In meinem Bekanntenkreis gibt es böse Zungen, die mich im Zusammenhang mit einem bekannten schwedischen Möbelhaus als Junkie bezeichnen – man unterstellt mir schwerwiegende Suchtzustände, die sich nicht nur durch regelmäßige Besuche, sondern auch durch ganz bestimmte Verhaltensweisen während derselbigen äußern.
So habe ich zum Beispiel eine ganz eigene Taktik, die von Marketingpsychologen in monatelanger Kleinarbeit ausgetüftelten Kundenwege zu umgehen, um mich mir einer Behendigkeit, die laut Beobachtern an Bienentänze erinnert, durch das Gewühl zu schlängeln und trotzdem alles einmal gesehen zu haben. Auch eine gewisse Ritualität bei den Besuchen hat sich mittlerweile eingespielt, die von der Abgabe des größeren Sprosses im Blaubeerland über das Durchmessen der heiligen Hallen (unter Zuhilfenahme des Kinderwagens als Rammbock, selbstverständlich) und das obligatorische Durchforsten der Fundgrube schließlich im Kreise der wieder vollständigen Familie in der hauseigenen Kantine endet, wo in trautem Beisammensein unglaubliche Mengen an original schwedischen Hackbällchen vernichtet werden.
Selbst die Benamsung unseres Nachwuchses wurde erst durchgeführt, nachdem die ausgewählten Namen den sogenannten IKEA-Test bestanden hatten. Wer hat denn auch noch nicht herzlich gekichert bei Durchsagen wie „Die kleine Suleika Zoe Aysha Müller-Klottenbrink möchte gerne aus dem Kinderparadies abgeholt werden!“.
Nein, so etwas wird uns erspart bleiben. Mein Verhältnis zu besagtem schwedischem Möbelhaus war von Freude und gegenseitigem Respekt erfüllt. Bis heute.
Zu meinem Bedauern muss ich eingestehen, dass ich der frauentypischen Shopping-Sucht nur schwer widerstehen kann, vor allem, wenn es sich um Kinderbekleidung handelt. Mindestens ebenso bedauerlich ist es, dass unserem Haushalt noch zwei weitere erwachsene Frauen mit dem gleichen Problem angehören, was letztendlich dazu führte, dass der Kleiderschrank nicht mehr nur aus allen Nähten quoll, sondern es mir der Platzmangel unmöglich machte, alle vorhandenen Kleidungsstücke gleichzeitig in sauberem Zustand zu verstauen. Zwischenzeitlich war ich dazu übergangen, die Kindersachen nur noch alle zwei Wochen zu waschen, so dass sie sich gleichmäßig auf Kleiderschrank und Schmutzwäsche verteilten. Die dadurch allerdings ständig wachsenden Wäscheberge führten aber leider zu einigen Kontroversen unter den hier ansässigen Bewohnern, so dass eine andere Lösung gefunden werden musste.
Nun, wie oben schon erwähnt, gibt es in unserer Stadt glücklicherweise eine dieser großen, blau-gelben Hallen, bis unter die Decke angefüllt mit in flachen Paketen verpackten Problemlösern. Also wurde die Sippe kurzerhand ins Auto gepackt und auf ging´s ins Möbelwunderland. Unter Zuhilfenahme eines der dort in großer Zahl heimischen Möbelfachverkäufern kamen wir auch in kürzester Zeit zu einer auf Recyclingpapier gedruckten Liste der benötigten Utensilien, samt dahinter angegebener Regalnummern. Kleinere logistische Schwierigkeiten, die durch das Mitführen eines Kleinkindes beim Möbelkauf entstanden und durch die Unfähigkeit des ärmsten Ehegatten von allen, einen hundertfünfzig Pfund schweren Einkaufswagen, beladen mit mehreren 250 Zentimeter langen Paketen, durch renitente Menschenmengen zu steuern zustande kamen, konnten durch beherztes Eingreifen meinerseits gelöst werden. Der arme Gatte errang sogar einen durchschlagenden Erfolg, indem es ihm gelang, die Pakete im leider gute 100 Zentimeter kürzeren Auto verkehrssicher zu befestigen. So kam der Schrank in unser trautes Heim.
Nun haben die Möbeldesigner der Schweden offensichtlich einen recht dreckigen Humor. Anders ist es mir nicht zu erklären, warum eben jener Schrank den schönen Namen PAX trägt, was ja übersetzt nichts anderes bedeutet als FRIEDEN. Friedlich ist mir nicht mehr zu Mute, meine Herren! Aber ich will nicht vorgreifen.
Der Zusammenbau des Schrankkorpus' gestaltete sich, abgesehen von der Unhandlichkeit, die ein Möbelstück dieses Ausmaßes nun aber eben an sich hat, relativ problemlos. In bewährter Teamarbeit ließen der Gatte und ich uns noch nicht einmal von durch den rüpelhaften Nachwuchs verschlepptem Werkzeug aus der Ruhe bringen. Mit Zen-artiger Gelassenheit wurden alle Widrigkeiten umschifft, bis 236 Zentimeter weiße Pracht aufgebaut, wenn auch noch recht nackt, vor uns standen. Das Auspacken der Tür führte zu der ersten von vielen unangenehmen Überraschungen. Statt der gewünschten schlicht-weißen Holzderivattür hatte der freundlich-motivierte Mitarbeiter uns eine sicherlich recht hübsche Tür mit Glasfenster in der Mitte aufgeschrieben. Ich gebe zu, es handelt sich um Plexiglas – aber wer schon einmal mit einem Sechsjährigen konfrontiert wurde, ahnt, dass mich der Gedanke an einen Kleiderschrank mit Sichfenster nicht mit Wohlgefühl erfüllte. Aber was soll´s, man soll ja positiv denken, vielleicht führt ihn dieser Weg zur Ordnung. Die Tür wurde also verschraubt und ordnungsgemäß installiert, das Innenleben wartete.
Das Innenleben. Funktional und effizient sollte der Schrank sein, aufgeteilt in zwei Drahtgitter-Schubkästen für Unterwäsche und Socken und vier Regalbretter für die Unmengen an T-Shirts, Hemden, Sweatshirts, Rollis, Hoodies, Longsleeves und noch Unaussprechlicherem, die wir für den Junior angesammelt haben. Montags, gegen Abend, wurde der Schrank gekauft. Dienstags, nach Feierabend, der Korpus montiert. Nun war Mittwoch. Der arme Ehegatte verdiente die Brötchen und früher oder später wahrscheinlich notwendige weitere Pax-Schränke. Ich hingegen stellte mich der Herausforderung. So schwer kann das Installieren zweier Drahtkörbe und vierer Bretter ja nicht sein, nicht wahr? Falsch gedacht! Auch hier hatte uns der freundlich-motivierte Mitarbeiter ein lustiges Schnippchen geschlagen – was hab ich gelacht! Es ist ja auch so unglaublich sinnvoll, zu einem 58 Zentimeter tiefen Korpus 35 Zentimeter tiefe Regalböden zu verkaufen. Schön.
Also, leicht entnervt, mit vier falschen Böden und einem „Ich-will-jetzt-sofort-meinen-fertigen-Schrank-haben-Kind“ zurück zum Möbelhaus meines Vertrauens. Der ebenfalls hochfreundlich-motiverte Mitarbeiter der Reklamationsabteilung wollte nach einer kurzen Prüfung meines Gesichtsausdrucks auch gar nicht mehr mit mir diskutieren, sondern nahm die falschen Böden trotz der Tatsache, dass sie nicht mehr in der Original-Verpackung befindlich waren, zurück. Natürlich nicht, ohne mich darauf hinzuweisen, dass die Gutbuchung des Rückzahlbetrags auf mein Kundenkartenkonto sechs bis acht Wochen in Anspruch nehmen würde. Seltsam eigentlich, die Abbuchung eines Rechnungsbetrages geschieht im Allgemeinen in sechs bis acht Sekunden ...
Nachdem es mir auch noch gelungen war, die unanständig schweren Böden nach Hause zu transportieren, machte ich mich sofort an den Einbau. In meinem Schlafzimmer stehen auch Pax-Schränke. Als wir die damals bekommen haben, beschränkten sich meine Tätigkeiten auf Werkzeuge suchen und Kaffe kochen. Sollte Eva Herrmann jemals behaupten, die einzig wahre Tätigkeit der Frau beim Schrankaufbau sei das Kaffeekochen, werde ich ihr uneingeschränkt zustimmen! Vermutlich hat sie dann nämlich kurz zuvor versucht, die Plastiknubsies, die IKEA zur Befestigung des Pax-Regalbodens vorgesehen hat, in die vorgebohrten Löcher in den Seitenwänden zu stöpseln, die IKEA garantiert nicht dafür vorgesehen hat, mit Plastiknubsies bestöpselt zu werden. Ich habe es versucht. Mehrfach. Dann habe ich eine Zigarette geraucht, draußen im Garten, weit weg von Pax. Dann habe ich es noch einmal versucht. Anschließend habe ich erst einmal die Drahtkorbhalterungsschienen installiert – wider Erwarten völlig problemlos. Solcherart neu motiviert habe ich es nochmal versucht. Und dann habe ich diesen Erfahrungsbericht geschrieben. PAX heißt Frieden. Mit gutem Grund. Danke, IKEA.
Tag der Veröffentlichung: 28.03.2009
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