Zum Buch:
Rheinsberg
Kurt Tucholsky
Coverbild: © ayelet-keshet / Shutterstock.com
Vorrede zum fünfzigsten Tausend
»Ach, es war doch eine schöne Zeit, als der Himmel noch so übertrieben blau und die Erde so sehr grün war und jeglicher Farbentopf übervoll! – Beim Anubis, Gevattern, wir wollen uns bestreben, auf dem Wege zu einem würdigen, ehrenfesten und verständigen Alter weiter zu kommen; aber der Undankbarkeit gegen die guten, närrischen, lustigen und weinerlichen Tage der Jugend wollen wir uns doch auch nicht bezichtigen lassen. Im Gegenteil, es soll uns dereinst in unserm Sorgenstuhl eine Ehre und ein Vergnügen sein, dass auch wir einmal mitten im Grünen auf dem Kopfe standen und uns nicht schämeten!«
Schluss der Vorrede Wilhelm Raabes zu »Ein Frühling«
»Und hat es denn keine Fortsetzung?«
»Nein – solche Dinge haben keine Fortsetzung. Oder glaubten Sie, wir wollten nun Reihenbändchen herausgeben: ›Rheinsberg – III./IV. Teil‹ oder ›Die Claire als Großmama‹? Lieber nicht, wie? Aber erinnern – eine Erinnerung muss wohl erlaubt sein.«
Es war doch das, dass damals trotz Dienstpflicht, Katasterkontrolle und Einwohnermeldepflicht immer noch genügend grüne Plätzchen übrig blieben, auf denen du dich – ungestört vom Staat – tummeln konntest. Die Eisenbahnen fuhren im Lande umher, auch Müßiggänger benutzten sie – und kaum einer sah sie scheel an. Keine bestimmte Ration Haferkleie, tierische Fette, Fleisch, Wohnungskubikmeter und Öfen standen dir zu – nicht einmal die Lebensfreude war rationiert, und du durftest für preußische Verhältnisse schon eine ganze Menge. Vielleicht war es das –?
Oder war es die Unbeschwertheit des Alltags, das kleine billige Glück und die Möglichkeit, überall mit wenig Geld durchzukommen? So eingeengt es auch alles war, so klein im Ausmaß – an russisches Essen, an französische Flusslandschaften, an englische Rasenfelder durfte man gar nicht denken –: Es hatte doch eine gewisse sorglose Atmosphäre.
Erlebnis und Schreiben waren ja – wie immer – zweierlei, und was in den drei Tagen leicht und grün vorübergeglitten war, wurde an der See in ebenso viel Wochen würgend langsam in kleine Notizbücher geschrieben. Es wollte gar nicht vom Fleck – es wäre viel lustiger gewesen, zur Claire ins Nebenzimmer zu gehen, ihr ein paar alte Socken um den Hals zu binden und ein bisschen »Arzt und krankes Kind« zu spielen, anstatt an dem Salat da herumzuschreiben …
Aber es wurde doch durchgebissen, und in einem September kam ich mit den Bücherchen müde zu Hause an. Ich weiß noch, wie ich den Kram zuerst dem Szafranski vorlas – er sprang alle Nase lang auf, feixte fürchterlich und erklärte schließlich, das Ganze sei ja ganz nett, aber er müsse es leider völlig umarbeiten … (Aber dass einer nicht zeichnen kann, ist doch kein Grund, sich das Schreiben zuzutrauen.) Und dann tranken wir viele Schnäpse und einigten uns auf die Hälfte.
War es die Zeit, dass es in jeder Beziehung so klappte –? Heute sind die Worte schwer geworden, und wenn einer »Blut« oder »Tod« sagt, dann ist das alles nahegerückt und verdammt real. Und wir sind doch abgestumpft dagegen und hören kaum noch hin, wenn eine neue große Umwälzung herankommt. Von uns aus –! Eine fette Überschrift in der Zeitung mehr.
Da hat es denn die Erotik nicht leicht. Sie muss sich verkrampfen, wenn sie von diesen Menschen etwas will, oder verkitschen oder verkriechen. Man unterschätzt sie, wenn man sie so überschätzt …
Und damals –? Vielleicht war es nur einfach das, dass wir jung waren ...
So soll denn das fünfzigste Tausend des kleinen Abenteuers hinausgehen und den Leuten ein bisschen Spaß machen.
Ich habe den Wortlaut des ersten Manuskripts wiederhergestellt.
Die Privatsprache, die da in dem Buch geredet wird, hat sich allerdings längst gewandelt. Das sind ihre Uranfänge, und den fertig ausgebildeten Dialekt würdet ihr gar nicht verstehen. »Nuh deh alleliebsse Pumbusch es bikenke, weil sölm bifundsteint« – Ja, da staunst du! Ich staune auch, wie sich erwachsene Menschen mit solchem Klimbim die Zeit vertreiben können. Ich bitte Sie, der Ernst des Lehms …!
Was der Satz da oben heißt –? Das ist beinahe so problematisch wie der Inhalt jenes Pakets im Hotel, der mich schon so viele Briefe gekostet hat. Was war in dem Paket –?
Möchte ein gerecht und ernsthaft wägender Philologe des einundzwanzigsten Jahrhunderts diese Kernfrage der unsterblichen Claire zum Thema einer Doktorarbeit machen. Ich weiß es nicht.
Aber was in dem Buch da ist – das weiß ich schon.
Eine bessere Zeit, und meine ganze Jugend.
Berlin, den 25. Dezember 1920
Im »Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel« finde ich eine Anzeige: »Rheinsberg, ein Bilderbuch für Verliebte« erscheine zu seinem fünfzigsten Tausend in einer feierlichen und vom Verfasser abgezogenen Luxusausgabe. Die Vorrede, steht da, schrieb Kurt Tucholsky. Aber das ist nicht das richtige. Wo werde ich in einen signierten Büttenband etwas Gescheites hineinschreiben! Die richtige Vorrede soll hier stehen.
Rheinsberg … Et hoc meminisse iuvabit … Die Sache war damals so, dass ich das Buch, nach dem später generationsweise vom Blatt geliebt wurde, an der See schrieb, auf die Postille gebückt, zur Seite die wärmende Claire, und es, nach Berlin zurückgekehrt, Herrn Kunstmaler Szafranski vorlas. Das war eine Freude –! Der Dicke sagte, einen solchen Bockmist hätte er wohl alle seine Lebtage noch nicht vernommen, aber wenn ich es ein bisschen umarbeitete, und wenn er es illustrierte, dann würde es schon gehen.
Ich arbeitete um, ließ die hübschen Stellen weg, walzte die mäßigen etwas aus, und inzwischen illustrierte jener, denn was ein richtiger Plagiatmaler ist, der ist fleißig. Während er abzeichnete, ging ich zu Herrn Verlegermeister Axel Juncker.
Verleger sind keine Menschen. Sie tun nur so. Dieser warf mich mit Buch hinaus.
Nun ist das weiter keine Schande. R. Tagore ist, wie Hans Reimann berichtet, auch erst bei Kurt Wolff abgewiesen worden, und nur der plötzlich bekommene Nobelpreis rettete ihn davor, bei Ullstein verlegt zu werden. Ich erhielt den Nobelpreis nicht – Rosegger stand damals in der engeren Wahl –; aber nachdem mir Verlegermeister Juncker noch rasch mitgeteilt hatte, dass Liebespaare niemals so miteinander redeten, nahm er es doch. Das war ihm ganz recht.
Inzwischen war Szafranski nicht müßig gewesen. Unter Zugrundelegung der Lipperheidischen Kostümbibliothek, seines reich ausgestatteten fotografischen Archivs und einiger anderer Vorlagen entspross seinen dicken Händen langsam ein Werk, das man ruhig unter die besten Arbeiten Paul Scheurichs einreihen darf.
Aber er wurde und wurde nicht fertig. Wir telefonierten damals recht lange und recht unfreundlich miteinander – schließlich bestellte er mich in die selige Queen-Bar und zeigte mir, was er angerichtet hatte.
Ich trank vier Whiskys hintereinander. Dann sagte ich schüchtern, es sei sehr schön. Szafranski, leichtgläubig wie er nun einmal ist, glaubte das. Das Werk ging unter die Presse.
Es wurde ein Bombengeschäft. Über meine Verdienste will ich gar nicht erst reden; Szafranski kaufte sich jedenfalls
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Cover: ayelet-keshet / Shutterstock.com
Tag der Veröffentlichung: 11.02.2014
ISBN: 978-3-7309-8310-2
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