Es war ein kalter Winternachmittag, der Schnee glitzerte in der Sonne und Eiszapfen hingen an den Vordächern. In einem der Holzhäuser, saß in einem Schaukelstuhl, eine alte Frau. Sie mochte einmal schön gewesen sein, allerdings waren ihre Züge von der Zeit gezeichnet worden, ihre Hände hatten Altersflecken und ihr Haar war fast weiß mit grauen einzelnen Strähnen.
Ein paar Kinder saßen vor ihr und baten sie flehentlich und mit großen Augen um eine Geschichte.
Die alte Frau gab schließlich nach und fing an zu erzählen:
Ein tobender und grausamer Sturm türmte die Wellen im Kandlé-Meer meterweit auf. Die Schiffe die sich trotz des drohenden Unwetters auf die offene See hinaus gewagt hatten waren dem Meeresboden geweiht. So auch das Schiff eines reichen Kaufmannes, der zu habgierig gewesen war, das stattliche Schiff auch nur eine Nacht im Hafen liegen zu lassen. Dieses Mal hatte das Schiff nicht nur Leinen und andere Stoffe geladen sondern auch seine sechzehn Jährige Tochter war an Bord. Aethrè sollte zu ihrer Tante geschickt werden um dort, ihre weitere Erziehung zu genießen,
Da ihre Mutter vor wenigen Tagen im Kindbett gestorben war. Eine grausame, herzlose Tat, ein Kind dessen Mutter gerade gestorben war, mutterseelenallein nur mit Rauen Seeleuten auf eine mehrwöchige Reise zu ihrer Tante zu schicken, die sie noch nie gesehen hatte.
Als sie in den Sturm gerieten, waren sie gerade einen halben Tag unterwegs. Es kümmerte sich niemand um sie, denn alle waren bemüht das Schiff vor dem Kentern zu bewahren und somit auch ihr eigenen Leben. Ihre Bemühungen waren umsonst, das Schiff sank. Nur wenige konnten sich wie das kleine Mädchen, an Holzplanken oder ähnlichem festhalten, um so dem Sturm zu trotzen. Viele ertranken oder wurden von den turmhohen Wellen erschlagen.
Das Meer hatte sich wieder beruhigt und die Überreste des ehemaligen Handelsschiffes waren über Meilen verteilt. Am Horizont, war ein einzelnes Schiff zu erkennen, mit einer Schwarzen Flagge. Ein Piratenschiff. Die Meeresblau, das Schiff des grausamsten Piraten der Meere von Mundúan. Kapitän Blauer Falke. Unerbittlich, grausam, herzlos, barbarisch – Beschreibungen die auf Kapitän Blauer Falke und seiner Besatzung, ohne Ausnahme, zutrafen. Sie entdeckten das ohnmächtige Mädchen und holten es an Bord. Es hatte sich an einer Planke festgehalten und wie durch ein Wunder überlebt. Ihr Gesicht war rot von der Sonne, ihre Lippen aufgesprungen.
Sie war nicht sehr hübsch anzusehen, doch den Mitgliedern der Besatzung, die Wochen auf rauer See zu brachten und selten eine Stadt anliefen um ihre fleischlichen Gelüste zu frönen, war das egal.
Aethrè's Schicksal schien besiegelt.
Ein Befehl, ausgestoßen von einer rauen männlichen Stimme, ließ die Männer innehalten.“Halt!“ donnerte es, „Tragt das Mädchen in meine Kajüte, sie gehört mir, danach könnt ihr sie haben.“ Enttäuscht und wütend über den Verlust ließen sie von dem Mädchen ab. „Du da, bring sie nach unten, hast ja gehört“ wurde der Junge angeschrien, der gerade das Deck schrubbte. Mit eingezogenem Kopf tat er was ihm aufgetragen wurde.
Zwei Tage später:
Laute Schritte waren direkt neben Aethrè zum stehen gekommen. Tabakduft hing in der Luft. Leises Knarren war zu hören. Schwer kämpfte sie sich durch den Nebel, der sie gefangen hielt mal war er dichter mal konnte sie stimmen, schritte und Gerüche wahrnehmen.
Die Schritte entfernten sich wieder. „Wo bin ich“, dachte sich Aethrè bevor sie wieder in die Dunkelheit hinab sank. Als sie wieder aus dem Nebel auftauchte war es am Abend des selben Tages, eine Öllampe brannte. Als sie die Augen aufmachte und blinzelte sah sie dem Bett gegenüber einen großen massiven mit Intarsien versehenen Schreibtisch an dem ein großer, bulliger Man saß. Er hatte ihr den Rücken zugedreht und so konnte sie ihn in Ruhe betrachten. „Wo war sie? In der Kajüte des Käptens? Aber das Schiff meines Vaters ist doch Gesunken, der Sturm. Wer ist das an diesem Schreibtisch?“ Diese Gedanken überschlugen sich. Als sie versuchte etwas zu sagen, brachte sie nur ein leises Krächzen heraus. Doch das genügte um den Seemann herum fahren zu lassen.
„Du bist wach.“ stellte er fest, stand auf und brachte ihr ein Glas voll Wasser. „Trink. Es ist frisch. Ham erst gestern angelegt.“ Gierig trank Aethrè, dabei musterte sie ihn unauffällig. Er war jung, stellte sie erstaunt fest vielleicht 28 oder 30 Jahre obwohl er durch den struppigen langen Bart älter wirkte. Schwarze Haare, eine Narbe auf dem linken Wangenknochen, eine Falkennase, Buschige Augenbrauen – das alles bemerkte sie. „Hast de Hunger?“ Stumm verneinte sie.
Nachdem er ihr einen Krug Wasser hingestellt hatte, setzte er sich ohne ein weiteres Wort wieder an seinen Platz. Sie wagte ihn nicht zu stören, doch nach einiger Zeit brachte sie den nötigen Mut auf und Fragte ihn wer er sei. „Kapitän Blauer Falke“, kam eine kurze knappe Antwort. „Das ist aber ein seltsamer Name“ bemerkte sie daraufhin, ohne eine Spur von Angst, was ihn aufhorchen ließ. Tatsächlich hatte Aethrè auch noch nie etwas von ihm gehört. Sie war behütet und ohne Kummer, abgeschirmt von der Außenwelt aufgewachsen.
„Er hat seine Gründe“, brummte der Kapitän: „Wie ist dein Name?“
„Aethrè, ich war auf den Weg zu meiner Tante als unser Schiff sank.“, erzählte sie: „Wo wollt ihr hin? Wenn ihr mich an einem Hafen absetzt von dem aus ich weiter nach TikiIrla komme kann ich euch bezahlen.“ Schallend lachte Blauer Falke: „Wir an einem Hafen anlegen?“ „Ja. Warum denn nicht? Sind wir denn so weit draußen?“ „Weil wir Gesetzlose sind, Freibeuter, Piraten, Mörder, Plünderer- wir würden sofort am Galgen hängen, falls wir an einem Hafen anlegen. Du musst wohl oder übel mit uns kommen.“ Verständnislos blickte sie ihn an: „Ihr ein Pirat?“ Plötzlich legte sich Angst um ihr Herz- Piraten- ihre Mutter hatte ihr schon manch grausame Geschichte erzählt. „Was wollt ihr von mir?“, ihre stimme zitterte obwohl sie versuchte es zu verbergen. „Da hat das Prinzeschen plötzlich Angst bekommen was?“, seine Stimme war eine Spur rauer, bösartiger geworden. „Ich werd dir sagen was wir mit dir machen, du wirst verkauft. Du bist hübsch und Jungfrau, auf den Sklavenmärkten bist du viel wert.“ „Sklavenmarkt? Aber mein Vater ist ein reicher Kaufmann, er wird euch jedes Lösegeld bezahlen das ihr wollt.“ „Ich hab genug, entweder du schweigst, oder ich werde dich zum Schweigen bringen.“ Still und so leise sie konnte setzte sie sich in eine Ecke ihres Bettes und vermied jeden Laut.
Aethrè war wohl eingeschlafen als sie an der Tür Stimmen hörte. „Ihr wollt sie verkaufen? Aber der Sklavenmarkt ist noch Wochen entfernt.“ „Still, Karten, mein Entschluss steht fest, weck mich wenn wir Land sichten.“ Die Tür wurde unsanft zugeknallt, die Öllampe gelöscht.
Als sie die Augen nach einiger Zeit wieder öffnete sah sie im dunklen wie sich der Kapitän, direkt vor ihrem Bett sein Nachtlager eingerichtet hatte. Sie wagte sich kaum zu rühren bis ein leises Schnarchen zu ihr drang.
Sobald Aethrè sicher sein konnte das er schlief entspannte sie sich etwas. Wir werden in Kürze anlegen, vielleicht kann ich fliehen. Und wenn es mir nicht gelingt? Ihre Gedanken kreisten lange Zeit um das gleiche: Nahrung beschaffen, und bei nächster Möglichkeit flüchten.
In der Morgendämmerung klopfte es stürmisch an die Kajütentür. „Käpten! Land in Sicht.“ Als hätte er nur darauf gewartet erhob sich Kapitän Blauer Falke vom Boden, genehmigte sich einen Schluck aus einer grünen Flasche und ging mit festen Schritten Richtung Deck.
Das Glück war ihr anscheinend hold, den die Piraten legten an um das Schiff Kiel zu holen.
Das Schiff wurde auf den weißen Sandstrand einer dicht bewachsenen Insel gezogen. Am zweiten Tag, als alle mit dem Ausbessern und Putzen der Unterseite des Schiffes beschäftigt waren, nahm Aethrè die Gelegenheit war in einem unbeobachteten Moment in den Wald zu entwischen. Sie bewegte sich vorsichtig und so bemerkten sie die drei Männer nicht. Gerade noch rechtzeitig nahm sie Deckung hinter einem Baum.
„Der Kapitän betrügt uns. Er teilt nich gerecht mit uns. Schaut euch nur dieses Mädchen an. Er hält es in seiner Kajüte, hat Spaß und wann kommen wir – frag ich euch?“
„Genau, unsere Rationen werden immer knapper und er ist nicht gewillt Anzulegen um unsere Vorräte aufzustocken.“ „Wenn ihr nicht mehr zufrieden mit ihm seid, meutert doch gegen ihn oder legt einen Hinterhalt.“ „Oh nein, Meuterei würde nichts bringen, der Unmut is nich groß genug.“
„Isch hätte da ne Idee. Wie wär es wenn wir dem Mädl zur Flucht verhelfen? Wenn er hinterherrennt um sie zurückzuholen melden wir uns freiwillig und wenn wir weit genug entfernt sin erschießen wir ihn.“ Ab da konnte Aethrè nichts mehr hören, da die drei sich zu weit entfernt hatten. Was jetzt?
Sollte sie zurückgehen und in warnen? Schließlich hatte er das Nachtlager nicht mit ihr geteilt und so dumm und naiv, um den Worten der drei belauschten Männer zu entnehmen das es ihr bei ihnen nicht gut gegangen wäre, war sie nicht. Andererseits, was kümmerte es sie, er würde sie auf dem Sklavenmarkt verkaufen wenn sie blieb, denn bis jetzt war die Flucht geglückt.
Schließlich kam sie zu dem Schluss ihn warnen zu müssen, immerhin hatte er sie auch gerettet.
Als die 16jährige sich wieder unbemerkt an den Strand schleichen wollte, entdeckte sie einer der Besatzungsmitglieder, was dazu führte in die Kajüte gesperrt zu werden.
Als der Kapitän hereinkam um sein Abendessen mit ihr einzunehmen, erzählte sie von dem Belauschten Gespräch. Blauer Falke reagierte anders als sie dachte, er brach in ein raues, tiefes lachen aus. Verständnislos und verwirrt ruhte ihr blick auf ihm. „Du bist ein dummes Ding, zuerst bist du nicht geflohen als du konntest und dann handelst du noch nicht mal mit mir. Als würde diese Geschichte der Wahrheit entsprechen. Ich sag dir eins, solltest du die Wahrheit gesagt haben, lasse ich dich frei.“ Wieder lachte er, diese Geschichte konnte unmöglich der Wahrheit entsprechen, seine Mannschaft war stets Loyal gewesen.
In der Dämmerung des nächsten Tages, hörte Sie ein leises klopfen an ihrer Tür, kurz darauf wurde ein Jutesack mit essen und einer Decke herein geschoben. Ohne lange zu überlegen, packte Aethrè den Rucksack und tappte im dunklen die Holztreppe hinauf. Da es oben etwas heller war als im Innern des Schiffes fand sie rasch den weg hinunter zum Strand und verschwand im Wald. Ohne viel über die Geräusche nachzudenken die sie verursachte, denn sie wusste lange würde es nicht dauern bis verschwinden bemerkt wurde.
Natürlich wurde sie eingeholt, als die lauten Stimmen näher kamen, versteckte sie sich in einem hohlen Baum. Plötzlich krachte ein Kanonenschuss durch den Wald. Aus ihrem Schlupfwinkel konnte sie sehen wie die drei Verschwörer den Kapitän, der ihnen beharrlich widerstand leistete zu Boden traten und liegen ließen. Er blutete stark.
„Er ist tot. Lass ma ihn liegen. Kommt.“ Mit schnellen schritten verschwanden die drei Besatzungsmitglieder Richtung Strand. Welche Lügengeschichte sie wohl den anderen erzählten?
Aus Angst doch noch entdeckt zu werden, saß Aethrè lange still. Als es Nacht wurde kroch sie leise aus ihrem Versteck. Ein paar Schritte und ein leises gequältes stöhnen. Wie erstarrt drehte sie sich und blickte zum Kapitän zurück. Unmöglich, er hatte sich nicht gerührt, die ganze Zeit die sie reglos im Baum verbracht hatte. Leise schlich sich das Mädchen an die für tot gehaltene Gestalt. Kein zweifel er atmete wenn auch nur schwach. Seufzend zog und zerrte sie ihn in ihr geschütztes Versteck und versuchte seine Schusswunde so gut es ging zu reinigen. Als sie fertig war bemerkte sie den Blick des Seemanns, der sie beobachtete. „Warum?“ seine Stimme leise und rau. „Ich habe die Wahrheit gesagt.“ „Ich weiß, aber warum...“ er war zu schwach um weiter zu reden. „Sie haben mir das Leben gerettet. Jetzt sind wir quitt.“ Ergeben schloss er die Augen.
Er stöhnte im Schlaf, entsetzliche schmerzen mussten ihn quälen.
Als er wurde ihm etwas Wasser eingeflößt und auf einen Stock und ihrer Schulter gestützt gingen sie weiter. Ein langer und beschwerlicher Marsch. Die Kräfte verließen ihn schnell und er versuchte Krampfhaft das stöhnen zu unterdrücken und weiter zu gehen. Zuerst hatte Aethrè angenommen auf einer kleinen Insel gelandet zu sein, doch sie waren nur unweit den Klippen von Nar, an Land gegangen. Nur ein oder zwei Tage entfernt ihrer Heimatlandes. Nicht weit, vielleicht ein paar Meilen entfernt war eine kleine Stadt, für einen gesunden Menschen zu Fuß ein halber Tagesmarsch. Mit dem Kapitän jedoch, dauerte es volle drei Tage bis sie dort ankamen. ausgehungert und fast verdurstet. Die wenigen Vorräte verbraucht, die sie zur Flucht veranlassen sollten. In der kleinen Stadt, nahm man ohne viel Fragen an, das sie überlebende eines Schiffsunglücks oder eines Raubüberfalls wären. Aethrè war das nur recht, so musste sie nicht viel erklären. Bald lief ein Schiff ein, das sie mitnahm und so ließ sie den Kapitän zurück.
Als sie vom Deck des Schiffes zurückblickte, dachte sie an den Kapitän. Was wohl aus ihm werden würde? Er hatte ihr das Leben gerettet und wäre sie nicht gewesen wäre er jetzt tot. Diese Tatsache machte Ihn unvergesslich und auch Jahre später dachte sie noch an ihn.
Tag der Veröffentlichung: 13.10.2010
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Widmung:
Dieses Buch nimmt am Wettbewerb "Im Bann der Piraten" teil. Ich würde mich über ehrliche, konstruktive Kritik freuen und über den ein oder anderen Stern und Pokal natürlich auch.