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Inhalt:

 

Der Pflanzer

Der Hurricane

Die Silbermine in den Ozarkgebirgen

Eine Gerichtsszene in Arkansas

Doktor Middleton

Jazede

Der Pirschgang auf den Bären

Sieben Tage auf einem amerikanischen Dampfboot

Der Deutsche und sein Kind

Der Osage

Zivilisation und Wildnis

Der erkaufte Henker.

Die Tochter der Riccarees

Die Sklavin

 

Coverbild: Kozyreva Elena / Shutterstock.com

 

 

Der Pflanzer

Es war im Sommer 1840; die Sonne stieg aus den dunklen Schatten der Niederungen empor, die das östliche Ufer des Mississippi bilden. Der Spottvogel schaukelte sich in den Tulpenbäumen der Gärten, und Scharen von munter flatternden Seidenschwänzen berauschten sich an den lockenden Beeren des Chinabaumes. Mächtige schneeweiße Reiher segelten mit langsamem Flügelschlag dicht über die Oberfläche des Stromes hin oder standen in ernster Beschauung auf einem im Wasser liegenden Baumstamm, das Erscheinen eines kleinen Fisches abzuwarten. Die Natur feierte ihren Sabbat – nicht so der Mensch.

Auf der Straße, die am Mississippi hin zwischen dem hochaufgeworfenen Schutzdamm und den Pflanzungen liegt, wanderte, aus den Atchafalaya-Ansiedlungen herunterkommend, ein Zug Negersklaven – Männer, Frauen und Kinder – in doppelter Reihe und von einem mit Stieren bespannten Wagen gefolgt, der das Gepäck der Schwarzen führte. Zwar waren diese nicht gefesselt, nicht einmal mit Stricken aneinander gebunden; aber zu jeder Seite des Zuges ritten zwei mit geladenen Doppelflinten bewaffnete Aufseher, und auch der Führer der Karawane trug nicht allein Büchse und Messer, sondern auch noch zwei gewaltige Sattelpistolen im Gürtel.

Die Neger schienen diese ernste Umgebung aber wenig zu beachten; lachend und singend schritten sie nebeneinander her und vertrieben sich die Zeit mit Erzählungen und Possen.

War es Gleichgültigkeit gegen das Gewohnte, das ihnen bevorstand, war es der leichte, dieser Rasse überhaupt eigene Sinn, der sie nur mehr den frohen, arbeitsfreien Augenblick erfassen ließ; was kümmerte sie die Zukunft – sie waren Sklaven. Kein Plan, den sie selber fassen, kein Ziel, dem sie selber zustreben konnten, nützte ihnen etwas; aber der Moment war der ihre, und der durfte nicht ungenützt, ungenossen vorübergehen – er kehrte ihnen nie wieder, und morgen vielleicht schon krümmten sie sich aufs Neue unter der Peitsche des herzlosen Wächters.

Je höher indessen die Sonne stieg, desto lebhafter wurde es auch auf der Fahrstraße, und häufig sahen sich die Neger von Kreolen und amerikanischen Ansiedlern auf ihren kleinen feurigen Mustangs überholt, die einige Worte mit dem Führer wechselten, die Sklaven einen Augenblick musterten, an sich vorbei defilieren ließen und dann mit verhängtem Zügel, dem Laufe des Stromes folgend, auf das Gerichtshaus von Pointe-Coupé zusprengten. Dort hatte sich indessen der größte Teil der Pflanzer aus dem ganzen Parish versammelt, um der Versteigerung des „beweglichen“ und „unbeglichen“ Eigentums eines erst kürzlich am great bend verstorbenen Franzosen beizuwohnen, und der Verkauf begann bald darauf unter den üblichen Formalitäten mit der Pflanzung, den Gebäuden und dem „wilden Lande“ des Verblichenen. Indessen langten auch die Sklaven, einunddreißig an der Zahl, am Ort ihrer Bestimmung an und wurden von den Aufsehern teils einzeln, teils in Familien zur Besichtigung aufgestellt.

Die leichtsinnige Fröhlichkeit der Neger hatte sich jetzt verloren; die ernste Bedeutung der nächsten Stunde, die über ihr künftiges Schicksal entscheiden musste, schien sich ihnen aufzudrängen und man hörte unter den Unglücklichen nur dann und wann ein leises Flüstern. Mit ängstlicher Scheu flogen ihre Blicke von einem zum andern der sie prüfend betrachtenden Käufer, um im Voraus aus den Mienen zu lesen, welches Los ihrer harrte, wenn dieser oder jener sie erstehen sollte.

Endlich hob der Sheriff das Zeichen zum Beginnen, und ein kräftiger Neger mit breiten, gutmütigen Gesichtszügen und wahrhaft herkulischen Armen ward zuerst vorgeführt; ihm folgte ein junges, kränklich aussehendes Weib mit hohlen Augen und eingefallenen Wangen, die ein Kind an der Hand führte und einen Säugling auf dem Arm trug.

„Nero“, las der Richter aus dem Auktionsverzeichnis ab. „Nero, männlicher Sklave, fünfunddreißig Jahre alt, von kräftigem Körperbau und gesunder Leibesbeschaffenheit, seines Handwerks ein Schmied, weiß auch besonders gut mit der Axt umzugehen; Maria, seine Frau, achtzehn Jahre alt, vorzüglich, brauchbar im Baumwollenfeld; Scipio, Kind der beiden, drei Jahre alt – Säugling weiblichen Geschlechts.“

„Verkauft Ihr nicht den Mann allein, Richter?“, rief ein Pflanzer aus Felicianna Parish; „die Frau sieht verdammt dünn aus!“

Die Unglückliche presste ihr Kind an die Brust und schaute mit ängstlichem Blick im Kreise umher, und der Mann griff nach ihrer Hand, als fürchtete er, von ihr gerissen zu werden.

„Nein“, erwiderte der Richter, „die Familien werden nicht getrennt.“ Und mit einem tiefen, aus innerster Seele kommenden Atemzug erleichterte sich das Herz der Armen.

„Sechshundert Dollar!“, sagte ein Kreole vom Jalse River.

„Sechshundertfünfzig!“

„Siebenhundert!“

„Achthundert!“

„Tausend!“, rief ein kleiner runder Mann mit gemütlichem Antlitz, der eben erst die innere Einfriedung des Gerichtshofes hereingeritten und noch nicht einmal vom Pferde gestiegen war; der aber den unter dem Hammer befindlichen Sklaven kannte.

„Tausend Dollar!“, wiederholte der Sheriff, als eine augenblickliche Pause entstand. „Gentlemen, tausend Dollar – der Mann ist allein zwölfhundert wert!“

„Tausend und fünfzig!“, bot ein baumlanger Mann in blauem Frack und Rankingbeinkleidern.

Der Neger warf einen flehenden Blick auf den kleinen Dicken, den dieser auch zu verstehen schien, denn er nickte dem Sheriff zu und rief:

„Fünfzig mehr!“

„Master Turnbull“, sagte der Lange leise, indem er zu ihm trat, „überbietet mich nicht weiter, und wir werden nachher wegen des Mannes schon handelseinig werden.“

„Meint Ihr so?“, fragte Turnbull, ihn von der Seite betrachtend. „Wollt die Leute trennen, eh? Seid wohl ein Sklavenhändler?“

„Das ist mein Geschäft“, antwortete der Lange, „also lasst mich bieten, und wenn sie mir zugeschlagen sind, so wollen wir uns schon, wie gesagt, wegen des Schmieds vertragen. – Zwanzig mehr!“, rief er jetzt, seine Stimme erhebend und von Turnbull wegtretend.

„Hundert mehr!“, rief Turnbull, und die Augen der beiden Sklaven glänzten vor Freude.

„Geht zum Teufel!“, murmelte der Sklavenhändler und schritt auf die andere Seite, um die nächstfolgenden Neger zu betrachten.

„Zwölfhundert und zwanzig!“, rief der Sheriff. „Zwölfhundert und zwanzig zum Ersten, zum Zweiten und – zum – Dritten!“, wiederholte er und schlug bei dem letzten Wort mit seinem Stock auf das Geländer. „Mr Turnbull, sie sind die Ihrigen.“

In ängstlicher Spannung hatten die beiden Neger das Zuschlagen des Verkäufers erwartet; jetzt aber eilten sie voll freudiger Hast auf ihren neuen Herrn zu, denn Turnbull war als der gutherzigste Mann im ganzen Parish bekannt, fassten seine Hände, küssten und drückten sie und gebärdeten sich wie Kinder, die ein neues Spielzeug erhalten haben.

„Ich fürchtete schon, Massa möchte nicht kommen“, sagte Nero, während er aufs Neue die Hand seines jetzigen Herrn ergriff und dann das kleine feurige Tier, auf dem dieser ritt, streichelte.

„Fort mit euch, fort!“, rief Turnbull, sich ärgerlich stellend. „Packt euch! Hol’s der Henker! Ihr reißt einem ja fast die Kleider vom Leibe! Aber, Nero, geh mit deiner Frau hier nebenan in das Wirtshaus und lasst euch zu essen geben; sagt nur: für Turnbull.“

Damit wandte er sich der Versteigerung zu, die indessen wieder begonnen hatte, und die Sklaven, glücklich, einen so guten „Master“ erhalten zu haben, eilten, seinem Befehle Folge zu leisten.

Die Versteigerung ging jetzt ruhig ihren Gang, Turnbull erstand noch einen Knaben von zwölf und ein Mädchen von siebzehn Jahren, deren Eltern erst kürzlich gestorben waren; den Ersteren für vier-, die Letztere für sechshundert Dollar, und der Sklavenhändler kaufte zwei ganze Familien, die er, wie er sich äußerste, nach Kentucky führen wollte. Unter diesen war ein sechszehnjähriges, fast weißes Mädchen, die Tochter einer Mulattin, für die ihm mehrere Pflanzer eine ansehnliche Summe boten; er behauptete aber, im Norden noch einen viel höheren Preis für die schöne Südländerin erhalten zu können, und wandte sich, die niedergeschlagenen Sklaven seinen Aufsehern übergebend, nach der eben wieder anlangenden Fähre, um nach Bayou Sarah und von da mit einem dort liegenden Dampfboot den Mississippi hinaufzufahren.

„Warum steht denn Hawthorn so mürrisch dort, Turnbull?“, fragte diesen ein junger Pflanzer aus der Nachbarschaft. „Er hat gar nicht mitgeboten, und ich habe ihn schon ein paar Mal recht tief aufseufzen sehen.“

„Am ersten Montag im November soll sein Eigentum ebenfalls versteigert werden“, erwiderte Turnbull mitleidig, „da mag’s ihm wohl hier sonderbar ums Herz werden, wenn er denkt, wie ihm in vier Wochen dasselbe bevorsteht. Er hat sich in zu viele Spekulationen eingelassen und kann seine Schulden nicht bezahlen; mir tut’s leid um ihn, auch um die prächtigen Sklaven, die er hat – wohl an zweiundfünfzig Stück; die werden nun vereinzelt.“

„Das ist’s nicht, was ihm am Herzen nagt“, unterbrach ihn ein zu ihnen tretender Kreole. „Er hat mir’s eben anvertraut: Die Cholera ist auf seiner Pflanzung ausgebrochen, und wie er mir sagt, sind seit vorgestern Mittag bis heute Früh, wo er von Hause fortritt, schon siebzehn gestorben.“

„Teufel!“, riefen die beiden Männer erschrocken.

„Ja, ja, ’s ist kein Spaß“, beteuerte der Kreole. „Er sollte auch eigentlich gar nicht so unter anderen Menschen herumgehen; der Böse traue, er kann ja doch auch angesteckt werden.“

„Nun, das fehlte uns hier noch zu den schlechten Zeiten“, sagte Turnbull kopfschüttelnd, „ein bisschen Cholera unter den Negern, damit wir unser Eigentum recht schnell los werden, dann können wir mit den Freiwilligen nach Texas gehen – eine Büchse und ein Pferd werden wir ja wohl noch übrig behalten. Aber da kommt Hawthorn, er soll uns sagen, ob er die Sache für gefährlich hält.“

Der Mann, von dem sie sprachen, war von schlanker, fast schmächtiger Gestalt, mit bedeutend vorstehenden Backenknochen und grauen, lebhaften Augen, die keine fünf Sekunden auf einer Stelle hafteten, sondern in immerwährendem Kreislauf von einem der Versammelten zum andern flogen. Aber schwere Sorge schien auf seinem Herzen zu lasten, und sein Gesicht war bleich, seine Haare und sein ganzer Anzug nicht geordnet. Leicht grüßend, wollte er an den Männern vorübergehen, als Turnbull, der abgestiegen war und sein Pferd am Zügel führte, ihm in den Weg trat.

„Heh, Hawthorn, was ist mit Euch vorgegangen, seit ich Euch nicht gesprochen? Ihr sehr gar nicht mehr aus wie sonst. Bless my soul, Mann! Ihr müsst Euch einen konträren Wind nicht gleich so zu Herzen nehmen. Wer weiß, ob er nicht morgen schon aus einer besseren Ecke bläst.“

„Turnbull“, erwiderte der Pflanzer, indem er des freundlichen Trösters Hand ergriff, „ein Mann kann viel Unglück ertragen, und selbst das Schrecklichste, wenn es in seiner ganzen Furchtbarkeit auf uns eindringt, wird den Starken nicht leicht zu Boden werfen; kommt es aber nach und nach – tropfenweise immer wieder denselben Fleck verwundend, dann beugt es nicht mehr den Geist, dann vernichtet es die Spannkraft der Seele, und das Herz bricht welk und matt zusammen.“

„Mut, Hawthorn, Mut!“, rief Turnbull. „Wir leben in einem Lande, wo rasche Glücksfälle nichts Seltenes sind; eine einzige gute Spekulation kann Euch wieder so reich machen wie früher und reicher.“

„Mit mir ist’s aus!“, sagte der Amerikaner kopfschüttelnd. „Schon seit fünf Jahren verfolgt mich das Unglück. Damals begann es zuerst mit dem Misswuchs der Baumwolle; gut, euch allen ging es nicht besser; im nächsten Jahr aber brannte mir, wahrscheinlich durch einen Neger angezündet, die Cotton Gin (Baumwollen-Reinigungsmaschine) ab und mit ihr fast die Hälfte meiner Ernte; 1837 raubte mir die Viehseuche den größten Teil meiner Herden; im folgenden Jahre versuchte ich die Spekulation mit Texas, kaufte dort dreihundert Maultiere, wurde, wie Ihr wisst, von den Cumanches überfallen und beraubt und rettete nur durch ein Wunder meinen Skalp. Im vorigen Jahre ließ ich mich verleiten, mein Geld in der ‚Consolidated Bank‘ anzulegen, die gleich darauf ihre Zahlungen einstellte. Durch alles dieses nicht gebeugt, hoffte ich wenigstens mit dem Verkauf meiner Sklaven die Gläubiger befriedigen zu können und als ehrlicher Mann dazustehen; da bricht diese Seuche – mein Sohn, der Arzt, fürchtet sogar, es sei die Cholera – unter ihnen aus; und weiß Gott, ob ich nicht in acht Tagen ein Bettler bin.“

Er schwieg, und Turnbull sah ihm mitleidig ins Gesicht.

„Wenn Ihr nun aber Eure gesunden Sklaven in einen anderen Parish schafftet, dass diese der Seuche aus dem Wege kämen?“

„Darf ich’s denn?“, erwiderte Hawthorn. „Sie, wie all mein Eigentum, sind zum Verkauf ausgesetzt, und Ihr wisst selbst, dass ich jetzt kein Recht mehr habe, über sie zu schalten.“

„Ich will einmal mit Euch hinüberreiten“, sagte Turnbull nach einer Pause peinlichen Stillschweigens, „ich will’s selbst einmal mit ansehen.“

„Was nützt das?“, erwiderte Hawthorn. „Ihr könnt nicht helfen und – setzt Euch der Gefahr aus, angesteckt zu werden.“

„Ich begleite Euch dennoch, sei’s auch nur, um mich selber zu überzeugen, ob auch den benachbarten Ansiedlungen Gefahr droht. – Aber wen bringen sie denn da? Der Verkauf scheint noch nicht vorüber.“

Sein Ausruf galt einem, man könnte fast sagen in Ketten gehüllten Neger, der eben von dem Debuty Sheriff herbeigeführt wurde. Es war ein aufgefangener Mulatte, dessen Herr nicht ausgemittelt werden konnte. Er selbst behauptete, frei zu sein, vermochte sich aber in keiner Weise auszuweisen und sollte nun im Namen des Staates an den Meistbietenden verkauft werden. Die Ketten waren ihm angelegt, weil er schon dreimal, trotz aller Vorsichtsmaßregeln, aus verschiedenen Gefängnissen entkommen war und das letzte Mal den Schließer fast erschlagen hatte.

Jedermann scheute sich, ihn zu kaufen, und vergebens bot ihn der Sheriff lange für die niedrige Summe von zweihundert Dollar aus.

Ein Pflanzer aus der Nähe von New Orleans, der zufällig anwesend war, entschloss sich endlich, ihn zu nehmen und auf seiner Zuckerplantage zu verwenden. Er erstand ihn für zweihundert und einen Dollar.

„Bei mir kann er nicht entwischen“, lachte dieser, „er müsste denn die See durchschwimmen, und da halten meine Alligatoren schon Wache, prächtige Bestien in der Hinsicht. Sie haben mir freilich schon drei Sklaven zu Schanden gebissen, von denen einer ohne Bein und zwei ohne Arm mit genauer Not entkamen, den Übrigen war’s aber eine Warnung: Es ginge keiner bis an den Gürtel ins Wasser, und wenn er seinem Vater das Leben retten könnte. – Doch wie bekomme ich den Burschen nach Waterlow?“

„Dort habt Ihr gleich eine Gelegenheit“, sagte einer, „da kommt der kleine Franzose, der fährt den Brotwagen zurück, in den könnt Ihr ihn hineinlegen.“

„Das ist eine gute Idee!“, rief der Pflanzer von New Orleans, und den Sklaven an einem Ende der Kette haltend, führte er ihn dem Wagen zu, der eben, mit einem einzigen Pony bespannt, vorüberrasselte.

„Hallo! Ihr im Wagen da –“

Monsieur?

„Könnt Ihr meinen Sklaven mit nach Waterlow nehmen und dort bei G. Pleuvier abgeben?“

Impossible“, rief der Fuhrmann, „der Wagen ist gedrängt voll und nicht Raum für einen Hund mehr, viel weniger für einen ausgewachsenen Neger und anderthalb Zentner Ketten!“

„Wie wär’s, wenn wir ihn hinten anschlössen?“, meinte der Pflanzer. „Er braucht doch nicht zu fahren; richtig abliefern werdet Ihr ihn doch?“

Certainement!“, lachte der Kreole. „Schließt ihn hinten fest, dann kann er mit schieben helfen. Wenn er aber ans langsame Gehen gewöhnt ist, so tut’s mir leid, mich nicht richtig nach seiner Bequemlichkeit richten zu können; ich habe Eile, und da wird er schon ein bisschen laufen müssen.“

„Wie weit ist’s denn?“, fragte der Pflanzer.

„Nur sechs Meilen; ich fahre es in anderthalb Stunden.“

„Oh, wenn’s weiter nichts ist“, meinte jener. „Dabei werden ihm die Gelenke zugleich ein wenig geschmeidig.“

Ohne weitere Umstände ward der Unglückliche jetzt herangeführt und mit Hilfe zweier großer Vorhängeschlösser an das Hinterteil des leichten, mit blauer Leinwand überspannten Wagens befestigt. In kurzem Trab dann, dem sich der Gefesselte, wollte er nicht geschleift werden, fügen musste, und nur mit der Erleichterung, dass er wenigstens den größten Teil seiner Ketten auf dem Karren selbst liegen hatte, fuhr der Kreole mit seinem armen Schutzbefohlenen am Ufer hinunter.

Turnbull und Hawthorn hatten sich indessen übersetzen lassen und ritten durch Bayou Sarah und St. Francisville, beides kleine blühende Städtchen, der noch etwa sechs Meilen entfernten Plantage des Letzteren zu.

Dort aber sah es traurig und öde aus; alle Arbeiten waren eingestellt, die Hecken niedergerissen, die Fenster der Wohngebäude offen, als ob die Bewohner ausgezogen wären. Die Pferde weideten im Garten, traten die Blumen nieder und benagten die Obstbäume. Die sonst so liebliche Pflanzung glich mehr einem von Räubern überfallenen und geplünderten Platz als der friedlichen Niederlassung eines Louisiana-Landwirts. Hier und da standen die Neger in Gruppen beisammen und unterhielten sich miteinander, schienen sogar die Ankunft ihres Herrn nicht zu beachten; nur einer trennte sich von den Übrigen, kam auf die beiden Reiter zu und blieb vor Hawthorns Pferd stehen.

„Nun, Hannibal“, fragte dieser, „wie steht’s? Geht es besser mit den Kranken?“

„In den letzten drei Stunden sind vier gestorben, und William und Cölest liegen in den letzten Zügen“, erwiderte der alte Sklave eintönig und mit tiefem Schmerz. „Ich bin selber nicht wohl“, fuhr er nach kurzer Pause fort. „An Hannibal wird die Reihe nun wohl auch bald kommen!“

„Entsetzlich!“, rief Turnbull.

Hawthorn gab keine Antwort und starrte trockenen Auges düster und wild vor sich nieder.

Da öffnete sich die Tür eines kleinen Wohngebäudes, das im Mittelpunkt der Negerhütten lag, und zwei kleine Särge wurden von zwölf Negern die kleine Treppe heruntergetragen. Dem Zug schlossen sich die umherstehenden Neger an, und alle, Hannibal ausgenommen, der neben seinem Herrn blieb, verschwanden bald in einem kleinen Magnoliengebüsch, das die eine Seite der Pflanzung begrenzte.

„Und warum nur zwei Särge?“, fragte Hawthorn nach einer Pause, in welcher Turnbull mit unheimlichen Grausen den Leichen nachstarrte.

„Die Zeit ist zu kurz, Massa, für jeden Einzelnen einen Sarg zu zimmern. Sie sterben zu schnell; unsere sieben Zimmerleute, die wir noch haben – zwei liegen ja auch schon in jenem Hügel – mussten in den letzten Tagen überdies scharf genug arbeiten; es geht aber zu rasch, sie kommen nicht nach.“

„Gut, gut!“, schrie Hawthorn und winkte ungeduldig mit der Hand. „Macht’s wie ihr wollt; mir ist’s recht – wär’ ich auch zur Ruhe! – Wollt Ihr nicht einmal mit in mein Hospital?“, wandte er sich dann an Turnbull. „Es ist der Mühe wert, einen Blick hineinzuwerfen; wenn ich die Kranken einer ganzen Stadt in Verwahrung hätte, könnt’s nicht schlimmer aussehen. Ich habe meines Aufsehers Haus dazu geräumt und diesen in meine Wohnung genommen.“

„Danke, danke!“, sagte Turnbull, ängstlich einen Schritt zurücktretend. „Man soll sich doch nicht unnütz in Gefahr begeben; die Krankheit ist ansteckend, und ich möchte sie nicht gern nach Hause tragen. – Wer kommt aber dort geritten?“

„Es ist einer von meinen Negern“, erwiderte Hawthorn, „mein Aufseher sollte ihn heute Morgen auf die benachbarte Plantage nach Lebensmitteln schicken; ich sehe, er kehrt mit den Körben zurück.“

Der Sklave kam auf seinen Herrn zugeritten und warf die leeren Körbe vom Pferde.

„Was ist das, Scipio?“, fragte dieser erstaunt. „Warum bringst du das Bestellte nicht?“

„Wollten Nigger auf keine Plantage lassen!“, sagte der Angeredete in zornigem Ton. „War auf jeder, bei Lobkins, Whartons, Heckman, Sajer und wie sie alle heißen, sagten, Nigger solle zum Teufel gehen, er brächte die Pest mit!“

„Das dacht ich!“, seufzte Hawthorn. „Ich reite wieder mit Euch zurück, Turnbull“, wandte er sich rasch zu diesem. „Ich muss mich zerstreuen; bliebe ich einen Tag unter den Meinigen, ich würde wahnsinnig!“

„So kommt!“, sagte dieser, der nicht ungern die gefährliche Nähe der Kranken mied. „Vielleicht gibt’s noch Mittel und Wege, Euch zu helfen; ein rechter Mann darf nicht verzagen, solange er noch ein Pferd hat, auf dem er reiten, und einen Kopf, mit dem er spekulieren kann. Kommt mit mir zu den Meinigen, Ihr könnt Euch da ein wenig erholen, und vielleicht erschöpft sich indessen die Krankheit hier. Auf jeden Fall entgeht Ihr selber der Gefahr.“

Schweigend wandten die Männer ihre Pferde auf die Straße zurück und überließen den Platz seiner schauerlichen Öde und Einsamkeit; ehe sie aber die Lichtung noch verließen und den Wald betraten, hörten sie die wilden Klagegesänge der Neger, die ihre Freunde und Verwandten in die Gruft senkten.

Von den Bewohnern des Parish West-Feliciana betrat keiner mehr die Pflanzung des unglücklichen Hawthorn, und als die Todesnachrichten immer schreckenerregender eintrafen, als zuletzt die Nachricht kam, dass die Leichen unbeerdigt auf ihren Lagerstätten lägen, wurde ein richtiger Kordon gezogen.

 

Vier Wochen später, zu Ende des Monats Oktober, hatten sich eben mehrere Männer an der Landung von Bayou Sarah versammelt, um die Ankunft des Paketboots von New Orleans zu erwarten, als ein junger Pflanzer aus der Nachbarschaft herbeisprengte und sein Pferd einem dort stehenden Neger zum Halten gab. Es war der nächste Nachbar Hawthorns, und alle umdrängten ihn mit Fragen nach dem Schicksal des so schwer Geprüften.

„Er hat vollendet!“, sagte dieser, traurig im Kreise umherblickend.

„Was? Tot?“, riefen alle, wie aus einem Munde.

„Tot!“, wiederholte der Pflanzer. „Ich komme eben von dem Ort, wo eine der noch gesunden Sklavinnen an jedem Morgen die Nahrungsmittel holte – an jedem Morgen weniger – und hörte das Entsetzliche. Vorgestern starb der Letzte seiner männlichen Sklaven, sein treuer Hannibal, der sich noch, stets mit den Kranken beschäftigt, unglaublich lange aufrecht gehalten. Hawthorn, dessen Sohn ebenfalls bis dahin jeder Ansteckung entgangen war, konnte den Verlust des treuen Dieners nicht überleben und schoss sich heute Morgen, wie mir das Mädchen erzählte, eine Kugel durch den Kopf.“

„Fürchterlich!“, riefen alle.

„Sein Sohn, sagte die Negresse, sei der Verzweiflung nahe und mache sich jetzt die bittersten Vorwürfe, dass er keinen andern Arzt beigezogen.“

„Gehangen sollte der Bursche werden!“, rief Turnbull, der eben hinzugeritten war. „Lange hab ich’s dem Alten gesagt, der Bursche verstehe nichts. Nein, da musste er an den Niggern herumquacksalbern, bis er sie alle glücklich unter der Erde hat. Wenn ich einer von den Gläubigern wäre, sollte er seinem Schicksal nicht entgehen. Was denken denn diese überhaupt jetzt zu tun? Wie steht es mit dem Verkauf am nächsten Montag?“

„Gott weiß es!“, erwiderte ihm der Kaufmann von Bayou Sarah. „Seit die Pest dort wütet, hat niemand wieder an den Verkauf gedacht. Ich gehöre auch mit zu den Gläubigern, aber seit etwa vierzehn Tagen haben wir das Wachen aufgegeben. Im Anfang behielten wir die Plantage gut im Auge, weil wir nicht ohne Grund vermuteten, Hawthorn möchte sich und die Neger nach Texas oder sonst wohin in Sicherheit bringen. Das ist nun freilich nicht mehr zu befürchten, und obgleich ich viel Geld dabei verliere, tut mir der arme Teufel doch leid.“

„Und wo ist sein Sohn, der Doktor?“

„Er soll“, erwiderte der Pflanzer, „nach des Vaters Selbstmord sein Pferd bestiegen haben und fortgesprengt sein, niemand wisse wohin.“

„Wir müssen morgen auf jeden Fall einmal hinaus!“, rief Turnbull nach kurzem Bedenken. „Das geht nicht länger, wir können es vor Gott und der Welt nicht verantworten, die wenigen Menschen, die noch dort sind, ohne Rettung und Hilfe zu lassen. Die Krankheit muss sich erschöpft haben.“

„Ich gehe nicht mit“, beteuerte der Pflanzer. „Heute Morgen konnte ich, als der Wind gerade von dort herüberblies, die Leichen riechen – mir graust’s bei dem bloßen Gedanken daran!“

„Ich gehe auch nicht“, sagte der Kaufmann, „ich habe bei der Sache schon genug eingebüßt, will nicht auch noch mein Leben wagen.“

Alle hatten einen Vorwand oder sagten gerade heraus, dass sie sich vor Ansteckung scheuten, und Turnbull musste seinen menschenfreundlichen Plan aufgeben, da er allein nichts hätte ausrichten können.

Wie sah es aber indessen auf der Plantage aus, die, von jedem gemieden, dem bösen Geist verfallen schien?

Öde Stille herrschte dort, die Aasgeier umkreisten, in engen Zügen, eine der niederen Negerhütten und flogen in die benachbarten Bäume, um von dort aus mit lüsternen Augen den Platz zu betrachten, wo ihrer, ohne die Latten, welche die Eingänge versperrten, ein herrliches Mahl gewartet hätte.

Jetzt sank die Sonne hinter den Wipfeln der Magnolien in ihr grünes Bett, düsterer und unheimlicher wurde es auf der verlassenen Ansiedlung, und hier und da glitzerte schon ein matter Stern von dem blauen Himmelsgewölbe nieder – als schnell, aber vorsichtig, aus verschiedenen Richtungen, fünf Neger, in dunkle Decken gehüllt, auf dem Platz erschienen und sich Hawthorns Wohnhaus näherten.

An der Hintertür angekommen, schlug einer derselben mit seinem Messer an eine alte blecherne Kaffeekanne, die dort scheinbar nachlässig hingeworfen war, und wiederholte das Zeichen fünf Mal, ehe sich die Tür öffnete, aus der, ganz im Anzug der westlichen Backwoodsmen, mit ledernem Jagdhemd, Leggins, Mokassins, Büchse und Messer, Hawthorn heraustrat und, einen Augenblick auf der Schwelle stehen bleibend, scharf umherblickte.

„Alles sicher, Hannibal?“, fragte er dann, sich zu einem der eben Gekommenen wendend.

„Ja, Massa“, erwiderte der treue Sklave. „Es hat jetzt keine Not mehr, im Dunklen wagt sich nun gar niemand mehr auf diesen verrufenen Platz. Aber es ist Zeit zum Aufbrechen!“

„Und hast du Boote besorgt, ist der Weg durch die Magnolienschlucht frei? Trafst du deine Vorsichtsmaßregeln, im Fall wir jemandem begegnen?“

„Alles besorgt, Massa!“, erwiderte Hannibal mit großer Selbstzufriedenheit. „Der junge Gentleman hält bei den Booten mit William und Scipio und noch sechs anderen, und wir Übrigen sind genug, unser ganzes Gepäck zu transportieren, denn das, was wir in der letzten Nacht in den Sumpf ans Ufer des Mississippi schafften, liegt sicher und wir können es einladen, wenn wir daran vorbeirudern.“

„So lass uns eilen, mein Bursche!“, sagte Hawthorn lächelnd, indem er dem alten Sklaven freundlich die Schulter klopfte. „Es soll dein Schade nicht sein, Hannibal, dass du mir so treu und eifrig dienst – euer aller nicht. Aber jetzt fort! Die Minuten sind kostbar, wir haben noch einen langen Weg vor uns.“

Auf seinen Wink eilte Hannibal nach dem verlassenen Hause zurück, schloss die Tür auf und rief einige Worte hinein. Gleich darauf ward es in den scheinbar öden Räumen lebendig, ein wirres Getöse von Stimme schallte daraus hervor, und eine Menge Neger, Männer, Weiber und Kinder, drängten sich jubelnd ins Freie.

„Halt da!“, rief Hawthorn lachend, indem er abwehrend den Arm emporhob. „Die Toten dürfen keinen solchen Spektakel vollführen, dass den Lebenden kein Ärgernis gegeben werde. Friede, Kinder, bis wir in Texas sind! Dann sollt ihr jubeln und springen, jetzt haltet mir Ruhe. Hannibal und Nelson werden euch die Sachen zeigen, die zu den Booten getragen werden müssen, und bleibt hübsch im hartgetretenen Fußpfad, dass die Spuren nicht am Rande sichtbar sind.“

Mit regem Eifer gingen die Schwarzen ans Werk, und in kurzer Zeit hatte jeder seine Last aufgeladen; das Zeichen wurde gegeben, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Dicht an der westlichen Grenze von Hawthorns Plantage begann ein kleines Dickicht von immergrünen Stechpalmen und prachtvollen Magnolien, das sich wohl drei Meilen lang an den beiden Seiten einer tiefen Schlucht hinzog, die einen kleinen Bach dem niedern Talland und durch dieses dem Mississippi selber zuführte.

In dieser Schlucht hin und durch die dicht mit Rohr bewachsene Niederung führte ein schmaler Fußsteg zu einer kleinen, seit langer Zeit nicht mehr bewohnten Blockhütte, in der früher einmal ein Mord vorgefallen war.

In dieser Hütte hatte der umsichtige Hannibal die in voriger Nacht zum Ufer geschafften Waren bringen lassen, und jetzt schlich er sich leise den Weg entlang, von den Lastträgern gefolgt, die geräuschlos und schnell hinter ihm herschritten. Es war eine herrliche Nacht zu einem solchen Unternehmen; trüber, feuchter Nebel verhüllte wie mit einem dichten Schleier die Sterne, von denen nur selten einer sich durch die feuchten Dünste Bahn brach, und fern rollender Donner verkündete ein nahendes Gewitter.

Hawthorn folgte anfangs dem Zug mit der Büchse auf der Schulter, drängte sich aber jetzt an den langsam vorwärtsschreitenden Negern hin durch die Büsche, um an der Spitze der Schar noch einige Anordnungen mit Hannibal zu treffen, als dieser plötzlich stehen blieb und mit vorgestrecktem Finger auf etwas Weißes im Gebüsch zeigte.

There!“, flüsterte er mit kaum hörbarer Stimme. „Schießt, Massa, schießt auf den weißen Fleck; der gehört nicht in den Wald hier!“

„Wer da?“, rief der Amerikaner und trat, die Büchse im Anschlag, mit gespanntem Hahn einen Schritt vor. „Wer da? Oder ich schieße!“

Einen Augenblick schien die Gestalt noch unschlüssig zu sein, was sie tun solle, die Gefahr war aber zu dringend, um lange zu zögern, und mit festen Schritten trat sie auf Hawthorn zu und stellte sich ihm gerade gegenüber.

„Rally!“, rief dieser überrascht. „Was führt Euch hierher?“

„Der Verdacht, dass nicht alles mit Euch so sei, wie das Gerücht ging!“, antwortete der junge Mann. „Hawthorn, Hawthorn, Ihr habt ein schändliches Spiel gespielt, und Euch zur Strafe hat mich Gott hierher gesandt!“

„Höll’ und Teufel!“, rief Hawthorn zähneknirschend. „Euer Bundesgenosse, der saubere Morris, hat wohl den Plan entworfen, mir hier aufzulauern? Was bekommt Ihr als Lohn?“

„Wohl stand ich früher zu diesem Zweck in Morris’ Diensten“, antwortete Rally, sich hoch aufrichtend, „aber jetzt weiß er nichts von meinem Tun; aus eigenem Antrieb begab ich mich hierher. Ich ahnte die Schändlichkeit. Glaubt aber nicht, der gerechten Strafe zu entfliehen, und erntet dann den Fluch, den Ihr gesäet habt!“

„Meint Ihr?“, sagte Hawthorn mit verbissenem Zorn, als sich jener von ihm wandte. „Meint Ihr wirklich, ich sei Tor genug, Euch jetzt so fortzulassen, damit Ihr die Nachricht in alle Welt ausstreutet? Pest! Ihr müsst mich für einen verdammten Narren halten.“

„Wagt es, mir zu nahen!“, rief der junge Mann und riss eine Pistole aus dem Gürtel. Im selben Augenblick umschlang aber auch Hannibal mit eisernem Griff von hinten seinen Arm, und trotz des heftigen Sträubens und Hilferufens sah sich der Überlistete in wenigen Minuten gebunden und geknebelt.

„Schreibt das Eurer Torheit und Keckheit zu“, sagte Hawthorn, als er sich von ihm wandte, um wieder an die Spitze des Zuges zu treten. „Ihr werdet jetzt auf jeden Fall die Reise bis zur Grenze von Texas mitmachen und dann vielleicht klüger werden.“

„Zweifle sehr“, sagte Hannibal mit einem heimtückischen Blick auf den jungen Kreolen.

„An was?“, fragte Hawthorn, sich scharf umdrehend.

„Dass – dass er klüger wird“, antwortete der Schwarze zögernd, übergab den Gebundenen zwei seiner Getreuen und eilte Hawthorn nach.

Sie erreichten jetzt die Niederung; der heiße Sommer hatte aber, mit Ausnahme einiger tiefer Stellen, die wie kleine Seen durch schmale Arme miteinander in Verbindung standen, den Sumpf ausgetrocknet, und ohne bedeutende Unterbrechung setzten sie ihren Weg fort, bis sie zu den überhängenden Weiden des Flussufers kamen. Der tief tönende Ruf einer Eule schallte ihnen entgegen; Hannibal antwortete mit dem täuschend nachgeahmten Lauten des Whippoor-will, und gleich darauf trat der junge Doktor Hawthorn aus dem Dickicht und begrüßte freudig die Kommenden.

„Alles in Richtigkeit?“, fragte sein Vater, sich nach den Booten umsehend.

„Alles“, entgegnete der Doktor. „Es ging vortrefflich, kein Mensch hat uns bemerkt oder ahnt überhaupt nur, dass wir noch über der Erde wandeln.“

„Einer doch“, sagte der Vater; „Den bringen wir aber geknebelt.“

„Kennt ihr ihn?“, rief der Doktor.

„Gewiss, es ist Rally, der junge Kreole.“

„Höll’ und Teufel! Der Spion, dessen fluchwürdiger Wachsamkeit wie es allein zu danken haben, dass wir nicht schon vor vierzehn Tagen das Land verlassen konnten – Morris’ Geschöpf! Und was gedenkt ihr mit ihm zu tun?“

„Ihn bis zur Grenze von Texas mitzunehmen“, sagte der alte Hawthorn.

„Oder wenigstens ein Stück Weges“, murmelte Hannibal für sich. „Soll mir des Schurken Bewachung anvertraut werden?“, fragte er lauter.

„Mach es, wie du willst“, erwiderte Hawthorn, zu den Booten hinuntergehend; „halte ihn nur so, dass er uns nicht verraten kann.“

„Ay, ay!“, lachte der Neger, und auf seinen Wink trugen einige der Schwarzen den sich aus allen Kräften sträubenden Gefangenen in das kleinste der Boote hinunter.

„Bindet ihm die Füße fest, so!“, sagte Hannibal. „Nun zu Schiffe, wir müssen vor Tagesanbruch an dem anderen Ufer in Sicherheit sein, also wenigstens noch fünfzehn Meilen stromauf rudern. Darum rasch, my boys, rasch!“

Mit regem Eifer legten sich die Schwarzen, vier junge Männer, in die Ruder, und bald darauf lagen sie, im Schatten einiger gewaltiger Baumwollenbäume, unter dem kleinen gefürchteten Häuschen.

Auf das gegebene Zeichen trat Hawthorns Aufseher, der hier bei den Waren gewacht hatte, ans Ufer, und nach dem Austausch weniger Worte begann das Laden der Boote. Darauf zogen sie, von einem frischen Südwind begünstigt, die Segel auf und glitten, so nahe wie möglich am Ufer, um die stärkere Strömung zu vermeiden, den Mississippi hinauf.

Hannibal hatte mit vier Negern, die er ausgewählt, das kleinste Boot genommen und in dieses den Gefangenen gelegt, der noch immer, fest gebunden und geknebelt, sich nicht zu rühren vermochte. Vermöge der Schnelligkeit seines Fahrzeugs hätte der Neger wohl voraus sein können, absichtlich aber ließ er das breite, kurze Segel ein wenig flattern, blieb eine Taulänge hinter den Übrigen zurück und hielt etwas mehr in den Strom hinaus. Das stärkere Plätschern am Bug verriet bald, dass das kleine Boot jetzt gegen die ganze Wassermasse anarbeitete, und nachdem er die Segel wieder straffgezogen, dass es jeden Lufthauch, der von dem Golf von Mexiko heraufwehte, fasste, berührte er die Schulter seines Gefangenen, der in scheinbarer Teilnahmslosigkeit auf dem Boden des Fahrzeugs lag.

„Massa Rally!“, sagte der Sklave, und ein teuflisches Lächeln überflog seine Gesichtszüge. „Massa Rally, erinnert Ihr Euch wohl, wie Ihr Hannibal im letzten Frühjahr in Bayou Sarah binden und prügeln ließet, weil er nicht Wache stehen wollte, während Ihr der Frau Eures Freundes Gesellschaft geleistet? Ihr hattet damals freilich eine andere Ausrede: Der dammed nigger war unverschämt gewesen, sollte sogar gedroht haben, und das forderte Strafe. Mein Master war nicht da, und Ihr wusstet die Gesetze auf Eurer Seite.“

Der Weiße biss ingrimmig die Zähne aufeinander und hob das Auge finster fragend zu der über ihn hingebeugten dunklen Gestalt empor – einen Augenblick war es, als ob er reden wollte, dann aber sank er wieder in seine frühere Stellung zurück, und der Neger, der ihn lauernd beobachtet hatte, fuhr fort:

„Erinnert Ihr Euch dann auch noch, wie Ihr vier Wochen später auf meinen Bruder mit Entenschrot schosset, weil er, obgleich in Bayou Sarah von jedem Kinde gekannt, ohne Pass hinübergekommen war und sich durch die Flucht auf seine Plantage zurück einer vierundzwanzigstündigen Haft entziehen wollte? Ihr hattet ebenfalls die Gesetze auf Eurer Seite; was kümmerte es Euch, dass der arme Teufel monatelang unter Schmerzen das Lager hüten musste. Erinnert Ihr Euch an das alles?“

Der Gefangene sah mit scheuem, wildem Blick zu der dunklen Gestalt empor, die sich mit immer drohenderem Ausdruck über ihn hinbog, rührte sich aber nicht.

„Gut“, fuhr Hannibal mit unterdrückter Stimme fort, „Ihr habt das sicher nicht vergessen, und der Tag sei gesegnet, an dem ich meinen armen Bruder rächen kann. –Befehlt Eure Seele Gott, denn Ihr lebt keine Viertelstunde mehr.“

Mit immer ängstlicherem Herzklopfen hatte der Geknebelte den drohenden, Unheil verkündenden Worten des Negers gelauscht, aber noch geglaubt, er werde die ihm für kurze Zeit gegebene Macht nur dazu benutzen, dem Weißen seinen Grimm und Hass ins Antlitz zu werfen. Jetzt aber, da er vor seinen entsetzten Blicken das Entsetzlichste auftauchen sah, als ihm eine fürchterliche Ahnung seines Schicksals dämmerte, versuchte er mit der Kraft, die nur Verzweiflung gibt, seine Banden zu sprengen und sich zu befreien.

Hannibal aber hatte das vorausgesehen, die Stricke waren unzerreißbar, und nach einigen Minuten nutzloser Anstrengung sank der Unglückliche, kalten Todesschweiß auf der Stirn, in seine vorige Lage zurück.

„Alles vergebens!“, lachte Hannibal, indem er ein frisches Stückchen Kautabak in den Mund schob. „Ans Werk, ihr Burschen, fort mit ihm! Wir müssen wieder in stilleres Wasser zurück, sonst verlieren wir die Übrigen; ich kann schon jetzt nicht mehr ihre Segel erkennen. Helft ihm über Bord!“

Die Neger befolgten schnell, und wie es schien, mit freudigem Eifer, den gegebenen Befehl; der Unglückliche wurde trotz seines Sträubens aufgehoben, hing einen Augenblick schwebend in ihren kräftigen Fäusten und flog dann, von einem lauten „A-hoy-y“ des Führers begleitet, in die hochaufspritzende und über ihm zusammenschlagende Flut.

Hannibal hatte indessen das Segel losgebunden, dass es im Winde flatterte, der Kahn, nicht mehr stromauf getrieben, hielt in seinem Lauf inne, und aufmerksam beobachteten die Neger, wie der Ertrinkende wieder auftauchte, untersank und noch einmal emporkam. Als sich die trübe Flut auch diesmal über ihm schloss, ergriff Hannibal, ohne weiter ein Wort zu äußern, das Steuerruder, und mit geschwelltem Segel flog das leichte Boot, von einem scharfen Südwind getrieben, dem Ufer zu und glitt an diesem schnell und geräuschlos hinauf.

Der Morgen dämmerte schon, als die Flüchtlinge an der Mündung des kleinen Flusses anhielten, der unterhalb Tunica in den Mississippi fällt.

„Hier ist der Platz“, sagte Hannibal, der jetzt wieder zu seines Masters Barke gesegelt war; „wenn wir den Tag über beilegen wollen, findet in diesen Dickichten keine Seele unser Versteck. Morgen Nacht können wir dann den Atchafalaya erreichen, ausladen und die Reise zu Land fortsetzen, ehe die furchtsamen Kreolen es gewagt haben, die ‚Pesthöhle‘, wie sie unsere Plantage in der letzten Zeit getauft, zu betreten. Was sie für Augen machen werden, wenn sie die toten Kühe in der Hütte finden!“

„Gut“, erwiderte Hawthorn, „wir wollen deinem Rat folgen, aber die Wachtposten nicht vergessen. – Hast du den Gefangenen auch sicher verwahrt?“

„Sicher!“, erwiderte Hannibal und glitt mit seiner kleinen Barke zuerst in die Flussmündung.

 

Fünf Wochen nach diesem Vorfall erhielt Turnbull folgenden Brief aus Texas:

Texas, 4. Dezember 1840

My dear Sir! – Da Sie der einzige Mann in Texas sind, dessen Meinung mir nicht gleichgültig ist, fühle ich mich gedrungen, Ihnen eine kurze Erklärung meines scheinbar unrechtlichen Betragens zu geben, die mich zum Teil in Ihren Augen rechtfertigen oder doch wenigstens das Urteil mildern wird, das Sie bereits in Ihrem Herzen über mich gefällt haben.

Sie wissen, in welch verzweiflungsvoller Lage ich mich befand; dass ich auf dem Punkt stand, durch öffentlichen Verkauf alles zu verlieren, was mir zu meinem Leben und einstigen Fortkommen unumgänglich nötig war; ich sah mich am Rande eines Abgrundes, aus dem mich eigene Energie allein nie wieder hätte hervorreißen können. Ich musste die Mittel zum Wirken, zur Tätigkeit behalten, und diese war ich im Begriff, durch die Habgier meiner Gläubiger, besonders jenes Morris, zu verlieren. Von den Spionen desselben umlagert, blieb mir kein Ausweg, als ein Mittel zu ersinnen, Freund wie Feind von meiner Plantage zurückzuschrecken. Das aber konnte nur durch eine Krankheit geschehen, die scheinbar fürchterliche Verwüstungen unter meinen Sklaven anrichtete, während mich die Furcht der dortigen Ärzte vor der Seuche begünstigte, meinem eigenen Sohn die Heilung der vermeintlichen Pest zu überlassen.

Leicht bewog ich meine treuen Neger, mir beizustehen; denn gelang mein Plan, so konnten sie alle in meinem Besitz bleiben. Ich hatte sie stets gerecht und gütig, ja väterlich behandelt, wogegen bei einer öffentlichen Versteigerung ihr Schicksal ganz ungewiss war und sie, die größtenteils durch Familienbande verkettet sind, auf jeden Fall auseinandergerissen worden wären. Hannibal war mir in dieser Sache besonders nützlich; sein kluger Kopf leitete die ganze Verschwörung. Leere Särge wurden in Bereitschaft gehalten, und sobald sich ein Fremder auf der Pflanzung zeigte, anfangs unter feierlichem Gepränge, später mit düsterem, unheilverkündendem Schweigen begraben, wozu die Weiber ihre Totengesänge heulten. Bald erreichten wir unsern Zweck; die Nachbarn zogen einen Kordon, um sich vor Ansteckung zu wahren, und wir lebten von der Zeit an ziemlich sicher. Den Verdacht aber noch zu stärken, töteten wir ein paar Kühe und hielten die Aasgeier davon ab, sodass einer, der sich dem Platze näherte, den Verwesungsgeruch unfehlbar wittern und glauben musste, es seien die unbeerdigten Leichname der so schnell hintereinander Verschiedenen.

Unser Plan glückte; wir schifften uns ein, segelten den Mississippi hinauf, lagen während des ersten Tages in einem Schilfbruch, der uns und unsere Kähne verbarg, versteckt, erreichten in der zweiten Nacht den Atchafalaya und fuhren nun diesen, ohne weiter eine Entdeckung zu befürchten, hinunter. Unfern des Mexikanischen Golfs sollten wir Maultiere finden, mit deren Hilfe wir die Reise zu Lande fortzusetzen gedachten. Vergebens harrten wir aber einen ganzen langen Tag auf die versprochenen Lasttiere, sie kamen nicht, wohl aber ein Dampfboot, das uns auf eine viel leichtere und schnellere Art an das Ufer des ersehnten Landes trug.

In Houston angekommen, wanderten wir frohen Mutes weiter ins Innere, und jetzt schallt schon von allen Seiten der Axtschlag meiner Neger und das Prasseln der überwundenen Stämme.

Texas ist noch ein junges, kräftiges Land, und mit den Mitteln, die mir gegenwärtig zu Gebote stehen, habe ich die besten Hoffnungen, in kurzer Zeit wieder ein wohlhabender Mann zu sein und nach und nach meine Schulden bezahlen zu können – ohne dabei selbst an den Bettelstab zu kommen. – Erinnern Sie sich auch nur Ihrer eigenen Worte, lieber Herr: „Ein rechter Mann darf nicht verzagen, solange er noch ein Pferd hat, auf dem er reiten, und einen Kopf, mit dem er spekulieren kann.“

Noch nenne ich Ihnen meinen Aufenthaltsort nicht, obgleich ich nicht besorge, einen meiner Gläubiger hier zu sehen. Ich will es erst zu was Tüchtigem gebracht haben; dann sollen Sie aber von dem alten Hawthorn hören, und ich hoffe, wir werden noch in späteren Zeiten, sei es in Texas oder in Louisiana, manches Glas Brandy zusammen trinken und manches freundliche Wort miteinander wechseln.

In herzlichster Freundschaft indessen

Ihr

verstorbener und wieder erstandener

William Hawthorn.

Der Hurricane

Am Fuß der Ozarkgebirge, dort, wo sich die schroffen, felsigen Klippen weit hineinstrecken in die dicht mit Laubholz bewachsenen Niederungen, nicht weit vom Ufer des Mulberry entfernt, der schäumend und brausend gegen die scharfen Eiskanten antobte, mit denen der ungewöhnlich strenge Winter ihn einzuhemmen gedachte, wanderten zwei weiße Jäger, in ihre wollenen Decken gehüllt, den Fluss entlang und schienen einen Platz zu suchen, an dem sie auf die andere Seite übersetzen konnten.

Zwei kräftig aussehende Gestalten waren’s, wie sie so mit den Büchsen auf der Schulter daherschritten; und die zierlich ausgefransten Leggins, die fest anschließenden und sorgsam besohlten Mokassins bewiesen, dass sie sich den Sitten der Wälder angepasst hatten und nicht zu jenen „Landjägern“ gehörten, die in damaligen Zeiten schon anfingen, die westlichen Teile des Staates zu durchstöbern, um die bestgelegenen Länderstrecken auszufinden und anzukaufen oder doch wenigstens in Beschlag zu nehmen.

„Bill!“, rief endlich der eine von ihnen, indem er stehen blieb. „Unser Suchen hilft weiter nichts, du siehst, ich hatte recht: Der Fluss dehnt sich hier zu breit, um noch einen Baumstamm darüber hinliegend zu finden, und wollte ich wirklich mit meinem kleinen Tomahawk an die Arbeit gehen und eine dieser am nächsten zum Uferrand stehenden Platanen fällen, sie würde nicht ausreichen. Ohnedem steigt dort hinten ein schweres Unwetter herauf, und ich glaube, es wäre gerade kein Fehlgriff, wenn wir Anstalt träfen, diese Nacht besser hinzubringen als die vorige; es wird bitter kalt werden.“

„Ärgerlich bleibt’s doch“, erwiderte unmutig Bill dem Bruder, „dass wir die Schlucht da drüben nicht mehr erreichen sollen; denn erstens fänden wir dort in einer der zahlreichen Höhlen ein herrliches Nachtquartier, und dann wollte ich auch gern nach einen Bären umherspüren; sicher liegen dort einige im Bau. Das Wasser ist nur zu verteufelt kalt, um durchzuschwimmen zu können, und mit dem Unwetter wird’s auch wohl seine Richtigkeit haben, also – ans Werk, hier liegen alte Bäume genug, und ein Rindendach wird leicht gebaut sein.“

„Es liegen mir hier fast zu viele Bäume“, erwiderte Tom, sich dabei überall umschauend. „Die noch stehenden scheinen überdies morsch und faul; ich lagere nicht gern in so unheimlicher Nähe, du weißt, welche Geschichte uns der Vater einmal darüber erzählte.“

„Torheit!“, lachte Bill. „Können wir einen besseren Lagerplatz finden? Der kleine Bach führt sein schnellfließendes Wasser gerade hier vorüber, Holz liegt im Überfluss dicht herum, der junge Baumwuchs wird herrliche Zeltstangen geben und die Rinde dort ist ausgezeichnet zu einem Dache.“

Tom machte weiter keine Einwendungen; die Stelle sah zu einladend aus, und bald waren beide emsig beschäftigt, eine rohe Lagerstatt, für diese Nacht wenigstens, zu errichten, die ihnen gegen das immer mehr und mehr heraufziehende Unwetter Schutz bieten sollte. Unter so geübten Händen ging die Arbeit leicht vonstatten, und die nächste halbe Stunde fand beide neben den an die Glut gesteckten Fleischscheiben unter ihrem schnell hergerichteten Dache.

„Es ist sonderbar, wie kalt es plötzlich wird“, brach Tom endlich das Schweigen. „Sieh nur, das Wasser im Blechbecher ist schon hart gefroren und der Wind hat sich ganz nach Nordost gedreht; bläst auch verwünscht scharf.“

„Lass ihn blasen!“, gähnte Bill, sich fest in seine breite Decke einhüllend. „Ich bin müde und will schlafen. Gute Nacht, Tom! Lege noch ein paar Äste nach, ehe du dich ebenfalls einwickelst, und wer morgen Früh zuerst aufwacht, weckt den andern.“

 

Mitternacht war vorüber und das Feuer ziemlich niedergebrannt. Die beiden Brüder schliefen aber sanft und fest, und der eisige Nordwind, der über die mit Schnee bedeckten Bergkuppen ins Tal stürmte, konnte ihren Schlummer nicht stören. Schwere Wolkenmassen hatten sich jedoch jetzt, von verschiedenen Seiten heraufschwellend, gesammelt; finster drohend hingen sie über dem ängstlich rauschenden Wald, und leise schwankend schüttelten und neigten die gewaltigen Bäume ihre blattlosen Wipfel, wie in banger Ahnung des nahenden Sturmes.

Da leuchtete ein greller Blitzstrahl aus dem schwarzen Firmament hernieder und ein schmetternder Schlag folgte fast augenblicklich dem Vernichtungsboten. Eins jener fürchterlichen Wintergewitter war im Anzug, und heulend raste der entfesselte Orkan durch die engen Schluchten der Gebirge daher.

„Bill!“, rief Tom, entsetzt emporspringend. „Bill, steh auf, wir dürfen nicht liegen bleiben. Sieh, wie die alten Stämme wanken und – hörst du dort? Da kracht schon einer nieder.“

„Hallo!“, entgegnete Bill, schnell munter und die Decke abwerfend. „Hat’s uns erwischt? He, Tom, halte das Dach! Verdammt will ich sein, wenn’s der verwünschte Nordwester nicht mit uns fortnimmt!“

Seine Besorgnis war nicht ganz unbegründet, denn in demselben Augenblick jagte ein so jäher Windstoß durch die gegenüberliegende Schlucht daher, dass er das Lager in einem Nu halb abdeckte und glühende Kohlen und Funken weit hinein in die dunkle Nacht trieb.

Wieder zuckte ein Blitz hernieder und der Donner übertäubte den heulenden Sturm. Da schien es plötzlich, als ob die Erde aus ihren Angeln wiche und die Fugen krachten, in denen sie zusammengehalten würde. Aus weiter Ferne kam es daher, erst undeutlich, mit dumpfem Prasseln, wie tausendfacher Kanonendonner, dann näher und näher tobend, in wildem, entsetzlichem Schmettern und markerschütternden Schlägen.

„Allmächtiger Gott, ein Hurricane!“, schrie Tom erschreckt auffahrend, denn in demselben Augenblick raste der Orkan heran. Die Riesenstämme, die Jahrhunderten getrotzt, neigten sich wie dünnes Rohr, und in einem Herz und Seele betäubenden Schlag brach der ganze Wald, von der Hand des Höchsten gemäht, zusammen.

Weiter wütete die Windsbraut, weiter in entsetzlicher Schnelle. Meilen breit warf sie die hundertjährigen Eichen wie Binsen zu Boden, Meilen lang bahnte sie sich, verwüstend und zerstörend, ihren ziellosen Pfad; aber Schweigen, grabesähnliche Stille folgte ihrem Zuge und herrschte über dem wild durcheinander geworfenen Baumchaos. Kein Lüftchen regte sich mehr, und die Todesruhe nach diesem grässlichen Aufruhr der Elemente durchzuckte das arme Menschenherz mit fast noch ängstlicheren Schauern, als es selbst in dem fürchterlichsten Treiben der Windsbraut empfunden hatte.

Bill war wie durch ein Wunder selbst der geringsten Beschädigung entgangen. Dicht an einen gewaltigen, schon darniederliegenden Stamm angeschmiegt, diente eine über diesen fortgestürzte Eiche nur zu seiner Rettung, indem sie die überall niederschlagenden kleineren Äste und Bäume von ihm abhielt.

Jetzt aber, sobald die erste, dringendste Gefahr vorüber war, rief er, in die Höhe springend, ängstlich und von banger Besorgnis erfüllt, nach dem Bruder.

„Tom! – Bruder Tom! Antworte doch – Tom! Großer Gott – hätte dich denn ein so fürchterliches Schicksal ereilt?“

Nein – wohl ihm, wenn das sein Los gewesen wäre! Er lebte noch – und seine matte Stimme schallte aus gar nicht weiter Entfernung an das ängstlich lauschende Ohr des Jägers.

„Allerbarmer!“, schrie dieser, als er ein paar im Weg liegende Stämme übersprungen hatte und nun, mit einem flammenden Kienbrand in der Rechten, vor dem Gesuchten stand.

„Allerbarmer!“, wiederholte er in fast wahnsinnigem Schmerzruf und verhüllte sich sein Gesicht mit der Hand, denn neben ihm, bleich wie eine Leiche, mit beiden Schenkeln unter dem zersplitterten Stamm einer ungeheuren Eiche begraben, lag sein Tom, sein Bruder, der Gespiele seiner Jugend, der Liebling seines Herzens.

„Es ist recht kalt!“, flüsterte der Unglückliche und schaute bittend zu dem Jäger in die Höhe, der, scheinbar, jeder weiteren Bewegung unfähig, wie aus Stein gehauen neben ihm stand. „Es ist recht kalt; Bill, kannst du nicht ein wenig Feuer herbringen?“

Diese Worte lösten die erstarrende Rinde, die das Herz des fast Bewusstlosen umspannt hielt. „Bruder!“, schrie er. „Bruder!“, und stürzte jammernd auf den verstümmelten Körper des Geliebten nieder.

„Du tust mir weh, Bill!“, bat dieser. „Mein Arm schmerzt – und es ist so kalt.“

„Warte – du sollst Feuer haben – schnell, in wenigen Sekunden!“, rief Bill, rasch emporspringend. „Bleibe nur noch einen Augenblick liegen, ich hole Kohlen und dann helfe ich dir auf – nur eine Minute Geduld!“

In wilder Hast floh er zu dem noch lodernden Lagerfeuer zurück. Ach, er sah nicht das matte, schmerzliche Lächeln, das sich über die Züge des Unglücklichen stahl, als er diesen bat, „Geduld zu haben“. In wilder Eile raffte er an Kohlen und Bränden auf, was er erfassen konnte; Jagdhemd und Hände versengte die Glut – er achtete es nicht und flog zurück zur Seite des Bruders. Dürre Äste lagen dort im Überfluss umher und in wenigen Minuten loderte ein helles, erwärmendes Feuer neben dem Stamm empor, unter dessen Riesenlast der Arme lebendig begraben lag.

Bill übersah jetzt mit schauderndem Blick das ganze fürchterliche Elend, und in fast wahnsinniger Anstrengung warf er sich an den Baum, den Hunderte von Menschen nicht hätten lüften können, und versuchte mit einzelner Kraft das Unmögliche.

„Bill!“, sagte da Tom leise. „Komm hierher – komm, gib mir deine Hand – so – das ist recht. – Und nun, Bill – hast du mich recht lieb?“

Ein krampfhafter Druck von des Bruders Hand beantwortete diese Frage – reden konnte er nicht, mit Gewalt zurückgepresste Tränen hatten jeden Laut erstickt.

„Willst du mir dann eine Bitte erfüllen?“, bat Tom schmeichelnd, den Widerstandslosen leise zu sich hernieder ziehend.

„Eine Bitte?“, flüsterte Bill. „Was könntest du bitten, das ich dir nicht erfüllen würde, wenn es in meinen Kräften stände?“

„Versprichst du mir, sie zu erfüllen?“

„Was hast du?“, fragte ängstlich erstaunt der Jäger.

„So nimm deine Büchse“, bat Tom, „und – mache meinem Leiden ein Ende!“

„Tom!“, schrie jener, entsetzt aufspringend.

„Mache meinem Leiden ein Ende!“, flehte bittend der Unglückliche. „Bill, Bruder, wenn du mich je geliebt hast, so beweise es jetzt – lass mich hier nicht langsam und qualvoll verschmachten.“

„Ich will dich retten, und kostete es mein eigenes Leben!“, rief Bill. „Noch heute Abend kehre ich mit Hilfe zurück.

„Das ist nicht möglich!“, erwiderte, traurig den Kopf schüttelnd, der Arme. „Die nächste Ansiedlung ist, in gerader Richtung, wenigstens fünfzehn Meilen von hier entfernt; der Weg aber, den du einschlagen müsstest, um all die Klippen und Abhänge zu umgehen, ist zwanzig. Und kämest du wieder – brächtest du fünfzig Leute mit dir – was könnten sie mir nützen? – Meine beiden Schenkel sind zersplittert, und der nächste Arzt wohnt in jenem Hunderte von Meilen entfernten Flecken Little Rock, nach dem wir kaum die Richtung wissen. – Bill, willst du mich hier tagelang liegen und nachher elendiglich umkommen sehen?“

„Fordere mein eigenes Leben, Tom, und du sollst es mit Freuden haben, aber verlange nicht so Schauderhaftes von mir; noch muss Rettung möglich sein. – Ich habe meinen Tomahawk – ich kann diesen Baum zerhacken, ich kann ...“

„Vermagst du solche Wunden zu heilen?“, unterbrach ihn Tom und deutete mit der Hand auf seine Schenkel. Es war ein fürchterlicher Anblick, und der Bruder sank zusammenschaudernd auf die Knie nieder.

„Ich kann dich nicht morden!“, stöhnte er leise.

„Und nennst du das Mord? O, Bill“, fuhr er mit verbissenem Schmerz fort. „Solltest du nur die Qualen ahnen, die ich jetzt ausstehe, du würdest Erbarmen haben, würdest mich nicht umsonst bitten lassen.“

„Ich will dir die Büchse geben – mache mich nicht zum Brudermörder“, stöhnte Bill.

„Mein rechter Arm ist ebenfalls gebrochen; ich kann nicht – selbst wenn ich wollte!“

„Tom!“, schluchzte der starke Mann, indem er sich neben den Bruder niederwarf. „Was verlangst du von mir?“

„Was tatest du neulich mit Nestor, als ihm der Bär die Weichen aufgeschlagen hatte?“

„Ich erschoss ihn!“

„Er war dein Lieblingshund!“

Bill antwortete nur durch Schluchzen.

„Und hattest du ihn lieber als mich?“, fragte Tom jetzt fast vorwurfsvoll.

„O, warum folgte ich nicht deiner Warnung, als wir gestern Abend an diesen unglückseligen Platz kamen? Warum vermied ich nicht die abgestorbenen Bäume, die uns drohend überall umstanden? Warum ...?“

„Bill“, unterbrach ihn der Unglückliche, „willst du mich von meiner Qual befreien?“

„Ich will“, weinte der Arme am Halse des Bruders.

Lange und innig hielten sich noch die beiden umschlossen, als aber Tom endlich versuchte, ihn leise von sich zu drücken, klammerte sich jener nur noch fest an ihn an. Da dämmerte im Osten der Tag, die Sonne beschien das Chaos der wild übereinander gestürzten Baummassen.

„Lass uns scheiden“, flüsterte Tom, „sei ein Mann!“ Freundlich drängte er jetzt den Bruder von sich, und dieser stand auf.

„Wohl denn – es sei!“, rief er. „Ich sehe, du hast Recht – Rettung ist nicht möglich. Ich weiß auch, ich hätte im gleichen Fall von dir dasselbe begehrt – und du hättest es mir ebenfalls nicht verweigert. – Bete noch einmal zu Gott – und – bete auch für mich – dass er mir den Brudermord vergebe.“

Bill schwankte fort, um die Büchse zu holen, kehrte aber nach wenigen Minuten mit festem, sicherem Schritt zurück. In der Linken das Gewehr, schwang er sich mit der Rechten über die zerstreut umherliegenden Stämme und stand gleich darauf neben dem freundlich zu ihm Emporschauenden.

„Ich bin bereit!“, lächelte dieser jetzt. „Zittere nur nicht! – Gott lohne dir den treuen Dienst – lebe wohl!“ Er reichte ihm mit abgewandtem Gesicht die linke, gesunde Hand.

„Bruder!“, rief im fürchterlichsten Seelenkampf der Gemarterte und sank noch einmal an seine Brust, noch einmal hielten sie sich krampfhaft umschlungen.

Da bat Tom leise: „Zögere nicht länger!“

Mit raschem Sprunge war der Jäger auf den Füßen, riss die Büchse an die Backe und – lag im nächsten Augenblick ohnmächtig neben der Leiche des Erschossenen.

 

Was bleibt nun noch zu erzählen? Soll ich beschreiben, wie er erwachte und Ast nach Ast auf den Leichnam des Bruders häufte, damit Wolf und Panther nicht den gierigen Zahn an die geliebten Überreste legen konnten; wie er fortschwankte und monatelang, von Freunden gepflegt, in wilder Fieberfantasie mit dem Tode rang?

Nein, genug des Schmerzlichen.

Nicht lange mehr peinigte ihn nachts in wilden Träumen das blutbedeckte Antlitz des Bruders, dass er mit lautem Angstschrei vom Lager emporsprang und fliehen wollte – auf einem Streifzug gegen marodierende Indianer der Creek-Nation machte eine mitleidige Kugel seinem Leben ein Ende, und die Freunde begruben ihn dort, wo er fiel.

Aber sein Andenken hat sich in der Gegend noch erhalten, und wenn der Jäger am Abend sein Lager aufschlägt und ängstlich den prüfenden Blick zu den Riesenstämmen emporwirft, die ihn überall drohend umgeben, dann öffnet ihm wohl, und sei er sonst der roheste und wildeste der Schar, ein stilles Gebet die Lippen, und er flüstert leise:

„Gott bewahre mich vor dem Schicksal des armen Tom!“

Die Silbermine in den Ozarkgebirgen

Der Donner rollte dumpf und drohend über den hohen Gipfeln der Ozarkgebirge hin, schmetternd sein Echo fordernd aus den dunkeln Schluchten und die Nebel niederpressend in die engen, schroff in die Hänge gerissenen Täler. Der Blitz zischte dabei grell und flammend an den Felsen nieder, der ganzen wilden Landschaft mit dem falben Lichte des scheidenden Tages eine eigene, unheimliche Beleuchtung gebend. Der Regen rasselte in Strömen auf die dichtbelaubten Eichen und Hickories nieder, wurde aber trotzdem von dem durstigen Boden aufgesogen, ehe er das tiefliegende Bett des kleinen Flüsschens Hurricane erreichen konnte, in dem das Wasser selbst jetzt nur in einzelnen kleinen Lachen stand.

Da klommen, als das Gewitter gerade den höchsten Punkt erreicht zu haben schien und Schlag auf Schlag, von vielfältigem Echo verdoppelt, in den Schluchten dahinraste, zwei Jäger, in große, weiße wollene Decken gehüllt, die die ganze Figur, fast bis auf die befransten Mokkasins hinunter, bedeckten, an den steilen Seitenwänden nieder, welche den Hurricane von seinen Quellen bis dahin, wo er sich in den Mulberry ergießt, umgeben. Sie hielten auch nicht eher, als bis sie sich auf dem untersten, terrassenförmigen Vorsprung befanden, von dem aus sie das steinige Bett des Flusses, das dicht in die ihn starr und steil umgebenden Felsen eingezwängt liegt, übersehen konnten.

„Hol der Henker den Sturm!“, brach endlich der Ältere von ihnen das Schweigen, indem er stehen blieb und, seine Decke zurückschlagend, das mit Leder bedeckte Schloss seiner Büchse untersuchte, ob es auch noch trocken und wohlverwahrt sei. „Er tobt ja heute zwischen den alten Stämmen, als ob er den ganzen Wald mit der Wurzel ausreißen wollte. Ich bin herzlich froh, dass wir den Fluss erreicht haben, denn mir sinken die Glieder fast von dem schnellen Marsch, und die scharfen Steine haben mir Mokassins und Füße zerrissen.“

„Also du weißt sicher“, fragte der Jüngere, dessen Name Thomson war, seinen wohl um zehn Jahre älteren Kameraden, „dass du auf der richtigen Fährte bist und dass die Spanier diesen Weg eingeschlagen haben?“

„Ich sah heute Morgen mit Tagesanbruch ihr Wachtfeuer unten an dem kleinen Schilfbruch, etwa anderthalb Meilen von hier, und hörte die Glocken ihrer Maultiere“, antwortete Preston.

„Und wie viel Männer, glaubst du, dass zu dem Zuge gehörten?“, fragte der andere bedenklich.

„Ich habe dir schon gesagt“, entgegnete der Ältere mürrisch, „dass, sooft diese Fremden nun schon hier gesehen worden sind, nie mehr als zwei Männer von der Mündung des Hurricane aufwärts gingen, obgleich acht oder neun, gewöhnlich am Ausfluss des Hurricane, die Rückkehr der beiden Erstgegangenen erwarten.“

„Ich kann aus der ganzen Geschichte nicht klug werden“, antwortete Thomson kopfschüttelnd, „und lieb wär’ es mir, wenn du mir jetzt einmal reinen Wein einschenktest und alles, was du davon weißt, erzähltest; denn da wir das Abenteuer zusammen bestehen wollen, möchte ich doch auch nicht gerne im Dunkeln tappen.“

„Gut“, erwiderte sein Kamerad, „der Regen hat ziemlich nachgelassen; so wollen wir denn zum Wasser hinunter gehen und dort unser Lager aufschlagen; bei einem guten Feuer und gehörig gebratenen Stück Hirschfleisch erzählt sich die Sache viel besser, und aufrichtig gesagt, werden wir wohl zum morgigen Tag unsere Kräfte noch etwas gebrauchen. Es fängt auch schon an, recht dunkel hier unten zu werden, und wir möchten das schwache Licht nötig haben, um schnell das nasse Holz in Brand zu bringen.“

Damit, und ohne die Antwort seines Gefährten abzuwarten, klomm er einen schmalen Hirschpfad, der an den Fluss hinunter führte, abwärts und stand bald, von jenem gefolgt, an dem steinigen Bett des Hurricane, und zwar gerade da, wo dieser in einer Biegung und in Folge einer unterirdischen Quelle, ein kleines Becken von tiefem, obgleich gegenwärtig durch den Regen etwas getrübtem Wasser enthielt.

Das Gewitter ließ jetzt nach; weit im fernen Norden verhallte der Donner, und an vielen Stellen schaute der blaue, azurne Himmel durch die weißlich grauen Wolkenschleier, die, von einem frischen Südostwind gejagt, in langen, wehenden Streifen über das Tal hinwegzogen.

Wenig aber schienen sich die beiden Männer des schönen Abends zu erfreuen, sondern waren nur eifrig bemüht, ein Feuer anzumachen, um sowohl bei der erwärmenden Glut Schutz gegen die keineswegs milde Nachtluft zu finden, als auch einige Stücke rohes Hirschfleisch, das Preston in einem frisch abgestreiften Fell umhängen hatte, zum Abendessen zuzubereiten.

Thomson schlug jetzt Feuer an und entzündete einen, wohl mit Pulver eingeriebenen Lappen, während Preston kleine trockene Späne herbeibrachte, die er mit seinem Tomahawk aus einem umgestürzten, verdorrten Baume herausgehauen hatte. In wenigen Minuten flackerte auch, durch vereintes Blasen und Schwenken erweckt, eine schwache Flamme empor, die, durch schnell und sorgsam nachgelegte Stücke genährt, bald zur hohen, erwärmenden Glut emporloderte.

Die Jäger hingen nur ihre Decken zum Trocknen an in den Boden gestoßene Stangen, sammelten von den umherliegenden, oft schon halb verfaulten Stämmen einige Rinde, die sie auf die Erde breiteten, um nicht auf dem nassen Boden liegen zu müssen, steckten dann dünn geschnittene Scheiben Hirschfleisch auf zugespitzte Hölzer nahe an die glühenden Kohlen, und suchten die Zeit, in welcher das Fleisch briet, zu benutzen, sich selbst ein wenig zu trocknen und auszuruhen.

Beide Männer waren in einfache, dunkelblaue Jagdhemden, aus grobem wollenen Zeug verfertigt, gekleidet, doch hatte der Jüngere noch eine Art Garnitur von kurzen, hellgelben Fransen an dem seinigen, mit der es am Kragen, an den Ärmeln und an allen Nähten besetzt war. Sie trugen lederne Leggins oder Gamaschen und Mokkasins, und in ihren ledernen Gürteln, welche die Jagdhemden zusammenhielten, staken die breiten, langen Bärenmesser. – Prestons Kopf war mit einem alten, abgetragenen Filzhut bedeckt, während Thomson ein hellfarbiges Tuch fest um die Schläfen gebunden hatte, dass sein dunkles, lockiges Haar sich oben hindurchdrängte.

Ihre langen Büchsen, mit darüber hinhängenden Kugeltaschen, hatten sie an einen jungen Baum gelehnt, und warfen sich nun selbst, müde und matt von der gehabten Anstrengung, auf die Rindenstücke ans Feuer, dass die verdunstende Feuchtigkeit ihres Anzuges in dichten Dampfwolken von ihnen emporstieg.

„Nun, Preston“, begann Thomson nach einiger Zeit, nachdem er sich eins der mit Fleisch besteckten Hölzer hingenommen, von den rohen Stücken die gargekochten, dünnen Streifen abgeschnitten hatte, und das Übrige wieder zum Feuer zurück steckte; „rücke mit deiner absonderlichen Erzählung einmal heraus, nenne die Gefahren und sage den möglichen Gewinn, dann werde ich dich auch wissen lassen, ob ich mit von der Partie bin oder nicht.“

„Wissen lassen – Partie sein oder nicht?“, fragte verwundert der also Angeredete, indem er sich auf einem Ellbogen emporhob und den jüngeren Kameraden staunend anschaute. „Sind wir denn hier in Sturm und Ungewitter hergekommen, damit du jetzt noch zweifelhaft wärest, was du tun oder lassen solltest? Wartest du vielleicht nur noch darauf, eine etwas weniger günstige Beschreibung des Ganzen zu hören, um wieder ruhig heimzukehren und mir allein die Entdeckung zu überlassen, an die ich, wie du weißt, nun einmal mein Leben gesetzt habe?“

„Nun, nun“, lachte Thomson, „nur nicht so hitzig! Heraus mit der Sprache: Du weißt, ich bin gewöhnlich der Letzte, der einen einmal gefassten Beschluss wieder aufgibt. Also klar und deutlich denn – was haben wir zu hoffen? Damit wir schnell und kräftig unsere Maßregeln treffen können.“

„Gesprochen wie ein Mann“, antwortete der Ältere, wieder in seine behagliche ruhende Stellung zurückgleitend. „Und nun erfahre denn auch alles, was ich von dem ganzen geheimnisvollen Leben und Treiben der Spanier weiß, denen ich jetzt schon Jahre lang nachspüre. Aber noch nie hat ein Fuchs einen Hound mehr zum Narren gehabt und öfter von der Fährte abgebracht, als diese verwünschten Señores mich, der ich ihnen nicht weniger treu und gierig gefolgt bin.

Du weißt, dass schon seit Jahren die Cherokesen von einer Silbermine gesprochen haben, die sich irgendwo an den Wassern des Hurricane befinden und außerordentlich reichhaltig sein soll. Nie aber konnten alle nur erdenklichen Versprechungen auch nur einen von ihnen bewegen, den Platz genauer zu beschreiben, da nach ihren Gesetzen der Tod auf dem Verrat stand, trotzdem, dass doch keinem von ihnen das Geheimnis mehr etwas nützen konnte.

Einige Spanier aber müssen im Besitz desselben sein, denn schon seit langen Jahren (seit drei Jahren beobachte ich sie selber) kommen mehrere in lange mexikanische Mäntel gehüllte Gestalten mit drei oder vier Maultieren an die Mündung des Hurricane, wo der größte Teil derselben in dem fast undurchdringlichen Dickicht, von dem der Fluss seinen Namen hat, lagert.

Zwei steigen dann mit den Tieren den Berg an der linken Seite des Flusses hinauf, ziehen aus der zweiten Terrasse von oben fort, durchschneiden dort den „flat mountain“ oder die mehrere hundert Schritt breite offene Stelle am Abhang des Berges, dem kleinen Rohrdickicht gegenüber, das etwa eine Meile von hier den Fluss hinauf liegt, wenden sich dann wieder ins Tal, indem sie ihre Maultiere in dem Rohrdickicht ausgehobbelt lassen, und suchen dann die Mine aus, die, Gott weiß wo, aber sicher in dieser Gegend liegen muss.

Nach vierundzwanzig Stunden schon kehren sie gewöhnlich mit schwerbeladenen Tieren zu ihrer Gesellschaft zurück und sind dann wieder für zwölf Monate verschwunden. – Drei Jahre nun passe ich ihnen schon auf und habe, wenn sie fortzogen, mit unermüdlicher Sorgfalt ihren Spuren nachgeforscht, beide Seitenwände des ganzen Flussbettes von oben bis unten durchwühlt, fast keinen Stein unumgewendet liegen gelassen, als ob sämtliche Bären von Arkansas nach Würmern gesucht hätten, und – alles vergebens. Vom Schilfdickicht aus waren sie mehrere hundert Schritt bergan gestiegen, hatten sich aber dann so zwischen den Felsen und dem Gestein gehalten, dass jede Spur verschwand und mein Auge, sonst keineswegs eins der schlechtesten, ihrer Spur nicht weiter zu folgen vermochte.

Zwei Jahre hintereinander machte ich solch vergebliche Versuche, und zu meiner Schande muss ich’s gestehen, dass mich auch eine von den Nachbarn erweckte Furcht abhielt, meinen Nachforschungen den gehörigen Erfolg zu sichern. Diese erzählen den finsteren Spaniern nämlich viele schauerlich klingende Geschichten nach, dass sie zum Beispiel, um ihr Geheimnis zu bewahren, Menschenblut nicht geachtet haben sollen, und einst einen einsamen Jäger, der sie zufällig bei ihren Arbeiten überraschte, ermordet hätten, und andere dergleichen schreckliche Geschichten.

War ich allein, so übermannte mich stets unwillkürlich eine fast weibische Furcht, wenn ich solchen Mordes gedachte, und scheu blickte ich dann wohl umher, hinter jedem vorspringenden Felsen oder umgestürzten Baumstamm die gespannte Büchse eines der dunkeläugigen Schufte vermutend.

Jetzt ist das etwas anderes; wir sind unserer zwei und sie sind zwei. Finden wir den Platz, wo sie graben, und sie entdecken uns und zeigen sich feindselig, wohl, so schießen unsere Büchsen so sicher wie die ihrigen, vielleicht noch sicherer. – Nehmen sie aber Vernunft an, desto besser, mich verlangt nicht nach Menschenblut, und es wird genug Silber für uns alle vier vorhanden sein; aber wissen muss ich den Platz, und umsonst will ich nicht Jahre lang damit vergeudet haben, ihren Spuren nachgeschlichen zu sein, ohne meinen Zweck erreicht zu haben.“

Preston schwieg und schaute sinnend, über seinen Plänen brütend, in die zusammenfallenden Kohlen, während Thomson einige Minuten ebenfalls tiefes Schweigen beobachtete und mit seinem breiten Jagdmesser allerlei Figuren vor sich in die Erde grub; endlich wandte er den Kopf halb zu seinem Gefährten herum und frug, während er dabei die Spitze seines Messers auf den ledernen Leggins reinigte und sich damit die Zähne stocherte:

„Wann wollen wir aufbrechen?“

„Sobald der Mond aufgeht, und das geschieht ein Viertel nach zwölf“, lautete die Antwort; „dann müssen wir dem Lauf des Flusses stromaufwärts folgen, bis wir an das Schilfdickicht kommen, und dort dasselbe umlauern, bis die Spanier, mit dem edlen Metall beladen, zu ihren Tieren zurückkehren. Sie werden den Weg oft machen müssen, und unserer Schlauheit ist es jetzt anheimgestellt, das Ganze friedlich, das heißt unbemerkt – oder feindselig, wenn entdeckt – abzumachen. Hunde haben sie nicht mit sich, von diesen ist also keine Entdeckung zu fürchten, und finden wir den Platz, so sind wir gemachte Leute.“

„Gut!“, rief Thomson, aufs Neue ein mit Fleisch bestecktes Holz vor sich hinpflanzend, welchem Beispiel diesmal sein ernsterer Jagdgefährte folgte. „Gut – ich bin dabei – es ist wenig Mühe und Gefahr und die Hoffnung auf ungeheuren Gewinn; da widersteh’ ein anderer. Wir wollen uns nur noch tüchtig stärken und ein halb Stündchen schlafen, denn wer weiß, wie wir’s nötig haben werden; kommt dann der Mond, so haben wir wieder Kräfte und ertragen, was uns in den Weg kommt, leichter und mit frischerem Mute.“

Schweigend beendeten die beiden Männer ihre Mahlzeit, schürten dann das Feuer auf, das, von dürrem Holz genährt, hoch emporloderte, hüllten sich in ihre Decken und versuchten, ihre Körper zu den bevorstehenden Anstrengungen auszuruhen.

Der Jüngere war bald sanft eingeschlafen, und sein tiefes, regelmäßiges Atmen bewies, wie wenig er die Gefahr, der er entgegenging, kannte, oder wenn er sie kannte, wie furchtlos er sie erwartete. Der Ältere wickelte sich zwar auch in seine Decke und schien, den Kopf auf ein Stück faulen Holzes gelegt, zu schlummern, seine Augen aber waren und blieben geöffnet und sinnend schaute er hinauf zu den Myriaden von Sternen, die oben vom dunkeln Nachthimmel friedlich und freundlich auf ihn herabfunkelten.

Endlich erhellte sich an den östlichen Bergkuppen der Himmel – der Mond musste gleich erscheinen; da hob sich Preston von seinem harten Lager, dehnte und streckte die Glieder, weckte seinen Kameraden und ging dann zum nur wenige Schritte entfernten Wasser, sich Gesicht und Hände darin zu baden, um mit klaren Augen und hellem Verstand den gefährlichen Weg anzutreten.

Thomson sprang auf und folgte seinem Beispiel. Beide wickelten dann ihre Decken zusammen und hingen sie sich über die Schulter, nahmen ihre Büchsen, schütteten frisches Pulver auf die Pfanne und waren so gegen alles, was ihnen entgegentreten mochte, gerüstet.

„Sollen wir nicht lieber im Tale hingehen?“, fragte jetzt Thomson, als er sah, dass Preston an einigen steilen Felsstücken hinaufkletterte, um eine der Terrassen zu erreichen.– „Wir haben auf jeden Fall besseren Weg und können schneller fortkommen; denn, hol’s der Henker, so in der Nacht zwischen den scharfen Steinen mit zerrissenen Mokkasins umherzuklettern, ist eine verteufelt böse Sache – meine Füßen brennen mir schon jetzt wie Feuer.“

„Wir müssen uns aus eben dem Grunde zwischen den Felsen halten, aus dem die Spanier den raueren Weg gewählt haben – um alle Fährten zu vermeiden. Bleiben wir unbemerkt, so ziehen wir uns leise und vorsichtig zurück und erregen nicht den Verdacht der Fremden, die sicher, wenn sie auch nicht den Talweg einschlagen, doch hinunterspüren, ob sie keine verräterischen Fußspuren dort entdecken können.“

Mit rüstigen Schritten, ohne weiter ein Wort laut werden zu lassen, stieg der Ältere jetzt voran und Thomson, wohl einsehend, dass der erfahrenere Kamerad Recht habe, folgte, dann und wann nur, wenn er gerade auf einen recht spitzigen Stein getreten war, seinen Schmerz mit einem halb unterdrückten Fluch beschwichtigend.

Eine kleine Stunde mochten sie so langsam fortgestiegen sein, der Mond goss freundlich vom hohen Himmel herab sein silbernes Licht durch den Wald, als Preston anhielt und, nach vorn deutend, seinem Kameraden zuflüsterte, dass dort das Schilfdickicht sei und er den Klang eines Glöckchens zu hören glaube. Klar und deutlich drang auch jetzt der feine, reine Ton einiger kleinen Schellen durch die stille Nacht, und die Männer hielten, um sich über ihr weiteres Vorschreiten zu beraten.

„Sind sie denn auf der rechten oder linken Seite des Flusses?“, fragte Thomson leise seinen Kameraden, der aufmerksam dem Schall der Glocken horchte, um zu wissen, wie viele Tiere sie diesmal mit sich führten.

„An der rechten“, flüsterte Preston zurück, „wenigstens gingen jedes Mal an dieser ihre Fußspuren hinauf. Aber“, unterbrach er sich, „horch doch einmal, wie viele Glocken du hörst – das bimmelt ja untereinander herum, als wenn es fünf oder sechs wären.“

Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschten jetzt beide dem vermischten Klange, der aus dem Tal zu ihnen heraufdrang, bis Thomson endlich das Schweigen brach und leise vor sich hinmurmelte, dass er vier verschiedene Glocken gewiss höre.

„Und mir ist’s, als wären’s fünf“, erwiderte eben so leise Preston.

„Nun, zum Teufel, so lass es zehn sein!“, entgegnete unmutig Thomson. „Wir sind einmal hier und auf ein paar Spanier mehr oder weniger wird es jetzt auch nicht ankommen. Wir stehen hier auf Onkel Sam’s eigenem Grund und Boden; und haben die Fremden, im Fall sie uns entdecken sollten, böse Absichten, so mögen sie sich’s selber zurechnen, wenn wir mit unserem Blei freigebig sind. – Aber was hast du denn da?“, fragte er, sich unterbrechend, seinen Kameraden, der sich dicht niederbog und den Boden genau zu untersuchen schien.

„Eine Spur, so wahr ich lebe, und von einem beschuhten Fuß!“, rief Preston. „Sie müssen hier hinaufgegangen sein.“

„Pst“, flüsterte Thomson, seinen Arm ergreifend und festhaltend, „ich höre Schritte.“

In gespannter Erwartung horchten beide jetzt auf, und deutlich und immer näher kommend klang das Geräusch eines langsam bergan steigenden Mannes zu ihnen her.

Lautlos schmiegten sie sich an die Erde, auf der sie standen, hinter einige zerstreut umherliegende Felsstücke und erwarteten die Gestalt, die, in einen braunen langen Mantel gehüllt, den Kopf mit einem breitrandigen schwarzen Filzhut bedeckt, langsam die Terrasse, an deren Rand die zwei Jäger lagen, erklomm, dort stehen blieb, sich etwa fünf Minuten lang vorsichtig umschaute, nach allen Himmelsrichtungen hinhorchte und dann einen leisen, aber vernehmlichen Ruf, den Ton der Eule nachahmend, dreimal ertönen ließ.

Er wurde einmal aus dem Rohrdickicht heraus beantwortet und darauf war alles wohl eine halbe Stunde lang still wie im Grabe; dann scholl derselbe Ruf wieder aus dem Thai heraus.

Die Schildwache, denn etwas anderes konnte die hoch aufgerichtete dunkle Gestalt, die, an einem Stamm lehnend, dem geringsten Laut zu horchen schien, nicht sein, antwortete wie das vorige Mal, stieg dann den Weg, den sie gekommen, wieder hinunter, und in wenigen Minuten, als ihre Schritte in der Entfernung verhallt waren, lag die ganze Gegend so einsam und verlassen, als ob sie noch nie von einem menschlichen Fuß entweiht worden wäre.

Wohl noch eine Viertelstunde blieben die beiden Männer in ihrem Versteck, dann aber, als alles sicher zu sein schien und sie glauben konnten, dass sich die Fremden wieder entfernt hätten, hob Thomson den Kopf, schaute einen Augenblick in das von dem jetzt hoch stehenden Monde erhellte Tal und wandte sich gegen seinen älteren Kameraden, der indessen ebenfalls aufgestanden war und wiederum nach dem Schloss seiner Büchse schaute, ob durch das Niederlegen des Gewehrs das Pulver nicht von der Pfanne gefallen sei.

„Nun, Preston, was hältst du von der Erscheinung? – Mir gefiel sie gar nicht; ich hatte einmal große Lust, vorzuspringen und dem langen Burschen das Messer in die Kehle zu stoßen – es wäre einer weniger gewesen!“

„Das würde so unbesonnen wie töricht gewesen sein“, entgegnete mit halb unterdrückter Stimme der Angeredete, „und hätte unsern ganzen Plan nicht allein verderben, sondern uns auch der Rache sämtlicher brauner Schurken preisgeben können. Nein – mir ist es jetzt klar geworden: Die Burschen müssen mit ihrer Beute im Tal herabkommen und zwar im felsigen Bett des Bergstromes selbst, sonst hätte ich in früheren Jahren ihre Spur gefunden, und dieser lange Gesell war nur hier oben aufgestellt, um sie vor irgendeiner Überraschung von unten her zu sichern, während sie indessen ihre Last zum Sammelplatz brachten, um dort nachher alles bequem zusammen aufladen zu können.

Wir haben aber jetzt keine Zeit mehr zu verlieren, denn wer weiß, ob sie den Weg noch mehr als einmal machen, und finden wir sie nicht beim Graben beschäftigt, sodass ich mir den Platz genau merken kann, so hilft unser ganzer Zug nichts.“

„Sie können aber doch unmöglich all das beste Erz in der Nacht finden und werden sicher ihre Arbeit noch nach Tagesanbruch fortsetzen“, antwortete Thomson.

„Was sie am gestrigen Tage erbeutet haben, schaffen sie jetzt in Sicherheit und vernichten wieder alle Spuren, die sie hinterlassen könnten“, entgegnete Preston. „Nein, nein, auf Tagesanbruch dürfen wir nicht warten, überdies scheint es, als ob sie Verrat ahnten, was der Posten zur Genüge beweist. Komm also ins Tal hinunter, wir schleichen durch den Schilfbruch, wo sie schwerlich eine Wache zurückgelassen haben und folgen leise dem Lauf des Flusses. Finden wir sie bei der Mine beschäftigt, so merken wir uns den Platz und entfernen uns wieder so schnell und leise wie möglich, denn ich vermute nicht ohne Grund, dass sie diesmal in stärkerer Anzahl als gewöhnlich da sind. Lass sie dann, was sie gesammelt haben, mit fortnehmen – wenn sie das nächste Mal wieder kommen, sollen sie’s schwerer finden, ihre ledernen Felleisen zu füllen als bisher, das Silber müsste denn haufenweis in den Bergen vorkommen.“

Die Jäger stiegen jetzt vorsichtig in das enge Flusstal hinab, und krochen, Schlangen gleich, in den nicht sehr dicht stehenden kleinen Schilfbruch hinein, aufmerksam dabei auf das Geringste achtend, was ihnen Gefahr oder Entdeckung drohen konnte.

Aber keine Wache war bei den Maultieren, die ruhig weideten und die Anschleichenden gar nicht zu beachten schienen, zurückgelassen, und hoch aufatmend erreichten sie wieder den offenen Wald oberhalb des Schilfes, wo Preston schnell weiter eilen wollte, als ihn Thomson am Arme hielt und frug, ob sie nicht lieber das Silber erst aufsuchen sollten, was die Spanier schon irgendwo hierher getragen haben mochten.

„Geh zum Henker mit deiner Torheit!“, entgegnete mürrisch Preston. „Nicht wahr, die Zeit hier mit Kinderspielen versäumen, um eine Sache aufzufinden, die wir nicht einmal anrühren dürfen, ohne augenblicklich Entdeckung fürchten zu müssen. – Komm, komm, wir können jeden Augenblick den wieder zurückkehrenden Schuften begegnen, und es wäre doch zu wünschen, dass wir sie hörten, ehe sie von unserer Nähe eine Ahnung hätten.“

Mit diesen Worten machte er sich von Thomsons Hand los und glitt mit unhörbarem Schritt über die runden, glatten Kiesel des Flussbettes, von seinem Kameraden ebenso geräuschlos gefolgt, wie zwei den Gräbern entstiegene dunkle Schatten der Unterwelt.

Wohl eine Meile mochten sie ungestört und ununterbrochen ihren Weg fortgesetzt haben, ohne auch nur das Geringste zu vernehmen, was die Nähe lebendiger Wesen hätte verraten können, als sie plötzlich, dicht vor sich, Stimmen hörten und kaum noch Zeit behielten, sich in den Schatten einer umgestürzten Platane zu werfen, ehe fünf dunkle Gestalten, mit kleinen Säcken auf den Rücken, die übrigens, dem gebückten Gehen der Männer nach zu urteilen, ein bedeutendes Gewicht haben mussten, ihnen gerade entgegenkamen und lautlos, von einem großen Stein auf den andern tretend, dem Schilfbruch zuwanderten. Als sie nur noch wenige Schritte von dem Versteck der Jäger entfernt waren, blieb der Führer stehen und richtete einige Worte in spanischer Sprache an die ihm Folgenden; gleich darauf aber setzte er wieder seinen Weg fort und war bald mit seinen Begleitern an einer Biegung des Hurricane hinter einer Felsecke verschwunden.

„Verstandest du, was der lange Schuft da in den Bart murmelte?“, fragte Thomson seinen neben ihm liegenden Gefährten.

„Nicht ein Wort“, entgegnete dieser, „es ist das erste Mal, dass ich Spanisch reden höre. Komm aber schnell, wir dürfen keinen Augenblick verlieren, vielleicht können wir die Mine noch entdecken, ehe jene zurückkehren, denn, hol’s der Teufel, es sind ihrer doch mehr, als ich dachte, und die Burschen führen scharfe, lange Messer.“

Schnell und leise verfolgten beide wieder wohl noch mehrere tausend Schritt den Lauf des kleinen Stromes, als Preston plötzlich stehen blieb und auf mehrere Hacken und Hämmer deutete, die zerstreut gerade in einem ausgetrockneten Teil des Flussbettes umherlagen.

„Da, beim Himmel!“, rief er, krampfhaft Thomsons Schulter erfassend, der neben ihn getreten war. „Wir sind im Nest!“

„Und was ist das Dunkle dort, was da unter dem Busch liegt?“, fragte Thomson, indem er mit vorgestrecktem Oberkörper der fraglichen Stelle näher trat und sich niederbog, um den Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte, zu erkennen. Aber mit einem Ruf des Schreckens und Erstaunens sprang er zurück, denn nur wenige Zoll von den seinigen entfernt blitzten ihm die dunkeln Augen eines Mannes entgegen, der auch in demselben Augenblick mit gezogenem Messer auf die Füße sprang und einen lauten Notruf ausstieß.

„Teufel“, schrie Preston, der bei der ersten Bewegung des Fremden sein Messer ebenfalls aus der Scheide gerissen hatte, „Teufel!“, und sprang von der Seite auf den Spanier los.

Gar verderblich würde aber der Sprung für ihn gewesen sein, hätte nicht zufällig die Büchse, die er in der linken Hand hielt, den sichern Stoß des Angegriffenen abgewandt, dem in demselben Augenblick das breite Messer des Jägers in der Brust saß, dass er aufschreiend zu Boden stürzte; im Falle selber aber riss er noch eine Pistole aus dem Gürtel und brannte sie auf den von ihm Zurückschreckenden ab.

Wohl fehlte die Kugel den, für welchen sie bestimmt war; doch zerschmetterte sie die linke Hand seines neben ihm stehenden Kameraden, die dieser eben erhoben hatte, um den Feind mit einem Kolbenschlage unschädlich zu machen.

Machtlos sank Thomsons Arm und seine Büchse rasselte in die Steine nieder; doch wie ein Tiger flog er auf den zum Tod Getroffenen zu und stieß dem schon Verschiedenen dreimal noch die breite Klinge in die Brust, bis Preston seinen Arm fasste und ihn zurückzog.

„Fort, fort“, rief dieser. „Lass den, der hat genug, aber bald werden uns die Teufel auf der Fährte sein – fort! Ich möchte nicht um alle Silberminen der Welt mit ihren fünf Messern Bekanntschaft machen!“

„Ich bin verwundet“, flüsterte jetzt, mit verbissenem Schmerz, Thomson. „Meine Hand ist zerschmettert.“

„Besser die Hand als der Kopf“, knirschte Preston, die Büchse vom Boden aufhebend und seinem verstümmelten Kameraden hinreichend. „Komm! In fünf Minuten ist’s zu spät.“ Und mit schnellen Schritten eilte er, von Thomson, der die Nähe der Gefahr erkannte, gefolgt, eine kurze Strecke im Flussbett fort, und sprang dann an der rechten Talwand in die Höhe, um vielleicht noch vor den Verfolgern den Gipfel des Berges zu erreichen und dann an der andern Seite desselben, unter dem Schutz der Nacht, leichter die Flucht zu bewerkstelligen.

Die zerschossene Hand vorn an der Brust geborgen, blieb Thomson, seinen Schmerz verbeißend, dicht an jenes Seite, und in wenigen Minuten waren beide in der Dunkelheit des Waldschattens verschwunden; in demselben Augenblick aber raschelten die Büsche, und fünf finstere Gestalten brachen durch die Sträucher auf den eben von den Flüchtigen verlassenen Wahlplatz.

Einen Schreckensruf stießen sie aus, als sie den Leichnam ihres gemordeten Kameraden erblickten, und spähende Blicke sandten sie umher, die Täter zu entdecken und ihrer Rache zu opfern: Da mahnte eine schnelle, gebieterische Gebärde ihres Führers zum Schweigen, und wie eben so viele, aus dunkelm Marmor gehauene Figuren standen die Männer, ohne auch nur zu atmen, da und lauschten hinein in den stillen, in heiliger Ruhe sie umgebenden Wald.

Einen Augenblick herrschte Todesschweigen, da scholl das Krachen eines dürren Astes an ihr Ohr – da noch einmal, und mit lautem Freudenruf – wie Hunde, die die Nähe ihres fliehenden Feindes, des Panthers, wittern – sprangen die fünf kräftigen Männer an der fast steilen Felswand, die das enge Tal einschloss, hinauf und folgten der Richtung, in der sie das Geräusch gehört hatten.

Schon hatten die beiden Flüchtigen, die durch einen Fehltritt und Sturz des verwundeten Thomson die Verfolger auf ihre Spur gebracht, die sechste Terrasse erreicht und eilten in langen Sätzen einem Kastaniendickicht zu, das dunkel vor ihnen lag, als sie die Schritte des schnellsten ihrer Feinde hinter sich hörten.

Preston riss gerade noch zur rechten Zeit seinen Gefährten in eine kleine Schlucht hinein, neben der, kaum zwei Schritte von ihnen entfernt, ein dunkler Abgrund sie angähnte, als eine lange, dunkle Gestalt an ihnen vorbeisprang und dem Dickicht zueilte. Dieser folgte rasch eine zweite und dritte und schon hatten die beiden Letzten den Rand der Terrasse erklommen und wollten dieselbe Richtung nehmen, als der eine von ihnen, ob aus Zufall oder durch den Instinkt, der ihm seinen Feind verriet, getrieben, nach dem dunkeln Platze, der die beiden Verfolgten barg und der ihm verdächtig scheinen mochte, zusprang und aufmerksam darauf hinschaute.

Der Mond trat gerade hinter einer dünnen Wolke hervor und der glänzende Büchsenlauf musste die Versteckten verraten haben, denn ein durch die Überraschung ausgepresstes „Ha!“ entfuhr den Lippen des Spaniers. Es war aber sein letzter Laut, denn Preston, als er sah, dass sie entdeckt waren, hatte ruhig die Büchse heraufgenommen und angelegt, und bei dem Krach des Gewehres zuckte auch der sicher Getroffene zusammen und stürzte mit schwerem Fall zwischen die Steine nieder.

„Mache den andern Schuft kalt – schnell oder er entflieht“, rief er jetzt seinem Gefährten zu, der bleich und atemlos neben ihm am Felsen lehnte.

„Nimm mein Gewehr – ich kann es nicht mehr heben“, hauchte dieser und reichte ihm die Büchse, die Preston in fieberhafter Aufregung ergriff, um auch den andern Feind unschädlich zu machen; doch dieser trat hinter eine starke Eiche, die ihn schützend bedeckte, und sein Ruf brachte in wenigen Minuten die anderen zur Stelle zurück, die, durch den Krach der Büchse in ihrem Lauf aufgehalten, jetzt mit wilder Freude dem Zeichen Folge leisteten.

Aber Preston war indessen nicht müßig gewesen und hatte, da er sah, dass sich der Spanier außer dem Bereich seiner Büchse hielt, Thomsons Gewehr hingestellt, das seinige wieder geladen, und schüttelte gerade Pulver auf die Pfanne, als die dunkeln Schatten der Verfolger sichtbar wurden, wie sie schnell durch die umhergestreuten Felsstücke und Stämme einherglitten.

Mit wenigen Worten beschrieb der Zurückgebliebene den Schlupfwinkel ihrer Feinde und zeigte ihnen das neue Opfer, das durch Prestons sichere Hand gefallen; aber nur ein lauter, wilder Schrei der Rache, bei dem die beiden Verfolgten unwillkürlich zusammenzuckten, war die Antwort, und wie Tiger warfen sich die Spanier auf ihre Beute.

Preston lag im Anschlag, und der Erste, der, in der linken Hand eine Pistole, in der rechten ein Messer, kaum zehn Schritt von ihm entfernt, hinter einem Felsstück auf ihn ansprang, fiel, durch das Herz geschossen, nieder; seine Büchse dann wegwerfend, ergriff er die seines Kameraden und legte mit Blitzesschnelle auf den Nächsten an – aber harmlos berührte sein Finger den Drücker! Wohl schnappte der Hahn und die Funken flogen in die geöffnete Pfanne hinab, doch das Pulver war ihr beim Sturz entfallen und erfolglos klappte der Stein gegen den Stahl. In dem Augenblick schoss ein scharfer Blitz hinter einem dicht neben ihm liegenden Fels hervor, und mit zerschmettertem Haupt sank Preston auf seinen Kameraden zurück.

Da sprang dieser, mit Zusammenraffen seiner letzten Kraft und gezücktem Messer unter der Leiche vor und verteidigte sich, Verwundung und Gefahr verachtend, mit wilder Verzweiflung gegen die drei auf ihn anstürmenden Feinde; doch ein Kolbenschlag machte ihn taumeln, und während er noch versuchte, sich mit der linken, zerschmetterten Hand anzuklammern, stürzte er mit dumpfem Fall und lautem Angstschrei in die tiefe, gähnende Schlucht an seiner Seite hinab.

 

Drei Tage waren vergangen, als ein Jäger aus den Ansiedlungen am Hurricane der Spur eines Hirsches folgte und Unmassen von Aasgeiern eine der Terrassen umkreisen sah.

Aus Neugierde, um zu sehen, was für ein Wild dort den Raubvögeln zur Beute gefallen sei, näherte er sich dem Platze und fand auf dem Berge ein, und in der Schlucht, durch die Geier geleitet, ein zweites Gerippe, nicht weit aber von dem ersten entfernt ein frisches Grab, und auf demselben, als Grabstein, einen breiträndigen schwarzen Filzhut, mit einem langen Messer auf den schnell aufgeworfenen Hügel festgespießt.

Wohl eilte er, so schnell er vermochte, in die Ansiedlungen zurück und brachte schon am nächsten Morgen alle Nachbarn, die er auftreiben konnte, auf den Wahlplatz, um von hier aus die leicht erratenen Täter zu verfolgen und zu bestrafen; vergebens aber blieben sie, mit dem Scharfsinn der Indianer, Tage lang auf der Fährte der Maultiere; die schlauen Spanier hatten sich und alles, was ihnen gehörte, auf Kanoes in Sicherheit gebracht und nur einen mit den Lasttieren ins Land geschickt, um die Verfolger, die sie nach kurzer Zeit vermuten mussten, irre zu leiten. Dieser hatte dann die Tiere verkauft und war, ohne dass jemand auf ihn achtete, spurlos verschwunden.

Seit dieser Zeit hat zwar keiner der Spanier gewagt, jene Gebirge, wo ihn die Rache der wilden Grenzbewohner erwartete, wieder zu betreten, aber auch die Silbermine am Hurricane ist noch nicht wieder von den dort Wohnenden entdeckt, und vergebens haben bis jetzt die Jäger ein Geheimnis zu ergründen versucht, das zu bewahren schon so viel Blut vergossen wurde.

Eine Gerichtsszene in Arkansas

Am ersten Montag des Monats September hielt ein einsamer Reisender vor dem niedern Wirtshause des kleinen Städtchens Elisabethtown, am Ufer des White River in Arkansas, und den Zügel seines müden Pferdes über das vor der

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: Kozyreva Elena / Shutterstock.com
Tag der Veröffentlichung: 29.10.2013
ISBN: 978-3-7309-5844-5

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