Es war Ostern 1989, es war Sonntag. Wecken zwischen 8 und 9 Uhr.
„Aufstehen, wir müssen los! Wir schaffen das sonst nicht rechtzeitig!“, brüllte eine kratzige Altfrauenstimme, in der immer eine gewisse Prise Bösartigkeit mitschwang und die sich immer vorwurfsvoll anhörte.
Erstens hörte man heraus: „Ich muss mich immer um alles kümmern, von alleine passiert hier nichts!“
Zweitens: „Ihr hättet eben früher ins Bett gehen sollen, dann wäret ihr heute nicht so müde.“
Und drittens: „Ihr wisst doch genau, dass wir heute los wollen, warum seid ihr denn alle noch nicht fertig?“
Oma Inge trat stets der ganzen Familie in den Hintern, wenn es um den generalstabsmäßigen Aufbruch zu einem Besuch bei ihrer Schwester Erna ging. Eigentlich konnte sie Erna nicht leiden. Es war immer ein krankhafter Wettbewerb zwischen ihnen beiden, zumindest von ihrer Seite aus. Wer hatte das bessere Leben, wer arbeitete mehr im Haushalt. Wessen Familie funktionierte harmonischer. Wer hatte bereits Enkelkinder und wer nicht. Oma Inge präsentierte bei ihrer Schwester einen Familienzusammenhalt und ein Leben, das so in der Realität einfach nicht stattfand. Alle sollten dort immer zeigen, wie lieb sie sich hatten, wie harmonisch das Zusammenleben funktionierte.
Opa Karl hatte sich bereits mit seiner tiefenentspannten „Leck mich am Arsch“- Haltung in der Küche eingefunden, seelisch eingestimmt auf das bevorstehende Theater und trank mit ausdrucksloser Miene einen Milchkaffee, dazu aß er ein Brot mit Honig. Sein Blick verriet, wie gerne er sich gerade jetzt an einem anderen Ort aufhalten würde.
Im Laufe der Jahre hatte er sich eine Strategie für den Umgang mit seiner Frau zurecht gelegt.
Tu einfach so, als wäre sie gar nicht da. Aushalten, Schnauze halten.
Tochter Ilse kam mit verquollenem Gesicht und zu Berge stehendem Haar lustlos aus ihrem Schlafgemach geschlichen. Sie war geschieden, um über die Runden zu kommen, lebten sie und die Kinder bei Oma Erna, deren Haus zum Glück groß genug war, um sich aus dem Weg zu gehen.
Wenn sie morgens aufstand, sah sie immer ein bisschen aus, als habe sie sich gerade einer schweren OP unterziehen müssen. Sie sprach dann immer durch die Nase und bekam den Mund kaum auf.
Zum Schluss die beiden Enkelkinder, Jasmin und Hajo. Jasmin hatte aus lauter Vorfreude auf die Autofahrt bereits in der Nacht davor kein Auge zugetan und war entsprechend gelaunt, sie war Zehn. Hajo, neun Jahre, hatte einfach keinen Bock und wollte lieber zu Hause Nintendo spielen.
Aber bei Tante Erna gab es Satellitenfernsehen, sie konnten sogar Tele 5 empfangen, das gab es
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2021
ISBN: 978-3-7487-9655-8
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meinen Bruder Martin.