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Prolog

 

 

"Uns sterben ständig die Königskandidaten weg."

 

 

"Jemand bringt ständig die Anwärter des Königspostens um, bald haben wir niemanden mehr, der die Königin heiraten will. So lange dieser jemand unbekannt bleibt und er sie lieber heiraten möchte, nützt ihm das doch nichts? Und uns ebenso wenig." Kwan Yin krauste die Stirn und stützte ihr Kinn auf dem Handrücken ab. Nachdenklich musterte sie die Blätter, die im Wind rauschten. Die Götter hockten im Garten an der grossen Tafel und berieten sich über die mysteriösen Mordfälle, die sich in letzter Zeit gehäuft hatten. Es kam hin und wieder vor, dass wütende Unterwelter unschuldige Geisterweltler umlegten, weil sie deren fruchtbare Ländereien an sich reissen wollten. Umgekehrt geschah das eher seltener, nur sehr selten rächte sich ein Nachkömmling an den Unterweltlern. So blieb der Zwist zwischen den zwei Welten weiterhin bestehen.

 

 

 

"Wer würde verhindern wollen, dass die Königin heiratet?", warf Sanat Kumara, von den meisten kurz Sanat genannt, dazwischen, selber nicht ganz überzeugt davon, mit dieser Frage eine beeindruckende Feststellung gemacht zu haben.

"Ein Verehrer?", mutmasste Hilarion und spielte mit dem Messingkelch vor ihm, balancierte die letzten Tropfen Wein darin umher.

"Nein, das glaube ich nicht. Es ist sicher ein machthungriger Wurm, der sich so erhofft, irgendwann aus Verzweiflung auserkoren zu werden. Ein Mord für Zuneigung wäre doch viel zu banal", entgegnete Kwan Yin überzeugt.

"Nur weil du nie tiefe Zuneigung empfunden hast, bedeutet das nicht, dass jemand dafür nicht die halbe Geisterwelt umnieten würde." Ishtar lächelte vergnügt und warf einen vielsagenden Blick in die Runde.

"Nicht alle sind den leiblichen Gelüsten derart verfallen wie deine Wenigkeit." Kwan Yin hüstelte befangen. "Ich glaube", begann sie und biss sich auf die Lippen, nur Mut, sagte sie sich selber, sammelte neuen Mut. "Sie will nicht heiraten und bringt die armen Kerle vermutlich selber um", prasselte es dann kleinlaut aus ihr heraus. Die Königin des Mordes zu beschuldigen war fast als Verzweiflung einzustufen, aber recht naheliegend.

Mit einem Rausch wandten sich alle Köpfe ihr zu und starrten sie entgeistert an. Sie mussten sie für Wahnsinnig halten.

 

Kapitel 1 - Verbrenn' dir nicht die Finger

 

 

"Wir haben dich sehr lange behütet und versteckt", erklärte Margot mir etwas reuig. Versteckt war das vielleicht das falsche Wort, eingesperrt traf es wohl eher. Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr lebte ich in der echten Welt, so wurde sie hier genannt. Die Welt, die wir so kannten, war die Strafe für all die Verbrechen, die Weltenbewohner diesseits begangen hatten. Ich fragte mich, womit ich mir mein Leben auf der anderen Seite verdient hatte und weshalb ich zurückkehrte als Auserwählte Königin der Geisterwelt. Geisterwelt war auch so eine seltsame Bezeichnung, wenn wir hier die echten Lebewesen waren, waren dann nicht die anderen die Geister? Kwan Yin, das Oberhaupt der Götter, konnte mir hierzu keine plausible Erklärung liefern, es hiess lediglich, ein Teil aller Seelen würde in einem jeden unserer Körper mitschwingen. Wir waren alle Abbilder von, eben, vergangenen Geistern. Dies war auch die Erklärung dafür, dass das Kollektiv immer intelligenter wurde, durch beiwohnen alter erfahrener Seelen wuchs unser Wissen immer mehr an und gewisse Vorgänge und Rituale konnten so ausgebessert werden. Wissen starb in dieser Welt also nie aus. Trotzdem war das Leben hier sehr mittelalterlich. Echte Geisterweltler sind genderfluid, das heisst, sie sind weder Mann noch Frau, sie besitzen keine Grundbedürfnisse wie Essen oder Trinken, ja sie haben nicht mal Geschlechtsteile, sind quasi Lichterwesen. Nicht wie ich und zahlreiche andere Bewohner, die menschlich waren. Nichtsdestotrotz war Essen eine reine Freizeitbeschäftigung, denn Hunger und Durst empfand man hier nicht, nur Lust.

Lust ist ein gutes Stichwort. Kontakt mit Männern war für mich bis anhin tabu gewesen, nun würde Margot die Bombe platzen lassen und mich hinausschicken in die grosse, weite Welt.

"Darf ich endlich raus auf den Markt? Ich bin so neugierig!"

"Ja! Du bist ab jetzt frei wie ein Vogel. Begegne deinen Bewohnern, stell dich ihnen vor. Lerne andere Hexen und Magier kennen."

"Jetzt?", fragte ich etwas aufgedreht. Fünf Jahre meiner Jugend hatte mich die Ausbildung bei Margot gekostet, es war für mich unbegreiflich, dass nun alles plötzlich anders sein sollte. Ich war ja so aufgeregt!

"Ja, jetzt. Aber hüte dich vor den Unterweltlern. Du weißt, warum. Sie sind überall. Und manche von ihnen sind gar nicht so hässlich, wie es in den Büchern steht. Unter ihnen lauern ebenso menschliche Wesen wie du." Margot massregelte mich mit ihrem krummen Finger, sie war eine Hexe wie es im Buche stand. Hakennase, schrumpeliges Gesicht, mit Spitzhut und etwas gräulicher Haut. Trotz ihrer äusserlich eher erschreckenden Fassade, war sie unheimlich nett und warmherzig. Auf sie war immer Verlass, sei es eine Verletzung oder ein Rezept für einen Zaubertrank, mit Rat und Tat stand sie uns immer zur Seite. Sie war immer zu allen gut gewesen und war eines der Urgetiere dieser Welt.

"Menschlich? Ich dachte, Unterweltler wären absolut nicht menschlich?"

"Das waren sie auch nicht. Aber auch sie haben sich vermischt, jenseitige Menschen haben reinkarniert, sie hatten aus ihren Fehlern nicht gelernt und begingen neue, aber nur kleine Fehler, so landeten sie in der Unterwelt."

Ich nickte. Wenn schlechte Geisterweltler in die Menschenwelt verbannt und dort als Menschen wiedergeboren wurden, hatten sie die Chance sich zu beweisen, um später wieder in den Himmel zurückzukehren. Taten sie dies nicht, blieben sie entweder dort oder kamen als Zwischenstufe in die Unterwelt. Die Unterwelt an sich war meiner Meinung mehr Strafe als das menschliche Dasein, doch da waren sie alle anderer Meinung. Als Mensch wiedergeboren zu werden, war für sie eine Schande. Ich war unsicher, ob sie mich als menschliches Wesen als ihre Königin akzeptieren würden. Men Bewegungsradius war bis anhin auf den Palast beschränkt gewesen. Der Garten wurde von Leibwächtern bewacht um meine Sicherheit zu garantieren.

"Nicht träumen, Mädchen! So wirst du den Unterweltlern leicht zum Opfer fallen!", ermahnte sie mich. Ich fuhr zusammen und realisierte erst, wie lange ich vor mich hin fantasiert hatte.

"Es tut mir Leid, ich werde ab jetzt bemüht sein, aufmerksam zu sein!" Ich musste kooperieren. Ich wollte raus, raus unter mein Volk, dieselbe Luft atmen wie sie, dieselben Gerüche schmecken, im Markt von hektischen Einkäufern erdrückt werden. Doch das würde ein Traum bleiben, ich werde nämlich stets von Beschützern umzingelt sein.

 

Sheila und Isami liefen vor mir her, öffneten das Tor und blickten um sich, um die Gegend abzusichern. Sie signalisierten mir mit einem Nicken, dass ich raus konnte. Ich setzte einen Fuss nach dem anderen über die unsichtbare Grenze. Ein Gefühl der Euphorie erfüllte mich und brachte mich dazu, unkontrolliert hin- und herzurennen! Dann ermahnte ich mich selbst, dass sich eine Königin so nicht zu benehmen hatte und ignorierte die irritieren Blicke meines Gefolges. Ich räusperte mich kurz und deutete gebieterisch in Richtung Marktplatz, ein bisschen Autorität musste sein. Als wir uns dem Markt näherten, bemerkte ich, dass die beiden sich mittlerweile hinter mir positioniert hatten, mit Argusaugen über mich wachend. Schon von weitem schlich sich der süsse Geruch von unzähligen Gewürzen in die Nase, um mich zu sich zu locken, ich folgte meiner Nase. Ich blieb vor dem Gewürzhändler stehen und bewunderte die Farbenpracht der in Jutesäcke abgefüllten Pulver.

„Was darf ich zum Schnuppern anbieten?“, fragte mich der alte Mann und lächelte warmherzig. Er wirkte zufrieden mit seiner Arbeit.

„Weiss nicht, was können Sie empfehlen?“, antwortete ich etwas neckisch und lächelte zurück.

Gerade, als der Mann mir ein Gläschen rüberreichen wollte, hielt Isami mein Handgelenk fest und starrte mich finster an.

„Was ist?“

„Sie können nicht einfach alles anfassen“, ermahnte sie mich und rief mein Verantwortungsbewusstsein wieder hervor, welches ich beim Verlassen des Palasts wohl irgendwo beerdigt hatte. Das Leben in Isolation nagte an mir, es war nicht das, was ich wollte.

„Isami, ich bin die Königin und bitte dich ab jetzt, nicht mehr dazwischen zu funken. Ich schätze die Volksnähe.“ Isami nickte, wenn auch nicht ganz zufrieden und liess mein Handgelenk wieder los. Sie verneigte sich.

„Ich habe verstanden!“

„Sind Sie die Königin?“, fragte der Gewürzmann verdattert und aus den in tiefen Fältchen untergegangenen Schlitzen traten grosse, schwarze Augen hervor.

„Jawohl“, flötete ich etwas stolz. Ein Knallgeräusch liess mich zusammenfahren, mein Blick glitt nach rechts. Nebenan liess jemand eine Kokosnuss zu Boden fallen. Sie hinterliess eine kleine Vertiefung im Grund. Der Blick des Typen am Stand nebenan streifte mich kurz, er hob sie hoch und starrte sie wie gebannt an. Er wirkte ein wenig verwirrt und falls es mich nicht täuschte, ging sein Atem etwas schnell. Ich lauschte, doch er sagte nichts.

„Nehmen Sie das bitte, wenn es Ihnen gefällt!“ Der Gewürzverkäufer wedelte mit einem kleinen Samtsäckchen rum und schien fast schon ein wenig übermütig. Unwissend, was er mir andrehen wollte, zeigte ich auf ein mir bekanntes Gewürz.

„Ich nehme dieses hier, aber ich bezahle!“

Er sah mich an, als ob ich gerade seine Mutter beleidigt hätte. War das eine falsche Reaktion von mir gewesen?

„Nun gut, dann eben nicht. Ich werde es ausprobieren, aber dieses kaufe ich trotzdem.“ Ich nahm das Säckchen entgegen, bezahlte das andere und marschierte langsam davon.

„Sehr schön! Ich freue mich auf Rückmeldungen!“

Ich winkte kurz und warf noch einen letzten Blick zurück zum Früchtestand. Zwei dunkle Augen bemusterten mich argwöhnisch, doch diese Augen hatten nicht damit gerechnet, dass sich unsere Blicke treffen würden. Er legte die Nuss zurück auf den Stapel und kehrte mir den Rücken zu, dann verschwand er in der Menge.

„Wer ist das?“

„Wer?“

„Der Typ, der vorhin nebenan stand und die Kokosnuss fallen liess.“

„Habe niemanden gesehen, tut mir Leid“, antwortete Sheila und verbeugte sich.

„Na dann, weiter geht's!“

 

Ich schwatzte noch eine kleine Ewigkeit mit einem Alchemisten aus der Gegend und mit einem Edelsteinhändler aus einem fernen Land, der versuchte, seine Ware abwechslungsweise hier an den Mann zu bringen. Sein Stand barg einige Kostbarkeiten wie Sugilith, dessen Quellen längst erschöpft waren, auch bei ihm kaufte ich was ein. Sugilith war ein ganz besonderer Stein mit aussergewöhnlicher Kraft, er wählte dich aus, nicht du ihn. Wie er kam, verschwand er auch.

Schwer bepackt kehrten wir abends zurück in den Palast und luden unsere Einkäufe ab. Ich bewunderte hoch erfreut die vielen schönen Dinge, die ich ergattert hatte und klatschte in die Hände. Von Klischees hielt ich ja sonst nicht viel, aber kaufsüchtig war ich, das war nicht von der Hand zu weisen! Mein erster Tag in Freiheit war wunderbar gewesen. Zur Abwechslung mal unebenes Gelände zu betreten, statt des öden Palastbodens, war es schon eine Erlebnis für sich gewesen und einstweilen auch eine rechte Tortur für meine Füsse. Dicke Blasen leuchteten mit meinen wunden Zehen um die Wette und schmerzten höllisch.

 

„Meine Füsse schmerzen!“, klagte ich und streifte die Schuhe ab.

Es dauerte nicht lange, als jemand mit einem Kessel voll Wasser in die Eingangshalle stürmte.

„Herrin! Für Sie!“

Elkalisha war immer ein wenig aufgeregt im Umgang mit mir gewesen, sie arbeitete schon drei Jahre für mich, aber benahm sich mir gegenüber immer noch so, wie am ersten Tag. Es war mir zwar unangenehm, aber tun konnte ich nichts dagegen, also blieb alles wie gewohnt.

„Nicht hier, wenn, dann im Badehaus.“

„Jawohl! Sofort!“, keuchte sie aufgeregt und hastete zum nächsten Raum, dabei vergoss sie kleine Mengen auf dem Marmorboden. Bevor ich etwas sagen konnte, sprintete sie bereits wieder aus dem Raum, bewaffnet mit einem Wischmopp. Ich beobachtete das Schauspiel noch ein Weilchen etwas belustigt.

 

Mein Leben als Königin war nicht immer so lustig, leider warteten noch Unmengen an unbeantworteten Briefen von Bewohnern auf mich, die dringendst nach einer Antwort verlangten. Nachdem ich meine geplagten Füsse im warmen mit Zaunrübenextrakt versetzten Wasser gebadet hatte, setzte ich mich an den alten Sekretär und begann, mir alle Klagen und Danksagungen durchzulesen. Wieder Streitereien mit den Unterweltlern... Ich seufzte und verdrehte die Augen. Wann würde das Ganze mal ein Ende finden? Ich empfand ein wenig Mitleid mit den Unterweltlern, während sie ihr Leben im kargen Wüstenland fristeten, spazierten wir hier auf saftig grünen Wiesen und lebten in Saus und Braus, gesegnet wie wir waren mit ertragreichen Ernten, ging es uns wirklich blendend. Zaubertränke, Lustessen, allerlei Zutaten für Elixiere, es mangelte uns an nichts. Nie! Es war nur verständlich, dass die dunkle Seite daran teilhaben wollte. Doch wie sagte Kwan Yin damals? Aurora wäre einst genau so grün gewesen wie Aquaria, doch die Bewohner kümmerten sich nicht drum und plünderten die Bäume und Sträucher, bis nichts mehr davon übrig war. Die grosse Dürre rollte über das Land und beschloss, nicht mehr zu gehen.

 

Oh, da war noch ein Brief, war wohl vom Pult runtergerutscht. Es prangerte ein imposanter, blutroter Wachsstempel darauf, schien so auf den ersten Blick sehr geheim zu sein, oder zumindest nicht für jedermanns Augen gedacht... Ich fuhr mit der Fingerspitze über die Schwülste des Stempels. Die Prägung des Rings, der ins Wachs rein gedrückt wurde, war mir unbekannt, schien aber adeliger Herkunft zu sein. Hm, den würde ich ein anderes Mal lesen. Wie einige andere Briefe mit solchem Stempel drauf, die sich allmählich in die Höhe türmten. Oft waren das nur so Schleimerbriefe oder Heiratsanträge von irgendwelchen anderen Herrschern, die weit weg von hier regierten. Sie waren nicht ganz so wichtig und einflussreich, aber doch fast gleichzusetzen wie der Herrscher der Unterwelt, dem ich bisher noch nie begegnet war. Ich fragte mich, ob er mindestens so hässlich war, wie seine Bewohner, mit den äusserst langen Hakennasen und der buckligen, grünlichen Haut. So zumindest stand es im grossen Buch geschrieben, in natura hatte ich bisher nur einen Unterweltler gesehen. Einen, der kläglich versucht hatte, jemandem die Äpfel aus dem Garten zu stehlen, mir war nicht klar gewesen, wie er mit diesem Aufzug an den Wachen vorbeikam. Ein Anblick, den ich mir hätte ersparen können. Es war hässlich wie die Nacht, von diesem Ungetüm träumte ich noch lange!

 

Bevor ich noch weiter Trübsal blies, entschloss ich mich, den Adeligen Briefstapel doch etwas zu verkleinern und öffnete nach und nach einige Umschläge. Mir war klar, dass diese Briefe eigentlich wichtiger waren, als die der gemeinen Bewohner, aber die waren so viel Spannender zu lesen!

 

"Ehrenwerte Königin der Geisterwelt, von der man munkelt, die schönste aller Blumen im Garten der Liebe zu sein, wäret ihr einem Handschluss geneigt? Meiner einer ist von gutem Bau und Hause…"

 

Kotzalaaaarm! Nächster.

 

"Wir lieben die Königin! Mit diesem Brief lassen wir Ihnen eine Einladung zu Speis und Trank zukommen in unserer Taverne am Zypressenweg 6 […]"

 

Dies war eine der netteren Seiten am Königinnendasein. Vielleicht würde ich da mal reinhusten. Kein Adelsbrief, wohl aber verkleidet als solcher. Ich öffnete den nächsten.

 

"An die Königin der Geisterwelt,

 

Bisher wurde uns das Glück nicht zuteil, einander in Fleisch und Blut zu begegnen.

Nebst meinen Pflichten, die Bewohner der Unterwelt unter Dach und Fach zu halten, ist es ebenso meine Pflicht, diese zu besänftigen. Ich habe zahlreiche erzürnte Schreiben erhalten, worauf meine Bewohner befriedigende Antworten wünschen. Darum bitte ich die Königin um eine kurze Audienz zum grossen Fest der Ostara.

 

Es grüsst,

 

T."

 

Kreisch. Vor Schreck entglitt mir der Brief aus zittrigen Händen und fiel wiegelnd zu Boden. War das gerade ein Brief von ihm gewesen? Mein Herz schlug schneller. Eine Audienz? Er und ich? Ja war er denn wahnsinnig? Oder stammte das Schreiben gar von einem kleinen Dorfoberhaupt der Unterwelt? Womit masste er sich an, mit mir verhandeln zu wollen? Ich beschloss, diesem Schreiberling sofort eine Antwort zu verfassen. Sollte es wirklich er sein, war das sowieso die einzig wahre Antwort. Das wäre viel zu gefährlich.

 

"Die Königin grüsst T.,

 

Wer auch immer Ihr zu sein möget, das Königshaus verhandelt nicht. Ihr habt bereits genug Ländereien erhalten, die Ihr unachtsam verwüstet habt. Die Vereinbarungen und Verträge zwischen Geisterwelt und Unterwelt bleiben weiterhin in ihrer alten Form bestehen. Die Geisterwelt verzichtet vorläufig auf Begegnungen mit der Unterwelt.

 

Es grüsst,

die Königin."

 

Was für ein unverschämter Kerl! Nicht einmal seinen Namen konnte er mir nennen, so vor Angst musste er wohl zittern! Mir war auf einmal schlecht. Puh, das war ein anstrengender Tag gewesen. Ich liess mich in mein übergrosses Bett fallen und starrte nach oben. Es hingen breite Seidentücher in verschiedenen orangetönen herab und schmückten so die blasse Schnörkeldecke. Ich atmete langsam ein und aus. Was würde alles auf mich zukommen? Wie alt würde ich werden? Alles unbeantwortete Fragen.

Dunkle Augen schoben sich zwischen meine Gedanken an morgen. "Weg!", schrie ich innerlich. Der Kokosnuss-Typ hatte bei mir irgendwie einen schrägen Eindruck hinterlassen, ebenso seine Aura, sie war dunkelblau, fast schon schwarz gewesen, was eher eine Seltenheit war. Ich kannte niemanden mit einer solchen Aura.

 

Du lustiges Ding, du kennst sowieso kaum jemanden von deiner Welt.

Kapitel 2 Wirbelwind

 

"Was steht heute an, Sheila?", fragte ich sie während unseres gemeinsamen Frühstücks. Ich hielt nichts davon, alleine zu speisen. Wie der ganze Palast, war auch der Essraum überdimensioniert gross. Wo man nur hinblickte, zierte weissgrauer Marmor Wand und Boden. Manchmal fröstelte es mich beim Anblick und ich wünschte mir Kamin und Schaukelstuhl herbei. Leider war dies in der Magie nicht inbegriffen gewesen, man konnte nicht eben mal schnell mit dem Finger schnippen und sich so was herbeizaubern. Ich würde mir so was wahrscheinlich noch einbauen lassen. Sheila hüpfte von ihrem Stuhl auf und öffnete ihre Rolle.

"Der morgen ist frei, aber am Nachmittag stehen noch diverse Besuche im Dorf an, unter anderem bei Florence.."

Die Tür wurde aufgeschlagen mit einem gewaltigen Knall und alle Beteiligten zuckten zusammen vor Schreck.

"Was soll das?", brüllte ich Orvis an, der einzige männliche Bedienstete, den wir hier hatten. Wurde er etwa aufmüpfig, weil er der einzige Mann war?

"Es gibt da eine kleine Erschwernis!", berichtete er etwas besorgt. Er wirkte sehr nervös.

"Was soll das denn für eine Erschwernis sein, die dich berechtigt, uns alle hier zu verschrecken?"

"Es geht um Unterweltler, die nahe der Grenze Streitigkeiten führen."

"Wer ist beteiligt? Wessen Land ist es?"

"Wer alles beteiligt ist, ist unklar. Sicher sind es mindestens zwei Unterweltler und es ist der Garten von Hexe Umra."

Zwei Unterwelter! Das war einer, nein, zwei zu viel! Sie waren schwach, aber nervig und zeitaufreibend. Der Schaden, der jedes Mal entstand, wenn wieder einer rumwütete, war immens und langwierig zu beheben. Das Königshaus fühlte sich den Hexen gegenüber schuldig und errichtete für sie wieder alles neu. Aber die Steuern abschaffen, um sie ihrem Schicksal überlassen zu können, war auch falsch. Ich steckte in einer Zwickmühle.

"Bring mich dorthin!"

 

Mein königlicher, geflügelter Pegasus wurde zum Flug gesattelt und eingepanzert. Orvis hüllte sich ebenso in seine Schutzkleidung. Ich brauchte so was nicht, denn ich war ohnehin die Stärkste der Geisterwelt.

"Es eskaliert! Wir müssen uns beeilen!", meinte Orvis etwas gehetzt und stieg auf ein anderes Pferd. Wir kommunizierten über weite Distanzen entweder über Briefboten oder bei kürzeren Distanzen über Telepathie. Hand aufs Herz war hier wortwörtlich gemeint, wollte jemand mit uns sprechen, verspürten wir ein Kribbeln im Brustkorb und legten die Hand auf. So redeten wir miteinander ohne Telefon oder Handy. Über natürliche Strahlung, frei von jeglicher Technik. Das fand ich wunderschön.

"Los!"

Wir flogen knapp über das Dorf, damit wir jederzeit einen guten Überblick hatten über das, was rundherum geschah. Vielleicht waren die Unterweltler schon wieder auf der Flucht oder wüteten woanders, da musste man die Übersicht behalten. Als ich runter sah, sah ich einige Bewohner mir Jubelrufe zukommen und Winken. Ich musste innerlich lächeln, es war ein schönes Gefühl, geliebt zu werden. Doch ich hatte eine Mission zu erledigen und mir blieb leider keine Zeit für sie. Der Wind oben war kalt und wirbelte mein Haar auf, es schlang sich wild um mein Gesicht und ich musste es ständig hinter die Ohren schieben, um rauszusehen. Das waren so die Nachteile des Fliegens. Da unten!

Uh, das war ziemlich wüst. Da wurde einige Erde aufgewirbelt und abgetragen. Was hatte der nur gemacht? Da war wohl mehr dahinter, als nur dieses gewöhnliche Apfelklauen aus Nachbars Garten. Gut, dass man mich gerufen hatte.

Wir landeten etwas weiter abseits hinter einem Haus, obwohl wir etwas ab vom Geschehen waren, hörte ich das Gebrüll eines Mannes. Ob es Umra gut ging? Ob sie noch lebte? Ich rannte den Stimmen entgegen, doch kaum hatte ich mich genähert, wurde ich von einem Windstoss unsanft zurückgeschleudert.

"Wie oft muss ich es euch verfluchten Ausgeburten noch sagen, dass ihr hier nichts verloren habt? Verdammt noch mal!" Da war wohl jemand ziemlich wütend, ich richtete mich auf und versuchte einen Blick auf die Streitenden zu erhaschen. Mir war nicht klar, ob das beabsichtigt war oder nicht, den Windstoss meine ich. Und wenn, wer konnte mich zu fall bringen?

"Wir brauchen Essen!", schrie der eine verzweifelt. Er sah aus wie ein Baum. Wirklich. Ein hässlicher Baum, der sprechen konnte.

"Dann schaltet mal euer Hirn ein und macht das Beste aus dem, was euch gegeben wurde!", brüllte der eine wieder. Ich konnte seine Gestalt nicht genau ausmachen.

"Wenn das das Beste sein soll, lande ich lieber im Kerker!", maulte der andere. Ihre Stimmen klangen irgendwie dümmlich.

"Dann schicke ich euch in den Kerker! Zwei Probleme weniger!"

Probleme? Was war denn das für eine Wortwahl? Plötzlich fühlte ich mich wieder stark genug, um aufzustehen und war gerade dabei, wieder umzufallen, als ich den Typen sah.

"Du?", rief ich etwas verwirrt.

" Ihre Majestät wünschte ja keine Audienz!" Er wedelte abweisend mit der Hand und richtete seinen Blick wieder auf die zwei knorrigen Diebe. Das wollte ich mir keinesfalls bieten lassen und rannte auf ihn zu, ich zückte mein Schwert und war bereit zum Angriff. Ich erhob mich, schwang das Schwert, auf seinen Nacken zielend und stürzte mich auf ihn. Und wieder dieser verdammte Windstoss!

"Sie soll sich um ihren Kram kümmern!"

"Was soll das? Wer bist du überhaupt? Willst du etwa auch in den Kerker?" Ich schnaubte vor Wut! Wie konnte er es nur wagen, sich mir gegenüber so zu benehmen? Er lachte höhnisch, ja, er konnte sein Lachen kaum mehr unter Kontrolle halten, so gefangen war er davon. Fast schon wahnsinnig!

"Ich schalte und walte über den Kerker, du dummes Ding. Denkst du, ich sperre mich selber ein?"

Es gab nur einen, der über den Kerker herrschte. Und das war der Herrscher der Unterwelt. Da ich nun wieder brachliegend etwas Zeit hatte, ihn zu bemustern, fiel mir auf, wie menschlich er war. Sonnengeküsste Haut, Adern die leicht hervorstanden und… das ist mir jetzt etwas peinlich, in seinem Schritt zeichnete sich etwas ab, das war bei den anderen Bewohnern nicht so und war immer ein garantiertes Indiz für Menschlichkeit, ich schliesse mal diejenigen aus, die sich vielleicht aus Jux Socken in die Hosen stopfen... Er war ein Mann. Ein Mann aus der Menschenwelt. Mir stockte der Atem. Der Herrscher der Unterwelt war also auch ein Mensch? Ich japste.

"Was ist?"

"Bist du… Bist du es?", fragte ich mit zittriger Stimme und versuchte davon zu kriechen.

"Weiss nicht, wahrscheinlich schon", antwortete er etwas verwirrt und belustigt gleichzeitig, seine Aufmerksamkeit immer noch auf die zwei gerichtet. "Ich weiss ja nicht, wen du zu sehen glaubst."

Ich konnte der Situation eine gewisse Komik nicht absprechen, aber es war jetzt wirklich nicht die Zeit für so dämliche Witze.

"Was wirst du mit ihnen machen?"

Die Baumwesen zitterten vor Angst, natürlich, wenn sie wirklich den vor sich hatten, vom dem ich glaubte, er sei es. Und er war sehr wütend, ich traute ihm alles zu. Wäre ich nicht gekommen, hätte er sie schon längst umgebracht, dessen war ich mir so sicher wie des Alraunenkrauts im Zaubertrank. "Töte sie nicht", hängte ich noch mit piepsiger Stimme an. Wo war eigentlich Orvis? Ich durchsuchte die Umgebung, er schien wie vom Erdboden verschluckt. Ach, da kauerte er, er hatte sich hinter einem Busch versteckt und beobachtete das Ganze aus der Ferne. Himmel, ich konnte doch nicht auf dem Boden liegenbleiben, während mein Bediensteter das ganze beobachtete, was würde nur aus meinem Ruf werden?

Ich errichtete ein Schutzschild um mich herum und lief auf ihn zu, es geschah nichts, aber vielleicht machte er auch nichts.

"Ich möchte, dass sie zur Strafe in den Kerker gehen. Bis zur Walpurgisnacht."

Der Herrscher liess seinen Blick zu mir schweifen, ohne mich direkt anzusehen und schien zu überlegen. Sein Gebiss mahlte, während sein Gehirn ratterte und alle möglichen Szenarien durchging. Man merkte ihm an, wie sich seine Körperhaltung zusehends entspannte.

"Nun gut, ab in den Kerker mit euch."

Ein feuriges Loch öffnete sich unter den zwei Schuldigen und verschluckte sie in sich. Ich bin mir nicht sicher, ob sie erfreut waren, überlebt zu haben. Der Kerker war nicht viel besser als der Tod, erzählte man sich. Er wandte sich nun mir zu. War ich jetzt auch dran, oder wie? Ich sah hoch zu ihm und blickte wieder in diese dunklen Augen.

"Du bist doch der Kokosnuss-Mann?", fragte ich.

"Kokosnuss? Bist du etwa auch von drüben? Hier nennt man die doch Haarnuss?" Er grinste. Ich wusste zwar nicht warum, lustig war es jedenfalls nicht.

"Ja, bin ich. Du auch, so wie ich sehe. Sag mir, wer du bist und wie du heisst!"

"Oh, so forsch? Nun, ich bin das ominöse T., aber meine Mutter nennt mich eigentlich Taylan." Er streckte mir seine grosse Hand entgegen, aber ich lehnte ab. Wieder grinste er. Er musste sich total übermächtig fühlen. Was er zu meinem Leidwesen auch sein musste, mit der Wucht, mit der er mich zu Boden geworfen hatte.

"Dann eben nicht", sagte er und zog seine Hand zurück. "Jedenfalls, ja, ich bin der neue Herrscher der Unterwelt." Er blickte hinauf in den Himmel, aber es war nichts zu sehen. Wenn mich der Schein nicht trog, schien er leicht verlegen zu sein.

"Du bist stark."

"Ich weiss."

Ich funkelte ihn finster an. Was für ein arroganter Sack! Ich steckte mein Schwert wieder zurück in seine Scheide. Er überragte mich mindestens um einen Kopf, aber das sagte rein gar nichts über seine Kraft aus. Und doch munkelte man, der Neue sei extrem stark, der Stärkste sogar, der jemals existierte. Aber war er auch stärker als ich? Wenn ja, was würde das für uns alle bedeuten?

"Willst du deine Audienz jetzt abhalten?", fragte ich vorsichtig.

"Nein. Ich habe einiges zu tun, du hast keine Ahnung von dem, was in der Unterwelt alles abgeht. Ein anderes Mal." Seine Hand schloss sich um den Mondstein, den er als Amulett trug. "Ling!", rief er lautstark. Eisblauer Rauch stieg aus dem Stein und formte sich zu einem Drachen. Ein Drache! Ich hatte noch nie einen gesehen! "Da bist du platt, was? Nach Aurora!", befahl er seinem Drachen. Er stieg auf und verschwand mit einem Zwinkern in den Wolken. Und liess mich zurück, verwirrt. Es hiess mal, es würden nur noch sehr wenige davon existieren. Dass ausgerechnet er einen besass, hätte ich nie geglaubt. Drachen waren ehrwürdige, vernünftige Wesen und ebenso gefährliche Begleiter, ideale Waffen. Sie konnten Feuerspucken und ihre Opfer durch Würgen erdrosseln, ihnen die Augen mit ihren Krallen ausstechen. Und ihre Augen! Sie konnten dich für einen Moment erblinden lassen mit ihren Blicken. Ich musste zu Kwan Yin! Orvis trat hinter dem Busch hervor und richtete seinen Blick beschämt zu Boden.

"Es tut mir Leid", flüsterte er.

"Ist schon in Ordnung. Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Wo ist die Hexe?"

"Sie ist ausser Haus."

"Dann wusste sie gar nichts davon?"

Er schüttelte den Kopf.

"Gut, dann schick schleunigst einen Gärtner her, der alles richtet. Ich bin bei den Göttern wenn jemand fragt." Orvis verbeugte sich und huschte davon.

 

Ich stieg auf mein Pferd und flog zum Göttergarten, der sich weit über unseren Wolken befand, er lag so ziemlich mittig über Aquaria. Von weitem sah ich das imposante Tor, golden verziert und schwungvoll in der Mitte hochsteigend. Efeu hängte sich über die hohen, weissen Mauern, die Sonne schimmerte über den weissen Dächern. Ich lief über die Pflastersteine und sah um mich. Es war immer wieder seltsam, hier rumzulaufen. Der Garten schien von aussen klein, aber war man mal drin, hörte er nicht mehr auf. Die Tafel, ein kreisrunder Marmortisch mit runder Sitzbank rundherum, umgeben von hohen Säulen, war leer, wo sich sonst die Götter trafen und über die Zukunft der Welten berieten. Es wehte ein leichter Wind, der Flieder, der die Tafel fast wetterfest bedeckte, schwang sanft mit. Ein Klackern von hohen Absätzen ertönte mit jedem weiteren Schritt, der auf mich zu gemacht wurde. Sie hatte mich wohl erwartet.

"Azelari, wie gefällt dir dein neues Leben als Königin?", fragte Kwan Yin mich mit einem fröhlichen Lächeln in ihrem bezaubernden Gesicht. Ihre roten, gewellten Haare ergossen sich über ihren Schultern wie flüssige Flammen.

"Sehr gut, danke."

"Was führt dich zu mir? Ich nehme an, du bist nicht hier, um dich zu unterhalten? Siehst sehr besorgt aus." Ich wusste ja nicht viel über die Götter, aber es war offensichtlich, dass sie mehr wussten, als sie zuzugeben vermochten. Ich glaube, sie können Gedanken lesen…

"Der Unterweltler."

"Taylan? Halt dich fern von ihm!" Etwas hatte sich in Kwan Yins Ausdruck verändert.

"Warum? Er schreibt mir Briefe!"

"Dann verbrenn sie!"

Sprachlos, das war ich. Ich wusste, dass wir mit Unterweltlern nicht allzu viel Kontakt halten sollten, aber dass sie gleich so ablehnend reagierte, erschreckte mich.

"Aber…"

"Nichts aber, er ist tabu für dich. Rede nicht mit ihm, sieh ihn nicht an, und berühre ihn schon gar nicht!"

"Ähm, ja, gut, wenn das so ist?", murmelte ich und räumte das Feld.

"Und provozier ihn nicht, du verlierst." Über ihr Gesicht hatte sich eine Spur von Fürsorge gelegt, hilfloser Fürsorge. Es hörte sich an, wie der gute Rat einer Mutter, die genau wusste, dass ihr Schützling sich nicht daran halten würde. Wie sollte ich ihm aus dem Weg gehen? Der Herrscher der Unterwelt war die einzige Friedensstütze zwischen den zwei Welten und war an unseren Tafelrunden oft geladener Gast gewesen. Zumindest der Vorgänger, was aus ihm wurde, wusste niemand. Er war wie vom Erdboden verschluckt worden, weder eine Leiche, noch sonst was blieb von ihm zurück. Bis man einen neuen Herrscher gefunden hatte, blieb die Unterwelt um die 20 Jahre herrenlos, ich konnte mir also ziemlich gut vorstellen, dass dieser Taylan viel zu richten hatte. Wir konnten froh sein, war nicht mehr passiert zu dieser Zeit. Natürlich hatten wir unsere Wachen an den Grenzen aufgestockt, aber wäre es wirklich eskaliert, wären auch die Wachen mehr oder weniger nutzlos gewesen, hätten die Unterweltler die Grenzen überrollt.

Ich stand von dieser Begegnung noch zu sehr unter Schock, als dass ich Florence hätte gegenüber treten können, ich verzog mich deshalb in meine Schlafkammer und liess alles Revue passieren, begleitet von einer Tasse Sanddorntee. Tee war immer gut für's Kopf freikriegen.

 

 

Ich tauchte ein in das heisse Wasser im Zuber, welches eine meiner Dienerinnen für mich eingelassen hatte und driftete ab. Wie sie wohl aussah, wie sie wohl charakterlich war, hatte ich mich erst kürzlich noch gefragt. Im Briefe beantworten war sie jedenfalls nicht die Schnellste, das war schon mal sichere Sache. Bockig wie eine Ziege und stur wie ein Esel war sie auch. Ich habe eine Schwäche für resolute Frauen, muss ich gestehen, blond war aber nie meine bevorzugte Haarfarbe gewesen. Nur leider war da nichts mit Frauen, zumindest solange nicht, wie ich dazu gedrängt wurde. Sowieso war die Königin eher aus der Ferne zu geniessen, wenn ich nicht alle in den Tod reissen wollte. Der Fehler darf sich nicht noch einmal wiederholen. Mein Körper hatte sich stark aufgeheizt und es wurde langsam etwas unangenehm, der Schweiss rann mir von der Stirn herab und heftete meine Haare an die Schläfen.

"Ahra!", rief ich lautstark in den Raum und zuckte zusammen ob der Lautstärke meiner eigenen Stimme, meine neugewonnene Kraft hatte sich anscheinend auch in meinen Stimmbändern niedergelegt. Die Holztür knarrte schwermütig unter Ahras Vorsicht, Fackellicht aus dem Gang verdrängte langsam das zarte Licht der Kerzen aus dem Gewölbe und raubte ihm so den ganzen Zauber. Bissige Zugluft streifte meinen nackten Körper, als ich aus dem Zuber stieg. Als mir Ahra den seidenen Mantel reichte, wandte sie verlegen ihren Kopf ab.

"Bitte, mein Herr", flüsterte sie. Ich genoss es, wenn sie sich von meiner Anwesenheit einschüchtern liess. Gewiss war da eine dezente Überheblichkeit dahinter, die ich mir nicht absprechen konnte und wollte.

"Braves Mädchen." In aller Ruhe streifte ich mir den Mantel über und liess sie keine Sekunde aus den Augen, neugierig, ob sie etwas erspähen wollte. Sie tat es nicht. Ahra war nicht dumm.

"Ihr Schlafgemach ist bereit zum Einzug", ergänzte sie neutral.

"Hat Elvira was gekocht? Ich bin hungrig."

"Das Essen steht bereit, wenn Sie es wünschen."

"Das ist also deine Umschreibung für "nein"? Wo ist sie?", hakte ich etwas genauer nach. Ahra nahm Elvira immer wieder in Schutz und hielt für sie den Kopf hin, doch das war nicht die Abmachung gewesen. Elvira und Ahra wurden aus dem Kerker befreit, um mir zu dienen, Elvira jedoch verschwand hin und wieder im Kerker, um sich dort mit anderen Insassen zu vergnügen, jawohl, sie ging dorthin, um sich das Hirn rauszuvögeln. Wahrscheinlich hatte sie bei der Jobausschreibung damals auch gedacht, ich würde sie als Sexsklavin einstellen wollen oder so ähnlich. Ich schüttelte nur den Kopf, für Wutausbrüche war die Story schon zu alt, ich wusste darum. Kein Grund, Ahra in Bredouille zu bringen. Ich seufzte.

"Isst du mit mir zu Abend?", fragte ich sie, sie nickte mit einer Andeutung eines Lächelns. Ein bisschen attraktive Gesellschaft war immer gut. Sie hatte in Windeseile den langen Gang überwunden und war nicht mehr zu sehen. Ich lebte in einem kleinen, alten Schloss umgeben von ockerfarbenen Hügeln, es gab ausser in meinem Garten, keinen einzigen verdammten Baum weit und breit. Sand zierte die Landschaft, wo man nur hinsah. Die Geisterwelt war da willkommene Abwechslung. Als ich reihenweise die Fackeln dem Flur entlang auslöschte, machte sich sofort die Kälte der Steinmauern breit, Isolation war hier ein Fremdwort. Es zog von überall herein, aus diesem Grund war mein Kamin nonstop in Betrieb und verbreitete so immerhin ein wenig wohlige Wärme im Speisesaal. Immer noch in den Badmantel gehüllt, betrat ich den Saal. Als ich mich wieder meiner Nacktheit unter dem dünnen Stoff besann, fragte ich mich, wie Elvira wohl Sex hatte. Sie hatte spitz zulaufende Ohren und rote Augen, war also definitiv nicht menschlichen Ursprungs. Ich krauste die Augenbrauen kritisch, war sie doch nicht dort zum Vögeln?

"Ist etwas nicht in Ordnung, mein Herr?" Ahra bat mich zu Tisch, wie ich feststellen durfte, hatte sie sich unmittelbar neben mich aufgetischt.

"Doch, doch. Alles bestens. Vielen Dank." Wir setzen uns hin und assen, keiner sagte etwas. Um meine Neugierde zu stillen, brach ich das Eis gleich mit einer etwas unangenehmen Frage für sie.

"Wie praktizierst du Geschlechtsverkehr?", fragte ich sie etwas unverfroren. Ahra quoll der Wein aus den Nasenlöchern. Ich lachte, unverschämt wie ich war, lauthals los. Sie hüstelte kurz und putzte sich die Nase.

"Wollen Sie sich etwa vereinigen mit mir?" Ihre Wangen färbten sich zartrosa. Ihre schlanken Finger schlossen sich um die Serviette wie um einen Rettungsring. Die Serviette würde ihr aber nicht weiterhelfen, meine Frage zu umgehen. Ich wartete geduldig. Sie sah mir in die Augen und realisierte, dass ich es ernst meinte.

"Ganz gewöhnlich, wie Sie wahrscheinlich auch", murmelte sie etwas verlegen.

"Ihr habt also beide… Einen menschlichen Körper?"

"Ja. Ich sowieso, und Elvira ist ein Elfenmischling. Darum ist auch sie so gebaut."

"Dann ist die magische DNA also rezessiv vererbend. Interessant."

"Wie bitte?" Ahra machte grosse Augen, ich ignorierte ihre Frage jedoch.

"Elvira ist also doch in den Kerker, um sich zu vergnügen", schlussfolgerte ich. Ich war so frech und streifte Ahra eine Strähne hinters Ohr. "Du bist brav bei mir geblieben, obwohl du weißt, dass du bei mir niemals eine Vereinigung erhalten wirst." Es entging mir nicht, wie sehr sich Ahras Körper durch meine Berührung versteift hatte. Ich spielte gerne mit ihr, es ärgerte mich nämlich unheimlich, wie devot sie war und sich nie wehrte, ich lotete gerne ihre Grenzen aus. "Vermisst du es?"

Sie holte tief Luft und sah mich aus glänzenden Augen an, ihre Lippen waren feucht und bereit zu allerlei Schandtaten. Sie fiel mir um den Hals und sah verzweifelt zu mir runter.

"Ich vermisse es! Ich vermisse es sogar sehr, wenn es das war, was Sie wissen wollten." Sie liess sich auf meinem Schoss nieder, langsam wusste ich auch nicht mehr weiter und die Situation drohte zu eskalieren. Eigentlich wollte ich nicht. Nicht nur eigentlich.

"Du darfst gehen, wenn du mich danach fragst. Ich bin auch nicht immer hier und will nicht, dass du dich langweilst."

Das war es, was Ahra von Elvira unterschied, ihre Demut und ihre Treue. Sie war ein wenig auch wie ein kleines anhängliches Kind, welches nichts selbständig entscheiden wollte. Ahra benötigte oft mehrere Denkanstösse, bis ihre Gedanken aus ihr herausprasselten. Wie jetzt zum Beispiel. Ich war ein manipulatives Arschloch, dazu stand ich.

"Wirklich?", fisperte sie unsicher.

"Aber ja!"

"Sie sind ein guter Herr, vielen Dank", flüsterten ihre Lippen nah an meinem Ohr und drückten mir einen Kuss auf die Wange auf. Hätte ich nicht noch meine sommerliche Bräune im Gesicht, wäre jetzt ich derjenige mit den rosa Wangen. Die Eisentür knallte gegen die Mauern und erzeugte ein schauriges Geräusch, welches uns beide zusammenfahren liess.

"Was soll das?", ertönte es schrill unter dem Bogen. Ich schob Ahra von meinem Schoss und richtete mich auf, direkt in ihre glühenden Augen blickend. Sie war wütend und das war gut!

"Elvira! Wie oft habe ich dir gesagt, dass du dich verdammt noch eins nicht davonstehlen sollst?", schleuderte ich ihr entgegen und zähmte sie innert weniger Sekunden vom wild gewordenen Löwen zum Stubentiger. Elvira war aufbrausend, ja, aber sie war genau so auch liebenswürdig, wenn man denn hinter die Fassade geschielt hatte, bei manchen bedarf es halt einem oder zwei Blicken mehr. Sie schreckte zurück und ich konnte von ihrem Blick ablesen, wie schuldig sie sich plötzlich fühlte.

"Es tut mir Leid, aber Sie waren unterwegs und… ich fühlte mich so einsam!" Elvira weinte. Elvira weinte oft, aus Wut, aus Trauer, aus Stolz. Manchmal fragte ich mich schon, ob es richtig war, sie zwei aus ihrem Bekanntenkreis dort unten herauszureissen, doch dann erinnerte ich mich wieder an die anfängliche Stille und Leere im Schloss, als ich es zum ersten Mal betrat. Ich war froh, waren sie hier.

"Komm her", versuchte ich etwas tröstlich zu sagen und empfing sie mit offenen Armen, Elvira nahm die Einladung anscheinend gern an, so schnell wie sie sich an mich geworfen und ihr Gesicht an meine Brust gedrückt hatte.

"Bitte nicht bestrafen."

 

Einatmen. Ausatmen. Ich stiess sie schweren Herzens von mir. Mit einem grellen Schrei fiel Elvira in den Keller, ihre Stimme verstummte schnell, als sich das Loch schloss. Der Keller… Normalerweise trainierte ich dort mit meinem zweiten Hausdrachen Suang, wenn Elvira aber unartig war, sperrte ich sie gelegentlich dort ein. Ich kann nur so viel dazu sagen; man hört dort genau drei Dinge: Atem, Herzklopfen und das Rauschen des eigenen Blutes. Das war's dann aber auch schon, die Stille und die drückende Luft trieben einen an den Rand des Wahnsinns. Ich schielte rüber zu Ahra, die nichts sagend da stand und nur den Mund verzog.

"Sie lernt es einfach nicht", kommentierte sie nüchtern.

"In der Tat. Gute Nacht."

Beim Verlassen des Speisesaals erklang das Geklimper des Silberbestecks, Ahra war bereits wieder mit Aufräumen beschäftigt. Hätte ich Elvira doch nicht frühzeitig in den Keller schicken sollen? Bevor ich mich auf den Weg zum Schlafgemach machte, kontrollierte ich, ob alle wichtigen Räume verschlossen waren, insbesondere die Eingangstür und die Tür zum Schlossgarten, welcher mehr eine sarkastisch gemeinte Hommage an einen Garten war, klein, karg und steinig. Ich warf einen Blick nach draussen, nichts Auffälliges. Es blühten hier einige wenige, aber bedeutende Pflanzen wie zum Beispiel die Teufelskralle, die anderswo eingingen, weswegen ich ihn vorerst bestehen liess. Ich verbarrikadierte die Gartentür einbruchsicher und ging die Treppe hoch. An den Mauern hingen noch verstaubte Gemälde von Balthasar, meinem Vorgänger, ich quittierte sie mit einem verächtlichen Blick, Nacht für Nacht. Eines Tages würde ich sie alle triumphierend von den Wänden runter reissen und lichterloh in Flammen aufgehen lassen. Als ich mein Bett sah, lächelte ich. Ich hüllte mich in bordeauxrote Seide und entfachte die kleine Öllampe neben dem Bett.

 

Wofür plante ich überhaupt die ganzen Renovationen? Wie lange ich in diesem Zustand leben würde, war sowieso ungewiss. Und doch gab es mir zumindest etwas Zuversicht für die nächsten 20 Jahre. Etwas, woran ich mich festkrallen konnte, bevor alles zu Ende war.

 

Die Zeit rann mir durch die Finger wie Treibsand.

 

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Tag der Veröffentlichung: 13.11.2016

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