sich mühsam so weit hoch, dass er die Lage einigermaßen überblicken konnte. Auf seiner linken Seite lag Paula, die alle Viere von sich gestreckt hatte, so dass ein Arm und ein Bein aus dem Bett hingen, während der Rest von ihr seine eigene Bewegungsfreiheit empfindlich einschränkte. Auf der rechten Seite lag Sophie, anders als Paula, ganz klein zusammen gerollt und, er traute fast seinen Augen nicht, mit dem Daumen im Mund. Er musste grinsen und bedauerte kurz, dass er keinen Fotoapparat zur Hand hatte, mit dem Bild hätte er sie zur Weißglut gebracht.
Obwohl er gerne noch etwas liegen geblieben wäre, entschloss er sich doch aufzustehen, mit den beiden im Bett würde er ohnehin nicht mehr vernünftig einschlafen können. So rücksichtsvoll es ging, kletterte er aus dem Bett und warf als erstes einen Blick auf sein Handy. Erst sechs Uhr früh. Na super!
Dennoch suchte er seine Kleider zusammen und ging duschen. Wäre er arbeiten gegangen, hätte er schließlich genau so früh aufstehen müssen.
Als er schließlich angezogen nach unten ging, beschloss er einen kleinen Spaziergang zu machen. Hier in der Enge des Hauses würde er es heute noch lange genug aushalten müssen.
Er durchquerte den großen Garten, fast ohne einen Blick nach links oder rechts zu wenden. Es sah ohnehin alles aus wie immer. Als er an der Mauer ankam, die den hinteren Teil des Geländes begrenzte, überlegte er kurz den kleinen Umweg zum Tor zu gehen, entschied sich dann aber dagegen und kletterte stattdessen über die Mauer.
„Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du ruhig die Tür benutzen kannst?!“ fragte die energische Stimme seines Großvaters, als Oliver auf der anderen Seite landete. „Du bist noch genau wie als kleiner Junge!“
Oliver konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Ach ja? Rebecca meint, ich wäre ziemlich spießig geworden mittlerweile.“
Wilhelm lachte kurz auf. „Oh, sie sagt dir die Meinung? Das ist gut.“
Oliver räusperte sich. Er wollte nicht über seine Beziehung diskutieren und fragte deshalb: „Was machst du jetzt schon hier? Warst du schon mit den Hunden draußen?“
„Wir wollten gerade losgehen“, erwiderte sein Opa und pfiff dabei leise durch die Zähne, so dass beide Hunde sofort neben ihm auftauchten, „Willst du nicht mitkommen?“
Oliver nickte: „Klar, gern.“
Als Junge war das das Schönste für ihn bei seinen Großeneltern gewesen, danach hatte er seinen Eltern jedes Mal wochenlang vorgequengelt, dass er auch unbedingt einen Hund bräuchte. Leider, oder vielleicht auch zum Glück, hatten sie nie nachgegeben. Deshalb liebte er die Hunde seiner Großeltern dann auch abgöttisch. Im Moment handelte es sich dabei um eine alte Irish Setter Dame, Duchesse, die schon seit Olivers fünfzehntem Lebensjahr bei seinen Großeltern war, und um Cairo, einen noch relativ jungen aber geradezu riesigen irischen Wolfshund.
Während sie in Richtung der Felder hinter dem Haus gingen, warf Oliver für Cairo Stöckchen. Duchesse, die wesentlich älter war, trottete ruhig neben Wilhelm her.
Nach einigen Minuten fragte Oliver schließlich vorsichtig: „Wusste Oma schon das sie sterben würde? Wollte sie sich deshalb mit Rebecca und mir versöhnen?“
Sein Großvater zögerte nur kurz: „Ja, wir wussten, dass es mit ihrem Herzen nicht zum Besten stand, aber dass es so schnell gehen würde..., ich glaube, damit haben wir beide nicht gerechnet...“ Oliver hörte das leichte Zittern in der Stimme seines Opas.
Eine Weile waren sie schweigend nebeneinander hergegangen, als Wilhelm sich räusperte. „Ihr kommt doch zur Beerdigung, Rebecca und du?“
Oliver nickte: „Ja, natürlich.“
„Gut“, Wilhelm klang erleichtert, „Es war deiner Großmutter wirklich wichtig diesen... Streit mit Rebecca zu begraben.“
„Das war kein Streit, Opa“, Oliver musste sich bemühen ruhig zu bleiben, „Ihr habt ihr einfach zu verstehen gegeben, dass ihr sie und Jan nicht akzeptiert. Sie hat nie etwas getan.“
Wilhelm seufzte, bevor er zugab: „Ja, du hast ja recht. Aber verstehst du nicht, dass wir uns einfach nur Sorgen um dich gemacht haben? Ohne sie hättest du es einfach leichter gehabt.“
Oliver musste fast lachen. „Sie ohne mich auch.“ Er ließ den Blick kurz über die nebelverhangenen Felder schweifen, bevor er sagte: „Ich weiß wirklich nicht, wieso ihr immer gedacht habt, ich wäre ein absolutes Unschuldslamm und sie die Böse.“
Nun war es an Wilhelm kurz zu lächeln. „Ich nehm an, das war einfacher als einzugestehen, dass du vielleicht auch Fehler gemacht hast.“
„Wahrscheinlich“, gab Oliver zu, „Aber, falls es dich beruhigt, es war eigentlich kein so großer Fehler. Ich meine, es wäre definitiv günstiger gewesen, wenn sie nicht so schnell schwanger geworden wäre, aber ich... liebe sie. Es macht also eigentlich keinen Unterschied.“
Oliver fand es seltsam, das mit seinem Großvater zu besprechen, aber irgendwie fühlte es sich richtig an, als der ihm jetzt einen anerkennenden Klaps auf die Schulter gab.

Rebecca saß auf dem Sofa und legte die Füße hoch. Ausnahmsweise hatte sie es geschafft Jan ohne viel Gebrüll zu seinem Mittagsschlaf zu überreden.
Sie lehnte sich mit einem zufriedenen Aufseufzen zurück und schloss kurz die Augen, als sie eine Bewegung des Babys spürte. Mit einem Lächeln strich sie über ihren Bauch und bekam sofort einen erneuten Knuff zur Antwort.
Sie sah zum Fenster und bemerkte, dass es in Strömen regnete, obwohl den ganzen Tag die Sonne geschienen hatte. Kurz kam ihr der Gedanke, dass es toll wäre sich jetzt einfach in den strömenden Regen zu stellen, einfach nur zum Spaß, um das Leben zu genießen. Doch natürlich verwarf sie den Gedanken sofort wieder. Als Mutter sollte sie wohl etwas vernünftiger sein.
Dann schweiften ihre Gedanken zu Oliver. Ob es ihm gut ging? Sie konnte nicht genau einschätzen, wie sehr ihn der Tod seiner Oma mitnahm. Im ersten Moment war er definitiv schockiert gewesen, aber was er wirklich fühlte, hatte er ihr danach nicht mehr gezeigt. Ob er es bereute, dass er ihretwegen in den letzten Jahren so wenig Kontakt zu Maria und Wilhelm gehabt hatte?
Sie hoffte, dass er am Abend nicht ganz so spät nachhause kommen würde. Zum einen wollte sie gerne noch mit ihm reden, zum anderen wollte sie nicht, dass er sich wieder mehr Stress machte als er ohnehin schon hatte.
Es klingelte an der Tür und Rebecca schreckte jäh aus ihren Gedanken auf und beeilte sich dann so schnell wie möglich zu öffnen, bevor der unbekannte Besucher das Gefühl hatte nochmal klingeln zu müssen. Sie wollte nicht, dass Jan wieder aufwachte.
Kurz darauf kam Stephan die Treppe hoch. „Hallo!“ er begrüßte Rebecca mit einem leichten Kuss auf die Wange und ging an ihr vorbei in die Küche. Sie folgte ihm etwas erstaunt. Er wusste doch, dass Oliver nicht da war, wollte er ihr und Jan einfach nur mal wieder einen Kurzbesuch abstatten, oder hatte sein Erscheinen einen bestimmten Grund?
Nachdem sie ihm etwas zu trinken angeboten und sich dann ihm gegenüber an den Tisch gesetzt hatte, erkundigte sie sich ob sie etwas sie für ihn tun könne.
Er lächelte etwas gequält: „Naja, Ja und Nein. Ich musste zuhause einfach mal raus und nachdem ich ein bißchen in der Stadt war, dachte ich mir, ich lass mich mal hier blicken und sehe wie es dir so geht.“
„Gut, danke der Nachfrage!“ erwiderte Rebecca mit einem Grinsen, bevor sie sich erkundigte: „Und, erfahr ich auch, warum du so schnell aus deiner Wohnung fliehen musstest, oder bleibt das ein Geheimnis? Markus und Sophie können im Moment ja nicht der Grund sein, oder?“
Er schüttelte resigniert den Kopf: „Nein. Das Problem ist... Claudia...“
Rebecca musste sich ein Lachen verkneifen und wollte gerade fragen, was denn mit Claudia wäre, als Stephan plötzlich einfiel: „Hey, das Ganze ist ja eigentlich deine Schuld, ich hoffe, das weißt du!“
Rebecca lachte: „Von wegen, ich hab dir nur ´nen Rat gegeben, ich hab dich nicht gezwungen ihn zu befolgen! Aber jetzt erzähl endlich mal was eigentlich passiert ist.“
„Äh,...“ er machte plötzlich einen etwas verlegenen Eindruck und Rebecca musste beinahe wieder lachen. „Also, was nach der Party noch passiert ist, kannst du dir ja sicher denken...“
„Stimmt, allerdings bin ich sehr beruhigt, dass es tatsächlich erst danach passiert ist“, zog sie ihn grinsend auf.
„Haha!“ gab er trocken zurück. „Wie auch immer, auf jeden Fall scheint sie jetzt zu denken, wir wären zusammen. Was ich ehrlich gesagt ganz und gar nicht so sehe...“
„Aha, wieso sagst du ihr das denn nicht einfach?“
„Hab ich ja, aber sie bemüht sich irgendwie es zu überhören!“ erwiderte er empört.
„Wie? Sie überhört es einfach? Das klingt gerade ziemlich psycho...“ meinte Rebecca verwirrt.
Er zuckte die Schultern und gab dann zu: „Ok, das war vielleicht ein bißchen falsch ausgedrückt. Aber sie hat´s irgendwie so hingedreht, dass sie mir... naja... quasi ´ne Fickbeziehung aufgequatscht hat. Gestern Abend stand sie dann schon wieder auf der Matte und eben wollte ich sie dann nur noch irgendwie loswerden...“
Rebecca konnte sich nicht zurückhalten, sie bekam einen ausgiebigen Lachanfall. Stephan sah sie böse an, bis sie sich schließlich so weit beruhigt hatte, dass sie keuchend heraus brachte: „´Tschuldige, aber ich find´s so lustig, dass du vor ´ner Fickbeziehung die Flucht ergreifst...“ wieder kicherte sie.
„Naja, ich war betrunken, und unter uns, mehr als eine Nacht mit ihr muss nun wirklich nicht sein“, rechtfertigte er sich.
„Ts, ts, ts!“ machte Rebecca missbilligend, dann meinte sie nocheinmal: „Du musst es ihr sagen. Vorher hast du eh keine Ruhe.“
„Vielleicht verschwindet sie ja einfach von selbst wieder...“ mutmaßte er hoffnungsvoll, doch Rebecca schaffte es diese Hoffnungen sofort im Keim zu ersticken: „Garantiert nicht! Sie ist eine gute Freundin von Sophie, sie wird immer einen Weg finden ‚zufällig‘ bei dir aufzutauchen!“
Stephan seufzte: „Wahrscheinlich hast du recht.“ Dann sah er sich etwas erstaunt in der Küche um: „Sag mal, wo ist Jan eigentlich abgeblieben? Ist er mit zu Olivers Großvater gefahren?“
„Bist du wahnsinnig?“ Rebecca schüttelte den Kopf. „Jan wäre vermutlich das Letzte, was die jetzt noch gebrauchen können. Nein, er macht seinen Mittagsschlaf; ausnahmsweise...“
„Oh, dann störe ich dich gerade in deiner heiligen Mittagspause?“ fragte er halb neckend, halb bedauernd.
„Quatsch! Gespräche mit Erwachsenen sind doch das Beste an meiner heiligen Mittagspause!“erwiderte sie lächelnd. Dann fiel ihr ein, dass sie am Samstag ja eigentlich beschlossen hatte sich so schnell wie möglich bei Manu zu melden. Durch die ganze Sache mit Olivers Oma hatte sie das bis jetzt aber wieder völlig vergessen. „Mist!“ entfuhr es ihr deshalb.
Stephan sah sie überrascht an: „Ähm, was ist?“
„Ach, nichts...“ sie erklärte ihm, dass sie sich endlich mal wieder bei Manu anrufen wollte, weil sie das so lange schon nicht mehr gemacht hatte.
Stephan nickte, dann fiel ihm offenbar etwas ein: „Äh, du willst sie aber nicht wegen Timm anrufen, oder?“
Sie sah ihn überrascht an, doch dann fiel der Groschen: „Du meinst, wegen Samstag?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich für meinen Teil hab nicht gesehen, dass er mit dem Mädel rumgemacht hat und ich will´s ehrlich gesagt auch gar nicht wissen! Oliver hat schon recht, ich sollte mich da für´s erste nicht mehr einmischen, das müssen die beiden jetzt selber wissen.“
Stephan nickte zustimmend.
Rebecca lehnte sich auf ihrem Stuhl ein wenig zurück und versuchte sich etwas bequemer hinzusetzen. Als der Versuch sich als vergeblich erwies, stand sie auf: „Komm, wir gehen ins Wohnzimmer, das ist bequemer und darauf besteh ich in meiner Mittagspause.“
Stephan folgte ihr lachend.
„Sag mal, wann seid ihr eigentlich gegangen? Ich kann mich irgendwie nicht dran erinnern.“
Rebecca ließ sich prustend auf´s Sofa fallen: „Das glaub ich, du warst auch gerade ziemlich beschäftigt, als wir uns auf den Weg gemacht haben.“
Amüsanterweise wurde er tatsächlich ein klein wenig rot. „Naja, wenn ich sonst nichts Schlimmes gemacht habe...“
Rebecca fiel wieder ein, was er betrunken zu ihr gesagt hatte und sie konnte ein gewisses Unbehagen nicht unterdrücken.
Stephan musterte sie plötzlich unbehaglich: „Ich hab doch sonst nichts gemacht, oder?“
„Äh, Nein, eigentlich nicht. Zumindest nicht dass ich wüsste...“ antwortete sie leider etwas zu zögerlich. Stephan schien nicht ganz sicher ob er ihr das so abnehmen konnte, das sah sie an seinem Blick, doch glücklicherweise verzichtete er darauf weiter nachzuhaken.
Stattdessen fragte er, wie es Oliver ginge und erzählte, dass Sophie, nach dem Anruf ihrer Mutter angefangen hatte zu weinen und nicht mehr aufgehört hatte, bis Oliver sie abholte.
Stephan machte eine unbehagliche Bewegung: „Ich hasse solche Situationen. Du kannst nichts sagen, was dem anderen irgendwie helfen würde.“
Rebecca stimmte ihm aus vollem Herzen zu, dann fiel ihr etwas ein: „Du warst auch schon mit Oliver befreundet als sein Vater gestorben ist, oder?“
Er nickte: „Ja, das war wirklich krass damals. Vor allem, weil es so plötzlich passiert ist.“
„Glaubst du, der Tod seiner Großmutter erinnert ihn wieder daran?“ erkundigte Rebecca sich mit einem Seitenblick bei Stephan.
Er zuckte die Schultern: „Schwer zu sagen. Ich hab ihn ja nur kurz gesehen als er Sophie abgeholt hat, und im Gegensatz zu ihr wirkte er ziemlich gefasst.“
„Ja, er war eigentlich die ganze Zeit relativ ruhig nachdem Andrea angerufen hat, aber ich mach mir trotzdem Sorgen“, gab Rebecca zu.
„Ach was!“ versuchte Stephan sofort sie zu beruhigen. „Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es ihn so mitnimmt. Als sein Vater damals gestorben ist, war das was ganz anderes, er war seine wichtigste Bezugsperson. Aber seine Oma war schließlich schon älter und soviel Kontakt hattet ihr doch ohnehin nicht zu ihr, oder?“
Rebecca lächelte etwas gequält, bei der Erinnerung an die erst sehr kurz zurückliegende Versöhnung mit Maria und Wilhelm.

Nachdem Stephan sich tatsächlich wieder getraut hatte nachhause zu gehen, fasste Rebecca sich endlich ein Herz und rief Manu an.
Schnell stellte sich heraus, dass ihre Befürchtungen, Manu könnte vielleicht doch noch sauer auf sie sein, vollkommen unbegründet waren. Ganz im Gegenteil, Manu entschuldigte sich bestimmt fünfmal für das dumme Zeug, das sie Rebecca an den Kopf geworfen hatte und meinte schließlich ein bißchen schüchtern: „Ich wollte dich eigentlich auch schon längst anrufen, aber dann hab ich mich nicht so richtig getraut, weil du schließlich wirklich allen Grund hattest auf mich sauer zu sein.“ Bevor sie sich jetzt zum sechsten Mal entschuldigen konnte, sagte Rebecca schnell: „Stimmt, aber ich hätte mich vielleicht auch ein bißchen zurückhalten sollen, was dich und Timm angeht. Lass uns die ganze Sache einfach vergessen, ok?“
Manu stimmte erleichtert zu.
Schließlich nahm das Gespräch einen normalen Verlauf und Rebecca merkte, wie sehr sie ihre beste Freundin tatsächlich vermisst hatte.
Nachdem Manu sie mit dem neuesten Klatsch versorgt hatte, erzählte Rebecca ihr von Stephans Geburtstag. Timms Erzählungen waren natürlich nicht sonderlich informativ gewesen, wie Manu erwähnte. Rebecca musste sich kurz auf die Zunge beißen um auch wirklich nichts über Timm zu sagen, doch dann erzählte sie Manu von Stephan und Claudia und von ihrer eigenen Begegnung mit Helena.
„Wow, also meint die, Lisa will immer noch was von Oliver?!“ fragte Manu überrascht aber auch ein bißchen sensationslüstern.
„Ja, scheinbar“, antwortete Rebecca einsilbig „Aber lass uns nicht weiter drüber reden, ich will mir über Lisa nicht wieder den Kopf zerbrechen.“ Manu gab am anderen Ende der Leitung ein zustimmendes Geräusch von sich und Rebecca fuhr fort: „Außerdem muss ich dir unbedingt noch was anderes erzählen...“ Sie war sich zwar nicht ganz sicher, ob sie die Sache mit Stephan tatsächlich erzählen sollte, doch mit irgendwem musste sie darüber reden und Manu war schließlich ihre beste Freundin. Deshalb begann sie jetzt langsam: „Stephan hat an dem Abend was komisches zu mir gesagt, allerdings war er ja auch total dicht und wahrscheinlich mach ich mir nur mal wieder viel zu viele Gedanken...“ Sie unterbrach sich kurz, was Manu dazu veranlasste ungeduldig nachzufragen, was Stephan denn nun gesagt hätte.
„Naja, er hat sowas in die Richtung gesagt, dass er Oliver um mich beneidet“, erzählte Rebecca langsam und fügte dann noch schnell hinzu: „Aber das war bestimmt nur so gemeint, dass er selber gern wieder ´ne feste Beziehung hätte. Wahrscheinlich meinte er das gar nicht so speziell auf mich bezogen.“
Manu schwieg einen Moment, was Rebecca erstrecht nervös machte. „Ich mein, er ist Olivers bester Freund.“
„Hmm... Wie genau hat er´s denn gesagt?“ erkundigte sich Manu nachdenklich.
Rebecca überlegte einen Moment und versuchte sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. „Ich glaub, er hat´s genau so gesagt, dass er Oliver um mich beneidet.“
„Dann war das nicht allgemein auf eure Beziehung bezogen, sondern schon direkt auf dich“, stellte Manu fest.
„Meinst du?“ fragte Rebecca unbehaglich.
„Hört sich schon so an“, sagte Manu. „Aber das muss ja nicht unbedingt was heißen“, schwächte sie ihre Aussage dann ab.
„Also denkst du nicht, dass ich irgendwas machen sollte?“
„Was willst du denn machen?!“ fragte Manu belustigt zurück und fügte dann noch mit einem Kichern hinzu: „Oder denkst du etwa über eine kleine Affäre nach?"
„Blöde Kuh!“ gab Rebecca scherzhaft zurück, bevor sie wieder ernst fragte: „Also muss ich es Oliver nicht erzählen, oder?“
„Ach was!“ antwortet Manu bestimmt. „Es war ja nichts und nur wegen so einem betrunkenen Gerede solltest du nicht die Gefahr eingehen, dass die beiden Stress kriegen, oder? Außerdem hat Olli ja jetzt wohl auch grad anderes im Kopf, wenn seine Oma gestorben ist.“
Rebecca musste Manu zustimmen.
Hinterher dachte sie, dass sie jetzt zwar einerseits froh war endlich mit jemandem darüber gesprochen zu haben, aber andererseits fühlte es sich auch irgendwie falsch an, dass Manu jetzt davon wusste und Oliver nicht. Außerdem dachte sie mit Unbehagen daran, wie blöd es wäre, wenn Manu jetzt Timm davon erzählte. Sie hatte ihr zwar das Versprechen abgenommen den Mund zu halten, aber sie wusste ja selbst wie sowas in einer Beziehung war...

Am späten Nachmittag machte Oliver sich wieder auf den Weg nachhause. Paula und Sophie hatten beschlossen noch ein paar Tage bei Wilhelm zu bleiben. Sie wollten ihn nicht schon wieder alleine lassen und Oliver gestand sich ein, dass es ihn nicht gerade störte auf der Rückfahrt ein wenig seine Ruhe zu haben.
Er fühlte sich regelrecht befreit, als er endlich auf der Autobahn in Richtung Köln war. Zwar verursachte das auch erneute Schuldgefühle bei ihm, doch er bemühte sich das zu verdrängen, schließlich musste er ja auch nachhause fahren.
Als er endlich ankam war es draußen schon dunkel. Er schloß die Wohnungstür auf und hörte nur das leise Geräusch des Fernsehers, also war Jan vermutlich schon im Bett.
Er ging zuerst ins Wohnzimmer um Rebecca zu begrüßen, doch er musste feststellen, dass sie sich bereits auf dem Sofa zusammengerollt hatte und tief und fest schlief. Also machte er kehrt um kurz einen Blick ins Kinderzimmer zu werfen.
Jan hatte mehr oder weniger alle Viere von sich gestreckt und seine Decke lag zusammengeknüllt am Kopfende des Bettchens, während sein Kopf am anderen Ende ruhte. Oliver musste lächeln, als er sah, dass der Kleine den Daumen im Mund hatte, genau wie Sophie.
Er zog die Decke unter Jans Füßen hervor und breitete sie über den kleinen Körper. Jan bewegte sich und machte kurz die Augen auf. „Papa...?“
Oliver strich ihm leicht über den Kopf. „Schlaf schön.“ Dann verließ er das Kinderzimmer um Jan nicht wirklich aufzuwecken.
Im Flur zögerte er kurz und überlegte ob er sich noch ein Bier aus der Küche genehmigen oder direkt ins Wohnzimmer gehen sollte. Er entschied sich für Ersteres. Als er mit seinem Bier ins Wohnzimmer kam, blinzelte Rebecca ihn verschlafen an. „Oh, du bist ja wieder da...“
Er nickte und konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen. „Stimmt. Und, was gibt´s Neues? Oder will ich das lieber nicht wissen, wenn du schon um...“, er warf einen Blick auf seine Uhr, „...halb neun tief und fest pennst?!“
„Haha!“ gab sie ironisch zurück und setzte sich verschlafen auf. „Wie geht´s deinem Opa?“ erkundigte sie sich und unterdrückte ein Gähnen.
Oliver zuckte die Schultern: „Gut soweit, denke ich. Er wusste, dass es passieren würde, aber dass es jetzt doch so schnell ging, hat ihn, glaub ich, ziemlich mitgenommen.“
„Dann hast du mit ihm darüber gesprochen?“ fragte Rebecca überrascht.
„Ja“, Oliver nickte und trank einen Schluck. „Aber nur kurz. Er ist eigentlich ziemlich gefasst.“
Rebecca musste sich auf die Zunge beißen um nicht zu erwidern: Genau wie du! , stattdessen fragte sie dann: „Und, wie geht´s dir?“
Wieder zuckte er die Schultern: „Gut, genauso wie vorher.“ Er machte den Eindruck als wollte er noch etwas sagen, doch dann schien er es sich anders zu überlegen und spülte die Worte mit einem Schluck aus seiner Bierflasche runter.
Rebecca unterdrückte den Wunsch weiter zu bohren und fragte stattdessen nach Sophie. „Stephan meinte, sie wäre total fertig gewesen“, fügte sie noch hinzu.
„Ja, war sie auch, genau wie Paula, die beiden sind noch bei Wilhelm geblieben.“ Oliver setzte sich in einen Sessel und trank noch einen Schluck Bier. „Stephan? Hat er angerufen?“
„Nein, er war vorhin hier.“ Rebecca grinste. „Er musste vor Claudia flüchten. Scheinbar verfolgt sie ihn.“
„Was?!“ fragte Oliver lachend, „Wie, sie verfolgt ihn?“
Rebecca wiederholte fröhlich was Stephan ihr am Nachmittag erzählt hatte. Nachdem sie geendet hatte, konnte Oliver sich vor Lachen kaum noch halten. „Wer weiß…“ meinte er schließlich „...vielleicht wird aus den beiden ja doch noch was, wenn sie hartnäckig genug ist. Würde ihm bestimmt nicht schaden, wenn er endlich mal wieder was Neues hat.“
Rebecca schüttelte lächelnd den Kopf: „Nein, ich glaub nicht, dass das, das ist, was er will.“
„Aber es wäre verdammt lustig, oder?“ „Für dich schon, für ihn wohl kaum“, entgegnete Rebecca trocken.
Dann fiel ihr etwas ein und sie wurde schlagartig ernst: „Sag mal, hat Sophie eigentlich noch mal was gesagt, ich mein, wegen Peter und so? Oder glaubst du, dass sie da jetzt wirklich drüber weg ist?“
„Keine Ahnung“, Oliver schüttelte den Kopf, „Gesagt hat sie auf jeden Fall nichts mehr, andererseits war sie in letzter Zeit wohl auch nicht so oft zuhause...“
„Hmm,...hoffen wir mal das Beste.“ Rebecca gähnte ausgiebig und Oliver sah sie fragend an: „War´s sehr stressig heute?“ Sie winkte ab: „Nein, eigentlich gar nicht. Jan hat sogar seinen Mittagsschlaf gehalten.“ Oliver stieß einen beeindruckten Pfiff aus, bevor Rebecca fortfuhr: „Ich war eigentlich gar nicht so müde, aber nachdem ich eben schonmal eingeschlafen bin...“
„Ts, aber zu mir sagen, ich wäre spießig geworden.“ Oliver schüttelte den Kopf und schnappte sich die Fernbedienung.

Rebecca ging bald ins Bett und Oliver blieb alleine im Wohnzimmer zurück. Er zappte noch ein bißchen durch die Programme, fand aber absolut nichts was ihn auch nur annähernd interessiert hätte. Allerdings hatte er auch keine Lust ebenfalls schon schlafen zu gehen.
Er dachte an Rebeccas Frage, wie es ihm wegen seiner Großmutter ginge. Er hatte ihr angesehen, dass sie seine Reaktion genauso seltsam fand wie Paula und dass sie gerne mit ihm darüber gesprochen hätte. Er hatte sogar kurz überlegt etwas dazu zu sagen, doch dann hatte er sich dagegen entschieden. Ihm war nicht danach über die ganze Sache zu reden. Genauso wie er eigentlich auch nicht darüber nachdenken wollte. Vor allem weil er ja selbst nicht wusste warum ihn das alles eigentlich so kalt ließ.
Er zwang sich die Gedanken an dieses Thema einfach zu verdrängen. Um sich abzulenken schaltete er den Computer ein.
Eigentlich wollte er nur seine eMails checken, doch als er auf den Bildschirm starrte, fiel ihm plötzlich ein, dass Rebecca in letzter Zeit wieder viel mehr geschrieben hatte, als früher. Allerdings hasste sie es, wenn er ihr dabei über die Schulter sah. Aber jetzt war sie ja nicht da... Nein, das konnte er nicht machen. Er wusste genau, dass sie nicht wollte, dass er einfach ihre Sachen las. Die Versuchung war dennoch ziemlich groß. Er zwang sich seine eMails abzurufen.
Als er fertig war zögerte er einen Moment. Was würde es schon schaden, wenn er mal reinguckte in die Texte? Im Zweifelsfall würde sie es nie erfahren. Und es interessierte ihn brennend, was sie eigentlich so schrieb. Er klickte auf den Ordner mit ihren Artikeln.

Rebecca wurde wach als sich eine nasse kleine Hand auf ihren Arm legte. Sie blinzelte in das seelig lächelnde Gesicht ihres Sohnes. „Mama, hab duscht!“ Schlagartig wach, setzte sie sich im Bett auf. Jan stand vor ihrem Nachttisch und tropfte fröhlich auf den Teppich.
Glücklicherweise war die Überschwemmung im Badezimmer nicht ganz so schlimm wie sie im ersten Moment befürchtet hatte. Sie schimpfte trotzdem ordentlich mit ihm, in der Hoffnung, dass er es sich merken würde und nicht nochmal auf so eine dumme Idee kam. Sie wollte gar nicht drüber nachdenken, was passiert wäre, wenn er auf die Idee gekommen wäre zu baden, statt nur zu duschen. Vielleicht würde sie in nächster Zeit auch lieber das Badezimmer abschließen, wenn sie abends ins Bett ging.
Nachdem sowohl Jan als auch die Wohnung wieder trocken gelegt waren, schnappte sie sich ihren Sprößling und verfrachtete ihn in den Kindergarten.
Wieder zuhause, hatte sie kaum die Wohnungstür aufgeschlossen, als auch schon das Telefon klingelte. „Rebecca Spengler?“
„Oh wow, du scheinst dich an das Eheleben ja schon richtig gewöhnt zu haben.“
„Elke, hallo.“
„Hallo. Hör mal, ich will dich gar nicht lange stören. Ich ruf nur an, weil...“ sie unterbrach sich um nochmal neu anzufangen: „Also, ich hab eine Frage oder eine Bitte an dich, wie auch immer, aber falls es dir zuviel ist, oder so, dann sag´s bitte sofort, das ist kein Problem. Ich versteh das sehr gut.“ Wieder machte sie eine kurze Pause, doch nicht lang genug, um Rebecca eine Erwiderung zu ermöglichen. „Die Kinder haben doch bald Herbstferien. Richard und ich wollten mit ihnen eine Woche wegfahren, nichts Großes, nur zu Bekannten in die Schweiz. Leider behauptet meine Tochter standhaft, sie würde auf keinen Fall mitkommen, sie will viel lieber die Woche bei euch, also genauer gesagt bei Jan, verbringen und sie meinte, du hättest ihr das auch schon irgendwann erlaubt.“
Rebecca überlegte kurz. Wann hatte sie Hannah das letzte Mal gesehen? Auf dem Geburtstag ihres Vaters? „Hm, ja, ich glaub, ich hab mal zu ihr gesagt, dass sie in den Ferien gern irgendwann ein paar Tage zu uns kommen kann.“
„Ach so, hab ich mir schon mehr oder weniger gedacht, bei ihr hört es sich natürlich schon so an, als hättet ihr das ganz fest ausgemacht. Kannst du dir ja vorstellen.“ Elke lachte. „Steht das Angebot denn noch? Wir wären in der Woche vom siebten bis zum vierzehnten Oktober weg.“
„Hm, im Moment geht´s bei uns mal wieder ein bißchen drunter und drüber, Olivers Großmutter ist vor ein paar Tagen gestorben, aber...“ „Oh, die nette alte Dame die auch auf eurer Hochzeit war?“ unterbrach Elke sie bedauernd.
Rebecca musste ein unpassendes Lachen unterdrücken und fühlte sich äußerst pietätlos. „Nein, die andere, die die nicht da war.“
„Oh“, machte Elke und dann nochmal vielsagender: „Ooooh!“ Wieder musste Rebecca sich ein Lachen verkneifen, bei der Vorstellung welche Kraftanstrengung es Elke gerade kostete nichts Schlechtes über die Tote zu sagen. Natürlich war es Rebeccas Familie nicht entgangen, dass ihr Verhältnis zu Olivers Großeltern väterlicherseits eher unterkühlt war. Doch schließlich schaffte Elke es, das Thema schnell zu beenden in dem sie ihr Beileid ausdrückte und Rebecca bat, das auch Oliver auszurichten. Dann meinte sie verständnisvoll. „Gut, dann wird das mit Hannah in diesen Ferien wohl nichts. Wenn ihr soviel um die Ohren habt.“
„Nein, nein“, meinte Rebecca schnell, „Der siebte Oktober ist ja erst in drei Wochen, bis dahin wird...“ fast wäre ihr rausgerutscht bis dahin wird sie wohl unter der Erde sein doch im letzten Moment schaffte sie es sich zusammen zu reißen und den Satz stattdessen mit: „...bis dahin wird wohl wieder etwas Ruhe eingekehrt sein“, zu beenden.
Als sie schließlich auflegten, war es höchste Zeit, denn Rebecca war keine Sekunde länger in der Lage ihr Lachen zu unterdrücken. Man, das durfte doch nicht wahr sein, dachte sie, während sie sich langsam wieder beruhigte. Wieso fand sie das Ganze nur so schrecklich komisch? Es war ja nun wirklich nichts Lustiges an Marias Tod und selbst wenn sie sich nicht zum Schluß doch noch mit ihr versöhnt hätte, wäre das kein Grund darüber zu lachen. Rebecca beruhigte ihr Gewissen schließlich, indem sie sich sagte, dass sie ja mehr über Elkes unterdrückte Reaktion als über Marias Tod gelacht hatte. Das wäre sonst auch wirklich zu makaber.
Sie riss sich zusammen und ging ins Wohnzimmer, immerhin wollte sie ja noch ein bißchen was schaffen ehe es schon wieder Zeit war Jan vom Kindergarten abzuholen.

Als Oliver nachhause kam, dachte er immer noch über das nach, was er am Abend zuvor in Rebeccas Ordner gelesen hatte. Sie hatte gelogen, sie arbeitete nicht an Artikeln, zumindest nicht nur. Das meiste waren Ansätze für Romane oder Kurzgeschichten gewesen. Von wegen, sie hätte zu wenig Phantasie dafür. Im Gegenteil, es war beeindruckend gewesen ihre verschiedenen Ideen zu betrachten. Wirklich überrascht hatte ihn allerdings der Beginn eines Kinderbuches, eigentlich, dachte er jetzt war es ja ziemlich naheliegend für sie, aber er hätte es trotzdem nicht erwartet.
Schade nur, dass er sie nicht darauf ansprechen konnte. Sie würde ihn umbringen, wenn sie hörte, dass er ihre Sachen gelesen hatte. Es war allerdings auch ein wenig beängstigend gewesen, denn es gab neben den lustigen und einfach unterhaltenden Texten, auch einen, der verdammt düster gewesen war. Also nicht düster wie ein Krimi oder Thriller, sondern persönlicher. Es war nur eine knappe Seite gewesen, aber auf der begann jemand ziemlich überzeugend zu beschreiben, wie überflüssig er sich vorkam, es ging soweit, dass beschrieben wurde, wie derjenige versuchte sich selbst zu verletzen und sich wie ein noch größerer Versager vorkam, weil er selbst das nicht schaffte. Dann brach der Text abrupt ab.
Oliver wusste, dass er dem Ganzen nicht soviel Bedeutung beimessen sollte, das entsprang lediglich ihrer Phantasie. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass er sich Gedanken und wohl auch ein bißchen Sorgen darüber machte.
Er schloss die Wohnungstür auf und schob die Grübeleien daran bei Seite, gleichzeitig schwor er sich, nie wieder etwas von dem zu lesen, was Rebecca schrieb, außer sie forderte ihn selbst dazu auf. Er hätte vorher wissen müssen, dass es ihm schwerfallen würde nicht mit ihr darüber zu reden, außerdem schämte er sich mittlerweile schon ziemlich dafür so in ihre Privatsphäre eingedrungen zu sein. Es war ein bißchen als hätte er ihr Tagebuch gelesen. Nicht dass sie eins hätte, aber wenn, dann könnte er nur hoffen, dass er das nicht tun würde.
„Papa!“ Jan kam aus dem Wohnzimmer auf ihn zu gestürzt. Oliver hob ihn hoch und versuchte so gut wie möglich Jans farbverschmierte Fingerchen von seinen Kleidern fernzuhalten. „Na, Zwerg! Was hast du denn gemacht?“
Jan ließ einen ziemlich unverständlichen Wortschwall los und Oliver sah sich hilfesuchend nach Rebecca um.
Die tauchte schließlich mit einem Lächeln in der Wohnzimmertür auf. Ihre Hände und das alte T-Shirt, das sie trug, waren ebenfalls mit Farbflecken verziert.
Oliver musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Was habt ihr denn gemacht?“
Rebecca stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn bevor sie antwortete: „Mein Vater hat vorhin meine alte Wiege vorbei gebracht und wir haben sie eben ein bißchen mit Jans Fingerfarben verschönert.“
Oliver folgte ihr mit einem skeptischen Blick ins Wohnzimmer.
Mitten im Raum auf einer großen Lage Zeitungen stand Rebeccas alte Wiege. Das vorher schlichte Holz war mit Handabdrücken und knallbuntem Geschmiere von Jan verziert. Es war eher kreativ, als schön, dachte Oliver, doch das behielt er lieber für sich.

Nachdem Jan später im Bett war, stand Rebecca nocheinmal mit bewunderndem Blick vor der Wiege. Oliver, der es sich schon auf dem Sofa bequem gemacht hatte, warf ihr einen spöttischen Blick zu: „Na, bewunderst du dein Werk?“
„Ja. Es ist ziemlich... bunt geworden, findest du nicht?“ Beide mussten lachen. Schließlich meinte Oliver: „Ja, bunt ist es definitiv.“
Rebecca lächelte: „Jan war so begeistert, da hab ich mich irgendwie mitreißen lassen.“ Sie streckte sich und presste mit einem leichten Aufstöhnen die Hand in den Rücken.
„Alles in Ordnung?“ fragte Oliver und stand auf.
„Ja, ja“, erwiderte Rebecca beschwichtigend. „Ich müsste nur noch duschen, nach der Farbschlacht vorhin, aber ich bin so müde.“
„Ach was“, meinte Oliver schmunzelnd, „Ich liebe dich so wie du bist.“ Er beugte sich vor und gab ihr einen Kuss.
„Mhm, bestimmt“, erwiderte sie grinsend.
Herausgefordert zog er sie an sich und ließ eine Hand unter ihr T-Shirt gleiten. Seufzend sank sie an seine Brust. Er hätte gerne noch ein bißchen weiter gemacht, doch sie gähnte so ausgiebig, dass er fand sie sollten lieber ins Bett gehen.
„Nein, ich muss wirklich noch duschen“, war ihre Antwort. Was ihn wiederum auf eine Idee brachte. Mit einem berechnenden Blick fragte er: „Wir könnten auch baden gehen...“
„Ja, das könnten wir auch...“ Sie grinste ihn an.
Rebecca genoss es als er sie im Badezimmer langsam auszog. Seine Hände strichen sanft streichelnd über ihren Rücken und sie wäre am liebsten sofort in seinen Armen eingeschlafen.
„Was ist das denn?“ bei der Frage war Rebecca plötzlich wieder wach. Oliver starrte auf ihren Bauch und Rebecca sah verwirrt an sich runter. „Oh.“ Mitten auf ihrem Bauch war ein kleiner grüner Handabdruck von Jan. Sie musste lachen. „Ich hab doch gesagt, es war eine Farbschlacht.“
„Und ich hab gesagt, ich liebe dich so wie du bist.“ Oliver kniete sich vor sie hin und küsste die kleine Hand auf ihrem Bauch. Langsam glitten seine Hände über ihren Po nach vorne und begannen ihre Hose zu öffnen. Das Baby in ihrem Bauch war jetzt ganz ruhig.

Rebecca lehnte sich an Oliver, als sie gemütlich in der Wanne lagen und genoss seine Zärtlichkeit. Seine Lippen nagten sanft an ihrem Hals und vergruben sich schließlich in ihrem Haar. „Geht´s dir wirklich gut?“ fragte er leise.
Überrascht versuchte sie sich ein wenig in seinen Armen zu drehen, was jedoch ein unmögliches Unterfangen war, wie sie schnell feststellte. „Ja, warum?“ fragte sie überrascht.
Sie spürte wie er die Schultern zuckte. „Ich weiß nicht, ich hab immer Angst, dass du vielleicht doch nicht so zufrieden bist, mit ... allem.“
„Mit allem,... oder mit dir?“ fragte sie neckend.
An seiner Stimme konnte sie hören, dass er lächelte: „Ok, vielleicht auch mit mir.“
„Naja, die Frage könnte ich jawohl genauso zurück geben, oder?“ „Vielleicht“, gab er zu, „Aber ich wüsste nicht, welchen Grund ich haben sollte mich über dich zu beschweren.“
„Und welchen sollte ich haben?“ gab sie zurück. Er erwiderte nichts.

Am Donnerstagmorgen war schließlich Marias Beerdigung. Während Rebecca im Nieselregen neben Oliver vor dem Grab stand und den Strom der Trauernden beobachtete, der sich am offenen Grab vorbeischlängelte, beglückwünschte sie sich zu dem Entschluss Jan bei ihren Eltern zu lassen. Sie hatten zuerst geschwankt, ob sie ihn nicht doch lieber mitnehmen sollten, waren sich dann aber einig gewesen, dass er dafür noch zu klein war und es ohnehin niemals schaffen würde so lange ruhig zu bleiben.
Christian, Markus, Andrea und Peter waren ebenfalls gekommen. Oliver hatte sich den nächsten Tag frei genommen, so dass sie zumindest noch die Nacht über bei Wilhelm bleiben konnten, die anderen würden allerdings noch am selben Abend zurück fahren.
Rebecca musterte ihren Mann von der Seite, er hatte auch jetzt nicht geweint, sein Gesicht wirkte wie versteinert, aber sie hatte nicht das Gefühl, als würde er dahinter seine Trauer verbergen eher im Gegenteil. Es war, als würde er sich bemühen bloß niemanden erkennen zu lassen wie wenig ihn das ganze berührte. Er bemerkte ihren Blick und seine undurchdringliche Miene wich einem kurzen Lächeln, während er nach ihrer Hand griff.
Rebeccas Blick wanderte weiter zu Sophie und Paula. Beide sahen ziemlich mitgenommen aus und es bestand kein Zweifel, dass sie kein Problem damit hatten um ihre Großmutter zu trauern. Auch Wilhelm war sichtlich mitgenommen, doch er hatte eine beinahe ebenso undurchdringliche Miene aufgesetzt wie sein Enkel. Wahrscheinlich, mutmaßte Rebecca, war er kein Mensch der seine Gefühle offen zur Schau stellte.

Während Sophie am Abend mit den anderen zurück nach Köln fuhr, entschied Paula sich schließlich doch noch eine Nacht zu bleiben und erst am nächsten Tag mit Oliver und Rebecca zurück zu fahren.
So kam es, dass sie schließlich zu viert in Wilhelms Wohnzimmer zurück blieben. Rebecca saß erschöpft an Oliver gelehnt auf dem Sofa und war einfach froh, dass sie den Tag jetzt beinahe überstanden hatte. Olivers Großmutter hatte sich zeitlebens ehrenamtlich in allen möglichen sozialen Vereinen engagiert und war ein äußerst aktiver Mensch mit vielen Kontakten gewesen, entsprechend groß war die Trauergemeinde heute gewesen. Sie konnte gar nicht mehr zählen wieviele Hände sie geschüttelt und wie oft sie die Frage: Ach, sie sind also Olivers Frau?, gehört hatte. Als hätten die alten Schachteln sie nicht schon den ganzen Tag beobachtet und genau gewusst wer sie war. Sie wollte gar nicht wissen, welche Schreckensgeschichten sie wohl von Maria über sie gehört hatten. Sie verbannte diesen Gedanken schnell aus ihrem Kopf, schließlich konnte ihr das nun wirklich egal sein.
Paula verabschiedete sich schließlich als erste um ins Bett zu gehen und Rebecca wollte gerade verkünden, dass sie sich ebenfalls hinlegen würde, als Wilhelm meinte: „Ich bin froh, dass ich noch einmal unter vier Augen mit euch sprechen kann.“
Rebecca sah verwundert zu ihm hin und spürte wie Oliver sich neben ihr aufsetzte. Wilhelm fuhr an Oliver gewandt fort: „Ich will nicht lange um den heißen Brei herum reden, es geht darum, dass deine Großmutter kurz vor ihrem Tod zwei Sparbücher angelegt hat.“ Er machte eine kurze Pause und warf Rebecca ein kleines Lächeln zu. „Es lag ihr sehr am Herzen, dass eure Kinder abgesichert sind und ich denke, es wäre in ihrem Sinne, wenn ich euch diese Sparbücher jetzt aushändige. Sie wollte euch eigentlich zur Geburt des Babys damit überraschen...“ Er schluckte und es fiel ihm offensichtlich schwer weiterzusprechen. Rebecca sah zu Oliver hinüber, der seinen Großvater sprachlos anstarrte.
„Sie wollte euch so gerne zeigen, dass sie ihre Entschuldigung ernst meinte. Wir ... dachten nicht, dass sie ... nicht mehr die Gelegenheit dazu haben würde.“ Wilhelms Stimme stockte und Rebecca sah, dass er mit aller Kraft die Tränen zurück drängte. Wohl auch um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen, stand er auf und ging zu dem großen Sekretär in einer Ecke des Raumes.
Wieder suchte Rebecca Olivers Blick. Er zuckte leicht die Schultern und sah immer noch einigermaßen überrumpelt aus. Sollten sie dieses Geschenk annehmen?
Wilhelm kehrte mit den beiden angekündigten Sparbüchern in der Hand zurück, die er Oliver entgegenstreckte. Der griff zögernd danach. „Danke. Wieviel...?“
Wilhelm machte eine Geste, die wohl soviel heißen sollte wie: sieh einfach nach.
Rebecca lehnte sich zu Oliver hinüber, als er eins der Bücher aufschlug und riss überrascht die Augen auf, als sie die Zahl sah, die dort stand.
Oliver sah wieder zu seinem Großvater hinüber: „Ich... ich weiß nicht, ob wir das annehmen können. Das ist verdammt viel Geld.“
Wilhelm lächelte: „Viel ist relativ. Es ist für die Kinder. Wenn ich sterbe, dann gehört dir und den Mädchen ohnehin alles, dann könnt ihr genauso gut auch jetzt schon einen Teil annehmen.“
„Und was ist mit Paula und Sophie? Es ist doch irgendwie unfair, wenn wir Geld von dir nehmen, das sie nicht bekommen.“ Rebecca stimmte ihm im Stillen zu, auch sie fühlte sich nicht richtig wohl bei dem Gedanken das Geld zu nehmen.
„Keine Angst, wenn die beiden irgendwann Kinder bekommen, werde ich ihnen dieselbe Summe aushändigen. Aber ich denke nicht, dass das jetzt schon nötig ist, die einzige Verantwortung die die beiden im Moment tragen ist die für sich selbst, bei euch dagegen ist das etwas anderes, deshalb denke ich auch, ihr solltet das...“ er deutete auf die Sparbücher in Olivers Hand „...annehmen.“

„Was überlegst du?“ Rebecca trat neben Oliver, der am Fenster stand und regungslos in die Dunkelheit hinaus starrte. Sie waren endlich alleine auf ihrem Zimmer, worüber Rebecca mehr als froh war.
Oliver seufzte. „Ich bin mir nicht sicher, ob es richtig war das anzunehmen.“
„Hm, ich auch nicht.“ Rebecca schmiegte sich an seine Schulter, woraufhin er einen Arm um sie legte und sie an sich zog. „Obwohl er recht hat. Es spricht eigentlich nichts dagegen.“
Oliver nickte leicht. „Wenn es 500 oder meinetwegen auch 5000 wären, würde ich auch gar nichts sagen, aber 50000¤?“ Er lächelte. „Ich mein, unser Kind ist noch nicht mal geboren und hat schon wesentlich mehr auf dem Konto als wir.“ Rebecca lachte. „So hab ich das noch gar nicht betrachtet. Aber ist doch super, so haben wir immer wen den wir anpumpen können.“
Als sie schließlich wieder ernst wurden, meinte Oliver es wäre ohnehin egal, da sie das Geld jetzt einmal angenommen hatten und so ein großer Fehler könnte es schließlich nicht sein. Rebecca konnte ihm nur zustimmen.
Das Thema wechselnd fragte Sie: „Du warst heute den ganzen Tag so...“ sie suchte nach dem richtigen Wort „...beherrscht. Ist alles in Ordnung?“
Oliver zuckte die Schultern und antwortete beiläufig: „Klar, ich fands nur relativ anstrengend“, während er sich von ihr löste und zum Bett ging.
Sein Verhalten machte sie sofort misstrauisch und sie beschloss, dass sie sich lang genug zurück gehalten hatte mit ihren Fragen: „Du bist schon die ganze Zeit so unbeteiligt, wenn es um deine Oma geht...“
Wieder zuckte er die Schultern, während er begann sich auszuziehen.
Rebecca wusste nicht, ob sie lachen oder wütend werden sollte. Es war so offensichtlich, dass irgendwas nicht stimmte, dass sein Verhalten einfach lächerlich war.
„Oliver?“
„Hm?“
„Was ist los?“
Er hatte ihr den Rücken zu gewandt und als er nicht sofort reagierte, trat sie hinter ihn und berührte ihn leicht an der Schulter. „Komm schon, ich merk doch, dass irgendwas nicht stimmt und ich hör eh nicht auf zu fragen bevor du mir antwortest.“
Er drehte sich halb zu ihr um und zu ihrem Erstaunen lächelte er: „Du kannst ganz schön nerven, weißt du das?“
Sie stupste ihn leicht an: „Blödmann! Sagst du mir jetzt was los ist?“
„Würd ich ja, wenn ich´s wüsste“, antwortete er ruhig. Rebecca wollte ihn schon anfahren, dass er endlich damit aufhören sollte so zu tun als ob nichts wäre, doch da fügte er noch hinzu: „Es berührt mich einfach nicht. Ich weiß auch nicht warum.“
Sie musterte ihn erstaunt, während er sein T-Shirt über den Kopf zog. „Wie? Kein bißchen? Ich mein, sie war immerhin deine Oma...“
„Ich sag ja, ich weiß auch nicht warum. Ich komm mir ja selber total blöd vor, vorallem wenn ich sehe, wie meine Schwestern sich die Augen aus dem Kopf heulen.“
Rebecca wusste nicht was sie darauf erwidern sollte und krabbelte statt etwas zu sagen erst einmal auf ihre Seite des Bettes. Schließlich meinte sie vorsichtig: „Naja, vielleicht hast du es einfach noch nicht so ganz realisiert.“
Oliver schnaubte und ließ sich ebenfalls aufs Bett sinken. „Wie soll ich das bei dem ganzen Drumrum noch nicht realisiert haben?“
Beide schwiegen einen Moment, dann sagte Oliver langsam: „Es ist irgendwie so, dass ich sie einfach nicht vermisse. Sie war kein unmittelbarer Teil meines Lebens und es gibt auch nichts, was ich ihr noch hätte sagen wollen oder so. Ich find´s schade, dass sie gestorben ist, aber... es tut nicht weh.“
„Hm, Stephan hat so was ähnliches gesagt“, entfuhr es Rebecca. Danach ärgerte sie sich über ihren unüberlegten Kommentar. Vor allem, als Oliver sich jetzt abrupt aufsetzte und in schneidendem Ton fragte: „Was bitte hat Stephan damit zu tun?!“
„Nichts“, gab Rebecca zu, „Er kam nur vorbei an dem Tag als du mit Sophie und Paula hergefahren bist und da haben wir uns eben kurz darüber unterhalten.“ Das schien ihn ein wenig zu besänftigen und sie fuhr fort: „Ich hab mir Sorgen gemacht und er meinte nur, er könnte sich nicht vorstellen, dass es dich so sehr mitnimmt, weil sie ja schließlich kein Teil unseres Lebens war, oder so ähnlich. Das war alles.“
Er musterte sie einen Moment, bevor er ironisch antwortete: „Schön, dass du dich so gut mit meinem besten Freund verstehst!“ Dann machte er Anstalten aufzustehen, doch Rebecca hielt ihn am Arm zurück. „Es tut mir leid, wir haben vielleicht fünf Sekunden darüber gesprochen, ich wusste nicht, dass das so schlimm ist...“ Er löste sich von ihr und griff nach seiner Hose, die er achtlos auf den Boden geworfen hatte.
„Wo willst du denn jetzt hin?“ fragte sie entgeistert von seiner Reaktion.
„Weg“, war alles was er sagte, als er zur Tür stapfte.
Rebecca sah ihm verdutzt nach. Was war das denn jetzt? Ok, es war vielleicht nicht so optimal, zu sagen, dass sie mit seinem besten Freund über ihn gesprochen hatte, aber in der Situation war das ja nun auch nicht so außergewöhnlich gewesen, oder? Sie hatte Stephan ja schließlich nicht erzählt, wie es zwischen ihnen im Bett lief. Rebecca blieb noch ein paar Minuten ratlos im Bett sitzen, dann beschloss sie sich sein irrationales Verhalten nicht einfach so gefallen zu lassen und ihm zu folgen.
Auf dem Flur stellte sie fest, dass sie nicht den leisesten Schimmer hatte, wo er hingegangen war und leider war dieses Haus einigermaßen riesig. Gut, vermutlich war er nach unten ins Wohnzimmer oder in die Küche gegangen, dachte sie sich schließlich und machte sich auf den Weg ins Erdgeschoss.
Leise tappte sie die Treppe hinunter und stellte bereits als sie unten ankam fest, dass es vernünftiger gewesen wäre, wenn sie sich, wie Oliver, etwas übergezogen hätte. Es war nicht mehr Hochsommer und schon einigermaßen kalt. Allerdings wollte sie nun auch nicht mehr umkehren, weit konnte er schließlich nicht sein.
Im Wohnzimmer war er allerdings nicht, wie sie feststellen musste und auch in der Küche war alles dunkel, doch sie bemerkte, dass die Tür, die von hier in den Garten führte nur angelehnt war. Zögernd stieß sie sie auf und sah hinaus. Sie konnte jedoch niemanden in der näheren Umgebung des Hauses sehen. Ohne lange nachzudenken trat sie hinaus. Der Weg der um´s Haus und in den hinteren Teil des Gartens führte war immer noch nass vom Nieselregen, der den ganzen Tag gefallen war, und sie schwor sich, nur kurz um die Hausecke zu sehen, ob Oliver irgendwo in der Nähe war und dann so schnell wie möglich zurück in ihr warmes trockenes Bett zu gehen, wo sie jetzt eigentlich sein sollte.
Sie sah ihn zuerst nicht, als sie um die Ecke gebogen war, doch als sie ihren Blick über die Wiese schweifen ließ, stand er am anderen Ende des Gartens. Erst wusste sie nicht, was er da machte, doch dann sah sie, dass er wohl einen der Hunde dabei hatte und mit ihm spielte. Kurz überlegte sie nach ihm zu rufen, doch sie wollte niemanden wecken, jetzt umkehren wollte sie aber auch nicht, vor allem, da ihre Wut gerade wieder aufflammte, manchmal benahm er sich wirklich zickiger als ein fünfzehnjähriges Mädchen! Er war ja fast so schlimm wie sie selbst, aber sie war immerhin schwanger!
Entschlossen stapfte sie also über den nassen Rasen auf ihn zu. Es dauerte ein paar Minuten, bis er den Kopf in ihre Richtung drehte und sie kommen sah und das hatte sie auch nur dem Hund zu verdanken, der sie vor ihm entdeckt hatte und nun schwanzwedelnd auf sie zukam. Sie blieb stehen und tätschelte Cairos weiches Fell. Er schien sich riesig über diesen nächtlichen Ausflug zu freuen und sprang fröhlich um sie herum. Oliver dagegen ließ sich wesentlich mehr Zeit zu ihr zu kommen. Rebecca wollte ihn am liebsten anschreien, so wütend war sie über sein Verhalten, doch schließlich riss sie sich zumindest ein bißchen zusammen und fragte lediglich in scharfem Ton: „Kannst du mir mal sagen was das soll?! Du lässt mich einfach so sitzen, ohne dass ich irgendwas getan hab und haust ohne ein Wort ab...!“
„Es tut mir leid, ich war einfach angepisst, ok?!“ gab er immer noch gereizt zurück.
„Und warum bitte? Ich hab absolut nichts Schlimmes getan, ich hab lediglich mit einem Freund kurz darüber gesprochen, dass deine Oma gestorben ist, was ist daran bitte so schrecklich?!“ sie war nun doch lauter geworden, als sie wollte und bemühte sich angestrengt wieder etwas ruhiger zu werden.
„Wie würdest du es denn finden, wenn ich mit jemand anderem über dich sprechen würde?!“ fragte er im selben Ton zurück und fügte dann noch vielsagend hinzu: „Zum Beispiel mit Lisa...“.
„Das ist ja wohl...“ was ganz anderes! hatte sie sagen wollen, schließlich war Stephan sein bester Freund, während Lisa seine ExFreundin und mit ihr kein bißchen befreundet war. Doch da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen und sie unterbrach sich hastig und sah ihn ungläubig an. „Du bist eifersüchtig?“ fragte sie schließlich vollkommen überrascht, „Das ist total...“ „...bescheuert?!“ beendete er ihren Satz halb fragend. „Weiß ich, aber ich bin´s trotzdem.“
Sie konnte nicht anders, sie musste lächeln, obwohl sie ihm sein blödes Benehmen eigentlich nicht so schnell verzeihen wollte, aber das war einfach so... „Süß, es ist total bescheuert, aber es ist auch irgendwie süß! Endlich bin ich mal nicht die Zicke hier.“
„Du kannst einen wirklich aufbauen!“ gab er ironisch zurück, doch er lächelte dabei schon wieder leicht. Sie trat einen schnellen Schritt nach vorne und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Er sah auf sie runter und lächelte leicht, als er sie sanft an sich zog. Nach einem weiteren Kuss stellte er sachlich fest: „Du zitterst.“ Sie kuschelte sich enger in seine Arme und erwiderte ebenso sachlich: „Mir ist ja auch schweinekalt.“ „Ein Wunder...“ murmelte er mit einem Blick auf ihre nackten Beine, während er sie hochhob und über den Rasen zurücktrug. Cairo folgte ihnen immer noch ausgelassen.
Oliver stellte Rebecca mehr oder weniger gewaltsam erst einmal unter die heiße Dusche, bevor sie endlich wieder in ihr Bett durfte, doch als sie schließlich wieder aufgewärmt neben ihm lag, fragte sie: „Du weißt aber schon, dass du keinen Grund hast eifersüchtig zu sein, oder?“
„Hm“, erwiderte er zögernd und murmelte dann noch etwas, dass Rebecca zuerst nicht verstand. „Was?“ „Von deiner Seite her vielleicht nicht...“ wiederholte er etwas widerstrebend.
Rebecca drehte sich überrascht zu ihm um, „Wie meinst du das?“
Sie sah wie er mit sich rang, doch schließlich sagte er: „Er steht auf dich.“
„Wie kommst du denn darauf?“ fragte sie überrascht. Zugegebenermaßen war sie weniger von der Überlegung, Stephan könnte sie attraktiv finden, überrascht, schließlich hatte sie diese Vermutung ja selbst schon irgendwie gehegt, als davon, dass Oliver das ebenfalls vermutete.
„Ich hab dir doch schon mal gesagt, dass du genau sein Typ bist“, antwortete er nun ausweichend.
„Ja, aber ich bin immerhin auch die Frau seines besten Freundes“, erwiderte sie zweifelnd.
„Er hat in letzter Zeit fast mehr Kontakt zu dir als zu mir und... ich hab gesehen wie er dich auf seinem Geburtstag angesehen hat, bevor er sich mit Claudia abgelenkt hat...“
Rebecca zuckte innerlich zusammen als er Stephans Geburtstag erwähnte. Sollte sie ihm erzählen, was Stephan gesagt hatte? Das würde es bestimmt nicht besser machen, aber sie konnte es ihm eigentlich auch nicht länger verschweigen, sonst wäre es einer Lüge gleichgekommen.
„Ich muss dir was sagen“, begann sie langsam, um augenblicklich zu spüren, wie er sich neben ihr anspannte. „Nichts Schlimmes“, fügte sie deshalb hastig hinzu, „Ich hätte es dir wahrscheinlich längst sagen sollen, aber ich hab dem ganzen nicht so wahnsinnig viel Bedeutung beigemessen...“ Sie erzählte ihm was sein bster Freund betrunken gesagt hatte, dass er Oliver um sie beneide. „Ich wusste nicht ob ich´s dir erzählen soll, ich dachte, dass es wahrscheinlich sowieso nichts bedeutet, schließlich war er total besoffen.“
Auf ihre Erzählung hin schwieg Oliver eine Zeitlang und Rebecca hätte einiges dafür gegeben zu erfahren was jetzt in seinem Kopf vorging. Er war schon so lange mit Stephan befreundet und sie wollte auf keinen Fall, dass diese Freundschaft am Ende ihretwegen zerbrach. Das war immerhin auch der Hauptgrund, warum sie Oliver bis jetzt noch nichts von ihrer Vermutung erzählt hatte. Andererseits war Stephan nun wirklich keine Gefahr für ihn. Davon abgesehen, dass sie selbst nie mehr als freundschaftliches Interesse für ihn gehegt hatte, immerhin war er von Anfang an derjenige gewesen, der vermittelt hatte, wenn sie und Oliver sich gestritten hatten, glaubte sie auch nicht, dass Stephan, sollte er tatsächliche Gefühle für sie haben, diese jemals eingestehen würde, dafür war er zu gut mit Oliver befreundet.
Schließlich hielt Rebecca das Schweigen nicht mehr aus und forderte Oliver auf: „Jetzt sag doch mal was dazu.“
„Was soll ich denn sagen?“ gab er mit einem leisen Lachen zurück, fuhr dann aber doch fort: „Scheiße halt. Ich hab doch gesagt, er braucht endliche eine neue Freundin.“
„Fein, dann müssen wir ihn wohl verkuppeln“, antwortete Rebecca energisch.
„Oh ja, das hat ja schon beim letzten Mal mit Psycho-Claudi voll hingehauen“, war Olivers ironische Antwort darauf.
„Ach was“, Rebecca wischte seinen Einwand einfach bei Seite, „Das war eben unglücklich. Wir müssen nur eine finden die besser zu ihm passt. Wofür hast du schließlich zwei Schwestern und mich? Da wird sich schon irgendwo was Passendes finden“, Sie hielt inne, weil ihr gerade eine Idee kam: „Was ist mit Lisa?“
„Bitte?!“ offensichtlich konnte oder wollte er ihr nicht folgen.
„Lisa, wäre die nicht was für Stephan?“
„Welche Lisa?“ fragte er langsam. „Na, deine, oder kennst du noch eine andere?“ gab sie lachend zurück. Gerade genoss sie es ihn ein bißchen zu ärgern, obwohl sie die Idee durchaus ernst meinte. Deshalb fuhr sie auch fort: „Überleg doch mal, das wäre super. Die beiden wären ein Pärchen, wir würden uns super verstehen und könnten öfter mal was zu viert machen und keiner von uns wäre mehr eifersüchtig!“ Sie war sogar richtig begeistert von ihrer Idee!
„Du hast einen völligen Knall“, stellte Oliver trocken fest.
„Warum? Ist sie auch wieder nicht sein Typ?“ fragte Sie enttäuscht.
Nun konnte auch Oliver sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen. „Na, geht so. Aber wie willst du die beiden denn bitte zusammenbringen? Wenn sie die ganze Zeit mich anstarrt und er die ganze Zeit dich, dann bemerken die sich doch gar nicht.“ Beide mussten lachen, bei dem Gedanken.
Schließlich meinte Oliver: „Aber im Ernst, ich glaub nicht, dass sowas funktioniert.“
Rebecca seufzte „Hm, vermutlich hast du recht.“ Sie fand die Idee zwar immer noch nicht schlecht, aber objektiv betrachtet hatte Olli wohl recht, wann klappten Verkupplungsaktionen schließlich überhaupt mal? Und in dem Fall war es erst recht ziemlich unwahrscheinlich.

Als sie Jan am nächsten Tag abholten, sahen Rebeccas Eltern ziemlich abgespannt aus. Jan, der bereits fröhlich an seinem Vater hochkletterte, machte einen wesentlich besseren Eindruck als seine Großeltern. „War er sehr anstrengend?“ fragte Rebecca vorsichtig. Ihre Mutter seufzte und warf einen resignierten Blick auf ihren ersten Enkel. „Ich schätze, du hattest recht damit, dass er noch ein bißchen zu klein ist um alleine mit uns in Urlaub zu fahren. Er hat die halbe Nacht geweint und wollte zu dir. Ich war schon kurz davor euch anzurufen.“ „Oh, das tut mir leid, aber sonst hält er es doch auch mal eine Nacht bei euch aus“, antwortete Rebecca ein wenig erstaunt. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass Jan woanders übernachtete.
„Ja, ich nehme an, er hatte einfach einen schlechten Tag, du siehst ja, jetzt ist er schon wieder ganz fröhlich“, antwortete Annika.
Rebecca war froh, dass ihre Eltern diese Nacht nicht zum Anlass genommen hatten ihr vorzuhalten Jan müsse sich daran gewöhnen nicht immer bei seinen Eltern sein zu können und dass es für ihn also noch empfehlenswerter wäre mit ihnen in Urlaub zu fahren. Aber scheinbar war die Nacht tatsächlich so anstrengend gewesen, dass sie beschlossen hatten sich das nicht zwei Wochen lang anzutun. Wenn ihre Mutter zugab überlegt zu haben, ob sie sie anrufen sollte, musste es wirklich stressig gewesen sein.
Sie erzählte Oliver im Auto was ihre Mutter gesagt hatte. Er bekam einen Lachanfall und warf einen anerkennden Blick auf seinen Sohn, der auf der Rückbank in seinem Kindersitz thronte. „Sei mir nicht böse, Rebecca, aber da hat´s endlich mal die Richtigen getroffen!“ Sie musste ebenfalls grinsen, so ganz Unrecht hatte er schließlich nicht.
Bevor sie zuhause ankamen fiel Rebecca siedend heiß ein: „Mist, ich hab ganz vergessen, dass wir noch einkaufen müssen. Wir haben nichts mehr Essbares da.“
Oliver stöhnte resigniert auf: „Och nee! Hätte dir das nicht einfallen können bevor wir Jan abgeholt haben?“
„Tut mir leid, ich hab´s vergessen.“
Beide waren nicht gerade scharf darauf mit Jan einkaufen zu gehen, weil es jedesmal eine Tortur war. Er fand zehntausend Sachen die er unbedingt haben wollte und bei jedem ‚Nein‘ bekam er einen Tobsuchtsanfall. Aber da sie nun schon mal unterwegs waren, beschloss Rebecca, würden sie in den sauren Apfel beißen müssen. Jan selbst war natürlich hellauf begeistert.

„Iiiiiiich will aber!!!“ Fast hätten sie es ohne größere Zwischenfälle bis zur Kasse geschafft und Oliver hatte beinahe schon erleichtert aufgeatmet, doch dann, sozusagen im letzten Moment, direkt vorne an der Kasse hatte Jan einen Tisch mit Spielzeugtraktoren entdeckt und da war natürlich das Geschrei losgegangen. In solchen Momenten verspürte Oliver manchmal einen geradezu übermenschlichen Drang, seinem Sohn ordentlich den Hosenboden zu versohlen. Leider hegte er die Vermutung, dass dieselben Leute, die ihn und Rebecca im Moment gerade ziemlich genervt musterten, in diesem Fall wohl plötzlich Mitleid mit seinem Biest von Sohn empfinden und möglicherweise sogar einschreiten würden. Außerdem, dachte er mit einem Seufzen, hätte Rebecca wohl auch etwas dagegen. Da ihm dieser Weg also verwehrt war, schnappte er sich schließlich kurzerhand seinen kreischenden Sohn und verschwand mit einem an Rebecca gerichteten: „Wir gehen schon mal raus“, aus dem Supermarkt.
Natürlich wirkte diese Aktion auf Jan alles andere als beruhigend. Leise fluchend, schleifte Oliver ihn im wahrsten Sinne des Wortes zum Auto. Er hoffte inständig, dass Rebecca sobald wie möglich nachkommen würde.
Ohne Jan, gestand Oliver sich im Stillen ein, hätte er sich nie träumen lassen wie schwer es sein könnte einen schreienden und um sich schlagenden Dreijährigen in seinen Autositz zu verfrachten. Als er es endlich geschafft hatte Jan festzuschnallen, war er nass geschwitzt und seine Laune endgültig auf dem Tiefpunkt. Zumindest dachte er das, bis er sich umdrehte um nach Rebecca Ausschau zu halten.
Tatsächlich stand sie mit vollem Einkaufswagen vor dem Ausgang, doch sie machte keine Anstalten rüber zu kommen. Im Gegenteil, sie schien sich pudelwohl zu fühlen, während sie sich angeregt mit Daniel Höchner unterhielt.
Ausgerechnet dieser Schleimbeutel, das hätte doch nun wirklich nicht auch noch sein müssen, dachte Oliver. Doch dann bemühte er sich die unfreundlichen Gedanken zu verdrängen, immerhin kannte er den Kerl ja gar nicht und schließlich war er Arzt. Erstaunlich, dass er sich überhaupt den Namen gemerkt hatte. Nach der Diskussion um Stephan am Vorabend hatte er plötzlich das Gefühl zum eifersüchtigen Idioten zu mutieren, weshalb er sich jetzt bemühte zumindest einen einigermaßen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen, auch wenn er innerlich alles andere als ruhig war. Sie musste sich aber doch auch wirklich nicht ganz soviel Zeit lassen, oder? Wieso wimmelte sie den Kerl denn nicht endlich ab? Er stand hier und durfte sich nach wie vor Jans Geschrei anhören, auch wenn es durch die geschlossene Autotür immerhin nur noch gedämpft zu ihm drang, und Rebecca ließ sich gemütlich die Zeit für ein kleines Schwätzchen.
Er überlegte nur kurz ob er rüber gehen sollte, aber erstens hatte er darauf nun wirklich keine Lust und zweitens hatte er mit Jan die perfekte Ausrede es nicht zu tun. Bei seinem derzeitigen Temperament war es dem Zwerg zuzutrauen, dass er eine momentane Unaufmerksamkeit seiner Erziehungsberechtigten ausnutzen würde um sich aus dem Staub zu machen. Das Letzte wonach Oliver jetzt noch der Sinn stand, war seinen Sohn auf einem überfüllten Supermarktparkplatz zu verlieren.
Seine Gedanken schweiften wieder zum gestrigen Abend und er fragte sich ob er wohl wirklich recht hatte mit seiner Vermutung über Stephan. Er hatte vorher gar nicht darüber nachgedacht, aber als Rebecca dann noch einmal erwähnte, dass Stephan vor ein paar Tagen bei ihr gewesen war, da hatte er sich plötzlich erinnert, dass er sich vor kurzem noch gefragt hatte, ob etwas zwischen ihm und Stephan vorgefallen war, weil er das unbestimmte Gefühl gehabt hatte, dass etwas zwischen ihnen nicht stimmte. Und dann war ihm der Blick eingefallen, mit dem Stephan Rebecca am letzten Samstag irgendwann gemustert hatte als er schon ziemlich betrunken war. Oliver hatte an dem Abend gar nicht weiter darüber nachgedacht, aber gestern als er daran dachte, dass Stephan in letzter Zeit tatsächlich mehr mit Rebecca sprach als mit ihm, da war ihm auch das plötzlich wieder eingefallen. Oliver zuckte unbehaglich die Schultern, er hoffte wirklich, dass er sich irrte, sonst hätte er keine Ahnung wie er sich seinem besten Freund gegenüber jemals wieder normal verhalten sollte.
Na endlich, Rebecca schien sich zu verabschieden, sie winkte diesem Höchner noch einmal kurz zu und machte sich dann endlich auf den Weg zu ihnen. Mit einem strahlenden Lächeln steuerte sie auf Oliver zu und irgendwie machte ihn das noch wütender. Allerdings wollte er nicht direkt den nächsten Streit vom Zaun brechen, weshalb er sich bemühte seinen Unmut so gut wie möglich hinunter zu schlucken.
Und so reagierte er auf Rebeccas: „Hey, ich hab grad Daniel getroffen“, nur mit einem leicht fragenden „Hmm?“, während er sich damit beschäftigte die Einkäufe in den Kofferraum zu laden.
„Du weißt schon, den jungen Arzt aus dem Krankenhaus, Daniel Höchner“, fuhr Rebecca erklärend fort.
„Aha“, kam es desinteressiert von Oliver. Als sie daraufhin erst einmal schwieg, hatte er das Gefühl zu abweisend zu sein und fügte schließlich ein halbherziges „Und?“ hinzu.
Mehr Ermutigung brauchte Rebecca natürlich nicht um ausführlicher zu werden: „Er hat gefragt wie´s mir so geht und dem Baby. Ihm geht´s wohl ganz gut, obwohl er sich gerade von seiner Freundin getrennt hat. Er meinte, er ist wieder auf der Suche...“ Den letzten Teil des Satzes betonte sie vielsagend und Oliver konnte sich ein sarkastisches „Und, bist du interessiert?“ leider nicht verkneifen.
„Hahaha!“ glücklicherweise reagierte Rebecca nicht weiter darauf, sondern fuhr direkt fort: „Ich dachte, vielleicht wäre er ja was für Lisa... ich hab mir direkt mal seine Handynummer geben lassen.“
Oliver starrte sie einen Moment lang entgeistert an, dann schlug er, nur etwas zu laut, den Kofferraumdeckel zu. Als sie wieder im Auto saßen, fragte er schließlich: „Sag mal, wie schaffst du es überhaupt, in einem fünf Minuten Gespräch die Telefonnummer von dem Kerl rauszufinden und dazu noch, dass er Single und gerade auf der Suche ist?!“
„Worüber hätte ich denn sonst mit ihm reden sollen? Vielleicht über das Wetter?“ fragte Rebecca vollkommen überrascht zurück.
„Äh, ganz genau, über´s Wetter, wie jeder normale Mensch!“ antwortete Oliver und musste widerwillen grinsen.
„Pff, wie jeder normale Mann, meinst du!“ gab sie verächtlich zurück, dann kam sie wieder auf ihr eigentliches Thema: „Was meinst du? Wäre er was für Lisa? Also ich find ihn nett und schlecht aussehen tut er auch nicht...“
„Woher soll ich wissen ob er was für Lisa wäre? Frag sie doch einfach selber!“ gab Oliver gereizt zurück.
Rebecca schien einen Moment zu überlegen ob sie es auf einen Streit ankommen lassen sollte, entschied sich dann aber offensichtlich dagegen und antwortete schließlich ruhig: „Ja, ich denke, das mach ich auch.“

„Würdest du bitte endlich aufhören so selbstgefällig zu grinsen?“ fragte Oliver trocken und sah zu Rebecca auf. Er lag auf dem Sofa, den Kopf in ihrem Schoß und kam einfach nicht drum herum ihren extrem zufriedenen Gesichtsausdruck zu bemerken.
„Ich grins´ doch gar nicht“, antwortete sie und strahlte dabei den Fernseher an wie ein Honigkuchenpferd.
„Mhm, ist klar“, gab er ironisch zurück.
Jetzt sah sie doch zu ihm runter und konnte sich das Grinsen immer noch nicht ganz verkneifen. Wenn sie´s denn überhaupt versuchte, was Oliver bezweifelte. „Ich mag´s halt wenn du eifersüchtig bist.“
„Pfff, aus euch Weibern soll einer schlau werden. Zuviel Eifersucht: vollkommen scheiße; zuwenig: auch nicht besser...“ stieß er verächtlich hervor. Dann drehte er den Kopf und fügte, halb zu Rebeccas Bauch gewandt, hinzu: „Und nur, dass du´s weißt, du wirst entweder vernünftig oder ein Junge!“
„Hör auf meiner Tochter Blödsinn zu erzählen!“ wies Rebecca ihn lachend zurecht. „Und was die Eifersucht angeht, solang du nicht vollkommen irrational oder zu melodramatisch wirst, kannst du dich drauf verlassen, dass ich meinen Spaß daran hab.“
„Aha. Hab ich erwähnt, dass ich keinen Spaß daran hab?“
Rebecca strich ihm zärtlich durch die Haare. „Nein, hast du nicht, aber es ist gut, dann weißt du wenigstens wie´s mir geht...“
Plötzlich war sein Gesicht ernst. „Es tut mir leid.“
„Braucht´s nicht. Ich bin definitiv manchmal irrational.“ Sie lächelte leicht.
Oliver schaute sie einen weiteren Moment forschend an, dann wandte er wieder den Kopf und drückte einen Kuss auf ihren runden Bauch. „Ich hab dich lieb, auch wenn du vielleicht irrational wirst.“
„Super, wie wär´s, wenn du dich dann endlich mal für einen Namen entscheidest?“ lachte Rebecca.
„Hmmmpf!“ brummte er und fragte dann gespielt missmutig: „Was stand nochmal zur Auswahl?“
„Klara, Anna, Marie, Leonie, auch gerne kombiniert, und mir persönlich würde ja auch nach wie vor ‚Lena‘ gut gefallen“, kam es wie aus der Pistole geschossen.
Oliver stöhnte gequält auf, doch Rebecca hatte nicht vor ihn diesmal wieder so schnell vom Haken zu lassen.
„Marie hätte ich eigentlich auf jeden Fall gerne drin, nach deiner Oma, oder hast du was dagegen?“ fügte sie jetzt noch hinzu.
Er schüttelte leicht den Kopf: „Nein, find ich gut. Und Wilhelm würde sich freuen.“ Rebecca sah ihn erwartungsvoll an und so fügte er sich nun in sein Schicksal. „Ok, ‚Klara Marie Spengler‘ geht. ‚Anna Marie‘, ‚Marie Anna‘“ Er schüttelte sich, „auf keinen Fall! ‚Leonie Marie‘, hm, auch nicht so der Knaller.“ Er zuckte die Schultern. „Voilà: ‚Klara Marie‘. Dafür hättest du mich jetzt wirklich nicht gebraucht.“
„Hm, hört sich irgendwie langweilig an, oder? ‚Klara Marie‘...“ Sie runzelte die Stirn und Oliver konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen.
„Genau deshalb weigere ich mich ständig mit dir über Namen zu sprechen. Sobald wir uns für was entschieden haben, machst du eh wieder einen Rückzieher!“
Rebecca ignorierte diese Bemerkung und sagte nachdenklich: „‘Lena Marie Spengler‘ geht auch...‘Lena‘, ich mag ‚Lena‘.“
Oliver seufzte, „Ok, wenn ich jetzt sage, dass ‚Lena‘ in Ordnug ist, wirst du dann wieder alles umschmeißen?“
Sie schüttelte den Kopf und es kam ihm fast so vor als würde sie die Luft anhalten.
„Also, dann: ‚Lena Marie Spengler‘, wenn´s unbedingt sein muss...“
„Echt?“ ihr Gesicht begann zu leuchten.
Er verdrehte die Augen. „Ja, echt. Als könnte ich es dir ernsthaft abschlagen, wenn es dir wichtig ist.“
Sie beugte sich herunter um ihn zu küssen und ihre Haare strichen über sein Gesicht.
„Dankeschön“, flüsterte sie.
„Ich liebe dich“, gab er eben so leise zurück.

Kapitel 10

Am nächsten Abend drückte Rebecca Jan einfach mal Oliver auf ´s Auge und traf sich dann mit Manu und ein paar anderen Freundinnen, die sie schon viel zu lange nicht mehr gesehen hatte. Vor allem Freddie begrüßte sie stürmisch. Sie hatten sich im Studium kennengelernt, doch dann war Rebecca schwanger geworden und hatte die Uni geschmissen. Seitdem hatten sie sich nicht mehr ganz so oft gesehen, aber da sich mittlerweile weitere Freundschaften gebildet hatten, wie z.B. zwischen Manu und Freddie, hatten sie es doch geschafft den Kontakt nicht ganz zu verlieren.
Doch scheinbar war es noch nicht bis zu Freddie durchgedrungen, dass Rebecca wieder schwanger war, denn nachdem sie sich zur Begrüßung umarmt hatten, trat Freddie einen Schritt zurück und musterte Rebecca überrascht. „Was? Schon wieder? Also ehrlich, ich dachte, du würdest mir immerhin in den letzten Semestern nochmal ein bißchen beistehen in der Uni!“
Rebecca zuckte mit einem Grinsen die Schultern, Freddie war eine der wenigen Freundinnen die ihr so etwas sagen konnten ohne dass sie sich sofort angegriffen fühlte und so antwortete sie jetzt locker: „Ja, das hatte ich eigentlich auch gedacht...“
Freddie drückte sie nocheinmal kurz, bevor sie sich zu den anderen setzten.

Der Abend verlief in jeder Beziehung nahzu perfekt und Rebecca genoss es endlich mal wieder ungezwungen mit ihren Freundinnen zu quatschen. Obwohl sie sich eingestehen musste, dass sie es schon schade fand nichts trinken zu können. Sobald das Kind auf der Welt war, würde sie wirklich noch mal einen richtigen Mädelsabend mit Manu machen müssen.
Bevor sie schließlich ging verabredete Rebecca noch mit Freddie, dass sie sich möglichst bald noch einmal zu zweit treffen würden. Sie hatten sich so lange nicht gesehen und beide das Bedürfnis sich mal wieder in Ruhe über alles zu unterhalten was in letzter Zeit passiert war.
Als Rebecca dann ging, war es schon so spät, dass keine Bahn mehr fuhr. Zuerst wollte sie ein Taxi nehmen, doch da ohnehin keins in der Nähe war, beschloss sie einfach zu Fuß zu gehen. Das hatte sie schon ewig nicht mehr gemacht, alleine nachts durch die Stadt nachhause zu spazieren. Nicht, dass sie daran früher viele Gedanken verschwendet hätte, aber jetzt fühlte sie sich dabei irgendwie frei. Allerdings musste sie nach einer Weile feststellen, dass es mittlerweile nachts schon ziemlich kalt war. Rebecca zog ihren Mantel enger um sich und ging etwas schneller. Sonst war ihr der Weg nie so lang vorgekommen, aber da war sie auch nicht alleine unterwegs gewesen, sondern immer mit Oliver oder einer Freundin.
Als sie das kleine Stück durch den Park in der Nähe ihres Hauses ging, wurde ihr ein wenig mulmig. Hier war es schon verdammt dunkel. Nächstes Mal würde sie doch ein Taxi nehmen.
Endlich erreichte sie das Haus und kramte schnell ihren Schlüssel aus der Tasche, obwohl sie sich selbst etwas paranoid vorkam. Was sollte schon groß passieren? Vor allem jetzt noch? Trotzdem war sie froh als sie schließlich im hell erleuchteten Hausflur stand.
Noch bevor sie den Schlüssel umdrehen konnte, wurde die Wohnungstür aufgerissen.
„Da bist du ja endlich!“ begrüßte Oliver sie mit einer Mischung aus Erleichterung und Wut, während er sie energisch in die Wohnung zog.
„Äh, ja. Was ist denn?“ fragte Rebecca verwirrt. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.
„Ich hab mindestens 20 mal versucht dich anzurufen!“ antwortete Oliver wütend.
Rebecca trat einen alarmierten Schritt auf das Kinderzimmer zu. „Ist was mit Jan?!“
„Nein, Jan geht´s gut. Er schläft“, antwortete Oliver etwas ruhiger. „Manu hat vor einer halben Stunde angerufen. Sie dachte du wärst schon zuhause und wollte bescheid sagen, dass sie deinen Schal mitgenommen hat, du hast ihn liegen lassen.“
„Oh.“ Rebeccas Hand fuhr an ihren Hals, kein Wunder, dass ihr so kalt gewesen war, sie hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass sie ja einen Schal mit gehabt hatte.
„Hast du eine Ahnung was ich mir für Gedanken gemacht hab?! Manu meinte, du müsstest schon längst zuhause sein. Dann hab ich versucht dich anzurufen, kannst du mir mal sagen, warum du, verdammt nochmal, nicht an dein Handy gehst?!“
Jetzt erst begriff Rebecca warum er so wütend war. Allerdings fühlte sie sich einigermaßen überrumpelt von seinem Zorn. Schließlich hatte sie nichts getan, weshalb sie jetzt ebenfalls etwas gereizt zurück gab: „Ich weiß nicht, ich hab´s nicht gehört.“ Dabei griff sie in ihre Tasche und zog ihr Handy heraus. Sie warf einen Blick darauf und sah, dass es aus war. Ach ja, der Akku war ja beinah leer gewesen. Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Sie hielt es Oliver vor die Nase. „Akku leer.“
„Na super! Und wo warst du so lange?“ fragte er nach wie vor nicht versöhnt.
„Auf dem Nachhauseweg, wo denn sonst?“ gab sie ironisch zurück.
Er wollte schon etwas erwidern, doch dann schien sein Gehirn aufzuholen, denn er zögerte den Bruchteil einer Sekunde, bevor er völlig entgeistert fragte: „Bist du etwa zu Fuß gegangen?!“
Sie zuckte die Schultern, „Ja, die Bahn fuhr nicht mehr.“
Das folgende Schweigen nutzte sie um endlich ihren Mantel und die Schuhe auszuziehen. Sie dachte schon er hätte sich wieder abgeregt, bis sie sich zu ihm umdrehte und seinen Gesichtsausdruck sah. Abgeregt? Im Gegenteil.
„Sag mal, spinnst du total?!“ fuhr er sie jetzt an. „Mitten in der Nacht alleine durch die halbe Stadt zu laufen?“
Im ersten Moment lag ihr eine gesalzene Erwiderung auf der Zunge, doch dann besann sie sich und riss sich zusammen, schließlich brachte es nichts, wenn sie jetzt ebenfalls wütend wurde. Stattdessen wurde ihr plötzlich die Absurdität der ganzen Situation bewusst und sie musste sich beinah ein Grinsen verkneifen. „Oliver, ich bin erwachsen und du bist nicht mein Vater. Außerdem bin ich hier und es geht mir gut, ok?“
Er schien einen Moment unschlüssig ob er sich beruhigen oder doch lieber weiter schreien sollte. Schließlich sagte er störrisch: „Und was wäre, wenn doch irgendwas passiert wäre? Du hättest nicht mal irgendwen anrufen können.“
Rebecca trat einen Schritt auf ihn zu. „Es tut mir leid, ok? Ich hab nicht dran gedacht, dass ich nicht mehr soviel Akku hatte. Aber trotzdem, ich bin für mich selbst verantwortlich und ich hasse es, wenn du so tust, als wäre ich ein dummes kleines Kind.“
Oliver erwiderte ihren eindringlichen Blick mit einem resignierten Seufzer und sie sah, dass er sich zusammen reißen musste um nichts Heftiges zu antworten. Stattdessen streckte er schließlich eine Hand nach ihr aus und zog sie langsam an sich. „Ich hab mir Sorgen gemacht.“
„Ich weiß, und es tut mir leid. Wirklich.“ Sie reckte sich und drückte ihm einen leichten Kuss auf die Lippen.
Er strich ihr mit dem Daumen sacht über die Wange. „Mir tut´s auch leid, aber... du bist im Moment eben nicht nur für dich selbst verantwortlich.“ Sein Blick glitt kurz nach unten zu ihrem Bauch. „Nimm nächstes Mal einfach ein Taxi, ja?“
Rebecca trat mit einem Stöhnen einen Schritt zurück. Obwohl sie sich vorhin selbst vorgenommen hatte beim nächsten Mal ein Taxi zu nehmen, ärgerte es sie, dass Oliver versuchte ihr Vorschriften zu machen. „Nächstes Mal wirst du schwanger, dann werd ich genauso übervorsichtig.“ Sie ging ins Schlafzimmer und fuhr über ihre Schulter gewandt fort: „Findest du nicht, das du ein bißchen übertreibst? Ich bin früher auch immer alleine zu Fuß nachhause gegangen und es ist nie was passiert.“ Rebecca ging zu ihrer Seite des Bettes und schnappte sich ihr Schlaf-T-Shirt.
„Nein, ehrlich gesagt, finde ich nicht, dass ich übertreibe. Und ich fänd´s auch scheiße, wenn du nicht schwanger wärst“, erklang es ernst hinter ihr. Oliver lehnte im Türrahmen und betrachtete sie.
Resigniert gestand Rebecca sich ein, dass sie die Diskussion nicht wieder hätte anfachen sollen. Trotzdem konnte sie jetzt nicht mehr klein beigeben. „Oliver, wenn ich dir jetzt verspreche, dass ich in Zukunft immer ein Taxi nehmen werde, was kommt dann als nächstes? Wirst du mir dann irgendwann verbieten Auto zu fahren, weil du denkst, dass es zu gefährlich ist? Oder vielleicht sollte ich am besten gar nicht mehr das Haus verlassen?“ Rebecca hatte ganz ruhig gesprochen und hoffte, Oliver würde verstehen, was sie meinte. Sie sah ihn kurz an, bevor sie begann sich die Jeans und das Top auszuziehen.
„Scheiße, ich will dir doch nichts verbieten“, gab er jetzt, ebenfalls um Ruhe bemüht zurück. Sie zog sich das T-Shirt über den Kopf und sah ihn dann fragend an. „Ich weiß, es ist unwahrscheinlich, aber du musst es doch nicht provozieren, dass etwas passiert.“
Mit einem Seufzer schob Rebecca sich an ihm vorbei aus der Tür um ins Badezimmer zu gehen. Offensichtlich hatte er nicht vor sich von seiner Meinung abbringen zu lassen. Gut, vielleicht hatte er ja auch wirklich nicht so Unrecht, aber wo sollte es denn hin führen, wenn man sich immer nur Sorgen machte? Sie verstand nicht, warum Oliver jetzt auf einmal so ein großes Theater um so eine Kleinigkeit machte. Sie hatte nachvollziehen können, dass er sich im ersten Moment aufgeregt hatte, weil er sich Sorgen machte, aber das ging jetzt eine Nummer zu weit. Vor allem weil sie sich immer noch lebhaft erinnern konnte wie er sich früher aufgeregt hatte, wenn seine Mutter und seine Schwestern sich seinetwegen Sorgen machten. Und die waren zum Teil wesentlich begründeter als das worüber er sich gerade aufregte.
Oliver saß, noch immer voll angezogen, auf der Bettkante, als Rebecca wieder ins Schlafzimmer kam. Den Kopf hatte er in die Hände gestützt, als wäre er ziemlich müde oder hätte Kopfschmerzen. Hätte Rebecca sich nicht so über ihn aufgeregt, dann wäre sie jetzt zu ihm gegangen, doch gerade war ihr gar nicht danach, weshalb sie das Zimmer durchquerte und zu ihrer Seite des Bettes hinüber ging.
„Rebecca, ich... will dir wirklich keine Vorschriften machen.“ Oliver drehte sich zu ihr um. Er sah tatsächlich müde und besorgt aus und es fiel Rebecca zunehmend schwerer sich über ihn zu ärgern. Scheinbar machte er sich wirklich große Sorgen. Er sah sie noch kurz an, dann wandte er den Blick wieder ab und sagte mit gepresster Stimme: „Weißt du, sowas ist Maike passiert.“
Schlagartig wurde Rebecca hellhörig: „Deiner ExFreundin Maike?“
Er nickte leicht, sah sie aber noch immer nicht an. „Ja. Sie ist nachts von einer Party nachhause gegangen. Durch einen Park. Wahrscheinlich ist ihr der Kerl gefolgt... und naja, den Rest kannst du dir denken.“
Rebecca schauderte leicht, als sie daran dachte, wie sie selbst vorhin das kleine Stück durch den Park gegangen war und plötzlich kam ihr Olivers Sorge gar nicht mehr übertrieben vor.
„Wart ihr... wart ihr noch zusammen als das passiert ist?“
Er zögerte, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Sie hatte kurz vorher Schluss gemacht. Aber hinterher wollte sie wieder mit mir zusammen sein. Vermutlich hätte sie mich gebraucht.“
Hätte. „Aber du wolltest nicht?“ fragte Rebecca leise.
Wieder schüttelte er den Kopf. „Sie hat mir vorgeworfen ich würde ihr die Schuld geben, an dem was ihr passiert war. Vielleicht hatte sie recht. Ich weiß auch nicht. Ich konnte es einfach nicht. Wieder mit ihr zusammen sein.“ Jetzt sah er sie doch an. „Deshalb wollte ich das Ganze nicht erzählen. Ist keine besonders tolle Geschichte. Ich hab mich wirklich scheiße verhalten.“
Rebecca kniete sich auf das Bett, rutschte zu ihm rüber und legte Oliver die Arme um die Schultern. Sie vergrub ihr Gesicht an seinem Nacken und hielt ihn einen Moment einfach fest. „Ich verspreche dir, dass ich ab jetzt immer ein Taxi nehmen werde“, flüsterte sie schließlich.
Er streckte eine Hand nach hinten und tätschelte ihr leicht den Oberschenkel. „Na, da hab ich ja immerhin etwas erreicht mit dieser beschissenen Story“, antwortete er mit einem kleinen Lächeln in der Stimme.
„Hey, das Gör in deinem Bauch hat mich gerade getreten!“ rief er einen Moment später mit gespielter Empörung.
Rebecca lachte. „Es strampelt schon die ganze Zeit wie verrückt.“
Oliver löste sich aus ihrer Umarmung und drehte sich um um sie auf seinen Schoß zu ziehen. Rebecca ließ es geschehen und kuschelte sich an seine Brust. Olivers freie Hand lag auf ihrem Bauch und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er merkte, dass sie tatsächlich nicht zuviel versprochen hatte.
„Hör auf zu lachen“, rügte Rebecca ihn spielerisch, „auf Dauer ist das gar nicht so angenehm.“
„Ach was, stell dich mal nicht so an“, neckte er sie mit einer wegwerfenden Handbewegung.
„Ich glaube, es mag´s nicht, wenn wir uns streiten“, sagte Rebecca woraufhin Oliver ironisch antwortete: „Na, dann wird es sich ja prima mit Jan verstehen.“
Rebecca musste lachen. Da hatte Oliver nicht Unrecht. Jan wies sie beide jedes Mal zurecht, wenn sie sich in seiner Gegenwart stritten. Meist war das allerdings gar nicht so schlecht, weil es fast jede Situation entschärfte, wenn ein dreijähriger Zwerg vor einem stand und im besten Elternton verlangte, dass man nicht so schreien solle.
„Oliver, warum konntest du nicht mehr mit Maike zusammen sein?“ Rebecca traute sich kaum zu fragen, aber die Geschichte ließ sie nicht so einfach wieder los. Sie hatte immer den Eindruck gehabt, als hätte Maike ihm, von seinen Ex-Freundinnen, am meisten bedeutet.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht hätte ich sie ohne die... Sache sofort zurück genommen, ich war echt wahnsinnig verknallt in sie. Andererseits ging es eigentlich gegen meinen Stolz, ich wollte ihr auf keinen Fall nachlaufen. Aber, wie gesagt, sie wollte mich zurück. Von Nachlaufen konnte also keine Rede sein.“ Er schwieg einen Moment, dann fuhr er nachdenklich fort: „Schätze, ich wollte eben nicht der Notnagel sein, zu dem sie zurück rennt wenn´s ihr mies geht.“
„Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn es ihr... wegen... etwas anderem mies gegangen wäre?“ fragte Rebecca vorsichtig.
Oliver schwieg eine Zeitlang und Rebecca dachte schon er wäre ihr böse wegen dieser Frage. Doch als er ihr antwortete klang er nur nachdenklich, nicht sauer: „Wenn ich ehrlich bin... ja, ich denke, wahrscheinlich hätte es einen Unterschied gemacht. Irgendwie musste ich jedesmal wenn ich sie gesehen hab an das denken was ihr passiert war, vermutlich war ich damit nicht der Einzige und ich denke, das ist ihr nicht entgangen. Muss ziemlich scheiße für sie gewesen sein.“
„Vor allem für jemanden wie sie“, fügte er nach einer kurzen Pause noch hinzu.
„Jemand wie sie?“ fragte Rebecca neugierig und unterdrückte ein Gähnen.
„Weißt du, sie war was Besonderes. Total selbstbewusst und offen und auch ziemlich ausgeflippt, aber auf eine sympathische Art. Sie faszinierte einen einfach. Und dann... war sie plötzlich nur noch das Vergewaltigungs-opfer.“
Rebecca verstand was er meinte und spürte Mitgefühl für das unbekannte Mädchen, doch gleichzeitig musste sie einen völlig deplatzierten Stich der Eifersucht unterdrücken. Oliver musste wirklich sehr verliebt gewesen sein. Hm, allerdings nicht so sehr, dass er ihr beigestanden hätte nachdem ihr so etwas Schreckliches passiert war. Andererseits, dachte Rebecca, war es auch sehr optimistisch von ihr zu glauben, er würde sich bei ihr anders verhalten. Nicht weil sie wirklich an ihm zweifelte, sondern, wie sie sich jetzt eingestand, weil so eine Sache vermutlich alles zwischen ihnen ändern würde. Sie selbst wäre danach wahrscheinlich auch nicht mehr dieselbe. Ihre Gedanken wollten noch weiter in diese Richtung wandern, doch sie Zwang sich den Fluss zu unterbrechen. Das waren vollkommen absurde Überlegungen, die nie im Leben zu einem Ergebnis führen würden. Außerdem wusste sie, dass Oliver sie liebte und das sollte schließlich reichen um ihr Vertrauen in ihn zu begründen.

Als es am nächsten Morgen an der Tür klingelte, fiel Rebecca siedend heiß ein, dass Elke sich ja angekündigt hatte um Hannah vorbei zu bringen. Offensichtlich hatten die Herbstferien bereits begonnen. Rebecca hatte den Termin vollkommen verbummelt, aber gut, es war ja nur Familie, dachte sie lakonisch, während sie den Summer betätigte. Jan und Hannah waren wie immer begeistert sich zu sehen und Rebecca war einfach nur froh, dass Elke ihren Mann und die Jungs zuhause gelassen hatte.
Sie bot ihr einen Kaffee an und setzte sich dann zu ihr an den Tisch. Die Kinder waren bereits in Jans Zimmer verschwunden, so dass sie tatsächlich ein wenig Ruhe hatten.
Nach einer Weile sah Elke sich suchend um: „Sag mal, wo ist Oliver eigentlich?“
Rebecca verzog ein wenig das Gesicht. „Der liegt noch im Bett. Um ehrlich zu sein, ich hab total vergessen, dass ihr heute kommen wolltet.“
„Oh, hab ich dich jetzt aus dem Bett geschmissen?“ fragte Elke bedauernd.
Rebecca schüttelte schnell den Kopf. „Nein, keine Angst, ich war eh schon wach.“ mit einem Seufzen fügte sie noch hinzu: „Wegen Jan.“
Elke lachte. „Oh ja, das kenne ich!“ Dann betrachtete sie Rebecca mit einem amüsierten Blick. „Ohne dir Angst machen zu wollen, aber das ist noch entspannend... warte erstmal bis Nummer zwei da ist.“
Rebecca stöhnte gequält auf. „Wirklich so schlimm?“
Elke nickte. „Sogar noch schlimmer. Alle zwei oder vier Stunden raus, das kennst du ja schon, aber dann auch noch tagsüber fit genug sein müssen um hinter einem Kleinkind herzurennen. Du hast verdammtes Glück, dass Jan schon im Kindergarten ist.“
„Na, wenigstens irgendwas richtig gemacht“, erwiderte Rebecca ironisch und dachte dabei an ihre Eltern, die ihr immer noch nicht ganz verziehen hatten, dass sie schon wieder schwanger war. Elke schien ihre Gedanken zu erraten. „Lass dich von deinen Eltern nicht stressen, die zwei sehen manchmal einfach gerne schwarz. Außerdem habe ich vor ein paar Tagen mit deiner Mutter telefoniert und, naja, ich darf ´s dir eigentlich nicht verraten, also verpetz mich nicht, aber sie macht schon Babyshopping und hofft, dass es diesmal ein Mädchen wird.“
„Was?!“ rief Rebecca entsetzt. „Ich hab doch noch das ganze Zeug von Jan, ich brauch doch gar keine Babysachen. Wo soll ich denn hin mit dem Krempel?!“
Elke lachte wieder, sagte dann aber beruhigend: „Keine Panik, ich denke nicht, dass sie nochmal eine komplette Ausstattung besorgt.“
„Na hoffentlich, meiner Mutter ist alles zuzutrauen...“ stöhnte Rebecca.
„Allerdings!“ kam es bekräftigend von der Tür und Oliver spazierte in T-Shirt und Boxershorts und mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht herein. „Hallo Elke.“
„Hallo Oliver.“ Elkes Blick wanderte einmal an Olivers Gestalt auf und ab und registrierte vergnügt seinen Aufzug. „Wie immer ein erfreulicher Anblick.“
„Ts ts, warum fühle ich mich in deiner Gegenwart nur immer wie ein Stück Frischfleisch beim Metzger?“ gab er pikiert zurück und beide grinsten sich fröhlich an.
Rebecca verdrehte nur die Augen, was dieses alberne Rumgeflirte anging, waren die beiden eindeutig von Anfang an auf einer Wellenlänge gewesen.
„Was ist mit Annika?“ erkundigte Oliver sich jetzt beiläufig.
„Ich hab Rebecca gerade erzählt, dass sie Babysachen für euch kauft“, antwortete Elke.
„Super!“ kam es ohne ein Zögern von Oliver „Dann werden sie demnächst wahrscheinlich auch anfangen sich öffentlich zu freuen.“
„Danke, wenn das dann so aussieht wie auf Papas Geburtstag, kann ich gerne darauf verzichten.“
Der entsetzte Ausdruck der bei dieser Erinnerung auf Olivers Gesicht erschien, war für Elke Anlass genug um einen weiteren herzlichen Lachanfall zu bekommen.

Nachdem Elke sich schließlich verabschiedet hatte, nicht ohne zu betonen, dass Sie nun auf jeden Fall was bei ihr gut hätten, zog Oliver Rebecca mit einem Lächeln an sich. „Ich mag deine Tante.“
„Ja, das ist nicht zu übersehen. Und sie mag dich auch.“ Mit einem Zwinkern fügte sie hinzu: „In jeder Beziehung...“
Er grinste breit. „Du hast dir eben einen tollen Mann geangelt.“
„Zweifellos“, antwortete sie trocken, „Und weil du so toll bist, wirst du dir gleich die Kinder schnappen und dich mit ihnen aus dem Staub machen, damit ich hier ein bißchen Ordnung machen kann. Bei Manu wollte ich auch noch kurz vorbei.“
Er warf ihr einen zweifelnden Blick zu. „Äh, ja?“
„Ja“, gab sie bekräftigend zurück, „Ihr könntet schwimmen gehen oder auf den Spielplatz.“
„Ähm, traust du mir das zu? Mit zwei Kindern?“ fragte er eindeutig in der Hoffnung sie würde einen Rückzieher machen. Doch stattdessen drückte sie ihm einen Kuss auf´s Kinn und sagte: „Na, du musst ja schonmal üben. Außerdem ist Hannah eine sehr verantwortungsbewusste Sechsjährige, sie wird schon auf dich aufpassen.“
Mit einem resignierten Seufzer trat er einen Schritt zurück. „Dann werd ich wohl mal duschen gehen.“
„Tu das. Ich pack in der Zeit die Sachen für die Kinder. Schwimmen oder Spielplatz?“
„Überforder mich nicht. Spielplatz.“
Rebecca lachte. „Ok, du Faulpelz. Dann geh duschen.“

Eine Stunde später saß Oliver auf dem Spielplatz und sah zu wie Hannah Jan zum bestimmt zwanzigsten Mal unten an der Rutsche auffing. Er konnte ihre Geduld nur bewundern. Er selbst hätte wahrscheinlich vor zehn „Rutschen“ aufgegeben oder wäre mittlerweile zumindest nicht mehr annähernd so begeistert wie sie es immer noch war.
Er warf einen Blick auf sein Handy und überlegte wie lange er wohl durchhalten musste um Rebecca zufriedenzustellen. In dem Moment klingelte es in seiner Hand und er nahm ab ohne zu registrieren wer eigentlich dran war. „Hallo?“
„Hallo Olli, ich bin´s, Lisa.“
Oh, damit hatte er jetzt nicht gerechnet. „Hi Lisa.“
„Ich wollte nur mal fragen, was ihr gerade macht. Ich bin ganz bei euch in der Nähe und dachte ich könnte mal kurz vorbei schauen.“
Mist, was sollte er jetzt sagen? Er hatte sich doch eigentlich vorgenommen sie etwas auf Abstand zu halten um ihr keine Hoffnungen zu machen. Belügen wollte er sie aber auch nicht. „Rebecca ist unterwegs und ich bin mit Jan auf dem Spielplatz.“
„Oh super, ist der hier irgendwo in der Nähe?“
Oliver unterdrückte ein Seufzen und beschrieb ihr den Weg.
Keine zehn Minuten später umarmte sie ihn lächelnd. „Hey, schön dich zu sehen.“
„Mhm.“ Er erwiderte ihr Lächeln zurückhaltend.
Lisa sah sich suchend um. „Wo ist Jan?“
Oliver deutete zur Schaukel, wo Hannah mittlerweile dabei war Jan anzuschubsen.
„Oh, hat er sich schon eine Verehrerin angelacht? Ganz der Vater“, sagte Lisa scherzhaft und ließ sich neben Oliver auf die Bank sinken.
Er sparte es sich ihre Aussage zu kommentieren und erklärte stattdessen: „Das ist Hannah, Rebeccas Cousine. Sie ist über die Ferien bei uns.“
„Ach so.“
Sie schwiegen einen Moment. Schließlich räusperte Lisa sich. „Oliver, ich wollte mich bei dir entschuldigen.“
Er sah sie überrascht an.
„Helena hat mir erzählt, was sie an Stephans Geburtstag zu dir gesagt hat“, fuhr Lisa schnell fort.
Wow, das mit dem Abstand halten klappte ja super, dachte Oliver ironisch. Er hatte keine Ahnung in welche Richtung dieses Gespräch gehen würde, aber eigentlich wollte er es auch gar nicht wissen.
„Ich war stinksauer auf sie deswegen, aber, naja... sie wollte mich wohl nur beschützen.“
Oliver hatte absolut keine Ahnung, was er darauf antworten sollte und beschränkte sich daher auf ein knappes „Mhm“.
„Ich will bloß, dass du weißt, dass sie Unrecht hat“, Lisa machte eine winzige Pause, „Ich hab dir die Sache von damals wirklich verziehen und ich würde mich einfach freuen, wenn wir es schaffen endlich befreundet zu sein. Mehr nicht.“
Oliver atmete einmal tief durch bevor er fragte: „Und du bist dir sicher, dass du das kannst?“ Es gelang ihm nicht den zweifelnden Unterton aus seiner Stimme zu verbannen.
Doch sie wurde nicht böse sondern lächelte nur ein wenig. „Ja, ganz sicher. Zugegeben, als du aus heiterem Himmel bei mir angerufen hast, hab ich im ersten Moment schon... drüber nachgedacht. Aber dann hab ich dich mit Rebecca gesehen und ich hab sie kennengelernt. Sie ist toll, Oliver. Und ihr gehört zusammen. Das könnte selbst der letzte Idiot erkennen.“ Wieder schwieg sie einen Moment bevor sie hinzufügte: „Ich hab keine Ahnung was Helena sich gedacht hat, aber als ich euch zusammen gesehen hab, wusste ich sofort, dass das viel mehr ist, als wir es jemals hatten. Und das sage ich nicht nur so. Und ich bin übrigens auch nicht die Einzige die das sagt.“
Oliver warf ihr ein schiefes Lächeln zu. „Ach ja?“
„Ja“, sie nickte bekräftigend. „Ich mein, allein die Tatsache, dass ihr seit vier Jahren zusammen seid und immer noch so scharf aufeinander, das muss doch was bedeuten, oder?“ Sie grinste ihn an und er musste lachen.
„Woher willst du das denn wissen?“
„Na, zum einen spricht ihr Bauch schon mal für sich“, sie stieß ihm leicht mit dem Ellbogen in die Seite, „Und zum anderen ist es ehrlich gesagt einfach nicht zu übersehen. Ihr guckt euch an, als würdet ihr nie an was anderes denken als daran miteinander ins Bett zu gehen.“
Oliver starrte sie mit offenem Mund an und spürte, dass er rot wurde. „Ach komm, du übertreibst doch“, brachte er gerade so heraus.
Diesmal war es an ihr zu lachen. „Höchstens ein kleines bißchen.“
Zu Olivers extremer Erleichterung kam in diesem Moment Jan angerannt, dicht gefolgt von Hannah. „Papa! Papa! Könn´ wir Eis essen geh´n?!“
„Meinst du nicht, für Eis ist es schon ein bißchen zu kalt, Zwerg?“ erwiderte Oliver mit einem Lachen.
„Nein!“ kam es gleichzeitig von beiden Kindern und Jans blonde Haare flogen hin und her, als er vehement den Kopf schüttelte.
Oliver seufzte und warf Lisa einen Blick zu. Sie grinste und zuckte die Schultern. Tja, Papa, das Problem musst du schon selber lösen.
„Meinetwegen, dann gehen wir noch ein Eis essen. Ausnahmsweise.“ Wieder sah er Lisa an. „Kommst du mit?“
Jan sah ebenfalls zu Lisa und schien sie erst jetzt zu bemerken. Mit einem Mal drückte er sich schüchtern an Olivers Knie. Hannah blieb etwas unschlüssig vor ihnen stehen.
„Jan, du kennst Lisa doch noch, oder? Sie hat dir ein ganz tolles Auto mitgebracht als sie uns das letzte Mal besucht hat.“ Statt einer Antwort kletterte Jan auf Olivers Schoß und vergrub sein Gesicht an Olivers Brust. Sein Vater ignorierte es und fuhr fort: „Und das ist Hannah, Rebeccas Cousine. Hannah, das ist Lisa eine Freundin von mir.“
„Hallo Hannah“, begrüßte Lisa sie lächelnd und wurde sofort mit einem Strahlen aus den veilchenblauen Augen belohnt. „Hallo! Kommst du mit Eis essen?“
Lisa warf einen Blick auf ihre Uhr. „Ja, gern, wenn ich mitkommen darf...?“
Hannah nickte begeistert: „Ja, ist viel besser wenn noch ein Mädchen dabei ist.“
„Hey!“ rief Oliver gespielt empört und streckte eine Hand aus um Hannah zu kitzeln. „Was soll das denn heißen?!“ Hannah kicherte fröhlich.

Als sie dann in der Eisdiele saßen, wurde auch Jan allmählich wieder warm mit Lisa. Schließlich bestand er sogar darauf auf ihrem Schoß zu sitzen, als sein Eis gebracht wurde. Die Kellnerin, längst bezaubert von seinem kindlichen Charme, lächelte ihn freundlich an. „Bei der Mama ist es immer am schönsten, nicht?“
Bevor einer von ihnen etwas erwidern konnte, war sie auch schon wieder weg.
„Ups.“ Lisa sah Oliver an und verzog leicht das Gesicht.
Oliver zuckte die Schultern. „Tja, jetzt weißt du wie es mir ständig geht.“
Lisa grinste ihn an: „Na, immerhin ist es bei dir nicht ganz unverschuldet...“
Oliver musterte seinen Sohn prüfend. „Hm, ich fürchte da hast du recht. Sinnlos das abzustreiten.“
„Allerdings!“ stimme Lisa ihm lachend zu.

Rebecca sah sich suchend in dem Café um, in dem sie mit Manu verabredet war. Sie schien noch nicht da zu sein und Rebecca setzte sich an einen Tisch am Fenster. Sie warf einen Blick auf ihr Handy und als sie wieder aufsah, begegnete sie dem interessierten Blick aus einem grünen Augenpaar vom Nachbartisch. Der Blick wandte sich schnell ab, als sie ihn erwiderte und Rebecca stellte fest, dass die grünen Augen einem gar nicht unattraktiven jungen Mann in ihrem Alter gehörten.
Er kam ihr irgendwie bekannt vor, doch sie hatte keine Ahnung warum und auch keine weitere Gelegenheit darüber nachzudenken, da Manu in diesem Moment herein geweht kam.
„Hey Süße!“ Manu beugte sich kurz zu ihr herunter um sie mit einer Umarmung zu begrüßen, dann ließ sie sich auf einen Stuhl fallen. „Entschuldige, dass ich zu spät bin, aber ich war ein klein bißchen verkatert, nach gestern Abend und musste mich erst aus dem Bett quälen.“
„Kein Problem“, erwiderte Rebecca mit einer wegwerfenden Handbewegung, „Ich bin selber eben erst gekommen.“
Manu schob ihr über den Tisch eine kleine Plastiktüte zu. „Hier, dein Schal, den hast du gestern liegen lassen.“
„Oh danke.“ Rebecca stellte die Tüte neben sich auf den Stuhl. „Aber tu mir einen Gefallen und schreib mir nächstes Mal einfach eine SMS, wenn sowas passiert, ja?“
„Was?“ Manu sah sie fragend an.
Rebecca bemerkte, dass der Typ vom Nachbartisch sie schon wieder musterte, doch sie ignorierte es und konzentrierte sich wieder auf Manu. „Oliver hat sich total aufgeregt. Ich bin zu Fuß nachhause gegangen und er hat mich nicht auf dem Handy erreicht“, Rebecca verdrehte ein wenig die Augen.
Manu lächelte sie an. „Man, das ist so süß. Er macht sich so richtig Sorgen um dich, wenn irgendwas ist. Ich wünschte ich hätte auch mal einen Kerl, der so ist.“
„Das hört sich nur von Außen gut an“, antwortete Rebecca mit einem kleinen Lächeln, „Außerdem bist du doch glücklich mit Timm.“
„Ja schon...“ antwortet Manu etwas zögernd.
Rebecca war sich nicht sicher, ob sie darauf eingehen sollte oder nicht. Sie wollte eigentlich nicht Gefahr laufen, dass Manu sich wieder angegriffen fühlte, wenn sie ihr zu deutlich zeigte was sie von Timm dachte. Dennoch fragte sie schließlich vorsichtig. „Bei euch läuft doch alles gut, oder?“
„Naja, so gut es halt nach vier Jahren läuft“, erwiderte Manu, doch sie lächelte dabei und es wirkte nicht sonderlich bekümmert, deshalb beschloss Rebecca nicht weiter darauf herum zu reiten. Als sie sich kurz umsah, begegnete sie schon wieder dem Blick vom Nachbartisch. Langsam fand sie das doch ein bißchen aufdringlich. „Manu, guck mal, der Kerl da an dem Tisch, wo die drei Jungs sitzen. Der dunkelblonde, kennst du den irgendwoher?“
Manu sah sich um. „Der Gutaussehende?“
Rebecca musste grinsen. „Ja, genau der.“
„Hm, kommt mir irgendwie bekannt vor“, sagte Manu nachdenklich.
„Mir auch“, antwortete Rebecca. „Und der glotzt mich schon die ganze Zeit an. Schon bevor du gekommen bist.“
„Naja, kein Wunder...“ gab Manu mit einem Augenzwinkern zurück. „...du siehst eben wie immer super aus.“
„Mhm, genau und erst der Bauch, ich bin sicher, der Kerl kann sich nichts Besseres vorstellen.“ Rebecca warf Manu einen ironischen Blick zu.
„Hm...“ Manu sah wieder zum Nachbartisch rüber. „Ich glaube,... ich glaub,... ich weiß woher ich ihn kenne.“
„Ja?“ fragte Rebecca gespannt.
Manu nickte. „Der war bei uns auf der Schule, weißt du nicht mehr? So zwei oder drei Stufen über uns.“ Sie überlegte kurz. „Genau, drei Stufen über uns, glaub ich. Die Schwester war nur ein Jahr älter als wir. Sabrina Irgendwas. Erinnerst du dich?“
Rebecca warf ebenfalls nochmal einen kurzen Blick hinüber. „Hm, Sabrina... Kremer?“
„Kremer, genau!“ rief Manu. „Und der Bruder heißt, ...“
„Andreas!“ fiel es Rebecca plötzlich ein.
Beide sahen zum Nachbartisch und schnell wieder weg, als sie bemerkten, dass er sie ebenfalls wieder musterte. Dann sahen sie sich an und mussten beide kichern als ihnen bewusst wurde, wie albern sie bestimmt wirkten. Schließlich sagte Rebecca: „Stimmt, Andreas Kremer. Wie konnte ich den nur vergessen, der war früher schon total niedlich.“
„Stimmt“, bestätigte Manu mit einem energischen Nicken.
„Dann brauch ich mir immerhin keine Illusionen mehr drüber zu machen, warum er rüber guckt. Gibt´s bald wieder schön was zu lästern... die Holtmann ist schon wieder schwanger...na super.“
Manu sah sie mit geruzelter Stirn an. „Ach komm, es wäre kein Wunder wenn andere so denken, wenn du es schon selber immer tust. Aber davon abgesehen, glaube ich nicht, dass es immer noch eine große Neuigkeit ist, dass du wieder schwanger bist. Und drittens, und jetzt lach mich nicht aus, ich denke nicht, dass er im Moment sehr viel von deiner Schwangerschaft sehen kann.“
Rebecca verzog genervt das Gesicht. „Und warum glaubst du guckt er dann die ganze Zeit rüber?“
Manu grinste sie breit an. „Hab ich dir eben schon gesagt, der steht auf dich.“
„Ach, hör doch auf mit dem Mist“, antwortete Rebecca, doch gleichzeitig konnte sie nicht verhindern, dass ihr Blick einmal mehr zum Nachbartisch hinüber schweifte. Er sah wieder her und lächelte ihr diesmal zu, automatisch erwiderte sie das Lächeln.
Manu hatte einen triumphierenden Ausdruck auf dem Gesicht, als Rebecca wieder zu ihr hin sah.
„Und wenn schon“, sagte sie deshalb gereizt, „Spätestens wenn ich aufstehe um auf die Toilette zu gehen, wird sein Interesse schlagartig enden.“
Manu lachte. „Man könnte fast meinen, du wärst Oliver leid.“
„Ach Quatsch!“ erwiderte Rebecca heftig, „Aber manchmal ist es schon ganz schön zu wissen, dass man immer noch einen gewissen Marktwert hat.“
Manu lachte und auch Rebecca konnte sich ein Lächeln nicht ganz verkneifen.
„Das glaub ich dir. Aber dann freu dich auch. Einen besseren Beweis für deinen Marktwert gibt es ja wohl nicht, oder?“ sagte Manu und deutete leicht mit dem Kopf in Richtung des anderen Tisches.
„Ok, du hast ja recht“, gab Rebecca schließlich zu, dann fügte sie hinzu. „Und jetzt gucken wir mal, ob er in Ohnmacht fällt, wenn ich aufstehe.“ Rebecca erhob sich und ging zur Toilette. Dabei achtete sie bewusst darauf nicht in Andreas Kremers Richtung zu schauen, sie konnte sich ohnehin sicher sein, dass Manu ihr in ein paar Minuten alles erzählen würde.

Als Rebecca nachhause kam, hatte Oliver mit den Kindern bereits zu Abend gegessen und Jan hatte sogar schon seinen Schlafanzug an. Zusammen mit Hannah saß er in eine Decke gewickelt vor dem Fernseher. Nachdem Rebecca einen kurzen Blick ins Wohnzimmer geworfen hatte, wo sich die beiden aber von ihrem Auftauchen nicht ablenken ließen, ging sie zu Oliver in die Küche.
Er war gerade dabei die Spülmaschine einzuräumen. Rebecca ging zu ihm und umarmte ihn von hinten. „Ich glaub, ich hab mir echt den besten Kerl weit und breit geangelt.“ Er richtete sich auf und drehte sich mit einem Lächeln zu ihr um. „Womit hab ich das denn verdient?“ fragte er und drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Nase.
„Och, nur so“, erwiderte sie, „und natürlich weil du mir den ganzen Tag die Kinder vom Leib gehalten hast.“ Sie gab ihm einen schnellen Kuss. „Und weil du auch noch die Küche aufräumst.“ Sie gab ihm noch einen Kuss. „Und weil Jan schon fertig für´s Bett ist.“ Noch ein Kuss. „Und weil du einfach super bist!“ Damit küsste sie ihn ein letztes Mal. Er lächelte immer noch auf sie runter. „Wow, danke, ich bin wirklich toll, oder?“
„Du bist der Beste!“ erwiderte sie.
Immer noch mit einem breiten Lächeln beugte er sich zu ihr runter und nun küssten sie sich richtig. „Hm, glaubst du die beiden bleiben lang genug vor ´m Fernseher, dass wir...?“ fragte Oliver, während er Rebecca sanft an sich zog und eine Hand über ihren Po gleiten ließ.
Rebecca lachte. „Ich glaube, damit musst du noch ein bißchen warten. Jan wäre mir ja noch egal, aber ich hab keine Lust Elke in ein paar Tagen erklären zu müssen, warum ihre Tochter komische Sachen mit ihren Barbies macht.“
„Elke hätte doch bestimmt Verständnis dafür, meinst du nicht?“ antwortete Oliver verschmitzt.
„Man könnte meinen, wir hätten gar nichts anderes im Kopf, als miteinander ins Bett zu gehen...“
Oliver lachte laut auf. „Da hast du allerdings recht!“
Dann erzählte er Rebecca davon, dass sie Lisa am Nachmittag getroffen hatten und was sie zu ihm gesagt hatte.
Nachdem er geendet hatte, sah Rebecca ihn ungläubig an. „Sie meinte wirklich man würde uns ansehen, dass wir total scharf aufeinander sind?“
„Genau das waren ihre Worte“, sagte Oliver immer noch belustigt.
„Das ist mir jetzt irgendwie so ein kleines bißchen peinlich“, gestand Rebecca, doch bevor Oliver noch etwas erwidern konnte, sog sie plötzlich scharf die Luft ein, krümmte sich ein wenig zusammen und legte eine Hand auf ihren Bauch.
„Was ist?“ fragte er alarmiert und griff nach ihrem anderen Arm um sie zu stützen. Doch Rebecca richtete sich schon wieder auf. „Nichts.“ Sie atmete mit schmerzverzerrtem Gesicht einmal vorsichtig ein und dann wieder aus. „Es hat nur grad so fest gegen meine Rippen getreten. Aber es geht schon wieder.“
Oliver sah sie besorgt an. „Sicher?“
„Ja klar.“ Rebecca lächelte kurz. „Das ist normal, hat es schon öfter gemacht. Jan damals auch.“
Oliver warf ihrem Bauch einen weiteren besorgten Blick zu, sagte aber nichts mehr.
Erst als sie meinte, sie würde Jan dann mal ins Bett bringen, meinte er, er würde das machen.
„Das brauchst du nicht“, wandte Rebecca ein, „Du hast dich schon den ganzen Tag um ihn gekümmert. Er besteht eh drauf, dass ich ihm noch „gute Nacht“ sage.“
„Stimmt, aber deshalb brauchst du dir das Drama vor dem „gute Nacht sagen“ ja nicht anzutun“, meinte Oliver in einem Ton der keinen Widerspruch duldete und Rebecca zeigte, dass er sich mal wieder viel zu viele Sorgen machte.
Allerdings war sie ihm letztlich doch dankbar, dass er es übernommen hatte Jan vom Fernseher und von seiner Großcousine loszueisen. Denn ein Drama wurde es wirklich und Rebecca war ziemlich froh, dass Hannah eine Stunde später ohne die geringste Diskusion ebenfalls im Bett verschwunden war.
Als sie schließlich endlich alleine waren, fragte Oliver sie wie ihr Tag gewesen sei. „Hast du dich mit Manu getroffen?“
„Mhm.“ Rebecca nickte.
„Und irgendwelche interessanten Neuigkeiten?“ fragte er.
Mit einem Grinsen zog Rebecca einen zusammen gefalteten Zettel aus ihrer Hosentasche. Mit den Worten: „Wir waren ein bißchen den Marktwert testen“, drückte sie ihn Oliver in die Hand.
Oliver faltete den Zettel auseinander und sah sie verständnislos an. „Was ist das denn bitte?“
Rebecca sah ihn grinsend an. „Naja, ich würde sagen, die Telefonnummer von Andreas.“
„Und wer ist Andreas, wenn ich fragen darf?“
„Der Beweis dafür, dass ich auch hochschwanger noch begehrenswert bin“, erwiderte Rebecca frech.
„Mhm, und meine Meinung reicht dir da nicht?“ fragte Oliver beleidigt.
Rebecca kuschelte sich an ihn. „Sei mir nicht böse, aber du bist nicht wirklich objektiv.“
„Und deshalb ziehst du los und suchst dir andere Kerle, die objektiver sind...?“ stellte er ungläubig fest.
„Ich ziehe nicht los und ich suche auch niemanden“, antwortete Rebecca bestimmt. „Aber ich werd mich doch wohl noch über das Kompliment freuen dürfen, oder? Und falls es dich beruhigt...“ fügte sie schließlich noch hinzu während sie begann sanft an Olivers Hals zu knabbern „... ich hab kein Wort mit ihm gewechselt, er hat mir nicht mal selber den Zettel gegeben und ich habe auch nicht vor ihn anzurufen.“
„Das wird ja immer besser, wildfremde Kerle geben meiner schwangeren Freundin ihre Telefonnummer“, stöhnte Oliver.
„Ich bin deine Frau und wildfremd trifft jetzt auch nicht unbedingt zu. Ich kenn ihn vom Sehen her, er war bei mir auf der Schule.“ Rebecca ließ ihre Hand unter Olivers T-Shirt gleiten.
„Bei dir auf der Schule?“ fragte Oliver, während er sein Gesicht kurz in ihrem Haar vergrub.
„Ja, Andreas Kremer, so drei Jahre älter als ich, glaub ich.“
„Andreas Kremer?“ fragte Oliver und Rebecca glaubte ein Lächeln in seiner Stimme zu hören, als er fortfuhr: „Mit einer jüngeren Schwester, Sabine, oder so?“
Rebecca sah erstaunt zu ihm auf: „Sabrina, ja. Kennst du sie?“
„Flüchtig.“ Ein Schmunzeln spielte um Olivers Mundwinkel.
„Sie oder ihn?“ fragte Rebecca misstrauisch.
„Ihn ein bißchen besser, sie hab ich mal auf einer Party... kennengelernt.“
„Oh man!“ Rebecca schüttelte stöhnend den Kopf. „Gibt es in dieser verdammten Stadt denn keine Tussi mit der du noch nichts hattest?“
Oliver gluckste leise vor sich hin. „Du warst diejenige, die mit seiner Nummer ankam...“
„Er sieht aber auch wirklich gut aus“, erwiderte Rebecca mit einem theatralischen Seufzer.
„Ach ja?“ fragte Oliver interessiert und zog sie auf seinen Schoß. „Du findest also, dass er gut aussieht?“
„Hm...“ Rebecca küsste ihn lächelnd. „...er sieht zumindest nicht schlecht aus.“
„Nicht schlecht...“ wiederholte Oliver abwesend, da er sich gerade damit beschäftigte die Knöpfe ihres Pullovers zu öffnen.
„Nein, nicht schlecht“, Rebecca stöhnte leise auf, als Oliver ihr den Pulli von der Schulter streifte und sie mit sanften Küssen verzierte. „Aber lange nicht so gut wie du.“
„Gut, genau das wollte ich hören!“ Rebecca konnte das Schmunzeln in seiner Stimme hören, während er sie weiter auszog.
Plötzlich trat das Baby erneut gegen ihre Rippen und sie zuckte zusammen. „Aua, verdammt, ich glaub, ich bin von Innen schon ganz grün und blau.“
Oliver hielt kurz inne und strich zärtlich mit der Hand über ihren Bauch. „Meine arme Schönheit.“
Das Baby bewegte sich wieder und beförderte Olivers Hand ein paar Zentimeter nach oben. Beide sahen sich an und mussten lachen. „Wow, das strampelt ja wie wild.“
„Allerdings, aber so lange es nach dir tritt macht mir das nichts aus“, erwiderte Rebecca kichernd.
„Naja, das ist wohl das Mindeste, was ich für dich tun kann.“ Oliver zuckte gutmütig die Schultern.
„Wird langsam Zeit, dass sie endlich rauskommt.“
Oliver sah Rebecca zweifelnd an. „Verspürst du schon so große Sehnsucht nach nächtlichem Babygeschrei?“
„Nicht wirklich.“ Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: „Aber vielleicht nach hemmungslosem ungestörtem Sex...“
„Ach ja?“ er lachte. „Den werden wir ja dann bestimmt direkt nach der Geburt wieder haben, am besten noch im Krankenhaus...“ zog er sie spöttisch auf.

In den nächsten Tagen stellte Rebecca begeistert fest wie entspannt es war zwei Kinder zu haben, besonders wenn das ältere von beiden sich mit Begeisterung um das jüngere davon kümmerte und dazu auch noch bestens erzogen war. Sie hoffte nur, dass es mit ihren eigenen Kinder auch annähernd so entspannt sein würde.
Deshalb war sie auch alles andere als froh, dass die Woche mit Hannah so schnell zu Ende ging, sie hätte durchaus nichts dagegen gehabt ihre Cousine noch ein wenig länger zu behalten.
Auch Jan war ganz ihrer Meinung. Als Elke und Hannah sich schließlich auf den Weg machten, stand er laut heulend an der Tür und kreichte hinter den beiden her. Und selbst als Oliver am Abend von der Arbeit kam, saß Jan noch im Flur und spielte traurig mit seinen Autos.
Oliver ging in die Knie und streichelte seinem Sohn über den Kopf. „Na Jan, wieso spielst du denn hier draußen und nicht im Wohnzimmer?“
Jan´s trotziges „Will nich´“ wurde von Rebeccas: „Er hat beschlossen so lange da sitzen zu bleiben bis Hannah wiederkommt“ ergänzt, die im Türrahmen aufgetaucht war.
„Oh“, Oliver betrachtete seinen Sohn einen Moment lang, dann setzte er sich zu ihm auf den Boden. „Vermisst du Hannah?“
Jan nickte trotzig: „Sie soll da bleiben!“
Oliver nickte mitfühlend, „Das versteh ich, Jan, aber ich glaube ihre Mama wäre dann bestimmt traurig. Und Hannah hätte bestimmt auch Heimweh. Du bekommst doch auch Heimweh, wenn Mama nicht da ist, oder?“
„Dann will ich aber eine eigene Hannah!“ antwortete Jan, der sich immer noch nicht so ganz davon überzeugen lassen wollte, dass Hannah wirklich nicht für immer bei ihnen bleiben konnte.
Oliver hörte Rebecca hinter sich glucksen und musste sich selbst bemühen ein Grinsen zu unterdrücken. „Tja, das ist nicht ganz so einfach. Aber du weißt doch noch, dass Mama und ich dir gesagt haben, dass du bald ein kleines Geschwisterchen bekommst. Ein Baby, und mit dem kannst du dann bestimmt genauso toll spielen wie mit Hannah, hm?“
„Hm“, Jan warf einen skeptischen Blick zu seiner Mutter, dann sah er Oliver wieder an: „Is´ das dann meine Hannah?“
Oliver zuckte die Schultern: „Ja, das ist dann deine Hannah, ganz für dich.“ Jetzt hoffte er nur inständig, dass entweder Jan die ganze Sache in den nächsten Tagen wieder vergessen würde, oder dass das Kind wirklich ein Mädchen wurde, sonst würde sein trotziger kleiner Dickschädel von einem Sohn ihm das wahrscheinlich nie verzeihen.
Er stand auf und hob auch Jan auf seine Füße. „Und jetzt komm, du hast bestimmt noch nichts zu Abend gegessen, oder?“

Am nächsten Tag hatte Jan seinen größten Trennungsschmerz überwunden, vor allem als Rebecca ihn einpackte und mit ihm zu ihren Eltern fuhr.
Oliver nutzte die Zeit um Sophie auf einen Kaffee zu besuchen. Er hatte sich ohnehin vorgenommen sie nochmal auf Peter anzusprechen. Wie meistens in letzter Zeit versuchte Sophie erst einmal dem Thema auszuweichen. Aber als er sie schließlich direkt darauf ansprach, sagte sie, beinahe etwas beschämt: „Seit ich nicht mehr zuhause bin, ist alles ganz normal. Ich bin mir mittlerweile wirklich nicht mehr sicher ob ich mir nicht tatsächlich alles nur eingebildet hab.“
Oliver riss sich zusammen und warf ihr lediglich einen zweifelnden Blick zu. Vielleicht war es ja besser für Sophie, wenn sie glauben konnte, dass sie einfach überreagiert hatte und eigentlich nichts gewesen war. Vor allem wenn sie Peter in Zukunft wieder begegnete.
„Was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag?“ wechselte Sophie dann auf einmal das Thema. „Und feierst du eigentlich?“
Oliver verzog das Gesicht: „Bloß nicht!“ Er wollte noch weiter reden, doch in diesem Moment wurden sie von Stephans Stimme unterbrochen: „Verdammte Scheiße! Lass mich einfach in Ruhe, Claudia, ok?! Ich hab wirklich keinen Bock mehr, kapier´s endlich!“
Claudia schien etwas zu erwidern, jedoch zu leise für Oliver um etwas zu verstehen. Allerdings schien ihre Antwort Stephan nicht gerade zu besänftigen, ganz im Gegenteil. Wenn das überhaupt möglich war, klang er jetzt noch wütender. „Das ist das Letzte! Du kannst mich mal!“ Seine Schritte im Flur waren zu hören, dann wurde die Wohnungstür geöffnet. „Wenn ich wiederkomme, bist du weg, verstanden?!“ Die Tür schlug laut ins Schloss und es war plötzlich still. Sophie und Oliver schauten sich an. „Ups, vielleicht sollte ich mal kurz nach ihr sehen...“ meinte Sophie entschuldigend.
Oliver stand auf. „Klar, kein Problem. Dann bin ich jetzt auch weg.“ Er folgte Sophie auf den Flur hinaus. Claudia stand immer noch heulend in der Tür zu Stephans Zimmer. Oliver nickte ihr mit der Andeutung eines Lächelns zu und wandte sich zur Wohnungstür, während seine Schwester sich ihrer Freundin annahm.
„Hey, ist ja gut“, hörte er Sophie beruhigend murmeln.
Und dann Claudias geschluchzte Antwort: „Nein, ist es nicht... ich hab ihm gesagt, dass ich schwanger bin...“
Oliver erstarrte Mitten in der Tür. Es ging ihn nichts an und er sollte sich nicht einmischen, das wusste er, doch er konnte nicht verhindern, dass er einen schnellen Blick zurück warf.
Sophie sah ihn hilfesuchend an, die schluchzende Claudia an ihrer Schulter. Tu was! formten ihre Lippen gerade lautlos. Er zuckte verärgert die Schultern, sagte dann aber doch: „Ich versuch mit ihm zu reden.“

Als er auf der Straße stand atmete Oliver erstmal tief durch, dann zog er sein Handy aus der Tasche und wählte Stephans Nummer. Nachdem es eine Ewigkeit geklingelt hatte, meldete sich schließlich eine gereizte Stimme: „Ja?“
„Wo bist du?“
„Unterwegs.“
Oliver ließ nicht so schnell locker: „Netter Abgang eben.“
Stephan stöhnte am anderen Ende genervt auf.
„Wie wär´s wenn wir uns bei mir treffen?“ fuhr Oliver fort. „Ich befürchte in nächster Zeit kannst du eh nicht zurück in deine Wohnung.“
„Wie wär´s wenn wir uns stattdessen besaufen gingen?“ antwortete Stephan widerstrebend, „Ich glaube, danach wär mir jetzt eher.“
Oliver lachte.

Zwanzig Minuten später saßen sie sich gegenüber, jeder mit einem Bier vor sich.
Oliver, der keine Lust hatte um den heißen Brei herum zu reden, fiel direkt mit der Tür ins Haus.
„Claudia sagt sie ist schwanger...?“
Stephan verzog genervt das Gesicht. „Ich weiß.“ Er trank einen Schluck Bier, als er das Glas wieder abgestellt hatte, schob er es nachdenklich hin und her. Schließlich sah er Oliver an. „Rate mal, wann sie behauptet hat sie wäre schwanger... genau nachdem ich ihr gesagt hab, dass ich endgültig keinen Bock mehr auf sie hab. Tata...!“
Es beruhigte Oliver etwas als er das hörte. Er war der Letzte, der nicht verstanden hätte, wie sehr Claudia Stephan auf die Nerven ging, aber nachdem sie gesagt hatte, sie wäre schwanger, hatte er Stephans Reaktion schon etwas hart gefunden. Jetzt konnte er die Reaktion verstehen. Dennoch fragte er: „Und wenn sie´s doch ist? Schwanger...“
Stephan schüttelte energisch den Kopf: „Kann nicht sein.“ Er klang vollkommen überzeugt. Oliver sah ihn fragend an. „Ok, unter uns“, fuhr Stephan mit einem Stöhnen fort, „kein gerissenes Condom und wir haben nie ohne. Also, wie soll sie schwanger geworden sein? Vom Schlucken?“
Oliver konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen, das Stephan mit einem leichten Kopfschütteln erwiderte. „Na, dann brauchen wir uns ja keine Sorgen mehr zu machen.“
Oliver hob sein Glas und stieß mit seinem Freund an. Dann fiel ihm noch etwas ein: „Was ist mit deinem Geburtstag? Du warst total dicht.“
Stephan lachte laut auf: „Eben! Was denkst du wieviel da noch gelaufen ist?“

Später am Abend rief Sophie auf Olivers Handy an und wollte wissen ob er mit Stephan gesprochen hätte. „Hab ich“, antwortete Oliver gelassen, „Schick Claudia nachhause, ja? Du kannst ihr sagen, dass Stephan heut eh nicht mehr kommt.“
„Ach ja? Super, Oliver, ihr geht´s echt mies. Ich hätte wirklich ein bißchen mehr von dir erwartet!“
„Sorry, aber er ist immer noch mein bester Freund und du kannst mir glauben, dass der ganze Mist mit Claudia für ihn auch kein Vergnügen ist.“
„Also schläft er heute Nacht bei euch, oder was soll ich Claudia sagen?“ fragte sie hörbar sauer.
„Im Moment sieht´s aus, als würde er eher bei ´ner niedlichen Blondine übernachten, das kannst du meinetwegen auch gern Claudia ausrichten.“
Mit einem wütenden: „Arschloch!“ legte sie auf.

Die Blondine wurde es dann doch nicht und Stephan schleppte sich schließlich so gegen 4 Uhr hinter Oliver in dessen Wohnung.
Am nächsten Morgen saßen die beiden Jungs verkatert in der Küche.
„Ich frag besser gar nicht erst was eigentlich los ist, hm?“ stellte Rebecca mit einem Grinsen fest.
„Sehr gut erkannt, Süße.“ Oliver gab ihr einen anerkennden Klaps auf den Hintern, woraufhin sie ihn wütend anfunkelte.
Dennoch bohrte sie nicht weiter, wofür Stephan ihr sicherlich dankbar war und auch Oliver war froh darüber, denn er konnte sich vorstellen wie Rebeccas Standpunkt in dieser ganzen Sache aussähe. Sie hätte mit Sicherheit nicht freundlich lächelnd zugestimmt, wenn sie gehört hätte, wie sie Sophie und damit auch Claudia gestern abgefertigt hatten.
Nach dem Frühstück erhob Stephan sich schließlich mit einem Seufzen und meinte, er müsse wohl langsam mal nachhause. Oliver nickte ihm aufmunternd zu: „Naja, ich geh davon aus, dass sie nicht mehr da ist, sonst wär sie echt ziemlich krank.“
Stephan verdrehte die Augen und warf ihm einen Blick zu, der eindeutig zu sagen schien, dass Claudia auf jeden Fall krank wäre. Dennoch gab er zu, dass Oliver wohl recht hatte. „Allerdings macht Sophie mir auch ein bißchen Angst...“
Oliver lachte. „Ja, die kocht vermutlich vor Wut. Sag ihr einfach es geht sie einen Dreck an.“
Stephan sah nicht gerade aus, als würde ihm das großen Mut machen, er ging trotzdem.
Kaum war er weg, meinte Rebecca: „Ich hoffe ihr hattet gestern Spaß, aber kannst du mir mal sagen, was du dir dabei gedacht hast?“
Oliver sah sie irritiert an. „Äh, wobei?“
„Sophie hat gestern Abend noch angerufen...“ war Rebeccas bedeutungsschwere Antwort.
„Oh... dann... weißt du Bescheid?“
Sie nickte.
„Danke, dass du eben nichts gesagt hast.“
„Geht mich nichts an, was er macht und ich denk mal, ihm geht´s auch nicht so super“, erwiderte sie mit einem Schulterzucken.
Oliver nickte. „Stimmt. Er sagt, es kann nicht sein, dass sie von ihm schwanger ist.“
Rebecca sah ihn zweifelnd an: „Ach ja? Jetzt erzählst du mir gleich noch, dass die beiden ´ne Fickbeziehung ohne ficken hatten, hm?“
„Nein, das nun nicht“, antwortete Oliver lachend, dann erzählte er Rebecca was Stephan ihm am Vorabend gesagt hatte.
„Also denkt ihr sie lügt?“ fragte Rebecca skeptisch.
„Ich weiß nicht, ob sie lügt“, räumte Oliver zögernd ein, „aber ich glaube Stephan wenn er mir sagt, dass es nicht sein kann. Vielleicht redet sie es sich einfach ein, weil sie denkt, dass sie ihn damit halten könnte.“
Rebecca seufzte. „Naja, ich hoffe für Stephan, dass er sich wirklich so sicher ist.“ Sie zögerte einen Moment bevor sie fortfuhr: „Sophie sagte Claudia hätte einen Test gemacht... und wenn das stimmt, dann hat sie sich das Ergebnis bestimmt nicht eingebildet.“
„Scheiße“, Oliver sah Rebecca entsetzt an, „Oh man, das ist das Letzte was er gebrauchen kann.“
Rebecca sparte sich ihn darauf hinzuweisen, dass es betimmt auch das Letzte war, was Claudia wollte. Stephan war schließlich sein bester Freund und nach allem was in letzter Zeit passiert war, beruhigte es sie zu sehen, dass Oliver, wenn es hart auf hart kam, nach wie vor zu ihm stand.
Stattdessen meinte sie jetzt: „Sag mal, willst du deinen Geburtstag eigentlich feiern? Wir haben noch gar nicht darüber gesprochen und er ist ja schon in zwei Wochen.“
„Ach nein, ehrlich gesagt hab ich eigentlich überhaupt keinen Nerv darauf. Außerdem bin ich langsam aus dem Alter raus in dem ein Geburtstag ein freudiges Ereignis ist, oder?“ Oliver grinste Rebecca schief an und sie versetzte ihm einen leichten Klaps.
„Blödmann!“ Sie musterte ihn einen Moment, bevor sie sich vorsichtig erkundigte: „Du machst das aber nicht wegen mir, weil du meinst, du müsstest irgendwie Rücksicht nehmen, oder?“ Als Oliver leicht das Gesicht verzog, hatte Rebecca ihre Antwort und so fuhr sie direkt fort ohne ihn auch nur zu Wort kommen zu lassen. „Ok, lass das Oliver! Ich mein ´s ernst, mir geht´s gut. Und es gibt wirklich keinen Grund warum wir deinen Geburtstag nicht feiern sollten.“
Mit einem leichten Grinsen schüttelte Oliver den Kopf und antwortete: „Dir ist aber schon bewusst, dass ich noch überhaupt nichts gesagt habe, oder?“
„Das brauchst du auch nicht“, erwiderte Rebecca trocken, „ich sehe es dir an, wenn du mal wieder meinst du müsstest dir übertriebene Sorgen machen!“
Oliver sah sie über den Tisch hinweg an: „Rebecca, auch wenn du es vielleicht übertrieben nennst, du bist an meinem Geburtstag im achten Monat schwanger, ist dir das bewusst?“
„Und was bitte hat das damit zu tun, ob wir deinen Geburtstag feiern oder nicht?“ fragte Rebecca provozierend zurück.
Oliver verschränkte seine Arme vor der Brust und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Redest du dir wirklich selber ein, dass dir danach ist bis drei Uhr morgens die Wohnung voller besoffener Leute zu haben?“
Rebecca musste zugeben, dass er damit nicht Unrecht hatte. „Wir müssen ja nicht hier feiern…“ schlug sie deshalb vor, erntete dafür aber nur einen weiteren skeptischen Blick von ihm.
„Und wo dann? In einer Kneipe? Super Idee und dann sind wir als erste weg, oder was?“
Gereizt stand Rebecca auf und begann den Tisch abzuräumen, aber so ganz war sie noch nicht bereit aufzugeben: „Wir müssen ja auch nicht zusammen gehen, wenn ich irgendwann nachhause will, fahre ich und du kommst eben nach, wenn die Party vorbei ist.“ Sie trat gerade wieder an den Tisch und Oliver streckte die Hand aus und zog sie zu sich heran. „Und was ist, wenn ich meinen Geburtstag nicht ohne dich feiern will?“
Rebecca konnte nicht anders als zu lächeln. „Und was ist, wenn ich dir deinen Geburtstag nicht verderben will?“
Oliver zog sie auf seinen Schoß. „Das könntest du gar nicht.“ Er küsste sie und fügte danach noch hinzu: „Wirklich nicht.“
Sie einigten sich schließlich darauf ein paar engere Freunde auf einen gemütlichen Abend einzuladen, weil Rebecca sich doch nicht damit zufrieden geben wollte so rein gar nichts zu machen. Auch wenn Oliver noch mehrmals beteuerte, dass es ihm wirklich egal wäre.

„Hallo, wie geht´s dir?“ Oliver sah erstaunt von seinem Schreibtisch auf und musste ein Stöhnen unterdrücken als er sah wer vor ihm stand. „Hallo Kiara, was machst du denn hier?“
Sie zuckte die Schultern: „Ich hole nur meinen Vater ab, wir wollen essen gehen.“
„Na dann, viel Spaß“, sagte Oliver, um einen freundlichen Tonfall bemüht. Hoffentlich würde sie sich jetzt so schnell wieder aus dem Staub machen, wie sie aufgetaucht war.
„Du kannst ja mitkommen, wenn du Lust hast.“
Klar, das hatte ihm ja gerade noch gefehlt. „Ich hab noch zu arbeiten und danach bin ich schon verabredet“, und zwar mit Rebecca. Das ging diese oberflächliche Kuh allerdings nichts an.
„Schade“, sie lächelte ihn bedauernd an und begann schon wieder so affig mit ihren Wimpern zu klimpern wie auf der Party ihrer Eltern. Es machte den Eindruck als wollte sie gleich abheben. „Vielleicht können wir ja demnächst mal was trinken gehen.“ Sie stellte es mehr fest als das sie fragte. Vermutlich zog sie eine Abfuhr gar nicht in Erwägung.
Oliver verdrehte innerlich die Augen und überlegte wie er ihr deutlich aber höflich klarmachen konnte, dass sie das bestimmt nicht tun würden. „Hm, tut mir leid, aber ich schätze, dazu werde ich keine Zeit haben wenn das Baby erst da ist.“
Sie riss überrascht die Augen auf. Gut, damit hatte er gerechnet. „Wie? Ihr bekommt ein Baby? Du und…“
„…Rebecca“, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage und setzte dann noch hinzu: „Meine Frau, du erinnerst dich bestimmt an sie, von der Gartenparty.“
Sie nickte, immer noch ziemlich perplex, bevor sie sagte: „Dann sollte ich wohl herzlichen Glückwunsch sagen.“
„Danke“, Oliver lächelte sie freundlich an und brachte dann den Todesstoß: „Es war aber auch langsam Zeit für ein zweites Kind, Jan ist schließlich schon drei Jahre alt.“
Jetzt fielen ihr die Augen beinahe aus dem Kopf. Also wenn sie ihn danach nochmal irgendwann anbaggern würde, wüsste er auch nicht…

„Vielleicht sollten wir sie zu deinem Geburtstag einladen“, sagte Rebecca am Abend mit einem Grinsen, nachdem Oliver ihr davon erzählt hatte. „Sie könnte Stephan auf andere Gedanken bringen.“
Oliver schüttelte lachend den Kopf: „Du meinst es wirklich ernst damit Stephan und Lisa zu verkuppeln, hm?“
Rebecca nickte: „Allerdings! Wobei wir Stephan vielleicht lieber noch ein bißchen Zeit lassen sollten… Hast du noch mal was von ihm gehört? Oder von Sophie?“
„Nein, weder noch“, antwortete Oliver, „Wobei ich mir aber ziemlich sicher bin, dass Sophie immer noch stinksauer auf mich ist.“
„Ach, ich glaube, sie war nur in dem Moment sauer. Stephan ist dein bester Freund, das weiß sie.“
„Vielleicht“, Oliver zuckte die Schultern. Im Prinzip war es ihm egal ob Sophie ihm noch böse war oder nicht. Sie würde sich schon wieder abregen und er fühlte sich im Recht. Er war mit Stephan befreundet, nicht mit Claudia, auch wenn sie ihm definitiv mehr als leidtun würde, wenn doch etwas an dieser Schwangerschafts-geschichte dran wäre.
„Du darfst übrigens Jan gleich ins Bett bringen, mein Schatz, ich muss noch mal weg…“
Oliver sah Rebecca überrascht an. „Wie du musst nochmal weg?“
„Keine Angst, nur zu deiner Mutter“, antwortete Rebecca mit einem fröhlichen Grinsen. „Sie hat vorhin angerufen und gefragt ob ich vorbei kommen könnte um mit ihr die alten Kindersachen von deinen Schwestern auszusortieren und zu gucken was ich davon gebrauchen kann.“
Oliver sah sie skeptisch an: „Weiß Mama, dass es nur eine Vermutung von dir ist, dass es diesmal ein Mädchen wird?“
Statt zu antworten, streckte Rebecca ihm die Zunge raus.

„So, das ist der Letzte“, Andrea stellte einen bis zum Rand gefüllten Karton mit Kinderkleidern vor Rebecca ab, neben die beiden anderen, die dort bereits standen.
„Wow“, Rebecca ließ sich kurzerhand auf dem Wohnzimmerteppich nieder und griff nach der ersten Kiste. „Da haben wir ja einiges vor uns.“
„Allerdings“, Andrea setzte sich neben sie und nahm sich ebenfalls eine Kiste vor. „Es ist schon erstaunlich was sich so ansammelt, obwohl man nach dem ersten Kind ja eigentlich schon alles hat.“
Rebecca nickte. „Das merke ich ja jetzt schon und das Kind ist noch nicht mal da.“ Dann fiel ihr wieder ein was Oliver gesagt hatte und sie meinte mit einem Schmunzeln: „Oliver will übrigens, dass ich nochmal betone, dass wir noch nicht hundertprozentig wissen, dass es ein Mädchen wird.“
Andrea lachte: „Er hofft wahrscheinlich wieder auf einen Jungen, hm?“
„Er tut zumindest so“, erwiderte Rebecca.
„Weißt du wirklich nicht was es wird?“ fragte Andrea jetzt neugierig und hielt mit angewidertem Gesicht einen knallpinken mit Rüschen verzierten Strampler in die Höhe, den sie ohne weiter nachzufragen sofort auf den Zu-Entsorgen-Haufen warf.
„Naja“, Rebecca zögerte kurz, „um ehrlich zu sein, hat sich mein Arzt letztens ein bißchen verplappert, weshalb ich auch stark davon ausgehe, dass es tatsächlich ein Mädchen wird. Aber ich dachte mir, ich lass Oliver noch ein bißchen die Hoffnung.“
Andrea lächelte: „Schön, dann bekommt Jan also tatsächlich ein kleines Schwesterchen.“
„Ja, aber behalt es für dich, ja? Ich will nicht, dass Oliver auf einmal der Einzige ist, der es nicht weiß.“
„Klar.“
„Der ist ja süß!“ Rebecca hatte einen zerknautschten braunen Stoffhund mit niedlichen Schlappohren aus ihrer Kiste gezogen.
„Oh, wie kommt der denn da rein?“ Andrea griff langsam nach dem Hund, ein etwas abwesendes Lächeln lag auf ihrem Gesicht. „Der ist noch von Oliver. Daniel hat ihn mit ins Krankenhaus gebracht nach Olivers Geburt.“ „Ach so“, Rebecca wusste nicht was sie sagen sollte. Sie fühlte sich immer etwas betroffen wenn die Sprache auf Olivers verstorbenen Vater kam. Vor allem wenn Andrea dabei war. Natürlich war sie neugierig, aber bisher hatte sie sich nie getraut ihre Schwiegermutter nach ihm zu fragen.
„Oliver hat das Ding geliebt, keine Ahnung wie der in der Kiste gelandet ist.“ Mit einem Seufzen drehte sie das Kuscheltier hin und her. „Hätte ich das gewusst… Ich glaube, er war schon elf oder zwölf als Wuffi auf einmal weg war, aber er hat einen Aufstand gemacht, als wäre er ein Kleinkind.“
„Wuffi?!“ fragte Rebecca lachend.
Andrea grinste: „Ja, eins seiner ersten Worte, süß oder?“ Sie drückte Rebecca den kleinen Hund wieder in die Hand. „Nimm ihn mit, vielleicht will er ihn ja als Erinnerung behalten.“
Rebecca legte den kleinen Hund neben ihren Mitnehmen-Stapel und betrachtete ihn noch einen Moment. „Ist es sehr schmerzlich dich an sowas zu erinnern?“
Andrea seufzte, „Ja“, dann sah sie Rebecca an und lächelte plötzlich, „Es ist schlimm, aber es ist auch sehr schön. Es gab so viele großartige Momente und ich finde es schrecklich, immer mehr davon zu vergessen. Ich hab schon mal drüber nachgedacht alles aufzuschreiben, was mir noch einfällt, damit nicht noch mehr Details verloren gehen, auch für die Kinder. Aber ich bezweifle, dass mir das besonders gut tun würde…“
Rebecca nickte betroffen. Was sollte sie auch sagen?
Plötzlich legte Andrea leicht ihre Hand auf Rebeccas Arm: „Ich weiß, dass Oliver dir davon erzählt hat, also von meinem… Selbstmordversuch. Das ist in Ordnung, du musst keine schlechtes Gewissen deswegen haben, oder so. Ich war, und bin, sehr froh, dass er mit dir darüber reden kann.“
Rebecca nickte leicht: „Danke.“ In der Tat hatte Andrea genau die Fragen beantwortet, die Rebecca sich in Gedanken gerade selbst gestellt hatte. Sie wusste, dass Oliver nachdem sie sich kennen gelernt hatten erstmals mit seiner Mutter über die ganze Sache gesprochen hatte, sie hatte keine Ahnung, inwieweit sie selbst damit zu tun hatte und wenn, wie viel Oliver seiner Mutter davon erzählt hatte.
„Ich hab Daniel so wahnsinnig geliebt… manchmal weiß ich nicht, ob ich meinen Kinder dasselbe Glück wünschen soll oder lieber nicht…“ sagte Andrea jetzt langsam.
Rebecca zögerte einen Moment, dann fragte sie vorsichtig: „Es war ein Autounfall, oder?“
Ihre Schwiegermutter schluckte: „Ja, das war das Schlimmste. Es war so plötzlich.“
Beide schwiegen einen Moment und machten sich daran die Kisten weiter auszupacken. Rebecca war die plötzliche Stille unangenehm, aber sie wusste beim besten Willen nicht, was sie noch sagen sollte. Bis sie ein weiteres Kleidungsstück aus den Tiefen der Versenkung zog, das mehr Aufmerksamkeit erregte als der Rest der Sachen. Lächelnd hielt sie es hoch: „Welche von deinen Töchtern hast du denn in dem Alter schon in ein Dirndl gesteckt? Und gibt´s noch ein Foto davon?“
Andrea lachte laut auf: „Oh ja! Und ob es davon Fotos gibt!“ Sie sprang auf und ging zur Bücherwand hinüber, wo sie einen Moment suchte und dann mit einem schon ziemlich abgestoßenen braunen Fotoalbum zurück kam. Sie schlug es auf und zeigte Rebecca nach kurzem Suchen ein Foto mit einem komplett kahlköpfigen vielleicht zehn Monate alten Baby das zwischen zwei älteren Leuten auf einem Sofa thronte in eben genau dem Dirndl, das Rebecca immer noch in der Hand hielt. Sie besah sich das Foto genauer. „Sind das Maria und Wilhelm?“ fragte sie dann ein wenig überrascht.
„Allerdings“, Andrea nickte kichernd. „Sie haben Paula dieses grässliche Teil geschenkt. Ich glaube, das war das einzige Mal, dass sie es getragen hat.“
„Sieht zum Schreien aus“, meinte Rebecca.
„Ja“, stimmte Andrea immer noch fröhlich zu, „vor allem weil sie so ein Glatzkopf war, wir dachten schon sie kriegt nie Haare.“
Rebecca lachte überrascht auf.
Andrea blätterte noch etwas in dem Album, während Rebecca das Kleidchen weg legte, und hielt es ihr dann erneut hin: „Hier, das ist Daniel mit Oliver, da müsste er so in Jans Alter gewesen sein.“
Neugierig zog Rebecca das Album zu sich herüber und starrte überrascht auf das Bild. Sie hatte natürlich schon Aufnahmen von Olivers Vater gesehen, aber auf denen war er meist schon etwas älter gewesen. Jetzt konnte sie verstehen, warum Olivers Mutter und Großeltern immer sagten, dass er seinem Vater so ähnlich sähe, aber wirklich überrascht war sie von Oliver selbst auf dem Foto. Er war darauf nicht nur in Jans Alter, er hätte Jan sein können. Die Haare, die noch kindlichen Pausbäckchen, bis hin zu dem störrischen Gesichtsausdruck, mit dem er beleidigt in die Kamera guckte. Dem Gesicht seines Vaters nach zu schließen, der eine Hand leicht auf die Schulter seines Sohnes gelegt hatte, musste es irgendetwas Lustiges gewesen sein was zu diesem Gesichtsausdruck geführt hatte.
Rebecca erkundigte sich bei Andrea, doch die konnte sich leider nicht mehr erinnern was damals gerade Olivers Unmut erregt hatte. „In dem Alter war er eigentlich wegen jeder Kleinigkeit sauer und trotzig“, meinte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung.
Rebecca lachte: „Ganz genau wie Jan!“ Dann fragte sie vorsichtig: „Wenn ich dir verspreche, dass ich dir das Foto auf jeden Fall unversehrt wieder mitbringe, dürfte ich das dann mal mitnehmen? Ich würde es zu gerne Oliver zeigen.“
„Klar, kein Problem“, erklärte Andrea sofort, dann sprang sie plötzlich auf: „Das heißt, warte mal kurz, ich glaube, ich hab sogar noch einen Abzug davon oben in der Fotokiste, das könnt ihr dann auch behalten, wenn ihr wollt.“

Als Rebecca nachhause kam, hatte Oliver den Küchentisch mit Papieren belagert und starrte kopfschüttelnd auf das Blatt, das unmittelbar vor ihm lag. Rebecca sah ihm neugierig über die Schulter: „Arbeitest du noch?“
Er nickte mit einem Seufzen: „Ja, für dieses blöde Sanierungsprojekt sind immer noch nicht alle Bauaufträge vergeben und ich dachte, wenn du mich eh den ganzen Abend im Stich lässt…“
„Oooooh…“ Rebecca legte übertrieben mitleidig die Arme um Olivers Schultern und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Mein armer Schatz!“
„Allerdings“, sagte Oliver und schob das Angebot, dass er gerade durchgesehen hatte weg.
Rebecca ließ ihn los und bückte sich nach der Kleiderkiste, die sie vorher auf dem Boden abgestellt hatte. „Dafür hab ich dir aber auch was mitgebracht.“ Sie griff nach dem Kuscheltier, das sie zusammen mit dem Foto extra ganz obenauf gelegt hatte und stellte es vor ihn auf den Tisch.
Er betrachtete es etwas irritiert: „Das ist wohl eher…“ Er unterbrach sich und betrachtete es genauer. Rebecca konnte nicht mehr an sich halten und sagte kichernd: „Du wirst doch deinen Wuffi noch wieder erkennen?“
Oliver, der den Stoffhund mittlerweile in der Hand hielt, sah überrascht zu Rebecca auf: „Wo ist der denn wieder aufgetaucht?“
„Du kennst ihn also noch“, stellte sie grinsend fest. „Er war in einer der Kleiderkisten bei deiner Mutter. Sie dachte, du möchtest ihn vielleicht wieder haben, nachdem du so einen Aufstand gemacht hast, als er verschwunden ist. Mit zwölf Jahren!“ Sie kicherte und Oliver sah sie böse an. „Hör auf zu lachen, das war nicht lustig!“
„Na, da bin ich ja mal gespannt wie lange Jan seinen Bär behält, nachdem er sonst so viel von dir hat“, erwiderte Rebecca immer noch belustigt und drückte Oliver nun auch das Foto in die Hand. „Hier, das hab ich dir auch noch mitgebracht, ich bin fast umgekippt als ich ´s gesehen hab.“
Oliver betrachtete das Foto genau, dann musste auch er grinsen: „Wow, wenn mein Vater nicht neben mir stehen würde, wäre ich jede Wette eingegangen, dass das Jan ist.“
„Ja, oder?“ gab Rebecca ihm Recht. „Du guckst sogar genauso trotzig wie er.“
„Aber ich hatte garantiert einen guten Grund, im Gegensatz zu ihm“, antwortete Oliver augenzwinkernd.

Nachdem Rebecca ihn alleine gelassen hatte, sie wollte noch einmal nach Jan sehen und sich dann ins Wohnzimmer setzen, betrachtete Oliver das Bild von sich und seinem Vater. Dann fiel sein Blick auf das alte Kuscheltier. „Wuffi“, sagte er leise und musste lächeln. Er konnte sich natürlich nicht mehr erinnern, dass sein Vater ihm den Hund geschenkt hatte, aber er hatte die Geschichte, dass es sein erstes Kuscheltier gewesen war als Kind wahrscheinlich hundert Mal gehört. Er hatte tatsächlich einen riesen Aufstand gemacht, als er damals verschwunden war. Da er aber schon zwölf gewesen war, wie Rebecca so heiter erwähnt hatte, war er dann doch relativ schnell über den Verlust hinweg gekommen.
Als sein Vater drei Jahre später gestorben war, da hatte er sich auf einmal wieder an seinen Hund erinnert. Und, nicht dass er das jemals vor irgendjemandem zugeben würde, er hätte so ziemlich alles getan um das verschlissene alte Stofftier zurück zu bekommen. Nicht, dass er zu wenige Erinnerungen an seinen Vater gehabt hätte, aber irgendwie war dieser Hund eine der wichtigsten und handfestesten.
Er berührte das verfilzte und an manchen Stellen schon fast nicht mehr vorhandene Fell und sah wieder auf das Foto. Plötzlich war ihm eher nach Heulen als nach Lachen zu Mute.
Sein Vater war damals nur wenige Jahre älter gewesen als er jetzt. Es war ein komisches Gefühl ihn auf dem Foto so zu sehen und er selbst daneben, wahrscheinlich gab es zehn Fotos auf denen er genauso mit Jan da stand. Und Jan hielt ihn wahrscheinlich für ebenso allwissend wie er seinen Vater damals. Ob sein Vater sich dabei in Wirklichkeit auch so ahnungslos und unerwachsen gefühlt hatte? Wahrscheinlich, beantwortete Oliver sich die Frage selbst, es wäre ein Wunder wenn nicht. Bei dem Gedanken lächelte er.
Er packte seine Papiere zusammen, heute würde er sich ohnehin nicht mehr konzentrieren können.

„Ach, schläft Wuffi heute bei uns?“ zog Rebecca ihren Mann etwas später auf, als sie zu ihm ins Bett kroch. Mit einem freundlichen Lächeln erklärte er: „Der Arme hat mich über zehn Jahre vermisst, wenn du was dagegen hast, musst du leider auf dem Sofa schlafen.“
„Ach ja?“ frage Rebecca mit hochgezogenen Augenbrauen und beugte sich über ihn.
„Mhm, da bin ich standhaft.“
Rebecca ließ ihre Lippen sanft über seine gleiten und schmiegt sich an ihn. „Ich hoffe, nicht nur was das angeht…“ hauchte sie, bevor sie ihn küsste.
Lachend zog er sie an sich.
Später warf Oliver einen skeptischen Blick auf seinen alten Kuscheltierhund. „Hm, vielleicht ist das hier doch nicht der richtige Ort für ihn. Ich fürchte, er bekommt hier Dinge zu sehen, die nicht ganz jugendfrei sind.“
„Na, du kannst ihn in Zukunft ja umdrehen wenn es zu heikel für ihn wird“, antwortete Rebecca tröstend.
Mit einem Lächeln löschte Oliver das Licht.
„Wie waren deine Eltern eigentlich so zusammen?“
„Wie kommst du denn jetzt darauf?“ fragte Oliver erstaunt.
„Naja, wegen dem ganzen Abend halt…“ Sie überlegte kurz bevor sie fragte: „Deine Mutter hat ihn sehr geliebt, oder?“
„Sonst hätte sie wohl kaum versucht sich nach seinem Tod umzubringen“, erwiderte Oliver trocken, fuhr dann aber ernsthafter fort: „Nein, klar haben sie sich geliebt, aber als Kind achtet man da einfach noch nicht so drauf, fürchte ich. Ich hab es einfach für normal gehalten.“
„Vermisst du ihn?“
„Klar“, sagte Oliver leise, „nicht mehr so schlimm wie früher.“ Er schwieg kurz bevor er erklärte: „Ich hätte einfach zu so vielen Dingen gern seine Meinung.“ Jetzt hörte Rebecca ein Lächeln in seiner Stimme: „Aber das ist wahrscheinlich normal, Paula hat mich gefragt, was er wohl von ihrer Familiengründung halten würde.“
„Und, was hast du geantwortet?“ fragte Rebecca neugierig.
„Die Wahrheit, dass ich es nicht weiß.“ Oliver bewegte sich ein wenig und zog seinen Arm unter Rebeccas Schulter hervor um ihn hinter seinem Kopf zu verschränken. „Das ist eine der frustrierendsten Sachen, ich hab wirklich keine Ahnung was er dazu gesagt hätte. Ich hab ihn nur als Vater gekannt, nicht als… Menschen. Ich weiß, nicht wie ich es sonst ausdrücken soll.“
„Ich weiß was du meinst“, antwortete Rebecca schlicht.
„Gut.“ Oliver hatte nach Wuffi gegriffen und drehte ihn in seiner Hand hin und her. „Ich hätte es gern, dass er Jan sehen könnte. Und dich kennen lernen. Wenn ich ehrlich bin, läuft es wahrscheinlich einfach darauf hinaus, dass ich will, dass er stolz auf mich wäre.“

Rebecca kam sich nach diesem Gespräch ein bißchen undankbar vor. Ihr Vater lebte noch und sagte ihr, sogar in aller Öffentlichkeit, dass er stolz auf sie war und ihr war es nur peinlich. Sie war einfach daran gewöhnt, dass er da war und sie liebte. Oliver hätte wahrscheinlich Alles dafür gegeben das nur noch einmal von seinem Vater zu hören. Und hätte es irgendwie in ihrer Macht gelegen, sie hätte ebenfalls Alles dafür getan um ihm das zu ermöglichen.
Ein paar Tage später bekam Rebecca einen beinahe verzweifelten Anruf von Sophie. „Könntest du nicht mal mit Oliver sprechen, dass er Stephan überreden soll sich endlich nochmal mit Claudia zu treffen?“
„Puuh“, Rebecca starrte einen Moment aus dem Fenster: „Ich fürchte das kann ich nicht. Weiß Claudia denn mittlerweile sicher ob sie schwanger ist?“
„Beim Arzt war sie, glaub ich, noch nicht“, antwortete Sophie etwas zögerlich.
„Weißt du denn wenigstens sicher, dass sie einen Test gemacht hat?“ fragte Rebecca weiter. Nach allem was Oliver ihr erzählt hatte, konnte Rebecca verstehen, dass er und Stephan gewisse Zweifel an dieser Schwangerschaft hatten. Und sie wusste, solange Claudia nicht glaubhaft versicherte, dass sie wirklich schwanger war, würde weder Oliver Stephan zu einem Gespräch überreden, noch würde Stephan sich darauf einlassen.
„Ja, sie hat es zumindest gesagt“, antwortete Sophie jetzt und fragte dann vorsichtig: „Wieso? Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie lügt, wenn die beiden das glauben.“
Rebecca seufzte, eigentlich hatte Oliver ihr alles was Stephan ihm erzählt hatte im Vertrauen gesagt, aber vielleicht würde es weiter helfen, wenn Sophie ihre Zweifel nachvollziehen könnte. Schweren Herzens entschied Rebecca, dass es Stephan wahrscheinlich mehr bringen würde, wenn Sophie zumindest ansatzweise Bescheid wüsste: „Pass auf, Stephan hat Oliver erzählt, dass sie gar nicht schwanger sein kann, weil sie nie ohne Condom miteinander geschlafen haben.“
„Ach ja? Und Oliver glaubt das, oder was? Was ist wenn mal eins gerissen ist oder sonst was schief ging?“
„Ist es nicht, sagt Stephan. Und, Sophie“, Rebecca zögerte kurz, schließlich war Claudia eine gute Freundin von Sophie, „ich glaube auch nicht, dass er lügt. Claudia tut mir leid. Ich bin die Letzte die nicht nachvollziehen kann wie es ihr gerade gehen muss, aber ich finde es ehrlich gesagt auch komisch, dass sie gerade in dem Moment mit so einer Story kommt, in dem Stephan ihr sagt, dass er tatsächlich nicht mal eine Fickbeziehung mit ihr will.“
„Und was denkst du hätte Olli vor drei Jahren gedacht, wenn er nicht mit Lisa Schluss gemacht hätte und du plötzlich vor ihm gestanden hättest nach dem Urlaub?“ gab Sophie schnippisch zurück und Rebecca erwiderte unbedacht: „Er hätte zumindest gewusst, dass sowas passieren kann wenn man nicht verhütet!“
„Oh, ent… entschuldige…“ stammelte Sophie als ihr plötzlich klar wurde, dass sie zu weit gegangen war. Rebecca tat einen tiefen Atemzug und versuchte ihre Wut runterzuschlucken. „Schon in Ordnung, allerdings denke ich, dein Bruder hätte auch gewusst, dass ich sowas nicht tun würde“, erwiderte sie immer noch in etwas schärferem Tonfall als sie eigentlich wollte und fuhr dann versöhnlicher fort: „Was ich aber eigentlich sagen wollte, ich unterstelle Claudia nicht, dass sie lügt, und ich glaube, das tun die Jungs auch nicht, aber ihre Tage können einfach so zu spät sein und ein Test ist auch nicht immer so zuverlässig. Ich denke, bevor sie weiter so einen Wind macht, sollte sie einfach zum Arzt gehen und das Ganze abklären lassen. Und wenn sie wirklich schwanger ist, dann wird Stephan mit Sicherheit auch wieder mit ihr reden, aber so lange er fest davon überzeugt ist, dass sie es nicht ist…“
„Ok, vermutlich hast du recht“, gab Sophie jetzt etwas kleinlaut zu, „Ich werde mit ihr reden.“
Es folgte ein kurzes Schweigen, dann sagte Sophie vorsichtig: „Rebecca, es tut mir wirklich leid, ich hätte das nicht sagen dürfen.“
„Sophie, es ist in Ordnung“, antwortete Rebecca fest, „Du hast ja nicht Unrecht, ok?“
„Ok…, aber, Rebecca, ich würde auch nie denken, dass du sowas machen würdest.“
Kaum hatte Rebecca aufgelegt, da klingelte das Telefon schon wieder, mit einem genervten „Hallo?“ nahm sie ab und war dann mehr als erstaunt, als eine ältere Frauenstimme sich höflich erkundigte: „Oh, passt es gerade nicht so gut?“
„Ähm, doch Entschuldigung, ich habe mich nur grade über jemanden geärgert… ähm, Elli? Sind sie das?“ fragte Rebecca vorsichtig und extrem überrascht.
„Ja, ja, entschuldigen sie, Kindchen, dass ich nicht sofort gesagt habe wer dran ist.“
„Kein Problem“, erwiderte Rebecca schnell, schließlich war sie ja diejenige mit der unfreundlichen Begrüßung gewesen. Man, war ihr das peinlich. Wieso musste die Frau von einem von Olivers Chefs denn bitte auch gerade in einem solchen Moment anrufen? Ähm, wieso rief sie überhaupt an? „Was, hm, was kann ich denn für sie tun Elli?“
Ein kehliges Lachen erklang: „Keine Angst, ich will sie nicht für irgendetwas einspannen. Sie haben bestimmt genug zu tun. Ich wollte nur fragen, nachdem wir uns so gut unterhalten haben, auf Arthurs Gartenparty, ob sie nicht Lust hätten mal auf einen Kaffee vorbeizukommen, auch gerne mit ihrem Kleinen. Meine Töchter sind ja in alle Winde verstreut und ohnehin haben es nur zwei von ihnen für nötig gehalten mir Enkelkinder zu schenken…“
Während dieses Wortschwalls hatte Rebecca glücklicherweise kurz Zeit gehabt ihre Gedanken zu ordnen. Sie hatte Elisabeth Reinartz nett gefunden, aber damit dass die sie daraufhin gleich näher kennenlernen wollte, hatte sie nicht gerechnet. Andererseits, wieso eigentlich nicht? Es konnte jawohl kaum schaden.
„Natürlich, gern“, antwortete Rebecca deshalb jetzt. „Mein Sohn ist allerdings im Moment nicht gerade… eine entspannende Gesellschaft“, warnte sie dann allerdings noch, was der alten Frau ein erneutes Lachen entlockte: „Na, das will ich auch hoffen, schließlich ist er gerade einmal drei Jahre alt.“
Als Rebecca Jan zwei Stunden später aus dem Kindergarten abholte, musste sie feststellen, dass der Wahrheitsgehalt ihrer Warnung wesentlich höher war, als sie selbst gedacht hatte. Jan erwartete sie bereits mit einem trotzigen Gesichtsausdruck auf dem Kindergartenflur, wo er vor seinem Kleiderhaken auf einer Bank saß. „Huch, was machst du denn schon hier draußen, Jan?“ fragte Rebecca überrascht. „Ich darf nich´ rein, hat Frau Rieder gesag´“, antwortete er und zog weinerlich die Nase hoch.
„Aber wieso das denn nicht?“ fragte Rebecca verwirrt und musste bereits eine gute Portion mütterlichen Beschützerinstinkt herunterschlucken, darüber, dass ihr armer kleiner Sohn hier ganz alleine auf einer Bank sitzen musste und einfach ausgeschlossen wurde.
„Sag ich nich´“, kam es trotzig von ihm und er verschränkte die kleinen Ärmchen abweisend vor der Brust. In dem Moment trat seine Erzieherin, Frau Rieder, auf den Flur hinaus. „Ah, Frau Spengler, gut, dass sie da sind. Ich wollte noch kurz mit ihnen sprechen.“
Rebecca nickte. „Ja, ich hab mir schon gedacht, dass irgendetwas nicht stimmt, als ich Jan hier habe sitzen sehen.“
Frau Rieder lächelte etwas gezwungen, sie war schon älter, mit einer streng sitzenden schwarzen Lockenfrisur. Eine gestandene Erzieherin, die sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ und Rebecca mochte sie eigentlich ganz gern. „Ja, die Sache ist die, Jan hat sich heute geprügelt.“
„Er hat was?“ fragte Rebecca überrascht.
„Er hat sich mit einem Mädchen aus seiner Gruppe geprügelt, Elea, und dabei hat er sie leider derart fest gebissen, dass sie einen riesigen blauen Fleck am Oberarm hat.“
„Jan?!“ Rebecca sah ihren Sohn entgeistert an, „Du darfst doch niemanden beißen!“
„Sie hat aber gesag´, ich bin doof!“ schrie Jan trotzig und zog wieder die Nase hoch.
„Darüber reden wir zuhause noch“, ließ Rebecca ihren Sohn wissen, bevor sie sich wieder der Erzieherin zu wandte. „Das alles tut mir wahnsinnig leid, sie können sich sicher sein, dass ich mit Jan sprechen werde, damit so etwas nie wieder vorkommt.“
„Gut“, Frau Rieder lächelte wieder, „machen sie sich nicht zu viele Gedanken darum, so etwas kommt unter Kindern eben schon mal vor.“ Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann doch wieder etwas besorgter fort: „Allerdings halte ich es für wichtig, dass Jan sich bei Elea entschuldigt, was er bisher nicht getan hat, weshalb ich ihm auch gesagt habe, dass er den Rest der Zeit hier auf sie warten muss.“
Rebecca versprach der Erzieherin noch einmal mit Jan zu reden und machte sich dann schleunigst mit ihrem Sprössling aus dem Staub. Eine Begegnung mit Eleas Mutter war das Letzte, was sie jetzt noch gebrauchen konnte. Die wurde bestimmt stinkwütend, wenn sie hörte was passiert war und das könnte Rebecca ihr beim besten Willen nicht übel nehmen.
Als sie schließlich zuhause beim Essen saßen, forderte Rebecca Jan schließlich auf: „So, und jetzt erzähl mir mal ganz genau was heute passiert ist, mit Elea im Kindergarten.“
Jan machte ein verschlossenes Gesicht, aber Rebecca sah seine Trotzfassade bereits wackeln, als er antwortete: „Sie hat gesag´, ich bin doof.“
„Und dann?“ fragte Rebecca sachlich weiter.
„Da hab ich sie gehaun und dann hat sie gehaun, deshalb hab ich sie gebeißt, weil sie das nicht darf.“
„Aber du darfst sie auch nicht hauen und beißen, Jan.“
„Sie hat aber angefang´!“ jetzt schossen Jan die Tränen in die Augen. „Sie darf nicht sagen, ich bin doof!“
„Nein, das darf sie nicht“, gab Rebecca ihrem Sohn recht. Sie zog den weinenden Jan auf ihren Schoß und wiegte ihn eine Weile hin und her, bis er sich beruhigt hatte. Dann hielt sie ihn ein wenig von sich weg und sah ihn an. „Jan, Elea darf sowas nicht zu dir sagen, aber wenn sie das nochmal macht, dann gehst du einfach weg von ihr, ok? Oder du sagst es Frau Rieder. Aber du darfst sie nicht hauen und schon gar nicht beißen.“
„Aber wenn sie nich´ aufhört?“ fragte Jan schniefend.
„Wenn sie nicht aufhört, dann sagst du es Frau Rieder und dann muss Elea sich eben vor die Tür setzen.“
„Echt?“ fragte Jan ein bißchen skeptisch.
„Natürlich“, erwiderte Rebecca im Brustton der Überzeugung und hoffte insgeheim, dass Jans Erzieherin ihn nicht enttäuschen würde, „wer etwas Böses macht muss sich raus setzen.“
Sie drückte Jan und fügte dann noch hinzu: „Aber du musst dich schon bei Elea entschuldigen, Jan, da hat Frau Rieder recht. Du hast ihr ja richtig weh getan.“ Rebecca sah wie Jans Gesicht sich wieder trotzig verschloss und fuhr schnell fort: „Weißt du was, wir beide malen ihr jetzt gleich ein schönes Bild und das kannst du ihr dann morgen geben und dich entschuldigen, ok?“ Er schien immer noch nicht restlos überzeugt und Rebecca setze noch hinzu: „Ich helf dir auch dabei.“
Schließlich ließ Jan sich davon überzeugen, es so zu machen.

Als Oliver am Abend nachhause kam, wurde ihm, noch bevor er richtig zur Tür herein war, von Jan ein buntes Blatt Papier vor die Nase gehalten auf dem man nur mit Mühe Rasen, Himmel und dazwischen ein Haus ausmachen konnte. „Guck Papa!“
„Oh schön, hast du das gemalt, Jan?“ fragte Oliver etwas abwesend.
„Ja, für Elea.“
Oliver folgte seinem Sohn ins Wohnzimmer, wo Rebecca ihm vom Sofa entgegen grinste. „Aha, und wer ist Elea?“
„Aus´n Kindergarten“, erwiderte Jan, als würde das alles erklären.
„Jan“, schaltete sich Rebecca jetzt ein, „hast du Papa schon erzählt was du heute im Kindergarten gemacht hast?“
Jan schüttelte den Kopf und senkte den Blick auf seine nackten Zehen, die unter der zu langen Schlafanzughose hervor lugten.
Bei Rebeccas Tonfall sah Oliver seinen Sohn überrascht an. „Hast du was angestellt, Jan?“
Jan starrte immer noch auf seine Füße und nuschelte nach kurzem Zögern: „HabEleagebeißt.“
Oliver sah etwas verständnislos von ihm zu Rebecca, die mit einem unterdrücken Grinsen erwiderte: „Er hat sich heute im Kindergarten mit Elea geprügelt und sie gebissen.“
„Was? Ein Mädchen?“
„Oliver!“ Rebecca warf ihrem Mann einen rügenden Blick zu.
„Oh, ´tschuldigung.“ Er wandte sich wieder seinem Sohn zu: „Warum hast du das denn gemacht, Jan?“
Jetzt traute Jan sich doch wieder seinen Vater anzusehen. „Sie hat gesag´, ich bin doof.“
„Aber deshalb darfst du ihr doch nicht weh tun.“
Jan machte ein so beklommenes Gesicht, dass er Rebecca schon fast leid tat. „Jan hat ihr ein Bild gemalt um sich zu entschuldigen.“
„Ach dafür ist das Bild. Immerhin hast du dir Mühe gegeben, hm?... das ist wirklich schön geworden.“ Jan nickte ernsthaft und Oliver wuschelte ihm durch die Haare. „Und, ist sonst noch etwas passiert was ich wissen sollte?“ fragte Oliver dann mit einem Grinsen an Rebecca gerichtet.
„Hm, eigentlich nichts Wichtiges… Oh, Jan und ich sind in zwei Tagen bei Elisabeth Reinartz zum Kaffee eingeladen.“
Oliver schob sich an Jan vorbei und ließ sich neben Rebecca auf das Sofa fallen. „Wirklich? Wie kommt´s?“
Rebecca zuckte die Schultern: „Keine Ahnung, sie hat vorhin angerufen. Ich glaube, sie mag mich.“
„Wer nicht?“ fragte Oliver und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich schätze, das nennt man dann Vitamin B.“
„Ja, vielleicht musst du jetzt doch nichts mit Kiara Goldmann anfangen“, zog Rebecca ihn auf.
Jan krabbelte zu seinen Eltern auf das Sofa und setzte sich zwischen sie, erwartungsvoll sah er von einem zum anderen: „Fernseh gucken?“
„Oh Gott“, Oliver fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, „wir erziehen ihn falsch.“
„Pfff“, erwiderte Rebecca und zu Jan sagte sie: „Du darfst noch zwanzig Minuten mit uns fernsehen, aber danach geht´s ohne Theater ins Bett.“ Jan nickte.
Mit einem ironischen „Amen“ schaltete Oliver den Fernseher ein.
Jan kuschelte sich zufrieden zwischen seine Eltern und zappelte ein wenig hin und her um sich mehr Platz zu verschaffen, scheinbar funktionierte das jedoch nicht zu seiner Zufriedenheit, denn plötzlich sagte er in motzigem Ton: „Mama, du bist zu dick!“
Oliver begann schallend zu lachen und nun war es an Rebecca festzustellen: „Wir erziehen ihn wirklich falsch!“

Nachdem Jan, fast ohne zu schreien, ins Bett gegangen war, erkundigte Oliver sich: „Sag mal, kennen wir diese Elea?“
Rebecca zuckte die Schultern: „Nur vom Sehen her. Ich glaube, sie ist ein bißchen älter als Jan. Ihre Mutter wirkte aber eigentlich immer ganz nett.“ Sie verzog das Gesicht. „Allerdings könnte ich es ihr nicht übel nehmen, wenn sie ziemlich sauer wäre, wegen Jan. Frau Rieder meinte, die Kleine hätte einen riesigen blauen Fleck am Arm, wo Jan sie gebissen hat.“
„Wow“, Oliver schüttelte leicht den Kopf, „Ich dachte nicht, dass das jetzt schon los geht.“
„Ich auch nicht“, stimmte Rebecca ihm zu, „Ich glaube, er war ziemlich in seinem Stolz gekränkt. Ich hab ihm gesagt, wenn sowas nochmal passiert, soll er es der Erzieherin sagen.“
Oliver sah sie missbilligend an: „Wir erziehen ihn zum petzen?“
Rebecca verzog ein wenig zweifelnd das Gesicht: „Ich weiß, ich hab auch schon überlegt, ob das so richtig war…“ Plötzlich begann Oliver zu lachen: „Rebecca, das war ein Scherz. Was hättest du ihm sonst sagen sollen? Hau einfach weiter drauf? Außerdem ist es nur petzen, wenn er was verrät, was ihn nichts angeht.“ Er gab ihr einen, immer noch lachenden, Kuss. Und Rebecca meinte: „Puuh, ich dachte echt du meinst das ernst. Aber um ehrlich zu sein, ich hab wirklich drüber nachgedacht, ich weiß nicht, ob die anderen Kinder den Unterschied erkennen…“ „Wer hätte gedacht, dass Erziehung so kompliziert ist?“ witzelte Oliver und Rebecca streckte ihm die Zunge heraus, bevor sie das Thema wechselte: „Sophie hat übrigens heut Morgen angerufen.“
„Ja?“ Oliver sah sie fragend an.
„Ich hab ihr gesagt, dass sie dafür sorgen soll, dass Claudia zum Arzt geht.“
„Ist sie noch sauer?“
Rebecca zuckte die Schultern: „Anfangs schon, aber ich denke, sie kann euren Standpunkt jetzt einigermaßen nachvollziehen.“
„Wirklich? Was hast du zu ihr gesagt?“
Rebecca seufzte: „Eigentlich nur, dass ich es auch komisch finde, dass sie gerade da mit der Sache kam, als er Schluss gemacht hat. Sophie meinte“, Rebecca zögerte, „sie meinte, wenn ich nach unserem Urlaub angekommen wäre und du nicht schon mit Lisa Schluss gemacht gehabt hättest, dann hättest du damals wahrscheinlich dasselbe gedacht.“
Oliver starrte sie an: „Das hat sie gesagt?!“
„Es tat ihr danach total leid, ich glaube, sie wollte nur ihre Freundin verteidigen“, versuchte Rebecca ihn zu beschwichtigen.
„Egal, das ist jawohl das Letzte, erstens geht es sie einen Dreck an und zweitens war das was ganz anderes.“
„Aus ihrer Sicht wohl nicht.“
„Was hast du ihr denn geantwortet?“
Rebecca biss sich auf die Lippe um ein unpassendes Lachen zu unterdrücken: „Naja, ich hab ihr gesagt, dass du zumindest gewusst hättest, dass sowas passieren kann wenn man nicht verhütet…“
Oliver sah sie ungläubig an: „Hast du nicht gesagt?“
Rebecca nickte entschuldigend: „Doch ist mir rausgerutscht, weil ich so sauer war in dem Moment.“
„Dann hoffe ich, dass sie es wenigstens gemerkt hat“, antwortete Oliver mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Sie können ruhig ‚Du‘ sagen, Kindchen.“ Elli goss gerade den Kaffee ein und warf Rebecca ein freundliches Lächeln zu. „Aber nur wenn sie das auch machen“, Rebecca erwiderte das Lächeln.
„Gern“, Elli stellte die porzellanene Kaffeekanne auf den Tisch und setzte sich Rebecca gegenüber in einen Sessel.
Rebecca hatte sich schon vorher unauffällig in der Wohnung umgesehen. Sie war beeindruckend. Eine wunderschöne Altbauwohnung, mit hohen Stuckdecken und riesigen Räumen. Das Wohnzimmer in dem sie saßen hatte bestimmt dreißig Quadratmeter und zwei große Fenster. Das antike Mobiliar entsprach zwar nicht Rebeccas Geschmack, aber es passte gut in den großen Raum und sah, Rebecca konnte es nicht anders sagen, nach Geld aus.
Jan saß schüchtern auf Rebeccas Schoß und traute sich glücklicherweise noch nicht irgendwelchen Blödsinn zu machen. Elli lächelte ihn an: „Na kleiner Mann, du siehst deinem Vater aber sehr ähnlich.“
Jan vergrub sein Gesicht an Rebeccas Brust und es lag bei ihr zu Antworten. „Ja, das sagen die meisten. Wir haben vor ein paar Tagen ein Kinderfoto von Oliver gefunden und wenn sein Vater darauf nicht neben ihm stehen würde, hätten wir beide wahrscheinlich gedacht, dass es ein Bild von Jan ist.“
„Die Ähnlichkeit ist wirklich auffallend“, stimmte Elli zu, dann fragte sie langsam: „Olivers Vater ist nicht mehr am Leben, oder?“
„Nein“, Rebecca schüttelte den Kopf und verlagert Jans Gewicht auf ihren Knien ein wenig, „Er ist vor fast zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“
„Das muss schwer gewesen sein“, erwiderte Elli bedauernd und Rebecca nickte nur leicht zur Antwort.
„Wie lange kennt ihr beide euch denn schon?“ fragte Elli weiter.
Rebecca räusperte sich: „Seit vier Jahren.“
„Oh“, Elli warf einen vielsagenden Blick auf Jan und sah dann wieder Rebecca an, die daraufhin lachen musste. „Ja, er war ziemlicher Unfall.“
„Dafür scheint ihr das aber sehr gut hinbekommen zu haben“, meinte Elli nun freundlich. „Wann ist es denn wieder so weit? Wenn ich das fragen darf…“
„Natürlich. Es ist für Ende November ausgerechnet.“
„Das ist ja schon bald. Was wird es denn?“ Ellis Gesicht wurde von einem neugierigen Lächeln erhellt.
„Hm“, Rebecca zögerte, es brannte ihr auf der Zunge zu erzählen, dass es diesmal ein Mädchen würde, aber das konnte sie nicht machen. Elli war fast eine Fremde und sie konnte ihr das doch nicht sagen, wenn Oliver es noch nicht einmal wusste. Dazu kam auch noch, dass sie ja Beziehungen zu Olivers Arbeit hatte und Rebecca wollte nicht Gefahr laufen, dass er von einem Arbeitskollegen erfuhr, dass er eine Tochter bekommen würde. Schließlich antwortet sie vage: „Wir wissen es noch nicht, aber ich bin mir relativ sicher, dass es diesmal ein Mädchen wird.“
„Das wäre schön“, kam es begeistert zurück, „Ich habe mir immer noch einen Jungen gewünscht. Ich meine, ich liebe meine Töchter, alle, aber ich habe mich doch immer gefragt wie wohl ein kleiner Junge gewesen wäre.“
Rebecca nickte verständnisvoll: „Ja, das Gefühl kenne ich. Man ist einfach neugierig. Wobei Oliver sich definitiv noch einen Jungen wünschen würde.“ Elli riss überrascht die Augen auf und Rebecca fühlte sich genötigt zu erklären: „Er hat zwei jüngere Schwestern und ist der Meinung, dass er damit in den letzten Jahren genug Frauen um sich hatte.“
Die alte Dame lachte laut auf: „Ah, dann kann ich ihn verstehen, aber ich bin davon überzeugt, dass er seine Tochter vergöttern wird, wenn sie erstmal da ist.“
„Ich auch“, stimmte Rebecca zu.
„Bei Hans war es genauso, bevor unsere älteste Tochter geboren wurde, wollte er unbedingt einen Jungen, aber als Anja dann da war… da war keine Rede mehr davon.“
Bevor Rebecca etwas antworten konnte, rutschte Jan von ihrem Schoß und sagte energisch: „Mama, mir is´ langweilig!“
Rebecca spürte wie sie ein wenig rot wurde, aber glücklicherweise schien Elli es Jan kein bißchen übel zu nehmen. Im Gegenteil, sie stand lachend auf und holte ein in buntes Papier eingepacktes Paket aus einer Schublade, dass sie Jan hin hielt. „Kein Wunder, wenn dir langweilig ist, wenn wir so viel reden. Schau mal, ich habe mir gedacht, du kannst bestimmt etwas zu spielen gebrauchen, wenn du hier bist.“
Jan streckte zögernd die Hände nach dem Geschenk aus. „Jan, wie sagt man?“
„Danke“, nuschelte er abwesend, während er schon damit beschäftigt war das Papier aufzureißen und auf dem Fußboden zu verteilen. Zum Vorschein kam ein Kasten mit duplo-Klötzen. Rebecca beugte sich herunter um das Geschenkpapier aufzuheben, doch Elli hielt sie mit einer Geste zurück: „Nein, lass das einfach liegen.“ Dann fragte sie Jan: „Und, kannst du damit etwas anfangen?“
Er nickte wie wild und traute sich das erste Mal sie schüchtern anzulächeln. Dann hielt er ihr den Kasten hin und meinte: „Aufmachen?“
„Jan!“
Er sah seine Mutter unwillig an und Rebecca formte mit den Lippen: „Bitte“.
„Bitte!“ setzte Jan mit strahlenden Kinderaugen hinzu und Elli öffnete den Deckel, so dass Jan offene Bahn hatte in der nächsten halben Stunde seine Klötzchen im ganzen edel eingerichteten und perfekt aufgeräumten Wohnzimmer der Reinartz zu verteilen. Doch Elli schien ihre Bemerkung, dass sie ihre Enkelkinder gerne mehr in der Nähe hätte, ernst gemeint zu haben, denn sie meinte jedes Mal wenn Rebecca versuchte ihren Sohn zu etwas mehr Zurückhaltung zu bewegen, dass das wirklich nicht nötig sei und er ruhig toben könne wie er wolle.
Insgesamt war es ein erstaunlich unterhaltsamer Nachmittag für Rebecca. Elisabeth Reinartz war eine wirklich lockere und lustige Gesprächspartnerin und nahm kein Blatt vor den Mund.
Gerade als Rebecca schließlich mit Jan an der Tür stand und sich verabschiedete, kam Ellis Mann nachhause. „Oh, hallo“, er reichte Rebecca die Hand. „Rebecca, richtig.“ Sie nickte: „Ja, genau.“
„Und wer ist dieser kleine Mann?“ er beugte sich zu Jan runter, der mittlerweile völlig aufgetaut war und laut verkündete: „Jan!“ Hans Reinartz gab ihm lächelnd die Hand. „Hallo.“ „Guck mal.“ Jan hielt ihm stolz seine Kiste mit den Bauklötzen entgegen, er hatte darauf bestanden seinen neuen Schatz selbst zu tragen, obwohl Rebecca Zweifel hatte, dass er damit weiter als bis zur Haustür kommen würde. Nachdem Hans die Bauklötze gebührend bewundert hatte, richtete er sich wieder auf und fragte Rebecca freundlich: „Und wie geht es ihnen?“
„Gut“, antwortete sie lächelnd, „mein einziges Problem ist wahrscheinlich Jan gleich ins Bett zu bekommen, so aufgedreht wie er ist.“
„Dann werden wir wohl mal die Daumen drücken“, erwiderte Herr Reinartz.
„Danke, ihnen beiden noch einen schönen Abend.“ Sie lächelte Elli und ihren Mann noch einmal an.
„Danke, und viele Grüße an Oliver“, kam es noch von Herrn Reinartz, bevor Rebecca Jan schließlich vor sich her zur Treppe schob.

Als Rebecca Jan am nächsten Tag vom Kindergarten abholte, wäre sie beinahe umgekippt, als ihr Sohn ihr mit einem Mädchen an der Hand entgegen kam. Und zwar nicht mit irgendeinem Mädchen, sondern mit der kleinen Elea. Wobei sie im Vergleich zu Jan gar nicht so klein war. Genau genommen war sie fast einen Kopf größer als er. „Hallo Jan“, begrüßte sie ihren Sohn um sich dann umgehend zu erkundigen: „Hast du eine neue Freundin?“ Er nickte strahlend: „Ja, wir heiraten.“
„Ach so…“ sagte Rebecca und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Aber vielleicht nicht mehr heute, hm?“ fuhr sie fort, während sie nach Jans Jacke griff.
„Kann Elea mitkommen zum spielen?“
Rebecca sah das niedliche rothaarige Mädchen an. „Heute eher nicht, außerdem weiß ich nicht, was Eleas Mutter dazu sagt, aber wenn sie es erlaubt, könnt ihr euch ja nächste Woche mal zum spielen verabreden.“
Jan zog eine beleidigte Flunsch, als Rebecca bemerkte, dass jemand neben sie getreten war. „Also wirklich, dass das mit dem schlechten Männergeschmack schon in dem Alter anfängt…“ erklang eine amüsierte Stimme und Rebecca erkannte, dass es Eleas Mutter war, die da gekommen war. „Hallo, ich bin Kathrin Jansen, Eleas Mutter.“
„Hallo“, Rebecca reichte ihr die Hand, „Rebecca Spengler. Ich fürchte, der missratene Kerl, der ihre Tochter heiraten will, ist mein Sohn.“ Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: „Ich sollte mich wohl entschuldigen, es tut mir wirklich leid, was Jan letzens getan hat.“
Eleas Mutter zuckte die Schultern und meinte gutmütig: „Ach, sie sind Kinder, da passiert so was schon mal.“ Sie sah ihre Tochter an: „Und so schlimm kann es ja auch nicht gewesen sein, wenn ich mir das so ansehe.“
Rebecca lachte.
Dann fragte sie: „Können die beiden sich in der nächsten Woche mal zum spielen verabreden? Wenn ich nicht wenigstens das erlaube, geht hier gleich das Geschrei los, fürchte ich.“
„Auch ein temperamentvolles Kerlchen, hm?“
„Allerdings“, antwortete Rebecca mit einem Seufzen.
Und Kathrin Jansen erwiderte ebenfalls seufzend: „Ja, das kenne ich. Wie wäre es denn, wenn Jan nächsten Mittwoch nach dem Kindergarten mit zu uns kommt?“
Jan und Elea brachen in Gejubel aus und Rebecca meinte lachend: „Ich schätze, das ist Antwort genug. Mittwoch passt super.“
„Gut, dann…“ bevor Eleas Mutter weiter sprechen konnte, wurden sie von dem lauten Gezeter einer anderen Mutter unterbrochen, die ihren kleinen Sohn, er musste ungefähr so alt sein wie Jan, hinter sich her zur Tür zerrte. „Jetzt komm verdammt nochmal, Moritz! Jetzt bin ich schon extra früher von der Arbeit gekommen, da will ich mich nicht mit deiner Trödelei rumschlagen!“ Der Kleine hatte Schwierigkeiten mit seiner Mutter Schritt zu halten und stolperte mehr hinter ihr her als dass er ging.
Rebecca sah den beiden entsetzt nach.
„Unglaublich! Der Kleine ist so ein lieber Junge… bei manchen Müttern denkt man echt, die haben ihre Kinder nicht verdient.“
„Wer war das denn? Kennen sie die beiden?“ fragte Rebecca neugierig.
„Ja, der Junge heißt Moritz, ich glaube Rath mit Nachnamen. Er war auf Eleas Geburtstag. Wirklich ein liebes Kind, so ein ganz gerechter, total süß. Aber die Mutter, ich mein, ich kann nachvollziehen, wenn man mal gestresst ist und gerade wenn man allein erziehend ist…, aber immer wenn ich die sehe, schleift sie ihren Sohn hinter sich her wie einen lästigen Kartoffelsack.“
Rebecca schluckte und versuchte sich wieder auf ihren eigenen Sohn zu konzentrieren. Sonst war sie eigentlich nicht so nah am Wasser gebaut, aber in der Schwangerschaft sah das schon anders aus. Und die Erzählung von Kathrin Jansen in Verbindung mit dem Bild von dem niedlichen kleinen Jungen der hinter seiner Mutter her stolperte, trieb ihr schon fast die Tränen in die Augen.
Sie beeilte sich Jan in seine Jacke zu stecken und ihm die Schuhe anzuziehen.

„Hey, du bist spät“, Rebecca richtete sich verschlafen auf dem Sofa auf und gähnte. „Ja, tut mir leid“, Oliver setzte sich auf die Sofakante und gab ihr einen Kuss. „Ich kam einfach nicht früher los. Ist Jan schon im Bett.“
„Ja“, müde ließ Rebecca ihren Kopf wieder auf die Sofalehne sinken.
„Ich fürchte, ich habe eine schlechte Nachricht für dich“, begann Oliver jetzt langsam, und Rebecca sah ihn von unten fragend an, „Stephan kommt mich gleich abholen.“
Rebecca schloss die Augen wieder. „Gut, dann lass mich weiter schlafen.“
„Willst du gar nicht wissen was los ist?“ Oliver strich Rebecca lächend eine Strähne ihrer langen braunen Haare aus dem Gesicht. Sie gab ein Geräusch von sich, das verdächtig nach einem Schnurren klang und er streichelte ihren Nacken, während er fortfuhr: „Er hat vorhin angerufen und meinte, ich müsste heute Nacht definitiv mit ihm feiern gehen, denn, tata, Sophie hat ihm vorhin von Claudia ausgerichtet, dass es falscher Alarm war. Sie ist nicht schwanger.“
„Wirklich?“ jetzt hatte Rebecca doch noch einmal die Augen geöffnet.
„Ja“, Oliver nickte, „Sie war beim Arzt.“
„Schön, dann hat Stephan ja wirklich was zu feiern“, und schwups, waren ihre Augen auch schon wieder zu.
Oliver strich ihr noch einmal über den Rücken, dann stand er auf: „Ich geh mich mal umziehen.“
Zwanzig Minuten später stand Stephan vor der Tür und Rebecca war wieder fest eingeschlafen. Oliver drückte ihr einen lächelnden Kuss auf die Stirn bevor er ging.
Es wurde eine extrem feucht fröhliche Nacht. Timm ließ sich auch noch irgendwann blicken und Oliver fand sich ein paar Stunden später in einer Runde mit seinen zwei betrunkenen besten Freunden und vier sehr ausgelassenen und ebenfalls sehr betrunkenen Jurastudentinnen wieder. Als die beiden Mädels mit denen er und Stephan sich unterhalten hatten zusammen auf die Toilette gingen, ergriff Oliver die Gelegenheit und meinte zu Stephan, dass er sich dann mal verdrücken würde.
„Was? Jetzt schon?“
„Jetzt? Es ist halb fünf.“
„Hm, na gut, du hast ja auch einen guten Grund nachhause zu gehen“, erwiderte Stephan.
Oliver musterte seinen Freund und zögerte nur kurz, bevor er fragte: „Stephan, kann ich dich mal was fragen?“ Stephan zuckte die Schultern und Oliver fuhr schnell fort: „Bist du in Rebecca verknallt?“
„Was?“ Stephan starrte ihn völlig entgeistert an. „Spinnst du?!“
„War nur ´ne Frage“, erwiderte Oliver halbwegs gelassen. „Ich hatte nur ein wenig den Eindruck, dass du in letzter Zeit… ach keine Ahnung, du sprichst in letzter Zeit fast mehr mit ihr als mit mir.“
„Man, hast du sie noch alle?! Wir verstehen uns einfach gut, mehr nicht!“ Stephan schüttelte ungläubig den Kopf.
„Dann ist ja gut“, erwiderte Oliver mit einer ich-hab-nichts-gesagt-Geste.
„Nein, ist es nicht! Wie kannst du mir sowas unterstellen?!“ Stephan starrte ihn an, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck plötzlich und auf einmal begann er schallend zu lachen. Oliver sah ihn verwirrt an und Stephan sagte immer noch lachend: „Ich glaub ´s nicht! Du bist eifersüchtig!“
Oliver verdrehte die Augen.
„Ok, ich sag dir was“, Stephan sah ihn eindringlich an. „Ich kann dich verstehen, obwohl ich wirklich stinksauer sein sollte. Aber um ehrlich zu sein, du hast recht.“ Oliver sog scharf die Luft ein und Stephan hob schnell beschwichtigend die Hände, bevor er etwas erwidern konnte. „Rebecca ist toll, und ich gebe zu, wenn sie nicht deine Frau wäre… aber wir sind seit über zehn Jahren befreundet. Und davon abgesehen, ich wäre wahnsinnig, wenn ich mir das antun würde. Ihr zwei seid so was von füreinander geschaffen. Ganz ehrlich, ich beneide dich wahnsinnig um sie, aber das bezieht sich auf eure Beziehung, und ich hoffe wirklich, du weißt was für ein Glück du hast.“

Als Oliver nachhause kam, stellte er erstaunt fest, dass im Wohnzimmer noch immer das Licht brannte und als er einen Blick hinein warf, sah er Rebecca tief und fest auf dem Sofa schlafen, so wie er sie vor ein paar Stunden
verlassen hatte.
„Hey“, er beugte sich zu ihr hinunter, „meinst du nicht, du solltest lieber ins Bett gehen?“
Statt zu antworten, wedelte sie mit der Hand als wolle sie eine Fliege verscheuchen und drehte den Kopf in die andere Richtung.
Ohne sich noch weiter mit Fragen aufzuhalten, trug Oliver sie kurzerhand ins Schlafzimmer. Im Bett rollte Rebecca sich sofort zusammen und kuschelte sich unter die Decke.
Oliver betrachtete sie einen Moment und dachte, dass Stephan recht hatte, er hatte wirklich verdammtes Glück.

Epilog

„Mama, zeig mir Baby!“ Jan kam atemlos in Rebeccas Krankenzimmer gestürzt, gefolgt von seinem etwas gehetzt wirkenden Vater.
„Psssst“, Rebecca legte einen Finger an die Lippen und hielt Jan mit einer Hand zurück, bevor er ihr Bett entern konnte. „Sie schläft.“
Jan blinzelte, auf den Zehenspitzen stehend zu seiner Mutter hoch und ließ sich widerstandslos von Oliver hochheben und auf die Bettkante setzen. Ehrfürchtig betrachtete er das Baby im Arm seiner Mutter.
„Das ist Lena, deine kleine Schwester“, sagte Rebecca mit einem glücklichen Lächeln.
Jan streckte sein kleines Händchen aus und berührte vorsichtig Lenas Köpfchen, dann sah er seine Mutter an und erklärte lautstark: „Meine Lena!“
Oliver und Rebecca tauschten einen lächelnden Blick, na, das würde noch ein Spaß werden…

Zwei Jahre später…

„Schatz, wir bekommen ein Baby.“
„Was?“ Oliver sah Rebecca überrascht an und sie begann zu lachen.
„Man, jetzt sag ich´s dir schon ganz deutlich und du kapierst es immer noch nicht!“

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 22.10.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für Judith

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