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Prolog

Leise lief sie die Gasse entlang. Ständig schaute sie sich um in der Angst, entdeckt zu werden. Ihr langes pechschwarzes Haar wehte sanft im Wind. Erneut schaute sie sich um. Sie durfte nicht gesehen werden. Die zarte Gestalt des jungen Mädchens huschte durch die Gassen. Niemand würde sie verdächtigen. Vorsichtig schlich sie weiter. Plötzlich zog sie ein Messer unter ihrem dunklen Kleid hervor. Die Klinge glänzte silbern im Mondlicht. Das Mädchen näherte sich lautlos ihrem Opfer. Plötzlich sprang sie auf es zu und hielt ihm die schmale Hand vor den Mund. Sie war stärker, als sie aussah. Vorsichtig drückte sie ihrem Opfer die Klinge an den Hals. Sofort quoll dunkles Blut aus dem dünnen Schnitt. Sanft drückte das Mädchen ihre Hand auf die Wunde. Sie spürte, wie das Leben ihres Opfers in sie floss. Ihr Opfer würde keinen Schmerz spüren, während es starb. Sie war eine Mörderin. Sie musste aufhören. Doch sie rührte sich nicht. Gierig saugte sie das Leben aus ihrem Opfer. Es war falsch. Doch sie konnte nicht mehr ändern, was sie war. Eine schillernde Träne lief über ihre Wange und tropfte auf den dunklen Asphalt.

Kapitel 1: Die Party

Wir sahen auf die Uhr zählten die Sekunden bis Mitternacht herunter. „10 - 9 - 8 - 7- 6 - 5…“ Noch fünf Sekunden, dann war ich 15. Ein neues Lebensjahr würde mich erwarten. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch ein ganz normales Mädchen namens Lucy Thunder. Ich hatte kupferbraunes Haar und dunkelbraune Augen, lebte mit meinen Eltern und unserer Hündin Cola in einem ruhigen kleinen Städtchen und ging mit meinen Freundinnen und meinem ersten festen Freund Henry aufs Gymnasium. Eigentlich war ich ganz zufrieden mit meinem Leben, so wie es jetzt war. Doch mit meinem 15. Lebensjahr würde sich alles verändern. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich das noch nicht. Ich wartete ungeduldig die Sekunden bis Mitternacht ab. Um null Uhr würde die  Party zu meinem 15. Geburtstag steigen und wir würden bis in den Morgen feiern - das dachte ich zu diesem Zeitpunkt noch. „4 - 3 - 2 - 1 - 0“, brüllten wir alle. Mitternacht! Ich war fünfzehn! Ein Kumpel drehte die Musik auf und wir begannen zu feiern. Wir hatten den Schuppen in einen Partyraum umfunktioniert. Überall hingen Lautsprecherboxen und Scheinwerfer, an der rechten Wand standen Tische mit Chips, Nachos, Cola und allem, was dazugehörte - sogar Alkohol, den hatte ein Kumpel heimlich besorgt. Das war die erste richtige Party, die ich schmiss, und ich muss zugeben, ich war wirklich stolz. Plötzlich umarmte mich von hinten jemand. „Hey Lucy! Alles Gute zum Geburtstag!“, flüsterte Henry mir ins Ohr. Ich drehte mich um. „Danke!“, lächelte ich glücklich und drückte ihn an mich. Henry und ich waren seit fast zwei Monaten zusammen. Henry war mein erster richtiger Freund. Wir hatten bis jetzt zwar nur Händchen gehalten und geredet, aber trotzdem war mir Henry unglaublich wichtig. „Sollen wir tanzen?“, fragte er und nahm meine Hand. Ich konnte nicht tanzen und wollte mich nicht blamieren, aber ich konnte auch nicht nein sagen, wenn er mich aus seinen haselnussbraunen Augen so lieb ansah. Doch Henry schien mich auch zu verstehen, ohne dass ich etwas sagte und ersparte mir eine Antwort. „Aber wir können uns natürlich auch erst am Büffet bedienen“, schlug er lächelnd vor. Ich nickte grinsend und wir liefen Hand in Hand zur Theke. Henry gab mir eine Cola. Er wusste dass ich Cola liebte, schließlich hatte ich sogar unsere dunkelbraune Hündin nach diesem köstlichen Getränk benannt. Mir war klar, dass Henry sich nicht betrinken würde, für Alkohol war er viel zu anständig. Aber wir konnten ja auch so Spaß haben. Insgeheim hoffte ich, dass wir uns heute zum ersten Mal küssen würden, schließlich war ich fünfzehn und hatte noch nie mit einem Jungen herumgeknutscht. Aber ich wollte nichts überstürzen. Vielleicht wollte er mich auch noch gar nicht küssen. Oder er traute sich einfach nicht. Aber vielleicht würde ein bisschen Alkohol das Problem ja lösen. Aber freiwillig würde er sicher nichts trinken. Einen Moment lang spielte ich sogar mit dem Gedanken, ihm heimlich etwas unterzumischen, aber ich verwarf ihn sofort wieder.  „Ich schau mal nach meinen Freundinnen, ich hab ihnen versprochen ein bisschen mit ihnen zu feiern“, entschuldigte ich mich. „Aber ich komm´ gleich wieder.“ „Bis nachher“, sagte er und lächelte mich warm an. Ich lächelte zurück, dann drehte ich mich um und lief los. Ich hatte keine Ahnung, wo meine Freundinnen steckten. Immer wieder wurde ich von Leuten angerempelt, die ich teilweise nicht mal richtig kannte. Nachdem ich meine Freundinnen fünf Minuten lang gesucht und nicht gefunden hatte (dabei war unser Schuppen war nicht einmal  sehr groß), lehnte ich mich an die Wand und beobachtete die Gäste. Zwei Typen torkelten an mir vorbei nach draußen und lachten dabei laut. Ich sah auf die Uhr. 0:20 Uhr. Wie hatten sie es geschafft, innerhalb von 20 Minuten betrunken zu werden? Ich sah ihnen hinterher, als plötzlich ein Junge vor mir stand. Ich zuckte ein wenig zusammen, dann musterte ich ihn kurz. Dunkelbraune Haare, wahrscheinlich ein zwei Jahre älter als ich und fast einen Kopf größer. Außerdem ziemlich gutaussehend.  „Hey“, sagte er. Seine Stimme hatte einen leicht herausfordernden Klang. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. „Coole Party“, bemerkte er mit einem Blitzen in den Augen. Die Augen – erst jetzt fiel mir die sonderbare Farbe auf. Ein Gemisch aus grün, gold und war das rot? Oder nur ein besonderer Braunton? „Äh danke. Ich hab Geburtstag“, sagte ich schnell, um ihn nicht länger anstarren zu müssen. „Ich weiß“, antwortete er. „Ok“, sagte ich etwas verwundert. Seine Gegenwart machte mir ein bisschen Angst. „Ähm, also ich muss dann auch wieder weg, ich bin auf der Suche nach meinen Freundinnen und…“ Er unterbrach mich, indem er mir einen Finger auf den Mund legte. „Komm mit“, sagte er und deutete mit dem Kopf Richtung Ausgang, „dort sind wir ungestört.“ Während er das sagte, legte er mir die andere Hand sanft um die Taille. Ich räusperte mich. „Nein. Ich habe einen Freund“, sagte ich möglichst fest und schob seine Hand von mir. Einen Augenblick sah er mich bittend an, dann wurde sein Blick jedoch plötzlich kalt. „Dann machen wir es eben anders. Wie viel ist dein Freund dir wert?“, fragte er. Ich antwortete nicht sofort. Doch er redete auch schon weiter: „Es ist wichtig, denn nun hast du die einmalige Chance sein Leben zu retten. Oder deines. Du darfst entscheiden. Entweder du kommst jetzt mit mir mit und dein Freund bleibt verschont. Oder du gehst und ich bringe ihn um.“ Ich starrte ihn total perplex an. „Mund zu, Süße“, sagte er mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen.“ „Du…du bist verrückt. Ich will, dass du sofort meine Party verlässt“, zischte ich wütend und versuchte, mir die Angst nicht anmerken zu lassen. „Und ich will, dass du jetzt mit mir mitkommst“, entgegnete er und zog ein schmales Messer aus seinem Ärmel. Ehe ich reagieren konnte, drückte er es auf mein Handgelenk. Dabei hielt er die Hand so geschickt, dass keiner das Messer sehen konnte. „Du wirst jetzt ohne etwas zu sagen mitkommen. Wenn du versuchst zu flüchten, genügt ein kleines bisschen mehr Druck und deine Pulsschlagader ist durch.“ Ich muss mich bemühen, nicht zu weinen. Ich hatte schreckliche Angst. „Ich komme mit“, antwortete ich schließlich. „Als ob du eine Wahl hast“, meinte er genervt und lief los. Dabei zog er mich mit. Das Messer in seiner Hand drückte leicht auf meine Haut. Es brauchte nicht lange, bis wir die Party verlassen hatten. Draußen war es kalt. Ein paar Gäste standen herum, sonst waren wir allein. Der Typ zog mich weiter die Straße entlang, bis wir schließlich in einer kleinen Gasse waren. Dann ließ er meinen Arm los. Einen kurzen Moment überlegte ich zu flüchten, doch ich wusste, dass er mich einholen würde. „So“, meinte er schließlich, „da wären wir. Es tut mir leid, dass dein Leben so früh enden muss. Aber vielleicht kann ich dir deinen letzten Wunsch noch erfüllen. Also, was war dein größter Wunsch für dein neues Lebensjahr?“, fragte er. Ich musste aufpassen, dass mir nicht die Tränen kommen. „Ich wollte Henry küssen. Meinen Freund“, antwortete ich mit zusammengebissenen Zähnen. Das war vielleicht nicht mein größter Wunsch, aber es war das erste, das mir einfiel. „Das ist natürlich ungünstig“, meinte er, „aber vielleicht kann ich dir deinen Wunsch trotzdem erfüllen. Zwar nicht ganz so, wie du es dir vorgestellt hast, aber immerhin so ähnlich.“ Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Er ging noch etwas näher auf mich zu. Bevor ich irgendwas machen konnte, beugte er sich nach vorne und küsste mich auf den Mund. Ich spürte seine weichen Lippen auf meinen und für einen Moment vergaß ich, dass ich so gut wie tot war. Ich hatte außer ihm zwar noch niemanden geküsst, trotzdem war ich mir sicher, dass er verdammt gut küsste. Aber er wird mich umbringen. Ohne richtig darüber nachzudenken, stieß ich ihn mit aller Kraft von mir und trat ihm in den Bauch. Er iwar zwar sicherlich stärker als ich, aber ich hatte ihn überrascht. Ohne mich nochmals umzudrehen, sprintete ich los. Ich musste zurück zur Party. Ich hatte keine Ahnung, ob er mich verfolgte, ich rannte einfach nur so schnell ich konnte. Am Ende der Straße konnte ich schon die Lichter sehen. Erst als ich im Eingang zu unserer Garage stand, drehte ich mich nochmals um. Er war mir nicht gefolgt. Verstört trat ich wieder in den Schuppen zwischen die tanzenden Leute. „Lucy!“, hörte ich plötzlich eine Stimme neben mir. Henry! Ich drückte mich erleichtert an ihn. Doch bevor ich etwas sagen konnte, schob er mich von sich und fragte misstrauisch: „Wo warst du?“ „Ich war draußen. Da war so ein Typ mit bunten Augen, der wollte mich umbringen und dann hat er mich geküsst und dann bin ich weggerannt und…“ Ich bemerkte, wie Henrys Blick sich veränderte. Er war nicht wütend, eher enttäuscht. „Ich dachte, das wird unser Jahr. Stattdessen betrinkst du dich und machst mit irgendwelchen Typen rum, die du nicht mal kennst. Du bist gerade mal fünfzehn Jahre alt.“ Ich konnte die Enttäuschung in seinen Augen deutlich sehen. Aber das machte mich eher wütend als traurig. Warum glaubte er mir nicht? „Ich habe nichts getrunken, du Hirni! Und anstatt unberechtigt eifersüchtig zu sein, solltest du für mich da sein als mein Freund!“ Meine Stimme war lauter geworden und ein paar Leute drehten sich zu uns um und beobachteten interessiert das Geschehen. Henry nahm meine Hand, wahrscheinlich um mich zu beruhigen und sagte: „Lucy, versuch mal, dich in mich hineinzuversetzen. Du lässt mich stehen, sagst mir, dass du deine Freundinnen suchen gehst und kurz darauf sehe ich dich händchenhaltend mit einem anderen Typen abhauen. Und als du wiederkommst erzählst du mir, wie du ihn geküsst hast und bezeichnest mich dann als unberechtigt eifersüchtigen Hirni.“ Verärgert schüttle ich seine Hand ab. Vielleicht hat er ja recht, aber gerade bin ich definitiv nicht dazu bereit, das zu akzeptieren. Vor allem nicht, wenn er mich hier vor allen, die uns mittlerweile zuhören, beleidigt und mir vorwirft untreu zu sein. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie ein paar Leute anfangen zu tuscheln. Ok, wenn er es so will. Mal sehen, wie er reagiert, wenn ich ihn vor den anderen beschimpfe.  „Vielleicht hat es ja auch einen Grund, dass ich lieber was mit fremden Typen mache als mit dir“, bemerke ich wütend, „schon mal daran gedacht, dass ich einfach genervt bin von dir? Du bist total verklemmt! Selbst auf einer Party traust du dich nicht mal nur ein Schlückchen Alkohol zu trinken und obwohl du schon fünfzehn bist, hast du noch kein einziges Mädchen geküsst, weil du einfach zu feige bist, den ersten Schritt zu machen. Und da wunderst du dich noch, dass ich lieber etwas mit anderen Jungs mache?“ Ich musste tief Luft holen nach meinem Redeschwall. Henry sah mich fassungslos an. Und obwohl ich jetzt eigentlich Schuldgefühle haben müsste, spürte ich, wie ein Gefühl von Triumph in mir hochkam. Ich schaute zur Seite und bemerkte, dass mich ein paar Leute entsetzt ansahen. Aber es war mir egal. Sollten sie doch denken, was sie wollten. „Die Party ist beendet!“, rief ich in die Menge. Einen kurzen Moment rührte sich keiner, dann verließen die Leute nacheinander die Garage. Viele warfen uns verstohlene Blicke zu, doch ich ignorierte sie. Henry sah mich noch einmal an, dann ging er ebenfalls. Schließlich war außer mir nur noch meine beste Freundin Lilli da. Lilli – die kleine schüchterne Lilli mit den blonden Haaren und den unschuldigen großen Bambiaugen. Der Gegenpart zu mir. „Danke, dass du nicht auch abhaust“, sagte ich leise. Sie lächelte zaghaft. „Lucy, du…also das war grade echt gemein“, bemerkte sie vorsichtig. „Ich weiß“, gab ich zurück. „Vielleicht…also vielleicht ist es besser für euch, wenn ihr nicht zusammen seid“, überlegte sie laut, „ich glaube…also er ist glaube ich einfach zu…zu gut für dich, Lucy.“ Ich blitzte sie verärgert an. Als meine beste Freundin sollte sie mir jetzt einreden, dass das, was ich gesagt hatte, nur halb so schlimm ist. Stattdessen erzählte sie mir, mein Freund wäre zu gut für mich. Und das auch noch an meinem Geburtstag. „Hilfst du mir aufräumen?“, fragte ich sie, anstatt auf das, was sie gesagt hatte, einzugehen. Lilli nickte. „Danke“, sagte ich und begann, die Getränkedosen und Luftschlangen vom Boden aufzuheben. Lilli fing währenddessen an, die Tische aufzuräumen. Irgendwann um zwei Uhr war Lilli dann gegangen und ich hatte mich auf mein Bett gelegt. Kurz darauf war ich eingeschlafen.

Kapitel 2: Besuch

Ich öffnete die Augen. Verwundert stellte ich fest, dass ich noch immer angezogen war. Dann fiel mir wieder alles ein. Die Party. Mein 15. Geburtstag. Der Messer-Typ. Der Streit mit Henry. Am liebsten würde ich einfach weiterschlafen, doch natürlich war mir klar, dass das nicht ging. Wie spät war es überhaupt? Ich blickte auf die Uhr. Vormittag. Müde stapfte ich die Treppe runter in die Küche„ um mir etwas zu essen zu machen. Ich hätte Henry gestern nicht so anmotzen sollen. Ich musste mich bei ihm entschuldigen. Das Klingeln unserer Tür riss mich aus meinen Gedanken. Meine Mum konnte es nicht sein, die würde erst morgen, am Sonntag, kommen. Ich stapfte zur Tür. Wenn es Mum nicht war, musste es Henry sein. Ich öffnete die Tür und sah ihn aber nicht an, als ich anfing zu stottern: „Ich…also es tut mir leid, was gestern passiert ist…ich hätte mich dir gegenüber nicht so verhalten sollen. Und eigentlich weiß ich, dass du dir nur Sorgen um mich gemacht hast…und…also ich wollte mich bei dir dafür entschuldigen.“ Plötzlich lachte Henry höhnisch. „Entschuldigung abgelehnt“, meinte mein Freund verächtlich. Nein – das war nicht die Stimme meines Freundes. Ich blickte ihm ins Gesicht und kreischte kurz erschrocken auf, als ich den Messer-Typen erkannte. Ich wollte die Tür sofort wieder zuschlage, doch er drückte dagegen. Ängstlich wich ich einen Schritt zurück. „Hast du gestern noch schön gefeiert?“, erkundigte er sich spottisch. Ich antwortete nicht, sondern fragte ihn:  „Was…was machst du hier?“, Ich wollte meine Stimme kalt und verärgert klingen lassen, doch es gelang mir nicht richtig. Ich hatte nämlich immer noch genau vor Augen, wie er mir erzählte, dass mein Leben gleich enden würde. „Hast du Angst?“, fragte er belustigt. „Was denkst du denn?“, antwortete ich wütend. Blöde frage, immerhin hatte er mich gestern fast umgebracht. Ich hatte höllische Angst. Vorsichtshalber trat ich noch ein Stückchen zurück, doch Jace machte keine Anstalten, sich mir zu nähern. Trotzdem, sicher war sicher. „Warum wolltest du mich umbringen?“, fragte ich schließlich und schluckte. Er antwortete nicht, sondern musterte mich aus seinen ungewöhnlichen Augen desinteressiert. Was sollte das? „Ich habe dir eine Frage gestellt“, bemerkte ich verärgert über seine Ignoranz. Er zog eine Augenbraue nach oben und schwieg noch ein paar Sekunden, bevor er schließlich antwortete: „Weil du voller Energie steckst, Lucy Thunder.“ War das ein Kompliment? Wohl eher nicht. Aber vor allem war es keine Antwort auf meine Frage. Ich runzelte die Stirn. „Und warum solltest du mich deshalb umbringen wollen?“, erkundigte ich mich möglichst ruhig. Dieser Typ verwirrte mich. „Willst du die Antwort wirklich wissen?“, fragte er, wobei er seine Mundwinkel spöttisch nach oben zog. „Ja!“, antwortete ich ungeduldig, doch der Ausdruck in seinen Augen verunsicherte mich ein wenig. Das ließ ich mir jedoch nicht anmerken. Er lächelte. „Ich wollte dir deine Lebensenergie aussaugen“, erklärte er nüchtern und kam auf mich zu. Als er ganz dicht vor mir stand, flüsterte er leise: „Ich lebe von der Energie der Menschen. Ich töte sie, sauge sie aus und lasse ihren leeren Körper dann zurück. Seine Worte jagten mir einen Schauer über den Rücken. Plötzlich lachte er. „Glaubst du mir?“, erkundigte er sich spöttisch. Achso, natürlich! Er hatte mich reingelegt und machte sich jetzt über meinen erschrockenen Gesichtsausdruck lustig. Verärgert funkelte ich ihn an. „Verarschen kann ich mich selbst!“, gab ich ihm wütend als Antwort. Er blickte gelangweilt auf mich herab. Blöderweise war er fast einen Kopf größer als ich und ich musste zu ihm hochschauen. Wie erniedrigend! Dann schüttelte er den Kopf und sagte kühl: „Ich sage dir die Wahrheit. Ob du mir glaubst oder nicht, ist mir ziemlich egal!“ Und dabei blickte er mich so desinteressiert an, dass ich ihm das aufs Wort glaubte. „Aber du bist das erste meiner Opfer, das entkommen ist. Und zudem das einzige Mädchen, dass mich getreten hat, als ich es geküsst habe“, bemerkte er und kniff dabei die Augen wütend zusammen. So sah er richtig bedrohlich aus. Am liebsten wäre ich noch ein Stück zurückgewichen, doch diese Blöße gab ich ihm nicht. Plötzlich neigte er sich ein Stück vor. „Aber das wirst du noch bitter bereuen!“, zischte er. Ich durfte jetzt keine Schwäche zeigen. „Du jagst mir keine Angst ein!“, fauchte ich ihn an. Wow, ich war wirklich mutig. Doch das schien ihn leider nicht zu beindrucken. „Das werden wir ja noch sehen“, lachte er. Ich hob den Kopf und blickte ihm trotzig entgegen. „Ja, das werden wir sehen!“, bestätigte ich ihm verärgert, „und jetzt verschwinde!“ Zu meiner Verwunderung drehte er sich wirklich um und ging durch die Tür. Bevor er verschwand drehte er sich schaute er mich noch mal an und lächelte: „Man sieht sich, Lucy!“ Ich schloss die Tür hinter ihm und lehnte mich an die nächste Wand. Dort atmete ich erst mal tief durch. Puh! Der war doch total verrückt! Doch bevor ich mir weitere Gedanken machen konnte, klingelte es erneut. Ich wollte nicht aufmachen. Was, wenn dieser verrückte Psychopath wieder vor der Tür stand? „Hey Lucy, bist du da?“, hörte ich die Person hinter der Tür rufen. Es war Henry. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihn einfach ignorieren sollte, dann öffnete ich die Tür aber doch. „Hallo Henry!“, grüßte ich ihn nicht sehr begeistert. Ich brauchte jetzt erst mal meine Ruhe um über den komischen Typen nachzudenken.

„Willst du mir vielleicht noch irgendetwas sagen?“, fragte Henry mich plötzlich und riss mich damit aus meinen Gedanken. Er wollte, dass ich mich bei ihm entschuldigte. Vorhin hätte ich das getan, doch jetzt war ich ziemlich entnervt. „Henry, ich will grade meine Ruhe haben, ich bin grad ein bisschen durch den Wind und muss über ein paar Dinge nachdenken, können wir vielleicht wann anders darüber reden?“, schlug ich leicht gereizt vor. „Lucy, wir sind in einer Beziehung! Ist dir das denn überhaupt nicht wichtig?“, entgegnete Henry verärgert. Ich fauchte wütend zurück: „Für mich bedeutet Beziehung aber, dass man sich vergeben kann, ohne gleich ein Riesending draus zu machen und vor allem, dass man sich vertraut. Ich habe dir doch gesagt, dass der Typ ein Messer hatte und mich entführt hat und…“, Henry unterbrach mich verärgert: „Lucy, deine Lügen machen es nicht besser, das weißt du! Wir können keine gemeinsame Beziehung führen, wenn wir nicht ehrlich zueinander sind. Ich bin zu dir gekommen, damit wir uns über die Sache gestern nochmal unterhalten können. Ich wollte dir eine zweite Chance geben, die Wahrheit zu erzählen, aber du lügst mich nur wieder an. Ich kann nicht dein Freund sein, wenn du nicht ehrlich zu mir bist!“ Ich starrte ihn wütend an. Ist er gerade dabei, Schluss zu machen? „Tja, und ich kann nicht deine Freundin sein, wenn du mir nicht vertraust“, entgegne ich lächelnd. „Dann ist es vielleicht besser, wenn wir uns trennen“, bemerkte Henry ernst. „Denke ich auch. Ich mache Schluss“, sagte ich und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie weh mir das tat. Henry nickte nachdenklich. „Wahrscheinlich ist es besser so.“ Dann ging er. Ich blickte ihm noch kurz hinterher, dann schloss ich die Tür. Ich hatte soeben meine Beziehung beendet. Ich spürte, wie mir eine Träne über die Wange lief. Ich blinzelte und versuchte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Ich wollte nicht weinen. Aber es klappte nicht. Eine halbe Stunde später saß ich mit meiner Hündin Cola auf dem Schoß im Wohnzimmer und telefonierte mit Lilli. „Vielleicht war es wirklich besser so. Er hat einfach nicht so gut zu dir gepasst“, redete Lilli mir ein. „Glaubst du mir denn?“, fragte ich sie irgendwann. Sie hatte mich noch gar nicht auf die Geschichte mit dem fremden Typen angesprochen. Einen kurzen Moment sagte sie nichts, dann antwortete sie: „Du hast ja keinen Grund, mich anzulügen, warum sollte ich dir als nicht vertrauen?“ Sie hatte meine Frage nicht direkt beantwortet. Aber immerhin hatte sie sich nicht gegen mich gestellt. „Danke, dass du mich nicht verurteilst“, meinte ich leise. „Du bist schließlich meine beste Freundin und du würdest mich doch auch nicht verurteilen - oder?“ Ihre Stimme klang irgendwie ein bisschen seltsam. Aber vielleicht hörte sie sich auch nur durchs Telefon so an. „Natürlich nicht“, antwortete ich ihr und lächelte, obwohl sie das nicht sehen konnte.

Kapitel 3: Liebeskummer

Am nächsten Tag kam meine Mutter von ihrer Geschäftsreise zurück. "Wie war dein Wochenende?", erkundigte sie sich. Sie hatte es wieder vergessen. Schon zum dritten Mal hatte sie meinen Geburtstag vergessen. "Es war ok", antwortete ich. Von Henry musste ich ihr nichts erzählen, sie hatte nicht einmal gewusst, dass wir zusammen gewesen waren. "Ich muss nächstes Wochenende wieder weg, aber du kannst ja schon allein auf dich aufpassen, meine Große, nicht wahr?", sagte sie, ohne weiter auf meine Antwort einzugehen. "Klar", antwortete ich. Es mir nichts mehr aus, dass sie so selten da war. Früher war ich immer wieder aufs Neue enttäuscht gewesen, doch mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden. So war sie eben. Und ich hatte ja immernoch meine Hündin Cola. Dass meine Mum meinen Geburtstag wieder total vergessen hatte, war trotzdem irgendwie schade. Meine Mutter war Managerin einer großen Firma und hatte immer viel zu tun. Als sie sich damals in meinen Vater verliebte und mit ihm zusammenzog, musste sie jedoch feststellen, dass eine Beziehung ziemlich viel Zeit beansprucht. Sie hatte sich schließlich für ihre Karriere entschieden und die Beziehung beendet. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie mit mir schwanger war. Ich war also kein Wunschkind. Zudem hatte ich meinen Vater nie kennengelernt. Aber ich kam damit klar. Zu meiner Mum hatte ich kein wirklich enges Verhältnis, aber wir kamen gut miteinander aus. Ich gehörte zu den wenigen Menschen, denen ihr Haustier und ihre Freunde wichtiger waren als die eigene Mutter. Und auch Henry war mir ebenfalls verdammt wichtig. Aber ich hatte ja in den letzten beiden Tagen dafür gesorgt, dass wir nun nicht mehr zusammen waren. Ich vermisste ihn schon jetzt. Ich musste mit ihm reden und das alles klären. Vielleicht würde e mir ja verzeihen. Am Abend tippte ich seine Nummer - ich kannte sie bereits auswendig - in mein Handy ein und rief ihn an. "Hier ist die Mailbox von Henry. Nachrichten nach dem Piepton. ", hörte ich seine warme Stimme. Ich legte wieder auf. Wahrscheinlich wollte er nicht mit mir reden. Aber ich konnte ihn auch verstehen. Niedergeschlagen ließ ich mich in mein Bett fallen und versuchte zu schlafen.

Am nächsten Tag ging ich nicht zur Schule. Ich erzählte, mir ginge es nicht so gut. Und das stimmte sogar auch. Ich fühlte mich beschissen. Bis zwölf Uhr lag ich im Bett und dachte über Henry und mich nach. Dann beschloss ich, mich abzulenken. Mit meiner Hündin Cola lief ich zum Wald. Sie freute sich immer riesig, wenn wir raus gingen. Plötzlich blieb Cola stehen und spitzte die Ohren. "Was ist denn?", fragte ich sie, obwohl ich wusste, dass sie mir nicht antworten würde. Cola drehte ihren Kopf und beobachtete aufmerksam den Wald. Plötzlich sprang sie auf und lief schwanzwedelnd los. "Cola!", rief ich verärgert und rannte ihr hinterher. Es brauchte kurz, bis ich sie eingeholt hatte. Meine Hündin stand neben einem großen, braunhaarign Jungen, der ihr den Nacken kraulte. Erst als er aufblickte, erkannte ich ihn. Es war der Junge mit den bunten Augen, der mich umbringen wollte. "Hallo Lucy! Wie geht´s dir?", fragte er mich als wären wir alte Freunde. "Ist sie dein Hund?" Er deutete auf Cola, die immer noch schwanzwedelnd neben ihm stand. "Was...was machst du hier?", fragte ich, anstatt ihm auf seine Fragen zu antworten. "Geht dich nichts an", meinte er schulterzuckend. Achso, na dann. Ich musterte ihn kalt und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass er mir noch immer ein bisschen Angst einjagte. Warum ließ sich meine Hündin überhaupt von ihm kraulen?" Cola komm´ her!", befahl ich ihr mit leicht verärgerter Stimme. Der Braunhaarige grinste spöttisch. "Cola? Ist das dein Ernst?" Ich ignorierte seinen Kommentar und machte Colas Leine an ihrem Halsband fest. "Ich muss dann wieder nach Hause", meinte ich kühl und zog Cola an der Leine mit. "Damit du dich wieder in dein Bett legen und ausheulen kannst, weil du Schluss gemacht hast?", erkundigte er sich. Ich riss die Augen auf und wirbelte herum. "Wie bitte?! Und woher weißt du, dass...", ich führte den Satz nicht zu ende. """Naja...kann man sich relativ leicht zusammenreimen", meinte er schulterzuckend. Ich blitzte ihn wütend an. Zuerst wollte ich ihm wiedersprechen, dann fauchte ich jedoch: "Ja, ich habe mich von ihm getrennt. Und weißt du, wer Schuld ist? Du! Mein Leben war perfekt. Henry war der perfekte Freund. Du hast das alls zerstört. Bist du jetzt stolz auf dich?" Aus meinen Augen sprühten Funken. Jace blieb jedoch vollkommen gelassen. "Wenn er der perfekte Freund gewesen wäre, würde er jetzt um dich kämpfen und deine Anrufe nicht ignorieren. Außerdem", seine bunten Augen funkelten belustigt, "geküsst hat er dich ja auch noch nicht, oder?" Ich sah ihn verärgert an. "Woher willst du das denn wissen?" Er grinste. "Tja, als ich dich vor zwei Tagen geküsst habe, hat sich das nicht unbedingt so angefühlt, als hättest du viel Erfahrung darin." Ich wollte etwas Schlagfertiges antworten, nur leider war ich viel zu überrumpelt. Was viel ihm denn ein, so etwas zu sagen?! Er lächelte anzüglich. "Aber wenn du wilsst, könnte ich es dir beibringen." Er machte einen Schritt auf mich zu. Ich schnappte nach Luft und wich zurück. "Sag mal, spinnst du denn total?", fauchte ich, weil das das erste war, das mir dazu einfiel. "Jetzt tu doch nicht so, als hätte es dir nicht gefallen", spottete er. "Das...also das ist mir jetzt echt zu dämlich!", meinte ich wütend und drehte mich um. Dabei zog ich an Colas Leine, damit sie mir folgte. Dieser Typ war ja wirklich schrecklich. Ich erinnerte mich genau daran, was er gesagt hatte. Er meinte es hätte sich nicht so angefühlt, als hätte ich viel Erfahrung im Küssen. Sollte das etwa heißen, dass ich schlecht küsste? Wütend lief ich etwas schneller. Wäre ich doch nur zu Hause geblieben! Nachdem ich etwa eine Minute gelaufen war, drehte ich mich um. Der Junge war mir nicht gefolgt. Erleichtert atmete ich aus. Woher hatte er überhaupt gewusst, dass ich mich von Henry getrennt und danach geheult hatte? Ich konnte ihm ja wohl kaum glauben, dass man das einem Menschen alles auf den ersten Blick ansah. Ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Auf dem weg nach Hause drehte ich mich noch mindestens zwanzig mal um, um mich zu versichern, dass der Typ - wie hieß er eigentlich? - mir nicht gefolgt war. Man könnte ja schon meinen, ich litt unter Verfolgungswahn. Erst als ich in unsere Wohnung trat und die Tür hinter mir zumachte und sogar abschloss, fühlte ich mich wieder einigermaßen sicher. Cola blickte mit leicht schiefgelegtem Kopf zu mir hoch. "Guck nicht so blöd", meinte ich und tätschelte ihr dabei aber den Kopf.Dann setzte ich mich wieder auf den Sofa und machte den fernseher an. Es kam eine Zeichentrickserie für Kinder, aber ich schaltete nicht um, da ich gerade keine Lust auf etwas Anspruchvolleres hatte. Eine Zeitlang verfolgte ich die sinnlose Handlung, irgendwann verlor ich jedoch den Faden, da ich ständig mit den Gedanken abtriftete. Ich musste mit dem, was in den letzten Tagen passiert war, klarkommen. Ich musste akzeptieren, dass Henry und ich nicht mehr zusammen waren. Und das nur, weil ich mich mal wieder nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Ich spürte, wie sich aus Ärger über mich selbst Tränen in meinen Augen sammelten. Aber ich wollte jetzt nicht schon wieder heulen. Schnell versuchte ich, an etwas anderes zu denken, da ich mich bei dem Gedanken an Henry nur schwer zusammenreisen konnte. Meine Gedanken schweiften zu dem Jungen von der Party. Was wäre wohl passiert, wenn ich es nicht geschafft hätte zu fliehen? Wäre ich dann jetzt schon tot? Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken bei dem Gedanken daran. Ich würde es ihm durchaus zutrauen, dass er jemanden umbrachte. Ich erinnerte mich nämlich noch genau an den mortlustigen Ausdruck in seinen bunten Augen. Seine Augen - sie waren wirklich außergewöhlich, so bunte Augen hatte ich bisher noch nie gesehen. Ich erinnerte mich noch genau an ihre Farben: grün, gold und rot. Dabei war ich mir nicht mal sicher, ob man überhaupt rote Augen haben konnte. Soweit ich wusste nämlich nicht. Aber er bewies das Gegenteil. Ob er mich wohl immer noch umbringen wollte? Aber wenn er es gewollt hätte, hätte er es sicherlich schon bei unserer Begegnung vorhin gemacht. Trotzdem war es sicherlich nicht dumm, mich vor ihm in acht zu nehmen. Sicher war sicher. Und morgen würde ich wieder zur Schule gehen. Ich wollte schließlich nicht, dass alle merkten, wie sehr mich die Trennung von Henry getroffen hatte.

Fortsetzung folgt.....

Ich freue mich immer über Verbesserungsvorschläge!

Lg, Louisa :)

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.02.2015

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