Es tut so weh, dachte ich immer und immer wieder, während ich die Tasche packte. Jemanden gehen zu lassen und nicht zu wissen, wann man sich wieder sieht, ach es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt. „ Nun beeil dich doch. Mach schon, wir müssen von hier weg!“ „ Nun hetz mich doch nicht so. Kannst du dir nicht vorstellen wie unerträglich es ist, seinen eigenen Sohn zurück zulassen? Nicht zu wissen, ob ich ihn je wieder sehen werde?“ Und dann kamen die Tränen. Die Tränen, die ich seit meinem siebzehnten Geburtstag verborgen habe, kamen nun und rollten unaufhörlich über meine Wangen. Er nahm meine Hand und zog mich an sich. „ Wir werden ihn wieder sehen. Und außerdem lassen wir ihn nicht ohne Schutz zurück. Finn und Elisa werden sich um ihn kümmern. Aber nun komm.“ Zwar beruhigten mich seine Worte nicht im Mindesten, doch er hatte Recht, es war Eile geboten, wenn wir nicht wollten, dass sie uns erwischten. Allerdings stellte ich mir die Frage, ob es besser war wenn mein Sohn ohne Eltern aufwächst, weil diese tot sind oder weil sie gehen, nein fliehen mussten.
Ich nahm die fertig gepackte Tasche und die Hand, die er mir entgegen streckte. Ich ging mit ihm zur Tür und rang mit mir, mich nicht noch einmal umzudrehen, um meinen schlafenden Sohn zu betrachten. Ich legte den Kopf auf seine Schulter und ließ mich von ihm durch die Tür in die eisige Nacht führen, ohne zu wissen was vor mir lag.
10 Jahre zuvor
Ich war mal wieder spät dran. Typisch, es war doch klar dass ich ausgerechnet am ersten Schultag zu spät dran bin. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, mich zu bessern. Allerdings bekam ich in letzter Zeit diese seltsamen Träume, von Bildern die sich bewegen, einem runden Tisch mit dreizehn Stühlen auf denen mit Kapuzen bedeckte Leute saßen und um alles perfekt abzurunden musste ich auch noch dauernd von einem unglaublich süßen Typen träumen. Nach diesen Träumen wachte ich jedes Mal schweißgebadet in meinem Bett auf und konnte erst Stunden später wieder einschlafen, weshalb ich früh immer ganz durcheinander und verwirrt bin und somit Ewigkeiten zum Anziehen und für die Schule fertigmachen brauche.
Super, dachte ich, als ich durch die menschenleeren Flure hetzte. anscheinend bin ich später dran als ich dachte. Doch diesmal war es wirklich nicht meine Schuld! Ich bin extra früh aufgestanden um mich fertig zu machen, dank der Schuluniform hatte ich nicht das Problem mit den Klamotten und schminken und Haare machen war schnell gemacht. Ich ging also runter in die Küche und auf dem Weg dahin schlug mir schon der Duft von warmen Äpfel, frischen Brötchen und heißen Waffeln entgegen. Darunter mischten sich der Geruch von Kaffee und Kakao und das Parfüm meiner Mutter. Als ich die Küchentür öffnete saßen mein Vater, meine beiden kleinen Geschwister und meine Mutter schon am Tisch. Ich setzte mich auf meinen Platz, nahm mir eine heiße Waffel, stibitze meinem Bruder ein Stück Apfel und nahm die klebrigen Hände meiner Schwester von meinem Rock. Mein Vater las die Zeitung und spielte nebenbei an unserem prähistorischen Radio herum. Eigentlich war alles prähistorisch, denn mein Opa erlaubte nicht irgendetwas wegzuwerfen. Mein Vater hatte anscheinen einen Sende gefunden, der ihm gefiel, denn er hörte auf zu drehen und lehnte sich entspannt zurück. Ich hatte das Lied noch nie gehört, doch es gefiel mir. Ich schloss die Augen und ließ mich von der Musik tragen. Das war so eine Eigenart von mir. In Musik und Kunst gehe ich immer voll auf. Deshalb sind meine Noten in diesen Fächern auch besonders gut und leider in Mathe, Physik und Co. nicht. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich auf einmal einen Gitarristen vor mir. Der war vermutlich genauso geschockt wie ich, denn er hatte aufgehört zu spielen.
„ Ähem, Entschuldigung, aber wie um alles in der Welt bist du hier rein gekommen? Bist du einer dieser verrückten Groupies die durch Lüftungsschächte klettern?“
„ Nein“, antwortete ich, „ ich weiß selber nicht mal wie ich hier her gekommen bin.“ Ich hatte meinen Satz noch nicht beendet, da war ich auch schon wieder in meiner Küche zuhause.
„ Was genau machst du da?“ fragte mich meine Mutter. Ich blinzelte und merkte, dass ich vor unserer Küchenwand stand. Seltsam.
„ Schatz, du musst los. Wir wollen doch nicht, das du an deinem ersten Schultag zu spät kommst.“ Mein Vater stand auf und ging in den Flur um sich seine Jacke und die Autoschlüssel zu holen. Ich war immer noch ganz durch einander, dass ich gar nicht merkte, dass ich immer noch vor der Wand stand. Erst als meine kleine Schwester mich am Ärmel zog kehrt so langsam die Realität wieder zurück. Was war da grade passiert? Wurde ich jetzt endgültig verrückt?
Immer noch total durcheinander stieg ich ins Auto ein. Mein Vater und ich reden normalerweise die ganze Fahrt über bis zu meiner Schule. Aber heute war mir nicht zum Reden zu mute. Mein Vater fing zwar ein paar Gespräche an, allerdings konnte ich mich nicht darauf konzentrieren, was er sagte. Schließlich gab er auf und schaltete das Radio ein. Ich mochte das Lied, es war „Lemontree“ von Foolsgarden. Ich schloss die Augen und lehnte mich entspannt zurück, wippte dabei meinen Kopf im Takt der Musik und summte mit. Als ich die Augen öffnete erklangen grade die letzten Akkorde des Liedes und ich sah die verschwommene Gestalt eines Sängers und einer Band. Sofort war es vorbei mit meiner Entspannung. Ich setzte mich kerzengrade auf und rieb mir die Augen. Das alles war diesmal so schnell gegangen, dass ich mir nicht sicher war, ob das alles wirklich passiert war. Mein Vater blickte mich erstaunt von der Seite an.
„ Heute ist, glaube ich, nicht so dein Tag oder?“
„ Nein, irgendwie nicht. Liegt wahrscheinlich an dem Schlafentzug“, antwortete ich ihm.
„ Na dann solltest du nicht so viel lesen und früher ins Bett gehen“, sagte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht, da er wusste, dass ich mir von niemanden vorschreiben ließ, wann ich lese oder auch was.
Als wir an der Schule ankamen, waren wir richtig pünktlich dran. Es war erst halb acht und so stand ich in einer riesigen Schülermenge und winkte dem Auto meines Vaters hinterher. Als das Auto verschwunden war, schlenderte ich in Richtung Klassenraum. Ich freute mich nicht besonders auf diesen Tag, denn montags war naturwissenschaftlicher Tag. Bei uns an der Schule waren die Schulstunden nicht durcheinander, sondern wir hatten Block Unterricht. Das heißt, wir haben montags und mittwochs Mathe, Physik, Biologie und Chemie, dienstags und donnerstags Englisch, Deutsch , Französisch, Geschichte und freitags Musik, Kunst, Sport und unser Wahlfach( das ist besonders cool, denn als Wahlfächer gibt es auch Backen oder Polospielen). Ich ging so langsam wie möglich zum Klassenraum, da ich mich nicht grade motivier war, was Chemie angeht. Als ich die große Treppe zu den Klassenräumen hinaufging, nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Ich drehte mich nach links, doch da war niemand, nur diese Bild von einer Frau. Ich wusste nicht mehr genau wer es war, bei solchen Sachen ist mein Gehirn wie ein Sieb. Ich ging darauf zu um es mir genauer anzusehen, und plötzlich zwinkerte mir die Frau auf dem Bild zu. Ich schöre, dass ich keine Drogen nehme, nicht rauche und nicht trinke, weshalb das weder eine Entzugserscheinung, noch die Nebenwirkung irgendwelcher Pillen sein konnte. Ich kniff die Augen zusammen und öffnete sie ganz langsam wieder. Die Frau auf dem Bild zwinkerte mir wieder zu. Ich war so erschrocken, dass ich einen Satz nach hinten machte, von der Treppenstufe abrutschte und auf meinem Po die Treppe nach unten sauste. Unten angekommen sah ich mich nach allen Seiten um, ob jemand etwas mitbekommen hatte. Doch die Fluren waren leer. Ich sah auf meine Armbanduhr und merkte, dass es vor 5 Minuten zum Unterricht geklingelt hatte. Ich nahm meine Tasche und rannte nach oben in den Chemieraum. Als ich vor der Tür stand um zu klopfen überkam mich auf einmal die Angst. Was passiert mit mir? Werde ich verrückt? Ich holte tief Luft und versuchte mich zu beruhigen. Rücken grade, Brust raus und Kinn nach oben, hatte meine Großmutter immer gesagt. Ich klopfte und trat ein. War doch klar, dass alle mich anstarrten und niemand mehr Hasenzähnchen, ähm Mr. Brown zuhörte. Ich errötete und sah zu Boden.
„ Nun ,Miss McCorry. Was haben Sie diesmal für eine Ausrede für uns?“ fragte Mr. Brown.
„ Keine. Ich habe einfach verschlafen, “ antwortete ich und ging auf meinen Platz. Meine beste Freundin Maggie saß schon da und wartete gespannt auf meine Geschichte. Ich hatte ihr nämlich im Auto eine SMS geschrieben und sie um Hilfe gebeten. Denn wenn ich irgendein Problem hatte, dann sprach ich als erstes mit Maggie darüber. Denn Maggie kannte sich aus. Sie war ein kleines, etwas dickliches Mädchen mit blonden Haare und eine riesigen Brille. Auch wenn ihr Äußeres drauf schließen lässt, dass sie die totale Oberstreberin ist( ist sie leider auch!), ist Maggie unheimlich nett, kein bisschen schüchtern und eben meine beste Freundin. Maggie sah mich mit großen Augen an und hüpfte auf ihrem Stuhl hin und her. Während Mr. Brown uns darüber aufklärte welche Foltermethoden er sich für dieses Schuljahr für uns ausgedacht hatte, erzählte ich Maggie was mir seit meinem Geburtstag alles passiert ist. Denn mittlerweile war mir aufgefallen, dass mir schon vorher seltsame Dinge passiert sind, allerdings erst als ich siebzehn wurde. Maggie schrieb sich alles auf und irgendwann war ihr Blatt voller bunter Fragezeichen, eingekreisten Begriffen und Pfeilen, die ins Nirgendwo führten. Als es klingelte zuckten wir beide zusammen, wir hatten gar nicht gemerkt, dass die Chemiestunde schon vorbei war. So ging es eigentlich den ganzen Tag weiter. Wir brachten einen ganzen Tag voller schrecklicher Fächer hinter uns, ohne auch nur das Geringste gelernt zu haben. Außer natürlich, dass ich unbedingt mit meinen Eltern sprechen sollte. Ich und Maggie gingen zur Bushaltestelle und lästerten über Lucy. Lucy war so etwaas wie unsere Schulmatratze. Sie hatte wahrscheinlich jeden schon mal durch und fing jetzt an mit Studenten auszugehen. Heute holte sie ein Typ in seinem roten Cabrio ab. Total lächerlich, finde ich. Denn wir sind in England und da regnet es fast das ganze Jahr. Und wenn es nicht regnet, dann ist der Wind so stark, dass du förmlich weg gepustest wirst. Wie auch immer, während wir anderen auf den Bus warteten, stieg Lucy in das Auto und der Typ brauste davon. Sofort begannen um uns herum hitzige Diskussionen, wer der Typ war, wie gut er doch aussah, das er perfekt zu Lucy passte. Maggie beteiligte sich angeregt an den Lästereien, auch wenn man meinen sollte, dass jemand mit ihrem Körper nicht grade über Lucy- Seht-her-mein-Körper-ist-perfekt lästern sollte. Doch ihr war das egal und dafür liebte ich sie. Als der Bus kam und Maggie und ich uns Plätze weit weg von den anderen gesichert hatten, redeten wir wieder über meine „ Besonderheit“, wie Maggie es nannte. „ Du musst mich unbedingt sofort nach dem Gespräch mit deinen Eltern anrufen. Gott, ich bin ja so aufgeregt. Hörst du mir überhaupt zu?! Du musst mich sofort anrufen, versprich es mir. Und wenn sie dir nicht glauben und dich zum Psychater schicken wollen, rufst du mich auch an! Hörst du, versprich es mir!!!“ So ging es die ganze Fahrt über weiter. Ich nickte und lächelte vor mich hin. Maggie hatte nicht eine Sekunde daran gezweifelt, dass mir diese Dinge passiert sind. Ich habe ihr das alles erzählt und sie war sofort Feuer und Flamme. Eigentlich hätte es mich nicht überraschen müssen. Maggie war mit übernatürlichem aufgewachsen. Ihre Großmutter war eine Hexe, ihre Mutter und ihre Tante ebenfalls. Sie kannte sich mit solchem Zeug aus, weshalb ihr erster Gedanke, nach dem ich ihr alles erzählt habe war, „ Sobald ich zu Hause bin, frage ich meine Mum danach!“ Was vermutlich keine schlechte Idee war.
Ich musste vor Maggie aussteigen, die mich vorher noch einmal eindringlich beschwöhrte sie anzurufen, nach dem ich mit meinen Eltern geredet haben. Und wehe mir, ich sage meiner Mutter und meinem Vater nichts von meinen „ Erfahrungen“. Ich stieg als aus dem Schulbusungetüm und winkte Maggie noch einmal zu. Dann ging ich auf unser Haus zu. Wir hatten eines der ältesten hier in der Gegend und das schönste, fand ich. Es war groß, sehr groß. Unser Haus hatte am Eingang zwei Säulen, die es noch älter machten. Auch innen hatte das Haus etwas von Antiquariat, denn mein Großvater wohnte noch bei uns und erlaubte nicht irgendetwas wegzuschmeißen. Ich betrat unsere Eingangshalle. Mir strömte der Duft von frischer Lasagne entgegen. Ich folgte dem Duft in die Küche und fand dort meine Mutter, meinen Großvater und meine beiden kleinen Geschwister. Meine Mutter lächelte mich an und schob mir einen Teller Lasagne zu. Mein knurrender Magen forderte mich auf, sofort zu zuschlagen und das machte ich auch, denn laut Maggie sollte ich mein Leben solange genießen wie ich nur konnte. In der Irrenanstalt ging das nämlich nicht. Nachdem ich satt und zufrieden war begann ich damit, meiner Mutter alles zu erzählen. „ Also Mum, ich muss dir da etwas erzählen“, begann ich.
„ Was hast du auf dem Herzen, mein Mäuschen? Hat dich dein Mathelehrer wieder geärgert, dieser Mr. ach wie heißt er noch gleich? Verdammt, ich kann mir seinen Namen einfach nicht merken“, sagte meine Mutter.
„ Nein, nein, Mathe war okay“, antwortete ich und schnitt eine Grimasse. Sie wusste nur zu gut, dass Mathe nie „okay“ war.
„Es ist etwas anderes. Seit meinem siebzehnten Geburtstag passieren seltsame dingen.“ Bei diesen Worten hörte mein Großvater auf Zeitung zu lesen und wandte sich zu mir.
„ Also, manchmal, da passieren, naja, also da“, stottere ich rum. Ich weiß einfach nicht, wie es sagen soll, das es nicht so klingt, also ob ich geistesgestört bin.
„ Ich meine, zum Beispiel heute Morgen, da hatte Pa so ein Lied im Radio gefunden und ich habe die Augen geschlossen und als ich sie wieder öffnete war ich nicht mehr in unsere Küche, sondern im Aufnahmestudio bei der Band, die das Lied gespielt hat. Und heute in der Schule, da hatte ich das Gefühl, dass mir die eine frau auf dem Bild zugezwinkert hat.“
Meine Mutter und mein Großvater sahen sich an. Na toll, jetzt halten sie mich für verrückt und lassen mich wegsperren, damit ich keine Gefahr für meine Umwelt darstelle.
„ Sie weiß es“, flüsterte meine Mutter.
„ Ich habe doch gesagt, dass sie diejenige ist, bei der alles stimmt“, antwortete mein Großvater.
„ Du weißt, was das bedeutet, James“
„ Ja weiß ich. Aber wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren! Ich bleibe hier bei den Kleinen und rufe Tom an, dass er von der Arbeit nach Hause kommt. Du bringst sie zum Rat“, sagte mein Großvater. Und ich? Ich verstand nur Bahnhof. Meine Mutter nahm mich am Ellenbogen und zog mich hoch.
„ Komm mein Schatz. Wir müssen das regeln“, sagte sie zu mir.
„ Aber Mama, ich kann jetzt nicht weg! Ich habe massenweise Hausaufgaben und muss für Mathe lernen“
„ Das ist jetzt nicht mehr wichtig. Na los, beeil dich“, antwortete meine Mutter und klang dabei ein bisschen gereizt. Ich gab mich geschlagen und folgte ihr im Eiltempo zum Auto. Die ganze Fahrt über sagte meine Mutter kein einziges Wort und ich war zu nervös um das Schweigen zu brechen. Als wir ungefähr 15 Minuten gefahren sind, merkte ich, dass ich diese Gegend noch nicht kannte. Das heißt, halt. Ich kannte die Gegend doch. Wir fuhren in einen Ort hinein, der mir merkwürdig bekannt vorkam. Um es zu testen kramte ich in meinen Erinnerungen nach Details. Wenn man bei der nächsten Kreuzung nach rechts sah, konnte man einen kleinen Laden entdecken, der von Klamotten über Lebensmittel bis hinzu Waschbecken alles verkaufte. Der Laden hieß „At Home“ und der Besitzer war Mr. Koch. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Als ich sie wieder öffnete und nach rechst schaute, sah ich den Laden. Er sah noch genauso aus, wie vor etlichen Jahren. Heilige Mutter Gottes, meine Mutter brachte mich tatsächlich nach NewSterlings. Hier hatten wir gelebt bis ich zehn war, dann kamen die Zwillinge und wir zogen weg. Was zum Teufel wollten wir hier? Dieses Dorf hatte die bescheidene Anzahl von 387 Einwohnern, meine Gott, hier gab es nicht mal einen Kindergarten. Ich wollte meine Mutter grade fragen, was das hier sollte, da hielten wir an. Als ich ausstieg sah ich, dass es das Haus von Mr. Phillips ist, ein alter Freund der Familie. Das Haus war groß und aus dunklen Steinen erbaut. Den Eingang schmückten zwei Säulen, die mit seltsamen Zeichen versehen waren. Ich sah mich um und entdeckte die große alte Eiche, an der früher eine Schaukel gehangen hatte. Mein Vater hatte sie mir aus einem alten Traktorreifen und Seilen gebaut. Meine Mutter nahm meine Hand und zog mich in das Haus. Ich konnte mich nicht mehr genau daran erinnern, wie das Haus von innen aussah, nur dass dort ebenso vieles antikes zeug herumstand, wie bei uns zuhause. Ich hatte Recht. Als wir das Haus betraten sah ich sofort, dass anscheinend auch Mr.Phillips nichts wegwerfen konnte. Anscheinend wurden Menschen ab einem gewissen Alter sehr sentimental. Meine Mutter ließ meine Hand los und begann den Namen von Mr.Phillips zurufen. Da öffnete sich die Tür und ein kleiner Mann trat aus dem Zimmer. Er war um die Mitte herum etwas füllig, hatte ein nettes Gesicht, das allerdings größtenteils von einem dichten Vollbart bedeckt war.
„ Ah, Marie. Meine Liebe was führt dich zu uns?“ fragte Mr. Phillips.
„ Liz. Sie hat die Gabe der neun“, antwortete meine Mutter. Ich verstand wieder nur Bahnhof. Gabe der Neun? Was war das denn bitteschön schon wieder? Ich fühlte mich total überfordert. War das ganze etwa irgendein Sektenbegriff? Oder waren meine Eltern in irgendeiner Gehimorganisation? Meine Güte, ich sah echt zu viele Filme!
Mr.P führte uns die Treppe nach oben. Ich merkte, dass mir dieser Teil des Hauses alles andere als bekannt vorkam. Obwohl ich in diesem Haus viele Stunden meiner Kindheit verbracht hatte, habe ich doch nur den Garten, den Flur, das Wohnzimmer und die Küche gekannt. Der obere Teil jenseits der Treppe, war mir völlig neu. Jenseits der Treppe, mhm, das war der perfekte Anfang für ein Horrormärchen. Jenseits der Treppe wartete ein Ungeheurer, alle die zu verschlingen, die die Treppe nach oben kamen. Na toll, jetzt zitterte ich noch mehr. Gut gemacht, Liz!!
Im oberen Teil des Hauses sah es ganz anders aus. Bis zu diesem Moment konnte ich mir nicht vorstellen, dass der liebe, rundlich Mr.P ein Mitglied in einer Geheimorganisation oder gar Sekte war. Doch als wir oben angelangt waren, sah es so aus, als seien wir gradewegs in ein Geheimlabor getreten. Vor uns befand sich eine Stahltür, an deren Seite ein kleiner Monitor. Mr.P legte seine Hand auf den Monitor und tippte anschließend ein paar Zahlen ein. Die Tür ging lautlos auf. Ich hatte dahinter eine Art Superschurkenlabor erwartet, doch als die Tür geräuschlos aufschwang sah ich nur einen langen Gang, der auf eine große Eichentür zuführte. Mr.P ging vor mir her und ich sah, dass an den Wänden, die mit dunklem Holz getäfelt waren Bilder hingen. Erst nach ein paar Schritten wurde mir klar, dass es sich nicht um Bilder sondern um Porträts handelte. Ich sah die vorbei ziehenden Bilder genauer an und erkannte erschrocken, dass darunter viele berühmte Persönlichkeiten waren. Ein Bild zeiget beispielsweise Leonardo da Vinci, ein anderes Shakespeare. Ich fragte mich was es mit den Bildern auf sich hatte und wollte meine Mum fragen, ob sie etwas darüber wusste, doch sie war nicht mehr da. Diese Entdeckung versetzte mich in eine Art Schockzustand aus dem ich erst wieder auftauchte als Mr.P meinen Namen rief. Offensichtlich hatte er mich etwas gefragt, denn in seinem Gesicht konnte ich lesen, dass er eine Reaktion von mir erwartete.
„Entschuldigung, ich war grade...“
„Mit den Gedanken nicht mehr in diesem Raum, richtig? Ich versteh schon, dass das alles hier sehr verwirrend für dich sein muss, “ sagte Mr.P, „ eigentlich wollte ich nur wissen, ob du bereit bist, deinen Kameraden zu treffen.“
„ Wen? Meine Kameraden?“, fragte ich verwundert. Das klang ja fast so, als ob ich wirklich in eine geheime Organisation hineingelangt bin.
Mr.P ignoriere mich und schloss die große Eichentür auf, vor der wir standen. Mr.P drehte sich zu mir um und lächelte mir beruhigend zu. Ich trat einen Schritt zurück. Meine Gott, ich hatte bis grade eben ein ganz normales Leben geführt und musste nun erkennen, dass der Mann, den ich seit meine Kindheit kannte in irgendwelchen krummen Geschäften drinnen steckte. Man hatte mir nicht gesagt, was mich erwartet. Ich hatte keine Ahnung was vor mir lag und außerdem war nicht mal meine Mum mehr da! Ich schaute zu Mr.P und sah, dass er vermutlich schon hineingegangen war. Nun stand ich ganz alleine auf diesem Flur, vor der großen Tür. Himmel, Liz, jetzt reiß dich mal zusammen! Ich schloss die Augen, holte tief Luft, sagte zu mir Sei kein Frosch! Und ging durch die Tür.
Was mich auf der anderen Seite erwartete war alles andere als das was ich mir vorgestellt hatte. Der Raum hinter der Tür(Schon wieder ein perfekter Horrorfilmtitel) war groß und an den Wänden waren bodenlange Fenster eingelassen. Der Raum war in warmen Gold-und Rottönen gestrichen und die Wände waren mit Mustern verziert, die aus einer anderen Zeit stammten. Vermutlich Barock oder so. In der Mitte des Raums war ein großer runder Tisch an dem allerdings niemand saß. Ich ließ meinen Blick durch den Raum gleiten, über die Fenster, die verzierten Wände und entdeckte am anderen Ende des Raums, mir gegenüber eine Gruppe von Menschen. Sie hatten sich bis eben noch unterhalten, doch nun galt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit mir. Unter den Menschen war Mr.P der nun auf mich zuging. Ansonsten war da noch ein Mann und einen Frau, doch der Großteil der Gruppe bestand aus fünf Jungen und einem Mädchen, alle etwa in meinem Alter.
„Nun meine Liebe, wie ich sehe hast du es doch noch geschafft mir in den Saal der Träume zu folgen“, sagte Mr.P als er bei mir angekommen war, „ nun möchte ich dir die Anwesenden vorstellen. Der Mann dort hinten ist Monsieur Lacroix. Er wird mit euch alle sportlichen Dinge trainieren.“ Ich musterte Monsieur Lacroix. Er hatte einen olivfarbenen Hautton, seine kurzen Haare waren pechschwarz. Für mich sah er nicht grade so aus, als ob er sehr sportlich wäre. Er war kleiner als ich und hatte einen Bauch, außerdem sah er schon recht alt aus.
„Die Dame dort drüben ist Mrs Heart“, fuhr Mr Phillips fort, „ sie ist vor allem für die Koordination der einzelne Missionen zuständig und eure ganz persönliche Schneiderin.“ Mrs Heart wirkte…nett. Sie war groß und schlank. Ihre roten Haare hatte sie zu einer komplizierten Frisur hochgesteckt und sie hatte ein eher fragwürdiges schwarzes Kostüm an.
„Und nun kommen wir zum wichtigetsen. Deinen Kameraden mit denen du dich hoffentlich gut verstehen wirst, “ sagte Mr.P. „Am besten ihr stellt euch selber vor oder?“ fragte er an die Jugendlich gewandt.
Daraufhin trat eine große, muskelbepackte Kampfmaschine hervor. Er hatte eine dunkle Hautfarbe, seine Haare waren schwarz und extrem kurz, fast wie bei Soldaten. Er hatte einen grimmigen Gesichtsausdruck und sah so aus, als ob er sich tausend schönere Dinge vorstellen könnte, die er jetzt tun könnte. Er guckte beim Sprechen überallhin, nur nicht mir ins Gesicht und sagte mit tiefer rauer Stimme: „ Ich bin Luani Garwain und bin 19 Jahre alt. Meine Gabe ist die Gabe der zwei und deshalb bin ich die rechte Hand des Anführers und kann durch das Verhalten und die Aura der Menschen spüren was sie als nächstes tun werden und was sie alles schon getan haben.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ein weiterer Junge tauchte auf. Er sah deutlich jünger aus als Mike und war zudem kleiner und etwas dicklich. Seine roten Haare standen in wilden Locken von seinem Kopf ab. „Ich bin Mozo Flynt, aber alle nennen mich Mo. Ich bin 14 Jahre alt und habe die Gabe der vier, weshalb ich leider nur Mitläufer bin. Allerdings hab ich wohl die beste Gabe überhaupt, denn ich habe einen Röntgenblick. Mehr muss ich wohl nicht sagen, “ schloss er grinsend ab. Gott, der war noch fast ein Kind und schon in so etwas hinein gelangt. Der nächste der sich vorstellte war ein großer schlanker Junge, doch er war keineswegs schlaksig. Er war muskulös und seine braunen Haare sahen etwas zerzaust aus, war vermutlich daran lag, dass er sich mit der Hand dauernd durch die Haare fuhr. Am auffälligsten waren seine grauen Augen, die einen Kontrast zum Rest herstellt. Er hatte gebräunte Haut und sah eher aus wie jemand der schon mit einem Surfbrett geboren wurde. Doch seine Augen verliehen ihm eine Härte und machten ihn älter, als er vermutlich war. „ Mein Name ist Chronam Cavanaugh und ich bin 19 Jahre alt. Ich bin der Anführer dieser Gruppe und habe ein photographisches Gedächtnis, was sogar über meine Zeit hinausreicht. Ich habe also die Gabe der eins.“ Als nächstes trat ein Junge vor, der mir seltsam bekannt vorkam. Er war riesengroß und ging etwas gebückt, seine blonden Haare hatte er zu einem kleinen Zopf zusammengebunden. Als er sprach musste ich mich anstrengen ihm zu zuhören, denn seine Stimme war leise „ Mein Name ist Abaris Campbell. Ich bin 18 Jahre alt. Ich habe die Gabe der drei. Ich bin der Außenseiter der Gruppe. Ich habe Visionen, die wahr werden.“ Mit schlurfenden Schritten drehte er sich um und versuchte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Gruppe zubringen. Nun trat der letzte Junge hervor und lächelte mich offen an. Vermutlich stand ich grade mit offenem Mund da, denn der Junge hatte kein einziges Haar mehr auf dem Kopf. Seine Augenbrauen, seine Nase und seine Lippen waren gepierct und da er nur ein T-Shirt und kurze Hosen trug sah ich, dass wohl sein ganzer Körper tätowiert war. „Ich heiße Amhalairt McLogan und mein Alter beträgt stolze 18 Jahre. Ich habe die Gabe der sechs und bin somit der Kritiker dieser schönen und seltenen Gruppenkonstellation. Meine Gabe beinhaltet, dass ich in der Lage alles, was meine Fantasie zusammenbraut auch zu verwirkliche. Ich werde es zu seinem späteren Zeitpunkt vorführen. Darf ich eventuell noch anbringen, dass wir uns sehr freuen, dass unsere Gruppe nun vollständig ist. Es ist mir eine Freude dich kennenzulernen“ Und dann verblüffte er mich total in dem er meine Hand nahm und mir einen Handkuss gab. Als letztes blieb nur noch das Mädchen. Sie war größer als ich. Hatte blonde Haare, die einen dieser Schnitte trugen, die aussahen als sei sie grade aufgestanden, die in Wirklichkeit allerdings nicht weniger als 3 Stunden zum stylen brauchten. Sie war schlank, allerdings nicht dieses weiche schlank, das ihr von Natur ausgegeben war, sondern dieses Sportler Schlank. Ihr Körper bestand fast nur aus Muskeln, Knochen und Sehnen. Ihre blauen Augen leuchteten und sie hatte ein Lächeln im Gesicht. Obwohl ich sie noch nie gesehen hatte, wollte ich ihr sofort all meine Geheimnisse und Wünsche anvertrauen. Ihre angenehme Stimme schien den ganzen Raum einzunehmen als sie anfing zu sprechen. Ausnahmslos jeder verstummte und wandte sich ihr zu. „ Es freut mich dich kennenzulernen. Mein Name ist Sirena Blair und ich bin 17 Jahre alt. Ich habe die Gabe der fünf. Ich kann mit meiner Stimme Menschen beeinflussen, allerdings gelingt mir das nur bis zu einem gewissen Grad.“ Ich betrachtete die Menschen im Raum und stellte mir vor, was sie hier taten. Nach diesen Informationen konnte ich mir zwar immer noch kein genaues Bild machen, was genau hier los war, doch ich entfernte mich von dem Gedanken, dass ich in einer Sekte gelangt war.
„Du möchtest bestimmt wissen, was das Ganze zu bedeuten hat“, holte mich Mr.P aus meinen Gedanken zurück in den Saal. Er lächelte mich an und ging, gefolgt von den anderen in einen weiteren Raum. Ich folgte ihnen mit dem wohligen Gefühl, endlich Gewissheit über die abgedrehten Dinge zu bekommen. Ich bekam endlich Antworten!!
Der Raum, in den wir gingen, war deutlich kleiner als der große Saal von eben. In der Mitte stand ein riesiger runder Tisch, der fast den ganzen Platz in Anspruch nahm. Die Wände waren vollgestellt mit Bücherregalen, die fast bis an die Decken reichten. Alle anderen hatten inzwischen am Tisch Platz genommen und auch ich setzte mich nun.
„ Du solltest wissen, warum du hier bist“, sagte Mr.P in die Stille hinein.
„ Allerdings ist es eine langweilige Geschichte“, flüsterte mir Sirena zu, die neben mir saß.
„ Nun denn: Vor langer Zeit, war dieser Ort ein kleiner Fischerhafen“, begann Mr.P, „ es gab hier nur ein paar Familien. Zu jener Zeit herrschte Krieg in unserem Land. Es ging um nichts Besonderes, eigentlich nur darum, sein Territorium zu erweitern. Dieses Fischerdorf gehörte keiner der beiden Parteien an, da es so abgelegen war, dass sich höchstwahrscheinlich niemand dessen Existenz überhaupt bewusst war. Doch eines Tages kamen sie. Mit Pferden, Waffen und…Feuer. Sie zwangen die Männer und Frauen mitzukommen. Der Krieg drohte aus den Rudern zu laufen und man brauchte jede Hand. Die Männer wurden zum Kriegsdienst eingeteilt und die Frauen zum Herstellen von Waffen und zur Nahrungsherstellung. Am Ende, nach diesem Beutezug, stand fast nichts mehr von dem Dorf, kaum ein Einwohner war noch übrig, bis auf sieben Kinder. Sie waren Kinder der unterschiedlichsten Familien und von unterschiedlichem Alter. Sie hatten das Glück gehabt entweder nicht in ihrem Versteck gefunden zu werden, auf der Jagd im Wald gewesen zu sein oder für zu jung befunden zu werden. Da nichts mehr von dem Dorf stand und ihre Eltern nicht mehr waren, entschlossen sich die Kinder ihre Heimat zu verlassen und sich etwas Neues zu suchen. So brachen sie auf und strichen durch die endlose Weite dieses Landes. Eines Tages kamen sie in ein Dorf, in dem schreckliches geschah. Kinder verschwanden auf mysteriöse Weise und jeder, der sich zu weit in den Wald hinein wagte wurde nicht mehr gesehen. Die Kinder, inzwischen gewachsen und mit fast allen Wassern gewaschen nahmen die Herausforderung an, denn was hatten sie schon groß zu verlieren? Also gingen sie in den Wald und mit primitiven Waffen und viel Cleverness töteten sie das Monstrum, welches die Kinder gefangen hielt“, erzählte Mr.P. Diesmal lehnte sich Abaris von der anderen Seite zu mir herüber und flüsterte: „ Diese Stelle kürzt er immer ab. Dabei ist das doch das wirklich einzig interessante an dieser Geschichte“. Ich kicherte, doch verwandelte meinen Lachanfall schnell in ein Husten als ich den Blick von Mrs. Hearth sah. Ich konzentrierte mich wieder auf Mr.P, denn anders als Maria fand ich dieses Geschichte a lá Hänsle und Gretel nicht schlecht.
„Und so“, fuhr Mr.P fort, „ entwickelte sich aus diesen Kindern mit der Zeit die Besten Monsterjäger die man je gesehen hat. Ihren Kinder und Kindeskindern gaben sie ihre Erfahrungen weiter. Weshalb ihr heute hier sitzt. Ihr seid alle Nachfahren dieser Kinder, “ schloss Mr.P die Geschichte ab.
„ Du hast bestimmt schon gemerkt, dass alle deiner Kameraden ziemlich ungewöhnliche Vornamen haben, richtig? „fragte er an mich gewandt. Ich nickte, denn diese Frage hat mich auch schon beschäftigt, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass Eltern ihre Kinder so sehr bestrafen konnten.
„ Du darfst dir auch einen neuen Namen aussuchen. Denn alle Namen haben eine bestimmte Bedeutung. Luani bedeutet Löwe auf Albanisch. Mozo bedeutet jung auf Spanisch. Chronam ist ein Gemisch aus Chronos, dem Gott der Zeit und am dem irischen Wort für Zeit. Abaris war in der griechischen Mythologie ein Seher und Priester des Apollon. Amhalairt bedeutet anders auf Irisch und Sirena ist eine moderne Fassung des Wortes „Sirene, die mit ihren Stimmen Menschen beeinflussen konnten“, erklärte Mr.P.
„ Du hast nun den ganzen Raum für dich zur Verfügung. Wir lassen dich jetzt allein, damit du dir einen Namen aussuchen kannst. Die Bücher und den Computer dort in der Ecke kannst du uneingeschränkt nutzen.“ Mit diesen Worten erhoben sich alle und gingen hinaus. Sie alle lächelten, zwinkerten oder winkten mir kurz zu. Und dann war ich allein.
Also gut, dachte ich. Das ganze mag jetzt sehr verwirrend für dich sein, Elizabeth, doch es gibt mit Sicherheit eine Lösung. Besehen wir uns zunächst einmal die Fakten:
1. Irgendwann gab es eine Truppe von Kindern und Jugendlichen, die aus Spaß Hexen undMonster jagten.
2. Diese Kinder schafften es, ihre Techniken zu perfektionieren.
3.Sie haben ihr Wissen an ihre Nachkommen weiter gegeben.
4.Jedes dieser Kinder hatte in der Gruppe eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, welche ihre Nachkommen ebenfalls erfüllen müssen.
5.Du, meine Liebe, bist eine von diesen Nachkommen!
Gott, ich glaube mir wird schlecht. Ich habe, verdammt nochmal, keine Ahnung von Monstern. Gibt es die überhaupt. Und was soll das Ritual mit dem Namen? Ich stand auf und ließ meinen Blick über die Bücher schweifen. In den Regalen gab es alles, was man gebrauchen könnte. Von „Professor Udolphs Buch der Namen“ bis zu „Mythologie der Griechen: Götter, Menschen und Heroen - Teil 1 und 2 in einem Band“. Es gab zahlreiche Wörterbücher und Lexika. Doch ich entschied mich für den Computer. Ich setzte mich und starrte erst einmal geschlagene fünf Minuten vor mich hin. Wie soll ich auch einen Namen für mich finden, wen ich nicht mal weiß, was meine Gabe ist? Wenn ich richtig aufgepasst hatte, dann musste ich die Gabe der drei haben. Das Internet lieferte mir hierzu nichts. Nur Artikel über die Heiligen Drei Könige, was aber wohl wenig mit dem hier zu tun hat. Also weiter im Text. Ich hielt mir mein Leben vor Augen und bemerkte, dass ich offenbar doch eine Gabe habe. Immerhin, kann ich in Musik und Gemälde eintauchen. Das war doch schon mal ein Anhaltspunkt.
Zwanzig Minuten später klopfte es an die Tür und der kleine Rotschopf, Mozo, steckte seinen Kopf herein
„ Bist du so weit?“ fragte er aufgeregt. „ Es warten schon alle ganz gespannt.“
„ Ich komme“, antwortete ich und folgte ihm nach draußen.
„Also dann, Elizabeth, was hast du dir für einen neuen Namen ausgesucht“; fragte mich Mr.P sobald ich im Raum stand.
„Ich habe lange überlegt und gesucht und mich schließlich für Amalaìn entschieden. Es ist eine Mischung aus dem Irischen Wort ealaìn für Kunst und dem Estnischen Wort für eintauchen sukeldama. Ich dachte das der Name am besten meine Gabe beschreibt.“ Ich hatte die ganze Zeit während ich sprach auf meinen Zettel gesehen. Doch nun wagte ich einen Blick durch meine Wimpern um zusehen, wie sie auf meinen Name reagierten. Was ich sah, ließ mir einen Stein vom Herzen fallen. Sie alle sahen mich mit anerkennenden Blicken an. Dass soll nicht heißen, dass ich gedachte habe, ich sei nicht in der Lage mir einen interessant klingenden Namen auszudenken. Es soll heißen, dass mich die Entwicklung, die dieser Tag genommen hat, extrem verunsicherten. Ich wusste immer noch nicht ganz genau, was ich hier eigentlich sollte.
„ Das ist ein wirklich schöner Name Eliza…ahm... Amalaìn. Ich denke du solltest jetzt mit Mrs. Hearth mitgehen. Sie wird dir dein Zimmer zeigen und dir den Ablauf für morgen erklären“. Mit diesen Worten verabschiedete sich Mr.P von mir und Mrs. Hearth trat vor. Sie lächelte mich an und legte mir sanft eine Hand auf die Schulter. Ihre Hand war zart, doch über und über mit Ringen und Armreifen versehen, sodass sie mindestens hundert Kilo wog. Sie führte mich zu der Tür und als wir schon fast draußen waren, hörte ich vielstimmige Wünsche für eine gute Nacht. Tja, die werde ich definitiv nicht haben, Leute.
Mrs.Hearth war eine äußerst gesprächige Frau. Nachdem sie die Tür hinter uns geschlossen hatte, sind wir den Flur, den ich schon mit Mr.P gekommen war, zurückgegangen. Danach sind wir durch eine weitere Hightech-Tür gegangen und kamen in den Teil des Hauses, der vermutlich für uns Teenager bestimmt war. Dieser ganze Weg dauerte etwa 10 Minuten, doch in der Zeit erfuhr ich, dass Mrs. Hearth 36 Jahre alt ist. Sie zweimal geschieden ist. Ihr erster Ehemann war ein reicher Bankbesitzer. Sie hatten keine Kinder allerdings zwei Hunde. Er hat sie mit ihrer besten Freundin noch in ihrer eigentlichen Hochzeitsnacht, noch in der Kirche, betrogen. Sie erwischte ihn und verlangte die Scheidung. Die beiden Hunde behielt er, dafür bekam sie eine schöne Summe, denn sie hatten keinen Ehevertrag gemacht. Ihr zweiter Ehemann hatte schon ein Kind, einen verzogenen kleinen Bengel. Sie konnte ihn von Anfang an nicht leiden, doch ihrem Mann Nr.2 zu liebe versuchte sie sich mit ihm irgendwie zu arrangieren. Ihren zweiten Ehemann erwischte sie mit seiner Exfrau. Sie ließ sich scheiden und bekam wieder eine hübsche Summe. Nun war sie ziemlich reich, doch hatte nie einen Beruf gelernt. Irgendwann lernte sie auf einer Gartenparty Mr.Philipps kennen und nun ist sie hier. Ach und sie freut sich schon so, was ich denn zu meinem Zimmer sagen werde. Und sie fragt sich, ob mir die Farbe gefällt, die sie für meine Uniform ausgewählt hat. Und, Gott, das ist ja alles so aufregend.
Als ich eine Tür sah, in die mein Name eingraviert war, atmete ich erleichtert aus. Dieser Tag war doch ganz schön anstrengenden gewesen. Mrs. Hearth zwinkerte mir zu und gab mir einen Schlüssel. „ Ich lass dich jetzt allein. Du hast ein eigenes Badezimmer. Morgen früh wirst du geweckt und dann gibt`s Frühstück“, sagte sie mir zum Abschied. Ich nickte und lächelte sie an. Sie wünschte mir noch eine gute Nacht und ging dann mit federnden Schritten den Gang entlang, aus dem wir gekommen waren. Ich wandte mich der Tür zu und atmete mehrmals kräftig ein und aus. Schließlich steckte ich den Schlüssel ins Schloss.
Der Raum der sich vor mir erstreckte war…unbeschreiblich. Die Wände waren in einem dunklen Rot gestrichen, der Boden mit dunklem Holz belegt. An der Wand rechts von mir stand das gigantischste Bett, was ich je gesehen hatte. Es war einfach riesig, mit unendlich vielen Kissen darauf. Ich freute mich richtig darauf dort zu schlafen. An der Wand mir gegenüber war ein wunderschönes Erkerfenster, davor stand ein alter Schreibtisch mit…meinen Laptop darauf. Ich ging darauf zu. Kein Zweifel, das war meiner. Die ganzen Sticker hatte ich drauf geklebt, als ich ihn vor einem Jahr bekam, in der Hoffnung, dass sie meinen Laptop vor Dieben schützen. Ich drehte mich um und entdeckte in den Bücherregalen an der Wand neben der Tür zwar Bücher mit den Titel „ Von A wie Anzünden bis Z wie Zerstückeln: 100 effektive Methoden zur Hexenvertreibung“ oder „ Feenzauber leichtgemacht“. Doch je näher ich mir die Bücher anschaute, desto mehr Bücher entdeckte ich auch von mir. Nun sah ich mich genauer um und bemerkte, dass an den Wänden zum einem Poster aus meinem Zimmer von zu Hause hingen als auch Bilder, die ich selbst gemalt hatte. Die vielen Kissen auf dem Bett waren zum großenteil aus meinem Zimmer und die Nachttischlampe war die selbstgemachte meines Großvaters. Als ich dann auch noch meine Gitarre in einer Ecke des Zimmers stehen sah, war es um mich geschehen. Meine Knie gaben nach und ich ließ mich auf den Teppich fallen( im Übrigen der alte Teppich aus dem Schlafzimmer meiner Eltern, der mir so gut gefiel). Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und ließ den Tränen freien Lauf.
Nach gefühlten 5 Stunden rappelte ich mich endlich auf und ging auf die Suche nach dem Bad. Es gab noch zwei Türen, die von meinem Zimmer abgingen, abgesehen von der Tür, durch die ich gekommen war. Ich hatte keine Lust mehr, ich wollte nur noch duschen und mich dann in dieses riesige Bett kuscheln. Also ging ich entschlossen auf die rechte Tür zu. Als ich die Tür öffnete um hineinzusehen, war es sofort um mich geschehen. Ich schrie auf und lief in das Zimmer, denn es war der riesigste, gigantischste und überhaupt beste begehbaren Kleiderschrank überhaupt. Die Seite gegenüber der Tür war komplett verspiegelt. Links und rechts säumten hohe Regale den langen Gang. Der Boden war mit cremefarbenem Teppich belegt und der Kronleuchter an der Decke sah aus, als bestünde er aus 100 Diamanten. Meine Füße führten mich wie von selbst auf die linke Seite. Als ich die Schiebetür aufzog stieß ich wieder ein erfreutes Quieken aus. Das Regal war von oben bis unten voller…Schuhe. Turnschuhe, High Heels, Ballerinas, Flip Flops, Pumps, Chucks… Sämtliche Schuhe waren darin vertreten. Doch alle hatten etwa dieselben Farben, nämlich grün und schwarz. Ich ging weiter und öffnete mit zitternden Händen die nächste Tür. Dahinter befand sich ein Paradies aus Handtaschen und Rucksäcken, alle ebenfalls in schwarz oder grün. Nun hatte mich das Girlyfieber gepackt und ich ging, lief, rannte zur linken Seite um zusehen, was für Schätze mich dort erwarteten. Hinter der ersten Tür befand sich eine Unmenge an Schubladen. Nachdem ich drei geöffnete hatte, war ich mir sicher dass sich hier Unterwäsche befand, denn ich hielt inzwischen Strümpfe und Schlüpfer in der Hand. Schnell wendete ich der nächsten Tür zu. Als ich sie aufzog hielt ich den Atme an. Dahinter befand sich noch ein Raum, in dem, ordentlich an Stangen hängend, unzählige Hosen, Röcke, Tops, T-Shirts, Jacken und Mäntel hingen. Ich ging zu der letzten Tür, inzwischen nicht mehr ganz so aufgeregt. Doch als ich diese letzte Tür öffnete, wäre ich beinah in Ohnmacht gefallen. Dort waren nochmals im unteren Bereich Schubladen, aus denen mich beim Öffnen unglaublich hübsche Ohrringe, Ketten, Ringe und Diademe anblinkten. Doch meine gesamte Aufmerksamkeit galt dem oberen Bereich. Doch waren um die zwanzig Abendkleider aufgereiht. Alle in schwarz oder grün und alle wunderschön. Egal ob kurz oder lang, mi Ärmeln oder ohne, rückenfrei oder mit tiefem Ausschnitt, alles war vertreten. Als ich vorsichtig mit der Hand eines berührte, bemerkte ich, dass es unterhalb der Kleiderstange einen kleinen Hebel gab. Ich drückte ihn nach unten und die Kleider begannen sich zuteilen, ebenso die Schubladen, so dass ein Gang entstand, etwa so breit, dass ich bequem darin stehen konnte. Ich ging langsam auf die Rückwand des Kleiderschrankes zu und als ich davor stand glitt die Rückwand lautlos zur Seite. Dahinter befand sich der riesigste, atemberaubendste, fetteste….Deut von nichts. Nur eine Halterung in der Wand. Ich wunderte mich nicht weiter darüber, denn dieser Tag hatte schon weitaus überraschenderes hervorgebracht.
Ich beschloss mir diese Schätze morgen noch einmal genauer anzusehen und ging ins Bad.
Die warme Dusche entspannte meine Hals-und Nackenmuskulatur und ich fühlte mich viel besser. Als ich, in einen kuscheligen Bademantel gehüllt, vor dem Spiegel stand, betrachtete ich, was ich sah. Mein Spiegelbild war kaum verändert und doch waren es genau diese kleinen Details, die mich schon wieder an den Rand der Tränen brachte. Meine schwarzen Haare, die langsam anfingen zu trocknen, hatten schon jetzt einen stumpfen Glanz. Meine großen grünen Augen leuchteten und schienen Funken zu sprühen, doch darunter befanden sich tiefe und dunkle Schatten. Meine Lippen waren blass und insgesamt war meine Gesichtsfarbe alles andere als gesund. Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Das war ein harter Tag, jeder würde so aussehen, sagte ich mir. Ich stieg ins Bett und kuschelte mich in meine Kissen. Als ich es mir bequem gemacht hatte, griff ich zu meiner Nachttischlampe um sie auszumachen, entschied mich dann doch dagegen. Zwar konnte ich es schon als kleines Kind nicht leiden, wenn das Licht brannte, doch heute hatte das Licht etwas Tröstliches. Und Trost konnte ich jetzt gebrauchen.
Kurz vor dem Einschlafen kam mir noch der Gedanke, dass mir niemand gesagt hatte, wie es jetzt weiter geht. Ich hatte zwar ein Zimmer, ein Bad und ein Ankleidezimmer( seufzt), doch niemand hatte mir gesagt, was mich erwartet. Doch ich war zu müde um darüber nachzudenken. Mit dem tröstlichen Licht der Nachttischlampe, die das unbekannte Zimmer in ein angenehmes Licht tauchte schlief ich schließlich ein.
„Na los, mach schon. Wir müssen hier weg!“ Mein Bruder griff nach meinem Handgelenk und zerrte mich gewaltsam von unserem Haus weg. Blind vor Tränen stolperte ich ihm hinterher. Überall um uns herum war Chaos ausgebrochen. Ich sah, wie Mr. und Mrs. White auf einen Karren gezogen wurden, doch ihre Tochter, die kleine Sofia, konnte ich nirgendwo entdecken. Mein Bruder zog mich immer weiter weg von den brennenden Häusern, offenbar wusste er wo er hin wollte. Ich blickte mich um, suchte nach bekannten Gesichtern, doch durch den Rauch und die vielen Soldaten konnte ich nichts erkennen. Auf einmal gab es einen Ruck und mein Bruder wurde von mir brutal weggerissen. Ich spürte , wie sich ein Arm um mich legte und hochhob. In blinder Verzweiflung schrie ich und trat nach allem, was sich in meiner Nähe befand. Mein Bruder machte das Gleiche, doch die Männer waren zu stark.
„ Die beiden haben ganz schön Kampfgeist, was Jungs“, lachte der Soldat, der mich hielt. Die anderen stimmten ihm zu.
„ Den Jungen können wir gut gebrauchen, doch das Mädchen ist unnütz. Die ist höchstens zehn, viel zu jung. Lass sie hier“, antwortete einer der Männer. Das ließ sich der Soldat nicht zweimal sagen und warf mich in den Dreck. Durch den harten Aufprall blieb mir die Luft weg und mir wurde schwarz vor Augen. Es war, als stürze ich in ein tiefes bodenloses dunkles Loch. Und ich viel tiefer, und tiefer und tiefer und tiefer….
Mit einem Ruck war ich wach. Und ließ mich sofort wieder stöhnend in die Kissen zurück sinken. Mein Kopf fühlte sich an, als ob jeden Moment explodieren würde. Ich hatte zwar nicht viele Erfahrungen mit Alkohol, doch ich war mir sicher, dass man sich so einer sehr wilden Nacht fühlen musste. Ich versuchte meine Augen zu öffnen, doch meine Augen brannten, also ob ich mitten in einer Wolke aus Rauch stehen. Seltsam.... Doch schließlich zwang ich mich zu Aufstehen, trotz brennender Augen und stechenden Kopfschmerzen. Ich ging ins Bad und stieg in die Dusche, wobei ich es vermied einen Blick in den Spiegel zu verwerfen. Ich wollte mich nicht ansehen, denn ich wusste, dass der Anblick alles andere als sehenswert war. Nachdem das Wasser auch die letzten Spuren des Traumes von mir gespült hatte, ging ich, nur mit einem Handtuch bekleidet, wird in mein Zimmer. Doch der Anblick, der sich mir bot als ich die Baderzimmertür öffnete, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2013
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