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Die Grenze zwischen den beiden Republiken Kolumbia und Ecuador an der Westküste Südamerikas bildet der aus den Cordilleren mit wildem Ungestüm niederstürzende Fluss Mira. In ihm liegt die Insel Tomaco, die durch seine Bewohner zu einem Handelsparadies und somit wichtig fürs ganze Land wurde. Aus diesem Grund glauben die Inselbewohner, sie hätten nichts von der soeben ausgebrochenen Revolution zu fürchten.

Ein großer Irrtum!

 

Coverbild: © iurii/Shutterstock.com

 

 

1. Kapitel – Tomaco

Die Grenze zwischen den beiden Republiken Kolumbia und Ecuador an der Westküste Südamerikas bildet der aus den Kordilleren mit wildem Ungestüm niederstürzende Fluss Mira – und auch wirklich nichts weiter als die Grenze, denn erst ganz nahe der See, im flachen Lande, ist es möglich, ihn mit Booten zu befahren. Weiter oben hat er einen viel zu steilen Fall, und riesige Felsblöcke, die er überall aus seinem Bett und von seinen Ufern losgerissen, machen die Passage selbst für Kanoes gefährlich.

Durch die Gewalt, mit welcher er aus den Bergen kommt, und bei einer außerordentlichen Strömung durchriss er aber das niedere, fruchtbare Land an verschiedenen Stellen und bildete so einige kleine Inseln, von denen Tomaco die wichtigste und ein wirkliches Miniaturparadies ist. Ein Paradies nämlich, was Szenerie und Vegetation betrifft, denn sonst sorgen die Bewohner dieser Republiken schon dafür, dass die paradiesischen Zustände in ihrem Lande nicht zu sehr an die alte Sagenheimat unserer Voreltern erinnern.

Ein vielleicht 100 oder 120 Fuß hoher Felsen scheint den Kern der Insel zu bilden, an dem sich die Macht des Stromes in früheren Jahrhunderten brach, sodass dieser gezwungen wurde, sich rechts und links daran hin seine Bahn, dem Meere zu, zu suchen. Aber der fruchtbarste Boden deckt das alte Gestein, und ganz unähnlich ihren Nachbarn an der Küste, die zu faul sind, einen Fruchtkern in den Boden zu stecken, haben die Leute, die sich dort auf der kleinen Insel niederließen, einen wahren Garten aus ihr geschaffen, dessen Produkte jetzt Käufer an der ganzen Küste finden.

Fortwährend legen dort kleine Schoner an, die von Guayaquil besonders Waren und leider auch Getränke bringen, und dafür mit Kokosnüssen, Bananen, Chirimoyen, Alligatorpears (aguacarta), Ananas und anderen kostbaren Früchten beladen wieder dorthin zurückkehren, oder ihre Fracht auch an den Zwischendörfern absetzen und dafür Gummi und Kakao einnehmen.

Am Anfang bestand die kleine Ansiedlung, die sich auf der Insel gegründet, nur aus wenigen Personen, die sich teils mit dem sehr bedeutenden Fischfang, teils mit dem Gartenbau beschäftigten.

Nach und nach siedelten sich mehr dort an, Kaufläden entstanden und Branntweinschenken; eine Brennerei wurde sogar auf der Insel selber angelegt, um das dort gezogener Zuckerrohr gleich an Ort und Stelle zu verwerten, und der Verkehr wuchs so bedeutend, dass es sogar der kleine englische Dampfer, der seine regelmäßigen Fahrten zwischen Panama und Guayaquil macht, für vorteilhaft fand, dort anzulegen und so eine Postverbindung zwischen Tomaco und der übrigen Welt herzustellen.

Einen Alkalden wählten sich die Leute zwar noch immer selber und aus ihrer Mitte, und sie hatten bis dahin von den gar nicht seltenen Revolutionen Kolumbias eigentlich nur dann erst Kunde bekommen, wenn die Sache vorbei und für eine oder die andere Partei entschieden war.

Wie sich der Wohlstand der Insel aber mehr und mehr hob, lenkte sie auch – keinesfalls zu ihrem Vorteil – die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich, und die Wichtigkeit ihres Besitzes stellte sich mehr und mehr heraus, als auch das unmittelbar daran stoßende Ecuador Oberhoheitsrechte über Tomaco beanspruchte.

Trotzdem hatte man in der letzten Revolution, die Mosquera gegen die bestehende Regierung anzettelte, noch sehr wenig von den Lasten des Krieges gefühlt, und einzelne Familien zogen sich sogar aus dem, den ewigen Streifkorps beider Parteien preisgegebenen Bogota hierher zurück.

Aber diese Friede sollte nicht lange dauern, denn während südlich von ihnen in Ecuador der Mulattengeneral Franco die Fackel der Empörung in ein ruhiges Land schleuderte und seine Macht mit gemieteten Banden eine kurze Zeit aufrecht erhielt, rüstete Mosquera im Norden ein paar kleine Schiffe aus, um auch die Küstenplätze des Reiches zu besetzen, während er mit seinen Truppen das Innere durchzog und mit wechselndem Glück bald Bogota, die Hauptstadt, einnahm, bald wieder daraus vertrieben wurde.

An eine Verteidigung derselben dachte man nie. Welche Partei gerade die stärksten Banden hatte, rückte ein, und die andere zog indessen ab, um größere Verstärkung zu bekommen.

Ob Mosquera siegte oder besiegt wurde, unruhige und beunruhigende Gerüchte zuckten überall an der Küste auf und ab und ließen die Eingeborenen, die nicht das geringste Interesse an dem endlichen Ausgang des Kampfes hatten, ihres Lebens sich nie freuen. Was lag ihnen daran, ob ihr Präsident Mosquera oder sonst wie hieß? Sie bekamen ihn auf Tomaco doch nie zu sehen, und selbst zu Ecuador hätten sie sich mit der größten Gleichmütigkeit schlagen lassen, wenn sie weiter keinen Nachteil hatten.

Aber es ist eine alte Geschichte, dass weder in Republiken noch Monarchien das eigentliche Volk selber eine Revolution macht, sondern im Gegenteil dazu überredet werden muss. Der materielle Druck einer Regierung wirkt nie so unerträglich, treibt nie so rasch zum Äußersten wie der geistige, den das eigentliche Volk nicht so leicht fühlt.

Auch Mosqueras Regierung würden sich die Einwohner von Tomaco mit Vergnügen unterworfen haben, so weit es nämlich die unteren Klassen, die Fischer und Ackerbauer, betraf; denn sollten sie sich etwa, eines Namens wegen, widersetzen und ihre Netze und Boote, ihre Anpflanzungen und Gärten preisgeben?

Aber in Tomaco befand sich ein unter der alten Regierung gewählter Alkalde, ein Postmeister, ein Steuereinnehmer – lauter Leute, die allerdings in bloßen Füßen und Kattunhemden in der Welt herumliefen, aber trotzdem eine Stellung zu verlieren hatten. Sie stützten mit ihrem Anhang das alte Regime, während die hierher geflüchteten Neugranadienser alles taten, was in ihren Kräften stand, um gegen Mosquera und die Umsturzpartei zu wirken. Es wurde ihnen das umso leichter, als Mosquera in dem Verdacht stand, eine Militärherrschaft gründen zu wollen, und das war die verhassteste von allen, denn die jungen Leute fürchteten, nicht mit Unrecht, ausgehoben und in das innere, ungesunde Land geschleppt zu werden.

Kurz, Mosquera schien in Tomaco, wenn man die Bevölkerung hätte wollen über ihn abstimmen lassen, wenig Aussicht auf Erfolg zu haben.

Desto größer war die Beunruhigung der Leute, als der kleine Dampfer, die „Anna“, eines Tages die Kunde mit nach Tomaco brachte, dass Mosquera Buenaventura besetzt habe und zwei Kriegsschiffe schon von dort ausgelaufen seien, um die südlicher liegenden Küstenstädte ebenfalls dem „neuen Präsidenten“ zu unterwerfen. Sie hatten wenigstens Buenaventura schon verlassen, als die „Anna“ dort anlief, wenn es auch noch eine Weile dauern konnte, bis sie hierherzu aufkreuzten, da ihnen Wind wie Strömung an der Küste fortwährend entgegen waren.

Wie ein Lauffeuer zuckte diese Schreckenskunde über die Insel, und die Bewohner schienen gar nicht an Widerstand zu denken, bis ein Franzose, der dort eine Art von Hotel oder Branntweinwirtschaft mit einem Kaufladen hielt und außerdem noch herüber und hinüber spekulierte, der Unschlüssigkeit eine Ende machte und von seinem Ladendtisch aus den Einwohnern auseinander setzte, dass sie sich verteidigen und ihre Freiheit bewahren müssten.

Der Mann sprach jedenfalls als Fremder unparteiisch, denn dass er ein Dutzend alte Musketen und ordinäre, schon halb verrostete Flinten auf Lager hatte und außerdem Pulver und Munition führte, wovon er in ruhigen Zeiten außerordentlich wenig absetzte, konnte ihn kaum dazu bewogen haben, seinen Mitbürgern einen solchen Rat zu geben.

Nichtsdestoweniger versäumte er keine Zeit, um die genannten Kriegsinstrumente, so rasch es anging, wenigstens von außen, wieder etwas instand zu setzen und den Rost zu entfernen.

Was er an sonstigen Waffen – Pistolen und Messern – besaß, wurde ebenfalls vorgesucht, um zur Schau auf seinem Ladentische auszuliegen.

Unterdessen wirkte das ausgestreute Gift. In seinem Laden sammelten sich vorzugsweise die Müßiggänger der Stadt, um bei einem Glase Aguardiente oder süßen Likör, den sie sehr gern tranken, und den Monsieur Renard so schlecht wie teuer führte, ihre zukünftige Haltung zu besprechen. Sie wollten sich zu einem Entschluss hinaufarbeiten, der aber – im letzten und entscheidenden Augenblick doch unausführbar war.

Welchen Widerstand hätten sie einer bewaffneten Macht bieten wollen? Ein einziger Raketenschuss würde ihre ganze aus Bambus und Schilfdächern erbaute kleine Stadt in Brand gesteckt haben. Befestigungen gab es gar nicht – die Straßen lagen sämtlich offen, feindliche Booten konnte in der Flutzeit fast an jedem Teile der Insel landen. Dazu war die Bevölkerung fast waffenlos und, wenn sie auch Waffen gehabt hätte, ungeübt in dem Gebrauch derselben. Alle Vernunftgründe sprachen deshalb dafür, etwas, das man nun doch einmal nicht ändern konnte, ruhig über sich ergehen zu lassen, noch dazu, da es ihnen nicht einmal Nachteil bringen konnte.

Aber der Branntwein! Sobald die Köpfe erregt waren, fingen die Leute an, welche ihre jetzige Regierung ebenfalls nur dem Namen nach kannten, patriotisch zu werden, und eines Tages, ehe es dunkel wurde, hatte Louis Renard seine sämtlichen alten Musketen an den Mann gebracht, sogar seine eigene und letzte, ziemlich gute Doppelflinte verkauft und mit seiner Munition soweit aufgeräumt, dass ein neuer Auftrag nach Guayaquil oder Panama nötig wurde.

Am nächsten Morgen waren die Bewohner von Tomaco auch schon mit Tagesanbruch munter, und Kundschafter erkletterten den Felsen, um von dort aus einen besseren Überblick über die See zu gewinnen und etwa ansegelnde Fahrzeuge augenblicklich signalisieren zu können.

Überhaupt befand sich die Stadt in einer ziemlichen Aufregung, da sich zu gleicher Zeit eine Art von Miliz gebildet hatte, die freilich nur in der einen Hinsicht uniform war, das sämtliche „Soldaten“ ohne Uniform erschienen.

Auch zwei kleine Kanonen wurden vorgesucht, die der Postmeister einmal von der „Anna“ erstanden hatte, wo man sie gebraucht, um Signalschüsse zu geben. Natürlich fehlte es an Kugeln dazu, die sich aber durch kleine Stücke gehackten Bleies ersetzen ließen, und es sah in der Tat so aus, als ob die Stadt entschlossen wäre, ihre „heiligen Rechte“ bis auf den letzten Blutstropfen zu verteidigen – aber es sah auch nur so aus.

Die Leute exerzierten allerdings den ganzen Vormittag, und als die Seebrise mit dem nahenden Abend das Land bestrich, begannen sie noch einmal, und die Meisten hatten sich gemerkt, was links und rechts war.

Als indes der ganze Tag verlief, ohne dass sich ein feindliches Segel blicken ließ, und am nächsten und nächstfolgenden Mosqueras Flotte immer noch auf sich warten ließ, erkaltete der Eifer, und man fing an, seinen gewohnten Beschäftigungen wieder nachzugehen. Sie mussten das ja auch, wenn sie überhaupt leben wollten, den wer denkt in diesem Klima daran, sich Vorräte von dem anzulegen, was er gerade braucht! An der Insel lagen ein kleiner Schoner und zwei Walfischboote, die angelaufen waren, um Früchte zu kaufen; diese mussten ihre Ladung bekommen, und die Fischer durften ebenfalls nicht länger müßig liegen, denn alles murrte, dass kein einziger frischer Fisch im ganzen Orte zu finden war.

Man tröstete sich sogar damit, dass die ganze Flottengeschichte nicht wahr sei. Der liebe Gott wusste, welches Märchen man den Leuten von der „Anna“ in Buenaventura aufgebunden hatte. Mosquera dachte wahrscheinlich gar nicht daran, sie in ihrem abgelegenen Fischerdorf zu belästigen, und ihre Vorsichtsmaßregeln waren unnütz gewesen – hatten aber freilich nur jenen leichtsinnigen Menschen Schaden getan, die sich verleiten ließen, so Hals über Kopf Schießwaffen und Munition zu kaufen. Was sollten sie jetzt mit den alten Schießeisen anfangen?

 

In einem neugebauten Hause, das sich durch die noch nicht wettergebräunten Tragestämme und das helle, frische Dach deutlich von den anderen unterschied, auch auffallend sauberer gehalten war und oben, statt der sonst gewöhnlich halb oder ganz fehlenden Seitenwände, neue Bambusseiten zeigte, deren regelmäßig eingeschnittene Fenster mit einer Art dort gebräuchlicher Bambusjalousien verhangen waren, wohnte ein Señor Ramos mit seiner Familie, der vor etwa drei Monaten mit seiner Frau, einem Kinde und zwei schwarzen Dienstleuten hierher übersiedelte, gleich nach seiner Ankunft den Platz kaufte und das Haus darauf baute.

In jenen glücklichen Ländern nämlich braucht man zu einem Hausbau keine Maurer, Zimmerleute, Tischler, Dachdecker, Tüncher, Glaser, Schlosser, Tapezierer und wie die schrecklichen Menschen alle heißen, die einem Bauherrn das Leben bis in das innerste Herzblut hinein vergiften, sodass er tagtäglich das Bauen auf ewige Zeit verschwört.

Wer sich ein Haus bauen will, akkordiert dasselbe mit einem Eingeborenen, der sich entweder von seiner eigenen Familie helfen lässt oder ein paar Nachbarn zur Arbeit nimmt; dann werden die dazu nötigen Stämme im Walde frisch gefällt, einer spaltet die jungen Palmen, die zu Boden oder Wänden benutzt werden sollen, indem man sie einhackt und ausbreitet, ein anderer holt das Schilf oder die Palmenblätter zum Dach und schnürt sie mit Bast in Büschel zusammen.

Wenn einmal die Löcher gegraben sind, in welche die Pfähle zu stehen kommen, so ist auch das Haus in einer einzigen Woche fertig und kann bezogen werden.

Die Häuser stehen dort alle auf Pfählen. Es ist das viel gesünder und luftiger, und auch des vielen Ungeziefers wegen nötig, das sich unten auf dem Boden weit zahlreicher einfinden würde.

Nur in den kleinen Städten haben die Kaufleute ihre Läden unten, indem sie einen Palmen- oder Bambusverschlag um die unteren Stämme machen, aber auch sie wohnen oben.

Überhaupt würde es niemanden einfallen, auf der feuchten Erde zu schlafen, wenn er sich nicht gerade draußen im Walde befindet und dazu gezwungen ist.

Señor Ramos mutete das nicht einmal seinen Dienstleuten zu, sondern setzte noch ein kleines Nebenhaus für diese an, das zwar seine besondere Leiter hatte, mit dem Hauptgebäude aber im ersten Stock durch einen schmalen Bambussteg verbunden war, der abends durch eine vorgebundene und mit einer Matte bedeckte Gittertür von dem nämlichen Material abgesperrt wurde.

Señor Ramos musste – wenn die Vermutung der Leute von Tomaco richtig war – ein sehr reicher Mann sein, denn er arbeitete nicht allein nichts – das taten sehr viele in Tomaco – er verkaufte auch nichts und bezahlte alles, was er brauchte – wenn das auch nicht viel war – bar und in blankem Silber.

Er verließ auch sein Haus sehr selten, schrieb aber dort fleißig, und nur, wenn der englische Dampfer kam, fuhr er mit dem Kapitän an Bord zurück, blieb dort, bis das kleine Fahrzeug wieder zu arbeiten anfing, und kehrte nachher in seinem eigenen Kanoe, das sein Neger ruderte, an Land und in sein Haus zurück.

Er war, wie man recht gut wusste, ein Feind Mosqueras und ein getreuer Anhänger der Regierung von Panama, denn er hatte, als er hierher zog, kein Hehl daraus gemacht. Trotzdem kaufte er sich weder bei Señor Renard eine von dessen alten Musketen noch exerzierte er mit in der Sonne am Strand, und als ihn der Postmeister direkt

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: iurii/Shutterstock.com
Tag der Veröffentlichung: 16.05.2013
ISBN: 978-3-7309-2757-1

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