Cover

Prolog

Hier steh ich nun. Meine gepackten Koffer neben mir, mein Rucksack hatte ich auf dem Rücken. Meine Güte, der war doch nicht so schwer, als ich hier ankam oder? Ich sah mich in dem Zimmer um, das für ein Jahr mein Zuhause geworden war. Nun musst ich es schon wieder verlassen. Ich nahm meine Koffer, das heißt ich wollte, bis ich bemerkte, dass ich ein kleines schwaches Mädchen bin und beide Koffer um die 30 kg wiegen. Also ging ich nur mit meinem Rucksack auf dem Rücken die Treppe hinunter, die Koffer würde dann wohl einer der Männer im Haus tragen müssen. Ich trat aus der Haustür und ging den Weg runter zur Straße, wo schon ein Auto auf mich wartete. Ich stieg ein und sah nach draußen, zurück auf das Haus, welches mir so ans Herz gewachsen war mit all seinen Bewohnern. Inzwischen waren auch meine Koffer im Auto verstaut worden und der Wagen setzte sich in Bewegung. In nur zwei Stunden würde ich in meiner neuen Wohnung sein. Ich lächelte und lehnte mich zurück. Ich hatte in diesem Jahr so viel erlebt und nun würde ich wieder zurück in mein altes Leben gehen. Ich spürte eine Hand auf meinem Oberschenkel und drehte mich zur Seite. Er blickte mich kurz an und ein Lächeln umspielte seine Lippen, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße richtete. Ich war froh, dass ich nicht fahren musste, denn trotz einem Jahr in England kam ich mit dem Auf-der-andere-Straßenseite-fahren noch nicht so ganz klar. Ich freute mich wahnsinnig auf nach Hause, vor allem da ich mir sicher war, dass ich ab jetzt nicht mehr allein sein werde.

Der Anfang allen Übels

Da sitzt ich nun. Allein in einer großen Stadt. Buhuhu, heul, schluchtz. Nein, ernsthaft. Ich sitze hier mit zwei überaus schweren Koffern, einem vollen Rucksack und einem Kissen unter dem Arm auf dem Frankfurter Flughafen fest. Das hat man nun davon, wenn man sich entscheidet im tiefesten Winter nach Großbritanien zu fliegen um dort ein Jahr als Au-pair zu verbringen. Und zu meinem kleinen bescheidenen Glück hat der Wettergott sich dazu entschlossen den fettesten Schneesturm des Jahres loszulassen und somit einfach mal sämtliche Flüge in Europa lahm zulegen. Mein Flug würde frühestens in 4 Stunden starten und da ich so schlau gewesen war und meinen Eltern gesagt hatte, dass ich allein klar komme, sind die auch brav zu hause geblieben während ich mich todesmutig in den Zug gesetzt habe und nun hier stehe. Seufzend blicke ich die Menschen an die an mir vorbei eilen. Wozu rennen die so? Es steht doch eh alles still. Es kommt kein Flugzeug an, es fliegt keins ab. Alles Hotels im Umkreis sind ausgebucht, das hat mir die äußerst freundliche Dame am Infoschalter genauso freundlich erklärt wie es eine Mutter ihrem 4 Jährigem Kind erklären würde, nachdem es schon 58 mal nachgefragt hatte, ob es jetzt endlich diesen verdammt knuffigen Teddybären haben darf. Meine Güte,  was gab es nur für schräge Typen auf einem Flughafen. Da gab es den ganz normalen Businesstypen, die mit diesen komischen kleinen Rollkoffern,  in schicken Anzügen und immer mit dem Handy am Ohr. Dann gab es die Rucksacktouristen, meistens mit Kamera umhängen und einem schicken nigelnagelneuem Treckingrucksack auf dem Rücken. Und dann natürlich noch die Familien. Genau so ein Exemplar hatte sich dazu entschlossen mir Gesellschaft zu leisten. Mutter, Vater und 2 Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Klingt nach einer perfekten Bilderbuchfamilie. Nur leider waren die beiden Bälger alles andere als bilderbuchmäßig und quengelten schon die ganze Zeit vor sich hin. Mein iPod hatte vor genau einer Stunde und 24 Minuten den Geist aufgegeben und so musste ich mir diese beiden Nervensägen anhören. Bitte lieber Gott, bitte, bitte, bittebittebittebittebittebitte mach das dieser Schneesturm bald aufhört und ich endlich in mein Flugzeug kann. Ich will hier weg!

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Seufenzd ließ ich mich in den Sitz fallen. Endlich, geschlagene drei Stunden später, saß ich in meinem Flugzeug Richtung Großbritannien. Ich machte es mir in meinem Sitz gemütlich während immer neue Fluggäste hinein strömten und die Stewardessen beim Gepäck verstauen helfen wollten, allerdings in den meisten Fällen nur im Weg waren. Neben mir waren noch zwei Plätze frei und ich hoffte, dass sich dort jemand nettes hinsetzten würde. Aber natürlich waren meine Hoffnungen mal wieder für die Katz, denn der  obligatorische dicke, schwitzende Mann, den es bei jedem Flug gibt, setzte sich neben mich. Der hatte doch tatsächlich beide Sitze gebucht! Und als wäre das nicht noch schlimm genug setzte sich die Bilderbuchfamilie von vorhin genau hinter mich. Super. Echt ganz klasse. Ihr wollt mich doch alle samt verarschen. Sind wir hier bei der versteckten Kamera? Irgendwie hatten es alle geschafft ihr Gepäck ordnungsgemäß zu verstauen und sich anzuschnallen. Sobald der Kapitän sich vorgestellt hatte wurden die Triebwerke gezündet und ein Ruckeln ging durch das Flugzeug. Irgendwann hoben wir ab und man konnte von überall Kinder rufen hören: "Schau Mama, wir fliegen" oder " Guck mal Papa, wie klein das alles aussieht. Wie Ameisen". Da ich heute morgen schon um 4 aufgestanden war, war ich dementsprechend müde. Und dieser Sitz war aber auch bequem. So kam es, dass ich den zweiten Flug in meinem Leben doch tatsächlich und vollkommen verschlief. Als ich meine Augen öffnete waren wir schon am Landen und die erste Unruhe machte sich breit. Nach der Landung hielt es niemand für nötig zu klatschen , alle wollten nur möglichst schnell raus hier. Auch schnappte mir meinen Rucksack und mein Kissen, quetschte mich an meinem Sitznachbarn vorbei, der im Übrigen immer noch schlief und nichts von dem ganzen Trubel mitbekam. Ich schlängelte mich zwischen den stehenden Menschen vorbei, die ihr Gepäck aus den Gepäckablagen herauswuchtetetn und wich hier und da dem ein oder anderen Rucksack, Kissen oder auch mal Ellenbogem aus. Mit meinen kleinen 1,60 m ging das ziemlich gut. Irgendwie hatte ich es schließlich geschafft und befand mich auf dem Weg zum Flughafengebäude. Ich brauchte doch wirklich eine halbe Stunde um das Gepäckband meines Fluges zu finden. Völlig fertig kam ich da an, doch irgendetwas versperrte mir die Sicht auf das Gepäckband. Eine Wand von Menschen stand davor und ich konnte nichts sehen. Verdammt sollt ihr sein, oh prächtige Gene, die ihr mich im schönen Alter von 12 Jahren aufhören habt zu wachsen. Also tat ich das einzig vernünfitge: Ich setzte mich auf die nächstbeste Bank und wartete bis sich die Wand lichtete. Nach fünf Minuten hatte ich die Nase voll. Es hatte sich noch rein gar nichts getan und ich konnte schließlich nicht den ganzen Tag warten. Also stürzte ich mich in die Menschenmasse mit einem leisen "Attacke!" und kämpfte mich nach vorne zum Gepäckband. Ich verteidigte meinen Platz heldenhaft und irgendwann schleppte ich mich mit zwei Koffern wieder Richtung Bank. Mit schmerzerfülltem Gesicht rieb ich mir meine Arme und den Kopf. Das würde ein paar saftige blaue Flecken und bestimmt eine Beule geben. Manche Menschen waren nämlich der Meinung ihr schweren Koffer über die Köpfe kleinerer Personen hinweg zu heben, nur u dann auf halber Strecke festzustellen, dass der Koffer doch zu schwer ist und diesen dann einfach auf den Kopf besagter kleinerer Person loslassen. Oder sie vergessen einfach wie breit der Koffer ist und versuchen ihn an wieder besagter kleinerer Person vorbei zu schieben. Ich seuftze und sah mich um. Wie komm ich jetzt bitteschön zu meiner neuen Familie?

A great new world

Nun stand ich also auf einem Flughafen in England. Wie bitte soll ich jetzt zu meiner Familie kommen? Ich habe keine Ahnung, ob ich abgeholt werde oder mir selber irgendein Transportmittel suchen muss um von A nach B zu gelangen. Ich wurde nervös und begann an meinen Haaren, die mir in einem Zopf über die Schulter fielen, zu spielen. Verdammt, warum hatte ich mich nicht erkundigt? Wenn ich jetzt zu spät kam, würde das keinen guten ersten Eindruck machen. Langsam setzte ich mich in Bewegung und zog meine Koffer hinter mir her. Hoffentlich sind das auch die richtigen Koffer, dachte ich. Es gab nämlich auf dem Gepäckband noch drei andere und ich war so schlau, meine Koffer mit dem unscheinbaren Kofferanhänger zu versehen, der beim Kauf mit dabei war. Das hatten natürlich auch die Besitzer der anderen gemacht und da meine Hände zitterten bekam ich den Anhänger nicht auf um zu sehen, ob es wirlich meine war. Nervös auf meiner Unterlippe herumkauend begann ich mich in den Strom der Menschen einzureihen, die Richtung Ausgang liefen. Nicht gerade etwas, was ich unbedingt jeden Tag machen muss. Ich sah nämlich hauptsächlich gar nichts und wurde mal in die eine, mal in die andere Richtung geschubst bis ich irgendwann ein Schild über meinem Kopf wahrnahm auf den in großen Buchstaben 'EXIT' drauf stand. Jetzt musste ich nur noch dem schicken gelben Pfeil folgen und war draußen. Vor der Passkontrolle bildete sich eine Schlange und ich trat von einem Fuß auf den anderen. Gott, war ich nervös. Der Mann vor mir hatte offenbar ein paar Probleme mit seinem Pass, weshalb ich mal wieder in der Schlange stand in der es am längsten dauerte. Das ist irgendwie immer so, egal wo ich bin. Endlich war auch diese Hürde geschafft. Ich ging durch eine Glastür und dahinter erwartete mich eine Unmenge an Menschen. Also nicht mich natürlich sondern andere Flugreisende. Viele von diesen Menschen waren mit Schildern bewaffnet auf denen Namen standen. Ich fühlte mich wie in einem Film in dem die Haupdarstellerin aus dem Flughafen tritt, ihren Namen auf einem Schild entdeckt und sich in die Arme ihrer längst verloren geglaubten Liebe wirft. Nur war ich in keinem Film und so war mein Name auch auf keinem Schild. Oder etwa doch? Ziemlich weit hinten, so weit dass ich mich auf Zehenspitzen stellen und meine Kopf recken musste um überhaupt etwas zu sehen, war ein Schild. Ein brauner Pappkarton auf den mit schwarzem Edding 'LARA WINTER' geschrieben war. Ob ich damit gemeint war? Ein paar MInuten blieb ich noch stehen und beobachtete den Pappkarton. Doch der blieb an Ort und Stelle. Offenbar war ich doch damit gemeint, das war mein Pappkarton. Ich entschied mich, die Sache von hinten anzugehen. Ich bahnte mir einen Weg durch die sich umarmdenen Familien, küssenden Paare und geschäftlich wirkenden Geschäftsmänner bis ich hinter dem Tumult stand. Nun atmete ich erstmal die frische Luft ein, die durch die Drehtür von draußen hinein wehte. Ich suchte meinen Pappkarton und fand ihn in der Hand eines jungen Mannes. Okay, 'Mann' ist in diesem Fall wohl ein bisschen übertrieben, aber 'Junge' trifft es auch nicht mehr so ganz. Der...äh... Typ war ungefähr in meinem Alter und groß. Damit meine ich, dass er wirklich rießig war. Ich atmete tief durch, schmieß mit Schwung meinen Zopf über die Schulter und ging auf den Typen zu. Als ich bei ihm angelangt war ,stellte ich mich auf Zehenspitzen und tippte ihm auf die Schulter. Er drehte sich mit so viel Schwung um, dass ich, da ich direkt hinter ihm stand, mitgerissen wurde, mein Gleichgewicht verabschiedete sich und ich fiel äußerst unelegant über meinen Koffer, der hinter mir stand. Ehe ich das ganze realisierte hörte ich ein lautes Lachen. Verärgerte schaute ich mich um und sah den Kerl, der meinen Pappkarton hielt lauthals lachen. Ich muss zu geben, dass es vermutlich wirklich komisch aussah wie ich da so lag. Ich schmunzelte, stand auf und klopfte mir den Staub von der Hose. Ich sah nach oben in ein freundlich Gesicht. Der Typ sah gar nicht mal so schlecht aus. Er hatte braune Haare, die ihm etwas wirr vom Kopf abstanden, was vermutlich daran lag, dass er sich schon öfter so wie jetzt mit der Hand durch die Haare gefahren war. Er hatte blaue Augen, ein schöner Kontrast zu den Haare. Der Rest vom Gesicht sah auch nicht schlecht aus. Seine Nase war zwar etwas zu groß und dazu auch noch ziemlich hakennasenmäßig, aber irgendwie passte das alles zusammen.Ich betrachtet nun den ganzen Kerl, was für mich einfacher war als in sein Gesicht zu schauen, da er mich um mindestens zwei Köpfe überragte.Selbst durch seine dicke Winterjacke konnte ich sehen, dass er muskulös war. Jedoch nicht so ein mit muskelbepackter Bodybuilder sonder ein schöner durchtrainierter Körper.

"Du musst Lara sein, richtig? Jedenfalls siehts du so aus wie auf dem Foto, dass mir meine Mutter gegeben hat", hörte ich seine tiefe Stimme sagen.

" Ja, ich bin Lara. Schön dich kennenzulernen"; antwortete ich zaghaft. Mein Englisch war zwar ziemlich gut, allerdings war ich etwas vorsichtig was den Gebrauch im Alltag angeht.

Wieder lachte er, diesmal jedoch nicht so laut. " Oh ja. Unsere Kennenlernen hätte wahrlich nicht besser sein können. Ich bin William, aber leider bin ich kein Prinz"; fügte er mit einem Zwinkern hinzu und streckte mir seine Hand entgegen. Ich begrüßte ihm mit einem Handschalg und wunderte mich über die Ausdrucksweise des Typens. So hatte sich unser Englischlehrer immer ausgedrückt, wenn er gerade ein Buch von Shakespear gelesen hatte. Der Horro für uns, da wir eher mit dem amerikanischen Slang vetraut waren und britisches Englisch, noch dazu von vor 300 Jahren war für uns ein Graus.

Ich folgte William aus dem Flughafen heraus, über den Parkplatz bis zu einem Auto. Es war ein Geländewagen, ziemlich schick sogar, aber alles in allem bin ich ein Mädchen und würde nie beim Anblick eines schicken Wagens in Ohnmacht fallen. Außer natürlich, das Auto wäre randvoll mit Schuhe. Wir verstauten mein Gepäck und ich begab mich zur Beifahrertür um einzusteigen. Doch auf halben Wege spürte ich einen Ruck an der Kaputze meines Parkas.

"Wo genau willst du denn hin?"; hörte ich eine Stimme hinter mir fragen. Ich drehte mich um und sah William verständnislos an. Wo nach sieht es denn bitteschön aus?

" Wenn du dich gleich an deinem ersten Tag in England ans Steuer wagen möchtest, dann tu dir keinen Zwang an. Aber bitte nimm nicht mein Auto",sagte William während er sich an mir vorbei schob und die Autotür öffnete. Plötzlich machte es auch bei mir Klick. Wir waren in England, das heißt der Beifahrer sitzt auf der linken Seite. Wütenden über mich selber staffte ich durch den Schnee um das Auto herum, öffnete die Tür und setzte mich auf den Sitz. Ich schnallte mich an und sah stur gerade aus.

" Das muss dir nicht peinlich sein. Das passiert jedem Aupairmädchen mal"; hörte ich William neben mir sagen. Doch ich hörte ganz genau, dass er Mühe hatte ein Lachen zu unterdrücken.

"Können wir jetzt endlich losfahren, bitte", brachte ich zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor. William kicherte, startete den Motor und fuhr vom Parkplatz. Wir redeten nicht viel auf der Fahrt zu meinem neuen Zuhause. Zwar war meine Wut über mich selbst verflogen und William war eigentlich auch wirklich nett, aber ich war zu sehr damit beschäftigt die Landschaft zu genießen, die an uns vorbei zog. Wir durchquerten die unterschiedlichsten Dörfer und Städte und ich war ganz begeistert von England. Schon jetzt hatte ich mich verliebt. Irgendwann kam wir in eine etwas größere Stadt. Wir sind wahrscheinlich um die zwei Stunden gefahren und waren offenbar ziemlich weit weg von irgendeiner großen Stadt wie London oder Manchester. William fuhr durch die Stadt, bog mal hier, mal da ab und schließlich fuhr er in eine Straße hinein, in der sich Einfamilienhäuser aneinander reihte. Alle sahen unterschiedlich aus und doch gleich. Alle waren ungefähr zwei Stockwerke hoch, hatten einen schicken Vorgarten und vermutlich einen ebenso schicken Garten. William fuhr langsamer um anschließend in die Einfahrt einen Hauses einzubiegen. Plötzlich war mir ganz schlecht. Das war also das Haus, wo ich die nächsten Monate meines Lebens verbringen werde. Was, wenn die mich nicht mögen? Was, wenn die total doof sind? Gott, ich klang wie ein kleines Kind, das Angst hat am ersten Tag in die Schule zu gehen. Wiliam war inzwischen ausgestiegen, hatte mein Gepäck ausgeladen und ging Richtung Haustür. Als er merkte, dass ich ihm nicht folgte drehte er sich um, ging zurück zum Auto und öffnete meine Tür.

" Komm schon. Meine Familie ist zwar etwas komisch, aber du brauchst keine Angst haben", sprach er mir Mut zu. Ich seufzte, schnallte mich ab und stieg aus.

" Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig" und mit diesen Worten ging ich hinter William her zum Haus. Er schloss die Tür auf und bedeutete mir einzutreten. Wieder kaute ich auf meiner Unterlippe herum und trat ein. Ich hörte wie William die Tür hinter mir schloss, meine Koffer und meinen Rucksack auf den Boden stellte und laut nach seiner Familie rief. Sofort hörte ich eine Frauenstimme, die vermutlich aus dem Wohnzimmer kam und uns zu sich rief. William ging an mir vorbei Richtung Wohnzimmer und ich setzte mich auch langsam in Bewegung. Jetzt war es also soweit, gleich würde ich meiner neuen Familie gegenüberstehen. Noch einmal nahm ich einen tiefen Atmenzug und betrat schließlich das Wohnzimmer.

Von Fellbergen und Wackelpudding

 

Das erste was ich sah als ich das Wohzimmer betrat war eine riesige Fensterfront direkt vor mir. Die gesamte Länge des Zimmers war verglast und man konnte auf den Garten sehen, dahinter erstreckte sich eine wunderschöne grüne Landschaft. Genau wie im Film. Mein erster Gedanke jedoch war: EIN POOL!!!! Völlig in den gigantischen Ausblick vertieft der sich mir bot, nahm ich meine andere Umgebung kaum noch wahr. Bis mich etwas ziemlich feuchtes an der Hand berührte. Schnell zog ich meine Hand weg und sah mich angewidert nach dem Verursacher um. Doch ich fand nichts. Nichts außer einem braunen Fellberg, der sich schwanzwedelnd um sich selbst drehte und versuchte den besagten wedelten Schwanz zu fangen. Offenbar hatte er mit diesem Kunststück schon vor einer Weile begonnen, denn der Fellberg wurde immer langsamer, schwankte nun leicht hin und her bis er mit einem dumpfen Platsch auf dem Laminat landete. Anscheinden konnte Hunden auch schwindlich werden. Ich kicherte und blickte auf um den Rest meiner neuen Familie in Augenschein zu nehmen. Sie saßen alle auf dem Sofa, auch William hatte sich dort hingesetzt und alle sahen mich an. Die Frau sah wirklich...nett aus. Sie war schlank, hatte blonde Haare und sah aus wie eine dieser unheimlich erfolgreichen Karrierefrauen. Man kennt diesen Typ von Frau doch: Sie sind erfolgreich in irgendeinem großen Unternehmen, tragen diese steifen Kostüme und jeden Tag Absatzschuhe. Neben bei haben sie es irgendwie geschafft sich zwei verwöhnte Bastarde anzuschaffen um die sie sich allerdings nicht selbst kümmern, sondern sich eben Kindermädchen anschaffen. Doch ich möchte natürlich keine voreiligen Schlüsse ziehen, zu mal sich William ja schon als wirklich sympathisch herausgestellt hat. Also schon mal kein verwöhnter Bastard. Der Mann an ihrer linken war der perfekte Mann für sie. Er sah aus wie einer dieser reichen Männer, immerhin trug er einen Anzug und das zu hause!!!, aber trotzdem wirkte er wie ein Mann, der seinen Kindern bei Schulprojekten hilft und mit ihnen Fußball spielt. William kannte ich ja schon, doch wieder fiehl mir auf wie gut er aussah. Herr im Himmel, bitte lass es nicht zu, dass ich mich in William verliebe! Das wäre gar nicht gut und außerdem wäre das viel zu klischeehaft. Würde nur noch feheln, dass der andere Sohn von denen zufällig Mitglied dieser erfolgreichen britischen Boyband ist. Aber zum Glück ist das ja das wahre Leben ;) Wie auch immer, weiter im Text. Neben William saß noch ein kleines Mädchen, vielleicht zehn oder elf Jahre alt. SIe hatte eindeutig die Haare ihrer Mutter geerbt, denn sie vielen ihr in blonden Wellen den zarten Rücken herunter. Alles in allem sah die Kleine einfach zuckersüß aus. Jetzt erhob sich die Frau und kam auf mich zu.

"Hallo, Lara", sagte sie in einer angenehmen weichen Stimme," ich bin  Isabelle Lanckford, aber du kannst einfach Isa zu mir sagen. Ich freu mich so, dass du endlich da bist. Du wirst uns eine große Hilfe sein. Deine Anreise war hoffentlich angenehm?" stellte sie sich vor.

"Ähm...ja, danke. Ich freue mich auch endlich hier zu sein", antwortete ich und ärgerte mich, dass meine Stimme so leise und ängstlich klang. Jetzt stand auch Isas Mann auf, gefolgt von William und seiner kleinen Schwester.

"Ich bin Harry Lanckford. Sag einfach Harry", stellte sich der Herr des Hauses in einem etwas schroffen Ton vor. Er streckte seine Hand aus, ich nahm sie und drückte seine leicht. Danach dreht Harry sich zu seiner Familie um und gab seiner Frau sowie seiner kleinen Tochter jeweils einen Kuss auf die Stirn.

"Ich muss zurück ins Büro. Ich habe schon viel zu viel Zeit verloren. Wir sehen uns später." und mit diesen Worten verschwand er auch schon.

"Nimm es meinem Vater nicht übel. Er ist Anwalt für die Reichen und Schönen in England und die erwarten nun mal, dass ein Fall innerhalb von zwei Tagen erledigt ist. Normalerweise ist er ganz okay", versuchte William das Verhalten seines Vaters zu rechtfertigen. Dann schob er das kleine Mädchen, welches sich schüchtern hinter ihm versteckt hatte, vor sich und legte ihr beide Hände auf die Schultern.

"Und das ist Rose, meine kleine Schwester. Du wirst dich hauptsächlich um sie und Windsor, unseren Hund kümmern," er sah sich während des Sprechens im Raum um und runzelte schließlich die Stirn. Isa, Rose und ich folgtem seinen Blick. Und brachen alle in schallendes Gelächter aus. Denn Windsor hatte angefangen sich zu langweilen und begonnen die Vorhänge der Fenster zu bewundern. Nun saß er da, ein Hinterbein im Vorhang verfangen, ein Vorderbein hatte sich in der Kordel, die den Vorhang zu hält, verschlungen und er selbst hatte seinen nun erfolgreich gefangenen Schwanz im Mund.

"Ich werde Mrs. Smith darüber informieren, dass wir einen neuen Vorhang brauchen", sagte Isa schmunzelt," Ich denke, dass du Hunger haben wirst, Lara. Was hälst du von einem verspäteten Abendbrot? "

" Oh ja. Sehr gerne." Erst jetzt merkte ich, wie hunrig ich eigentlich war. Auch William sah ziemlich hungrig aus. So ging Isa mit uns und Rose im Schlepptau Richtung Küche. Und wie sollte es auch anders sein, die Küche war der Hammer. Groß, hell, geräumig und unglaublich modern. Der weiße Boden glänzte, genauso wie die Arbeitsplatten, der Herd und der große Esstisch an dem deutlisch mehr als nur vier Personen Platz hatte.

"Unsere Köchin meinte zu mir, sie habe etwas vorbereitet und wir müssen es nur noch aufwärmen. Vermutlich steht es im Kühlschrank. William, mein Lieber, sei so gut und deck schon mal mit Rose den Tisch", sagte Isa und wandte sich zum Kühlschrank. Ich stand nun mitten in der Küche, etwas verloren, während alle mit irgendetwas beschäfigt waren. Aber ich wollte auch nicht unhöflich sein und mich einfach an den Tisch setzten, also fragte ich, ob ich bei etwas behilflich sein könnte. Isa reichte mir sogleich eine gigantische Schüssel voll Wackelpudding, die ich vorsichtig zum Tisch trug. Was dann passiert rundete meinen ersten Tag in England perfekt ab. William war inzwischen fertig mit dem Tischdecken und füllte nun Windsors Futternapf auf. Der Hund erkannte schon an dem Rascheln der Tüte, dass es nun etwas zu essen geben sollte und rannte schnell wie der Blitz vom Wohnzimmer in die Küche Richtung Futternapf. Leider befand ich mich genau zwischen Küchentür und Futterplatz so dass ich von Windsor einfach umgerannt wurde. Der Hund war nämlich riesig und damit meine ich wirklich groß. Ich begann zu schwanken und versuchte mein Gleichgewicht wieder zu finden, doch das saß längst in einem Flugzeug nach Hawaii und so landete ich unsanft auf dem Po. In meinem kläglichen Versuch, die Balance wiederzuerlangen durch Armkreisen hatte ich natürlich die Schüssel mit Wackelpudding losgelassen. Doch offenbar hatte diese mich besonders ins Herz geschlossen, denn sie kehrte zu mir zurück. Und so kam es, dass ich an meinem ersten Tag in meiner neuen Gastfamilie mit zitterndem Wackelpudding auf dem Kopf in der Küche saß während sich meine Gastfamilie vor Lachen den Bauch hielt. Mit dem Rest Würde, der mir geblieben war stand ich auf, wobei der Wackelpudding auf meinem Kopf gefährlich zu wackeln begann.

"Wo ist denn das Bad?" fragte ich und versuchte dabei den Glibber, der mir übers Gesicht ran, zu ignorieren.

" Die Treppe hoch und dann links. Das ist dein eigenes Bad, direkt daneben ist auch dein Zimmer. John müsste inzwischen deine Koffer dorthin gebracht haben"; antwortete mir Isa, die nur mit Mühe einen weiteren Lachkrampf unterdrücken konnte, während ihre beiden Kinder sich inzwischen vor Lachen auf dem Boden kringelten. Na ganz toll. Ich ging also die Treppe hoch, immer noch mit dem Rest Wackelpudding auf meinem Kopf, öffnete die Badezimmer und schloss sorgfältig hinter mir ab, nachdem ich hineingegangen war. Was sollte das denn für ein Jahr werde, wenn ich schon so einen Start hatte??

Links-Rechts-Schwäche

Mit geschlossenen Augen tastete ich nach meinem Handy um den Wecker auszuschalten. Doch leider kannte ich mich nach 18 Jahren ziemlich gut, weshalb ich so schlau gewesen war und mein Handy gestern abend auf den Schreibtisch gelegt hatte, der natürlich am anderen Ende des Zimmers stand. Stöhnend erhob ich mich und tapste schlaftrunken zum Handy, um endlich den nervenden Wecker auszustellen. Nachdem das geschafft war, streckte ich mich und ging weiter ins angrenzende Badezimmer. Auf dem Weg dahin schnappte ich mir noch ein paar Kleidungsstücke, die ich im Bad achtlos auf den Boden fallen ließ, gefolgt von meinem Schlafanzug. Endlich stieg ich in die Dusche, die mich zum Glück mit einem schönen Strahl warmen Wasser erwartete. Im Anschluss daran noch die allmorgendlichen Aufhübschungsversuche und dann begab ich mich nach unten in die Küche. Isa hatte mir einen Zettel hinterlegt mit Dingen, die heute anstanden und einer Erinnerung, wann ich William und Rose wecken sollte. William wohnte mit seinen 19 Jahren noch zu hause, allerdings nur noch ein Jahr, dann würde er studieren. Zur Zeit arbeitete er als Kellner in einem Restaurant, doch er durfte keinesfalls zu spät kommen. Er hatte schon mehrere Ermahnungen deswegen bekommen und sein Chef würde das sicher nicht nochmal durchmachen. Während ich den Tisch deckte überlegte ich wie ich in die Stadt kommen sollte um die Dinge für Isa zu erledigen. Die Lackfords wohnen nämlich ziemlich außerhalb  in einem kleinen Vorort und in die Stadt ist es ein ziemlich weiter Weg. Da kein Bus fuhr musste ich das Auto nehmen. In England !! Aber irgendwie wird das schon klappen. Hoffentlich.

 

Nachdem ich Windsor noch schnell das Futter nachgefüllt hatte, ging ich die beiden Geschwister wecken. Zu erst William, dann Rose, dann nochmal William, dann nachsehen, ob Rose Hilfe im Bad braucht, dann William unsanft aus dem Bett schupsen. Anschließend ging ich nach unten. Wenig später kam eine kleine hüpfende Rose in die Küche.

"Guten Morgen"; begrüßte sich mich in einer Art Singsang und umarmte mich. Ich lächelte und schenkte ihr Kakao ein. Das kleine Mädchen fing sofort an zuplaudern und ich hatte Mühe hinterher zukommen. Irgendetwas von Einhörnern und Regenbogen. Egal. Ich saß einfach neben ihr, aß meine Cornflakes. Langsam machte ich mir Sorgen wegen William. Wo bleibt denn bloß? Er hatte nur noch 20 Minuten Zeit, dann fing seine Schicht im Restaurant an. Gerade als ich den Entschluss gefasst hatte, nochmal nach ihm zu sehen, kam er durch die Küchentür. Seine Haare waren wieder verwuschelt, vermutlich hatte er die fünfzehn Minuten für genau diesen perfekten Grad der Verwuschelung gebraucht. Ich musste mir leider eingestehen, dass er schon verdammt gut aussah in dem engen weißen Shirt und der schwarzen Hose. Und wieso waren mir seine Augen nicht schon gestern aufgefallen? Die Augen hatte er eindeutig von seiner Mutter, denn sie waren von einem strahlendem blau. Wobei, eigentlich eher türkis. Auf jeden Fall Augen, in denen man ( oder in diesem Fall wohl eher frau) sich verlieben konnte. Ich begrüßte ihn mit einem freundlichen Lächeln, das eventuell etwas zu strahlend ausgefallen war, doch William schien es nicht zu bemerken. Er brummte nur etwas vor sich hin, füllte Kaffee in einen Thermobecher, nahm sich eine Waffel und einen Apfel und war auch schon wieder weg. Als ich sein Auto die Ausfahrt rausfahren hört, fiel mein Blick auf die Küchenuhr. Verdammt, wenn ich und Rose nicht zu spät in der Vorschule sein wollte, dann mussten wir jetzt los.

" Wir müssen los, Rose. Du willst doch nicht zu spät kommen", sagte ich. Sie streckte mir ihre kleine Hand entgegen, ich nahm sie und wir gingen in den Flur um uns für das typische Englandwetter, das aus Regen, Nebel und Wind bestand, anzukleiden. Rose in einem pinken Hello Kitty- Regenmantel und den passenden Gummistiefeln, ich dagegen in meinem schwarzen Parka und Boots. Nachdem das geschafft war und ich außerdem den Kampf mit Windsor und der Leine gewonnen hatte, machten wir uns auf den Weg zur Vorschule.

 

Vermutlich würde man für den Weg nicht mehr als 15 Minuten brauchen, doch mit einem hüpfenden, in Pfützen springendem, vor sich laut her singendem Kind und einem überall schnüffelnden, ebenfalls in Pfützen springendem und zu dem Gesinge des Kindes laut jaulenden Hund, braucht man für den Weg eine halbe Stunde. Endlich war das geschafft. Ich übergab Rose der Vorschullehrerin und bekam vorher von der Kleinen noch einen dicken Kuss auf die Wange. Gott, war die goldig. Nun machte ich mich wieder auf den Rückweg, der erstaunlicher Weise schneller war, als der Hinweg. Windsor war ganz brav und machte überhaupt nichts von dem, das er auf dem Hinweg getan hatte. Interessant. Offenbar ließ sich der Hund von Rose beeinflussen.

 

Wieder zu Hause angekommen, konnte ich die Leine bei Windsor gar nicht schnell genug abmachen, denn der Hund zog und zerrt daran. Als ich endlich soweit war, rannte er auch schon mit einer wahnsinns Geschwindigkeit in die Küche zum Futternapf. Meine Güte, war der Hund verfressen. Ich machte mir nicht die Mühe, meinen Regenmantel auszuziehen, sondern streifte mir nur meine Boots ab, ging in die Küche, machte noch schnell den Abwasch und nahm den Autoschlüssel und die Liste mit den Dingen, die zu erledigen sind, an mich. Ich rief noch ein kurzes "Mach's gut, Windsor" in Richtung des Hundes, der kurz aufschaute und sich dann wieder seinem Futternapf widmete. Lächelnd ging ich zur Tür hinaus, schloss ab und ging zur Garage. Mr. Lanckford war so nett und hatte das Auto heute morgen schon aus der Garage gefahren, damit ich wenigstens diese ganz ließ, wenn ich schon das Auto umbringen werde. Ich seufzte und stieg ein. Verdammt, war das ungewohnt auf der falschen Seite zu sitzen. Ich schluckte schwer, startete den Motor und fuhr langsam aus der Einfahrt heraus. Zum Glück waren Gas und Bremse an der gleichen Stelle und Blinker und Scheibenwischer auch. William hatte mir gestern Abend, als ich mich wieder getraut hatte ihm und dem Rest seiner Familie nach dem Wackelpuddingunfall unter die Augen zutreten, erklärt, dass das nicht bei jedem englischen Auto der Fall ist. Ich dankte Gott für diesen glücklichen Zufall. Als ich aus der Einfahrt fuhr musste ich mich verdammt konzentrieren  nicht auf die rechte Fahrbahnseite zu fahren.

 

Alles in allem war dieses Auf-der-falschen-Seite-fahren gar nicht so schlimm. Ich gewöhnte mich daran, auch wenn ich jedes Mal panisch aufschrie, wenn ein Laster an meiner rechten Seite vorbei fuhr. Sogar das rechts Abbiegen klappte einwahnfrei, so dass ich bequem in die Stadt gelangte. Dort angelangt ging ich zuerst in die Reinigung, holte Kleider und Anzüge für Isa und ihren Mann ab. Anschließend fuhr ich quer durch die Stadt, was mir einige Nerven kostete, um Hundefutter zu besorgen. Ich schluckte als mir der Verkäufer den Preis nannte. Umgerechnet 100 € für Hundefutter! Meine Eltern würden mir einen Vogel zeigen, sollte ich jemals so viel für Hundefutter ausgeben. Kopfschüttelnd gab ich dem kleinen, dicklichen Verkäufer das Geld, lächelte zum Abschied und wuchtete den 5kg schweren Sack ins Auto. Wirklich eine Leistung, fand ich. Denn das Auto war ein Rangerover und so mit entsprechend hoch. Auch der Kofferraum. Nachdem auch diese Hürde bewältigt war, fuhr ich zu dem Einaufszentrum der Stadt. Das Parfüm und die spezielle Hautcreme für Isa waren schnell besorgt und ich entschied, dass es jetzt Zeit für eine Pause war. Ganz klischeemäßig suchte ich den Starbucks auf, um mir einen Kaffee zu bestellen, so wie sich das für ein modernes Mädchen von Wlet gehörte. Ich reihte mich in die Schlange ein, die zum Glück nicht sehr lang war und kramte nach Kleingeld.

"Guten Tag, hübsche Frau. Was darf's sein?" fragte der junge Mann hinter dem Tresen mit einem strahlendem Lächeln. Ich lächelte zurück, allerdings nicht ganz so strahlend und bestellte meinen Kaffee.

"Wie ist dein Name?"

"Lara", erwiderte ich.

"Oh, ein schöner Name für eine schöne junge Frau", meinte daraufhin der Typ, zwinkerte mir zu und schrieb meinen Namen auf den Kaffeebecher. So langsam ging mir das auf den Keks. Ich lächelte trotzdem weiter, bezahlte und wartete auf mein Getränk. Als ich dies endlich bekam ,ging ich. Ohne mich nochmal nach dem Flirtweltmeister umzusehen. Mit dem Kaffee in der Hand schlenderte ich durch das Einkaufzentrum Richtung Ausgang. Am Auto angekommen, stieg ich ein, verstaute den halbvollen Becher in der dafür vorgesehnen Ablage, startete den Motor und fuhr Richtung zu Hause.

 

Das Linksfahren machte mir kaum noch Probleme und so beschloss ich, die Autofahrt zu genießen. Ich schaltete das Radio ein und begann bei den Liedern, die ich einigermaßen kannte, lauthals mitzusingen. Ich bog rechts ab und schlug den Weg in den Vorort ein, in dem die Lanckfords wohnte. Plötzlich rumste es. Das Auto kam ruckartig zum stehen und ich wurde in meinem Sitz nach vorne geschleudert. Mein Kopf knallte auf das Lenkrad und mir wurde schwarz vor Augen.

 

Ein verhängnisvoller Autounfall

 

"Oh mein Gott. Alles okay bei dir? Es tut mir ja so leid. Ich wurde abgelenkt. Das ist alles meine Schuld. Geht es dir gut?" hörte ich eine Stimme nah an meinem Ohr sagen. Langsam öffnete ich die Augen und sah mich um. Ich saß immer noch im Auto, das Lenkrad vor mir war mit Blut beschmiert. Der Innenraum füllte sich langsam mit dem Geruch von kaltem Kaffee und auch meine Hose sah so aus, als ob da etwas von dem Rest meines leckeren Kaffees drauf gelandet wäre. Halt! Wo kam das Blut her? Verwirrt taste ich meinen Kopf ab und merkte eine eigenartige Nässe an meiner Hand. Ich schaute nach unten auf meine Hand, die seltsam rot verfärbt war. Hä? Wo kommt denn die rote Farbe her?

"Verdammt, du blutest auch noch. Und vermutlich hast du auch noch eine Gehirnerschütterung. Am besten ich ruf den Notarzt an." Ich drehte mich in Richtung der Stimme und blickte in das Gesicht eines jungen Mannes. Zwar habe ich immer noch keine Ahnung, was genau hier los ist, aber mein Gehirn funktioniert noch gut genug um zu realisieren, dass ich es mit einem äußerst heißem Exemplar der männlichen Spezies zu tun habe. Blonde Haare in einem dieser modernen Haarstyles bei denen die Seiten kurz sind und der obere Teil der Haare länger. Dazu blaue Augen und ein Gesicht bei dem der David von Michelangelo einpacken kann. Wieso durfte so jemand existieren? Vielleicht war er ja ein Vampir, das würde auf jeden Fall sein gutes Aussehen erklären. Gott, wieso dachte ich jetzt an Twilight? Hat der Typ nicht irgendwas von Gehirnerschütterung erzählt?

"Was ist denn passiert?" fragte ich den jungen Mann neben mir, der lächelnd auf sein Handy an seinem Ohr deutete und zwei Finger hochhielt. Ich runzelte die Stirn. Was wollte er mir denn damit sagen? Ich entschied, dass es Zeit für ein bisschen Bewegung war. Vorsichtig kletterte ich aus dem Auto und hatte zu meinem Glück bald festen Boden unter den Füßen. Nur leider wollte mein Körper den kalten schlammigen Boden unbedingt überall spüren, weshalb ich zu schwanken begann und mich langsam aber sicher Richtung Erdboden bewegte.Ich sah mich schon on oben bis unten mit Dreck beschmiert, doch ich bewegte mich auf einmal nicht weiter. Ich blickte mich um und erkannte, dass Mister Mein- Gesicht-bringt-dich-zum-Schmelzen mich festhielt. Er stellte mich wieder auf den Boden und ich lehnte mich sicherhaltshalber an das Auto.

"Du hättest lieber im Auto bleiben sollen. Mit meinen zwei Semestern Medizin weiß ich zwar noch nicht viel, aber ich bin mir sicher, dass du eine Gehirnerschütterung hast und die Platzwunde am Kopf sieht nicht gerade gut aus." Der Typ ist gut. Hatte er doch mal ebenso nebenbei eingeworfen, dass er Medizin studiert. Super echt, als wäre sein gutes Aussehen nicht schon genug, der Typ musste auch noch Leben retten. Das war wirklich zu viel des guten.

 

"Was genau ist denn eigentlich passiert? Ich kann mich nicht erinnern", fragte ich nochmal. Ich wollte jetzt endlich mal wissen, warum ich offenbar eine Platzwunde am Kopf und noch dazu eine Gehirnerschütterung hatte. Mein Gegenüber fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

"Es tut mir so wahnsinnig leid. Das ist alles meine Schuld. Ich bin sowieso schon zu weit auf der Mitte gefahren und dann ist mir während des Telefonierens mein Handy runtergefallen. Ich hab nachgesehen, ob mir ein Auto entgegenkommt und da das nicht der Fall war, hab ich mich kurz gebückt um es aufzuheben. Als ich wieder hochkam, war ich auf der anderen Straßenseite und du kamst um die Ecke gebogen. Ich konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen und wir sind zusammengekracht. Alles okay bei dir?" fragte er mit einem Mal besorgt. Vermutlich hat er mein Stöhnen auf meine Verletztung bezogen, aber ich hatte eigentlich eher aufgestöhnt, weil ich das Auto der Lanckfords zu Schrott gefahren habe, am ersten Tag! Gut, nicht ganz zu Schrott, eigentlich ist nur eine Seite etwas eingebeult, aber trotzdem. Ich blickte auf die Uhr an meinem Handgelenk. Und atmete erleichtert auf. Ich musste erst in einer Stunde bei Rose in der Vorschule sein um sie abzuholen. Erst jetzt realisierte ich, dass der Mann vor mir eine Frage gestellt hatte.

"Ähm...ja. Mir geht's gut. Naja, nicht wirklich. Weißt du, dass ist nicht mein Auto, sondern das von der Familie bei der ich als Au-pair angestellt bin. Und ich habe keine Ahnung wie ich denen das erklären soll. Und überhaupt, was mach ich jetzt mit dem Auto? So kann ich doch nicht mehr fahren. Wie soll ich jetzt bitteschön nach Hause kommen?" mein Kopf fing an zu schmerzen vor lauter Fragen. Der junge Mann mir gegenüber lächelte und legte seinen Zeigefinger auf meine Lippen, was mich zum sofortigen Verstummen brachte.

"Wir warten jetzt erstmal auf den Notarzt. In der Zwischenzeit ruf ich bei meiner Werkstatt an, die sollen die beiden Wagen abholen und mir außerdem einen Ersatzwagen schicken mit dem ich dich dann nach Hause bringen kann. Ich bin übrigens James", sagte er und reichte mir die Hand. Ich ergriff sie und stellte mich ebenfalls vor:" Ich bin Lara. Und das ist alles wirklich nett von dir."

"Keine Ursache, schließlich ist das alles meine Schuld. Und außerdem muss ich so einer hübschen Frau doch einfach meine Hilfe anbieten", fügte er mit einem Zwinkern hinzu. Ich versuchte schnell wo anders hinzusehen, bloß nicht in diese blauen Augen. Aber James hatte offenbar etwas anderes im Sinn. Er ergriff mit seiner Hand mein Kinn und zwang mich so, ihn anzusehen. Diese Augen waren wirklich ein Traum. Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, was mir auch gelang. Doch James wollte mich nicht so einfach davon kommen lassen und stützte lässig seine beiden Arme neben mir ab. Zwar in einer ziemlich lockeren Haltung, aber mir ließ er kein Sück Bewegungsfreiheit. Seine Augen kamen immer näher. Ich blickte nach unten und sah, dass seine Lippen nur noch wenige Centimeter von meinen entfernt waren. Gott im Himmel, ich würde gleich von einem Typen geküsst, den ich geschlagene 10 Minuten kannte. Meine Hand hob sich und ich legte sie ihm auf die Brust, um anschließend mit meiner ganzen Kraft zu drücken. Er taumelte nach hinten und sah mich verwundert an.

"Ich habe keine Lust darauf mit einem wildfremden Typen herumzuknutschen, während wir auf den Notarzt warten, nur weil ihm gerade danach ist", gab ich wütend von mir. Ich watete durch den Schlamm und setzte mich anschließend auf die Motorhaube meines Autos.

 

Dort saß ich, ließ meine Beine baumeln und starrte auf die Straße, in der Hoffnung dort jeden Moment einen Krankenwagen zu sehen. Ich hörte Schritte neben mir und registierte aus den Augenwinkeln, dass James neben mir stand, lässig an das Auto gelehnt. Ich würdigte ihn keines Blickes.

"Es tut mir leid", begann er, doch ich fiehl ihm ins Wort. "Das sagst du ganz schön oft heute."

"Ja, das hast du wohl recht. Aber es ist die Wahrheit. Es tut mir leid. Es war nicht gerade die feine englische Art dich einfach küssen zu wollen." Ich versuchte immer noch, ihn nicht anzusehen. Aber ich könnte wetten, dass er genau in diesem Moment einen Hundeblick drauf hatte mit dem kein Hund mithalten konnte. Endlich sah ich ein Auto mit Blaulicht auf uns zu kommen. Schnell sprang ich vom Wagen, leider etwas zu voreilig. Wieder wollte mein Körper unbedingt Bekanntschaft mit dem Boden machen, aber wieder hielt James ihn davon ab.

 

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Ich befühlte vorsichtig das Pflaster an meinem Kopf. Die Schmerztablette, die mir der Arzt gegeben hatte, fing langsam an zu wirken und ich spürte nur noch ein dumpfes Pochen an der Stelle. Meine Kopfschmerzen waren auch verschwunden und zum Glück hatte ich keine Gehirnerschütterung. Trotzdem sollte ich mich in den nächsten Tag lieber etwas ausruhen, hatte der Arzt mir geraten. Ich ließ mich tiefer in den Sitz des Leihautos sinken, dass James von seiner Werkstatt geschickt bekommen hatte. Im Innenraum des Wagens hatte sich, so bald wir beide eingestiegen waren, eine peinliche Stille ausgebreitet. Ich hatte keine Lust mit ihm zu reden und er wusste offenbar nicht, was er mir zu sagen hätte. Glücklicherweise war es bis zum Haus der Lanckfords nicht mehr weit und ein Ende dieser unangenehmen Autofahrt war in Sicht.

 

Endlich bog James in die Straße ein, hielt vor dem Haus und machte den Motor aus. Ich wunderte mich darüber, doch ich kümmerte mich nicht weiter darum. Rose wartete bestimmt schon auf mich, denn leider hatte das alles länger gedauert als gedacht und auch Windsor würde schon ganz ungeduldig sein. Bitte lieber Gott, lass ihn sein Geschäft nicht inzwischen auf Isas treuem Perserteppich erledigt haben. Ich machte Anstalten die Tür zu öffnen und auszusteigen, aber James packte mich am Arm und hinderte mich daran. Ich drehte mich zu ihm um, nur um Sekunden später seine Lippen auf meinen zu spüren.

Und ich hörte die Englein im Himmel singen.

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Tag der Veröffentlichung: 19.11.2014

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