Das Gefühl zurück ins Leben katapultiert zu werden war schier unerträglich. Noch eben hätte sie schwören können, dass sie ertrunken war. Um sie herum war überall Wasser gewesen und sie hatte spüren können, dass sich das Wasser in ihren Lungen sammelte, während der Druck in ihren Ohren stieg und ihr Kopfschmerzen bereitete. Dann war alles schwarz, vermutlich, war sie ohnmächtig geworden. Vielleicht war sie auch für einen kurzen Moment gestorben. Nun jedoch spuckte sie das Wasser, das sie noch eben zum Tode verurteilt hatte, in hohem Bogen aus. Nur entfernt bemerkte sie, wie irgendjemand versuchte ihr Luft in die Lunge zu pumpen – mit mäßigem Erfolg. Ihr Körper fühlte sich nicht an, als würde er ihr gehören. Es war fast so, als wäre ihr Geist in einen Fremden eingedrungen, über den sie keine Kontrolle hat, denn kein Glied ihres Körpers wollte sich auf ihren Befehl hin regen. So waren auch ihre Augen noch immer geschlossen, nicht zuletzt aus Angst, dass sie dem Tod ins Antlitz sah, wenn sie die Lider aufschlug. Der Körper, in dem sie steckte krampfte, hustete und prustete im erschöpfenden Kampf darum die Lunge vom Wasser zu befreien, während ihr Herz in einem unregelmäßigen Rhythmus Blut durch den Körper pumpte.
Erst als ihr Atem sich beruhigt hatte, das Husten alles Wasser aus ihren Lungen entfernt hatte, bemerkte sie, dass der Mensch, der versucht hatte sie zu reanimieren, von ihr abgelassen hatte. Ein erleichtertes Seufzen war zu hören und auch sie fühlte sich nun besser. Die Tatsache, dass sie nicht sehen konnte und daher nicht wusste, wer soeben versucht hatte ihr Leben zurückzuholen, machte ihr Angst. Denn noch immer wollte ihr kein Muskel gehorchen und eine leise Angst ergriff sie. Was hatte man mit ihr gemacht? Hatte man versucht sie zu ertränken? Steckte sie mitten in einer Entführung, weil man Geld von ihren Eltern wollte? Tausend ungeklärte Fragen schossen ihr durch den Kopf, während ihre Panik die Überhand nahm. Sie konnte sich nicht vorstellen, wer versucht hatte ihr zu helfen. Soweit sie wusste, waren ihre Eltern beide noch immer im Urlaub, ebenso wie die wenigen Freunde, die sie besaß. Sie war niemand, der sich so leicht fürchtete, doch ihre Ohnmächtigkeit ließ sie vor dem Ungewissen erblassen.
Dem Fremden schien ihr innerer Aufruhr nicht zu entgehen. Kaum dass sie darüber nach gedacht hatte, spürte sie eine Berührung an ihrer Schulter, die ihr Gänsehaut verpasste. Sie hasste es von Fremden berührt zu werden, besonders, wenn sie nicht sehen konnte, in welcher Situation sie sich befand und auch nicht weg rennen, nicht zurückweichen konnte. Ihr blieb nichts, als still dazuliegen.
»Schht...«, drang es an ihr Ohr. »Alles ist gut. Ich bring dich hier weg, dann kannst du dich ausruhen.«
Obgleich die Ruhe, die in der Stimme des Fremden lag ihr ein wenig der Frucht nahm, pochte ihr Herz nur noch schneller, denn sie glaubte die Stimme erkannt zu haben. Nun wusste sie, dass es ein Mann war, doch ihr wollte kein Gesicht einfallen, dass zu dieser Stimme gehörte. Der vertraute Tonfall und die Fürsorge, die in der Stimme des Fremden lagen, entspannten sie dennoch.
Krampfhaft versuchte sie ihren Mund zu öffnen, um etwas zu sagen, doch ihre Lippen bewegten sich keinen einzigen Zentimeter. Sie versuchte es nochmal und nochmal, doch ehe sie zu einem Ergebnis kam wurde sie hoch gehoben und befand sich einen kurzen Moment in Schwerelosigkeit, die ihr den Magen umdrehte und sie ihre Gedankengänge vergessen ließ. Dann landete sie weich. Etwas kitzelte sie an ihrer nackten Haut, im Gesicht und an den Armen. Es war weich und warm und schenkte ihr ein Gefühl der endlosen Geborgenheit. Fell?, schoss es ihr durch den Kopf und sie musste unverzüglich an ein Pferd denken. Sie lag auf einem Pferd mit breitem Rücken, das herrlich nach Wald und Erde durftete.
Mit einem sanften Ruck begann sich das, was sich unter ihr befand zu bewegen. Der Drang sich festzuhalten überkam sie, doch ihre Fingerspitzen zuckten nur, statt sich etwas zum Festhalten zu suchen. Warme Sommerluft wehte ihr über das Gesicht, zerstreute ihre Haare in alle Richtungen und ließ sie in ihrer nassen Kleidung frieren. Sie spürte heiße Sonnenstrahlen in ihrem Gesicht, doch sie vermochten die Kälte, die sie ergriff, nicht zu mindern. Sie wünschte sich, dass ihr Retter, ihr Entführer, oder wer auch immer es war, ihr eine Decke gegeben hätte.
Mit einem hoffnungsvollen Versuch gelang es ihr endlich die Augen ein Stück zu öffnen. Azurblauer Himmel strahlte ihr entgegen, fesselte ihren Blick. Keine Wolke war am Himmel zu sehen und nur die Sonne, die den Himmel in ihrer Nähe golden färbte, vermochte es das Blau des Himmels zu unterbrechen. Schon jetzt konnte sie spüren, dass es sie viel Kraft kostete die Augen offen zu halten, doch sie wollte mehr sehen, endlich wissen, wo sie sich befand. Mühsam versuchte sie den Kopf herum zu drehen – und starrte über eine schier endlose Sandfläche, aus der hier und dort ein verdorrter Baum aufragte. Wie Trauergestalten stand das teilweise verkohlte Holz inmitten des Sandmeeres, einem vergessenen Denkmal gleich. Von tiefer Trauer und einem unsagbaren Schock ergriffen schloss sie die Augen. Instinktiv ahnte sie, dass hier etwas passiert war, doch es war nicht nur das. Sie befand sich an einem Ort, an dem sie noch nie zuvor gewesen war. Sie lebte nicht in der Wüste, nicht einmal in der Nähe und hatte auch noch nie im Leben ein Sandmeer betreten. Die Gegend war ihr fremd und ihr verdacht entführt worden zu sein nahm zu.
Obgleich sich die Erschöpfung in ihr ausbreitete, öffnete sie ihre Augen erneut, versuchte sich zu drehen, um zu erkennen, worauf sie sich befand. Dunkelbraunes Fell verdeckte ihr die Sicht, als sie ihren Kopf weit genug gedreht hatte, um etwas von dem unter ihr zu erkennen. Sie versuchten den Kopf zu wenden, zu drehen, irgendetwas zu erspähen, doch an dem Ausblick änderte sich nichts: Da war nur Fell. Es war überall und ließ ihr keine Wahl. Vorsichtig hob sie die Hand, die an ihrer Seite geruht hatte, doch noch ehe sie das Fell berühren konnte, umschloss sie erneut die Dunkelheit und schickte sie in einen traumlosen Schlaf der Erschöpfung.
Noch immer waren meinen Augenlider schwer. In der hintersten Ecke meines Hirns war ich mir gewahr, dass ich seit geraumer Zeit wach war, doch noch war ich zu erschöpft um zu realisieren, dass die Geräusche, die mich umgaben keinesfalls mit denen in meinem Zimmer übereinstimmten. Es dauerte eine ganze Weile bis ich einigermaßen bei Sinnen war und irritiert die Augen aufschlug. Die Irritation steigerte sich, als ich anstelle meiner Decke in schier endloses Schwarz blickte. Am Rande meiner Wahrnehmung kratzte ein warmer Feuerschein, doch der Anblick der schwarzen Masse, die ich später als Himmel entlarven würde, zog mich so sehr in seinen Bann, dass ich es kaum schaffte den Kopf zu drehen. Was war hier geschehen?
Angestrengt versuchte ich mich daran zu erinnern, wie ich aus meinem Zimmer gekommen war, doch mein Hirn weigerte sich seinen Dienst zu tun. Still fragte ich mich wer ich war und wo ich lebte. Diese Information konnte ich problemlos weiterverarbeiten, doch sobald es darum ging den schwarzen Himmel zu analysieren und zu erforschen, wo ich war, riss jeder Strick und ich stürzte zurück zum Anfang, dachte an meinen Namen und daran wie alt ich war. Ein Hauch von Panik wagte es mich aus der Ruhe zu bringen. Es musste daran liegen, dass ich einfach nicht zu einer Lösung kam, daher versuchte ich krampfhaft diese Gedanken aus meinem Kopf zu verdrängen.
Das plötzliche Knacken eines Astes schaffte es besser mir einen klaren Kopf zu verschaffen, als ich es je gekonnt hätte. Mit einem Ruck setzte ich mich auf. So rasch, dass mir Sterne vor den Augen tanzten, während ich in ein mir fremdes Gesicht starrte, dass irre zu grinsen schien.
» Willkommen. «, sagte der Fremde heiter und es schien, als würde sich sein Grinsen noch erweitern.
Mein Misstrauen und meine Abneigung stiegen ins Unermessliche. Ich konnte nicht ergründen wie diese Gefühle so plötzlich in mir aufgestiegen waren. Ohne darüber nachzudenken schob ich es auf den Schock. Hastig schaute ich mich nach irgendetwas um, dass ich als Waffe verwenden konnte, griff eilig nach diversen Steinen und behielt dann einen in der Hand, der mir groß und spitz genug erschien um damit jemanden wenigstens bewusstlos zu schlagen. Instinktiv fletschte ich die Zähne. Das tat ich viel zu oft, so als wäre ich eine Katze, ein Tiger, irgendetwas unglaublich gefährliches. Natürlich war das blödsinnig, sowohl das Zähne fletschen, als auch der Stein in meiner Hand. Mein Gegenüber sah das nicht anders, denn er lachte heiser, als er mich mit dem Stein in der Hand sah.
» Das muss aber nicht sein, Liebes. «
Seine Stimme klang beinahe spöttisch, stellte ich fest und versuchte vergebens vom Antlitz des komischen Kauzes wegzukriechen. Dabei verhedderten sich meine Füße jedoch in der Decke, so dass ich mich nicht einen Zentimeter von dem jungen Mann entfernen konnte, der mich noch immer mit einem beängstigend irren Blick ansah.
Gerade als ich glaubte gleich Opfer einer Gewalttat zu werden drehte sich der Irre weg und setzte sich an ein spärlich loderndes Feuer.
» Schon okay... «, murmelte er und wirkte plötzlich beinahe traurig. Das Grinsen war verschwunden, fast als wäre es nur eine Maske gewesen. » Kann ja verstehen, dass das für dich verstörend ist. War es für mich am Anfang auch. «
Der Fremde hatte seinen Blick von mir abgewandt und starrte nun vollkommen in Gedanken versunken in die Flammen. Ich nahm mir Zeit den Fremden zu betrachten, obgleich ich am liebsten aufgesprungen und gerannt wäre. Der Mantel der Undurchsichtigen Finsternis erstreckte sich allerdings nicht nur über den Himmel. Nein, es war mir nicht ein mal möglich fünfzig Meter in eine Richtung zu schauen.
Die dunklen, braunen Haare des Fremden standen wirr von seinem Kopf ab und umrahmten ein schmales, kantiges Gesicht. Seine breite, muskulöse Gestalt kauerte mehr auf einem Stein, als dass er saß. Seine Ellenbogen ruhten locker auf seinen Beinen, während die Arme kraftlos zur Seite hingen. Ein Bild, dass mich vollends verwirrte, ganz zu schweigen, von der Verwirrung, die er durch seine Worte gestiftet hatte. Erstaunlich war besonders, dass er mir nicht weh getan hatte, ich noch immer keine Fesseln am Leib trug oder anderweitig außer Gefecht gesetzt wurde. Der Fremde schien auch nicht die Absicht zu haben etwas derartiges zu tun, obwohl er mit seinem wahnsinnigen Blick doch etwas unheimlich wirkte.
Während ich meine Arme um die angewinkelten Beine schlang musterte ich den Fremden misstrauisch. Ich fürchtete mich nicht vor ihm und auch die enorme Abneigung, die ich anfangs empfunden hatte war ein wenig abgeklungen, doch die Anwesenheit dieses Fremden war mir unangenehm. Er war mir weder sympathisch noch unsympathisch und die Tatsache, dass ich ihn nicht einschätzen konnte schreckte mich ab. Besonders sein Stimmungsumschwung hatte mich irritiert; Erst dieses irre Grinsen und jetzt diese stille, nachdenkliche Mine. Doch ich war sowieso kein Freund von Gesellschaft. Ich verbrachte meine Zeit lieber allein, erst recht, wenn ich mich in fremder Umgebung befand.
Der Einblick, den mir die Dunkelheit bot, verriet mir, dass ich mich in einer Wüste befanden. Schwammig stiegen Erinnerungen an azurblauen Himmel und verdorrte Bäume auf, doch ich konnte sie nicht zuordnen. Das Stück Boden, auf dem ich saß war jedoch nicht sandig. Es bestand aus einem kargen Stück Fels, der durch den vom Wind verwehten Sand der Wüste im Lauf der Jahre abgeschliffen worden war. Der Platz auf dem ich gelegen hatte war mit Fellen ausgestattet, damit der harte Boden mir nicht den Schlaf raubte, vielleicht. Eine solche Annehmlichkeit von einem Verbrecher? Auch für den Fremden war ein solches Fellbett errichtet worden, dass etwas abseits von meinem lag. Die Feuerstelle befand sich in einer kleinen Mulde inmitten des Felsens. Die Ränder waren bereits schwarz vor Ruß. Neben der Feuerstelle fanden einige Rucksäcke Platz. Einer von ihnen hatte seinen Inhalt quer über den Boden verteilt: Brot, Dörrfleisch und diverse Körner und getrocknete Früchte lagen herum.
Wie auf Kommando begann mein Magen unüberhörbar zu knurren. Ich wusste kaum, wann ich das letzte Mal etwas zu mir genommen hatte. Erschrocken legte ich meine Hand auf den Bauch, um das Geräusch zu unterdrücken, doch der Fremde hatte es bereits gehört. Abwesend murmelte er etwas, dass wie 'bedien dich' klang und deutete lustlos mit der Hand zu dem verschütteten Essen. Ohne großartig darüber nachzudenken kroch ich ein Stück nach vorn und streckte eine Hand nach einem Stück Brot aus. Es war kalt und trocken und scheinbar nicht mehr ganz frisch, doch in diesem Moment war mir das egal. Der Hunger hatte mich ergriffen wie ein heftiger Sturm und raubte mir jeden Nerv. Als hätte ich seit Wochen nichts mehr zu mir genommen verschlang ich das Stück Brot und griff dann nach einem matschigen Apfel.
Besser als nichts, dachte ich halbherzig und vermutete, dass in dem Apfel wohl schon diverse Würmer ihr Vergnügen gefunden hatten. Ich aß ihn dennoch mit vollem Appetit.
Erst als ich mir meine Finger an der Hose abwischte – dreckig war sie sowieso schon – und nach dem nächsten Gaumenschmaus Ausschau hielt, bemerkte ich, dass der Fremde mich von der Seite anstarrte und hielt inne. Neugierde lag in seinem Blick, so als würde er mich zum ersten Mal wirklich ansehen. Ich erwiderte seinen Blick, allerdings eher abweisend und kalt. Ich wusste nicht wer er war, was er von mir wollte und erst recht nicht, weshalb er mich so anstarrte. Stattdessen wünschte ich mir, dass er mich in Ruhe ließe, doch das tat er nicht.
Ein trauriges Lächeln schlich sich auf die Lippen des jungen Mannes.
» Man kann gar nicht glauben, dass du wirklich Maires Tochter sein sollst. «
Ich zog die Hand zurück, mit der ich gerade ein Stück Dörrfleisch ergreifen wollte. Meine Augen verengten sich angesichts seiner Worte.
» Was? «, keifte ich giftiger, als ich es beabsichtigt hatte, behielt aber meinen scharfen Ton bei. » Woher kennst du meine Mutter? «
Mein schnell pochendes Herz rauschte in meinen Ohren. So laut, dass ich beinahe annahm, dass es auch mein Gegenüber hören müsste. Ich war hier inmitten eines mir fremden Landstriches, konnte keinen Ort meinem normalen Leben angleichen, wusste weder, mit wem ich es hier zu tun hatte, noch wie ich an diesen Ort gekommen war. Und nun, als wäre ich nicht ohnehin schon mit alldem überfordert, sprach dieser Fremde auch noch von meiner Mutter?
Bisher hatte ich mich zurückhalten können, wollte am liebsten kein einziges Wort mit diesem Fremden wechseln, der mich so wahnsinnig angrinste, doch als der Name meiner Mutter gefallen war, hatten sämtliche Staudämme zu brechen begonnen.
» Wo bin ich hier? Warum hast du mich hierher gebracht, und weshalb redest du jetzt von meiner Mutter, verdammt? «, entgegnete ich und sprang mit einem Satz auf. Schwankend stand ich dort und vermochte mein eigenes Gleichgewicht kaum wiederzufinden. Ich spürte deutlich, dass ich nicht bei vollen Kräften war und die Nahrung bisher nur wenig geholfen hatte. Doch jetzt konnte ich ganz gewiss nicht mehr ans Essen denken.
Ich befand mich also tatsächlich in einer Entführung! Und dieser Kerl war wohl so von seinen Kräften überzeugt, dass er es nicht einmal für nötig hielt mich zu fesseln. Das war die einzige Erklärung, die mir für diese Sache einfiel. Ich wollte ihn beschimpfen, ihm irgendwas an den Kopf werfen, ihm befehlen mich wieder nach Hause zu bringen, doch nichts von alldem kam über meine Lippen, so als wären die Staudämme bereits wieder repariert. Stattdessen stand ich dort und starrte ihn mit fassungslosem Blick an, dem der Fremde mit Seelenruhe standhielt.
» Bitte rege dich nicht auf, Nanekha. «, flüsterte er und wand sich mit einer kraftlosen Geste wieder dem Feuer zu. » Ich darf dir nichts verraten. Befehl von ganz oben... «
Von ganz oben, dachte ich und schnaubte entrüstet. Als ob mir das weiterhelfen würde.
» Ich glaube dir nicht. Du bist fremd, kennst meinen Namen, kennst den Namen meiner Mutter und hast mich an einen Ort gebracht, den ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen habe! Was soll ich davon denken? Soll ich lachen und mich glücklich schätzen das ich hier bin? Soll ich annehmen, dass alles gut ist und ich bestimmt bald Zuhause bin und mir den Bauch mit mehr als ein bisschen Brot voll schlagen kann? Nein, du sitzt hier, erklärst mir nichts und weigerst dich dann wahrscheinlich auch noch mir zu sagen wieso du das alles machst. « Wieder schnaubte ich empört und suchte nach einem Stein, denn ich voller Wut wegtreten konnte, doch ich fand keinen und stattdessen knirschte mit den Zähnen. » Du könntest dich mir vorstellen, du könntest mir sagen wer du bist, du könntest mir verraten, wo es hingeht. Irgendwas, aber stattdessen... «
» Ich darf dir nichts sagen, Nanekha! «, unterbrach mich der Fremde und stand nun seinerseits auf. » Ich darf es einfach nicht. Und wenn ich mich dem widersetze, dann bekomme ich ein verdammtes Problem! Also gedulde dich einfach, ja? In ein oder zwei Tagen sind wir da. Dann kannst du den Mohorgan ausfragen. Der darf dir alles sagen, was du wissen willst. «
Die Augen des Fremden glitzerten gefährlich. Nicht so wie die eines Mannes, der bereit war mit vollkommener Brutalität sein Begehren durchzusetzen. Es war viel mehr pure Verzweiflung, die ihn nach irgendeinem Plan trachten ließen, der ihn aus dieser Situation brachte, ihn erlöste, aus dieser unangenehmen Lage brachte. Gleichzeitig verringerte er die Wut und meine eigene Verzweiflung, die mich von innen aufzufressen drohte.
Ich verstummte und klappte sprachlos den Mund zu, den ich noch eben für ein paar Beschimpfungen geöffnet hatte. Meine Augen verengten sich erneut. Misstrauisch. Verärgert. Mohorgan? Widersetzen? Ich verstand nicht, was hier vor sich ging, doch nun, da ich die Verzweiflung in seinen Augen gesehen hatte, fühlte ich mich schlecht, wenn ich daran dachte, was ich diesem Fremden alles an den Kopf werfen wollte, weil ich in dieser vermaledeiten Lage war.
Mein Mund fühlte sich nunmehr staubtrocken an, so als hätte ich mich an dem Sand der möglicherweise endlosen Wüste satt gegessen und würde erst jetzt die Auswirkungen erkennen. Meine Lippen bebten aus Unentschlossenheit oder Verzweiflung. Zwar wollte ich diesen Fremden nicht mehr beschimpfen, denn mir erschien es, als wäre er selbst nur eine Marionette in einer Entführung, durch Notlage dazu gezwungen jemandem etwas schlechtes zu tun. Vielleicht fesselte er mich auch nur deswegen nicht; Weil er kein Krimineller war und nur das Geld brauchte. Im Blick des Fremden suchte ich krampfhaft nach irgendeiner Idee, die die Situation lockern würde. Mühsam gelang es mir tief durchzuatmen und mich langsam zu entspannen. Ein Kampf gegen mich selbst, den ich nur mit all meiner mentalen Kraft gewinnen konnte.
» Wer bist du? «, fragte ich mit einer schwachen, leisen, kaum fordernden Stimme. Es kostete mich alle Kraft ihm nicht an den Hals zu gehen. Doch die verkrampfte Haltung meines Gegenübers lockerte sich nun, so als wäre alle Last mit dieser Frage von ihm abgefallen. Die noch eben zu Fäusten geballten Hände hingen nun schlaff an seiner Seite herab und ich sah seinem Gesicht an, dass er die Fassung und einen Hauch Freundlichkeit zurück gewann.
» Man nennt mich Alistar. «, entgegnete er und ein mattes, unsichtbares Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. » Es freut mich, dich endlich kennen zu lernen, Nanekha. «
Alistar, dachte ich und ignorierte das schrille Glöckchen, dass in meinem Hinterkopf zu läuten begannen hatte. Da ist was!, rief es laut und deutlich, doch mir wollte nicht einfallen, weshalb da etwas war. Ich kannte diesen jungen Mann nicht.
Sachte nickte ich und wendete meinen Blick nicht ab. Der Name des Fremden verwunderte mich. Ich kannte wenige Menschen mit genauso seltsamen Namen wie meinem. Und das mein Name seltsam war, dessen war ich mir schon von klein auf bewusst gewesen. Teilweise hatte ich meine Mutter dafür gehasst, dass sie mir diesen blöden Namen gegeben hatten. Normale Mädchen hießen Sabrina, Annika oder Lisa. Aber Nanekha? Ich kannte niemanden, wirklich niemanden, der so hieß. Und nun stand da jemand vor mir, mit einem Namen dessen Klang auch mir annähernd fremd war.
Doch das war nicht das einzig irritierende. Alistar hatte gesagt, dass er sich freute mich endlich kennen zu lernen. Ich hatte weder Hobbies noch besondere Auszeichnungen, für die man mich kennen sollte, doch es erschien mir als sinnlos seine Aussage zu hinterfragen. Er hatte seinen Standpunkt deutlich gemacht, klar ausgesagt, dass ich von ihm nicht all zu viel erfahren würde. Wohl oder übel würde ich die Zeit abwarten müssen, bis ich bei diesem Mohorgan war. Nur zu schade, dass ich ganz gewiss kein geduldiger Mensch war.
» Okay. «, entgegnete ich nur statt meinem Ärger Luft zu machen, trat einen Schritt zurück und war im Begriff mich wieder dem Essen zuzuwenden.
» Das war es? Kein weiterer Wutausbruch? Keine Fragen? Wie enttäuschend! «, gab Alistar spottend von sich.
Da war es wieder, dieses irre Lächeln. Doch jetzt wirkte es kaum noch bösartig, nicht abschreckend, einschüchternd oder gefährlich. Stattdessen er hatte seine Bosheit für mich verloren, als ich die Verzweiflung in seinen Augen gesehen hatte. Dennoch war es kein Grund nicht mehr misstrauisch zu sein.
Ob das wohl seine Art von Humor ist?, fragte ich mich und dachte insgeheim, dass, wenn ich mit der Vermutung recht hatte, wir beide noch einige Probleme miteinander haben würden.
Zugegeben. Ich wusste nicht, wie lange ich hier in dieser Einöde bleiben würde. Ich wusste nicht, ob ich je wieder heim kam, nicht, ob ich je wieder ein mir bekanntes Gesicht sehen würde, doch stillschweigend ging ich davon aus, dass ich diesen Alistar wohl nicht das letzte Mal sehen würde. Ich fand mich mit der derzeitigen Situation ab oder musste es zumindest irgendwie. Nur in meinem Hinterkopf ertönte das leise Stimmchen, dass hinterfragte, ob er wohl weg sein würde, wenn ich bei dem Mohorgan war. Alistar, ein Fremder, der mir in dieser Umgebung das Einzige war, dass einen Hauch Freundlichkeit ausstrahlte. Irre Freundlichkeit und einen Hauch Zuversicht. Es hätte ja schlimmer dein können; Allein in einer Höhle, in einer Grube voller Käfer oder auf der Spitze eines Berges ohne von diesem herunter gelangen zu können.
Mein offenbar verwirrter, nachdenklicher Blick ließ den jungen Mann nur noch breiter Grinsen. Hatte er angenommen ich würde darüber nachdenken, ob ich ihm nicht doch eine runterhauen sollte? Dennoch griff er dieses Gespräch nicht weiter auf; Er nahm wieder vor dem Feuer Platz, ließ sich nieder und legte seinen Kopf auf die angewinkelten Knie, die er mit seinen Armen umschlungen hatte. Obgleich er ein mattes Lächeln auf den Lippen hatte, strahlte er noch immer diese ungeheure Traurigkeit aus für die ich keinen Grund finden konnte. Zögernd nahm ich ein hartes Stück Brot vom Boden und setzte mich zu ihm ans Feuer. Während ich abbiss musterte ich erst Alistar, dann die Umgebung und den pechschwarzen Himmel. Weder Wolken noch Sterne waren an diesem zu erkennen. Es schien fast, als wäre diese endlose Wüste von reiner Schwärze umhüllt. Schwärze, und nichts Anderem. Die einzige Lichtquelle war das Feuer, dass zu meinen Füßen vor sich hin loderte und einen sanften Hauch von Wärme schenkte, die nur mühsam gegen die umliegende Kälte ankam. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen auf einem Fell zu sitzen, dass meinen Hintern wärmte. Die Steine waren furchtbar kalt. Sie hatten die Wärme der Sonne nicht gespeichert.
» Wenn dir kalt ist kannst du dir einen dieser Mäntel nehmen. Ich wusste nicht wie groß du bist, deswegen musste ich einen halben Kleiderschrank mitnehmen «, sagte Alistar und verdrehte gekünstelt die Augen. » Besser wäre es aber eigentlich, wenn du dich wieder schlafen legen würdest. Wir müssen morgen ein gutes Stück zu Fuß laufen. Da ist es gut, wenn du ausgeruht bist. «
Ich runzelte die Stirn, denn ich erinnerte mich vage daran, dass da etwas war, von dem ich unter dem azurblauen Himmel vorangetragen wurde. Der Geruch nach Wald und Erde und das gleichmäßige Laufen, während ich auf dem breiten Rücken lag. » Aber da war doch dieses Pferd. Du hast mich doch mit einem Pferd transportiert, als ich... «
» Und? Siehst du hier irgendwo ein Pferd? «, entgegnete Alistar genervt und rümpfte die Nase. » Es ist mir weggelaufen. Auf den Luxus müssen wir also verzichten. «
Ein irritierter Blick galt Alistars Gesicht, dass sich erneut zum Feuer gewandt hatte. Ich zögerte, bevor ich die Frage stellte. Er wirkte so gereizt, obwohl ich ihm keinen Vorwurf gemacht oder ihn angeklagt habe.
» Warum ist es dir weggelaufen? «, fragte ich neugierig und erntete daraufhin weder einen Blick noch ein Wort. Ich versuchte eine Antwort aus ihm herauszubekommen, einfach indem ich ihn anstarre, aber er tat so, als wäre ich gar nicht da. Stattdessen kaute er auf seinem Finger herum, während seine volle Aufmerksamkeit weiterhin dem Feuer galt. Erneut loderte Wut in mir auf, die ich mühsam zügelte.
Es folgte eine lange Zeit der Stille, in der Alistar schwieg und ich versuchte mit einem Blick Informationen herauszulocken. Leise Gedanken beschlichen mich. Der Wunsch seine Sachen zu durchsuchen, sobald er einschläft. In Gedanken versunken merkte ich erst, als er die Stimme erhob, dass er meinen Blick nun erwiderte.
» Geh jetzt schlafen. «, sagt er tonlos.
» Gut. «, erwiderte ich nur und verkniff mir jegliche Emotion. Nur kurz hatte ich mit dem Gedanken gespielt zu widersprechen, bis ich mich dazu entschlossen hatte, dass es keinen Sinn ergab hier irgendeine Form eines Aufstands anzuzetteln. Mit raschen Bewegungen stand ich auf und ging zurück zu meinem improvisierten Bett, kuschelte mich in den aus Tierfellen genähten Schlafsack ein und starrte zum Himmel hinauf, der voller Schwärze zurück starrte. Die Dunkelheit ließ mich in Unwissenheit zurück, als der Schlaf mich auf sanften Schwingen fort trug.
Das Sonnenlicht, das mich empfing, als ich die Augen aufschlug, brannte. Noch immer lag ich in meinem Schlafsack, doch es war so unerträglich heiß, dass es nicht mehr aushielt. Ich wartete nicht, bis ich vollkommen wach wurde, sondern streifte mir sofort, beinahe ruckartig den Pelzteppich vom Leib. Nass vor Schweiß fragte ich mich, wie lange ich schon in dieser Hitze ausgesetzt war, doch der Blick zur Sonne verriet, dass sie gerade erst aufgegangen war. Kaum eine halbe Stunde stand die Sonne am Himmel, und schon jetzt war die Hitze unerträglich. Geblendet vom Licht schirmte ich nun, da ich mich selbst in meiner Hektik aus dem Schlaf gerissen hatte, die Augen mit den Händen ab und sah mich um. Der Stein, auf dem ich mich gestern Nacht mit Alistar wiedergefunden hatte schwamm nun nicht mehr in gänzlicher Dunkelheit, sondern viel mehr im schier endlosen Wüstenmeer. Die Unwissenheit hielt also an und beunruhigte mich immer noch, nagte an meinem Innersten.
Alistar war nicht hier, doch Fußspuren führten von den Steinen weg. Das Lager war aufgeräumt, nichts fehlte und alles war ordentlich verpackt. Das viel mir erst auf, als ich meine Blick vom Himmel abgewandt hatte. Beunruhigt und angestrengt versuchte ich in die Ferne zu spähen um wenigstens einen dunklen Schatten erkennen zu können, der mir verraten konnte, dass Alistar wiederkam, doch am Horizont traf nur das endlose Blau des Himmels auf das endlose Orange des Wüstensandes und keine schemenhafte Gestalt war zu sehen.
Und jetzt? Meine Gedanken gaben mir keine Antwort. Ich war ratlos. Hatte Alistar mich hier sitzen lassen? Vielleicht hatte er erkannt, dass er die falsche Person entführt hatte? Nein, das war nicht möglich. Obgleich ich ihn noch immer als Fremden titulierte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass er zu einer derart schlechten Sorte Mensch gehörte, sie jemanden dem gewissen Tod überließ. Aber wenn es das nicht war, weshalb war Alistar dann verschwunden?
Dumpf pochte ein bisher unbekanntes Gefühl in meinem Bauch; Existenzangst. Ich war allein inmitten einer Wüste ohne eine Idee, wie ich hier gelandet war und ohne einen Plan, wie man hier wieder wegkommen konnte. Wie denn auch, wenn ich nicht einmal wusste, wie ich hierher gekommen war. Ich war mir sicher, dass ich nicht in der Nähe meines Zuhauses war, denn dafür war es hier viel zu warm. Keine Karte konnte mir verraten, wo ich stand und jeder Schritt, den ich in diese unendliche Wüste machte, könnte mein Ende bedeuten. Nach einigen Metern wusste ich vielleicht nicht einmal mehr ob ich noch geradeaus ging, oder irgendwann beginnen würde im Kreis zu Laufen.
Ein Hauch Hysterie stieg in mir auf, doch ich schluckte ihn herunter so gut es ging und schlang die Arme um meine Beine, machte mich ganz klein und sah mich aufmerksam um, in der Hoffnung, dass der endlose Sand mir einen Weg offenbarte. Nichts regte sich, nicht einmal der Wind erbarmte sich dazu einen kleinen Hauch von Kühle zu schicken.
Die Luft begann nun zu flimmern. Mittlerweile musste die Wüste eine Temperatur von mindestens 30 Grad Celsius erreicht haben und das obwohl die Sonne nicht einmal im Zenit stand. Ich konnte es in meinen dicken Klamotten kaum noch aushalten. Ich hatte noch immer meinen dicken Kapuzenpulli und die Jeans an, Kleidung, bei der ich mich kaum erinnern konnte wann ich sie angezogen hatte. Noch einmal sah ich mich um, ehe ich mir die Kleidung vom Leib streifte. Ich war vollkommen allein, da interessierte es niemanden, ob ich in Unterwäsche durch die Wüste lief oder nicht.
Kaum hatte ich den Pullover vom Leib gestreift, bemerkte ich, dass es beruhigend wirkte, wenn ich mich bewegte. Jetzt, da die wärmenden Kleidungsstücke nicht mehr verschwitzt an mir hingen fiel das Bewegen auch deutlich leichter. Ich stand also auf und ging einen Schritt, nur um keuchend und voller Schreck zurückzufahren. Der Stein hatte sich in der Sonne erhitzt und nun, da ich mit der Jeans auch meine Turnschuhe ausgezogen hatte, brannten meine Sohlen auf dem heißen Gestein. Fluchend setzte ich mich auf den Haufen Kleidungsstücke, griff nach den umliegenden Rucksäcken, die Alistar zurückgelassen hatte und durchwühlte sie wahllos. Sollte er zurückkommen, so sollte er sich hüten mir einen Vorwurf dafür zu machen. Er selbst hatte immerhin dafür gesorgt, dass ich mich selbst um mein Überleben kümmern musste. Im dritten Rucksack fand ich endlich etwas, dass Sandalen ähnelte. Sie sahen aus wie schuhförmige Beutel aus Leder mit einem Lederband an der Öffnung. Ich gestand, dass meine Turnschuhe bedeutend einladender aussahen, doch doch mir war klar, wie praktisch diese seltsamen Beutel waren. Man konnte sie zuschnüren und bekam somit keinen Sand in die Schuhe.
Nun, mit geschützten Füßen, wagte ich erneut einen Schritt und konnte näher an Alistars Fußspuren zu treten. Aus der Nähe war zu sehen, dass die Fußspuren irgendwie ungleichmäßig waren, als wäre er gerannt und dabei auf dem Sand weggerutscht. Vorsichtig betrat ich den Sand und folgte Alistars Spuren einen Moment, besann mich jedoch und kehrte wieder um. Es würde mir nichts bringen diesen Spuren wahllos zu folgen. Erstrecht nicht mit nichts am Leib und ohne jegliche Art von Trinken.
Wasser!, rief es alarmiert in meinem Kopf. Ich musste schleunigst nach etwas zu trinken suchen um nicht in kürzester Zeit zu dehydrieren. Ich konnte mich immerhin nicht einmal daran erinnern, wann ich zuletzt etwas getrunken hatte. Erst jetzt bemerkte ich, wie meine Kehle vor Durst brannte. Wenn ich nicht bald etwas trinken würde...
Und da war sie wieder, die Hysterie. Ein wildes Glucksen, stieg in meiner Kehle auf, eine Mischung aus Schrei und Schluchzten. Nein, nein. Ich konnte hier doch nicht einfach sitzen bleiben! Es war unbedingt nötig, dass ich sofort etwas zu trinken fand. Und dann musste ich aus der Sonne raus. Wieder glitt mein Blick über das Sandmeer. Kein Zentimeter Schatten. Hoffnungslos., dachte ich. Ich werde sterben. Gedanklich hatte ich also schon mein Schicksal beschlossen und doch fand sich mein Körper nicht mit dieser Entscheidung ab. Er bewegte sich weiter, fuhr mit den Händen durch die Rucksäcke und fischte letztendlich etwas heraus, dass kalt war und sich flüssig anfühlte. Lederne Tierhaut spannte sich um etwas, in dem sich Flüssigkeit zu befinden schien. Mit einem Würgen erinnerte ich mich an den Geschichtsunterricht in dem wir gelernt hatten, dass man in früheren Zeiten Wasser aus Schweineblasen trank. Erschreckenderweise sah dieses Gefäß genau so aus, wie die Repliken, die wir gesehen hatten. Doch es half nichts. Der Durst obsiegte und so öffnete ich den Verschluss. Ich wagte es gar nicht erst daran zu riechen. Es war sicher ekelerregend. Stattdessen hielt ich mir das lederne Ding an die Lippen und trank einige Schlücke, bis ich bemerkte, dass es keineswegs Wasser war, das meine Kehle hinunter rann.
Ich schluckte das Zeug herunter und rieb mir über die Lippen. Es war seltsam und ich fühlte ein komische Gefühl in meinem Bauch. Hätte ich gewusst, was ich da eben zu mir genommen hatte, würde ich das Gefühl vielleicht genießen, doch unwissend wie ich war stieg meine Angst. Drogen? Gift? Was war es? Musste ich es fürchten?
Vor meinen Augen verschwamm die Welt. Langsam aber sicher merkte ich, wie ich die Hitze besser ertrug, ja, mir war beinahe kalt. Unwissend, ob ich mich nun glücklich schätzen, oder weiter um mein Leben bangen sollte, starrte ich die Flasche an. Kurz darauf wurde auch meine Sicht wieder klarer. Besser noch, die Sonne hatte aufgehört mich zu blenden. Erschrocken riss ich den Kopf hoch, starrte in den Himmel um mich zu vergewissern, dass da irgendwelche Wolken waren. Doch da war nichts. Nur strahlend blauer Himmel. Ich schüttelte mich ob der Kälte, fühlte mich unsicher und nackt. Und vor allem wusste ich nicht, was ich nun tun sollte. Letztendlich entschloss ich mich dazu erneut die Rucksäcke zu durchwühlen – mir war so kalt, dass ich mir etwas überziehen musste. Im gleichen Zug entschloss ich mich dazu die Lippen aufeinander zu pressen und mich zusammen zu reißen. Es hatte keinen Zweck in der Wüste auf einem Stein zu sitzen und panisch in Rucksäcken umher zu wühlen. Fakt war, dass ich vollkommen allein war und nichts über diese Gegend wusste. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand mich fand und an einen anderen Ort brachte, tendierte gegen Null. Mein Schicksal sagte mir möglicherweise, dass ich nun sterben sollte, doch mein Schicksal konnte mich mal. Ich würde die Sache selbst in die Hand nehmen.
Kurze Zeit später war ich gerüstet; Ich war zwar nicht umhin gekommen die Rucksäcke zu durchwühlen, doch alles hatte Sinn und Zweck. Wasser, Brot und Kleidungsstücke befanden sich zusammen mit einer Karte in einer Tasche auf meinem Rücken. Die Karte hatte ihren Zweck bisher jedoch nicht erfüllt, denn eine Wüste war auf ihr nicht zu sehen. Tatsächlich hatte ich nicht eine Stadt gefunden, die ich aus meiner Heimat kannte. Ich befand mich also entweder irgendwo im Nirgendwo, oder die Karte war nicht korrekt. Beides half mir derzeit nicht weiter. Außerdem hatte ich auch das lederne Gefäß mit der seltsamen Flüssigkeit mitgenommen. Bisher hatte mit das Zeug nur gut getan, vielleicht konnte es mir also auch noch weiter von Nutzen sein. Sollte ich jemanden fragen könnte ich möglicherweise sogar erfahren was das war.
Die Beutelschuhe, wie ich sie liebevoll getauft hatte, bedeckten meine Füße als ich den erste Schritt tat. Als meine Füße den Sand berührten, wurde mir klar, dass es eine Umstellung werden würde; Der Sand war nicht annähernd so wie der, denn ich kannte. Bei meinem ersten Schritt geriet ich in Gefahr beinahe knietief zu versinken. Nicht, dass ich nicht wieder herausgekommen wäre, doch das Gefühl des Versinkens, des Kontrollverlustes war so unangenehm, dass es mir beinahe einen Schrei entlockt hätte.
Erneut riss ich mich am Riemen, biss die Zähne zusammen und stakste weiter durch den Sand. Damit begann eine Reise, die mich oft an den Rand der Verzweiflung treiben würde. Während die Sonne ihren Weg ins Zenit bestritt, darüber hinaus eilte und wieder dem Horizont entgegen wanderte bot sich meinen Augen nichts als der Anblick von sandigem Land, verdorrten Bäumen und hier und dort ein paar Felsbrocken. Immer wieder fing ich an zu zweifeln, dachte darüber nach, ob Alistar vielleicht doch zurück gekommen war. Wahrscheinlich kurz nachdem ich mich auf den Weg gemacht hatte.
Texte: Jana Deierling
Tag der Veröffentlichung: 14.10.2012
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