Ich werde meinen alten Freund wohl erst bei dir einführen müssen, lieber Leser aus dem »inneren Land«, denn oben im Norden, an Weser und Elbe und Schelde, kennen sie ihn wohl, den wackeren Klabautermann, den Freund der Seeleute – oder fast mehr noch ihrer Schiffe – und den treuen Begleiter auf ihren weiten, gefahrvollen Reisen. Aber aufs feste Land kommt er nicht; er hält es nicht aus auf dem trockenen, unbeweglichen Boden. Und zwingt ihn die Not vielleicht einmal, auf einer Insel, an der sein eigenes Schiff gescheitert ist, zu hausen, bis er ein anderes findet, auf dem er wieder Passage nehmen kann, so ist ihm das nichts weniger als angenehm, und er kann sich dann mit den Bewohnern dort nicht im geringsten vertragen. Ich weiß ein solches Beispiel, und es wäre beinahe der Tod des armen Klabautermannes gewesen, wenn Klabautermänner eigentlich überhaupt sterben könnten.
Der Klabautermann also hat in seinen Gewohnheiten einige Ähnlichkeit mit der Katze, da er sich, wie schon bemerkt, selten oder nie an besondere Menschen anschließt, sondern irgendein Fahrzeug auswählt und auf diesem bleibt, solange es gesund und in gutem Zustand ist. Wird es aber leck oder alt oder steht ihm sonst ein Unheil bevor – was der Klabautermann vermöge seiner geistigen Fähigkeiten leicht voraussehen kann – dann verlässt er das Schiff und sucht sich ein anderes, und es ist für die Schiffer dann auch immer ein sicheres Zeichen für eine unglückliche nächste Reise, wenn ihr alter Hausfreund auszieht und sie allein darin zurücklässt.
Der Klabautermann sagt es dann auch gewöhnlich den Ratten, die er besonders unter seinem Schutz hat, weil sie ihm manche lange Nacht im unteren Raum Gesellschaft leisten – und die gehen dann auch meistens mit ihm. Fragt einmal einen der alten Matrosen, ob er sich auf einem Fahrzeug einschiffen möchte, das der Klabautermann und die Ratten verlassen haben – nicht für zwanzig Taler im Monat! Er würde ebenso leicht daran denken, in einem Waschtrog in See zu gehen.
Seiner gewöhnlichen Natur nach ist er unsichtbar, er kann sich aber nichtsdestoweniger – wenn ihm das je nützlich oder angenehm erscheinen sollte – wann er will, auf dem Schiff zeigen. Er tut das auch gar nicht selten; meistens aber doch nur bei wichtigen Gelegenheiten. Seine Tracht ist natürlich echt seemännisch: blaue Tuchjacke und weiße, weite Zwillichhosen, große Seestiefel, die bis unter die Knie reichen, ein wollenes Hemd – blau oder rot, wie es gerade seinem Geschmack zusagt und eine rote wollene Zipfelmütze. (Die rote wollene Zipfelmütze ist freilich etwas altmodisch; er hat sie aber noch aus der guten alten Zeit beibehalten und trennt sich von ihr nur bei höchst feierlichen Gelegenheiten.)
Der Klabautermann ist übrigens nicht so groß wie die übrigen Menschen, sondern eher von kleiner, aber äußerst untersetzter, kräftiger Statur; er wird selten über dreieinhalb Fuß hoch, ist aber für seine Größe ungemein breitschultrig und von derbem Gliederbau, mit einem manchmal allerdings etwas sehr dicken Kopf – was in seiner Familie liegen soll – aber doch nie unproportioniert. Er lebt auch keineswegs bloß von der Luft allein, wie das Elfen und Sylphiden und andere Mondscheindinger vielleicht tun mögen – fällt ihm nicht ein! Nein, er verlangt sogar, wenn er auch nicht gerade in der Kajüte permanent wohnt – denn er haust überall im Schiff, wo es ihm gerade einfällt – dass doch sein Platz in der Kajüte gedeckt ist, und gnade Gott dem Koch, wenn das einmal vergessen sein sollte. Er nimmt dann von diesem nicht etwa Entschuldigungen an, dass es die Schuld der Jungen gewesen sei – Gott bewahre! Der Koch muss dafür büßen, und er bekommt, ohne dass er die Hand sieht, die sie austeilt, Ohrfeigen links und rechts. Der Klabautermann verlangt Ordnung. Der Klabautermann ist außerdem aber nicht allein ein guter Gesellschafter, sondern ein fleißiger, tätiger Geselle, der seine Anwesenheit an Bord nicht etwa heimlich hält, sondern im Raum fortwährend arbeitet und schafft, wenn das Schiff erst unterwegs ist: die Ladung zurechtrückt und schüttelt; wo sie locker geworden ist, feststaut – und das Stauholz dabei herüber- und hinüberwirft – und manchmal wirklich einen Heidenlärm macht. Liegt sein Schiff im Hafen und ist der Kapitän vielleicht an Land, um Fracht zu suchen, so können die Leute an Bord auch gerade an diesem Holzherumwerfen wissen, ob er Fracht gefunden hat und sie nun bald wieder in See gehen. Der Klabautermann wirtschaftet dann im Raum herum, dass es eine Lust ist; er wirft die Scheite aus einer Ecke in die andere und fängt an, Platz zu machen für die kommende Ladung. Solch ein Zeichen trügt auch nie, denn der Klabautermann hält viel zu viel auf sich und seinen guten Ruf, als dass er falschen Lärm schlagen sollte.
Wird aber Menschenblut auf einem Schiff vergossen, verlässt der Klabautermann das Fahrzeug ebenfalls bei der ersten passenden Gelegenheit, und er verhält sich dann, solange er noch an Bord ist, so still und ruhig, dass die Leute oft schon geglaubt haben, er sei geradewegs über Bord gesprungen. Das ist aber sicherlich nicht der Fall; der Klabautermann gehört keineswegs zu den Sprudelköpfen, die gleich, wenn ihnen einmal irgendetwas in die Quere kommen sollte, über Bord springen. Er kann zwar schwimmen, aber er liebt Salzwasser gar nicht so sehr, um selbst mutwillig hineinzusetzen. Nein, er wartet ruhig seine Zeit ab – aber seiner guten und friedlichen Natur ist Blutvergießen zuwider. Das Schiff ist seiner Meinung nach entehrt, und er mag es deshalb auch weder länger beschützen noch bewohnen – es ist den Geistern der Rache verfallen, und zu denen gehört unser guter Klabautermann wahrhaftig nicht.
Geht er aber in einem solchen Fall von Bord, so nimmt er von niemandem Abschied, zeigt sich niemandem und verkehrt überhaupt mit niemandem mehr; nur wer recht aufpasst, kann vielleicht hören, wenn er seine Kiste aus dem unteren Raum heraufschafft, und den Koch lässt er’s wissen, dass er für ihn kein Gedeck mehr hinzulegen braucht, denn er drückt ihm den Teller, den dieser ihm hinsetzt, mitten auseinander.
Es muss immer eine höchst traurige Sache für die Mannschaft sein, wenn der Klabautermann von Bord geht. Sonderbar und höchst eigentümlich ist es aber, dass, so sicher man auch von der Existenz eines Klabautermannes überzeugt ist, doch noch nie jemand von einer Klabauterfrau gehört hat. Es zirkulieren darüber zwar einzelne dunkle Gerüchte – niemand weiß jedoch etwas Bestimmtes darüber, und wer vielleicht etwas Bestimmtes wirklich wissen sollte, darf es nicht sagen; es geht das so gewöhnlich auch in dem übrigen Teil der Welt. So viel ist sicher: Der Klabautermann lebt in unserer jetzigen Zeit – soviel die Seeleute wissen und solange er bei ihnen an Bord ist – in dem, was die Engländer »single blessedness« nennen und was wir etwa mit »einfacher Seligkeit« übersetzen könnten. Was er tut, wenn er auf festem Land ist, weiß er selber wohl am besten; es ist aber gewiss selten, dass er hierin einem armen Sterblichen eine Einsicht erlaubt, denn da er sich je nach Belieben unsichtbar machen kann, wird er anderen seine geheimen Gänge und Wege eben nicht freiwillig auf die Nase binden.
Der Klabautermann ist solcherart das einzige uns Menschenkindern bekannte überirdische Wesen, das einzig und allein als Maskulinum besteht und sich sogar nur äußerst wenig aus dem schönen Geschlecht zu
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 06.05.2013
ISBN: 978-3-7309-2619-2
Alle Rechte vorbehalten