1642. Quebec, der Mittelpunkt der kanadischen Kolonie und ihrer bewegten Geschichte, ist noch ein kleines Städtchen am unteren Laufe des St.-Lorenzo-Stroms. Ein Jesuitenpater möchte seine geliebten Huronen missionieren. Doch die feindlichen Irokesen graben das Kriegsbeil aus.
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Wir sind im Jahre 1642. Quebec, der Mittelpunkt der kanadischen Kolonie und ihrer bewegten Geschichte, ist noch ein kleines Städtchen am unteren Laufe des St.-Lorenzo-Stroms. Eine Reihe von Blockhäusern, eine Gruppe von Schuppen und Warenlagern, das Nonnenklösterchen der so berühmt gewordenen Ursulinen von Quebec und das mit Lehm beworfene, mit Schilf gedeckte Holzhaus der Jesuiten ist alles, was wir am Fuß der steil aufragenden Uferfelsen erblicken. An ihrem Rande erhoben sich die Umrisse einer kleinen, zum Schutz gegen die Indianer erbauten Befestigung. Von ihren Wällen flatterte die französische Flagge im Morgenwind, und die Mündungen der im Sonnenstrahl blitzenden Kanonen schauten drohend auf den Lorenzo hinab und über die unermesslichen Wälder hin, die sich um die kleine Siedlung dehnten. Nur selten betrat sie der Fuß eines Weißen, denn an den Ufern der großen Kanadischen Seen und in den dunklen Waldgründen hauste damals noch als fast unumschränkter Herr der Indianer.
Unweit von den Wällen der Feste stand die neu erbaute Kapelle der Jesuiten. Die Patres feierten heute – es war der 31. Juli – das Fest ihres Stifters, des heiligen Ignatius. Eben war das Hochamt zu Ende. Aus dem Tor strömte die Schar der andächtigen Bewohner, an der Spitze der neue Gouverneur im roten Mantel der Malteserritter, gefolgt von Offizieren und einigen Patres.
Ein einziger Mann in schwarzem Ordenskleide kniete noch versunken am Altar. Es war eine hohe, riesenhafte Gestalt mit breiten Schultern, mächtiger Brust und energischen, scharf geschnittenen Zügen. Er hätte Waldgänger sein können. Aber langjährige Entsagung in der Schule des hl. Ignatius und Franz Xaver hatten seinem Gesicht und seiner Haltung den Stempel priesterlicher Würde und geistiger Hoheit aufgedrückt. Sein Anblick flößte Ehrfurcht und Vertrauen ein. Das war der berühmte Huronenmissionar Pater Johann de Brébeuf, der Sohn eines adeligen Geschlechtes aus der Normandie, einer der gewaltigen Apostel, deren Namen die katholische Missionsgeschichte verzeichnet hat.
Er betete für die Indianer, seine lieben Huronen. Sie sind seine einzige Sorge; er will die prächtigen, aber irrenden Menschen zu Christen formen. Aber er weiß auch: Der Tomahawk des feindlichen Irokesen, die grässlichsten Martern stehen in Aussicht. – Sie schrecken ihn nicht. „Suscipe, Domine“, fleht er, „nimm hin, o Herr, mein Blut und mein Leben, wenn ich nur ihre Seelen rette.“
Es war einige Wochen her, dass Pater Brébeuf von seiner entlegenen Missionsstation weit oben am Ottawafluss glücklich in Quebec angelangt war. Hier hatte er im Kreise seiner Mitbrüder etwas ausgeruht und mit ihnen das traute Familienfest gefeiert, das sie jährlich zu vereinigen pflegte. Am folgenden Tage sollte er wieder zurückgehen in die Wildnis. Nie war die Reise gefahrvoller gewesen als gerade jetzt, wo die blutige Fehde zwischen den Huronen und Irokesen neu aufgeflammt war und überall Irokesenbanden lauerten. Diese beiden Stämme übertrafen alle andern an Körperkraft, Tapferkeit und einheitlicher Gliederung. Obgleich stammverwandt, blieb das Kriegsbeil zwischen ihnen doch nur selten begraben. Allein die junge Huronenmission bedurfte des starken Armes und feurigen Herzens des Paters Brébeuf. Furcht hatte der gewaltige Mann nie gekannt, und die Kühnheit und fast wunderbare Geschicklichkeit seiner Huronen hatten ihn schon mehr als einmal mitten durch die Irokesen glücklich hindurchgeführt. Endlich erhob er sich und wandte sich zum Gehen. Seine kühnen Augen leuchteten.
Als der Pater aus der Kapelle trat, stieß er auf eine Gruppe Huronen. Die hohen, kräftigen Gestalten mit den sehnigen, braunen Armen standen fest und unbeweglich wie aus Bronze gegossene Statuen da. Vorne auf die Brust und über den Nacken hing in schlichten Strängen das lange, pechschwarze Haar, das einige Vogelfedern schmückten. Von den Schultern wallte das stattliche Büffelfell bis herab zu den buntgestickten Mokassins. Ein leises „Howgh! Howgh!“ kam über ihre Lippen, als die Hünengestalt Brébeufs sich bückend aus dem Tor heraustrat. „Echon“ – so nannten ihn die Huronen – hatte sich bei den Wilden durch seine Kraft und seinen Mut überaus beliebt gemacht.
„Meine Kinder“, redete sie der Missionar an, „ich habe mit dem großen Geist gesprochen. Die Sache ist jetzt beschlossen; morgen reisen wir ab. – Sachem, ich verlasse mich darauf, dass ich alles bereit finde.“
„Es ist gut“, erwiderte einer, den drei stolze Adlerfedern als Häuptling bezeichneten, „Ahasistari hat gehört, was sein Vater gesprochen.“
„Wie viele junge Krieger führt der tapfere Häuptling?“
Der Indianer öffnete und schloss sechsmal seine beiden Hände. Das waren 60.
„Wie viele Kanus?“
„Acht.“
„Es ist gut, die Huronen sind tapfer wie die Bären des dunklen Waldes und klug wie die Biber des Flusses. Die Irokesen werden leere Netze ziehen.“
Ein leises Lächeln glitt über die harten Züge des Häuptlings. „Mein Vater hat gut gesprochen. Die Squaws der Irokesen werden den heimkehrenden Kriegern Weiberröcke machen.“
„Gut! Morgen früh beim ersten Morgengrauen.“
Ahasistari nickte, und Pater Brébeuf, der wusste, wie sehr er sich auf den Häuptling verlassen konnte, verabschiedete sich mit freundlicher Handbewegung und schlug den Weg nach dem Missionshause ein.
Der Nachmittag verstrich in Vorbereitungen für den kommenden Morgen. Denn es gab vieles einzupacken; an alles musste man denken, und nichts durfte vergessen werden.
Dazu fehlte es den ganzen Tag nicht an Besuchern. Denn das Haus der Schwarzröcke enthielt bei all seiner Armut Wunder, deren Ruf sich bis an die äußersten Grenzen des Huronenlandes verbreitet hatte. So war denn das Haus beständig gedrängt voll von alten und jungen Kriegern, die von Fett und Sonnenblumenöl glänzten und deren Locken struppig waren wie Pferdemähnen. Das Hauptwunderwerk bildete die alte Wanduhr. Die einfältigen Kinder der Wildnis hockten stundenlang in stiller Erwartung auf der Erde, um sie schlagen zu hören. Sie dachten, sie sei lebendig, und fragten, was sie esse.
Als dann der letzte Schlag ertönte, rief Louis, der kleine Franzose, den wir noch kennen lernen werden, rasch: „Halt!“ – und zur Verwunderung der Gesellschaft schwieg die gehorsame Uhr. Nun bekamen selbst die alten Krieger Respekt vor dem kleinen Bleichgesicht.
Ein zweites Wunder war die Handmühle. Die Indianer wurden nicht müde, sie zu drehen, und mahlten den ganzen Vorrat der Speisekammer auf einmal. Die sonst so ruhigen Indianer verloren vor Staunen ganz die Fassung, als Louis ihnen ein Vergrößerungsglas vor die Augen hielt, und sie eine Mücke in ein schreckliches Ungetüm verwandelt sahen.
„Was sagt der Kapitän?“, war gewöhnlich die erste Frage beim Eintritt. Diesen Ehrentitel hatten sie der Uhr beigelegt.
„Wenn er zwölfmal schlägt“, so erklärte der kleine Louis, „sagt er: Steht auf und geht nach Hause!“
Beide Erklärungen wurden gut behalten. Schlag vier erhoben sich alle und ließen den Vätern eine Zeitlang Ruhe. Nun wurde die Türe verriegelt, und die Patres sammelten sich um den groben eichenen Tisch in der Mitte.
Es war ein Kreis von Männern, wie sie nicht oft sich so zusammenfinden. Über alle ragten die breiten Schultern des Pater Brébeuf, der da saß wie ein alter Krieger mit buschigen Brauen und kurzem, schon stark ergrautem Bart; da war der alte ehrwürdige Superior, Pater Le Jeune, der Begründer der Mission; daneben der kleine, schmächtige Pater Jogues, den aber kein Indianer im Wettlauf überholte, derselbe, den die Irokesen später so schrecklich marterten; dann die einstigen Hofpagen Pater de Nouet und Pater Garnier, dieser neben Brébeuf der beste Kenner des Huronischen; endlich der kühne Chaumont, Daniel, und Lalemant – lauter Männer, in deren Brust ein starker Mut lebte und die nur einen Wunsch auf Erden kannten: die Seelen der heidnischen Indianer zu retten um den Preis auch der härtesten Opfer und selbst des eigenen Lebens. In der Tat haben sie fast alle ihr Leben mit einem blutigen Tode besiegelt.
Sie redeten über die Aussichten der Mission, sie teilten sich ihre Erfahrungen mit, beratschlagten die bevorstehenden Reisen und stärkten einander durch brüderlichen Zuspruch. Dann las ihnen der Superior langsam und feierlich die Regeln vor, welche der Orden seinen Missionaren vorschreibt, und schloss daran einige praktische Winke, die er aus seiner reichen Erfahrung geschöpft hatte. Diese Anweisungen sind uns noch erhalten. Da heißt es unter anderem:
„Ihr sollt die Indianer wie Brüder lieben. – Lasset sie nie bei der Einschiffung auf euch warten; nehmt den Saum eures Talars auf, damit ihr nicht Sand oder Wasser daran in das Kanu bringt (ein Punkt, in dem die Indianer sehr empfindlich sind); ziehet aus demselben Grunde Schuhe und Strümpfe aus. Achtet darauf, dass, wenn ihr im Kanu seid, euer Hutrand sie nicht störe; nehmet Feuerstein und Stahl mit, ihre Pfeifen und nachts ihre Feuer anzuzünden, denn diese kleinen Dienstleistungen gewinnen ihr Herz; werdet den Indianern nicht lästig, stellt nicht zu viele Fragen an sie, tragt ihre Fehler schweigend und zeigt euch stets heiter; macht keine Umstände mit den Indianern; nehmt gleich, was sie euch anbieten – Umstände machen beleidigt sie; versucht darum ihren Sagamite so, wie sie dieses Mus kochen, ob es gut oder schlecht sei.
Erinnert euch stets daran, dass ihr Christus und sein Kreuz sucht und nichts anderes.“
So sprachen und handelten diese Männer.
Da Pater Brébeuf sehr früh am andern Morgen aufbrechen wollte, nahm er am Abend Abschied von seinen Brüdern und Kampfgenossen, indem er sie der Reihe nach herzlich umarmte. Wer weiß, ob er sie jemals wieder sehen wird?
Es war in der Morgenfrühe des 1. August 1642. Die ersten Strahlen der kanadischen Sommersonne schimmerten hinter den Tannen des östlichen Waldgebirges und schossen einen Augenblick später blitzend über die weiten spiegelnden Wasser des Lorenzo. Eine frische Morgenbrise hauchte über die Fläche. Glitzernd und funkelnd tanzten die Wellen im Sonnenscheine und flohen schäumend vor dem Buge einiger Birkenkähne auseinander, die, von sehnigen Armen gerudert, die einsame Wasserbahn durchschnitten.
Das war die kleine Huronenflotte, mit welcher Pater Brébeuf die Fahrt in die Wildnis angetreten. Die acht Kanus fuhren in einer langen Reihe hintereinander. Im Winde flatterte das lange schwarze Haar der Indianer, die an den Rudern saßen. Hundert teilnahmsvolle Augen sahen vorn Ufer aus der Abfahrt zu. Der Missionar saß im Häuptlingskahne am Schluss des Zuges und betete still aus einem großen Brevier, das auf seinen Knien lag. Neben ihm stand Louis, der muntere kleine Franzose, der uns schon im Hause der Missionare begegnete.
Louis’ Vater war ein tapferer Offizier, der vor Jahresfrist aus Frankreich herübergekommen war. Da der Kleine auf der stürmischen Seereise krank geworden, hatten ihn seine Eltern in Quebec bei seiner Tante im Krankenhause der Ursulinen zurückgelassen und waren mit den andern Kindern nach dem neugegründeten Montreal vorausgegangen. Louis war unter der guten Pflege der Klosterfrauen längst wieder gesund geworden, und da die Mutter schon seit Monaten jede Gelegenheit abwartete, ihr Kind zu sich zu holen, hatte der Kommandant Pater Brébeuf gebeten, den zehnjährigen Knaben nach Montreal mitzunehmen. Die Mutter sollte aber ihren Kleinen so bald nicht wiedersehen.
Louis ahnte jedoch nichts von den Gefahren, die seiner harrten. Fröhlich winkte er mit seinem weißen Taschentuch nach dem Klösterchen hin, das ihm lieb geworden.
In diesem Augenblick
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
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Tag der Veröffentlichung: 28.09.2013
ISBN: 978-3-7309-5191-0
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