Ernste und heitere Geschichten aus dem Leben deutscher Seeleute, Band 2.
Inhalt:
Tolles Wetter und ein toller Mensch
Die Verteidigung der „Antilope“
Die Plünderung der „Sigismund“
Knecht, Neffe und Erbe
Coverbild: © isal76/Shutterstock.com
Auf dem Schiffe Nordstern, wo ich die Stellung eines Untersteuermannes einnahm (erzählte Kapitän Ziehe), verließen wir den Hafen von Liverpool, um nach Bombay zu gehen. Bis Port Natal, wo wir einige Maschinen löschten, ging alles an Bord vortrefflich; unsere Bark bewährte sich als ein ausgezeichneter Segler, die Mannschaft war gutartig und lebte in bestem Einvernehmen. Von Port Natal ab beschloss unser Kapitän den Weg durch den Kanal von Mozambique einzuschlagen, welcher ihm des herrschenden Südostwindes wegen der geratenste schien.
Aber wir waren noch nicht über den 25.° s. B. hinausgelangt, als sich die sicheren Anzeichen eines der in diesen Gegenden so häufigen Wirbelstürme bemerkbar machten. Was der Seemann tun kann, um der gewaltigen Gefahr möglichst zu begegnen, geschah alsbald. Die Bramstengen und Rahen wurden an Deck genommen und sicher verlascht, ebenso auch alle Gegenstände an Deck und im Raume, von denen zu befürchten war, dass sie loskommen könnten; alle leichten Segel wurden geborgen und diejenigen, welche untergeschlagen blieben, mit starken Enden gemarkt. Unter kleinen Segeln erwarteten wir das Losbrechen des Orkans, welchem zu entfliehen unmöglich war.
Noch war es ziemlich hell, obgleich sich der Himmel schon zu verfinstern begann und die ersten blendenden Blitze rings um uns her in die See hineinfuhren. Um unseren Nordstern waren wir eigentlich nicht besorgt, weil er sich nach der ihm in Port Natal zuteil gewordenen Erleichterung gerade jetzt der günstigsten Ladungsverhältnisse erfreute. Aber nicht weit von uns sahen wir eine kleine Brigg und zwei als Schoner getakelte Küstenfahrzeuge, welche gleich uns die östliche Küste des schwarzen Erdteils hinaufzusteuern bestimmt schienen.
Wir waren gerade mit den allernötigsten Vorbereitungen fertig, als der Wirbelsturm, dessen Wüten keine Feder gebührend zu beschreiben vermag, über uns hereinbrach. Der Tag war zur Nacht geworden und die vorher von langen, regelmäßigen Wellen gefurchte See war eine unbeschreiblich wilde Masse von zackigen, schaumübergossenen Wasserbergen und düsteren Abgründen. Ihr werdet fragen, wie wir das Schauspiel um uns her überhaupt beobachten konnten; aber erlebt nur einmal das volle Wüten eines tropischen Gewitters, und ihr werdet euch bald überzeugen, dass kein Sonnenlicht so blendende Helligkeit zu spenden vermag wie diese beinahe unaufhörlich hernieder fahrenden Blitze ausstrahlen.
Die erste traurige Entdeckung, welche wir machten, war, dass die beiden kleinen Schoner von dem Schicksal ereilt worden waren. Der eine sank vor unseren Augen mit Mann und Maus, der andere war gekentert und wurde kieloben von den empörten Wellen umhergeworfen.
Unglückliche Menschen!, dachte wir bei uns. Wir waren ihnen so nahe, konnten aber nicht das Mindeste zu ihrer Errettung tun, mussten uns sagen, dass sie gewiss in den nächsten Minuten von dem verzweifelten Kampfe mit den entfesselten Elementen ablassen und zur letzten Wache abgerufen würden. Ein Stoßgebet für die ihrem Schicksal verfallenden Seeleute, ein herzlicher Seemannswunsch: das war alles, was wir zu tun vermochten.
Die Brigg war standhafter; freilich ward sie unbarmherzig genug umhergeworfen und war oft unseren Blicken entschwunden, tauchte jedoch immer wieder auf, sodass wir hofften, wenigstens sie werde das fürchterliche Wetter überdauern.
Auch bei uns sah es schlimm genug aus, unser Nordstern lag fast immer zum Kentern; noch zwei Grade weiter nach Lee – er hätte sich auf die Seite gelegt, um nimmer wieder aufzustehen. Nachdem alle Segel fortgeflogen waren, hatten wir das Ruder festgebunden und klammerten uns, bis an die Hüften im Salzwasser stehend, an die längs Deck ausgespannten Taue. Das waren keine Sturzseen, welche uns übergossen, sondern Wildbäche, welche von Felsen herabzufallen schienen.
O Mensch, wie ohnmächtig bist du solchen Gewalten gegenüber! Ich hatte schon manches schwere Wetter bis zu jenem Zeitpunkte erlebt, hätte aber jeden Augenzeugen verlacht, welcher mir dieses Wirbelsturm zu schildern versucht hätte. Man sieht ein, dass es keine Gegenwehr gibt, dass man wie ein Spielzeug in Riesenhand von jedem nächsten Augenblick den Untergang zu gegenwärtigen hat und klammert sich an das liebe, süße Leben, solange die Erhaltung desselben noch in geringer Aussicht steht.
Der brüllende Sturm und die krachenden Donnerschläge verwirrten beinahe unsere Sinne, und die Augen durften sich nicht öffnen, weil die grell leuchtenden Blitze sie geblendet haben würden. Und doch versuchte dies jeder, so oft eine kurze Pause zwischen den elektrischen Entladungen eintrat.
Gern gestehe ich ein, dass mich ein volles Grauen beschlich, wenn unser Nordstern in die schwarze Tiefe – ich kann nicht sagen, hinabglitt – sondern wie ein toter Klotz hinabstürzte; von allen Seiten türmten sich steile Wasserwände um uns her, welche ja im nächsten Augenblick zusammenbrechen mussten; es hing nur von dem Zufall ab, ob sie dabei unser Schiff, ein Werk der schwachen Menschenhand, mit ihrer Verderben bringenden Last bedeckten.
Gleich tausend tollen Teufeln pfiff und heulte, schrie und brüllte der Orkan in Takelwerk und Rahen, die See erbrauste dumpf, der Donner schmetterte über uns, und die Blitze drohten das Schiff zu entzünden. Es waren bange Minuten, die wir in der Tiefe verlebten; und trieb uns die Kraft des Sturmes dann wieder auf die steilen Höhen hinauf, welche vor uns lagen, so war es mir, als ruhte der Nordstern auf dem Achtersteven und wollte im nächsten Augenblick nach hinten überstürzen.
Es war etwa Mittag, vier Stunden hatte das Unwetter bereits gedauert, und die Mannschaft klagte über Hunger. Damit sie nicht von Kräften käme, wollte ich mich nach der im Hinterschiff befindlichen Vorratskammer begeben, in einem günstigen Zeitpunkt die Luke öffnen und wenigstens etwas Hartbrot heraufholen. Vergeblich warnte mich der Kapitän; er meinte, die Leute könnten warten, bis wir uns in dem Mittelpunkt des Orkanfeldes befänden, was nicht mehr lange dauern würde. Wenn ich mir auch selber nicht verhehlte, dass es gefährlich wäre, den einzig sicheren Halt, welchen die Lauftaue boten, aufzugeben, so hoffte ich doch, dass ich ungefährdet die wenigen Schritte bis zu der Kajüte zurücklegen könnte.
Aber gerade, als ich um ein paar Leute herumgreifen musste, die eine Hand losgelassen, die andere noch nicht wieder zugegriffen hatte, wurde unser Nordstern von einer ungeheuren Welle überrannt. Wohl tastete ich, von den Fluten übergossen, wieder nach dem rettenden Tau, erfasste es aber nicht und wusste nun bestimmt, dass ich mit der ablaufenden Sturzsee in den Ozean hinabtauchen müsste, das heißt, dass ich verloren wäre.
Durch das Wasser am Atmen gehindert, öffnete ich gleichwohl die Augen, als ich schon fortgeschwemmt wurde, und gewahrte dicht neben mir zwei sich an dem Tau festhaltende Matrosen. Eine letzte Hoffnung stieg in mir auf; ich griff nach einem von ihnen, erfasste auch seine Jacke, riss aber nur ein Stück von derselben ab und setzte nun die fürchterliche Reise in das Wogengewirr hinein fort.
Da lag ich nun in der tobenden See und streckte vergeblich die Hände aus, weil ich es für möglich hielt, dass mir vom Nordstern her ein Ende zugeworfen würde. Aber eitles Hoffen! Der Nordstern flog, vom Sturme getrieben, in den nächsten Minuten weit von mir fort; die Mannschaft hatte mich sicher nicht gleich vermisst, hätte ja auch nicht das Geringste zu meiner Rettung beitragen können.
Gottlob war ich immer ein tüchtiger Schwimmer gewesen, hatte mich auch mehrfach bei hohem Seegang versucht, deshalb ward es mir nicht schwer, mich über dem Wasser zu halten, nachdem ich mich der Schuhe und der Jacke entledigt hatte.
Aber in der wirbelnden, brausenden See war noch ein Feind zu überwinden, an welchen der Unerfahrene nicht denkt. Dies war der Schaum, welcher die Oberfläche der See mehrere Zoll hoch bedeckte, und der sich nun an dem Hindernis meines Hauptes geradezu auftürmte. Ich hatte alle Mühe, Mund, Nase und Augen von dem knisternden Schaume freizuhalten, damit ich nur atmen und etwas sehen könnte, und jede mit den Händen ausgeführte Bewegung schien den Schaum in meiner nächsten Nähe zu vermehren.
Unbeschreiblich bang verstrichen für mich die nächsten Stunden; ich rang nach Lebensluft und drohte zu ersticken, obgleich mir das Wasser noch nicht bis an die Schultern reichte. Doch von dieser Seelenangst will ich schweigen, ich könnte sie doch nicht annähernd in ihrer vollen Größe schildern.
Einige Stunden später hatte das Gewitter ausgetobt, es schwieg auch der Sturm; nur die Seen rollten noch wild durch und übereinander und brachen erbarmungslos über mich zusammen.
Es ward heller und heller, war vielleicht um vier Uhr nachmittags, als ich auf den Kamm einer Welle hinaufgetragen wurde und von hier aus für einen kurzen Augenblick den Nordstern fand; ach, er war wenigstens zwei Seemeilen von mir entfernt. Er und ich tauchten gleichzeitig in das Wellental hinab; es war das letzte Mal, dass ich dies schmucke Schiff erblickte. Von der Brigg, welche vorher neben uns segelte, vermochte ich keine Spur zu entdecken, hatte also durchaus nicht auf menschliche Hilfe zu rechnen.
Sie schaudern, meine Herren, wenn ich Ihnen ein notdürftiges Bild meiner verzweifelten Lage entwerfe, und ich selber gestehe ein, dass mich bei der Rückerinnerung daran noch heute ein Grausen ergreift. Doch damals, mitten in der fürchterlichsten Not, ohne jede Aussicht, dem Tode zu entrinnen, war ich gleichwohl ruhigen Gemütes. Schon manchem Seemann, welcher aus ähnlichen Gefahren gerettet wurde, soll es gegangen sein wie mir, dass ihn mit Abnahme der Körperkräfte eine gewisse Zufriedenheit, ja endlich volle Glückseligkeit erfüllte.
Nur allmählich fand sich diese günstige Beurteilung meiner Lage ein, wuchs dann aber bald und tröstete mich für den Verlust des Lebens und für die Trennung von Heimat und Familie. Die Form des mir in den nächsten Stunden bevorstehenden Todes schreckte mich nicht etwa, sondern war mir geradezu willkommen.
Und wunderbar genug – meine Gedanken beschäftigten sich bald nicht mehr mit mir selber, sondern mit den Kameraden, welche den schweren Kampf mit den wütenden Naturgewalten noch länger fortsetzen sollten. Sie jammerten mich; ich wünschte, dass auch sie so sanft wie ich von allen Mühen und Sorgen des Lebens erlöst werden möchten.
Was wird aus ihnen werden?, fragte ich mich und hatte darauf nur die eine Antwort, dass der Nordstern von dem blasenden Sturme entweder gegen die wild umbrandete Küste oder gegen unterseeische Klippen geschleudert werden würde.
Die armen, die entsetzlich unglücklichen Menschen! Ich sah, wie die einen unermüdlich mit der Brandung kämpften, aber bei jedem neuen Versuch, das feste Land zu gewinnen, von der ablaufenden Brandungswelle unbarmherzig in die See zurückgerissen wurden, sah ferner, wie die anderen mit zerschmetterten Glieder immer wieder gegen die zackigen Klippen geschleudert oder durch das unentrinnbare Netz der über Bord hängenden Takelage am Auftauchen verhindert wurden.
O, wie ruhig, wie glücklich konnte dagegen ich sein! Ich wusste ja, dass mein Tod ein leichter und schmerzloser sein würde; ich konnte ihn nicht abwenden, trug aber auch kein Verlangen danach; alles, was ich zu tun vermochte, beschränkte sich darauf, dass ich die Entscheidung beschleunigt herbeiführte, indem ich den Kampf aufgäbe. Mir ward so wohl, so unaussprechlich wohl und glücklich; ich wollte mich hinuntersinken lassen, hinunter, hinunter, einem ungestörten Schlafe entgegen, bis die Auferstehungsstunde für mich schlüge. Den Frieden und die Ruhe, welche dem Sterblichen im Leben nicht beschieden sind, wollte ich auf dem Meeresboden finden, wollte weich gebettet sein neben den Tausenden von Seeleuten, welche vor mir ihre letzte Reise vollendet hatten, und wollte warten auf die unendliche Reihe derer, welche mir in das unentweihte Grab nachfolgen würden. Das war schön ... entzückend ... Mich überkam eine selige Mattigkeit und ein Vergessen allen Irdischen; mein Wille war gelähmt, das Bewusstsein schwand immer mehr; ich rührte kein Glied, fühlte noch soeben, wie mein Körper sich drehte und langsam sinken wollte; ich war dem Tode des Ertrinkens so nahe, dass ich das Entweichen der Seele wohl nicht mehr gemerkt haben würde,
Da stieß ein harter Gegenstand mehrere Mal recht kräftig gegen meine Schulter, und der Schmerz rief teilweise mein Bewusstsein zurück.
Das ist ein Hai!, sagte ich mir. O, warum werde ich so grausam gestört, warum wird mir nicht der sanfte Tod beschert, auf welchen ich noch eben hoffte!
Unwillig öffnete ich die schon lange geschlossenen Augen, um wenigstens das Ungetüm zu sehen, dem ich zum Fraße diesen sollte. Da ward ich angenehm enttäuscht. Der Gegenstand, mit welchem mich die Wogen zusammengeführt hatten, war die eine Wand einer Schiffsküche; sie gehörte einst wie ich zu dem Nordstern, war gleichzeitig mit mir von der bösen Welle über Bord gefegt worden.
Nun war es aus mit den Todesgedanken und der Todesfreudigkeit; die Liebe zu dem Leben kehrte mit voller Kraft zurück; nein, ich wollte nicht sterben, hatte ja noch ein langes, vielleicht glückliches Leben zu erwartet und folgte nur der Pflicht, wenn ich dasselbe vorläufig zu erhalten bestrebt war. Trotz meiner Mattigkeit griff ich nach der aus starken tannenen Bohlen bestehenden Tafel, fühlte nur noch, dass ich sie fasste, verlor aber dann das Bewusstsein.
Viele Stunden mussten vergangen sein, bis ich endlich erwachte. Und in der Zwischenzeit stellten sich ungerufen die lebhaftesten Träume ein, welche mich aus der fürchterlich tosenden See in die liebe Heimat versetzten. Es war im Hochsommer, und ich wandelte sorgenfrei durch die schattigen Buchenwälder. Nur ein Verlangen trug ich mit mir herum, nämlich meinen Durst zu stillen, welcher mich fürchterlich plagte und mit jedem Schritte unerträglicher ward. Ich schmachtete nach einer Quelle, suchte lange, suchte wie ein Verzweifelnder und fand sie nicht. Ich wollte gerade den bewaldeten Abhang einer Schlucht hinuntergleiten, an deren tiefstem Punkte ich wenigstens eine trübe Lache zu finden berechtigt war, tat dabei einen jähen Fall und erwachte zum wirklichen Leben.
Ach, wo waren jetzt die laubreichen Wälder, wo der liebe Heimatstrand! Ich lag der ganzen Länge nach auf der Seitenwand der Schiffsküche ausgestreckt und trieb auf der weiten, öden See. Die Finger meiner beiden Hände hatten sich unter die angeschraubten Holzleisten gebohrt, zwischen denen der Koch seine Pfannen, die Deckel der Kochtöpfe, die Kellen und Löffel aufzuhängen pflegte, und hatten sich so fest zusammengekrallt, dass es mir erst nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang, sie hervorzuziehen und zu strecken.
Die Sonne stand ungefähr fünf Grad über dem Horizont, als ich zuerst, nach halb im Traume, die Augen öffnete. Die Begebenheiten des letzten Tages dämmerten nur unklar in meinem Bewusstsein auf, kein Wunder also, dass ich glaubte, es wäre Abend und die Sonne wäre im Versinken.
Augenblicklich herrschte prächtiges Wetter, wenn die See auch noch sehr erregt war. Ich befand mich innerhalb einer rasenden Strömung, welche mein Floß nach Süden trieb, gerade dem von Süden kommenden ziemlich heftigen Winde entgegen.
Je mehr mein Bewusstsein zurückkehrte, desto mehr Aufmerksamkeit wandte ich der Sonne zu, nahm zu meiner Freude wahr, dass sie höher und höher stiege, ich mich also nicht vor der kommenden Nacht zu fürchten brauchte.
Beinahe unfassbar war es mir, dass ich einen halben Tag und die ganze Nacht fast unausgesetzt in bewusstlosem Zustande umhergetrieben sei; aber der maßlose Hunger und der quälende Durst bestärkten mich in der Zuverlässigkeit auf die Berechnung, welche ich nach den verschiedenen Standpunkten der Sonne angestellt hatte.
Etwa um neun Uhr morgens wurde ich völlig Herr über meine Denktätigkeit und fasste nun meine Lage einigermaßen richtig auf. Tröstlich wollte sie mir keineswegs erscheinen. Sollte ich hoffen, dass ich noch einen Tag am Leben bliebe, oder sollte ich vielmehr fürchten, dass ich, von Hunger und Durst bis zum Wahnsinn gequält, ein jämmerliches Ende finden würde? O, warum war ich dann nicht lieber vor achtzehn Stunden bewusstlos und gefühllos zu der mir so verführerisch scheinenden Ruhe eingegangen? Warum mussten mir diese Hölzer entgegentreiben, wenn ich doch frühzeitig dem Geschick verfallen sein sollte?
Und dann hoffte ich wieder. Hoffnung ist ja der letzte Anker, an dem sich der Seemann hält, wenn die ihn umgebenden Umstände auch noch so verzweifelt sind.
Doch, worauf sollte ich vernünftigerweise hoffen, wie sollte ich mir die Möglichkeit der Rettung denken? Dass meine Kameraden nach mir suchten, war ja ausgeschlossen. Hatten sie auch das Unwetter überlebt, so galt ich ihnen doch längst für sicher verloren. Und wo befand sich der Nordstern? Jedenfalls war er durch Hunderte von Seemeilen von mir getrennt.
Ein anderes Schiff kann deinen Weg kreuzen – dieser Gedanke stieg in mir auf, um sofort beiseite geworfen zu werden; ich lächelte bitter, wusste keine Hilfe, auf die ich rechnen könnte.
Aber der Wirbelsturm, welcher uns überfallen hatte, raste ja im Kreise um einen stillen Mittelpunkt herum, konnte, ja musste beinahe die Schiffe wieder zusammentreiben, welche er gemeinsam getroffen und mit kahlen Masten vor sich her getrieben hatte. Gering genug war meine Aussicht, aber es war doch eine, deren Möglichkeit sich berechnen ließ.
Immer schrecklicher plagte mich der Durst, sodass ich schon wieder mit den salzigen Fluten liebäugelte und mehrfach in Versuchung kam, meinen Halt an der Rückenwand aufzugeben.
Wer beschreibt meine Freude, ja, wer fühlt sie mir auch nur nach, als ich gegen zehn Uhr morgens, von einer Welle emporgehoben, gerade voraus ein verlassenes Fahrzeug erblickte, von dem ich kaum noch eine Seemeile entfernt war!
Genauer unterscheiden konnte ich anfänglich die Fahrzeug nicht, weil die Luft mit Feuchtigkeit gesättigt war und die mir entgegenlaufenden Wellen mir fortwährend ihren Gischt in das Gesicht schleuderten. Doch die Entfernung minderte sich erfreulich; ich erkannte bald eine entmastete Brigg, allem Anscheine nach war es dieselbe, welche zugleich mit uns in den fürchterlichen Kampfe eingetreten war.
So wirst du also doch wider alles Erwarten gerettet!, sprach ich still bei mir und sandte ein kurzes, aber heißes Dankgebet zu dem allgütigen Gott empor, welcher mein Schicksal so wunderbar gewendet hatte.
Lange blieb es mir unklar, weshalb ich dem Wrack immer näher käme; ich dachte noch immer nicht frei genug, um dies natürlich erklären zu können, betrachtete meine Annäherung nur als ein Geschenk des Zufalls, da ich nicht die Kraft besessen hätte, mein ungelenkes Fahrzeug auch nur wenige Meter in einer mir wünschenswerten Richtung vorwärts zu treiben.
Nichts verriet, dass sich noch menschliche Wesen auf dem Wrack befänden, welches ich immer mehr einholte. Eine wie furchtbare Arbeit musste es mir schon machen, dass ich an Deck gelangte! Der von der See wie ein ungefüger Klotz hin und her geworfene Schiffsrumpf war gerade auf der Steuerbordseite, auf welche ich zutrieb, von Masten und Spieren, Segeln und Tauen unzugänglich gemacht; hier boten sich mir bei der erregten See tausend Hindernisse, und es fehlte mir die Möglichkeit, mein Floß nach der Backbordseite hinzuzwingen.
Jetzt begriff ich auch, wie ich die Brigg hatte einholen können. Wenn auf sie auch dieselbe Strömung wirkte wie auf mein Floß, so boten doch der Rumpf und die Stümpfe der beiden Masten dem frischen Südwinde Fläche genug, um das von der Strömung erfasste Schiff in seinem Laufe aufzuhalten, während meine Bretterwand und ich kein Hindernis bildeten.
Ich trieb bei dem Buge vorbei, war kaum zehn Meter von der Steuerbordseite entfernt und streckte die rechte Hand aus, um nach einem noch mit der Brigg im Zusammenhange stehenden Gegenstande zu greifen. Man vergesse nicht, dass die See noch hohl lief und große Gefahr vorhanden war, dass mein Floß in diesem Gewirr zertrümmert würde.
Barmherziger Gott! Du treibst vorbei, und es fehlt dir an Kraft, um die gefährlichen Spieren schwimmend zu erreichen! Der vermeintlichen Zuflucht so nahe, wirst du von der Strömung fortgeschwemmt, um auf der grausigen See zu verschmachten!
Dieser Gewissheit bedurfte es, um meinen Nerven und Muskeln mit neuer Willenskraft und neuer Leistungsfähigkeit auszustatten.
Gelingt es dir nicht, das Deck zu erreichen, so sagte ich mir, so sinke hier lieber in die klaren Fluten hinab, als dass du auf dem Floß verschmachtest!
Mit einem dankbaren Hinblick auf die Bretterwand, welche mich bis hierher getragen hatte, ließ ich sie fahren und ruderte mit Händen und Füßen in das von den Wogen gepeitschte Gewirr hinein. Gestoßen, geschlagen, gequetscht, geschunden erreichte ich den Mars des Fockmastes, fand die Wanten, welche lose von oben herabhingen, und stieg mit dem letzten Rest meiner Kräfte auf dieser willkommenen Treppe bis zu dem Schandeckel empor.
Ich war gerettet.
Welche Wonne erfüllte mich jetzt, als ich festen Boden unter den Füßen fühlte! Es kümmerte mich eben nicht viel, dass das Wrack ausgestorben wäre; denn ich wusste, dass ich genug Lebensmittel finden würde, um mich allein für viele Wochen zu sättigen.
Zum Tode ermattet war ich auf den Planken niedergesunken und hatte jetzt nicht sowohl das Bedürfnis nach Speise und Trank, als nach einer kurzen, wirklichen Ruhe. Die frische Seeluft, welche ich nun ungehindert einatmen durfte, stärkte mich, und die warme Sonne trocknete meine Kleidung und gab den starren Gliedern ihre Beweglichkeit zurück. Bald konnte ich mich zur sitzenden Stellung erheben und um mich blicken.
Auf dem Deck hatte die See eine unbeschreibliche Verwirrung
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
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Tag der Veröffentlichung: 12.10.2013
ISBN: 978-3-7309-5499-7
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