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Zum Buch

Detailiert und wohlinformiert als langjähriger Biograf schildert John Forster Leben und Schreiben des Erfolgsautors Charles Dickens in drei umfassenden Bänden.

 

Band 2:

 

Die amerikanischen Noten (1842). Das erste Jahr von Martin Chuzzlewit (1843). Chuzzlewit-Enttäuschungen und das Weihnachtslied (1842 – 1844). Das Jahr der Abreise nach Italien (1844). Müßiggang in Albaro: Villa Bagnerello (1844). Arbeit in Genua: Palazzo Peschiere (1844). Reisen in Italien (1844). Die letzten Monate in Italien (1845). Wieder in England (1845 – 1846). Eine Heimat in der Schweiz (1846). Schweizer Volk und Land (1846). Skizzen, besonders persönlicher Art (1846). Schriftstellerische Arbeiten in Lausanne (1846). Revolution in Genf, das Weihnachtsbuch und die letzten Tage in der Schweiz (1846). Drei Monate in Paris (1846 – 1847). Dombey und Sohn (1846–1848). Glänzendes Umherschweifen (1847 – 1852). Ferientage am Meere (1848 – 1851). Der Besessene und die Hausworte (1848–1850). Die letzten Jahre in Devonshire Terrace (1848 – 1851).

 

In neuer deutscher Rechtschreibung und Korrektur gelesen.

 

 

Die amerikanischen Noten (1842)

Die Wirklichkeit blieb nicht hinter seinen Erwartungen von der Heimat zurück. Seine Rückkehr war die Veranlassung grenzenloser Freude, und die Pläne, die er vor seiner Abfahrt in Bezug auf unser Wiedersehen gemacht hatte, erfüllten sich bis aufs Wort. Durch den Klang seiner hellen Stimme erfuhr ich zuerst von seiner Ankunft, und aus meinem Hause gingen wir zusammen zu Maclise, ebenfalls »ohne ihn vorher zu benachrichtigen«.

Ein Diner in Greenwich, an welchem mehrere Freunde (Talfourd, Milnes, Procter, Maclise, Stanfield, Marryat, Barham, Hood, Cruikshank u. a.) teilnahmen und andere unmittelbare Begrüßungen folgten; aber eine ganz besondere Feier wurde für den Herbst aufgespart, indem wir, um eine Vergleichung mit demjenigen herauszufordern, was Dickens im Auslande gesehen, eine Reise in der Heimat verabredeten, auf der Stanfield, Maclise und ich selbst ihn begleiten sollten, und zwar durch die schönsten Teile einer den meisten von uns bis dahin unbekannten englischen Grafschaft, zu welchem Zwecke wir schließlich Cornwall wählten.

Vor unserer Abreise war er mit der Abfassung der »Amerikanischen Noten« beschäftigt und in dieselbe Zwischenzeit fiel auch die Ankunft Longfellows, der in London Dickens’ Gast war und (ich darf dies von uns beiden hinzufügen) unser anhänglicher Freund wurde.

Longfellows Name hatte damals noch nicht den hellen und vertrauten Klang in England wie später; aber er hatte schon mehrere seiner besten Gedichte geschrieben, und er besaß alle jene Eigenschaften heitrer Geselligkeit, die Kultur und den Zauber, für die es keinen höheren Typus gibt, als den des gebildeten und talentvollen Amerikaners.

Als er vor Kurzem wieder in England war, erinnerte er mich an zwei aus einer großen Zahl von Erlebnissen, deren wir uns ein Vierteljahrhundert vorher erfreut hatten. Das eine war ein Tag in Rochester, an dem wir, durch eines jener Verbote aufgehalten, welche das Staunen der Fremden und die Schande der Engländer sind, über Tore und Barrieren hinwegsprangen und, den wiederholten Drohungen mit allen Schrecken des Gesetzes, die der Custode des Ortes uns grob entgegenhielt, Trotz bietend, die Schlossruinen gründlich durchforschten.

Das zweite war eine Nacht unter denjenigen Klassen der Bevölkerung, welche ihr ganzes Leben hindurch gegen die Gesetze freveln und ihrer Schrecken spotten: den Vagabunden und Dieben von London, als wir unter der Führung und dem Schutze der erprobtesten Beamten der zwei großen hauptstädtischen Gefängnisse die schlimmsten Höhlen der gefährlichsten Verbrecher durchwanderten.

Zum Beweise, dass die öffentliche Aufmerksamkeit nicht umsonst auf solche Szenen gelenkt wird, ist es auch wohl der Erwähnung wert, dass Dickens, als er zwölf Jahre später, zum Zwecke eines Artikels für die Household Words, wieder einen solchen Gang machte, bedeutende Veränderungen vorfand, wodurch diese Menschenhöhlen, wenn nicht weniger gefährlich, so doch jedenfalls anständiger geworden waren.

An dem Abend unsres früheren Besuches wurde Maclise, der uns begleitete, beim Eintritt in das erste der Logierhäuser bei der Münze von solcher Übelkeit ergriffen, dass er unter dem Schutze der Polizei draußen bleiben musste, so lange wir drinnen waren. Longfellow kehrte am 21. Oktober mit dem Schiff Great Western in die Heimat zurück, nachdem er unterwegs in Bath bei Landor zu Gaste gewesen war, und am Ende der folgenden Woche traten wir unsere Reise nach Cornwall an.

Zunächst muss ich aber über die schriftstellerischen Arbeiten berichten, welche Dickens vorher beschäftigt hatten. Nicht lange nach seinem Wiedererscheinen unter uns ging er, da sein Haus noch von Sir John Wilson bewohnt wurde, nach Broadstairs, wohin er die Briefe mitnahm, aus denen ich so lange Auszüge mitgeteilt habe, um dieselben für die Abfassung seiner »Amerikanischen Noten« zu benutzen; und eine seiner ersten Ankündigungen an mich (18. Juli) lässt nicht nur den Fortschritt dieser Arbeit, sondern auch die Beschäftigung mit dem Roman, zu dessen Beginn im November er sich verpflichtet hatte, erkennen.

»Die am Anfang des Buchs behandelten Gegenstände sind der Art, dass ich sie nicht bloß leicht hinwerfen kann, und daher machen sie mich dann und wann ärgerlich. Wenn ich nach Washington komme, ist alles gut. Das Zellengefängnis in Philadelphia ist übrigens ein guter Gegenstand; ich vergaß das eben. Hast Du das Kapitel über Boston schon gesehen? ... Auch ich bin nie in Cornwall gewesen. Ein Bergwerk müssen wir natürlich sehen und Southwood Smith soll uns einen Brief dafür geben. Ich denke daran, das neue Buch in der Laterne eines Leuchtturms zu eröffnen.«

Ein zwei Monate später (16. Sept.) geschriebener Brief kommt auf diesen Plan zurück, dem er jedoch schließlich entsagte; und zeigt wie rasch er seinen Amerikanischen Noten Gestalt gab.

»Bei dem Wettrennen auf der Insel Thanet sah ich gestern – o! wer kann sagen wie unendlich viel Charakteristisches von der schurkischen und spitzbübischen Sorte. Ich bekam sogar einige neue Runzeln durch Marktschreier, Scharlatane und Vagabunden im Allgemeinen. Ich denke daran, mein Buch an der Küste von Cornwall, an einem furchtbar öden, felsenumgürteten Orte zu beginnen. Ich hoffe mit dem amerikanischen Buche vor Ende des nächsten Monats fertig zu sein, und wir wollen dann zusammen jener öden Gegend zueilen.«

Da unsre Freunde durch Verpflichtungen an der Kunstakademie zurückgehalten wurden, mussten wir die Abreise etwas verzögern, und inzwischen wende ich mich wieder zu seinen Briefen, die uns mit seinem Fortschritt mit den »Noten« und anderen Beschäftigungen und Genüssen der Zwischenzeit bekannt machen. Sie bedürfen keiner Erläuterung, die sie nicht selbst geben. Ich will jedoch bemerken, dass die damals gesammelten Gedichte Tennysons eine Lieblingslektüre Dickens’ geworden waren und dass der Komiker Mitchell ihm in Amerika einen kleinen weißen zottigen Dachshund geschenkt hatte, der zuerst den imposanten Namen Timber Doodle trug und ein großer häuslicher Vorzug und Gefährte wurde.

»Ich habe diesen ganzen Morgen (7. August) am Meeresufer Tennyson gelesen. Unter anderen kleinen Wirkungen dieser Lektüre will ich erwähnen, dass die Wasser austrockneten wie ehemals und mich alle Meermänner und Meerjungfern auf dem Boden des Ozeans sehen ließen, samt Millionen seltsamer Geschöpfe, halb Fisch, halb Pflanze, die in alle möglichen Korallengrotten und Seegras-Gewächshäuser hinabblickten und mit ihren großen Glotzaugen in alle offenen Ecken und Löcher hineinstarrten. Und wer sonst könnte solch einen Schluss zu der außerordentlichen und, wie Landor sagen würde ›höchst wunderbaren‹ Reihe von Gemälden in dem ›Traum von schönen Frauen‹ heraufbeschwören, wie:

Squadrons and squares of men in brazen plates,

Scaffolds, still sheets of water, divers woes,

Ranges of glimmering vaults, with iron grates,

And hushed seraglios!

Ich komme ganz gut weiter, aber es war gestern so glänzend und sonnig, dass ich mir einen Feiertag machen musste.«

Vier Tage später: »Ich habe den lieben langen Tag nicht ein Wort geschrieben. Ich kam gestern bis nach New York und glaube, es geht alles wie es sollte ... Mein Hündchen macht sich sehr heraus und springt jetzt schon auf Kommando über meinen Stock. Ich habe seinen Namen in Snittle Timbery verwandelt, was volltönender und ausdrucksvoller ist. Er schließt sich dem Rest der Familie in den herzlichsten Grüßen an Dich an. Nota bene. Das Theater in Margate ist jeden Abend offen und die ›Vier Patagonier‹ (vide Goldsmiths Essais) werden dreimal wöchentlich in Ranelagh aufgeführt ...«

Er erwartete damals einen Besuch von mir, welchen diese Beweggründe beschleunigen sollten, und es folgte etwas andres, dem ich, wie er meinte, nicht widerstehen könne: die Umwandlung einer tiefen Tragödie in die ausgelassenste Posse durch einen lieben gemeinsamen Freund.

»Jetzt musst Du wirklich kommen. Sehen allein ist Glauben, aber sehr oft nicht einmal das, und selbst wenn die Sache da ist, ist man noch weit entfernt, sie zu glauben. Mrs. Nickleby selbst fragte mich, wie Du weißt, einmal, ob ich wirklich glaubte, es habe je eine solche Frau gegeben; aber nach dem, was ich Dir von der Tragödie unsres trefflichen Freundes erzählen muss, wird man nicht mehr weder an mich noch an meine Beschreibungen glauben, wenn Du nicht kommst und sie Dir noch einmal ›auf besonderes Verlangen‹ vorspielen lässt.

Wir sahen sie gestern Abend und o! hättest Du mit dabei sein können! Der junge Betty, ausführend, was der Menschengeist ohne meine Hilfe sich nie vorstellen kann, die Beine wie auswattierte Stiefelblöcke in verblasste gelbe Hosen eingebündelt, war der Held. Der Komiker der Gesellschaft, in ein weißes Laken eingehüllt, den Kopf wie die Schrift eines Advokaten mit rotem Band umbunden, und so oft er erschien, mit gellendem Gelächter begrüßt, war der ehrwürdige Priester.

Ein armer zahnloser alter Idiot, über den sogar die Galerie verächtlich losbrüllte, wenn er ein Tyrann genannt wurde, war der unerbittliche und bejahrte Creon. Und Ismene, gekleidet in spangengeschmückte Musselinhosen, die sehr weit um die Beine und sehr eng um die Knöchel waren, grade wie Fatima im ›Blaubart‹ sie tragen würde, wurde sogleich bei ihrem ersten Erscheinen aufgefordert, ein Lied zu singen. Kannst Du hiernach noch länger ..?«

Zu Anfang September erhielt ich neue Nachrichten über sein Buch und sonstige Angelegenheiten.

»Das Kapitel über Philadelphia scheint mir sehr gut, aber leider füllt es im Druck nicht so viel Raum, wie ich gehofft hatte ... In Amerika haben sie einen Brief mit meiner Unterschrift gefälscht, von dem ganz keck behauptet wird, er sei mit dem Cirkular über den Schutz des literarischen Eigentums im Chronicle erschienen, und in dem ich mich auf eine Weise, die Du Dir vorstellen kannst, über die Festessen und so weiter äußere.

Man hat den Brief durch die ganzen Vereinigten Staaten verbreitet und der Schurke, der ihn erfunden hat, ist natürlich ein ›schmucker Mann‹. Du musst wissen, dass man die Sache nicht als Scherz behandelt und scherzhaft darüber schreibt. Mr. Park Benjamin beginnt eine Auslassung darüber mit folgenden großgedruckten Worten: Dickens ist ein Narr und ein Lügner ...

Ich habe einen neuen Schützling, in der Person eines armen taubstummen Jungen, den ich neulich halbtot am Strande fand und vorläufig in dem Armenkrankenhause in Minster untergebracht habe. Ein höchst beklagenswerter Fall.«

Am 14. schrieb er mir: »Mit dem Niagarafall ist es mir heute sehr zu meiner Zufriedenheit gelungen. Ich habe die Beschreibung sehr kurz gemacht (wie sie sein sollte), aber ich glaube, sie ist gut. Ich fange an, über das einleitende Kapitel nachzudenken und es ist mir inzwischen vorgekommen, als würde ich am Anfang der Bände Folgendes auf eine leere Seite setzen mögen:

›Ich widme dies Buch denjenigen meiner amerikanischen Freunde, die ihr Vaterland lieben, aber es ertragen können, die Wahrheit zu hören, wenn sie mit gutem Humor und in freundlicher Absicht geschrieben wird.‹

Was denkst Du davon? Hast Du etwas dagegen einzuwenden?«

Meine Antwort lässt sich aus seiner Erwiderung vom 20. mutmaßen.

»Ich sehe nicht ganz, wie ich in der Widmung meinen Gefühlen über den Empfang in Amerika Ausdruck geben soll. Es war natürlich immer meine Absicht, am Ende des Buches dankbar darauf hinzudeuten, und es wird sich in dem einleitenden Kapitel eine Stelle dafür finden, falls wir uns für ein solches entscheiden. Würde es gut sein, nach ›amerikanischen Freunden‹ einzuschalten: ›die, während sie mir ein Willkommen gaben, dessen ich mich immer dankbar und stolz erinnern werde, mein Urteil frei ließen und die etc.‹ Wenn dies Dir gefällt, mag es so sein.«

Vor dem Ende des Monats schrieb er: »Während der letzten zwei oder drei Tage ist es mit der Arbeit ziemlich langsam von Statten gegangen, da ich nicht in der Stimmung war. Heute hatte ich kaum zwanzig Linien geschrieben, als ich (das Wetter war prachtvoll) hinausstürzte, um zu baden. Und wenn ich das getan habe, ist es mit schriftstellerischen Arbeiten bis morgen aus. Der kleine Hund ist in der besten Laune und spricht, wie Mr. Kenwigs sagen würde, ohne Aufhören. Ich habe durch die ›Britannia‹ Briefe von Felton, Prescot, O. und anderen erhalten, alle sehr ernst und freundlich. Was ich über die armen Auswanderer und ihr Benehmen, so wörtlich wahr, wie ich es auf dem Schiffe von Quebeck nach Montreal beobachtete, geschrieben habe, wird Dir, glaube ich, gefallen.«

Diese Stelle gehört nicht bloß an sich zu den anziehendsten in seinen Schriften, sondern gibt der Empfindung, welche allen zu Grunde liegt, einen so vollkommenen Ausdruck, dass ich sie als Anmerkung einschalte. An Bord dieses kanadischen Dampfboots traf er Haufen armer Auswanderer und ihre Kinder, und so groß war ihre geduldige Freundlichkeit und heitere Ausdauer, unter Umständen, in denen die leichtlebigen Reichen schwerlich ermangelt haben würden, Ungeheuer von Ungeduld und Selbstsucht zu werden, dass dadurch eine Gedankenreihe in ihm angeregt wurde, welche an Würdigkeit der Beobachtung und an absoluter Wahrheit unübertrefflich ist. Jeremy Taylor lehrt dieselbe Philosophie in seiner Abhandlung über die Gelegenheiten, aber hier wurde sie durch das Beispiel mit allen seinen edeln Zügen verschönt. Dickens ließ uns dadurch Reich und Arm in einer neuen Übersetzung lesen.

Die Drucker waren jetzt eifrig an der Arbeit und in der letzten Septemberwoche schrieb er:

»Ich schicke die Korrekturbogen bis zum Niagara ... Ich mache nun diese Woche so ziemlich zum Feiertage ... habe einen Hauptanteil an der gestrigen Regatta genommen, die sehr hübsch und heiter war. Wir denken daran, zu rechter Zeit für Macreadys erstes Auftreten in die Stadt zu kommen, bei welcher Veranlassung Du uns wohl einen Imbiss geben wirst; und Du und Mac werdet dann natürlich den nächsten Tag bei uns dinieren? Ich werde nach meiner Heimkehr, wie ich hoffe, weiter nichts mehr an dem Buche zu tun haben, als die beiden Kapitel über die Sklaverei und das Volk, die ich nötigenfalls leicht in einer Woche abmachen kann ...

Der Polizeimann, der den Herzog von Braunschweig für einen von dem vornehmen Spitzbubengesindel hielt, sollte sofort zum Inspektor gemacht werden. Der Verdacht macht (ich glaube das im Ernste) seinem Scharfsinn und Urteil alle Ehre.«

Drei Tage später: »Während der letzten zwei Tage haben wir heftige Nordoststürme gehabt und eine uns zuwogende See, die den Pier ertränkt. Heute ist es furchtbar. Man erinnert sich hier keiner solchen See um diese Jahreszeit, und sie strömt in diesem Augenblick in Wellen von zwölf Fuß Höhe herein. Du würdest den Ort kaum wiedererkennen. Aber wir werden uns am Sonnabend zur Essenszeit pünktlich bei Dir einstellen. Sollte der Wind sich in derselben Richtung halten, werden wir vielleicht zu Lande kommen müssen, und in diesem Falle würde ich mit der Karawane um sechs Uhr morgens aufbrechen ...

Was hältst Du von dem folgenden Titel für mein Buch: »Amerikanische Noten zu allgemeinem Umlauf« und von diesem Motto: »Auf eine Frage des Richters bemerkte der Bank-Advokat, diese Sorte Noten zirkulierten am allgemeinsten in denjenigen Ländern, wo sie gestohlen und gefälscht seien. Gerichtsverhandlungen in Old Bailey

Das Motto wurde, in Folge von dagegen erhobenen Einwendungen, ausgelassen und am letzten Tage des Monats erhielt ich den letzten seiner Briefe während dieses Besuchs in Broadstair.

»So seltsam es Dir scheinen mag«, (25. September) »die See geht so hoch, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als zu Lande zurückzukehren. Kein Dampfschiff kann aus Ramsgate herauskommen, und das Schiff nach Margate lag die ganze Mittwochnacht mit allen Passagieren an Bord außerhalb des Hafens. Du kannst uns daher am Sonnabend um fünf erwarten; denn ich habe mich entschlossen, morgen von hier abzureisen, weil wir es sonst nicht mit der Zeit einrichten könnten, und habe einen Omnibus gemietet, der die ganze Karawane über Land befördern soll.

Wir können kein Fenster und keine Tür öffnen; Beine sind auf der Terrasse nutzlos, und die Schiffe von Margate können nur in Herne Bay Passagiere an Bord nehmen.«

Er brachte den ganzen Rest des zweiten Bandes mit, ausgenommen die beiden letzten Kapitel, mit Einschluss desjenigen, welches er als ›einleitend‹ bezeichnet hatte; und am nächsten Mittwoch (5. Oktober) sagte er mir, das erste derselben sei fertig.

»Ich wünsche sehr, dass Du heute bei mir dinierst, damit wir nachher zusammen ins Drury-Lane-Theater gehen können; und wir wollen die Zeit auf halb fünf festsetzen, sonst ist keine Zeit, sich’s bequem zu machen.

Ich gehe heute Morgen nach Tottenham, in einer traurigen Mission, die ich gern vermieden hätte. Hone, der Herausgeber des Every Day Book, liegt im Sterben und schickte gestern Cruikshank zu mir, um mich zu bitten, ich möge zu ihm kommen, da er seit einiger Zeit nichts von mir gelesen habe und mich gern sehen, und mir die Hand drücken möge, ehe er (wie Cruikshank sagte) ginge.

Es lässt sich natürlich nicht ändern; ich muss also heute Morgen nach Tottenham. Ich habe den ganzen Tag bis Mitternacht gearbeitet und das Kapitel über die Sklaverei beendet.«

Der traurige Besuch hatte seine schmerzliche Schlussfolge, ehe der nächste Monat sein Ende erreicht hatte, als Dickens mit demselben Gefährten zu Hones Begräbnis ging; und einer der Briefe, die er damals an Felton schrieb, hat mich so lebhaft an die Tragikomödie eines Zwischenfalls jenes Tages erinnert, den er noch lange nachher zu beschreiben pflegte, und dessen vollkommene Wahrheit ich den andern Hauptteilnehmer gutmütig habe zugeben hören, dass zwei oder drei Sätze darüber hier mitgeteilt werden mögen.

Die wunderbare Nachbarschaft ernster und humoristischer Dinge in diesem unserm Leben, machte an sich einen großen Teil von dem Genie in Dickens’ Schriften aus; das Gelächter grenzt dicht an das Pathos, berührt es aber nie mit Spott; und dieser kleine Vorfall kann als ein weiterer Beweis für seine Realität gelten.

»Wir gingen in ein kleines Wohnzimmer, wo die Begräbnisgesellschaft sich befand; und fürwahr, es war kläglich genug. Denn die Witwe und die Kinder weinten bitterlich in einer Ecke und die andern Leidtragenden (nichts als Zeremonienleute, die sich nicht mehr um den Toten härmten als seine Bahre) unterhielten sich ganz kühl und nachlässig in einer andern, und der Kontrast war so schmerzhaft und peinlich, als ich je einen sah.

Es war ein Independenten-Prediger in seinem Kostüm und mit einer Bibel unter dem Arm zugegen, der, sobald wir uns gesetzt hatten, C. mit lauter, emphatischer Stimme also anredete:

›Mr. C., haben Sie einen Paragrafen über unsern dahingeschiedenen Freund gesehen, der die Runde durch die Morgenzeitungen gemacht hat?‹

Jawohl, sagte C., indem er die Augen auf mich heftete, denn er hatte mir auf der Hinfahrt mit einigem Stolz erzählt, dass der Paragraf von ihm abgefasst sei.

›O‹, sagte der Geistliche, ›dann werden Sie mit mir übereinstimmen, dass derselbe nicht bloß eine Beleidigung gegen mich ist, der ich der Diener des Allmächtigen bin, sondern eine Beleidigung gegen den Allmächtigen, dessen Diener ich bin.‹

Was wollen Sie damit sagen?, bemerkte C.

›Es heißt in diesem Paragrafen, Mr. C.‹, sagte der Geistliche, ›dass Mr. Hone, nachdem er in seinem Geschäft bankrott gemacht, von mir überredet worden sei, sich auf der Kanzel zu versuchen, was falsch, unrichtig, unchristlich und, um es rund heraus zu sagen, gotteslästerlich und in jeder Hinsicht verächtlich ist. Lasset uns beten!‹

Worauf er, ich gebe Dir mein Wort darauf, in demselben Atemzuge niederkniete, wie wir alle taten und ein klägliches Mischmasch von einem extemporierten Gebet anfing. Ich war wirklich von Schmerz um die Familie durchdrungen« (er bemühte sich später eifrig für sie, ebenso wie der menschenfreundliche C.); »als aber C. auf den Knien liegend und über den Verlust eines alten Freundes schluchzend, mir zuflüsterte: ›Wäre es nicht ein Geistlicher, und wäre es nicht ein Begräbnis, so würde er ihn geohrfeigt haben‹, war mir zu Mute, als könne nur ein Lachkrampf mir Erleichterung geben.«

Am 10. Oktober hörte ich von ihm, dass das als Einleitung zu den »Noten« bestimmte Kapitel geschrieben sei und nur unsere Beratung erwarte, ob es gedruckt werden solle oder nicht. Wir entschieden dagegen, er seinerseits mit so großem Widerstreben, dass ich versprechen musste, die Veröffentlichung zu besorgen, wenn eine passendere Zeit kommen sollte.

Diese Zeit ist meiner Meinung nach jetzt gekommen, und das Kapitel sieht in diesen Blättern zum ersten Male das Licht. Gegenwärtig ist keine Gefahr mehr vorhanden, wie damals, als es geschrieben wurde, dass man seine selbstbewusste Haltung mit Furcht vor feindlichen Beurteilungen verwechselt, denen er vorzubeugen wünschte.

Er ist überdies alles hinaus, und enthüllt uns hier als einer, den Furcht und Tadel nicht mehr berühren können, seine ehrliche Absicht bei dem Gebrauch der Satire, selbst da, wo die humoristische Versuchung für ihn am stärksten war.

Was er sagt, wird auch aus andern Gründen mit ungewöhnlichem Interesse gelesen werden, da es nicht bloß mit seinen ersten Erfahrungen in bedeutungsvollem Zusammenhange steht, sondern auch mit seinem zweiten Besuch in Amerika, am Schlusse seines Lebens. Er hegte immer dieselbe hohe Meinung von dem, was in diesem Lande das Beste, und immer dieselbe Verachtung für das, was das Schlechteste darin ist.

»Zur Einleitung und notwendig zu lesen.

Ich habe den vorstehenden Titel an die Spitze dieser Seite gestellt, weil ich das Recht irgendeiner Person, über dies Buch ein Urteil zu fällen oder zu einem vernünftigen Schluss darüber zu kommen, bestreite und leugne, ehe man sich die Mühe gegeben hat, mit seinem Plane und seinem Zweck bekannt zu werden.

Es ist kein statistisches Buch. Arithmetische Figuren sind schon fast ebenso verschwenderisch auf Amerikas andächtiges Haupt gehäuft, wie Sprachfiguren über dem Grabe Shakespeares aufgetürmt worden sind.

Es enthält auch keine Klatschereien über Individuen und keine Verletzung der gesellschaftlichen Vertraulichkeiten des Privatlebens. Die so weit verbreitete Gewohnheit, lebende Damen und Herren wegzukapern, sie in Kabinette hineinzuzwängen und sie zur Belustigung der Müßigen und der Neugierigen mit Zetteln und Etiketten zu versehen, einerlei ob sie wollen oder nicht, ist nicht nach meinem Geschmack. Ich habe sie daher vermieden.

Es hat kein Korn irgendeiner politischen Zutat in seiner Zusammensetzung.

Ebenso wenig enthält es, und sollte es meiner Absicht gemäß enthalten, lange und ausführliche Berichte über meinen persönlichen Empfang in den Vereinigten Staaten; nicht, weil ich gegen den freiwilligen Erguss der Neigung und des Edelmuts bei einem höchst warmfühlenden und edelherzigen Volke unempfindlich war oder bin, sondern weil es mir meiner Meinung nach schlecht anstehen würde, diese Dinge, die notwendigerweise so viel zu meinem eigenen Lobe enthalten, vor den Augen meiner unglücklichen Leser auszukramen.

Dies Buch ist einfach, was es eben sein will; ein Bericht über die Eindrücke, die ich von Tage zu Tage während meiner raschen Reisen in Amerika empfing und mitunter (aber nicht immer) über die Schlüsse, zu welchen sie und das Nachdenken über sie mich führten; eine Beschreibung des Landes, das ich durchreiste, der Anstalten, die ich besuchte, der Leute, unter denen ich reiste, und der Sitten und Gewohnheiten, die sich meiner Beobachtung darboten.

Sehr viele Werke von ganz demselben Plan und Gesichtskreis sind bereits veröffentlicht worden; doch glaube ich, dass nach dieser Seite diese beiden Bände keiner Rechtfertigung bedürfen. Das Interesse solcher Erzeugnisse, sofern sie ein solches haben, liegt in den wechselnden Eindrücken, welche dieselben neuen Gegenstände auf verschiedene Geister hervorbringen, nicht in neuen Entdeckungen oder außerordentlichen Abenteuern.

Man wird wohl kaum denken, dass ich die Gefahr nicht kenne, der ich mich aussetze, indem ich überhaupt über Amerika schreibe. Ich weiß sehr wohl, dass es in Amerika eine zahlreiche Klasse wohlmeinender Leute gibt, die geneigt sind, mit allen Berichten über die Republik, deren Bürger sie sind, unzufrieden zu sein, wenn sie nicht in Ausdrücken des höchsten und übertriebensten Lobes abgefasst sind.

Ich weiß sehr wohl, dass es in Amerika, wie in den meisten andern auf Karten der großen Welt angegebenen Ländern, eine zahlreiche Klasse von Personen gibt, die so zart und feinfühlend gebildet sind, dass sie die Wahrheit in keiner Form ertragen können.

Und ich bedarf keiner Prophetengabe, um aus der Ferne zu erkennen, dass diejenigen, denen es am leichtesten sein wird, Bosheit, Hass und jede Lieblosigkeit in diesen Blättern zu entdecken und über jeden Zweifel hinaus zu beweisen, sie seien völlig unvereinbar mit jener dankbaren und dauernden Erinnerung an das mir in Amerika bereitete Willkommen, die ich zu empfinden vorgebe – gewisse wahrhafte und feingebildete amerikanische Journalisten sein werden, die sich große Mühe gaben, mir während meines dortigen Aufenthalts bei allen Gelegenheiten zu beweisen, dass das besagte Willkommen völlig wertlos sei.

Indem ich jedoch wagte, anderer Meinung zu sein als selbst diese hohen Autoritäten, bildete ich mir von Anfang an meine eigne Ansicht über seinen Wert und halte bis auf die gegenwärtige Stunde daran fest, und indem ich (wie ich bei allen öffentlichen Gelegenheiten ohne Ausnahme tat) meine Unabhängigkeit und Redefreiheit unter den Amerikanern behauptete und dieselbe in der Heimat bewahrte, glaube ich meine Würdigung des hohen Wertes jenes Willkommens und der edeln ehrenhaften Motive, welche dasselbe veranlassten, am besten zu beweisen.

Von Anfang bis zu Ende sah ich in den Freunden, die sich in Amerika um mich drängten, alte, vielleicht zu dankbare und zu parteiische Leser, denen ich glücklich genug gewesen war, Vergnügen und Unterhaltung zu verschaffen, nicht die gemeine Herde, die einen Fremden durch Liebkosungen und Schmeicheleien versuchen möchte, sich mit geschlossenen Augen von allen Mängeln der Nation abzuwenden und ihr Lob mit der Urteilsgabe eines Bänkelsängers zu singen.

Von Anfang bis zu Ende sah ich in jenen gastlichen Händen einen in der Heimat geflochtenen Lorbeerkranz, nicht einen unter ein paar Blumen versteckten eisernen Maulkorb.

Daher wähle ich – und ich halte mich zu dieser Wahl nicht bloß für berechtigt, sondern für verpflichtet – den einfachen Weg, zu sagen was ich denke, und zu bemerken, was ich gesehen; und wie es nicht meine Gewohnheit ist, das zu erheben, was in meiner Heimat meiner Meinung nach Schwächen und Missbräuche sind, so ist es nicht meine Absicht, die Missbräuche und Schwächen abzumildern oder zu verhüllen, die ich in fremden Ländern beobachtet habe.

Wenn dies Buch in die Hände eines empfindlichen Amerikaners fallen sollte, der es nicht ertragen kann zu hören, dass noch viel an der praktischen Durchführung der Einrichtungen seines Vaterlandes fehlt; dass dasselbe, trotz des Vorteils, den es durch die elastischere Frische und Kraft seiner Jugend vor allen andern Nationen genießt, weit davon entfernt ist, ein Muster zu sein, welches die Erde nachahmen sollte, und dass sogar in denjenigen Schilderungen der Nationalsitten, gegen die er am meisten einzuwenden hat, auch nach dem Verfließen mehrerer Jahre, deren jedes mutmaßlich einen Schritt auf der Bahn der Verbesserung bezeichnet, doch noch viel Richtiges und Wahres ist, bis auf diese Stunde – so mag er es jetzt beiseite legen, denn ihm werde ich nicht gefallen.

Vor den Aufgeklärten, Denkenden und Gebildeten unter seinen Landsleuten habe ich keine Furcht; denn nach vielen genussreichen, nicht leicht zu vergessenden Gesprächen, habe ich hinreichenden Grund zu glauben, dass es nicht viele, wenn überhaupt welche Dinge gibt, hinsichtlich deren ihre Ansichten wesentlich von den meinigen abweichen.

Man mag fragen: ›Wenn Du in Bezug auf Amerika irgendwie enttäuscht bist und im Voraus weißt, dass der Ausdruck Deiner Enttäuschung irgendeine Klasse kränken muss, warum schreibst Du dann überhaupt?‹

Hierauf antworte ich, dass ich Größeres in Amerika zu finden erwartete, als ich fand, und dass ich beschloss, dem Lande nach bestem Vermögen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auf Kosten aller, meiner Überzeugung nach irrtümlichen oder vorurteilsvollen Behauptungen, welche zu seinem Nachteil gemacht worden sind. Nun ich mit einem berichtigten und ernüchterten Urteil in die Heimat zurückgekehrt bin, halte ich mich für nicht weniger verpflichtet, dem gerecht zu werden, was ich nach bestem Ermessen als wahr erkannt habe.«

In Bezug auf das Buch, für welches diese Einleitung geschrieben wurde, wird es genügen nur noch zu bemerken, dass es am 18. Oktober erschien, dass vor dem Schluss des Jahres vier große Auflagen davon verkauft waren und dass es meiner Meinung nach vollständig die Würdigung eines Mannes verdiente, der durch die stärksten geselligen Bande an Amerika geknüpft und sonst in jeder Hinsicht ein ehrenhafter, hochsinniger, gerechter Richter war.

»Sie sind«, schrieb Lord Jeffrey, »sehr zart mit unsern empfindlichen Freunden jenseits des Ozeans umgegangen, und mein ganzes Herz geht mit Ihnen in jedem Ihrer Worte. Mir scheint, dass Sie vollkommen ausgeführt haben, was Sie auszuführen unternahmen, und dass die Welt noch nie eine treuere, malerischere, unterhaltendere und wohlwollendere Erzählung gesehen hat.«

Ich erlaube mir, ein späteres Blatt so weit zu antizipieren, dass ich hier einen kurzen Auszug aus einem der Briefe über Dickens’ letzten Besuch in Amerika einschalte. Ohne das Interesse zu beeinträchtigen, womit die Erzählung jener Zeit an dem gehörigen Orte gelesen werden wird, werde ich so andeuten, in welchem Umfang seine damaligen Eindrücke durch die Erfahrungen, welche er sechsundzwanzig Jahre später machte, abgeändert wurden. Er schreibt aus Philadelphia, am 14. Januar 1868:

»In sozialer Beziehung sehe ich einen großen Fortschritt zum Besseren. In politischer Beziehung keinen. England, von den Kirchenältesten von Marylebone und den Penny-Zeitungen regiert, und England, was es nach Jahren einer solchen Regierung sein würde, bezeichnet darin für mich das Resultat.

In sozialer Beziehung ist die Veränderung der Sitten bemerkenswert. Man begegnet nach allen Seiten einer weit größeren Höflichkeit und Milde ... Andererseits gibt es noch wunderbar seltsame provinzielle Sonderbarkeiten, und die Zeitungen drücken fortwährend das populäre Erstaunen aus über ›Mr. Dickens’ außerordentliche Gemütsruhe‹. Sie scheinen es übel zu nehmen, dass ich nicht auf die Plattform hintaumele, überwältigt durch das Schauspiel vor mir und durch die Größe der Nation.

Sie sind alle so daran gewöhnt, öffentliche Handlungen unter Trompetenstößen vorzunehmen, dass die Vorstellung meines Hereinkommens und Vorlesens ohne das vorhergängige Hereinstürzen irgend jemandes, der eine Rede über mich hält und dann wieder hinausstürzt und mich hereinführt, ihnen so unbegreiflich ist, dass sie mitunter, ehe ich meine Lippen öffne, keine Ahnung haben, ich könne wirklich Charles Dickens sein.«

Das erste Jahr von Martin Chuzzlewit (1843)

Inzwischen hatte der Ausflug nach Cornwall stattgefunden, und zwar zu so unerwarteter und dauernder Befriedigung für uns, dass wir ziemlich weit in die dritte Woche unserer Abwesenheit vorgerückt waren, ehe wir das Gesicht heimwärts wandten. Die Eisenbahnen halfen uns damals nicht viel; aber wo die Wege für Postpferde unzugänglich waren, gingen wir zu Fuß.

Wir besuchten Tintagel, und ließen keinen Teil der durch die Legenden König Arthurs geweihten Berg- und Seelandschaft unerforscht. Wir erstiegen die Spitze des höchsten Turmes auf Mount St. Michael und stiegen nieder in mehrere Bergwerke. Land und Meer enthüllten uns ihre Wunder; aber von allen Eindrücken, die wir mit uns forttrugen, und von denen einige später so dauernde Formen annahmen, als sie durch die schönste Kunst empfangen konnten, wurde keiner die Quelle so tiefer Erregung für uns alle wie ein Sonnenuntergang, den wir bei Land’s End sahen.

Stanfield kannte die Wunder des Kontinents, Maclise war heimisch in den Schönheiten Irlands, ich war von Jugend auf vertraut mit der schottischen Landschaft, und Dickens kam eben von dem Niagarafall; aber es war etwas in dem Versinken der Sonne hinter dem Atlantischen Ozean an jenem Herbstnachmittage, als wir es von der Spitze des am weitesten in die See hinausragenden Felsens betrachteten, dem, wie wir uns alle gegenseitig gestanden, nichts in unserer Erinnerung gleichkam.

Doch es würde unwürdig sein, mit der reich wechselnden und überfließenden Heiterkeit jener drei denkwürdigen Wochen jetzt nur die getrübte Erinnerung des einzigen Überlebenden zu verknüpfen.

»Gesegneter Stern des Morgens!«, schrieb Dickens an Felton, während der Abglanz ihres Genusses noch auf ihm lag. »Was für einen Ausflug nach Cornwall wir machten, grade nachdem Longfellow abgereist war! ... Zuweilen reisten wir die ganze Nacht, zuweilen den ganzen Tag, zuweilen beide ...

Himmel! Hätten Sie die Flaschenhälse sehen können, verwirrend durch die endlose Mannigfaltigkeit ihrer Gestalt, die aus den Wagentaschen herausblickten! Hätten Sie ein Zeuge sein können der tiefen Hingebung der Postillone, der wilden Zuneigung der Wirte, der wahnsinnigen Freude der Kellner! Hätten Sie uns folgen können in die erdigen alten Kirchen, die wir besuchten, und in die seltsamen Höhlen an dem düstern Meergestade und hinab in die Tiefen der Bergwerke und hinauf auf die Gipfel der schwindelnden Höhen, wo das unsagbare graue Wasser, ich weiß nicht, wie viele hundert Fuß unter uns rauschte.

Hätten Sie nur einen Schimmer der hellen Feuer sehen können, an denen wir nachts in den großen Zimmern der alten Wirtshäuser saßen, lange nachdem die frühen Morgenstunden gekommen und gegangen waren ...

Ich habe nie in meinem Leben so gelacht wie auf dieser Reise. Es würde Ihnen wohl getan haben, mich zu hören. Ich würgte und keuchte und sprengte auf dem ganzen Wege die Schnalle hinten von meiner Halsbinde ab. Und Stanfield geriet in solche apoplektische Verwickelungen, dass wir ihn oft mit den Reisesäcken auf den Rücken schlagen mussten, ehe es uns gelang, ihn wieder zur Besinnung zu bringen.

Im Ernste, ich glaube solch ein Ausflug ist nie vorher dagewesen. Und sie machten Skizzen, diese beiden Menschen, an den romantischsten unserer Halteplätze, dass man hätte schwören mögen, wir hätten sowohl den Geist der Schönheit unter uns als den Geist des Humors.«

Der Fels von Logan, von Stanfield, war eine dieser Skizzen, und sie stellte auf lachende Weise zugleich den Zauber dessen dar, was wir sahen, und die Heiterkeit dessen, was wir taten, denn sie setzte mich oben auf die Spitze des Felsens.

Das ist jedoch historisch, denn ich hatte den Felsen erstiegen, und an diese und andere Beispiele von Selbstbeherrschung auf Höhen, welche die andern abschreckten, sowie an ein Motiv für ein Gemälde, dessen Käufer unbekannterweise Dickens selbst wurde, erinnerte Maclise mich viele Jahre später in einigen heitern Anspielungen, deren Mitteilung der wohlwollende Leser mir, trotz des meinen athletischen Taten gespendeten Lobes, verzeihen muss. Sie vollenden das Bild unseres Ausfluges. Etwas, was ich Maclise über eine Reise durch die Berglandschaft der wilden Küsten von Donegal geschrieben, hatte die Saite dieser alten Erinnerung angeschlagen.

»Was Dein Klettertalent betrifft«, antwortete er, »weiß ich da nicht, was in früheren Zeiten geschah? Sehe ich nicht immer noch den Felsen von Logan und Dich oben auf der schwindelnden Spitze sitzen, während wir, uns an seinen Rücken anlehnend, vor allem, was unten verborgen lag, zurückscheuten? Würde ich mich je an den Wasserfall von St. Wighton gewagt haben, hättest Du mir nicht den Weg gewiesen?

Und als wir nach Land’s End kamen, wo das grüne Meer unter uns in die einsamen Felsenengen eindrang, in denen die Seejungfern wohnen, wer außer Dir hatte da den Mut, sich hinüberzulehnen, um jene Diamantenstrahlen von Lichtglanz zu sehen, die ich damals (und ich bin derselben Meinung noch jetzt) für das Schlagen ihrer Schwänze erklärte?

Und dann wieder sehe ich Dich auf dem höchsten Steine des runden Turms, über den höchsten Zinnen des Kastells, auf Mount St. Michael sitzen, ohne einen Vorsprung oder eine Schutzwehr zwischen Dir und dem bodenlosen Ozean, dreitausend Fuß unter Dir.

Endlich, wie könnte ich vergessen, als Du den Ziegenpfad nach König Arthurs Schloss Tintagel hinaufklommst, wo ich, mit dem vergeblichen Wunsch Dir zu folgen, wie ein Caliban am Boden hinkroch und Du, nach Art eines neckischen Geistes und starken Ariel, faktisch vor mir auf- und abtanztest!«

Der Wasserfall, an den ich ihn führte, befand sich unter den Dokumenten unserer, auch von Thackeray in einer scherzhaften Federzeichnung verherrlichten berühmten Ferienreise, welche von beiden Malern auf die akademische Kunstausstellung des folgenden Jahres geschickt wurden; und so lebhaft wünschte Dickens diese Landschaft, auf der sich das Porträt eines Mitgliedes seiner Familie befand, zu besitzen, und so besorgt war er zugleich, dass unserm Freunde das Opfer erspart bleiben sollte, das, wie er wohl wusste, dem Geständnis seines Wunsches folgen würde, dass er das Bild unter einem angenommenen Namen vor der Eröffnung der Kunstausstellung kaufte, und sich entschieden weigerte, das Geld zurückzunehmen, welches Maclise ihm nach der Entdeckung seiner List aufdrängte.

Unser Freund, der ihm schon aufs Freigebigste ein reizendes Bild seiner vier ältesten Kinder geschenkt hatte, das ihn und seine Frau nach Amerika begleiten sollte, brachte nichtsdestoweniger sein edles Herz zu seinem Rechte und malte vier Jahre später, als freiwillige Gabe, Mrs. Dickens in derselben Größe wie das Bild ihres Mannes im Jahre 1839.

»Erblicke endlich den Titel des neuen Buches«, so lautete das erste Billet, das ich nach unserer Rückkehr am 12. November von Dickens erhielt; »aber verliere ihn nicht, denn ich habe keine Abschrift.«

Der Titel und sogar die Geschichte waren während wir reisten, unentschieden geblieben, weil er noch immer an dem Wunsche festhielt, sie in diesen cornischen Umgebungen anzufangen; doch dieser Plan wurde nun schließlich aufgegeben, und der Leser verlor nichts, indem an die Stelle des Leuchtturms oder des Bergwerks in Cornwall die Schmiede des Dorfes in Wiltshire trat, an dem windigen Herbstabend, welcher die Geschichte von Martin Chuzzlewit eröffnet.

Für diesen Namen entschied er sich schließlich, aber, wie eine Erwähnung seiner Abänderungen zeigen wird, erst nach langer Überlegung. Martin war der Vorname zu allen; doch der Familienname ging von seiner ersten Form: Sweezleden, Sweezleback und Sweezlewag, in Chuzzletoe, Chuzzleboy, Chubblewig und Chuzzlewig über, und auch Chuzzlewit wurde endlich erst nach neuem Schwanken und Überlegen gewählt.

Was er mir in seinem Briefe als schließliche Entscheidung schickte, lautete wie folgt:

»Leben und Abenteuer Martin Chuzzlewigs, seiner Familie, seiner Freunde und Feinde. Mit Einschluss aller seiner Neigungen und Eigenheiten. Nebst einem historischen Bericht über das, was er getan, und das, was er nicht getan hat. Überhaupt ein vollständiger Schlüssel zu dem Hause Chuzzlewig.«

Den ganzen letzteren Teil des Titels ließ er natürlich fallen, als das Werk während seines Fortschritts zuerst nicht beabsichtigte Veränderungen erfuhr; aber schon bei dem dritten Hefte schickte er mir den Entwurf »von dem Plane des alten Martin, Pecksniff zu erniedrigen und zu strafen«, und die Schwierigkeiten, denen er bei dem Abweichen von andern Teilen seines Planes begegnete, waren so groß, dass er dadurch bei seinen späteren Romanen zu größerer Sorgfalt in der ersten Anlage, und größtmöglichem Festhalten an dem ursprünglich gefassten Plane veranlasst wurde.

Das erste Heft, das im Januar 1843 erschien, war noch nicht ganz vollendet, als er mir am 8. Dezember schrieb: »Das Chuzzlewit-Manuskript reicht so viel weiter, als ich gedacht hatte, dass das Heft beinahe fertig ist. Dem Himmel sei Dank!«

So eilig er auch zuletzt anfing, und obgleich er schon beim Anfang seine Bahn änderte und von dem Verlauf seines Planes noch wenig sah, so begann er doch vielleicht keinen andern Roman mit stärkerem Mut oder größerer Zuversicht.

Krankheit hielt mich damals mehrere Tage ans Zimmer gefesselt, und so begierig war er, die Wirkung von Pecksniff und Pinch zu versuchen, dass er, als die Tinte noch kaum auf der letzten Seite trocken war, zu mir kam, um mir das Manuskript vorzulesen.

Sydney Smith, der ihm schrieb, wie sehr das erste Heft ihm gefallen habe, sah das Vielversprechende jener Charaktere richtig voraus. »Pecksniff und seine Töchter und Pinch sind vortrefflich. – Malerei ersten Ranges, wie niemand als Sie sie ausführen kann.«

Und hier sei sofort bemerkt, dass der Gedanke, Pecksniff zu einer Charakterfigur zu machen, in Wahrheit der Ursprung des Buches war. Es war sein Zweck, mehr oder weniger durch jede der vorgeführten Personen die Zahl und die Mannigfaltigkeit der Launen und Laster zu zeigen, welche ihre Wurzel in der Selbstsucht haben.

Ein anderes Schriftstück aus seiner Feder, das am Ende des Jahres 1842 Erwähnung verdient, war der Prolog zu der »Patrizier-Tochter« (Patrician's Daughter), Westland Marstons erstem dramatischen Versuch, der ihn weniger durch die Schönheit seiner Komposition, als durch den Mut angezogen hatte, womit sein Gegenstand aus dem wirklichen Leben der Zeit herausgegriffen war.

Nicht leicht sein Zweck und nicht gering sein Ansehn;

Ihr selbst die Spieler, euer Haus die Szene.

Dies war auch die Zeit, als Browning seine Tragödie »Der Flecken auf dem Wappen« (Blot on the Scutcheon) schrieb. Ich las dieselbe im Manuskript und teilte sie dann auch Dickens privatim mit, und mein Glaube, dass sie ihn tief ergreifen würde, wurde nicht getäuscht.

»Brownings Stück«, schrieb er am 25. November, »hat mich in eine wahrhafte Leidenschaft des Schmerzes versetzt. Zu sagen, dass der Gegenstand etwas anderes enthält als was schön, wahr, tief ergreifend, voll von der reinsten Empfindung ist und der wahrsten und zartesten Quelle des Interesses entspringt, würde grade so sein, als wollte man sagen, dass in der Sonne kein Licht und in dem Blute keine Wärme ist. Es ist voller Genie, voll von natürlichen und großen Gedanken, tief und doch einfach und schön in seiner Kraft. Ich kenne nichts so Rührendes, nichts, in keinem Buche, das ich je gelesen, als Mildreds Zurückkommen auf das –

Ich war so jung – ich hatte keine Mutter.

Ich kenne keine Liebe wie diese, keine Leidenschaft wie diese, keine Gestaltung eines glänzenden Gedankens im Einklang mit seiner Konzeption, wie diese. Und ich schwöre, es ist eine Tragödie, die gespielt werden muss, und außerdem gespielt werden muss von Macready.

Einiges möchte ich womöglich geändert haben (es ist nicht wichtig, meistens gebrochene Zeilen); und jedenfalls möchte ich, dass der alte Diener seine Erzählung auf der Bühne anfinge und bei ihrem Beginn von seinem Herrn an der Kehle gepackt und mit dem Degen angegriffen würde. Aber die Tragödie werde ich nie vergessen, noch je einen weniger lebendigen Eindruck von ihr haben als jetzt.

Und wenn Du Browning sagst, dass ich sie gelesen habe, so sage ihm, dass ich von Grund meiner Seele aus glaube, dass kein lebender Mensch (und nicht viele tote) ein solches Werk zu schaffen vermöchten. – Der abgeänderte Prolog gefällt Macready sehr.«

Bemerkungen über seinen allgemeinen literarischen Geschmack und seine besondere Schätzung zeitgenössischer Werke spare ich mir für eine gelegenere Zeit auf; hier muss ich indes noch bemerken, dass nichts eine größere Teilnahme bei ihm erweckte als ehrliche, auf seinem eigenen Felde errungene Erfolge, und dass es in seiner weitherzigen und offenen Natur keine Schlupfwinkel für kleine Eifersüchteleien gab.

Es fällt mir ein Beispiel ein, das sofort erwähnt werden mag: Als er, viele Jahre nach der Zeit, von der ich hier rede, mich sehr eindringlich auf zwei Erzählungen aufmerksam machte, die damals in ›Blackwood's Magazin‹ erschienen und später unter dem Titel »Bilder aus dem Leben der Geistlichkeit« ( Scenes of Clerical Life) gesammelt wurden. »Lies sie jedenfalls«, schrieb er. »Es ist das Beste, was ich gesehen habe, seit ich meine Laufbahn begann.«

Das Jahr 1843 wurde eröffnet unter der eifrigsten Fortsetzung seiner Arbeit an Chuzzlewit.

»Ich hoffe, das Heft wird sehr gut werden«, schrieb er mir am 8. Januar über das zweite Heft. »Ich habe tüchtig daran gearbeitet und bin den ganzen Tag zu Hause gewesen. Ebenso gestern, mit Ausnahme von zwei Stunden am Nachmittage, wo ich mir in halbfußtiefem Schnee durch die Wildnisse von Willesden einen Weg bahnte.«

Vorläufig werde ich jedoch auf seinen Fortschritt mit den früheren Teilen des Romans, an welchem er bis Mittsommer 1844 beschäftigt war, nur dann und wann einen flüchtigen Blick werfen. Unerwartete und seltsame Enttäuschungen, die einen bedeutenden Einfluss auf ihn ausübten, erwuchsen ihm bei dieser Arbeit; aber ich schiebe die Erwähnung derselben eine Weile auf, um zunächst von den Hauptbegebenheiten des Jahres 1843 zu reden.

»Ich bin in Verlegenheit«, schrieb er am 12. Februar, »und werde heute entweder im Laufe des Tages oder des Abends zu Dir kommen. Ich konnte gestern nicht eine Zeile schreiben, nicht ein Wort, obgleich ich’s nach Kräften versuchte.

In einer Art von Verzweiflung fuhr ich um halb drei mit meinem Paar Unterröcken nach Richmond und speiste dort! O, was für ein schöner Tag war es in jener Gegend.«

Sein Paar Unterröcke waren Mrs. Dickens und deren Schwester Georgina. Die Letztere war seit seiner Rückkehr von Amerika ein Mitglied seines Haushalts geworden und blieb dies bis zu seinem Tode; und er hatte allen Grund auf die Beständigkeit, Tiefe und Hingabe ihrer Freundschaft stolz zu sein.

In einem Notizbuch von ihm, das er im Januar 1855 anfing, und worin er zum ersten Mal in seinem Leben Andeutungen und Gedanken niederlegte, um in künftigen Schriften davon Gebrauch zu machen, finde ich die Skizze eines Charakters, der, wenn nicht ganz und gar durch seine Schwägerin eingegeben, doch der Hauptsache nach auf sie anwendbar war.

»Sie opferte sich für die Kinder auf und wurde dadurch hinreichend belohnt. Von Kind auf wurde sie immer durch die Kinder« (eines andern) »in Anspruch genommen. Und so geschah es, dass sie sich nie verheiratete, nie selbst ein Kind hatte; sie gibt sich immer den Kindern hin; und die Kinder lieben sie; und sie hat immer Jugend, die von ihr abhängt, bis an ihren Tod; und stirbt glücklich.«

Nicht manche Tage nach jenem Ausfluge nach Richmond machte Maclise eine leichthingeworfene Bleistiftskizze der drei, die daran teilnahmen, während wir alle zusammensaßen, und nie enthielt ein so leichter Entwurf mehr Wahrheit der Beobachtung. Die Porträtähnlichkeit aller ist vorzüglich, und ich bewahre die Zeichnung hier auf, weil kein anderes Porträt von Dickens selbst sein Aussehen und seine Haltung in dieser noch jugendlichen Zeit lebendiger wiedergibt. Er trägt seinen angenehmsten Ausdruck, etwas geschmeichelt, wenn man will; aber nichts mir Bekanntes gibt ein so lebensvolles und wahres Abbild seines damaligen offenen, frischen, schönen Gesichtes.

Für mich war dies ein Jahr voller Krankheit, in deren Verlauf es mir nie an hilfreicher und tätiger Sympathie von ihm fehlte.

»Lass mich wissen, wie es Dir geht«, schrieb er zwei Tage später. »Aber ich schreibe jetzt nicht so sehr deshalb, als um Dir nachdrücklich zu sagen, dass ich darauf bestehe, dass Du Dich einwickelst und morgen in einem Mietwagen mit einem großen Koffer hierher kommst. Es ist jedenfalls besser, krank zu sein mit einem Flink, Heiter und Comp. in der Nähe, als in der öden Wüste von Lincolns-Inn-Fields. Du findest hier das bequemste Bett von der Welt, und dann hast Du den Drawing-Room für Dein Arbeitszimmer, Flink und Heiter zum Kameraden, und alles andere in passendem Zusammenhang

Nach dem Empfange Gregorys, gestern Abend, fange ich an, auf die Wiedergeburt der Menschheit zu hoffen, obgleich ich keine Hoffnung hege auf die des Chronicle, das seine Stimme nicht gegen den Schurken erhebt. Hast Du die Bemerkung in dem Gelb und Blau über meine Noten gesehen?«

Die erste dieser schließlichen Anspielungen bezog sich auf den Umstand, dass man den Herausgeber des infamen ›Satiristen‹ von der Bühne im Drury-Lane-Theater, wo er in der Rolle Hamlets aufgetreten war, heruntergepfiffen hatte, und ich erinnere mich noch, mit welch unendlichem Vergnügen ich später hörte, wie der Oberrichter Tindal in seiner Anrede an die Jury, bei Gelegenheit eines Prozesses, den jener Übeltäter gegen einen Bierwirt von St. Giles anhängig machte, weil derselbe Leute gemietet, an dem Pfeifen teilzunehmen, den Stolz gestand, den er empfinde, ›in demselben Kirchspiel zu leben mit einem Manne in der niedrigen Lebensstellung der Angeklagten‹, der im Stande sei, aus seiner eignen Tasche Geld zu bezahlen für die Bestrafung dessen, was ihm eine Verletzung des Anstandes erscheine.

Die zweite Anspielung bezog sich auf eine Behauptung des Kritikers der »Amerikanischen Noten« in der Edinburgh Review, des Inhalts, dass, wenn er gut unterrichtet sei, Dickens als eine Art von Missionär in Sachen des internationalen Schutzes des literarischen Eigentums nach Amerika gegangen sei, wogegen gleich darauf eine verneinende Erwiderung in der ›Times‹ erschienen war. »Ich leugne es durchaus«, schrieb Dickens. »Man hat ihn falsch berichtet und er macht, ohne Erkundigungen anzustellen, eine Mitteilung, die ich nur durch eins der kürzesten und stärksten Worte in unserer Sprache charakterisieren könnte.«

Ich kann hier bemerken, dass die Streitigkeiten, welche durch das Buch über Amerika hervorgerufen wurden, sich über den größesten Teil des Jahres erstreckten.

Es genügt übrigens zu sagen, dass Dickens die Stellung, die er in seinen an Ort und Stelle geschriebenen und in dem ersten Bande mitgeteilten Briefen eingenommen hatte und über deren wichtigste Punkte sein Buch, und später auch Chuzzlewit, zu einem öffentlichen Urteil aufforderte, so vollständig gegen alle Angriffe behauptete, dass keine der Gegenbehauptungen und Argumente ihn auch nur einen Zoll breit daraus verdrängten.

Aber der Streit ist jetzt tot, und er nahm bei seinem spätern Besuch in Amerika Veranlassung, ihm eine Grabschrift zu setzen.

Obgleich ich (um zu seinem Februarbriefe zurückzukehren) seinem herzlichen Geheiß, mich sofort bei ihm einzuquartieren, nicht gehorchte, so kam ich doch bald nachher in einem Landhause bei ihm zu Gast, das er in Finchley gemietet hatte, und hier war es, wo bei dem Umherwandeln und den Unterredungen in den grünen Landwegen, während des Beginns der Mittsommermonate, die Charakterfigur der Mrs. Gamp und der Gebrauch, den er von dieser bemerkenswerten Person machen könne, ihm zuerst vor die Seele trat.

In seiner Vorrede zu Martin Chuzzlewit spricht er von ihr als einem guten zeitgenössischen Typus der gemieteten Krankenwärterinnen armer Leute. Er hätte aber hinzufügen können, dass es den Reichen nicht besser damit gehe; denn das Original der Mrs. Gamp war in Wahrheit eine Person, die von einer ausgezeichneten Freundin Dickens’ gemietet war, um einen ihr teuren Kranken zu pflegen; und unter anderen gampischen Eigentümlichkeiten hatte diese Pflegerin in dem Krankenzimmer die Gewohnheit, ihre Nase an dem hohen Feuergatter der Länge nach zu reiben.

Ich besinne mich nicht mehr, ob ich bei der ersten Erwähnung von Mrs. Gamp Bedenken äußerte, ob ein solcher Charakter zu einer der Hauptpersonen seines Romans gemacht werden könne; wenn ich jedoch solche Bedenken äußerte, so überlebten dieselben nicht den Inhalt des Pakets, welches sie, einige Wochen nach unserer Rückkehr, im Fleische bei mir einführte.

»Sage mir«, schrieb er ans Yorkshire, wo er inzwischen heitere Feiertage mit einem Freunde verlebt hatte, »was Du über Mrs. Gamp denkst. Du wirst es nicht leicht finden, durch die Hunderte von Druckfehlern in ihrer Konversation durchzukommen, aber ich will Deine Ansicht sofort hören. Ich glaube Du kennst schon etwas von meiner eignen. Ich beabsichtige etwas Gutes daraus zu machen.«

In demselben Briefe schickte er mir eine geistreiche kleine Parabel in Versen, die er für einen von Lady Blessington herausgegebenen Almanach geschrieben hatte.

Ein Wort zu rechter Zeit.

Es herrscht im Orient ein Aberglaube,

Dass Allah, auf ein Stück Papier geschrieben,

Von größerm Segen sei als Priesterworte,

Als Weihrauchwoge und als Kerzenflamme.

Denn jedes Blättchen, welches diesen Namen

An seiner Stirne trägt, so glaubt man dorten,

Hilft Dem, der’s findet, durch das Fegefeuer,

Gibt einen Ruhort seinen glüh’nden Füßen.

Aus diesem Grund tut man gewaltig wichtig,

Mit allen frommen Reden und Traktätchen,

Und sammelt sorglich ihre Blätter – denn

Das Volk ist dort nicht aufgeklärt wie wir.

Und so, auf kotigen Wegen zögernd stets,

Mit Suchen nur nach jenem Schatz beschäftigt,

Hat’s in den Tagen seines Staubdurchforschens

Nur selten Zeit, zum Himmel aufzublicken.

So hab ein Land gekannt ich auf der Erde,

Wo Dunkel brütete über den Wassern

Und Mangel, Mühsal und Unwissenheit

Das Erbteil seiner Söhn’ und Töchter waren.

Und wo doch die, die allen Menschen weit

Der Liebe Pforten hätten öffnen sollen,

Um Worte stritten am Altare und

Das Buch zerrissen, um des Einbands willen.

Der Beste unter jenen frommen Türken

Grausam entstellt Gottes lebendiges Abbild,

Ihr höchster Priester, glaubend nicht an Werke,

Erhängt die Tugenden auf offnem Marktplatz.

Der Pariah-Christ, dem beide Sekten fluchen,

(Sie fluchen sich und fluchen allen andern)

Geht weiter, ohne viel dadurch zu leiden,

Tut Gutes, wo er kann, liebt seinen Bruder.

Eine andere Anspielung in seinem Februarbriefe erinnert mich an das Interesse, welches seine frühere Mitarbeit an dem ›Chronicle‹ ihm für alles einflößte, was den Kredit dieser Zeitung beeinflusste, und dass dies das Jahr war, in welchem John Black aufhörte, ihr Hauptredakteur zu sein, und zwar unter Umständen, welche Dickens’ ganze Sympathie von Neuem aufs Stärkste anregten.

»Ich fühle tiefen Kummer um Black«, schrieb er 3. Mai 1843. »Bedauere es vom Grund meiner Seele. Wüsste ich nur, wo er wäre, ich würde sogleich hingehen, ihn zu trösten.«

Er erfuhr, wo er war, und er, nebst einer Anzahl von uns, trösteten auch den vortrefflichen Mann auf eine äußerst englische Weise, indem wir ihm am 20. Mai in Greenwich ein Festessen gaben, bei dem Dickens alles vollkommen anordnete und das in jeder Hinsicht seinen Zweck erfüllte. Unter den Teilnehmern befanden sich Sheil und Thackeray, Fonblanque und Charles Buller, Southwood Smith und William Johnson Fox, Macready und Maclise sowie ich selbst und Dickens.

Eine andere ähnliche Festlichkeit folgte, bei der einer dieser Teilnehmer der Gast war und die den Bemühungen von Dickens kaum weniger verdankte, als wir im Herbste im ›Star und Garter‹ in Richmond Macready eine glückliche Reise nach Amerika wünschten.

Dickens führte den Vorsitz bei diesem Abschiedsmahl und wollte mit Stanfield, Maclise und mir in der folgenden Woche den großen Schauspieler nach Liverpool bringen, um ihm am Bord des Cunard-Dampfschiffs Lebewohl zu sagen und seine Frau nach dem Abschied nach London zurück zu begleiten.

Allein ein Wort von unserm vortrefflichen Freunde Kapitän Marryat, das uns alle, mit Ausnahme von Dickens selbst, überraschte, entfernte ihn aus unserer Gesellschaft. Marryat war der Meinung, ein öffentlicher Bericht, dass Macready auf seiner Fahrt von dem Verfasser der Amerikanischen Noten und Martin Chuzzlewits geleitet worden, werde ihm in den Vereinigten Staaten schaden, und unser Freund stimmte sofort mit ihm darin überein.

»Deinen ersten und Hauptgrund«, schrieb er mir, »an Marryats Urteil zu zweifeln, kann ich ohne Mühe über den Haufen werfen. Es ist mir selbst schon durch den Kopf gegangen; ich habe die Sache mehr als einmal gegen Kate erwähnt, und ich hatte beabsichtigt, nicht an Bord zu gehen und Radley zu bitten, dass meine Anwesenheit in seinem Hause unerwähnt bleibe.

Was mich abhielt, meinen Befürchtungen Ausdruck zu geben, war die Besorgnis, es möge scheinen, als ob ich, wenn ich es täte, meinen Handlungen eine zu große Bedeutung beimesse.

Nun ich aber Marryat auf meiner Seite habe, erkläre ich ohne jedes Bedenken, dass er vollkommen Recht hat. Ich befürchte sehr, dass die Widmung zu Nickleby Macready Schaden tun wird. Marryat irrt sich, wenn er meint, dass sie in den amerikanischen Ausgaben nicht gedruckt ist, denn ich habe sie selbst in den Ladenfenstern mehrerer Städte gesehen. Wenn ich mit ihm an Bord ginge, so hege ich nicht den mindesten Zweifel, dass die Tatsache in ganz New York durch Plakate angekündigt sein würde, ehe er sich in Boston rasiert hätte. Und dass es in Amerika Tausende von Menschen gibt, die auf die bloße Behauptung hin, er sei mein Freund, einen Streit mit ihm anfangen würden, ist mir ebenso unzweifelhaft wie meine eigne Existenz. Du hast Marryats Ausspruch nur bezweifelt, weil es für jeden, der nicht dort gewesen, unmöglich ist zu wissen, was sie in ihrem eigenen Lande sind.«

Dieser Brief wurde von Broadstairs geschrieben, wohin Dickens im August gegangen war, nachdem er an einem Werke praktischer Menschlichkeit mitgeholfen, wie er allein helfen konnte und zu helfen liebte. Früher im Jahre hatte er bei einem Zweckessen zum Besten des ›Pensionsfonds für Buchdrucker‹, bei welchem auch Thomas Hood, Douglas Jerrold und ich selbst anwesend waren, den Vorsitz geführt; und nach dem schrecklichen Unglücksfall jenes Sommerabends, durch den der Schauspieler Elton sein Leben verlor, waren es besonders Dickens’ unablässige Bemühungen, trefflich unterstützt von Mr. Sarle, und mit Wärme aufgenommen von Eltons eigner Profession (der edelmütigsten in der Welt), wodurch das Nötige für die vielen unversorgten Kinder beschafft wurde.

Zu Ende August erhielt ich Nachrichten von ihm aus seinem Lieblings-Seebade, die zu charakteristisch sind, als dass sie hier ausgelassen werden dürften. Der vorhergehende Tag war ›entsetzlich heiß‹ gewesen; doch das hatte ihn nicht abgeschreckt zu tun, was er nur zu oft geneigt war, plötzlich mitten in der anstrengendsten Arbeit zu tun

»Ich habe einen tollen Wettmarsch gegen die Zeit gemacht: vier Meilen, nach den Meilensteinen, in vier und einer halben Stunde, den ganzen Weg unter einer brennenden Sonne. Ich konnte« (er schreibt am folgenden Morgen) »in der Nacht nicht zum Schlaf kommen, und begann wirklich zu fürchten, ich würde ein Fieber bekommen. Du kannst Dir vorstellen, in was für einem Autor-Zustand ich mich heute befinde. Ich könnte eben so gut die Klippe aufessen, als über irgendetwas schreiben.«

Einige Tage später war er indes wieder ganz wohl; und eine andere an seinen amerikanischen Freund gerichtete Briefskizze wird zeigen, wie er für gewöhnlich an der See lebte.

»In einem Bogenfenster im ersten Stock sitzt von neun bis ein Uhr ein Herr mit ziemlich langem Haar und keinem Halstuch, der schreibt und grinst, als dächte er, er sei äußerst amüsant. Um eins verschwindet er, taucht dann schnell aus einem Badekarren auf und man kann sehen, wie er als eine Art lachsfarbiges Meerschwein im Ozean umherplatscht. Hierauf kann man ihn erblicken, wie er in einem andern Bogenfenster zu ebner Erde ein tüchtiges Gabelfrühstück zu sich nimmt, und dann zwei bis drei Meilen, oder so, spazieren geht, oder im Sande auf dem Rücken liegend ein Buch liest.

Niemand belästigt ihn, außer wenn man weiß, dass er geneigt ist, sich zu unterhalten, und wie man mir sagt, fühlt er sich äußerst komfortabel. Er ist braun wie eine Beere und es wird behauptet, er sei ein kleines Vermögen für den Gastwirt, der Bier und kalten Punsch verkauft. Doch das ist ein bloßes Gerücht. Zuweilen geht er nach London (sechzehn Meilen oder so entfernt), und dann gibt es, so sagt man, Nachts in Lincoln's-Inn-Fields einen Klang wie von Menschen, die zusammen lachen, samt einem Klirren von Messern und Gabeln und Weingläsern.«

Er kehrte dauernd in die Stadt zurück am Montag, den 2. Oktober und war vom Mittwoch bis zum Freitag dieser Woche in Manchester, wo er bei der Eröffnung des großen ›Athenäum‹, bei der auch Cobden und Disraeli zugegen waren, den Vorsitz führte. Hier sprach er besonders über einen Gegenstand, der seinem Herzen immer nahe lag: die Erziehung der sehr Armen. Er zeigte wie gefährlich es sei, eine geringe Kenntnis gefährlich zu nennen; erklärte, dass er die geringste der geringen gar keiner vorziehe, schlug vor, einem alten Verse den neuen zu substituiren:

Ob nie Du Haus und Güter Dein magst nennen,

Kenntnis gewährt was sie nicht geben können;

erzählte seinen Zuhörern von der wirklichen und größten aller Gefahren, die wir noch vor Kurzem mit Longfellow in den nächtlichen Zufluchtsörtern von London gesehen hatten: »Tausende unsterblicher Wesen, ohne Alternative oder Wahl verdammt, nicht den Pfad zu wandeln, den unser großer Dichter den Blumenpfad zu dem ewigen Freudenfeuer nennt, sondern einen Pfad voll spitziger Steine, bereitet durch brutale Unwissenheit«; und verglich diesen Zustand mit dem unaussprechlichen Trost und Segen, den eine auch nur geringe Erkenntnis über Menschen von dem niedrigsten Range und den hoffnungslosesten Mitteln ausgeströmt habe, wie sie »mit dem Hirtenknaben Fergusson die Sterne beobachtete, dem armen Barbier Arkwright in Lancashire, dem Seifensiedersohn Franklin, dem Schuhmacher Bloomfield in seinem Dachstübchen, dem jungen Burns an seinem Pfluge, und, hoch über dem Lärm des Webstuhls und des Hammers, Arbeitern in Sheffield und in Lancashire, die ich hier nennen könnte, Mut zuflüsterte.«

Derselbe Geist trieb ihn an, das merkwürdige Institut der ›Lumpenschulen‹ (Ragged Schools) eifrig zu bewillkommnen, die, von einem Schuhmacher in Southampton und einem Schornsteinfeger in Windsor angefangen und von einem Pair des Königreichs fortgeführt, Resultate von unberechenbarer Wichtigkeit für die Gesellschaft gehabt haben.

Das Jahr, von dem ich rede, war ihr erstes, sowie dasjenige, in welchem ich schreibe, ihr letztes ist; und man hat berechnet, dass sie während der Zwischenzeit nicht nur dreihunderttausend Kindern eine Art von Erziehung gegeben, sondern auch einem Drittteil dieser Zahl die Mittel zu ehrlichem Erwerb geboten haben.

»Ich habe«, schrieb Dickens am 24. September, »an Miss Coutts einen Schmiedehammer-Bericht über die Lumpenschulen geschickt und da ich sah, dass sie in der Subscriptionsliste für geistliche Erziehung zweihundert Pfund gezeichnet hatte, bemühte ich mich, ihr klar zu machen, dass religiöse Mysterien und schwierige Glaubensbekenntnisse nicht für solche Schüler geeignet seien. Ich sagte ihr auch, dass es von unendlicher Bedeutung sei, sie rein zu waschen.

In ihrer Antwort fragt sie mich, wie hoch die Miete einiger großen, luftigen Räumlichkeiten sich belaufen und was die Baukosten für einen ordentlichen Bade- oder Reinigungsort sein würden, in Bezug auf welche Punkte ich mit den Autoritäten in Briefwechsel stehe. Ich zweifle nicht, dass sie alles tun wird, worum ich sie in dieser Sache bitte. Sie ist, ich erkläre es feierlich, ein vorzügliches Wesen, und ich hege die vollkommenste Zuneigung und Hochachtung für sie.«

Eins der letzten Dinge, die er am Schluss des Jahres in ähnlichem Geiste tat, war, dass er sich erbot, die ›Lumpenschulen‹ für die Edinburgh Review zu beschreiben.

»Ich habe Napier gesagt«, schrieb er mir, »dass ich eine Beschreibung davon geben will in einem Artikel über Erziehung, wenn die Review sich nicht fürchtet, gegen den kirchlichen Katechismus und andere bloße Formulare und Subtilitäten, in Bezug auf die Erziehung der Jungen und der Unwissenden aufzutreten. Ich fürchte, es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sie so weit gehen wird.«

Seine Befürchtung war wohlbegründet; aber seine Bemerkungen aus jener Zeit bieten mir die Veranlassung, hinzuzufügen, dass seine Ungeduld gegen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich dieses Punktes mit Geistlichen der Hochkirche ihn bewogen hatte, während der letzten Jahre Sitze in der Kapelle der Unitarier in Little Portland-Street zu nehmen, für deren Prediger, Mr. Edward Tagart, er eine freundschaftliche Achtung empfand, welche auch dann noch fortdauerte, nachdem er aufgehört hatte, ein Mitglied seiner Gemeinde zu sein.

Dass er diese zwei oder drei Jahre später verließ, weiß ich genau, und über die häufige Erregung seines Geistes und seiner Gedanken, in Bezug auf diesen allbedeutsamen Gegenstand, wird sich eine andere Gelegenheit finden zu sprechen. Aber in Bezug auf wesentliche Punkte hatte er nie stärkere Sympathien, als mit der Lehre und der Disziplin der Englischen Staatskirche; diesen vermochte er im Laufe der Zeit alle kleineren Meinungsverschiedenheiten anzupassen, und der unveränderliche Glaube an das Christentum selbst, unabhängig von Sekten und Schismen, der ihm in keiner Periode seines Lebens verloren gegangen war, fand am Schlusse desselben einen Ausdruck in seinem letzten Willen. Zwölf Monate vor seinem Tode wurden die folgenden Worte geschrieben.

»Ich verordne, dass mein Name mit einfachen englischen Buchstaben auf mein Grab geschrieben wird ... Ich beschwöre meine Freunde, mich unter keinen Umständen zum Gegenstande eines Denkmals oder irgendeiner andern Ehrenbezeugung zu machen.

Ich gründe meine Ansprüche auf das Andenken meines Vaterlandes, auf die Werke, die ich veröffentlicht habe, und auf das Andenken meiner Freunde, nach der Erfahrung, die sie im Leben von mir gehabt haben.

Ich befehle meine Seele der Gnade Gottes, durch unsern Herrn und Heiland Jesus Christus, und ich ermahne meine lieben Kinder, demütig zu versuchen, sich durch die Lehre des Neuen Testaments nach seinem lebendigen Geiste leiten zu lassen, und keines Menschen beschränkter Auslegung ihres Buchstabens Glauben zu schenken.«

So tätig er in dem jetzt endenden Jahre gewesen und so mannigfaltig seine Beschäftigungen waren, so vermochte er doch, in der höchsten Stimmung seines Genies, voll unveränderter Tatkraft für gute Werke, und von grenzenloser Genussfähigkeit, die Schlussmonate dieses Jahres durch eine große Errungenschaft zu bezeichnen, an die er ohne die Enttäuschungen, welche das Jahr ihm auch gebracht, vielleicht nie gedacht hätte.

Er hatte erst eine Woche nach seiner Rückkehr von Manchester, wo der Gedanke zuerst in ihm aufstieg, damit begonnen, und vor Ende November hatte er seinen denkwürdigen Christmas Carol beendet.

Derselbe war das Resultat verstreuter Momente der Muße, die ihm von der Zeit, welche zwei Hefte seines Chuzzlewit erforderten, übrig blieb, und obgleich ursprünglich nur mit dem Zweck angefangen, dem Ertrage von Chuzzlewit etwas hinzuzufügen, kann ich doch seinen eignen Bericht darüber bestätigen, wie es ihm bei der Abfassung erging: mit welch seltsamer Gewalt ihn der Gegenstand als solcher ergriff, wie er dabei weinte und lachte, und wieder weinte, und sich in ungewöhnlichem Maße aufregte, und wie er im Nachdenken darüber manche Nacht drei oder vier Meilen durch die finstern Straßen Londons umherwanderte, nachdem alle nüchternen Leute zu Bett gegangen waren. Und als er damit fertig war, ließ er sich, wie er unserm Freunde Felton in Amerika erzählte, wie ein Wahnsinniger freien Lauf.

»Forster ist wieder heraus«, fügte er zur Erläuterung unserer praktischen Kommentare über seine Feier der heitern alten Jahreszeit hinzu, »und wenn er nach unserer Weihnachtsfeier nicht wieder hineingeht, muss er fürwahr sehr stark sein. Solche Festmahle, solche Bälle, solche Zaubereien, solches Blindekuhspielen, solches ins Theater Gehen, solches Ausküssen alter und solches Einküssen neuer Jahre, hat nie zuvor in diesem Weltteil stattgefunden.«

Und doch war dieses Jahr auch eine Zeit großer Unruhe und Enttäuschung für ihn gewesen, worüber ich jetzt reden muss. Ehe ich indes zu diesem Zweck zu seinen frühern Monaten zurückkehre, will ich einen Schritt in das neue Jahr tun, um eine Begebenheit zu erwähnen, die ihm dasselbe wichtig und bedeutend machte.

Das Jahr 1844 war erst fünfzehn Tage alt, als ein dritter Sohn (sein fünftes Kind, welches den Namen seines Gevatters Francis Jeffrey erhielt) ihm geboren wurde, und hier ist die Antwort, die er zwei Tage später auf eine Einladung von Maclise, Stanfield und mir, mit uns in Richmond zu dinieren, ergehen ließ:

»Devonshire Lodge, 17. Januar 1844. Landsleute! Die Aufforderung, durch welche Ihr mich geehrt habt, erweckt in meiner Brust Gefühle, die sich leichter empfinden als beschreiben lassen. Der Himmel segne Euch. Es wird mir zum Stolze gereichen, einem solchen Ersuchen Folge zu leisten. Ich hatte mich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen – auf immer, wie ich hoffte – um den Abend meiner Tage hydropathischen Untersuchungen und der Betrachtung der Tugend zu widmen. Zu diesem letzteren Zweck hatte ich mir einen Spiegel gekauft. – Aber, meine Freunde, persönliche Wünsche müssen immer dem ernsten Gefühl öffentlicher Pflichten weichen. Der Mensch geht in dem eingeladenen Gast unter, und ich willige ein. Ammen, nährende und nicht nährende, Apotheker, Schwiegermütter, Säuglinge, nebst all den süßen (und keuschen) Freuden des Privatlebens – es ist hart, meine Landsleute, sie zu verlassen. Aber Ihr habt mich gerufen, und ich will kommen. Landsleute, Euer Freund und gehorsamer Diener, Charles Dickens.«

Chuzzlewit-Enttäuschungen und das Weihnachtslied (1842 – 1844)

Chuzzlewit war hinter allen in Bezug auf seinen Verkauf gehegten Erwartungen zurückgeblieben. Obgleich bei Weitem das vorzüglichste von Dickens’ bis dahin geschriebenen Werken, hatte das Publikum sich in weit geringerer Anzahl als um irgendeinen seiner Vorgänger darum geschart. Die ursprüngliche Ursache hiervon war höchst wahrscheinlich der Übergang zu wöchentlichen Heften bei der Veröffentlichung seiner beiden letzten Romane gewesen; denn bloße Gewohnheit übt auf alle Dinge dieser Welt einen stärkeren Einfluss aus, als man denkt.

Auch war die zeitweise Abwesenheit in Amerika einer unmittelbaren Wiederaufnahme der alten intimen Beziehungen mit seinen Lesern nicht günstig gewesen. Außerdem muss bemerkt werden, dass die Aufregung, durch welche ein nationaler Ruf auf der Fluthöhe erhalten wird, stets Abnahmen unterworfen bleibt, die zu launenhaft sind, um sich erklären zu lassen.

Was jedoch auch die Ursachen sein mögen, die Tatsache einer ernstlichen Abnahme des Verkaufs seiner Werke, ohne eine entsprechende Abnahme ihrer Vortrefflichkeit oder des Rufes ihres Verfassers, war unleugbar.

Sie war sehr vorübergehend, aber sie war da und musste demgemäß berücksichtigt werden. Die 40,000 – 50,000 Käufer von Pickwick und Nickleby, die 60,000 – 70,000 der ersten Hefte des Unternehmens, das den Raritätenladen und Barnaby Rudge zu Tage förderte, waren auf wenig mehr als 20,000 herabgesunken.

Sie stiegen etwas bei Martins bedeutungsvoller Ankündigung am Ende des vierten Hefts, er wolle nach Amerika; aber obgleich man meinte, dieser Entschluss, den Dickens eben so plötzlich fasste wie sein Held, werde die Zahl seiner Leser vermehren, so beeinflusste ihn doch dieser Grund weniger als die Herausforderung, seine Noten zu bewahrheiten, die ihm jede Post von schonungslosen Kritikern jenseits des Atlantischen Ozeans gebracht hatte.

Die tatsächliche Wirkung der amerikanischen Episode auf den Verkauf war indes keineswegs groß. Ein paar Tausend neue Käufer wurden hinzugefügt, aber die höchste vor dem Schluss des Romans erreichte Zahl betrug zu keiner Zeit mehr als 20,000. Seitdem ist der Verkauf demjenigen von Pickwick und Copperfield am nächsten gekommen.

Jetzt aber sollte uns eine Wahrheit nahe gebracht werden, die wohl wenigen, welche eine wirkliche oder mannigfache Erfahrung in solchen Dingen gehabt haben, nicht eingeprägt worden ist: dass nämlich die Verleger bitter schlechte Richter über einen Autor sind und dass es eine gewagte Sache ist, sie in Bezug auf das Schicksal oder das Los, welches ihn erwarten mag, zu Rate zu ziehen.

Als ich den im September 1841 gemachten Kontrakt für dies Buch erwähnte, sprach ich von einer Klausel über die unwahrscheinliche Eventualität, dass der Ertrag für gewisse notwendige Rückzahlungen nicht ausreichen sollte. In diesem unwahrscheinlichen Falle, der nach dem Ertrag der fünf ersten Hefte erwogen werden sollte, sollten die Verleger Vollmacht haben, 50 Pfd. St. monatlich von den aus den Kosten eines jeden Heftes an den Verfasser zahlbaren 200 Pfd. für sich zu behalten. Aber obgleich diese Klausel mit meinem Wissen eingeschaltet war, wusste ich auch zu viel von den vordergängigen Beziehungen der kontrahierenden Parteien, um mehr darin zu sehen, als eine bloße Form zur Zufriedenstellung der dabei beteiligten Advokaten.

Das fünfte Heft, welches Martin und Mark in Amerika landete, und das sechste, welches ihre ersten Erfahrungen beschrieb, waren herausgekommen, und am Vorabend des siebenten, in dem Mrs. Gamp zuerst auftreten sollte, hörte ich zu meinem unendlichen Bedauern, dass Mr. Hall, der jüngere Teilhaber der Firma, die sich durch Pickwick und Nickleby bereichert hatte, ein sehr freundlicher wohlwollender Mann, gegen den Verfasser jener Bücher eine unbedachte Andeutung habe fallen lassen, es möge wünschenswert sein, jene Klausel in Kraft zu setzen.

Sie war ihm entfallen, ohne dass er daran dachte, was alles daran hänge. Gewiss ist, dass der ältere Teilhaber, wie weit seine ebenso unbedachte Einwilligung auch für den Augenblick gehen mochte, sie immer sehr bedauerte und sich bemühte, sein Bedauern zu zeigen; allein das Unheil war geschehen und für den Augenblick unabänderlich.

»Ich bin so gereizt«, schrieb mir Dickens am 28. Juni, »so an dem zartesten Teil meines Augenlides mit Seesalz gerieben durch das, was ich Dir gestern erzählte, dass eine Art falsches Feuer mir im Kopfe brennt und ich nicht glaube, dass ich schreiben kann.

Nichtsdestoweniger versuche ich es. Sollte es mir gelingen, und sollte ich heute Morgen nicht zu Dir kommen, wirst Du dann nach dem Essen im Club oder sonstwo zu treffen sein? Es ist mein fester Entschluss, das Geld zu bezahlen; und ehe ich die Sache mit irgendjemand bespreche, möchte ich, dass Du in meinem Namen die eine vorläufige Frage an Bradbury und Evans richtetest.

Es ist jetzt mehr als anderthalb Jahre, seit Clowes in mich drang, ihm ein Gehör zu geben, falls ich je an eine Änderung meiner Pläne denken sollte. Ein Drucker ist besser als ein Buchhändler, und es liegt ebenso sehr im Interesse eines solchen (wenn nicht mehrerer), sich mit mir zu verbinden. Wer oder was es aber auch sein mag, ich bin fest entschlossen, Chapman und Hall abzubezahlen. Und wenn das geschehen ist, werde ich Mr. Hall etwas von meiner Meinung sagen.«

Was er unter der vorgeschlagenen Rückzahlung verstand, ergibt sich aus dem, was früher über seine Verträge mit diesen Herren bei dem Wiederankauf des Verlagsrechts seiner ersten Bücher gesagt wurde. Ohne durch diese Ankündigung überrascht zu sein, bewog ich ihn doch, seine Pläne bis zu seiner Rückkehr von Broadstairs im Oktober zu vertagen, und was ich ihm dann auseinander setzte, führte zu denkwürdigen Entschlüssen.

Die Mitteilung, welche ich seinem Wunsche gemäß an seine Drucker gemacht hatte, hatte diese zu sehr überrascht, als dass sie ein klares Urteil darüber bilden konnten, und sie antworteten mit Vorschlägen, die in der Tat ein Geständnis jenes Mangels an Vertrauen zu sich selbst waren. Sie redeten von den großen Erfolgen, welche eine neue billige Ausgabe seiner Schriften haben würde; sie drangen stark auf ein solches Unternehmen und sie erboten sich, eine so große Summe, wie er wünschte, für die Herstellung eines von ihm herausgegebenen Magazins oder einer sonstigen Zeitschrift zu verwenden.

Kurz, die möglichen Gefahren, denen sie sich aussetzten, wenn sie die Stellung sowohl von Verlegern als von Druckern neuer Werke aus seiner Feder übernahmen, schienen zuerst so viel größer als bei näherer Untersuchung der Fall war, dass sie sofort davor zurückschreckten, denselben zu begegnen. Und daher der bemerkenswerte Brief (vom 1. November 1843), den ich nur einschalte.

»Staune nicht über die Neuheit und den Umfang meiner Pläne. Beide machten zuerst mich selbst staunen; aber ich bin von ihrer Weisheit und Notwendigkeit überzeugt. Ich scheue mich gerade jetzt vor einem Magazin. Ich halte die Zeit nicht für geeignet, die Aussichten nicht für günstig. Ich mag mich nicht vor die Leute hinstellen als jemand, der nach Leibeskräften ums liebe Brot schreibt, halsüberkopf, gerade am Schlusse eines Buches, das mir so viel genommen hat wie Chuzzlewit.

Ich fürchte, ich könnte es nicht mit Gerechtigkeit gegen mich selbst tun. Ich weiß, dass, was wir auch zuerst sagen mögen, ein neues Magazin, oder ein neues Irgendetwas, so viel Hilfe erfordern würde, dass ich notgedrungen (gerade wie bei der Wanduhr) in der alten Weise daran würde teilnehmen müssen.

Ich fürchte den Wunsch von Bradbury und Evans, die billige Ausgabe meiner Bücher, oder eines derselben, vorzeitig herbeizuzwingen. Ich bin überzeugt, dass eine solche, wenn sie schon jetzt stattfände, mir und meinem Eigentumsrecht daran ungeheuren Schaden zufügen würde.

Es ist sehr natürlich, dass sie es wünschen; aber da sie es wünschen, glaube ich nicht, dass sie mich in irgendeinem andern Lichte betrachten, als sie irgendeinen andern Menschen bei einer Spekulation betrachten würden.

Ich erkenne, dass dies in der Tat auch Deine Meinung ist, und ich sehe nicht, was ich in diesem Falle gewinnen würde, wenn ich Chapman und Hall verlasse. Hätte ich einen guten Verdienst gehabt, so würde ich ohne Frage für ein Jahr vor dem Auge des Publikums verschwinden und meinen Vorrat von Beschreibung und Beobachtung vergrößern, indem ich Länder sähe, die mir neu sind, Länder, die ich notwendigerweise sehen muss und die ich bei dem Anwachs meiner Familie kaum hoffen darf zu sehen, wenn ich sie nicht jetzt sehe.

Schon seit einiger Zeit habe ich diese Hoffnung und Absicht gehegt, und obgleich ich noch kein Geld gemacht habe, finde ich oder bilde ich mir ein, dass ich in der Lage bin, sie zu verwirklichen.

Und Folgendes ist der Plan, den ich im Auge habe. Am Schlusse von Chuzzlewit (um welche Zeit meine Schuld bedeutend ermäßigt sein wird) beabsichtige ich, von Chapman und Hall meinen Anteil an dem

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Übersetzung: Friedrich Althaus
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2013
ISBN: 978-3-7309-5953-4

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