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Sechs fantastische Grotesken:

 

Walpurgisnacht

Bei Stadtzauberers

Die Einsiedlerschule

Die Träume

In des Waldes tiefsten Gründen

Die verzauberte Prinzessin

 

Coverbild: DRogatnev / Shutterstock.com

 

 

1. Walburgis Nacht

Einer jungen Schrumpelhexe aus Kurland in altem Gedenken – Mary Gerold, 24.4.18

 

Der Dovre-Alte:

»Du meinst, wir hätten nicht auch unsre Zeitung? Hier, bitte, hier schwärmt von dir, rot auf schwarz, die Blocksbergpost, ein Blatt von Verbreitung –« (Peer Gynt)

 

Der Hexenweibel Sengespeck schnaufte alle Luft ein, die um ihn war. »Antreten!«, brüllte er.

Die Schwadron trat an. Hundertundsechzig Hexen, in zwei Reihen sauber ausgerichtet. Am rechten Flügel die Oberhexe Feodorowna Hippenkranz, danach Frau Hexe Deppe, danach Fräulein Mohrchen (aus Sachsen) und alle die andern.

»Stillstann!«, dröhnte Herr Sengespeck. Sie standen wie die Mauern. Der Weibel verlas den Dienst:

»Heute Abend steht die Eskadron geschlossen vor dem Blocksberg am Südhang. Abrücken dazu um 10 Uhr. 11.40 Besichtigung durch seine Exzellenz den +++. (Ein ganz unmilitärischer Schauer ging durch die Reihen.) 12 Uhr bis 4.30 Orgie, mit anschließender Parade vor Höchstebendemselben. 5 Uhr Abreiten. Es tritt alles ein.«

Sengespeck ließ das Blatt sinken.

»Also heute ist der große Tag. Dass mir der Anzug in Ordnung ist! Der Donner holt euch! Die Besenstiele gut gestriegelt, die Lumpen vorschriftsmäßig, Haare in die Stirn gekämmt. Stiefel: keine. Weggetreten!«

Hurr – weg waren sie. Und putzten.

Die zweite Schwadron des Zehnten Teuflischen Hexenregiments war zur Zeit in einer kleinen Häusergruppe im Thüringischen, in der Nähe von Elend, einquartiert. Der Flecken galt für verlassen und unbewohnt, war es aber nicht.

Der Flecken war belegt, völlig belegt, nicht ein Plätzchen mehr war frei. Hier wurden für das große Blocksbergmanöver alle Hexen der Umgegend ausgebildet; nur wenige waren abkommandiert, weiter ihren friedlichen Beschäftigungen nachzugehen, das Vieh zu behexen, böse Winde zu bannen und den Kindern Angst und Schrecken einzujagen.

Hier aber herrschte der raue Ernst des Lebens. Hier wurde gearbeitet und exerziert, gedrillt und gewettert, dass es eine Lust war. Wochen und Wochen und Monate – und das alles für den einen Freitag, den dreizehnten November, für diese eine Nacht ...

Frau Oberhexe Hippenkranz gab den grünen Liqueur aus.

»Trinkt, Kinder, trinkt!«, sagte sie zu den Novizen, die noch keinen Blocksberg mitgemacht hatten, »ihr werdet's brauchen, die Nacht ist lang!«

Das wimmelte und krabbelte in der Stube des Achten Beritts: Die Carmagnac (eine Emigrantenhexe) legte Rouge und Hexenfett auf; die Schulzen, ein ausgekochter, alter Jahrgang, versteckte ihre riesigen grünen Ballschuhe an ihrer Büste; das rothaarige Fräulein Mohrchen aus Sachsen band die Korsettschnüre ans Bett und ging mit zusammengepressten Lippen ein Stück ins Zimmer hinein, bis sie schlank war wie eine Stopfnadel; die kleine mollige Perle hingegen (eigentlich hieß sie Lieschen Peiermann und war die entartete Tochter einer sonst feinen Familie) hatte schon einen kleinen Schwips und kitzelte unaufhörlich lachend ihren schwarzen Kater, der auf ihren weißen Schultern buckelte. Und sie putzten und lärmten und stießen sich von den Spiegeln fort, alte und junge, braune und schwarze, schlanke und fette und verhutzelte.

Der Novemberregen klatschte gegen die Scheiben – in bösen Stößen rannte der Wind gegen das Haus an. Oben die Schuhus – alte kastilianische Fledermäuse – klappten mit den großen Flügeln und sahen mit ihren glühenden Augen in die Schornsteine, wann die Madamen fertig wären.

Es war heute Freitag – die klugen Tiere ahnten, was in der kalten Luft lag. Nur der alte Wach-Uhu war in seinem Verschlage und hatte sich ganz dick aufgeblasen. Er saß, satt und faul, auf einem toten Eichhörnchen, seinem Abendbrot – fressen mochte er noch nicht, aber er saß zunächst einmal drauf.

Aus der Weibelstube erklang gewichtiges Räuspern. Herr Sengespeck trank den letzten Schluck Burgunderpunsch aus seinem kugeligen Glase und setzte es seufzend auf den Tisch.

 

»Buah!«, sagte er, »das ist ein Wetterchen! Dienst ist Dienst, aber es wäre doch ein gemütlicher Abend gewesen, sozusagen bei den warmen Kacheln da und dem Knaster hier ... Pfui, Rudolf, wer wird so etwas denken! Heute, am Ehrentage deines Herrn! Na, dann los!«

Auf dem Tisch lag aufgeschlagen der Malleus maleficarum, eine Prachtausgabe des altehrwürdigen Hexenhammers), aufgeschlagen bei Kapitul XXVII: »So die widerspänstige Hexe im casu incubi beim Inquirieren leugnet und was darauff zu geschehen«, und daneben stand die dunkelgrün bauchige Flasche mit Stobbes Machandel oo. Ach –!

Und mit einem wehmütigen Blick auf alle dieser Herrlichkeiten machte er sich ans Umkleiden und tat die Gala-Uniform an: dunkelgrüner Rock mit gelben Aufschlägen und goldenem Kragen. Auf den Achselstücken brodelten die kleinen Fegefeuer mit gekreuzten Ofengabeln, darüber: die Weibelabzeichen.

Stöhnend zog der beleibte Mann das Koller fester. 's war nicht der erste Blocksbergdienst, den er machte; wer seit 1897 Jahr für Jahr die kalt-heißen Nächte durchbraust hat, der weiß, was das heißt.

Wie die Zeit vergangen war! Wo waren alle die andern –? Der rote Ignaz und Sergeant Presel (genannt der Kreuz-Junge) und der alte Wachtmeister Herrmann von der Zweiten Reitenden Wilden-Jäger-Brigade – wo waren sie alle? Dahin, dahin! Tot oder pensioniert oder Lotteriekollekteure – dahin, dahin!

Noch einmal sah Sengespeck auf den braven Ofen in der warmen Ecke – dann riss er entschlossen die Tür auf.

»Antreten!«, donnerte er.

Ein wildes Getrappel und Gelaufe entstand in der Hütte, in den Häusern, draußen auf dem Platz. Hier saß einer der Gürtel noch nicht, der war das samtene Halstuch verrutscht und der das Strumpfband gerissen – die eine vermisste ihren Besenstiel, die andre goss ihr Riechfläschchen über den Tisch – hallo! Aber dann standen sie doch.

Durch die rissigen Wolken schien der Mond. Der Weibel musterte grimmig seine Garde.

»Achtung! Stillgestanden! – Hexe Fellinger, etwas zurück! – Der linke Flügel weiter nach vorn! – Die kleine Hexe da den Kopf nicht so hoch! – Also: immer, wenn was nicht klappt, mir ansehen! – Wenn Seine Exzellenz fragt, klipp und klare Antworten! – Und bei der Orgie muss das gehen wie das Donnerwetter!«

Er holte Atem. »Zum Aufsitzen fertig! Aufgesessen! Eskadron – Terrrab!«

Hui! Durch den Hausflur, durch die Esse brauste es hinaus in die kalte, kalte Nacht!

Die Schuhus hielten die Spitze. Dann hoch zu Besen, Sengespeck und die Schwadron.

Es ging über schweigende Dörfer, über rauschende, schäumende Wälder, Laub wirbelte in der Luft, und wenn der Mond einmal durch die Wolkenfetzen strahlte, fiel sein verschleiertes Licht auf den hastig galoppierenden Zug.

Ein Besenstiel scheute – fluchend riss ihn die Reiterin zurecht. Mit hellem Pfeifen flog ihnen der Wind an den Ohren vorbei.

Einmal spähte Sengespeck scharf nach unten – was gab es da? Der Mond leuchtete grade auf; ein Bauernweib kämpfte sich, die Röcke über den Kopf geschlagen, ihren Weg nach Hause ... man sah mehr von ihr, als gut war. Jetzt wurden auch die Hexen aufmerksam – ein kreischendes Geschrei durchtönte die ziehende Luft. Erschrocken rannte unten das Weib, von Grauen gepackt –hohnlachend sauste oben die Schar weiter, hinein in das windige Dunkel.

»Tete links!«, kommandierte Herr Sengespeck mit mächtiger Stimme.

Da schwenkten sie, ab, die Schuhus gaben Laut, andre antworteten aus der Ferne – und schwer atmend hielt die ganze Schwadron im Windschutz eines hohen Hügels.

»Parole!«, rief eine Stimme aus der Nacht.

»Hie gut Luzifer allewege!«, sagte der Weibel würdevoll. Da hielt das Regiment.

Sie ordneten sich. Keine einfache Sache in der jetzt stockdunkeln Nacht, aber das war oft geübt, und es klappte. Mit halblauter Stimme gab Hexe auf Hexe die Befehle weiter – sie schaukelten, sie stießen einander an und bewegten sich hin und her: Da standen sie, ein geschlossenes Ganzes.

Fahl leuchteten die weißen Nachtjacken der Oberhexen durch das Halbdunkel. Der Mond flackte, dunkel und hell, wie der Wind die Wolken über ihn trieb ... Pause. Und dann kam es.

Ein Pfiff durchschnitt die Luft, es sauste, ein roter Schein leuchtete auf, eine geborstene Glocke klang, und vier Wölfe heulten lange.

Die Hexen zitterten. Das war ER! Der Weibel riss das Kinn an die Binde – es gab ihm doch immer wieder einen Ruck, alle Jahre: Es war ein großer Augenblick! Er trat vor.

Da dampfte dunkelrot der ewige, unvergessliche Wagen, da klang die Glocke, da saß der alte höllische Kutscher auf dem Bock, der die purpurne Leine fest in der Faust hielt. Die Wölfe ließen die langen Zungen hängen und jappten nach Luft. Ihre Flanken flogen. Sie strömten vor Schweiß. Im Fond, hinter dem schwefelgelben Schlage: die Exzellenz.

Der Weibel war stolz auf seinen Herrn, wie alle Jahre. Bei den drei Kreuzen! Welch ein Mann! Gar nicht der geschniegelte Spanier, wie ihn sich die Büchermacher abbildeten, die ihn nie gesehen hatten: ein einziger Wille, eine einzige Energie, ein Block von Stahl! Der Unterkiefer schob sich weiter vor, die Backenknochen strebten auseinander, die schrägliegenden Augen funkelten. Der +++ sah den Weibel an.

Sengespeck zog die Luft ein. Er war der älteste Weibel im Regiment – er kannte das Handwerk: Jetzt galt's!

»Stillgesessen! Die Augen — licks!« Und, mit der Hand an der Mütze: »Zehntes Teuflisches Hexenregiment zur Orgie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: DRogatnev / Shutterstock.com
Tag der Veröffentlichung: 15.02.2014
ISBN: 978-3-7309-8403-1

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