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Im Bahnhäuschen

Das Haus des Herrn von Riedel war fast das schönste in der großen Stadt, und in diesem Hause war kein Zimmer so freundlich und behaglich wie die Kinderstube.

Ein weicher bunter Teppich bedeckte den Fußboden, der schön polierte niedrige Tisch war mit rotgepolsterten Lehnstühlen umgeben, und in der wärmsten, lauschigsten Ecke stand ein kleines Sofa mit weichen Kissen.

Mitten im Winter dufteten bunte Blumen an den Fenstern, ein Kanarienvöglein zwitscherte lieblich und fraß ganz zahm die Bröckchen aus der Hand, die man ihm hinreichte.

Das Beste aber war das herrliche Spielzeug, das heute, an einem recht düsteren Winternachmittage, im ganzen Zimmer unhergestreut war.

Auf dem Tische stand eine große Stadt halb aufgebaut; die übrigen Häuser lagen auf der Erde. Daneben waren mehrere Schachteln Bleisoldaten ausgeschüttet worden, aber nur eine Reihe weißer Husaren war aufgestellt.

Hinter der Glastür eines niedrigen Schrankes sah man Kreisel und Bälle, Musikinstrumente aller Art und bunte Kästchen mit den verschiedensten Spielen.

An der Wand hingen Flinte, Säbel, Trommel und Soldatenmütze, alles so schön, fein und glänzend, wie es die meisten Kinder nur in der Weihnachtszeit sehnsüchtig durch das Fenster des Spielwarenladens erblicken.

Auf dem Teppich kniete ein freundliches junges Mädchen, mit dem Einpacken eines großen Baukastens beschäftigt.

Am anderen Ende des Zimmers hatte ein hübscher, aber bleicher Knabe von etwa vier Jahren ein prächtiges Kegelspiel aufgestellt und rollte eifrig die glänzenden Kugeln über den Fußboden hin.

Zwei Kegel hatte er zu Fall gebracht, da schleuderte er ungeduldig die Kugel von sich, warf sich auf die Erde und wälzte sich ein paar Mal herum, bis er seiner Bonne (Kindermädchen; Erzieherin) gegenüber lag.

„Nein, nein“, rief er, „nicht einpacken. Jetzt sollst du mir einen Turm bauen!“

„Aber Walterchen, eben bin ich fertig, und es ist schon spät. Du hast ja vorhin den Turm gleich eingerissen; spiele doch mit den schönen neuen Kegeln.“

„Die sind langweilig; jetzt will ich einen Turm.“

Geduldig nahm das Mädchen einige Bausteine heraus und begann sie aufzustellen.

„Nein, nicht so! Alle müssen raus; schütte sie um, wir brauchen die größten zuerst.“

Als man ihm den Willen getan, baute Walter fünf Minuten lang ganz eifrig mit, dann sprang er plötzlich auf, gähnte und stieß mit dem Fuß an das zierliche Bauwerk, dass es klappernd zusammenstürzte.

„Der Turm war nicht hübsch; mit den Fischchen will ich willen. Hol mir schnell Wasser.“

„Du sollst ja nicht mit Wasser spielen. Du hast den Schnupfen und erkältest dich sonst noch mehr.“

„Ich will aber Wasser!“

„Nein, ich darf dir keins geben. Lass uns lieber ein Bilderbuch ansehen; sei mein liebes Walterchen.“

„So hol das große herunter, da oben vom Kleiderschrank, die andern hab ich alle satt.“

Während nun Fräulein Anna auf einen Stuhl stieg, um das Buch herabzuholen, huschte der Knabe wie der Blitz zu dem Marmortischchen und packte mit den schwachen Händchen ein großes Wasserbecken, das darauf stand, um dennoch seinen Willen durchzusetzen.

Ein Ruck, ein Schrei, und er lag am Boden, ganz mit Wasser überschüttet; daneben das feine Porzellanbecken in zwei Hälften zersprungen.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und die Haushälterin, eine stattliche, ältere Dame, trat herein, Walters Abendbrot auf silbernem Brettchen tragend.

„Aber Fräulein Anna“, rief sie mit scharfer Stimme dem Mädchen zu, das dem schreienden, strampelnden Kinde schon zu Hilfe geeilt war, „wie können Sie so nachlässig sein! Sie wissen doch, wie sehr jede Erkältung und noch mehr jede Aufregung unserem Liebling schadet!“

Anna schwieg, denn sie wusste zu gut, dass sie in solchen Fällen doch nicht recht bekam.

Bald war Walter seines nassen Sammetkittels entledigt und in ein weiches Schlafröckchen gekleidet, doch hörte sein heftiges Weinen erst auf, als ein neues Becken mit Wasser auf dem Tische stand.

Geschickt wusste er die zierlichen metallenen Fischchen und Schwäne mit der Magnetnadel zu regieren und jauchzte laut auf, wenn sie rasch über den kleinen klaren See schwammen.

Indes ward die Abendsuppe über dem Kaminfeuer warm gehalten, bis es dem jungen Herrn belieben würde, zu essen.

Der war nur zu bald der Fischchen müde, und die kleine goldgeränderte Schüssel ward nebst seinem Weißbrot vor ihn gestellt.

„Suppe mag ich nicht!“, erklärte er sehr entschieden, sich in den Sessel zurücklehnend.

„Was willst du denn, mein Herzblatt?“, fragte die Haushälterin. „Du musst etwas Kräftiges nehmen, denn du hast heute noch so sehr wenig gegessen. Willst du vielleicht ein Ei?“

Walter nickte stumm; und bald ward das Verlangte gebracht.

Zwei Löffel voll genoss der Kleine, dann kommandierte er:

„Schokolade!“

„Das ist recht, mein Liebling; das nährt dich, dass du bald rote Bäckchen bekommst!“, sagte die Dame und bereitete selbst eine Tasse duftenden Kakao über dem Feuer.

„So, nun trink es ganz aus; du bist auch mein Goldkind.“

„Ich bin nicht dein Kind; Papas Kind!“, erwiderte Walter, die Liebkosungen der Dame abwehrend und eifrig den würzigen Trank schlürfend.

„Genug!“, sagte er nach einigen Schlucken. „Nun will ich noch das Gelbe aus der bunten Schüssel.“

„Meinst du die Vanillecreme, die heute Mittag auf Papas Tisch war?“

„Das Gelbe aus der bunten Schüssel!“, bestätigte Walter.

„Es ist noch etwas übrig; du sollst es gleich bekommen.“

„Aber er wird sich den Magen verderben!“, wandte Anna ein. „So vielerlei ist ihm abends doch nicht gut.“

„Wenn Sie so alt sein werden wie ich, bestes Fräulein“, belehrte die Dame gereizt, „so werden Sie wissen, dass man mit zarten Kindern Geduld haben muss. Walter genießt so sehr wenig, dass man froh ist, wenn er etwas verlangt. Überdies ist die Creme sehr nahrhaft, denn sie enthält viel Eier.“

So leerte der Knabe, auf dem Schoß der Haushälterin sitzend, noch ein ganzes Kristallschüsselchen der starken süßen Speise, das er zuletzt noch begierig mit der Zunge ausleckte.

Dann warf er es neckend weit von sich und den Löffel dazu, und nur dem weichen Teppich war es zu danken, dass nicht auch dies zierliche Gefäß zerbrach.

„So, nun lass mich los und geh ’naus; Anna soll mir Bücher zeigen.“

„Darf ich sie nicht auch sehen?“

„Nein, du kannst fortgehen, ganz fort; ich habe dich nicht lieb.“

„Es ist doch das seltsamste Kind, das ich je gesehen habe; so eigentümlich nervös aufgeregt!“, sagte die Dame, als sie kopfschüttelnd das Zimmer verließ.

„Nun Bücher sehen, alle Bücher!“, rief Walter. „Und ich will alles selbst lesen.“

Der Vierjährige kannte zwar noch keinen Buchstaben, wusste aber die vielen Verschen und Gedichte, die unter den Bildern standen, fast fehlerlos herzusagen, und das nannte er lesen.

Ein Buch nach dem anderen ward vorgenommen. Immer eifriger sprach der Knabe, bei heiteren Szenen lachend, bei traurigen mit weicher, wehmütiger Stimme. Seine blassen Wangen fingen an zu glühen, und die dunkelblauen Augen funkelten im Lampenlicht.

„Was ist das, Anna?“, fragte er plötzlich, auf das liebliche Bild einer Mutter zeigend, die ihr Kind auf dem Schoß hielt.

„Lies es; ich kann es noch nicht.“

Mit sanfter Stimme las das Mädchen:

 

„Mütterlein sprich: Warum liebst du dein Kindlein so inniglich?

Und die Mutter spricht: ‚Das weißt du nicht?

Weil’s fromm ist allzeit, nicht weint und nicht schreit,

Und lustig ist’s auch, wie’s Vöglein im Strauch.

Und geht es zur Ruh, lacht es freundlich mir zu;

Doch wenn es erwacht, so küsst mich’s und lacht.

Darum lieb ich’s so sehr, wie nichts auf der weiten Erde mehr.‘

 

Kindlein, o sprich: Warum liebst du dein Mütterlein so inniglich?

Und das Kindlein spricht: ‚Das weißt du nicht?

Weil’s mich hegt und pflegt, auf den Armen trägt!

Wacht, wenn ich krank, gibt mir Speis und Trank,

Gibt mir Kleider und Schuh und viel Küsse dazu.

Darum lieb ich’s so sehr, wie nichts auf der weiten Erde mehr.‘“

 

Anna hatte ein weiches Gemüt und liebte den Knaben, der ihr erst seit einigen Wochen anvertraut war, trotz seines Eigensinns schon herzlich.

Es tat ihr so weh, ihm dieses Gedicht vorzulesen, denn seine Mutter lag ja schon seit zwei Jahren im Grabe, und er wusste gar nichts von ihr. Darum traten unwillkürlich Tränen in ihre Augen, von denen eine auf das aufgeschlagene Buch fiel.

Erstaunt sah Walter empor, zeigte mit dem Finger darauf, schlang dann seine Ärmchen um Annas Hals und drückte ihren Kopf an sich.

„Du bist gut“, sprach er leise, „dich hab ich lieb. Musst nicht weinen, morgen will ich artig sein. Jetzt nicht mehr lesen, lieber zu Bett gehen.“

‚Was ist er doch für ein schönes Kind, wenn er so sanft schläft‘, dachte Anna, als sie bald darauf an dem Bettchen saß. ‚Wenn er nur nicht so schrecklich verzogen wäre! Ach, ich bin noch zu jung und unverständig, um es zu ändern. Strenge darf ich nicht brauchen, und von Gott, vom Jesuskind und den Englein darf ich ihm auch nicht erzählen; sie sagen, er sei noch zu klein und es würde ihn aufregen. Ich denke aber, es würde ihn eher beruhigen und sein Herz sanft und freundlich machen.‘

„Anna, wo ist Papa?“, fragte das Kind, die Augen aufschlagend.

„Er ist bei einem Hoffest im Schloss, wo der König wohnt. Schlaf nur, Walterchen, morgen früh kommt er gleich zu dir.“

„Anna, komm ganz her zu mir; ich will dich leise etwas fragen, ganz leise. Warum hab ich denn kein Mütterlein? Weißt du, so eins wie in dem Verschen.“

„Du hast auch eine liebe Mama gehabt, aber sie ist nicht mehr bei dir.“

„Wo ist sie denn hin?“

„Sie ist im Himmel beim lieben Gott!“, erwiderte das Mädchen nach kurzem Zögern.

„Sie soll wiederkommen; ich will sie gern haben.“

„Das geht nicht. Wer einmal im Himmel ist, kommt nicht wieder; es ist so schön dort, dass man immer da bleibt.“

„Dann will ich auch hin, ich will zu meinem Mütterlein.“

„Du kannst jetzt noch nicht hin“, sagte Anna ängstlich, „schlaf doch und denk nicht mehr daran! Frag auch den Papa nicht darum, er wird sonst traurig.“

„Nein, den Papa frag ich so was nicht, nur dich“, erwiderte der Kleine entschieden. „Jetzt musst du singen; ich bin müde und traurig.“

So sang die treue Wärterin mit sanfter Stimme ein Liedchen nach dem anderen, bis das reiche und doch so arme Kind eingeschlafen war.

 

In den nächsten Tagen verlangte Walter noch mehrmals das Gedicht vorlesen zu hören, sosehr es Anna auch zu vermeiden suchte; endlich schien er es vergessen zu haben.

Bald aber merkte sie, dass er, wenn er sich unbeobachtet glaubte, oft mit dem Buche in einer Ecke saß und leise und ernsthaft die Verse vor sich hinsagte, immer mit dem Finger auf Mutter und Kind zeigend.

Das gute Mädchen bemühte sich seitdem noch mehr, die Liebe des Kindes zu gewinnen und ihm soviel wie möglich die Mutter zu ersetzen.

Es gelang ihr indessen nur halb, da man ihr nicht gestattete, seinen Eigensinn ernstlich zu bekämpfen.

Sobald sie es versuchte, rief sein heftiges Geschrei die Haushälterin herbei, die ihm nicht nur in allem recht gab, sondern auch Anna noch tadelte, dass sie das zarte Kind in solche Aufregung bringe.

Auch Herr von Riedel ermahnte sie bei seinen Besuchen in der Kinderstube stets zur Nachsicht und Geduld und prägte ihr immer von Neuem ein, dass sie nur dazu da sei, den Kleinen zu pflegen und zu unterhalten; seine Erziehung werde von erfahrenen Personen in die Hand genommen werden, wenn er älter und kräftiger geworden sei.

Herr von Riedel war ein Staatsmann, und seine Gedanken beschäftigten sich stets mit Dingen, die der Kinderstube gänzlich fern lagen. Er wusste nicht recht, was er mit seinem kleinen Jungen anfangen sollte, und wollte ihm doch gern seine Liebe zeigen. So brachte er ihm fast von jedem Gang durch die Stadt etwas mit, ein Spielzeug, ein Bilderbuch oder etwas Naschwerk. Das war so bequem; man brauchte eben nur in den Laden zu gehen, um Geld hinzugeben.

Durch diese Überladung mit Geschenken ward aber das verzogene Kind immer anspruchsvoller, unzufriedener und unsteter. In einem Alter, wo andere Knaben erst anfangen recht eifrig zu spielen, war er schon der schönsten Sachen müde, warf oft alles durcheinander, streckte sich gähnend auf dem Teppich und klagte:

„Ich weiß auch gar nicht, was ich spielen soll!“

Walters Mutter war in jugendlichem Alter an einer Brustkrankheit gestorben, und der Knabe hatte ihre zarte Natur geerbt. Die einfachste, natürlichste Nahrung wäre die beste für ihn gewesen, stattdessen suchte man ihn mit allerlei Stärkungsmitteln zu kräftigen, man erhitzte sein kleines Gehirn mit Wein und suchte seinen Appetit durch Leckerbissen zu reizen.

Um ihn vor Erkältung zu hüten, ließ man ihn fast den ganzen Winter nicht hinausgehen, und verweichlichte seinen Körper auf diese Weise immer mehr.

„Armes Kind“, seufzte Anna oft, wenn sie dies alles wider ihren Willen geschehen lassen musste, „wenn du doch eine verständige Mutter hättest! Wie munter und glücklich könntest du sein!“

 

Unter diesen Umständen trat Walter in sein sechstes Jahr, und es fiel dem Vater ein, dass es wohl bald Zeit sein möchte, mit seiner Erziehung zu beginnen. Zuvor jedoch sollte eine Badereise unternommen werden, da er selbst einer Erholung bedurfte und der Knabe in letzter Zeit besonders reizbar und unlustig gewesen war.

Es ward bestimmt, dass die Haushälterin zur Pflege des Kleinen mitreisen sollte; Walter aber erklärte sehr entschieden, er werde nur ins Bad reisen, wenn Anna ihn begleite, und das gab den Ausschlag.

Es war ein recht schwüler Julitag, als die drei ein Coupé erster Klasse bestiegen, um die ziemlich weite Reise nach dem Badeort anzutreten. Sie waren allein darin und Anna war beauftragt worden, allerlei Unterhaltung für Walter mitzunehmen.

Durch die Hitze noch aufgeregter und unleidlicher als gewöhnlich, war er sehr schwer zu befriedigen. Bald wollte er zum Fenster hinaussehen, bald langgestreckt auf dem weichen Polster schlafen; dann schüttete er die Dominosteine aus; dann die bunten Sternchen des neuen Legspiels. Jetzt verlangte er einen Bissen zu essen, jetzt aus dem zierlichen Fläschchen süßen Wein zu trinken.

Anna war sehr froh, als er endlich das von ihm selbst gewählte Bilderbuch ergriff, sich in die Ecke lehnte wie der Papa mit seiner Zeitung, und nach seiner Art zu lesen begann.

Bisher war der Bahnzug durch eine weite Ebene geeilt, nun aber veränderte sich die Szene. Man fuhr eine Zeitlang durch liebliches Hügelland, dann begann die Bahn zu steigen, und an beiden Seiten erhoben sich Felsen und bewaldete Berge.

Herr von Riedel, der schon viele schönere Gegenden gesehen hatte, hielt es der Mühe nicht wert, zum Fenster hinauszublicken; Anna aber, deren erste weite Reise es war, betrachtete mit Entzücken die immer romantischer werdende Gebirgslandschaft.

Unbemerkt hatte sich Walter ans andere Fenster gestellt und begann plötzlich:

„Papa, guck, die hohen Berge! Ist das Bad da oben?“

„Nein, mein Sohn, das Bad ist in einem schönen Tal.“

„Ich will aber auf den Berg, ganz hoch hinauf bis an den Himmel!“

„Du sollst auch auf einem kleinen Esel auf die Berge reiten.“

„Dann weiß ich, was ich mache!“

„Ei, was denn?“, fragte der Vater, die Zeitung weglegend.

„Ich gehe in den Himmel und hole mir mein Mütterlein wieder heraus.“

„Was fällt dir ein, Kind! Du kannst von den Bergen aus nicht in den Himmel kommen.“

„Ja, doch! Sieh nur hin, wie sie alle oben an die Wolken stoßen. Hu, die schwarzen Wolken! Ist mein Mütterlein dahinter?“

„Fräulein Anna“, sagte Herr von Riedel, sich von dem Knaben abwendend, „Sie haben dem Knaben wider meinen Willen törichte Schwärmereien in den Kopf gesetzt. Übernatürliche Dinge passen nicht für Kinder.“

„Ich konnte ja nicht anders“, entschuldigte sich das Mädchen. „Vor langer Zeit fragte er mich einmal, wo seine Mama sei; wie sollte ich da anders antworten?“

„Sie hätten sagen sollen, er habe keine Mutter; denn das ist die Wahrheit!“

„Sieh, Papa“, rief Walter, der indessen in seinem Buch gesucht hatte, „so eine Mutter hol ich mir aus dem Himmel, die nimmt mich dann auf den Schoß und küsst mich so.“

„Du brauchst keine Mutter!“, erwiderte der Vater, den Knaben an sich ziehend. „Sieh, ich habe dich auch lieb und küsse dich. Der Himmel ist nur Luft und Wolken, weiter nichts; da kann niemand hinkommen und niemand drin wohnen.“

Während dieses Gesprächs war es immer dunkler im Wagen geworden; jetzt aber fuhr ein greller Blitz durch die schwarzen Wolken, dem ein heftiger Donnerschlag folgte. Gleich darauf brach ein heftiger Sturm los, der die hohen Tannen am Wege niederbeugte und starke Äste von den Laubbäumen brach.

Bald prasselten schwere Regentropfen und Hagelkörner auf das Dach des Wagens, die Blitze zuckten, der Donner rollte und weckte zehnfaches Echo in dem Gebirge.

Anna hatte die Hände gefaltet und bat im Stillen um Gottes Schutz; der Vater hielt nachdenklich das zitternde Kind auf dem Schoße.

Der Zugführer hatte die Schnelligkeit des Fahrens verringert, denn man befand sich an einem sehr gefährlichen Platze. Das Tal war hier ganz eng und an beiden Seiten von zwar nicht sehr hohen, aber steilen Felsen begrenzt.

Da leuchtete plötzlich ein so heller Blitz auf, als ob die ganze Gegend in Feuer stünde, und in demselben Augenblick krachte ein so furchtbarer Donnerschlag, dass Walter laut aufschrie, Anna von Sitz herab auf die Knie sank, und der Vater unwillkürlich ausrief:

„Gott, erbarme dich unser!“

Fast zu gleicher Zeit stand der Zug still, und man hörte ein seltsames Dröhnen und Rollen, als ob schwere Steine zu Tal stürzten.

Aber schon tönte draußen die Stimme des wackeren Zugführers:

„Alles in Ordnung; kein Unglück geschehen, nur etwas Aufenthalt!“

Der Regen hatte inzwischen aufgehört. Der schreckliche Donnerschlag war der letzte gewesen, und das Wetter zog schnell vorüber.

Nun öffneten sich alle Wagentüren, und man stieg aus, um zu sehen, was geschehen sei.

Welch ein Anblick bot sich da nur wenige Schritte vor der Lokomotive! Auf den Schienen lag eine wüste Masse von Felsblöcken, Baumstämmen und Gestrüpp; denn dort oben hatte der Blitz in eine mächtige Eiche geschlagen.

Der Sturm hatte mehrere kleinere Bäume entwurzelt, und dadurch waren die vielleicht schon längst geborstenen Steinmassen losgelöst worden und herabgestürzt.

„Das war Gottes Schutz!“, rief ein alter Herr mit bewegter Stimme. „Lasst uns ihm danken; wie leicht hätten wir alle des Todes sein können!“

Der Absturz war auf der linken Seite geschehen. Auf der rechten erhob sich zwischen den Felsen ein grasbewachsener Hügel, und oben stand, der Unglückstätte fast gegenüber, ein freundliches Bahnwärterhäuschen, von dem eine schmale, in das Erdreich gehauene Treppe hinab zum Schienenweg führte.

Die Wolken hatten sich nun ganz zerstreut; der Himmel strahlte in glänzendem Blau, und das Häuschen mit den blanken Fenstern und dem hübschen Blumengärtchen daneben stach seltsam ab gegen die Verwüstung da unten.

Während der Bahnwärter in eifriger Beratung bei den anderen Beamten stand, erschien oben an der Treppe ein hübscher schwarzköpfiger Junge, nicht viel älter als Walter, aber braungebrannt und kräftig.

In leichtem, blauen Leinenkittel, die Höschen hochaufgestreift, sprang er mit bloßen Füßen hurtig die schlüpfrigen Stufen herab, einen kleinen Spaten über der Schulter tragend, den er alsbald an einen der Felsblöcke stemmte und mit großem Kraftaufwand drückte und schob.

„Was willst du machen, Kleiner?“, fragte einer der Umstehenden.

„Wegschaffen!“, war die ernste Antwort.

Alle lachten, und erst jetzt ward der Bahnwärter seinen Jungen gewahr.

„Geh hinauf, Fritz“, sprach er kurz, „und komm nicht wieder herunter.“

Der Knabe gehorchte sogleich, setzte sich aber auf die oberste Stufe und beobachtete aufmerksam alles, was unten vorging.

Es war nicht daran zu denken, die Bahn heute noch zum Weiterfahren frei zu machen, und man telegrafierte an die letzte Station nach einer Lokomotive, die den Zug dahin zurückfahren sollte.

„Leider ist dort nur ein einziger Gasthof, der wenig Bequemlichkeiten bietet“, sprach der Zugführer, „indes auf eine Nacht nimmt man schon fürlieb.“

„Ich sehe gar nicht ein, warum wir zurück sollen“, sprach eine feingekleidete ältere Dame; „ich weiß genau, dass von hier ein Waldweg über die Höhen nach unserem Reiseziel, dem Badeort, führt. Ich ziehe jedenfalls einen Spaziergang von zwei Stunden dem Nachtquartier in dem elenden Nest vor. Du nicht auch, Leonore?“, schloss sie mit erhobener Stimme, sich nach ihrer Begleiterin, einem schönen lebhaften Mädchen von etwa zwanzig Jahren, umschauend.

„Gewiss, liebe Tante!“, tönte die Antwort von einem Felsblock herab, den die junge Dame aus Übermut und Langeweile erklettert hatte. „Zuerst aber muss mir jemand hier herunter helfen, sonst bin ich gezwungen, auf diesem Felsen zu übernachten.“

Sogleich sprang Herr von Riedel herbei, um Hilfe zu leisten.

Durch den kleinen Dienst entspann sich ein heiteres Gespräch, und als die Lokomotive endlich angebraust kam, war der ernste Eindruck des Unfalls längst verflogen.

Indessen hatte Walter unter Annas Schutz die Stätte des Unfalls besucht, aber bald wieder in den Wagen zurückverlangt, wo er nun nach seiner Art anfing, über Langeweile zu klagen.

Plötzlich aber rief er ganz entzückt:

„Anna, sieh, o sieh mal, da oben!“

Da lief der kleine Barfüßler am Abhang hin und führte an langer Schnur ein allerliebstes schneeweißes Zicklein, das ein hellklingendes Glöcklein um den Hals trug.

So etwas hatte das Stadtkind bisher nur in Bilderbüchern gesehen.

„Junge“, rief er gebieterisch, „komm herunter und bring das Zicklein mit!“

„Ich darf nicht!“, rief jener zurück.

„Warum nicht?“

„Der Vater will’s nicht!“

Damit war jedoch für Walter die Sache keineswegs abgetan; er hielt eine goldgelbe Orange empor und rief:

„Das geb’ ich dir, wenn du herunter kommst!“

Der Junge hatte sich niedergesetzt, das Zicklein umkreiste ihn in munteren Sprüngen, aber die Orange lockte ihn nicht.

„Sieh, was ich habe!“, schrie Walter, nacheinander die Spielsachen und das Bilderbuch aufzeigend. „Du kannst dir wählen, was du willst, bring nur das Zicklein her.“

Aber Fritz band das Tierchen an einen jungen Birkenstamm, lief nach dem Schuppen neben dem Hause und kehrte bald zurück, in einem Arm ein weißes, im anderen ein schwarzes Kaninchen tragend.

„Sieh, was ich habe!“, rief er lachend herüber.

„O, bring mir doch eins, bring mir das weiße; ich kaufe dir’s ab, ich habe goldenes Geld!“

„Das hab ich auch in meinem Patenbrief“, erwiderte Fritz; „was man zum Geburtstag gekriegt hat, verkauft man nicht. Das schwarze heißt Fips und das weiße Schnips; ich hab auch einen Hund.“

„Wo ist er denn?“

Fritz legte die Finger an den Mund und tat einen hellen Pfiff.

Alsbald sprang aus dem Gebüsch ein kleiner brauner Hund hervor und fuhr neckend auf das Zicklein los, das sich tapfer wehrte und die possierlichsten Sprünge machte.

Auch Schnips und Fips ergötzten sich im weichen Gras zu Füßen ihres kleinen Herrn, der stolz auf das Spiel der Tierchen herabblickte wie ein König auf seine Untertanen.

Walter aber jubelte und klatschte in die Hände; es war ja, als sei sein Tierbilderbuch lebendig geworden.

Da trat Herr von Riedel hinzu, stieg in den Wagen und sprach zu Anna:

„Es ist recht unangenehm, dass wir zurück müssen. Wäre ich allein, so würde ich gern mit einigen Bekannten, die ich hier getroffen, zu Fuß nach dem Badeort gehen; der Waldweg über die Höhen soll sehr schön sein. Aber für Walter ist er viel zu weit, und ich möchte Sie nicht allein mit ihm in dem fremden Gasthof übernachten lassen.“

„Ich will aber nicht zurück“, rief Walter eifrig, „ich will hierbleiben bei den Kaninchen und dem Zicklein!“

„Sei doch nicht so töricht, Kind“, erwiderte der Vater; „das ist ganz unmöglich.“

„Aber ich will!“, schrie Walter. „Dort hinauf will ich, zu dem Jungen und den Tieren.“

Damit entschlüpfte er Annas Hand, sprang aus dem Wagen und lief der Treppe zu.

Aber im Nu hatte ihn der Vater erreicht und emporgehoben, während der verzogene Junge wie am Spieße schrie, mit den Beinen strampelte und die Arme nach den Gegenständen seiner Sehnsucht ausstreckte.

Dem Vater war es sehr unangenehm, dass sich viele Augen auf den kleinen Schreihals richteten, und er schob ihn eilig und etwas unsanft in den Wagen.

„Was ist denn los? Ist der Kleine gefallen?“, fragte der Bahnwärter, der eben vorüberging.

„Bei dem Jungen will ich bleiben, mit den Tieren will ich spielen“, schluchzte Walter beweglich.

„Na, wenn’s weiter nichts ist; dazu kann schon Rat werden“, sagte der Mann. „Lassen Sie doch das Fräulein mit dem Kinde bis morgen hier; der Gasthof im Städtchen wird übervoll werden. Wir haben ein nettes Stübchen im Giebel, wo schon mancher Sommergast gewohnt hat, um Waldluft zu genießen.“

Ganz gegen Annas Erwarten ging Herr von Riedel mit Freuden auf diesen Vorschlag ein.

Walters Jammer verwandelte sich in Jauchzen; ganz behände kletterte er die Stufen hinauf und hätte sich am liebsten gleich neben Fritz ins nasse Gras geworfen.

Bald setzte sich der Zug mit den Zurückkehrenden in Bewegung, während die muntere Gruppe der Badegäste den Waldweg aufsuchte.

„Achten Sie wohl auf den Knaben; morgen hole ich ihn ab“, rief Herr von Riedel noch flüchtig dem Mädchen zu. Dann eilte er der Gesellschaft nach, reichte der jungen Dame den Arm und war bald hinter den dunklen Tannen verschwunden.

Anna war sehr verwundert über das große Vertrauen, das ihr der sonst so ängstliche Vater heute schenkte, und es kam ihr der Gedanke, ob vielleicht die Dame dabei im Spiele sei.

Mit großer Freundlichkeit hieß die saubere, muntere Frau des Bahnwärters ihre Gäste willkommen.

„Ich bin froh, dass doch wieder jemand das Stübchen benutzt“, plauderte sie; „ich hab es am Pfingstfest so hübsch in Ordnung gebracht. Wir haben fast jeden Sommer Gäste. Wissen Sie, Fräulein, keine Vornehmen; die gehen ja ins Bad.

Ein junger kränklicher Lehrer war voriges Jahr hier und erholte sich so schön in der Waldluft; vor zwei Jahren war’s eine Schneiderin, ein armes, bleiches Dingel, das nicht viel geben konnte. Aber sie hat mein und der Kinder Zeug so nett wieder hergerichtet, wenn sie dort auf der Bank am Waldesrand saß, und als sie fortging, weinten wir beide.

Aber was schwätz’ ich doch; kommen Sie herauf, wir wollen gleich das kleine Sofa in ein Kinderbett für den hübschen Jungen verwandeln.“

Ja, es war ein gar freundliches Stübchen, schneeweiß getüncht, mit zierlichen Vorhängen am blanken Fenster und sehr einfachen, aber sauberen Möbeln. Das Beste war der Ausblick auf eine kleine frischgrüne Wiese, mit tausend bunten Frühlingsblumen übersät, und auf den dunklen Tannenwald, mit lichten Birken und Buchen untermischt.

Würziger Duft strömte zum Fenster herein, und auf dem Weinstock, der es umrankte, zwitscherte ein Waldvöglein.

„O wie lieblich und still ist es hier!“, sagte Anna erfreut. „Viel lieber möcht’ ich hierbleiben als im vornehmen Badeort. Aber nun schnell herunter zu dem Kleinen; es möcht’ ihm was zustoßen.“

„Ei, wie sind Sie so ängstlich“, entgegnete die Frau, „der Fritz ist ja dabei, der gibt schon Acht.

Hier sind auch die anderen“, fuhr sie fort, das Wohnzimmer öffnend, in dessen traulicher Ecke ein kleiner pausbäckiger Junge in seiner Wiege schlief. Daneben saß auf niedrigem Schemel ein blondhaariges Mägdelein von etwa fünf Jahren, mühsam an einem zweifelhaften Gegenstand strickend, der ein Strumpfband vorstellen sollte.

Jetzt ließ es die Arbeit fallen, reckte die Fingerchen und stieß einen Seufzer aus.

„Nun ist’s genug, Lottchen“, sagte die Mutter freundlich. „Lauf hinaus; es ist ein schöner kleiner Junge zu Gast gekommen.“

Lottchen betrachtete erst Anna aufmerksam von allen Seiten, ging dann leise hinaus und beobachtete den kleinen Gast schüchtern von ferne.

„Sie haben so liebe Kinder“, sagte Anna, den Jungen in der Wiege streichelnd, der eben fröhlich erwachte.

„Na, es geht!“, erwiderte die Frau. „Es hat so jedes seine Art.

Der Fritz ist ein aufgeweckter Junge und hat einen hellen Verstand, auch viel Lust zum Lernen. Der kränkliche Lehrer gab sich vorigen Sommer viel mit ihm ab. Da hat er nur so des Abends und an Regentagen das Lesen fast ganz gelernt und noch allerlei dazu. Er ist eben an einem klaren Maientag geboren, als der erste Morgenzug angebraust kam. Aber man muss ihn kurz halten; er wird leicht übermütig und will alles besser wissen.

Lottchen dagegen ist still und sanft und etwas langsam; sie kam an, als der Schnee dick in der Schlucht lag und die Lokomotive nur mühsam vorwärts keuchte.

Der kleine Ernst hier“, schloss sie, das Kind aus der Wiege nehmend, „kann noch nichts als lachen und schreien; er ist aber mein Herzblatt.

Nun hab ich Ihnen genug vorgeschwatzt; nehmen Sie’s nur nicht für ungut. Man lebt gar so still hier oben, und mein Alter ist nicht von vielen Worten.“ Damit eilte sie hinaus, setzte das Kind in ein Wäglein und befahl Fritz, es zu hüten, während sie ihre vielfachen Geschäfte in Stall und Küche verrichtete.

 

Als sich am nächsten Tage die Sonne zum Untergang neigte, war man mit dem Wegräumen der abgestürzten Felsstücke fertig und die Bahn war wieder fahrbar.

Mit dem ersten Zuge aus dem Gebirge kam Herr von Riedel, um nach seinem Kinde zu sehen.

„Gehen Sie nur herauf, Herr“, sagte der Bahnwärter; „der kleine Prinz befindet sich ausgezeichnet.“

Auf der Bank vor dem Hause saß Anna, eifrig bemüht, Walters neue Reisebluse zu flicken, die er an einem Nagel im Stalle zerrissen.

Auf der Wiese aber tummelten sich, Blumen pflückend, die Kinder, halbverdeckt von hohem Gras.

Die Ziege weidete am Rand und trug um den Hals einen dicken Blumenkranz; Schnips und Fips waren ähnlich geschmückt, hatten sich aber den Zierrat schon gegenseitig halb abgefressen.

Beide Hände voll Blumen, in ein altes Leinenkittelchen von Fritz gekleidet, mit rosig angehauchten Wangen sprang Walter auf seinen Papa zu.

„Hier ist’s hübsch, Papa; ich mag nicht ins Bad, hierbleiben will ich! Guck, die vielen Blumen; ich darf sie alle pflücken. Und die Milch schmeckt gut, besser als die Schokolade daheim. Der Hund folgt mir schon; gib mal Acht; Karo, Karo, hierher!“ Da sprang das muntere Tier herbei und leckte dem kleinen Gaste die Hand.

So munter hatte der Vater seinen Jungen noch nie gesehen. Auch Fritz kam herbei und antwortete freimütig und verständig auf die Fragen des fremden Herrn.

Mit besonderem Wohlgefallen ruhte des Vaters Blick auf dem hübschen Knaben, der trotz der dürftigen Kleidung etwas Edles in Gesicht und Haltung hatte.

„Rufe deine Mutter“, sprach er endlich, „ich möchte mit ihr sprechen und das Innere des Hauses sehen.“

Bereitwillig führte ihn die Hausfrau durch die schlichten, sauberen Räume ihres bescheidenen Heims.

Indes war die Bluse wieder hergestellt und Walter sollte fertig gemacht werden, denn in einer halben Stunde kam der nach dem Bade fahrende Zug.

Aber hier stieß Anna auf entschiedenen Widerstand. Walter schrie und strampelte zwar nicht wie gestern, dazu war er heute viel zu guter Laune. Aber er schlüpfte dem Mädchen unter der Hand weg, und es begann eine neckische Jagd um den Hof, die damit endete, dass der Knabe die schmale Hühnerleiter emporkletterte, die an der Scheune angebracht war, und von seiner Höhe herab immer von Neuem lachend versicherte, er werde hierbleiben.

Fritz und Lottchen guckten einander verblüfft an, denn sie hatten noch nie gesehen, dass ein Kind seinen Willen in dieser Weise durchsetzte.

Anna stand ratlos. Die Zeit drängte. Mit Gewalt konnte sie den Jungen nicht herunterholen, da die Leiter zu schwach war, einen Erwachsenen zu tragen.

„O Walter!“, rief sie, in Tränen ausbrechend. „Nun wird der Papa mich schelten, wenn du nicht fertig bist. Hast du mich denn gar nicht lieb?“

„Lieb hab ich dich, aber runter komm ich nicht!“

„Dann ist’s nicht wahr“, sprach Fritz sehr entschieden; „wenn du ihr nicht folgst, hast du sie auch nicht lieb.“

Da traten die Bahnwärtersleute mit ihrem vornehmen Gaste aus dem Hause, und der Vater begriff sogleich, was Annas Tränen und seines Jungen erhöhter Standpunkt zu bedeuten hatten.

„Komm nur herunter“, sprach er lachend, „du darfst hierbleiben. Sie müssen sich des Kindes Eigensinn nicht so zu Herzen nehmen, Fräulein Anna; ein starker Wille ist viel wert; man darf ihn nicht zu sehr unterdrücken.

Diesmal stimmt übrigens Walters Wunsch mit dem meinen überein. Der Badeort ist sehr stark besetzt, und der Arzt meint, die Waldesruhe und einfache Lebensweise hier sei besser für den zarten Knaben als die Unruhe und Aufregung dort.

Diese guten Leute sind bereit, Sie einige Wochen zu beherbergen, und ich weiß, Sie werden sich des großen Vertrauens, das ich Ihnen schenke, würdig zeigen, indem Sie das Kind so gut wie möglich pflegen.

Ich werde sogleich den Koffer mit Ihren und Walters Kleidern schicken und häufig nach ihm sehen.“

Dann hob er den Kleinen empor und küsste ihn zärtlich, strich auch

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 05.10.2013
ISBN: 978-3-7309-5384-6

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