Wenn wir Schatten euch beleidigt
O so glaubt – und wohl verteidigt
Sind wir dann! –, ihr alle schier
Habet nur geschlummert hier
Und geschaut in Nachtgesichten
Eures eignen Hirnes Dichten
(Shakespeares »Sommernachtstraum«)
»Wem gehört der prächtige Palast dort unten?«, fragte Prinz Romano, auf dem schlanken Engländer nach seinen Begleitern zurückgewandt, indem sie soeben auf einer Höhe aus dem Walde hervorkamen und auf einmal eine weite, reiche Tiefe vor sich erblickten.
»Dem Herrn Publikum!«, erwiderte ein schöner Jüngling aus dem Gefolge.
»Wie! Also hier wohnt der wunderliche Kauz? Kennst du ihn denn?«, rief der Prinz verwundert aus.
»Nur dem Rufe nach«, entgegnete der Jüngling, sichtbar verwirrt und mit flüchtigem Erröten.
Die untergehende Sonne beglänzte unterdes scharf die schönsten Umrisse des Palastes; heiter und wohnlich erhob er sich über die weiten, fruchtbaren Ebenen, mit den Spiegelfenstern noch hell herüberleuchtend, während die Felder ringsum schon zu verdunkeln anfingen. Ein schöner Garten umgab das Schloss und schien im Abendduft mit der Landschaft und dem schimmernden Strome bis weit an die fernen blauen Berge hin zusammenzufließen.
»Göttliche Ironie des Reiselebens!«, sagte der Prinz zu seinen Begleitern. »Wer von euch hätte nicht schon sattsam von diesem Publikum gehört, über ihn gelacht und sich geärgert? Es juckt mich lange in allen Talenten, ihm einmal ein Schnippchen zu schlagen, und wenn es euch recht ist, so sprechen wir heute über Nacht bei ihm ein. Lasst mich nur machen, es gibt die köstlichste Novelle!«
Der Einfall wurde von der ganzen Gesellschaft mit lautem Beifall aufgenommen, und alle lenkten sogleich der breiten, glänzenden Kunststraße zu, die nach dem Palast zu führen schien.
Es war anmutig anzusehen, wie die bunten Reiter beim Gesang der Waldvögel langsam die grüne Anhöhe hinabzogen, bald zwischen den Bäumen verschwindend, bald wieder vom Abendrote hell beleuchtet.
Am wohlgefälligsten aber spielten die Abendlichter über der zierlichen Gestalt jenes schönen Jünglings, der vorhin dem Prinzen den Besitzer des Palastes genannt hatte. Der muntere Bursch, soeben als ausgelernter Jäger aus der Fremde zurückkehrend, hatte sich im Gebirge verirrt. So traf ihn die Gesellschaft im Walde, welcher er sich nun auf einige Tagereisen angeschlossen.
Sein frisches, fröhliches Wesen schien den ganzen bunten Trupp wunderbar zu beleben. Denn während seine Augen mit schalkischem Wohlgefallen auf den vornehmen Anführern des Zuges ruhten, führte er hinten ein unausgesetztes Witzgefecht mit den Jägern, oder er sang zu allgemeinem Ergötzen die herrlichsten Jagdlieder.
Der Kammerherr des Prinzen schrieb die Lieder sorgfältig auf und ärgerte sich dann, wenn der Bursch sie das nächste Mal wieder ganz anders sang, sodass er mit Notieren der Varianten gar nicht zu Ende kommen konnte.
Der Prinz aber hatte seine eigenen Pläne dabei: Er gedachte sich des hübschen, gewandten Jungen in den nächsten Tagen als Pagen und Liebesboten sehr vorteilhaft zu bedienen. Die junge Gräfin Aurora nämlich, von deren poetischen Natur und Zauberschönheit bei allen Poeten im Lande groß Geschrei war, wurde aus Italien auf ihren Gütern in dieser Gegend hier erwartet, und Romano war soeben aufgebrochen, die Wunderbare kennenzulernen und ihr auf seine Weise den Hof zu machen.
Es war schon dunkel geworden, als die Gesellschaft fröhlich schwätzend in dem Park des Herrn Publikum anlangte. Mit Verwunderung gewahrten sie hier, je tiefer sie hineinritten, eine unerklärliche Bewegung und Unruhe; es war, als rührten die Gebüsche sich ringsumher in der Dämmerung, einzelne Figuren schlüpften hastig da und dort hervor, andere schienen erschrocken dem Schlosse zuzueilen.
Jetzt sahen sie auch in dem Palaste Lichter durch die ganze Reihe der Fenster auf und nieder irren, eine halb erleuchtete Krone drehte sich oben, bald noch eine und wieder eine.
Auf einmal stiegen draußen mehrere Leuchtkugeln empor und ließen plötzlich in wunderbarem, bleichen Licht eine stille Gemeinde fremder Gesichter bemerken, die fast gespensterhaft aus allen Büschen hervorblickten.
»Meine Nähe und unser Entschluss, hier einzusprechen, muss auf dem Schlosse verraten sein«, sagte der Prinz mit vornehmer Nachlässigkeit; »es ist ein unbequemes Wesen um den Dichterruhm!«
In diesem Augenblick wölbte sich ein Mondschein-Regenbogen lustig vor ihnen über die Wipfel, auf dessen Höhe eine goldene Lyra, von einem Lorbeerkranz umwunden, sichtbar wurde.
»Zart-sinnig!«, rief der überraschte und geschmeichelte Prinz aus, musste aber schnell abbrechen, um seinen Engländer zu bändigen, der immer ungebärdiger um sich blickte und schnaubte, als sie unter dem glänzenden Triumphtor einzogen.
Unterdes gab der unversehene Knall eines Böllers das Signal zum Abbrennen eines ausgedehnten Feuerwerks, das plötzlich den ganzen Platz in einen feurigen Zaubergarten verwandelte.
Jetzt war das Pferd nicht länger zu halten; pfeilschnell zwischen dem Sprühen und Prasseln, über Blumen und Hecken gerade fort, flog es an den Feuerrädern und Tempeln vorüber, die Begleiter konnten nicht so rasch nach, die Zuschauer aus den Büschen schrieen: »Hurra!«
Mit Schrecken sah der Prinz im Fluge immer näher und näher den Palast vor sich, Fackeln am Eingange und die Herren des Hauses mit zahlreicher Gesellschaft zum Empfange feierlich die Treppe herabsteigen.
Mitten in dieser Verwirrung begann endlich das geängstigte Ross auf dem freien Rasenteppich zu bocken, und so unter den wunderlichsten Sprüngen langte der Prinz wie auf einem toll gewordenen Schaukelpferde vor dem Palast an.
»Mein Gott!«, rief ihm der Herr Publikum entgegen. »Lassen Sie sich herab!«
»Bitte sehr, nichts von Herablassung«, erwiderte der Prinz, schon ganz schief vom Sattel hängend, während er den Hut vom Kopf verlor. – Hier wurde ein zweiter Böller gelöst, das Pferd feuerte noch einmal wütend aus, und Romano lag auf dem Sande.
Während sich dies vor dem Palast begab, sah man zwischen den Schlaglichtern des verlöschenden Feuerwerks eine junge Dame zu Pferde die Allee heransprengen.
Die wunderbare Beleuchtung gab der hohen schlanken Gestalt etwas Wildschönes, und ein freudiges: »Ach!« begrüßte von allen Seiten die Erscheinung.
Ein reich geschmückter Jockei derDame hatte unterdes Romanos lediges Pferd ergriffen. Sie selbst aber schwang sich schnell vom Sattel und trat mit besorgten, fragenden Blicken zu dem gefallenen Prinzen.
Dieser, als er die herabgebeugte Gestalt und die schönen großen Augen zwischen den herabwallenden Locken so plötzlich über sich erblickte, erhob sich gewandt auf ein Knie vor ihr und sagte, zierlich ihre Hand küssend:
»Nun weiß ich, an welchen Sternen sich diese verzauberten Gebüsche entzündet haben!«
Die Dame lächelte schweigend und schien unruhig und vergeblich mit den Augen jemand in dem Kreise der Umstehenden zu suchen.
Prinz Romano aber sprang ohne alle Verlegenheit auf, schüttelte sich ab, reichte der Schönen seinen Arm und führte sie die breite Treppe hinan, während der etwas korpulente Herr Publikum, der gar nicht wusste, wie ihm geschah, Mühe hatte, ihnen so rasch zu folgen.
Oben aber entstand nunmehr die größte Konfusion. Durch eine glänzende Reihe hell erleuchteter Gemächer bewegte sich eine zahlreiche Versammlung in festlicher Erwartung, alle Augen waren auf das eintretende Paar gerichtet, der Prinz grüßte vornehm nach allen Seiten.
Da kam plötzlich Herr Publikum atemlos nach.
»Romano?«, hörte ihn der Prinz hinter sich eifrig zu den Nachfolgenden sagen. »Prinz Romano? Verfasser von –? Ich wüsste nicht – habe nicht die Ehre.«
Die Dame sah verwundert bald den Sprechenden, bald den Prinzen an:
»Wer von Ihnen beiden ist denn aber nun eigentlich der Herr Publikum?«
»Sind Sie denn nicht seine Tochter?«, fragte der Prinz, nicht wenig erstaunt.
Hier wurden sie durch Herrn Publikum unterbrochen, der in eiliger Geschäftigkeit, mit dem seidnen Schnupftuche sich den Schweiß trocknend, der Dame seinen Arm reichte.
»Konfusion, lauter Konfusion!«, sagte er voller Verwirrung. »Mondschein, Regenbogen, Böller, Missverständnis, ein unerwarteter Gast – alles zu früh abgefeuert; sobald Sie kamen, Gnädigste, sollten sie abgebrannt werden.« Hiermit war er mit der Gefeierten in der Menge verschwunden, alles drängte neugierig nach.
»Wer ist die Dame?«, fragte der Prinz einen der Nachzügler.
»Die schöne Gräfin Aurora«, war die Antwort.
Es war noch alles still im Schloss nach dem Feste, das bis tief in die Nacht hinein gedauert hatte. Nur Prinz Romano, die Heimlichkeit der Morgenzeit benutzend, stand schon eifrig vor dem hohen Wandspiegel zwischen Kämmen, Flaschen und Büchschen, die auf allen Stühlen umherlagen.
Dem Rausch einer wüst durchlebten Jugend war frühzeitig ein fataler Katzenjammer gefolgt, und sein Haupt insbesondere hatte in den mannigfachen Raufereien mit den Leidenschaften bedeutend Haare lassen müssen.
lle diese Defekte geschickt zu decken war heut sein erstes Tagewerk, da er leider aus Erfahrung wusste, dass vor den Augen der Damen in Auroras Alter der Lorbeerkranz die Glatze eines Dichters nicht zu verbergen vermag.
Draußen aber ging der herrlichste Sommermorgen funkelnd an allen Fenstern des Palastes vorüber, alle Vögel sangen in der schönen Einsamkeit, während von fern aus den Tälern die Morgenglocken über den Garten heraufklangen.
Da vernahm der Prinz zwischen den blitzenden Gebüschen unten abgebrochen einzelne volle Gitarrenakkorde. Das konnte er niemals ohne innerliche Resonanz ertragen, die frühesten Jugenderinnerungen klangen sogleich mit an: ferne blaue Berge, Reisebilder, italienische Sommernächte, erlebte und gelesene.
Auch heute vermochte er dem Zuge poetischer Kameradschaft nicht zu widerstehen, er warf Kämme und Büchsen fort und eilte die breiten stillen Marmortreppen hinab, in den Park hinaus.
Ein frischer Morgenwind ging durch die Wipfel, aber in dem Rauschen war ringsumher kein Lautenklang mehr zu vernehmen. Der Prinz horchte, schritt dann tiefer in das taufrische Labyrinth hinein und lauschte wieder. Da glaubte er in einiger Entfernung sprechen zu hören, als eine plötzliche Wendung des Ganges ihm einen unerwarteten Anblick eröffnete.
Ein junger Mann nämlich, in leichter Reisekleidung und eine Gitarre im Arm, hatte sich soeben über den Zaun in den Garten geschwungen; ein Jäger saß noch auf dem Zaune, beide waren bemüht, einem kurzen wohlbeleibten Manne gleichfalls herüberzuhelfen.
»Sind eurer nicht noch mehr dahinter?«, fragte der Jäger mit pfiffiger Miene.
»Dummes Zeug!«, erwiderte der Dicke, mühsam kletternd und halb zu dem andern gewendet. »Ihr habt immer solche absonderliche Streiche im Kopf und meint, es sei poetisch, weil's kurios ist. Da brauch' ich keinen solchen nichtswürdigen Zaun dazu, ich trage die rechte Himmelsleiter allezeit bei mir, die leg' ich an gerade in die Luft, wo mir's beliebt, und auf der klettre ich fixer hinan als ihr alle zusammen!«
Hier wandte sich der Fremde mit der Gitarre rasch herum, Prinz Romano blieb in höchster Überraschung wie eingewurzelt stehen.
»Mein Gott!«, rief er, »Graf Leontin – aus Ahnung und Gegenwart!«
»Ist gleich an der Gitarre zu erkennen«, fiel ihm der Dicke ins Wort; »er kann nicht wohl gespeist zu haben sagen, ohne einen Griff in die Saiten dazu.«
»Der Dichter Faber«, sagte Leontin, den Dicken präsentierend, »noch immer der alte; er kann, wie ein Bär, nicht ohne Brummen tanzen.«
»Aber, liebe Herzensjungen«, entgegnete der Prinz, »ich versteh' noch immer nicht – wie kommt ihr hierher, was wollt ihr?«
»Der schönen Aurora im Vorüberziehen ein Ständchen bringen«, erwiderte Leontin.
»Ständchen?«, rief Prinz Romano begeistert aus. »Morgenständchen im Garten? O da muss ich mit! Wo ist ihr Schlafgemach?«
»Der Jäger da will uns weisen«, sagte Leontin, »von ihm erfuhren wir's, dass die Gräfin hier ist.«
»Pst! Pst! Wir sind schon unter der Schussweite der Fenster!«, unterbrach sie Herr Faber, indem er, ungeachtet seiner Korpulenz, gebückt und voller Eifer auf den Zehen fortzog, als wollte er ein Vogelnest beschleichen. Der Jäger führte ihn unablässig in die Kreuz und Quer, der breite Dichter stolperte und schimpfte, der Jäger sprach lustig Mut zu, die andern folgten lachend.
So zog das wunderliche Häuflein zankend, schwirrend und sumsend durch diestille Morgenluft bis an eine Rosenhecke, wo ihr Führer sie endlich aufstellte.
Die Schlossfenster leuchteten wie glänzende Augen zu ihnen herüber; Leontin griff, ohne sich lange zu besinnen, in die Saiten, Faber übernahm die Basspartie, und sie sangen munter:
»In den Wipfeln frische Lüfte,
Fern melod'scher Quellen Fall,
Durch die Einsamkeit der Klüfte
Waldeslaut und Vogelschall,
Scheuer Träume Spielgenossen,
Steigen all beim Morgenschein
Auf des Weinlaubs schwanken Sprossen,
Bis ins Fenster aus und ein.
Und wir nah'n noch halb in Träumen,
Und wir tun in Klängen kund,
Was da draußen in den Bäumen
Singt der weite Frühlingsgrund.
Regt der Tag erst laut die Schwingen:
Sind wir alle wieder weit
Aber tief im Herzen klingen
Lange nach noch Lust und Leid.«
»Ein scharmantes Lied!«, unterbrach sie hier der entzückte Prinz.
»Still, still«, sagte Faber, »da wackelte eben die Gardine oben im Fenster!«
»Wahrhaftig«, rief Romano, »seht ihr, zwei göttliche Augen blitzen heimlich zwischen den Vorhängen hindurch!«
Sie sangen von Neuem:
»Dicke Liederknospen grünen
Hier vom Wipfel bis zum Grund
Einen Blick aus den Gardinen,
Und der Strauch blüht liebesbunt!«
Jetzt öffnete sich wirklich das verhängnisvolle Fenster. Herr Publikum, eine schneeweiße Schlafmütze auf dem Kopf, lehnte sich breit und behaglich heraus und gähnte, als wollte er den ganzen Morgen verschlingen. Die Sänger starrten wie versteinert durch ihr Versteck in den unverhofften Rachen.
»Danke, danke, meine unsichtbaren Freunde, für diese angenehme Aufmerksamkeit!«, sagte der Maecenas oben, noch immer gähnend und mit der fetten Hand vornehm herabwinkend. »Zu viel Ehre – mein geringes Interesse an den schönen Künsten und Wissenschaften – es freut mich, dass es solche zarte Anerkennung –«
Aber Leontin ließ ihn nicht ausreden, er griff wütend in die Saiten und übersang ihn:
»Was hast du für ein großes Maul,
Kannst sprechen ganz besunder;
Lob mich auch mal, sei nicht so faul!
Lobst sonst ja manchen Plunder.«
Der ganz verdutzte Publikum, als er sich recht besann, wie ihm eigentlich geschehen, geriet über diesen unerwarteten Gruß in einen unmäßigen Zorn.
»Wer tat mir das!«, schrie er, »und in meinem eigenen Garten! Greift mir die impertinenten Kerls!«
Er rief nun eine Menge von Dienern bei ihren Namen, dass er ganz blau im Gesicht wurde.
Über dem Geschrei erhob sich durch den ganzen Palast, treppauf, treppab, ein verworrenes Rumoren, von allen Seiten fuhren Gesichter neugierig aus allen Fenstern, durch den stillen Garten selbst hörte man schon einzelne Stimmen suchend schweifen.
Der Morgenspuk in der Rosenhecke aber war bereits nach verschiedenen Richtungen hin zerstiebt. Leontin konnte vor Lachen fast nicht mehr weiter, der Prinz, aus Besorgnis, sich in dem fremden Hause lächerlich zu machen, fand es am Geratensten, mit den andern gleichfalls Reißaus zu nehmen; Faber dagegen, den gleich anfangs bei dem überraschenden Anblick des ungeheuren, butterglänzenden Gesichts im Fenster eine wunderliche Furcht ergriffen hatte, war schon ein gut Stück voraus und keuchte und schimpfte auf Leontins unaufhörliche Narrenstreiche und auf den Jäger, der sie vor die falschen Fenster geführt.
Der Letztere hatte sich inzwischen verloren, Romano aber glaubte bald da, bald dort in den Gebüschen neben sich kichern zu hören und Florentins, seines hübschen Jägerbürschchens, Stimme zu erkennen.
Als sie sich draußen im Walde in Sicherheit sahen, warf sich Leontin erschöpft auf dem Rasen hin, Faber ging vor ihm mit schnellen Schritten auf und nieder, sich emsig die Hände reibend, wie einer, der mit sich selbst zufrieden ist.
»Ihr seid an allem schuld, Faber«, sagte Leontin; »Ihr seid schon zu schwer, Ihr fallt überall durch auf dem Glatteis der Liebe und reißt uns mit fort.«
»Was, Reißen, Durchfall!«, entgegnete der vergnügte Dichter. »Der Publikum hat doch seinen köstlichen Ärger weg!« Dazwischen schwor er wieder, den schuftigen Jäger durchzuprügeln, und sollt' es am Jüngsten Tage sein.
»Und Sie, Durchlaucht, haben als Volontär die Retirade mitgemacht«, sagte Leontin zum Prinzen.
»Was war zu tun?,« erwiderte dieser. »Meine Freiersfüße mussten wohl für Eure Verse das Fersengeld mit bezahlen.«
»Wie! Freiersfüße? Wem setzen Sie darauf nach, wenn man fragen darf?«
»Dem edelsten Wilde, mein' ich, um das jemals ein Jäger Hörner angesetzt, in das jeder Weidmann geschossen ist, mit einem Wort, meine Freunde: Ich möchte beinah gesonnen sein, um die Hand der schönen Gräfin Aurora zu werben.«
Hier brachen Leontin und Faber, zu des Prinzen Erstaunen, plötzlich in ein unaufhaltsames Gelächter aus.
»Die Gräfin Aurora?!«, riefen sie, immerfort lachend, einer nach dem andern aus. »Ebenso gut könnte man die Göttin Diana unter die Haube bringen – oder der Thetis den Verlobungsring an den rosigen Finger stecken – oder die Fantasie heiraten – und alle neun Musen dazu!«
Der empfindliche Prinz hatte unterdes mit dem vornehmsten Gesicht, das ihm zu Gebot stand, seine Lorgnette hervorgezogen und nahm die Gegend und dann die Lachenden ruhig in Augenschein.
»Ich muss gestehen«, sagte er endlich, das unerträgliche Gelächter unterbrechend, »Sie liebten doch früher eine gewisse geniale Eleganz, lieber Graf; es fiel mir schon vorhin auf, Sie in diesem wunderlichen, altmodischen Aufzuge wiederzusehen. Nehmt mir's nicht übel, ihr Herren, ihr seht aus wie die Trümmer eines reduzierten Freikorps.«
»Vortrefflich, Prinz!«, rief Leontin, »Sie haben da recht den Nagel auf den Kopf getroffen! Ja, das fliegende Korps der Jugend, dem wir angehören, ist längst aufgelöst, das Handgeld flüchtiger Küsse vergeudet; diese ästhetischen Grafen und Barone, diese langhaarigen reisenden Maler, die genialen Frauen zu Pferde, sie sind nach allen Richtungen hin zerstreut; unsere tapfersten Anführer hat der Himmel quiesziert, ein neues, aus unserer Schule entlaufenes Geschlecht hat neue, langweilige Chausseen gezogen, und wir stehen wie vergessene Wegweiser in der alten, schönen Wildnis.«
Der Prinz fuhr fast verlegen mit der Hand über die Stirn, er konnte ein abermaliges Gefühl von Kameradschaft mit diesem verunglückten Freikorps nicht unterdrücken.
»Teuerster Graf«, sagte er, »Sie pflegten von jeher gern zu übertreiben.«
»Ja, Pferde, Liebe, Lust und Witz«, erwiderte Leontin; »daher bring' ich sie nun alle ein bisschen lahm aus der Kampagne zurück.«
Hier wurden sie durch Faber unterbrochen. Der ermüdete Poet hatte sich in die warme Morgensonne bequem hingelagert und fing soeben auf die furchtbarste Weise zu schnarchen an.
»Gott behüt' uns!«, rief der erschrockene Prinz aus, indem er den Schlafenden durch die Lorgnette aufmerksam betrachtete. »Sehen Sie doch, wie er sich nun abquält, ein gelindes Tabakschmauchen nachzuahmen – jetzt bläst er sich wieder mächtig auf; das ist ja, als wenn der Teufel die Bassgeige striche! – Und nun auf einmal mit einem Schlagtriller alles wieder abgeschnappt – ich glaube, er erstickt an seinem Ärger über Herrn Publikum. Was hat er denn eigentlich mit dem?«
»Der Entschlafene«, erwiderte Leontin, »war in der letzteren Zeit als Hofdichter beim Herrn Publikum angestellt. Das ging auch anfangs vortrefflich, er wurde gehauen, geschnitten, gestochen, ich meine: in Stein und Kupfer, die Damen rissen sich ordentlich um seine Romantik.
Als sie nun aber nach und nach ein wenig abgerissen wurde, da war nichts weiter dahinter. Es war ein Skandal! Er konnte nicht so geschwind die neumodische klassische Toga umschlagen, verwickelte sich in der Hast mit Arm und Beinen in die schottischen Plaids und gab immer mehr Blößen – ja zuletzt sagte ihm Herr Publikum gerade auf den Kopf: Er seinun gänzlich aus der Mode geraten, ja es gebe überhaupt gar keine solche humoristische Hagestolzen wie er in der Wirklichkeit, er sei eigentlich ein bloßes in Gedanken stehengebliebenes Hirngespinst, das für nicht vorhanden zu achten.
So hatte die atemlose Zeit auch ihn übergerannt, und ich fand den abgedankten Dichter, an seiner eigenen Existenz verzweifelnd, hier im Walde unfern von meinem Schlosse wieder.«
»Wie«, rief der Prinz aus, »so wohnen Sie jetzt hier in der Nähe?«
»Allerdings«, entgegnete Leontin. »Die spröde Welt, die wir als unser Lustrevier erobern wollten, hat uns nach und nach bis auf ein einsames Waldschloss zurückgedrängt, und die von der alten Garde tun mir die Ehre an, sich um die zerrissene Standarte der Romantik zu versammeln, die ich auf der Zinne des Kastells aufgesteckt. Dort rumoren wir auf unsere eigene Hand lustig fort, gefallen uns selbst und ignorieren das andre. Rauschen und singen doch die Wälder noch immerfort wie in der Jugend, und jeden Frühling wirbelt die Lerche die alten Gesellen zusammen, und von Zeit zu Zeit besucht uns dort wohl noch unser schönes Waldlieb.«
Hier sprang Leontin plötzlich auf, und auch der Prinz wandte, angenehm überrascht, seine Blicke nach dem Felsen; denn ein wunderschöner Gesang klang auf einmal aus dem Walde zu ihnen herüber. Sie konnten etwa folgende Worte verstehen:
»Lindes Rauschen in den Wipfeln,
Vöglein, die ihr fernab fliegt,
Bronnen von den stillen Gipfeln,
Sagt, wo meine Heimat liegt?
Heut im Traum sah ich sie wieder,
Und von allen Bergen ging
Solches Grüßen zu mir nieder,
Dass ich an zu weinen fing.
Ach, hier auf den fremden Gipfeln:
Menschen, Quellen, Fels und Baum,
Wirres Rauschen in den Wipfeln –
Alles ist mir wie ein Traum.«
Jetzt erschien der Sänger im hellsten Glanz der Morgenlichter zwischen den Bäumen – es war Florentin, das Jägerbürschchen aus Romanos Begleitung. Er stutzte und brach schnell sein Lied ab, als er den Prinzen unten bemerkte.
»Dacht' ich's doch!«, rief Leontin, die leuchtende Erscheinung freudig anstaunend.
Faber rieb sich verwirrt die Augen.
»Es träumte mir eben«, sagt' er, »ein Engel zöge singend über mich durch die Morgenluft.«
Unterdes aber war Florentin schon bei ihnen, fasste Leontin und Faber, wie alte Bekannte, rasch bei den Händen und führte sie tiefer in den Wald hinein. Der Prinz hörte sie untereinander lachen, dann wieder sehr eifrig und heimlich sprechen; Florentins Stimme klang immerfort wie ein Glöckchen zwischen dem Vogelsang herüber.
Als sie zurückkehrten, schienen Leontin und Faber zerstreut und unruhig, wie Leute, die plötzlich einen Anschlag gefasst haben.
»Wir müssen schnell weiter, auf eine lustige Hochzeit dann!«, sagte Leontin zum Prinzen und lud ihn noch heiter ein, ihn auf seinem Kastell zu besuchen. Dann eilte er sogleich mit Faber den Berg hinab, wo auf einer Waldwiese ein Jäger mit ihren Pferden im Schatten ruhte.
Florentin aber war ebenso eilig im Walde wieder verschwunden.
Erstaunt und verwirrt stand nun der Prinz in der unerwarteten Einsamkeit. Da sah er unten die beiden Freunde schon fern zwischen Weinbergen und blühenden Gärten in die glänzende Landschaft hinausziehen, und Schlösser, Türme und Berge erglühten purpurn, und ein leiser Hauch wehte den Klang der Morgenglocken und Lerchensang und Düfte erquickend herauf, als läge das Land der Jugend dort in der blitzenden Ferne. Hoch oben auf den Felsen aber erschien Florentin noch einmal, schwenkte seinen Hut und sang den Fortziehenden nach:
»Muntre Vögel in den Wipfeln,
Ihr Gesellen dort im Tal,
Grüßt mir von den fremden Gipfeln
Meine Heimat tausendmal!«
Vom Garten des Herrn Publikum bringt der Wind unverhofft ein sonderbares, unerklärliches Gesumse zu uns herüber, es scheint nicht Mühlengebraus, nicht Katzengefecht noch Murmeln rieselnder Bäche, sondern vielmehr das alles zusammen.
Je mehr wir uns indes mit gebührender Vorsicht nähern, je deutlicher unterscheiden wir nach und nach das verworrene Geschnatter verschiedener Menschenstimmen durcheinander, von Zeit zu Zeit von dem durchdringenden Schrei eines Papageis aus den Fenstern des Palastes überkreischt.
Durch eine Öffnung des Gebüsches endlich übersehen wir den schönen Gartenplatz vor dem Schlosse, wo beim lieblichen Morgenschein viele wohlgekleidete Personen verschiedenen Alters und Standes zwischen den blühenden Sträuchern auf und nieder wandeln und plaudern, häufig im Eifer des Gesprächs sich den Schweiß von der Stirn wischen und wieder plaudern.
Nur Herz gefasst! Noch einige Schritte vorwärts, und wir können alles bequem vernehmen:
»Nur das prüde Vornehmtun jener literarischen Aristokratie nicht hineingemengt!«, rief soeben ein langer, schlichter Mann mit grauem Überrock und grauem Gesicht.
»Lassen Sie sich umarmen, Lieber!« unterbricht ihn begeistert ein blonder, junger Mann, dessen volle Wangen von unverderbter Jugend strotzen. »Das wär' es eben auch, was ich meine! Jawohl, diese poetische Vornehmheit, die so gern überall das Pfauenrad der großen Welt schlägt, was ist sie anders als jene perfide, über allen Erscheinungen, über Gutem und Bösem, mit gleichem Indifferentism schwebende Ironie; Glatteis, auf dem jede hohe Empfindung, Tugend und Menschenwürde lächerlich ausglitschen; kalt, kalt., kalt, dass mich in innerster Seele schaudert! O über die vermessene Lüge göttlicher Objektivität! Heraus, Poet, mit deiner rechten Herzensmeinung hinter deinen elenden Objekten! Ehrlich dein Innerstes ausgesprochen!«
VIELE (durcheinander): Ja, gesprochen, immerzu gesprochen!
JUNGER MANN: Meine Herren! Sie verstehen mich nicht, ich wollte –
VIELE: Wir wollen nichts verstehen! – Wir wollen Natur! – Edelmut – gerührtes Familienglück!
GRAUER: He, Ruhe da! Das ist ja, als wär' auf einmal ein Sack voll Plunder gerissen!
DICHTERIN (sich hindurchdrängend): Was für Ungezogenheit! Pfui doch, Sie treten mir ja das Kleid ab! O diese starken, wilden Männerherzen!
JUNGER MANN: Verehrungswürdigste, in welchem Aufzuge! Die Nachthaube ganz schief – und – o wer hätte Ihnen das zugetraut! – noch im fliegenden Nachtgewande.
DICHTERIN (sich betrachtend): O Gott! Ich bitte Sie, sehen Sie ein wenig auf die andere Seite, ich verberge mich in mich selbst! – Der Schmelz des jungen Tages – meine Ungeduld, meine Zerstreuung, das erste Lied der Nachtigall, ich konnt' es nicht erwarten, ich stürz' hinaus – ach, wir Dichterinnen schwärmen so gern über die engen Zwinger der Alltagswelt hinaus. Erlauben Sie! (Sie nimmt das Schnupftuch des jungen Mannes und schlägt es sich als Halstuch um.) Aber erzählen Sie doch, was ist denn eigentlich los hier?
JUNGER MANN: Ein neuer Gedanke von der höchsten Wichtigkeit, dessen Folgen für die ganze Literatur sich schwer berechnen lassen. Denn jede neue Idee ist wie der erste Morgenblick; erst rötet er leise die Berge und die Wipfel, dann zündet er plötzlich da, dort mit flammendem Blick einen Strom, einen Turm in der Ferne; nun qualmen und teilen und schlingen sich die Nebel in der Tiefe, der Kreis erweitert sich fern und ferner, die blühenden Länder tauchen unermesslich auf – wer sagt da, wo das enden will!
Nun, ich weiß, Verehrteste, Sie teilten schon längst unsre Überzeugung, dass jene überspannten künstlichen Erfindungen in der Poesie uns der Natur entfremden und nach und nach ein wunderliches, konventionelles, nirgends vorhandenes, geschriebenes Leben über dem Lebendigen gebildet, ich möchte sagen: eine Bibel über die Tradition gesetzt haben, dass wir also eilig zur Wirklichkeit zurückkehren müssen, dass –
DICHTERIN: Kürzer! Ich bitte, fassen Sie sich kürzer, mir wird ganz flau.
GRAUER: Kurz: Wir machen hier soeben Novelle. Dieser Garten, der Palast, das Vorwerk, die Stallungen und Düngerhaufen dahinter sind unser Schauplatz; was da aufduckt in dem Revier, italienische Gräfin oder deutscher Michel oder anderes Vieh, wird ohne Barmherzigkeit unmittelbar aus dem Leben gegriffen. Und nun ohne Weiteres Gefackel frisch zugegriffen! Denn wenn ich des Morgens so kühl und nüchtern bin, da komponier' ich den Teufel und seine Großmutter zusammen!
VIELE (mit großem Lärm): Bravo! Sie sind unser Mann! Diese Laune, dieser Humor!
JUNGER MANN: Also es bleibt bei dem entworfenen Plane der Novelle. Alles einfach, natürlich: Wir führen die schöne Gräfin Aurora mit dem einzigen Manne, welcher dieser berühmten Musenhand würdig, mit unserm unvergleichlichen Herrn Publikum, langsam, Schritt vor Schritt, durch das dunkle Labyrinth des menschlichen Herzens zum Traualtar.
Dieses Tappen, dieses Fliehen und Schmachten der wachsenden Leidenschaft ist der goldne Faden, an den sich von selbst, gleich Perlen, die köstlichsten Gespräche über Liebe, Schönheit, Ehe reihen – oh, teuerste Freunde, ich bin so voller Abhandlungen!
ENGLÄNDER (mit Weltverachtung hinzutretend): Und der Sturm, der um des Herzens Firnen rast? Und das Grauen, das wie der Schatten eines unsichtbaren Riesen sich über die gebrochenen Lebensträume legt? – Ich bestehe durchaus auf ein wild zerrissenes Gemüt in der Novelle!
DICHTERIN: Furchtbarer, ungeheurer Mann!
GRAUER: Das ist gleich gemacht. Der Prinz Romano hat ganz das liederliche Aussehen eines unglücklichen Liebhabers. Er geht, wie ihr wisst, auf Freiersbeinen, die sind dünn genug, da lassen wir den englischen Sturm schneidend hindurchpfeifen.
JUNGER MANN: Still! Da kommt die Gräfin mit Herrn Publikum. – Nun frisch daran!
Wirklich sah man die Genannten soeben aus dem Schlosse treten, in galanter Wechselrede begriffen, wie man aus der ungewohnten besonderen Beweglichkeit des Herrn Publikum abnehmen konnte, der immer sehr viel auf guten Ton hielt.
Die Novellenmacher verneigten sich ehrerbietig, Publikum nickte vornehm. Gräfin Aurora aber hatte heut in der Tat etwas von Morgenröte, wie sie zwischen den leisen Nebeln ihres Schleiers, den sie mit dem schönen Arm mannigfach zu wenden wusste, so leicht und zierlich nach allen Seiten grüßte, und ihre Blicke zündeten, zwar nicht die Turmknöpfe, aber die Sturmköpfe ringsumher.
Ein Geflüster der Entzückung ging durch die Versammlung. Der Graue bemächtigte sich geschickt des fetten Ohrs des Herrn Publikum.
»Oh«, rief er ihm leise zu, »dreimal selig der, dem diese Blicke gelten!« Publikum lächelte zufrieden.
Der Vorschlag der rüstigen Herren, an dem herrlichen Morgen eine Promenade in das nächste Tal vorzunehmen, wurde mit Beifall aufgenommen. Sie aber hatten ihre eigenen Gedanken bei diesem Vorschlage. Um ihre projektierte Novelle gehörig zu motivieren, sollte Herr Publikum zuerst der Gräfin mit seiner Weltmacht imponieren und sodann in der Einsamkeit der schönen Natur Gelegenheit finden, diesen Eindruck zu benutzen, um die Überraschte mit den Blumenketten der Liebe zu fesseln. Zu diesem Zweck lenkten sie den Spaziergang ohne Weiteres aus dem Garten nach dem sogenannten praktischen Abgrund hin.
Und in der Tat, dieSchlauen wussten wohl, was sie taten. Denn schon im Hinabsteigen mussten der Gräfin sogleich einzelne Gestalten auffallen, diegebückt, wie Eulen, in den Felsenritzen kauerten.
»Künstler, Landschafter«, sagte Publikum, »die armen Teufel quälen sich vom frühesten Morgen für mich ab.« – Hier verbreitete er sich sofort gelehrt über die verschiedenen Tinten der Landschaftsmalerei, wäre aber dabei mit seiner Kunstkenntnis bald garstig in die Tinte gekommen, wenn die aufmerksamen Novellisten nicht zu rechter Zeit ausgeholfen hätten.
Indes waren sie auf einen Felsenvorsprung aus dem Gebüsch getreten – da lag in einem weiten Tale zu ihren Füßen plötzlich ein seltsames Chaos: blanke Häuser, Maschinen, wunderliche Türmchen und rote Dächer zu beiden Seiten einer Kunststraße an den Bergeshängen überragend.
Es war aus dieser Vogelperspektive, als überblickte man auf einmal eine Weihnachtsausstellung, alles rein und zierlich, alles bewegte sich, klippte und klappte, zuweilen ertönte ein Glöckchen dazwischen, zahllose Männchen eilten geschäftig hin und her, dass es einem vor den Augen flimmerte, wenn man lange in das bunte Gewirr hineinsah.
Der junge Mann trat erklärend zu der erstaunten Gräfin.
»Der Puls dieses bewunderungswürdigen Umlaufs von Kräften und Gedanken ist unser hochverehrter Herr Publikum«, sagte er, während sie rasch herabstiegen, »um seinetwillen, zu seinem Besten sind alle diese Anlagen entstanden.«
Er begann nun eine wohlgedachte und herrlich stilisierte Abhandlung über die ernste praktische Richtung unserer Zeit, die wir aber leider nicht wiederzugeben vermögen, da man inzwischen den Grund erreicht hatte und vor dem wachsenden Lärm, dem Hämmern und Klopfen kein Wort verstehen konnte.
Aurora war ganz verblüfft und wusste nicht, wohin sie in dem Getöse sich wenden sollte, als eine, wie es schien, mit Dampf getriebene ungeheure Maschine durch die Eleganz ihres Baues ihre besondere Aufmerksamkeit auf sich zog.
Sie näherte sich neugierig und bemerkte, wie hier von der einen Seite unablässig ganze Stöße von dicken, in Schweinsleder gebundenen Folianten in den Beutelkasten geworfen wurden, unter denen sie mit Verwunderung den Grafen Khevenhüller nebst andern Chroniken zu erkennen glaubte.
Eine große Menge zierlich gekleideter Herren, weiße Küchenschürzen vorgebunden und die feinen Hemdärmel aufgestreift, eilten auf und ab, das Schroten, Mahlen und Ausbeuteln zu besorgen, während armes, ausgehungertes Volk gierig bemüht war, den Abfall aufzuraffen.
»Das will wieder nicht vom Fleck!«, rief Herr Publikum den Arbeitern zu. »Rasch, nur rasch!«
Darauf führte er die Gräfin an das andere Ende der Maschine, und es dauerte nicht lange, so spuckte ein bronzener Delfin die verarbeiteten Folianten als ein zierliches »Vielliebchen« in Taschenformat und in Maroquin gebunden zu ihren Füßen aus.
Publikum überreichte es, als das Neueste vom Jahre, galant der Gräfin. Aurora wollte sich totlachen und steckte das niedliche Dingelchen in ihren Strickbeutel.
Sie hätte sich gern noch anderweit im Fabrikwesen näher instruiert, aber das Treiben auf der Kunststraße, die sie soeben betreten, nahm alle ihre Sinne in Anspruch.
Das war ein Fahren, Schnurren, Reiten und Drängen! Mitten durch das Gewirr sahen sie einen Postillon mit flämischen Stiefeln, mit einem großen Schnurrbart und von martialischem Ansehen in gestrecktem Galopp auf sich zufliegen.
Es war ein literarischer Klatschkurier. Er parierte sein schäumendes Ross kunstgerecht gerade vor Herrn Publikum und überreichte ihm seine Depesche.
Die Novellisten standen in höchster Spannung und murmelten geheimnisvoll untereinander.
»Schon gut«, sagte Publikum, den Kurier mit einem leichten Kopfnicken entlassend. Darauf überflog er das Schreiben für sich, lachte einmal laut auf, rief dann: »Ha!« und steckte die Papiere in die Tasche.
Aurora aber sah ihn unverwandt an. Sie bekam eine große Idee von dem Manne.
Inzwischen hatten die Novellisten einen Fußpfad eingeschlagen, der seitwärts aus dem praktischen Abgrund ins Gebirge führte. Der verworrene Lärm hinter ihnen vertoste mit jedem Schritte immer mehr und mehr, und Aurora atmete frisch auf, als sie nun wieder das Rauschen des Waldes und einer einsamen Wassermühle vernahm, auf welche sie zugingen.
Ermüdet von dem müßigen Umherschlendern, lagerte die bunte Gesellschaft sich fröhlich auf dem Rasen.
Es war ein schattenkühles, freundliches Tal, ringsum von Bergen und Wäldern eingeschlossen; der Mühlbach murmelte über das Gestein und blinkende Kiesel durch die schöne Abgeschiedenheit, über ihnen hin flogen schimmernde Tauben säuselnd der Mühle zu, die Novellisten rieben sich freudig die Hände und hofften das Beste.
Aber hier begegnete Herrn Publikum unerwartet etwas ganz Fatales. Mitten in diesem Sukzess nämlich bekam er plötzlich einen Anfall seines alten Übels, der Langweile. Er verbarg vergeblich sein wiederholtes Gähnen hinter dem seidenen Taschentuch, er versuchte etwas über die schöne Natur zu sagen, aber es wollte ihm gerade gar nichts einfallen.
Endlich setzte er sich durchaus in den Kopf, auf diesem herrlichen Platze eine Kavatine zu singen, da er ein eifriger Dilettant in allen schönen Künsten war und sich besonders auf seine Stimme viel einbildete. Die Novellenmacher erschraken, denn er nahm sich beim Singen eben nicht vorteilhaft aus.
Aber da half nun einmal alles nichts. Ein Diener musste ihm ein großes Notenblatt reichen, der kurze runde Mann stellte sich, das linke Bein ein wenig vorgeschoben, räuspernd zurecht, strich ein paar Mal seinen Backenbart und sang eine italienische verliebte Arie, wobei er den fetten Mund nach der einen Seite wunderlich abwärts zog und von Zeit zu Zeit der Gräfin über das Blatt einen zärtlichen Blick zuwarf.
Aurora sah mit einem leisen schlauen Lächeln den Sänger unter ihren langen schwarzen Augenwimpern halb erstaunt, halb triumphierend an, und die Novelle schien sich in der Tat ihrer idyllischen Katastrophe zu nähern, als auf einmal Waldhornsklänge von den Bergen unwillkommen in die schönsten Koloraturen des Sängers einfielen.
Herr Publikum brach ärgerlich ab und meinte, es seien ohne Zweifel wieder Raubschützen von des Grafen Leontin Schlosse.
Unterdes kamen die Klänge immer näher und näher, von Berg zu Berg einander rufend und Antwort gebend, dass der muntere Widerhall in allen Schlüften erwachte.
Plötzlich tat die Morgensonne oben im Walde einen Blitz, und Aurora sprang mit einem freudigen: »Ach!« empor. Denn auf einem Felsen über ihnen wurde auf einmal Prinz Romano in prächtiger Jagdkleidung zwischen den Bäumen sichtbar, wie ein König der Wälder, malerisch auf seine funkelnde Büchse gestützt.
Der Prinz nämlich, die sachte, rieselnde Manier der Novellenmacher gründlich verachtend, hatte bei seiner Rückkehr aus dem Walde kaum von dem Morgenspaziergang der Schlossbewohner gehört, als er sich sogleich voll romantischer Wut in seine schönsten Jagdkleider warf, mit Florentin und seinen Jägern von Neuem in den Wald lief und dort die Letztern geschickt auf den Bergen verteilte, um die Gräfin, wie wir eben gesehen, in seiner Art würdig zu begrüßen. So war er in dem günstigen Moment der ersten Überraschung oben auf dem Felsen hervorgetreten und betrachtete nun mit innerster Zufriedenheit die bunte Gruppe der Erstaunten unten im Tale.
»Sieh nur«, sagte er zu Florentin, der ihm schelmisch über die Achsel guckte, »sieh nur die Gräfin, wie die zwei Sterne da aus der Waldesnacht zu mir herauffunkeln! Es kömmt überall nur darauf an, dass man sich in die rechte, poetische Beleuchtung zu stellen weiß.«
»In der Tat, gnädigster Herr«, erwiderte Florentin, »Sie nehmen sich so stellweis vortrefflich aus, es ist ein rechtes Vergnügen, Sie in der Ferne zu sehen – und wenn die Gräfin nicht zu wild ist, so muss sie wohl ein Erbarmen fühlen.«
»Ach, was wild da!«, meinte der Prinz. »Cupido ist ein wackerer Schütz, die Sprödeste guckt doch zwischen den Fingern nach dem hübschen, nackten Bübchen hin. Lass mich nur machen!« Und hiermit stieg er rasch und wohlgemut den Berg hinunter.
Je tiefer er aber auf den abgelegenen Fußpfaden in den Wald herabkam, je seltsamer wurde ihm zumute. Wunderliche Erinnerungen flogen ihn an, er glaubte die Bäume, die Felsen zu kennen und blieb oft, sich besinnend, stehen.
Jetzt wurde ein Kirchturm in der Ferne sichtbar, ein rotes Ziegeldach schimmerte plötzlich zwischen den Wipfeln aus dem Grunde herauf.
»Wie ist mir denn!«, rief er endlich ganz verwirrt aus. »Hier bin ich vor langer Zeit schon einmal gewesen – gerade an einem solchen Morgen war es – da muss ein Brunnen sein: Da traf ich das schöne Müllermädchen zum ersten Mal – glückliche Jugendzeit! Wie manche schöne Nacht schlich da der ungekannte Wanderer zur Mühle, bis er mit dem letzten Stern auf immer im Morgenrot wieder verschwand. – Wahrhaftig, das ist der Grund, da ist die Mühle – gerade jetzt! Verdammter Zufall!«
Währenddes ging er auf den altbekannten Pfaden immer weiter und weiter; er war wie im Traum, bunte Schmetterlinge flatterten wieder über dem stillen Grunde, der Mühlbach rauschte, die Vögel sangen lustig, wie damals.
Nun kamen auch die hohen Linden, dann der Brunnen – da blieb er auf einmal fast erschrocken stehen. Denn auch sein damaliges Liebchen kniete, Wasser schöpfend, wieder am Brunnen.
Als sie so plötzlich den Fremden erblickte, setzte sie langsam den Krug weg und sah ihn unter dem Strohhut lange Zeit groß an. Es waren die alten, schönen Züge, aber gebräunt und von Sorge und Arbeit wunderbar verwandelt.
»Kann ich wieder mit dir gehen?«, redete Romano sie endlich an.
»Nein«, erwiderte sie ruhig, »ich bin längst verheiratet. – Wie ist es denn dir seitdem gegangen?«, fuhr sie fort. »Es ist lange her, dass du mich verlassen hast.«
Darauf sah sie ihn von Neuem aufmerksam an und sagte:
»Du bist heruntergekommen.«
»Und weiß doch selber nicht wie!«, entgegnete der Prinz ziemlich verlegen. Da bemerkte er, dass ihr Tränen in den Augen standen, und fasste gerührt ihre Hand, die sich aber so rau anfühlte, dass es ihm recht in der Seele fatal war.
In demselben Augenblick trat die Gesellschaft vorn Schlosse, welche der Waldhornklang weiter in das Tal verlockt hatte, unerwartet aus dem Gebüsch, und ein zweideutiges Lachen sowie das eifrige Hervorholen der Lorgnetten zeigte, dass man die sonderbarliche Vertraulichkeit des verliebten Prinzen gar wohl bemerkt hatte.
Die schöne Müllerin warf, indem sie sich wandte, einen stolzen Blick auf das vornehme Gesindel, und alle Augen folgten unwillkürlich der hohen schlanken Gestalt, als sie, den Krug auf dem Kopfe, langsam zwischen den dunklen Schatten verschwand.
Dieses Ereignis an Amors falscher Mühle, das allerdings nicht in Romanos Rechnung gelegen, hatte bei den verschiedenen Zuschauern einen sehr verschiedenen Eindruck hinterlassen:
Die Novellenmacher fühlten eine köstliche Schadenfreude, etwa wie schlechte Autoren, wenn ein Rezensent einem berühmten Manne einen tüchtigen Tintenklecks anhängt.
Herr Publikum, der überhaupt immer erst durch andere auf Gedanken gebracht werden musste, schmunzelte nur und beschloss insgeheim, bei nächster schicklicher Gelegenheit einmal selbst einen einsamen Spaziergang nach der Mühle zu unternehmen.
Gräfin Aurora dagegen begegnete seitdem dem Prinzen überaus schnippisch, zeigte sich launenhaft und begünstigte auf eine auffallende Weise den armen Publikum, der vor lauter Wonne kaum zu Atem kommen konnte.
Romano aber benahm sich ganz und gar unbegreiflich. Ohne die geringste Spur von Gram oder Scham schien er die Gräfin nicht mehr zu beachten, als der Anstand eben unausweichlich erforderte, und trieb sich fortwährend wildlustig unter den Jägern umher, mit denen er bald nach den höchsten Wipfeln schoss, bald neue schöne Jagdlieder einübte.
Aurora brachte einmal boshaft die Rede auf die schöne Müllerin – der Prinz lobte sogleich enthusiastisch ihre Taille und die antike Grazie, mit der sie den Krug getragen.
Die Gräfin, als er gerade im Garten war, entwickelte, im Ballspiel mit Herrn Publikum über den Rasen schwebend, die zierlichsten Formen – der Prinz ließ eben sein Pferd satteln und ritt spazieren. Das war ein Pfiffikus! Aurora hätte weinen mögen vor verbissenem Ärger!
So war die Nacht herangekommen und versenkte Lust und Not. Einzelne Mondblicke schossen durch das zerrissene Gewölk, der Wind drehte knarrend die Wetterfahnen auf dem Schlosse, sonst herrschte eine tiefe Stille im Garten, wo Katzen und Iltis leise über die einsamen Gänge schlüpften.
Nur der dunkelmütige Engländer, den wir unter den Novellenmachern kennengelernt, war noch wach und schritt tiefsinnig auf und nieder. Er liebte es, in solchen Nächten zu wandeln, womöglich ohne Hut, mit vom Winde zerworrenem Haar, und nach behaglich durchschwärmten Tagen seine Seele in der Finsternis mit Verzweiflung aufzublasen, gleichsam einen melancholischen Schnaps zu nehmen.
Heute aber galt es eigentlich dem Prinzen Romano, der noch immer von seinem Spazierritt nicht wiedergekommen war. Wie eine Kreuzspinne lauerte er am Eingange des Gartens auf den Zurückkehrenden, um ihm bei so gelegener Stunde einen giftigen Stich von Eifersucht beizubringen und ihn sodann, der Exposition wegen, als unglücklichen Liebhaber in die Novelle einzuspinnen.
Die Turmglocke im Dorfe unten schlug eben Mitternacht, da hörte er endlich ein Ross schnauben, die Hufe im Dunkeln sprühten Funken über das Gestein – es war Romano.
Kaum war er abgestiegen und in den Garten getreten, um sich nach dem Schlosse zu begeben, als ihn der Engländer, verstört und geheimnisvoll, bei beiden Händen fasste und rasch in den finstersten Baumgang mit sich fortriss.
Mit schneidender Beredsamkeit verbreitete er sich hier über die sichtlich wachsende Neigung der Gräfin Aurora zu Herrn Publikum, tat Seitenblicke auf jeden ihrer verräterischen Blicke und auf ihre Worte, zwischendurch wieder ihre schöne Gestalt, ihr zauberisches Auge geschickt beleuchtend.
Zu seinem Befremden aber blieb der Prinz ganz gelassen und replizierte immer nur mit einem fast ironischen: »Hm – ha – was Sie sagen!«
Schon gut, eben die rechte Stimmung, dieses sich selbst zerknirschende Verstummen!, dachte der Engländer und fuhr nur umso eifriger fort, mit häufigem teuflischen Hohnlachen, über Liebe, Treue, Glück und Welt.
Inzwischen hatte Romano in einem entfernten Gebüsch ein leises Flüstern vernommen. Er glaubte die Stimme zu kennen, und stand wie auf Nadeln, denn der Engländer wurde immer pathetischer.
»Sie sind mir langweilig, Herr!«, wandte sich da der Prinz plötzlich zu ihm. Der Überraschte starrte ihn in höchster Entrüstung an. Währenddes aber waren sie eben an die Schwelle eines Pavillons gekommen, der Engländer trat hinein. Romano warf schnell die Tür hinter ihm zu und verschloss sie, ohne auf das Toben des melancholischen Kobolds zu achten, das nur die Fledermäuse und Krähen in den nächsten Wipfeln aufscheuchte.
Jetzt folgte der erlöste Prinz rasch den Stimmen in der Ferne. Sie schienen sich zu seinem Erstaunen an dem Flügel des Palastes zu verlieren, wo Aurora schlief. Ein Licht schimmerte noch aus ihrem Fenster und säumte das Laub der nächsten Bäume mit leisem Glanz.
Romano stellte sich ins Gebüsch und wartete lange, bald an den Baum gelehnt, bald sich ungeduldig auf den Zehen erhebend. Manchmal war es ihm, als höre er eben lachen, oft glaubte er, die Schatten zweier Gestalten im Zimmer deutlich zu unterscheiden.
Dann verlosch auf einmal das Licht, und es wurde oben und unten so still, dass er das Bellen der Hunde aus den fernen Dörfern hören konnte. Da ging plötzlich ein Pförtchen unten, das zu Auroras Gemächern führte, sachte auf, eine männliche Gestalt schlüpfte daraus hervor, flog eilig über die Rasenplätze und Blumenbeete und war in demselben Augenblick in der Nacht wieder verschwunden.
»Was ist das?!«, rief der Prinz ganz verwundert aus – er glaubte in der flüchtigen Gestalt seinen Jäger Florentin erkannt zu haben.
Noch lange stand er nachdenklich still. Dann schien ihm auf einmal ein neuer Gedanke durch die Seele zu schießen.
»Prächtig! Herrlich! Nun wird die Sache erst verwickelt und interessant!«, rief er, indem er hastig tiefer in den einsamen Garten hineinschritt und sich eifrig die Hände rieb, wie einer, der plötzlich einen großen Anschlag gefasst hat.
Auf dem Schlosse war ein bunter, lebhafter Tag vorübergezogen. Gräfin Aurora, von Romanos Waldhornsgruß aufgeregt, war in ihrer Launenhaftigkeit plötzlich auf die Weidlust verfallen, und der galante Publikum hatte nicht versäumt, sogleich auf morgen eine große Jagd in dem nahen Waldgebirge anzuordnen.
Erst spät vertoste im Dorf und auf den Gartenplätzen die fröhliche Wirrung und Zurüstungen, und noch bis tief in die Nacht hörte man einzelne Waldhornsklänge und den Gesang der vorausziehenden Jäger über den stillen Garten herüberklingen. Da saß Aurora in einem abgelegenen Gemache am halbgeöffneten Fenster und freute sich der schönen sternklaren Nacht über den Wäldern und Bergen draußen, die für morgen das herrlichste Jagdwetter zu verkünden schien.
Sie hatte sich hinter die Fenstergardine verborgen, sehr leise mit ihrer Kammerjungfer plaudernd. Sie schienen noch jemand zu erwarten und blickten von Zeit zu Zeit in den Garten hinaus.
»Horch«, sagte die Gräfin, »ist das der Wald, der so rauscht? Es ist recht verdrießlich, ich hatte mir schon alles so lustig ausgesonnen für morgen, und nun wird mir ordentlich angst; die dummen alten Bäume vor dem Hause, die finstern Berge, die stille Gegend: Es sieht alles so ernsthaft und anders aus, als man sich's bei Tage denkt – wo er auch gerade heute bleibt!«
»Wer denn?«, fragte die Kammerjungfer schalkhaft. »Der spröde Prinz?«
»Hm, wenn ich just wollte«, erwiderte Aurora. Hier wurden sie durch eine Stimme unter dem Fenster unterbrochen. Es war ein Jäger, der so spät noch seine Flinte zu putzen begann und fröhlich dazu sang:
»Wir waren ganz herunter,
Da sprach Diana ein,
Die blickt so licht und munter,
Nun geht's zum Wald hinein!«
»Da meint er mich!«, flüsterte die Gräfin. Der Jäger aber sang von Neuem:
»Im Dunkeln Äuglein funkeln,
Cupido schleichet leis,
Die Bäume heimlich munkeln –
Ich weiß wohl, was ich weiß!«
»Was will der davon wissen, der Narr!«, sagte Aurora erschrocken. »Kommen wir fort, ich fürchte mich beinahe.«
Die Kammerjungfer schüttelte bedenklich ihr Köpfchen, indem sie vorsichtig oben das Fenster wieder schloss.
Währenddes ritt der Prinz Romano – wir wissen nicht weshalb – beim hellsten Mondschein ganz allein mitten durch die fantastische Einsamkeit des Gebirges dem Schlosse des Grafen Leontin zu.
Vor Heimlichkeit und Eile hatte er, ohne einen Führer mitzunehmen, nach den Beschreibungen der Landleute den nächsten Waldpfad eingeschlagen.
Die Wälder rauschten durch die weite Stille, aus der Ferne hörte man nur den dumpfen Schlag eines Eisenhammers, von Zeit zu Zeit stutzte sein Pferd schnaubend. Bald aber teilten sich die Wege in den verschiedensten Richtungen, die betretenen schienen weit abzuführen, die wilderen verloren sich ganz und gar im Gestein.
Manchmal glaubte er Hundegebell aus den Tälern zu vernehmen, aber wenn er hinablenken wollte, stand er plötzlich vor jähen, finstern Abgründen, bis er zuletzt sich selbst eingestehen musste, sich gänzlich verirrt zu haben.
»Desto schöner!«, rief er aus, stieg ab, band sein Pferd an einen Baum und streckte sich auf den Rasen hin, um die Morgendämmerung abzuwarten.
Wie manche schöne Sommernacht, dachte er, habe ich auf meinen Jugendfahrten schon so verbracht und in der dichterischen Stille, heimlich bildend, den grauen Vorhang angestarrt, hinter dem die frischen Morgen, blitzenden Ströme und duftigen Täler des reichen, unbekannten Lebens vor mir aufsteigen sollten.
Ein naher Bach plauderte verwirrend in seine Gedanken herein, die Wipfel über ihm. rauschten einförmig immer fort und fort, so schlummerte er endlich ein, und der Mond warf seine bleichen Schimmer über die schöne wüste Gestalt, wie über die Trümmer einer zerfallenen verlornen Jugend.
Da träumte ihm, er stände auf dem schönen Neckargebirge von Heidelberg. Aber der Sommer war vorbei, die Sonne war lange untergegangen, ihn schauerte in der herbstlichen Kühle. Nur das Jauchzen verspäteter Winzer verhallte noch, fast wehmütig, in den Tälern unten, von Zeit zu Zeit flogen einzelne Leuchtkugeln in die stille Luft. Manche zerplatzte plötzlich in tausend Funken und beleuchtete im Niederfallen lang vergessene, wunderschöne Gegenden.
Auch seine ferne Heimat erkannte er darunter, es schien schon alles zu schlafen dort, nur die weißen Statüen im Garten schimmerten seltsam in dem scharfen Licht. Dann verschlang die Nacht auf einmal alles wieder. Über die Berge aber ging ein herrlicher Gesang, mit wunderbaren, bald heitern, bald wehmütigen Tönen.
Das ist ja das alte, schöne Lied!, dachte er und folgte nun bergauf, bergab den Klängen, die immerfort vor ihm herflohen. Da sah erDörfer, Seen und Städte seitwärts in den Tälern liegen, aber alles so still und bleich im Mondschein, als wäre die Welt gestorben. So kam er endlich an ein offenes Gartentor, ein Diener lag auf der Schwelle ausgestreckt wie ein Toter.
Desto besser, so schleich' ich unbemerkt zum Liebchen, sagte er zu sich selbst und trat hinein. Dort regte sich kein Blättchen in allen Bäumen den ganzen weiten Garten entlang, der prächtig im Mondschein glänzte, nur ein Schwan, den Kopf unter dem Flügel versteckt, beschrieb auf einem Weiher, wie im Traume, stille, einförmige Kreise; schöne, nackte Götterbilder waren auf ihren Gestellen eingeschlafen, dass die steinernen Haare über Gesicht und Arme herabhingen.
Als er sich verwundert umsah, erblickte er plötzlich ihre hohe und anmutige Gestalt, verlockend zwischen den dunkeln Bäumen hervor.
»Geliebteste!«, rief er voll Freude. »Dich meint' ich doch immer nur im Herzensgrunde, dich mein' ich noch heut!«
Wie er sie aber verfolgte, kam es ihm vor, als wäre es sein eigener Schatten, der vor ihm über den Rasen herfloh und sich zuletzt in einem dunkeln Gebüsch verlor.
Endlich hatte er sie erreicht, er fasste ihre Hand, sie wandte sich. Da blieb er erstarrt stehen – denn er war es selber, den er an der Hand festhielt.
»Lass mich los!«, schrie er. »Du bist's nicht, es ist ja alles nur ein Traum!«
»Ich bin und war es immer«, antwortete sein grässliches Ebenbild, »du wachst nur jetzt und träumtest sonst.« Nun fing das Gespenst mit einer grinsenden Zärtlichkeit ihn zu liebkosen an.
Entsetzt floh er aus dem Garten, an dem toten Diener vorüber, es war, als streckten und dehnten sich hinter ihm die erwachten Marmorbilder, und ein widerliches Lachen schallte durch die Lüfte.
Als er atemlos wieder im Freien anlangte, befand er sich auf einem sehr hohen Berge unter dem unermesslichen Sternenhimmel. Aber die Sterne über ihm schienen sich sichtbar durcheinander zu bewegen; allmählich wuchs und wuchs oben ein Brausen, Knarren und Rücken, endlich flog der Mond in einem großen Bogen über den Himmel, die Milchstraße drehte sich wie ein ungeheures Feuerrad, erst langsam, dann immer schneller und wilder in entsetzlichem Schwunge, dass er vor Schwindel zu Boden stürzte. Mitten durch das schneidende Sausen hörte er eine Glocke schlagen, es war, als schlüg' es seine Todesstunde. Da fiel ihm ein, dass es eben Mitternacht sei.
Das ist's auch, dachte er, da stellt ja der liebe Gott die Uhr der Zeit. Und als er wieder aufblickte, war alles finster geworden, nur das Rauschen eines weiten Sternenmantels ging noch durch die Einsamkeit des Himmels, und auch den Gesang, als sängen Engel ein Weihnachtslied, hörte er wieder hoch in den Lüften so über alle Beschreibung freudig erklingen, dass er vor tiefer Lust und Wehmut aufwachte.
Er konnte sich zwischen den Bäumen und Bergen gar nicht wieder zurechtfinden und blickte verstört in der fremden Gegend umher. Da lag weit und breit alles so still im schönsten Mondglanz.
Zu seinem großen Erstaunen aber glaubte er auf der Waldwiese unter sich den Jäger Florentin zu bemerken. Er schien an einem Bache sich zu waschen, seine dunklen Locken verschatteten sein Gesicht, der Mondschein spielte, wie liebestrunken, über den schönen entblößten Nacken und die Schultern des Jünglings.
Dann horchte Florentin plötzlich auf, denn von den Bergen ließ sich derselbe Gesang wieder vernehmen, den der Prinz schon im Traum gehört hatte.
Romano schloss verwirrt die Augen, um die lieblichen Traumbilder nicht zu verscheuchen. Da war es ihm, als höre er durch die Stille der Nacht den jungen Jäger zwischen dem Flüstern der Wipfel und Blätter unten mit jemand sprechen.
Als er die Augen wieder aufschlug, sah er, wie soeben ein fremder Mann mit langem weißen Bart und weitem, faltigen Mantel von dem Jüngling fortschritt. Ihn graute fast, denn der Alte kam ihm bekannt vor, er glaubte den alten wahnsinnigen Harfner aus »Wilhelm Meister« zu erkennen.
Betroffen und erschüttert sprang er nun auf. Da flog auch Florentin schon über die tauige Wiese, und alles war, wie ein Elfenspuk, auf einmal zerstoben. Nur der Gesang verhallte noch in der weitesten Ferne, und aus dem Zwielicht des anbrechenden Morgens ragten die Türme eines alten Schlosses traumhaft über den Wald hervor.
»Was für ein Fantast ist doch die Nacht!«, sagte der Prinz zu sich selbst, noch immer in das mondbeglänzte Tal hinabstarrend.
»Und das ist wohl gar schon Leontins verwünschtes Schloss!«, rief er dann freudig aus, schüttelte schnell die schwülen Träume ab, schwang sich wieder auf sein Ross und ritt wohlgemut der neuen Erscheinung zu.
Die Wälder in der Runde rauschten noch verschlafen, in den Tälern aber krähten die Hähne, und hin und her blitzten schon Ströme und einzelne Dächer im Morgenlicht auf.
So war er lange, in sich selbst versunken, den alten Türmen entgegengeritten, die sich immer höher aus dem stillen Grau erhoben, als er plötzlich hinter einem dichten unzugänglichen Gebüsch vor sich sehr heftig reden hörte.
Er hielt einen Augenblick an und vernahm deutlich die Worte: »Wo führst du mich hin, aus Grau durch Nacht zur Hölle?! Ich geh' nicht weiter – hier endest du, und alles bricht zusammen!«
Eine andere Stimme, wie es schien, rief nun, wie aus tiefstem Weh: »Erbarmen!«
Romano stutzte. Verwirrt noch, wie er war, von der schlaflosen, träumerischen Nacht, schien ihm dies ein unverhofftes preiswürdiges Abenteuer. Er fasste sich ein Herz und rief in das Gebüsch hinein:
»Zurück, Vermessener, wer du auch seist! Die mordbrütende Nacht schlägt über dir ihren dunklen Mantel auseinander, und das Auge Gottes blickt wieder durch die Welt!«
Hierauf wurde auf einmal alles still, und der Prinz, dadurch ermutigt, wiederholte seinen Donnerruf.
Der Unbekannte hinter dem Busch aber schien inzwischen durch die Zweige die Gestalt des Reiters ins Auge gefasst zu haben, die in ihrem überwachten Zustande auf dem müden Ross allerdings an Don Quijote gemahnte. Dies mochte ihm Mut einflößen, und er erwiderte plötzlich mit kecker gewaltiger Stimme:
»Verwegener! Greife nicht in das Rad fremder Verhängnisse! Weiche von mir, so dir dein Leben teuer ist!«
Nach dieser Stimme schien es ein grober, massiver Kerl zu sein. Der Prinz geriet in einige Verlegenheit, er war unbewaffnet und auf keine Weise auf solche unerwartet entschlossene Antwort gefasst gewesen.
Während er aber noch so nachsann, was hier zu tun oder zu lassen, erhob der Unsichtbare schon wieder seine Stimme. »Hoho!« rief er. »Morgenstunde hat Blut im Munde. Das Messer ist gewetzt, das Wild umsetzt, ein reicher Fang, hussa zum letzten Gang!«
Jetzt schien er durch das Gebüsch hervorbrechen zu wollen. Romano wandte sein Pferd, aber es verwickelte sich zwischen Wurzeln und Sträuchern, er konnte weder vor noch rückwärts. Zum Glück bemerkte er soeben in der Nähe einige Hirten und schrie aus Leibeskräften:
»Zu Hülfe! Zu Hülfe! Räuber, Mörder! Fasst den Kerl, bindet ihn!«
Die Hirten, junge fröhliche Burschen, ließen sich das nicht zweimal sagen; sie sprangen rasch herbei, und es entspann sich hinter dem Gebüsch ein verworrenes Trampeln, Balgen und Schimpfen.
Als der Prinz sich nun vorsichtig wieder näherte, hatten sie den Wilden schon beim Kragen: einen kurzen dicken Mann, der in größter Wut nach allen Seiten um sich stieß.
»Nun, das ist gar das Unglaublichste! Herr Faber!«, rief Romano voller Erstaunen aus.
Es war in der Tat niemand anders als der alte Dichter.
»Das kommt von Euren tollen Streichen!«, schrie er dem Prinzen entgegen. »Schon vom nüchternen Morgen seid Ihr im romantischen Tran!«
In dem Getümmel flogen seine Manuskripte auf dem Rasen umher. Da verstand er keinen Spaß; außer sich vor Zorn, versetzte er mit unglaublicher Behändigkeit dem einen eine tüchtige Ohrfeige.
Aber die Hirten ließen sich nicht irremachen. Sie hatten lange genug auf eine Gelegenheit gewartet, an dem Poeten einmal ihr Mütchen zu kühlen, der ihnen in seinem vornehmen, gelehrten Müßiggange von jeher ein Ärgernis war. Und so schleppten sie ihn denn, trotz aller Gegenrede, in einem Anfall handgreiflichen Humors als Arrestanten nach dem Schlosse zu.
Es war ein wunderlicher Zug. Faber, da er sich überwältigt sah, erschöpfte sich in wütenden Vergleichungen zwischen jungen Sauschlingeln und alten Hauklingen, die beide ungeschliffen seien, zwischen Bauern und Walnussbäumen, die am besten gediehen, wenn man mit Knitteln nach ihnen schmisse. Dazwischen rief er wieder lachend dem Prinzen zu:
»Aber Ihr habt Euch trefflich gefürchtet vor mir!«
»Jawohl, schon gut, mein Lieber!«, erwiderte Romano und hielt jedes Mal sein Pferd an, wenn der Gefangene sich umwandte; denn er hatte insgeheim die Meinung gefasst, dass Herr Faber an periodischem Wahnsinn leide und eben seinen Anfall habe.
Über dem Lärm und Gezänk in der frühen Morgenstille wurde alles wach, wo sievorüberzogen. Hunde bellten, Bauernköpfe fuhren verschlafen und verwundert aus den kleinen Fenstern.
So waren sie, um eine Bergsecke tretend, plötzlich an eine hohe Felsenwand gekommen, von der Leontins alte Burg fast senkrecht herabschaute.
In dem einen Erker flog rasch ein Fenster auf. Eine wunderschöne Frauengestalt, noch halb entkleidet, wie es schien, den Busen von den herabringelnden Locken verhüllt, bog sich neugierig über den Abgrund hinaus und bedeckte mit der kleinen, weißen Hand die Augen vor der Morgensonne.
Die Hirten schienen sich auf einmal ihres Unterfangens zu schämen und hatten bei der schönen Erscheinung ihren Gefangenen blöde (hier: schüchtern) losgelassen.
»Ich appelliere, als ein Dichter, von dem Gericht der Pairs und vom Haus der Gemeinen an den hohen, Minnehof!«, rief der befreite Faber zu seiner Retterin hinauf.
»Aber was brecht Ihr denn so wütend den Tag an? Ist denn ein ganzer Sommertag nicht lang genug zu Narrenstreichen?«, schallte die liebliche Stimme, wie aus Morgenlüften, zu ihnen hernieder.
Faber aber trat vor die gewaltigen Schranken, sich feierlich verteidigend, und es kam nun heraus, dass er, vom Hundgetön und Hörnergeheul aus Schlaf und Schloss getrieben, in derMorgeneinsamkeit des Waldes an seinem neuen Trauerspiele habe weiterdichten wollen und eben daraus eine Stelle rezitierte, als der Prinz ankam, den er sogleich erkannt und, das Missverständnis bemerkend, ihn mit trefflichem Erfolge ins Bockshorn zu jagen versucht habe.
Darüber wurde die Dame erst den Fremden gewahr. Sie warf erschrocken einen fragenden Blick auf ihn, schloss dann schnell das Fenster, und die freudige Erscheinung, deren Züge Romano aus dem blendenden Sonnenglanze nicht zu erkennen vermochte, war plötzlich, wie ein Morgentraum, wieder verschwunden.
Auch die Hirten hatten sich währenddes im Grünen verlaufen; Herr Faber dagegen war schon weit fort und haschte eifrig die verlornen Blätter seines Trauerspiels, die der Morgenwind, wie Schmetterlinge, mutwillig umhertrieb.
Und so sah sich denn Romano in der feierlichen Morgenstille auf einmal wieder einsam vor dem fremden, rätselhaften Schlosse, noch immer in das funkelnde Fenster hinaufstarrend, als plötzlich einer seiner vertrautesten Jäger in gestrecktem Galopp über den Waldgrund dahergeflogen kam.
»Was bringst du?«, rief ihm Romano gespannt entgegen.
»Sie haben sich nach der andern Seite des Gebirges gewandt, es ist alles verloren!«, erwiderte der Jäger atemlos.
»Wissen es die andern? Rücken deine Gesellen nach?«
»Nein, denn der Graf Leontin ist nicht im Schloss.«
»Nicht zu Hause?!«, rief der Prinz. »So führe mich rasch zu ihm!«
Hiermit setzte der Jäger die Sporen wieder ein, Romano sprengte nach, und der Wächter, der eben von der Schlosswarte den Tag anblies, sah verwundert die beiden fremden Reiter unten in die beglänzte Landschaft hinausjagen.
Schöne, fröhliche Jugendzeit, was tauchst du, wie ein wunderbares Land im Traume, wieder vor mir auf! Die Morgenglocken tönen von Neuem durch die weite Stille, es ist, als hört' ich Gottes leisen Tritt in den Fluren, und ferne Schlösser erst und Burgen hängen glühend über dem Zauberduft. Wer ahnt, was das geheimnisvolle Rauschen der verträumten Wälder mir verkünden will? Ich höre die Ströme unten gehen und weiß nicht, wohin sie ziehen, ich bin so voller Glanz und Klang und Liebe und weiß noch nicht, wo mein künftiges Liebchen wohnt!
Da über die Berge, zwischen den ersten Morgenlichtern, sehe ich einen jungen rüstigen Gesellen wandern, einen grünen Eichenzweig auf dem Hut, die braunen Locken vom Tau funkelnd, so frisch und keck, als ging's ins Paradies. Und mir ist, als müsst' ich alles liegen lassen und wieder mitreisen, als nun die Sonne plötzlich die schimmernden Abgründe aufdeckt und der Gesell im Wandern in die Täler hinabsingt:
»Vom Grund bis zu den Gipfeln,
So weit man sehen kann,
Jetzt blüht's in allen Wipfeln,
Nun geht das Wandern an:
Die Quellen von den Klüften,
Die Ström' auf grünem Plan,
Die Lerchen hoch in Lüften,
Der Dichter frisch voran.
Und die im Tal verderben
In trüber Sorgen Haft,
Er möcht' sie alle werben
Zu dieser Wanderschaft.
Und von den Bergen nieder
Erschallt sein Lied ins Tal,
Und die zerstreuten Brüder
Fasst Heimweh allzumal.
Da wird die Welt so munter
Und nimmt die Reiseschuh,
Sein Liebchen mittendrunter,
Die nickt ihm heimlich zu.
Und über Felsenwände
Und auf dem grünen Plan
Das wirrt und jauchzt ohn' Ende –
Nun geht das Wandern an!«
Nun aber war es wirklich, als würde das Lied auf einmal lebendig; denn Stimmen ließen sich plötzlich im Walde vernehmen, einzelne Jäger erschienen bald da, bald dort, im Morgenglanz an den Klippen hängend und wieder verschwindend, dazwischen lange, gezogene Waldhornsklänge bis weit in die fernsten Schlüfte hinein, lustiges Hussa, Rossgewieher, Schüsse und Hundegebell, und über den grünen Plan unten sprengte eine Frauengestalt in prächtigem Jagdkleid, mit den hohen Federn ihres grünsamtnen Baretts sich in den heitern Morgenlüften zierlich auf dem Zelter wiegend und fröhlich nach der glänzenden Reiterschar ihrer Begleiter zurückgewandt, von der bei jedem ihrer Worte ein beifälliges, entzücktes Lachen heraufschallte.
Dem Wandrer aber flog bei dem unerwarteten Anblick eine leuchtende Erinnerung durch die Seele, die ganze Erscheinung war ihm wie eine wunderbare Verheißung; er schwenkte jauchzend seinen Hut über den Vorüberziehenden und blickte ihnen nach, bis sie alle im Walde wieder verschwunden waren.
»Seht Ihr ihn?«, sagte Gräfin Aurora heimlich vergnügt zu Herrn Publikum – denn niemand anders waren die Jagenden unten –, »seht Ihr den Prinzen Romano oben? Ich wusst' es wohl, dass er nicht lange wegbleiben wird. Aber was geht es mich an! Wir tun, als hätten wir ihn nicht bemerkt.«
»Vortrefflich, Göttliche! – Gewiss romantische Flausen wieder – verdammtes Beest!«, erwiderte Publikum in tausend Nöten, ängstlich den straubigen Hals seines unruhigen Kleppers streichelnd, der soeben zum Schrecken des furchtsamen Reiters mit weit vorgestreckten Nüstern in die frische Morgenluft hinauswieherte.
So waren sie von Neuem auf einen freien grünen Platz gekommen, als plötzlich vor ihnen ein verworrenes Geschrei aus dem Walde brach; mehrere Schüsse fielen auf einmal, und ein wütender Eber, von wilden Rüden gehetzt, mit den gefletschten Hauern, Schaum und Blut und Überreste des durchbrochenen Netzes nach allen Seiten um sich schleudernd, stürzte gerade auf die Reiter los.
Nun war es nicht anders, als ob ein Wirbelwind durch einen Trödelmarkt führe; Hüte, Tücher und Federn flatterten mit einem Male auf dem Rasen umher, die scheu gewordenen Pferde drängten und bäumten, Hallo und Angstgeschrei dazwischen; Aurora war mit ihrem Gewande in einen mutwilligen Strauch geraten, das schönste Knie blitzte blendend durch das Getümmel.
Vor allen aber sah man Herrn Publikum wie einen zusammengerollten dicken Knäul, den Hals seines Pferdes umklammernd, weithin über den Anger fliegen; die kecken Novellisten feuerten tapfer drein, aber jeder Schuss klatschte so wunderlich in der Luft, dass jedes Mal die Jäger in der Runde laut auflachten.
Unterdes war das Ungetüm, mit der verbissenen Meute an den Fersen, pfeilschnell vorübergeschossen. Die Zersprengten sammelten sich wieder, man atmete tief auf, lachte und scherzte; jeder wollte zum Schutz der Damen besondern Mut bewiesen haben.
Auch den unaufhaltsamen Publikum hatten die Wildtreiber im Gehölz wieder aufgefangen. Er war ganz außer sich vor Zorn, mit nie gesehener Beweglichkeit bald sein Halstuch lüftend, bald nach allen Seiten schnell ausspuckend, schimpfte er auf seine Leute, die ihm so ein tolles unbändiges Ross gegeben, auf das liederliche Zaumzeug und das ganze dumme, rohe Jagdvergnügen.
»Wer tat das?«, rief er endlich, rot und blau im Gesicht wie ein kalekutischer Hahn.
»Wer tat das?«, gellerten die nun aus Gefälligkeit gleichfalls entrüsteten Novellisten nach. Und so mit Hall und Widerhall, dem keine Antwort folgte, vertoste endlich der ganze Schwarm im Walde wieder.
Die Jäger wussten recht gut, wer es getan, sie mochten's aber nicht verraten. Florentin hatte die Flinten für die Literatoren blind geladen und soeben den umstellten Eber heimlich aus dem Garne gerade auf die Herrschaft losgelassen.
Weit davon fanden späterhin einige von ihnen das mutwillige Jägerbürschchen mitten im wildesten Gebirge, Pferd und Reiter atemlos und fast taumelnd vor übergroßer Ermüdung. Er hörte kaum auf ihre Erzählung von dem Erfolge seines Schwanks.
»Was kümmert's mich!«, unterbrach er sie heftig, wie ein übellaunisches Kind. »Es ist mir alles verdreht und verdrießlich, ich mag nicht mehr jagen! Ich mag nicht mehr reiten! Ich will allein sein! Ich bitt' euch, ihr lieben, närrischen, langweiligen Leute, lasst mich allein!«
Und kaum hatten die Jäger kopfschüttelnd ihn wieder verlassen, so warf er sich in der Einsamkeit vom Pferde in das hohe Gras und weinte bitterlich – leichte Wolken flogen eilig über das stille, enge Waldtal fort, in weiter Ferne verhallte noch das Lied des fremden Wanderers auf den Höhen.
Es war schon dunkel geworden, da schritt der wandernde Sänger noch immer rüstig durch den Wald. Er blieb soeben ungewiss an einem Kreuzwege stehen, als er plötzlich Stimmen und Pferdetritte in der Ferne hinter sich vernahm. Sie schienen sich in stolpernder Eile zu nähern, und bald konnte er deutlich unterscheiden, was sie sprachen.
»Das kommt bei den Schnurren heraus«, sagte der eine; »Zeit und Mühe verloren, und wenn es lange so dauert, verlier' ich meine Beine dazu, denn sie hängen mir nur noch wie ein Paar ausgestopfte Lederhosen am Leibe.«
»Du hast sonst einen feinen Verstand«, entgegnete der andere; »aber wenn du einmal hungrig wirst, bist du ganz gemein und unerträglich. Da wirst du ganz Magen mit einigen schlottrigen Darmkanälen von Gedanken, die von keinem Dufte träumen als dem eines Schweinebratens und von keinem Innerlichen als dem einer dicken Blutwurst.«
Jetzt kamen – als ob sie den verlornen Tag suchten – zwei Männer, jeder sein Pferd hinter sich am Zügel führend, zum Vorschein, in denen wir sogleich den Prinzen Romano und seinen Jäger wiedererkennen. Sie hatten im blinden Eifer immer über das Ziel hinausgeschossen, den Grafen Leontin überall verfehlt und kehrten nun ermüdet und verdrießlich von der vergeblichen Irrfahrt zurück.
Kaum erblickte Romano den Fremden, als erihm mit übertriebener Tapferkeit, womit Erschrockene wieder erschrecken wollen, ein furchtbares »Halt!« zurief.
Dann, nach und nach näher tretend und ihn vom Kopf bis zu den Füßen betrachtend, fragte er ihn endlich gelassener, ob er den Grafen Leontin kenne und ihm vielleicht in diesem Walde begegnet sei?
»Ich kenne ihn nicht«, erwiderte der Wanderer, »aber ich möchte ihm wohl begegnen. Im letzten Dorfe sagte man mir, er sei soeben von einer Jagd heimgekehrt, und ich gedenke noch heut auf seinem Schlosse, von dem ich schon viel Seltsames gehört, einzusprechen.«
Das wollte eben Romano auch, und sie beschlossen nun, die Fahrt gemeinschaftlich fortzusetzen.
Die Pferde waren müde, der Weg uneben, so wanderten denn alle zu Fuß nebeneinander hin; der Tritt der Rosse an den Steinen und Wurzeln schallte durch die weite Stille, über ihnen blitzten die Sterne im dunklen Laub, oft sahen sie einander von der Seite schweigend an, um die Signatur der unbekannten Gesichter bei flüchtigem Mondblick zu erraten.
Der heitere fremde Wanderer brach zuerst das Schweigen. Mit der glücklichen Unbefangenheit der Jugend erzählte er, während sie so durch die Nacht fortzogen, mancherlei aus seinem früheren Lebenslauf. Er nannte sich Willibald. Der Sturm der Zeit, der so viele Sterne verlöscht und neue entzündet, hatte auch den Stammbaum seines alten berühmten Geschlechts zerzaust; seine Eltern starben an gebrochenem Stolz, ihre Güter und seine Heimat waren längst an andre Besitzer gekommen, die er nicht einmal dem Namen nach kannte.
Aber Unglück gibt einen tiefen Klang in einem tüchtigen Gemüt und hatte auch ihn frühzeitig durch den tragischen Ernst des Lebens der Poesie zugewendet. Mit freudigem Schauer fühlte er sich bald einer andern, wunderbaren Adelskette angehörig, über welche die Zeit keine Gewalt hat, und rasch Konnexionen, Brotperspektiven und allen Plunder, der das Gemeine bändigt, von sich abschüttelnd, zog er nun eben arm, aber frei und vergnügt, in die Welt, wie in sein weites, fröhliches Reich, hinaus. Nur seine schöne Heimat, die am Ausgange dieses Gebirges lag und an der seine Seele mit aller Macht jugendlicher Erinnerung hing, wollte er noch einmal wiedersehen und dann sich nach Italien wenden.
Während dieser Mitteilungen hatten die Wanderer kaum bemerkt, dass ein furchtbares Gewitter im Anzuge war. Bald aber hallte der Donner immer vernehmlicher zwischen den dunkeln Bergen herauf, ferne Blitze erleuchteten oft plötzlich wunderbare Abgründe neben ihnen, die sich sogleich wieder schlossen.
Willibald schaute freudig in die prächtige Nacht. Romano dagegen, der von frühester Jugend an seine Katzennatur bei Gewittern nicht überwinden konnte, wurde immer unruhiger. Er drückte bei jedem Blitze die Augen fest zu, er versuchte ein paar Mal zu singen, aber es half alles nichts; er musste sich entweder der Länge nach auf der Erde hinstrecken oder unausgesetzt laut reden.
Glücklicherweise fiel ihm soeben ein seltsames Abenteuer ein, das ihm früher einmal in solcher Gewitternacht begegnet. Und ohne darnach zu fragen, ob Willibald auf ihn höre, ging er so dicht wie möglich neben ihm her und hub, schnell fortschreitend und sich nach und nach immer mutiger sprechend, sogleich folgendermaßen zu erzählen an:
»Als ich nach den unglücklichen Kriegen meinem heimkehrenden Regimente nacheilte, erlebte ich eine ähnliche Nacht und in dieser Nacht wunderbare Dinge, vor denen uns heute der Himmel bewahren möge! Ich hatte nämlich damals, um sicherer und fröhlicher zu reisen, mich einem desselben Weges ziehenden Reiterhäuflein angeschlossen, mit dem ich an einem heitern Sommerabend auf einem von Bergen eingeschlossenen Wiesental anlangte.
Ein Dorf war in dem nächsten Umkreise nicht zu erblicken, dagegen hatte ein altes, schwerfälliges Schloss, das ganz einsam auf einem der Hügel emporragte, schon in der Ferne meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Da die Nacht bereits hereingebrochen und in dem Schlosse schwerlich für so viele Pferde gehöriges Unterkommen zu finden war, so beschloss der Trupp, die schöne Nacht im Freien zuzubringen.
Mir aber war ein unnützer Biwak mit seinen alle Glieder durchrieselnden Morgenschauern eben nicht sehr gelegen, außerdem hätte ich gern die nähere Bekanntschaft des Schlosses gemacht, das recht geheimnisvoll durch die Nacht herschaute. Ich ritt daher mit mehr abenteuerlicher Neugier als Vorsicht, nur von meinem Bedienten begleitet, nach der Burg hin.
Das Tor war geschlossen. Wir klopften lange vergeblich. Endlich, als mein sonst phlegmatischer Bediente, dem überhaupt dieses Abenteuer nicht willkommen war, sich erboste und mit seinem Säbelgriff so unermüdlich anhämmerte, dass es dumpf durch das alte Gemäuer widerhallte, knarrte eine Tür, und wir sahen den Schein eines sich von innen nahenden Lichtes über die Mauern schweifen.
Das Tor wurde nicht ohne große Anstrengung geöffnet, und ein alter Mann, der das Ansehen eines Dieners hatte, trat mit weit vorgestreckter brennender Kerze hastig hervor, beschaute uns in höchst gespannter, fast trotziger Erwartung von oben bis unten und fragte dann sichtbar beruhigter und mit einem Gemisch von Verlegenheit und Ironie, was diesem Schlosse die Ehre eines so späten Besuches verschaffe?
Ich eröffnete ihm meinen Wunsch, hier zu übernachten.
Das wird nicht gut angehen, sagte der Alte. Die Herrschaft, setzte er mit einer seltsamen Miene hinzu, die Herrschaft schläft schon lange.
Nun, so lass sie schlafen, erwiderte ich, wir sind genügsam, und es gilt auch nur bis zu Tagesanbruch.
Der Alte schien sich einen Augenblick zu besinnen, maß uns noch einmal mit scharfen Blicken und wies dann endlich meinem Bedienten einen vom Tore weit abgelegenen Stall an, wo der übelgelaunte Knappe, etwas von elendem Hundeloch usw. unter dem Bart murmelnd, die ermüdeten Pferde hineinzog.
Darauf führte mich unser Schlosswart, stillschweigend voranleuchtend, über den weiten gepflasterten Hof, eine steinerne Treppe hinauf, welche, wie ich bei dem flüchtigen Scheine der Kerze bemerken konnte, nicht im besten Stande zu sein schien.
Wir traten in einaltes Gemach, worin zu meinem Erstaunen ein fertiges Bett und alles zum Empfang eines Gastes eingerichtet war.
Ihr seid nicht unvorbereitet, wie ich sehe, sagte ich lächelnd zu dem Alten.
Das bringen die häufigen Durchmärsche so mit sich, erwiderte dieser und entfernte sich schnell, kehrte aber bald mit einer Flasche Wein und einem kalten, ziemlich knappen Imbiss wieder zurück.
Ich wollte nach dem Namen und sonstigen näheren Verhältnis der Schlossbewohner fragen; aber der Alte entschlüpfte mir gewandt mit einem tiefen Bückling und ließ sich nicht wieder sehen.
Ich hatte nun Muße genug, mich in meiner sonderbaren Behausung genau umzusehen. Das einfache Feldbett, ein altmodischer, mit Leder überzogener und mit gelben Zwacken verzierter, ziemlich wackliger Lehnstuhl und ein ungeheurer Tisch von gleicher Beschaffenheit machten das ganze Stubengerät aus. In dem hohen Bogenfenster schienen oben mehrere kleine Scheiben zu fehlen. Die Wände waren nur noch zum Teil mit schweren, an manchen Stellen von oben bis unten aufgerissenen Tapeten bedeckt, von denen mich bald verblichene lebensgroße Bilder bei dem ungewissen Licht der Kerze fast schauerlich anblickten. Alles erregte das wehmütigste Gefühl vergangener Herrlichkeit.
Ich legte mich in das Fenster, das auf das Tal hinausging, aus welchem ich gekommen war. Es blitzte von fern, unten sah ich die Feuer des Biwaks und konnte in der grellen Beleuchtung die Gestalten der darum gelagerten Reiter unterscheiden, von denen von Zeit zu Zeit ein fröhliches Lied und das Wiehern einzelner Rosse durch die mondhelle Nacht herüberschallte.
Da fieles mir aufs Herz, dass ich heut, wider meine sonstige Gewohnheit, vergessen hatte, vor allem andern nach meinen Pferden zu sehen. Ich ging daher noch einmal in den Hof hinunter.
In dem unwirtlichen, halbverfallenen Stalle fand ich meinen Bedienten im tiefsten Schlafe und die Pferde so sicher und gut aufgehoben, als es hier die Umstände erlaubten.
Ich lehnte die alte Tür wieder an, konnte aber auf dem Rückwege nicht unterlassen, einen Augenblick in dem geräumigen Hofe zu verweilen und den wunderlichen Bau genauer zu betrachten, dessen Umrisse im Mondschein nur um desto schärfer hervortraten.
Das Schloss bildete ein vollständig geschlossenes Viereck, an dessen innerer Seite eine von mancherlei kleinen Treppen und Erkern verworren unterbrochne steinerne Galerie herumlief, auf welche die Türen, zum Teil auch einzelne Fenster, der Gemächer hinausgingen. Eine Totenstille herrschte in dem ganzen finstern Bau, nur die verrosteten Wetterhähne drehten sich knarrend im Winde, der sich jetzt heftiger erhoben hatte und schwere, dunkle Wolken über den einsamen Hof hinwegtrieb.
Indem ich eben wieder die große Treppe hinaufsteigen wollte, bemerkte ich einen schwachen flüchtigen Lichtschimmer, der von dem entgegengesetzten Flügel des Schlosses herüberzukommen schien.
Ich scheute nicht die Mühe, auf kleinen, zum Teil schwankenden Stiegen zu jenem Teile der Galerie zu gelangen, und überzeugte mich nun bald, dass das Licht aus einem zwar ängstlich, aber doch nicht sorgsam genug verhangenen Fenster hervorbrach, welches auf die Galerie hinaussah.
Ich blickte durch die kleine Öffnung und sah mit Entsetzen mitten im Gemach auf einem köstlichen Teppich einen schönen, mit einem langen grünen Gewande und blitzenden Gürtel geschmückten weiblichen Leichnam ausgestreckt, die Hände über der Brust gefaltet, das Gesicht mit einem weißen Tuche bedeckt.
Der alte Schlosswart, den Rücken nach dem Fenster gewendet, war im Hintergrunde beschäftigt, eine matt lodernde Lampe in Ordnung zu bringen, während er, wie es schien, Gebete leise vor sich hermurmelte.
Mich schauerte bei diesem unerwarteten Anblick, mir fielen die Worte des Alten wieder ein: Die Herrschaft schläft.«
»Wahrhaftig!«, unterbrach hier Willibald lächelnd den Erzähler, »Sie hoffmannisieren recht wacker.«
Indem aber blitzte es soeben wieder. Romano blieb die Antwort schuldig, drückte die Augen ein und fuhr eifrig und überlaut zu erzählen fort:
»Ich eilte nun in der ersten Bestürzung fort nach meinem Schlafgemach, um meine Waffen zu holen und hier vielleicht ein schauderhaftes Verbrechen an das Tageslicht zu bringen.
Indes, noch ehe ich über die verschiedenen Treppen und verwickelten Gänge den andern Schlossflügel erreichte, besann ich mich, wie nutzlos mein Unternehmen jetzt im Finstern, in einem mir gänzlich unbekannten Hause, sein müsste, dessen vielfache Ausgänge und Erker den kundigen Bewohnern tausend Schlupfwinkel darboten.
Ich beschloss daher nach einigem Nachdenken, den Tag abzuwarten und bis dahin ein wachsames Auge auf alles zu haben, was in dem Schlosse vorgehen möchte.
Zu diesem Behuf ließ ich die Tür meines Gemaches offen, aus welchem ich einen Teil der Galerie und den ganzen Hof übersehen konnte. Draußen im Felde waren die Stimmen der Reiter verschollen und die Wachtfeuer ausgelöscht. Der Sturm erhob sich immer stärker und ging mit entsetzlichen Jammertönen durch das alte Gemäuer. Auch meine Kerze war unterdes ausgebrannt. Gespannt und auf jeden Laut aufhorchend, setzte ich mich daher völlig angekleidet auf mein Bett und malte mir auf den dunklen Grund der Nacht wilde fantastische Bilder aus.
Eine schauerliche Vorstellung reihte sich verworren an die andere, bis ich endlich, der Ermüdung erliegend, in unruhigen Träumen einschlummerte.
Plötzlich fuhr ich von meinem Lager auf, von einem heftigen Donnerschlage aufgeschreckt. Ich sprang an die Stubentür, von der mich ein kalter Wind anblies. Es war ein furchtbares Gewitter, so recht ingrimmig, ohne Regen. Eine dicke Finsternis verhüllte Schloss, Hof und Himmel.«
Hier zuckte von Neuem ein Blitz leuchtend über die ganze Gegend, und Leontins Schloss, wie in Feuer getaucht, stand auf einmal vor ihnen über dem Walde.
»In der Tat«, sagte Romano erstaunt, »wüsste ich nicht – gerade so sah damals das Spukschloss aus! – Doch eilen wir, unser Weg und meine Geschichte sind gleich zu Ende.«
Er fuhr wieder fort:
»Wie ich nun so aus der Tür in das Dunkel hinausstarre, schlängelt sich plötzlich ein Blitz über den Zinnen, und ich erblickte mit Grausen in der Tür, welche aus dem gegenüberstehenden Schlossflügel auf den Hof hinausführte, das tote Fräulein mit demselben grünen Gewande und funkelndem Gürtel, wie ich sie in jenem Gemache gesehen, stumm und regungslos aufgerichtet, das Gesicht leichenblass und unbeweglich; über den Rücken wallte ein langer dunkler Mantel herab. Neben ihr stand eine hohe Gestalt, in einen gleichfalls dunklen weiten Mantel tief verhüllt.
Die Finsternis verschlang sogleich wieder die flüchtige Erscheinung. Ich heftete meine Blicke durchdringend und unausgesetzt auf den grauenvollen Punkt, als nach einer geraumen Pause abermals einer von jenen langen oder vielmehr sich unaufhörlich wiederholenden Blitzen erfolgte, wo sich gleichsam der ganze Himmel wie ein rotes Auge aufzutun scheint und eine grässliche Beleuchtung über die stille Erde umherwirft.
Da sah ich, wie das Fräulein mit dem entsetzlich starren Gesicht, die andre dunkle Gestalt und noch ein dritter Vermummter, in welchem ich den alten Schlosswart zu erkennen glaubte, sich im Hofe, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, feierlich auf drei schwarze Rosse erhoben, deren Mähnen sowie die Enden der weiten, faltigen Mäntel in dem Gewitterwinde wild umherflatterten. Lautlos, wie ein Leichenzug, bewegte sich darauf die seltsame Erscheinung durch das geöffnete Schlosstor, den Hügel hinab, immer tiefer, weiter.
Was ist das?«, schrie hier Romano plötzlich voll Entsetzen auf.
Auch Willibald stutzte, betroffen in die Ferne hinausstarrend. Das wilde Wetterleuchten hatte das Schloss vor ihnen wieder grauenhaft erhellt, und im Tore erblickten sie deutlich die Leichenbraut mit dem grünen Gewande und funkelndem Gürtel, zwei dunkle Gestalten neben ihr, lautlos auf drei schwarzen Rossen, die faltigen Mäntel im Winde flatternd, als wollten sie eben wieder ihren nächtlichen Auszug beginnen.
»Nun, das ist der wunderlichste Ausgang Ihrer Geschichte!«, sagte Willibald, sich schnell fassend, als die zurückkehrende Finsternis auf einmal alles wieder bedeckt hatte.
»Ausgang?,« rief Romano ganz verstört. »Sahen Sie denn nicht, wie sie entsetzlich immer fortspielt?«
»Aber erfuhren Sie denn damals nicht –?«
»Nein, nein«, erwiderte der Prinz hastig; »kehrte ich doch am Morgen das ganze Haus um, alles leer, wüst, verfallen, ohne Fenster und voll Schutt, hohes Gras auf dem gepflasterten Hofe; die Bauern sagten nachher, das Schloss sei seit hundert Jahren nicht mehr bewohnt.«
Währenddes hatte Willibald den Prinzen unter den Arm gefasst und riss ihn über Stock und Stein durch die Finsternis mit sich fort. Der heftige Gewitterwind blies an den Felsennasen um sich her, zwischendurch hörten sie ein verworrenes Gemurmel, wie von vielen Stimmen, und immer stärker, je näher sie dem Schloss kamen; zuweilen war es ihnen, als schweife der Widerschein einer Fackel flüchtig über das alte Gemäuer der Burg.
So standen sie, ehe sie's dachten, vor dem Tor. Die gespenstischen Reitergestalten waren verschwunden. Der Erste aber, der ihnen entgegentrat, war der alte geheimnisvolle Diener, eine brennende Kerze vorhaltend und die Eindringenden trotzig betrachtend.
Da hielt sich Romano nicht länger, seine Einbildung war von dem raschen Gange, dem Sturm und den wilden Erscheinungen bis zum Wahnsinn empört.
»Schläft deine Herrschaft noch immer, verfluchter alter Daniel!«, rief er außer sich, den Alten an der Brust fassend.
Dieser, voll Zorn über den unerwarteten Überfall, fasste ihn sogleich wieder und rang mit ihm. Willibald sprang erschrocken dem bedrängten Prinzen zu Hülfe, große Hunde schlugen an, eine wachsende Bewegung erwachte tief in dem dunklen Torwege.
»Was macht ihr wieder für höllischen Lärm, ihr Fantasten!«, donnerte da eine Stimme aus dem Hintergrunde dazwischen. Ein hoher schöner Mann im langen faltigen Reitermantel, die von allen Seiten an ihn heraufspringenden Doggen beschwichtigend, trat plötzlich hervor.
»Graf Leontin!«, rief Romano aus, seinen Daniel schnell loslassend. Beide sahen einander eine Zeitlang erstaunt an.
Endlich nahm der ganz verwirrte Prinz wieder das Wort.
»Wer«, fragte er, »ritt vor Kurzem hier ins Tor?«
»Ich, von der Jagd, wo uns die Nacht und das gräuliche Wetter überraschte!«, erwiderte Leontin.
»Aber ich sah doch alles ebenso vor langer Zeit im wüsten Schloss an der Donau, diesen Alten, beim Widerschein der Blitze die vermummten Reiter im Tor.«
Hier brach Leontin plötzlich in ein unmäßiges Gelächter aus.
»Wie!« rief er. »Sie waren es? Wer konnte auch in dem verrufenen Schloss so spät noch Gäste erwarten! Die Verlegenheit war groß, Sie nahmen das Zimmer ein, das der Alte heimlich für uns bereitet hatte.«
»Und das Fräulein in der Mitte«, fuhr Romano fort, »mit dem totenbleichen, schönen starren Gesicht.«
»Freilich«, versetzte Leontin, noch heftiger lachend; »wir trauten dem unbekannten Gaste nicht und hatten Larven vorgesteckt, denn ich entführte eben damals meine Julie.«
Das hatte der wundersüchtige Romano am Allerwenigsten erwartet, er verachtete im Herzen diese nüchterne Auflösung und folgte schweigend dem heitern Leontin, der nun die unverhofften Gäste, als eine köstliche Ausgeburt dieser kreißenden Nacht, in seine Burg führte.
Der alte Diener ging mit seiner Kerze voran, leise etwas von verrückten Prinzen in den Bart murmelnd und manchmal noch einen wütenden Blick auf Romano zurückschleudernd.
So schritten sie durch einen ganz wüsten Schlossflügel, die hohen Fensterbogen standen leer, der flackernde Schein der Kerze schweifte flüchtig über die Stuckatur an den Decken der verfallenen Gemächer; zwischen zerrissenen Fahnen, die im Zugwinde flatterten, starrten ganz gewappnete Ritterbilder die Vorübereilenden gespenstisch aus den geschlossenen Visieren an.
Über eine enge Wendeltreppe gelangten sie dann auf eine steinerne Galerie, die am Innern des Schlosses fortzulaufen schien und von der man den Burghof überblicken konnte. Dort sah es wie ein Schlupfwinkel von Räubern oder Schmugglern aus: verworrene Stimmen durcheinander, Windlichter in dem steinernen Springbrunnen sich spiegelnd, Rosse, lechzende Hunde, Jäger und Waffen, alles von Zeit zu Zeit vom bleichen Widerschein der Blitze, wie in wilden Träumen, wunderbar erleuchtet.
Endlich traten sie in einen ungeheuren Saal, in dessen Mitte Herr Faber ganz allein an einem großen runden Tische saß und unmäßig speiste, ohne aufzusehen und die Kommenden sonderlich zu beachten.
Ein Fenster musste irgendwo schlecht verwahrt sein, denn das einzige Licht auf dem Tische wehte und warf ungewisse Scheine über die Ahnenbilder an den Wänden und in den hintern, dämmernden Raum des Saales, wo eine unkenntliche Gestalt auf der Erde zu liegen schien; mit Erstaunen glaubte Romano, als er genau hinblickte, den wahnsinnigen Harfner wiederzuerkennen, der dort über seiner Harfe eingeschlafen war. In einer Fensternische aber saß eine junge schöne Frau, mit einer Gitarre im Arm, in die vom Gewitter beleuchtete Gegend hinausschauend. Sie hörten sie im Eintreten eben noch singen:
»Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
Da kommen die Wolken her,
Aber Vater und Mutter sind lange tot,
Es kennt mich dort keiner mehr.
Wie bald, wie bald kommt die stille Zeit,
Da ruhe ich auch, und über mir
Rauschet die schöne Waldeinsamkeit,
Und keiner mehr kennt mich auch hier.«
»Schon wieder das Lied!«, rief ihr Leontin zu, seine Brauen finster zusammenziehend.
Da sprang sie schnell auf.
»Es ist schon wieder vorüber«, sagte sie und fiel ihm heiter um den Hals.
»Das ist die Leichenbraut mit dem funkelnden Gürtel!« – so stellte Leontin seine Gemahlin Julie lächelnd dem Prinzen vor.
Sie errötete, und Romano erkannte sogleich die schlanke Gestalt wieder, die er schon heute am frühen Morgen im Erker erblickt hatte. Mit romanesker Galanterie sagte er, fein auf ihr wehmütiges Lied anspielend, sie sei ein zarter Waldhornslaut, berufen, weithin in den Tälern den Frühling zu wecken, nicht aber an den finstern Tannenwipfeln dieser starren Waldeinsamkeit ihren melodischen Zauber zu verhauchen.
Sie sah ihn mit den frischen klaren Augen groß an, lachte ihm, als er fertig war, geradezu ins Gesicht und wandte sich dann ohne Weiteres, um in der verworrenen Wirtschaft zur Aufnahme der späten Gäste das Nötige zu besorgen.
Romano sah ihr nicht ohne einige Empfindlichkeit nach, als seine Blicke zufällig an der gegenüberstehenden Wand auf ein Portrait fielen, das seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Es war ein überaus schönes Mädchengesicht, mutwillig aus einer seltsamen fantastischen Tracht hervorguckend, als fragt' es ihn neckend: Kennst du mich?
Er wusste es, er hatte diese wunderbaren Züge oft gesehen und konnte sich doch durchaus nicht besinnen. Voll Neugierde fragte er endlich den Grafen Leontin.
»Weitläufige Verwandtschaft«, erwiderte dieser flüchtig, mit sichtbarer Verlegenheit. Er schien die Fremden von dem Bilde ablenken zu wollen und nötigte sie eilig zum Niedersetzen; aber jeder der altväterischen Stühle, sowie er ihn ergriff, ließ der eine die Lehne, der andere ein Bein fahren.
»Ich sitze auf dem guten«, sagte Faber, ruhig weiteressend, und Leontin bat nun lachend seine Gäste, lieber mit ihm auf die Galerie hinauszukommen, wo es an handfesten steinernen Bänken nicht fehle.
So lagerte sich denn die ganze Gesellschaft abenteuerlich genug unter den Spitzbogen des alten Altans; ein schwerfälliger Tisch, Weinflaschen und Gläser wurden mit bedeutendem Lärm herbeigeschafft, auch Julie und Faber – Letzterer zu Romanos großem Verdruss mit einer langen qualmenden Tabakspfeife – fanden sich wieder ein, und ein vielfach bewegtes Gespräch belebte bald den wunderlichen Kreis.
Unten im Hofe aber war währenddes schon alles still geworden, auch das Gewitter hatte sich verzogen, es blitzte nur noch in weiter Ferne, und über dem verfallenen Schlossflügel sah man von allen Seiten die wunderbare Gegend im Mondschein wieder heraufglänzen.
Leontins unverwüstliche Heiterkeit und sein guter Wein, der nicht geschont wurde, überwanden bald alle Müdigkeit, und man beschloss einmütig, den kurzen noch übrigen Teil der schönen Nacht hier zusammenzubleiben.
Ein jeder musste nun eine Novelle aus seinem Leben zum besten geben. Die Reihe traf zuletzt Willibald, der von dieser märchenhaften Umgebung tief aufgeregt schien. Mit besonderem Behagen setzten sich die andern den schönen klaren Augen des Wanderdichters gegenüber, als dieser endlich folgendermaßen zu erzählen begann:
»In den Herbstferien wanderte ich als Student mit mehreren fröhlichen Gesellen aus Halle nach dem Harzgebirge. Ich gedenke noch heute mit eigenem Vergnügen des frischen kühlen Morgens, wie wir vor Tagesanbruch durch die alten stillen Gassen zogen und hinter den noch fest zugezogenen Fenstervorhängen unsern eingebildeten Liebchen, die wir kaum einmal im Leben von fern gesehen hatten, unser Ade zuriefen.
Die Jugend, sagt man, blicke die Welt anders an als andere vernünftige Leute, sehe im funkelnden Walde Diana vorübersprengen und aus den Strömen schöne Nixen wunderbar grüßend auftauchen. Ich aber bilde mir ein, aus jungen Philistern werden alte Philister, und wer dagegen einmal wahrhaft jung gewesen, der bleibt's zeitlebens. Denn das Leben ist ja doch nur ein wechselndes Morgenrot, die Ahnungen und Geheimnisse werden mit jedem Schritt nur größer und ernster, bis wir endlich von dem letzten Gipfel die Wälder und Täler hinter uns versinken und vor uns im hellen Sonnenschein das andere Land sehen, das die Jugend meinte.
Diesmal war es indes nur der kurze bunte Reisetag, der dämmernd hinter uns versank, als wir fröhlich auf dem heiteren Stufenberge rasteten. Die Abendsonne funkelte noch in den Fenstern des Wirtshauses, vor welchem wir über die Buchenwipfel die glänzende Landschaft und weiterhin das Vorgebirge des Harzes überschauten, das sich schon rätselhaft mit Abendnebeln zu bekränzen anfing.
Mir fielen alle alten schönen Sagen dieser romantischen Gegend ein, und ich dichtete die wunderlichsten Reiseabenteuer in das wachsende Dunkel hinein. Auf dem grünen Rasenplatze vor dem Wirtshause sang ein Mädchen, wie ein Waldvöglein, zur Harfe; fremde Wanderer kamen und schieden; wir aber hatten uns dicht am Abhange um einen mit Weinflaschen wohlbesetzten Tisch gelagert, und meine Gefährten ermangelten nicht, ihre Schätzchen, die sie zu Hause hatten oder nicht hatten, hochleben zu lassen.
Mir kam das in diesem Augenblick unbeschreiblich abgeschmackt vor, in meiner Seele leuchtete auf einmal ein Bild wunderbarer Schönheit wieder auf, das ich oft im Traume gesehen und seitdem auf manchem alten schönen Bilde wiederzuerkennen geglaubt hatte.
Vom Wein und dem Rauschen der Wälder und Täler unter uns wie von unsichtbaren Flügeln gehoben, sprang ich plötzlich auf; die untergehende Sonne warf eben ihr purpurnes Licht über die Gegend: Ich trank aus voller Seele auf das Wohl meiner künftigen Gelebten, warf meinen Ring in das leere Glas und schleuderte Glas und Ring in funkelndem Bogen weit in das Abendrot hinaus.
Da aber begab sich's wunderbar. Denn in demselben Augenblick sahen wir unten eine Dame auf einem jener rehfüßigen arabischen Zelter über den grünen Plan sprengen, als flöge eine reizende Huri, im Abendwinde von bunten Schals und reichen, schwarzen Locken umflattert, über die Oase der beglänzten Landschaft. Sie wandte sich laut lachend nach zwei jungen Reitern zurück, vor denen sie, wie zum Scherz, nach dem Saum des Waldes entfloh, wo eine andere Dame die Flüchtigen zu erwarten schien.
Da bemerkte sie den Blitz meines Ringes in der Luft. Sie schaute erstaunt zu mir herauf; im selben Moment tat die untergegangene Sonne noch einen feuerroten Blick über die ganze Gegend, und wir sahen die Reitergestalten nur noch wie bunte, sich jagende Schmetterlinge über den stillen, ernsten Grund dahinschweben.
Meine Reisegesellen feuerten der schönen Reiterin munter gute und schlechte Witze nach, verglichen sie mit einer Bacchantin, mit Luna und Fortuna, bis sie zuletzt darüber untereinander in ein gelehrtes, mythologisches Gezänk gerieten.
Mich ärgerte das Geschwätz, aber ich hütete mich wohl, mit dareinzureden, denn mein Anschlag war gefasst. Und als sie sich alle endlich zur Ruhe begeben hatten, bezeichnete ich ihnen mit Kreide auf der Tür den Ort, wo ich morgen Abend wieder mit ihnen zusammentreffen wollte, und stieg beim prächtigsten Mondschein den Berg hinab.
Ich hatte mir den Platz genau gemerkt, wo die Reiterin mit ihrem Gefolge verschwunden war; es gab nur einen Weg; ich schritt bald in tiefem Waldesdunkel, bald über hell beschienene Wiesen frisch und fröhlich fort und kam endlich an ein einsames Gasthaus, das im klaren Mondschein am Ausgange des Waldes lag.
Es war alles unendlich still ringsumher, doch glaubte ich unten im Hause noch Stimmen zu vernehmen. Ich klopfte an, die Wirtsleute waren noch wach, und ich erfuhr zu meiner unbeschreiblichen Freude, dass wirklich zwei Damen zu Pferde, die eine jung, schön, mit langen, wallenden Locken, nebst ihren Begleitern hier eingekehrt und in den oberen Zimmern übernachteten, wo sie sich aber bereits der Ruhe überlassen hatten, um morgen mit Tagesanbruch den Roßtrapp zu besteigen.
Bei dieser Nachricht blitzte mir ein Gedanke durch die Seele. Ich erkundigte mich sogleich nach dem für die Damen bestimmten Führer, einem jungen, schlanken Burschen von meiner Größe, und überredete ihn mit Hülfe eines großen Teils meiner kleinen Barschaft, mir auf einen halben Tag seinen Kittel und Wanderstecken abzutreten. Ich kannte den Weg nach dem Roßtrapp von einer früheren Reise sehr genau und beschloss, in dieser Verkleidung morgen die Damen zu führen.
Die Stuben
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Bildmaterialien: Jürgen Müller
Lektorat: Abenteuerverlag Pockau Jürgen Müller
Tag der Veröffentlichung: 24.04.2014
ISBN: 978-3-7368-0460-9
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