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1. Die Hammonia und das Haus Gottfried. Palma. Ins Innere. Der Lamantin. Das Negerdorf und der Zauberer. Der Fledermausbau. Der Heerwurm. Zibetkatzen und Pythonschlange. Die Gallinas. Elefantenjagd. Waldbrand. Franz unter den Gallinas. Die Rettung. Die Bestrafung des Zauberers. Wieder an Bord. Erste Präparierübung.

Vor der Barre der afrikanischen Handelsstadt Lagos am Meerbusen von Guinea lag auf den blauen Fluten des Atlantischen Meeres ein stattlicher Schraubendampfer, von dessen Topp die rotweiße Hamburgische Flagge lustig im Morgenwind flatterte. Am Heck stand mit großen goldenen Buchstaben der Name Hammonia, das ganze Schiff war neu, vor nicht viel mehr als etwa vier Monaten daheim in der freien Reichsstadt erst vom Stapel gelaufen und für diese seine Reise um die halbe Erdkugel auf der Werft des Hauses Gottfried am Reiherstieg eigens erbaut worden.

An Bord befanden sich die beiden Söhne des Reeders mit ihrem Erzieher, dem würdigen Doktor Bolten und dem jungen Doktor Holm, einem Vetter der Knaben, zugleich dem naturwissenschaftlichen Lehrer und Führer der kleinen Expedition, die nicht allein das geheimnisvolle Innere Afrikas, sondern auch die Sundainseln, Australien und die Perlen des Großen Ozeans besuchen sollte, und deren Zweck mehr in wissenschaftlichen als kaufmännischen Erfolgen bestand.

Das Haus Gottfried ist eine der größten und unternehmendsten Handelsfirmen Hamburgs. Wenn eins unserer jetzigen großen Kaufmannshäuser an die Handelsfürsten der ehemaligen Reichsstädte des Mittelalters erinnert, an die Fugger und Welser von Augsburg, die Krafft von Ulm, so tut es dieses.

Nicht allein, dass seine auf eigenen Werften erbauten Schiffe alle Meere durchpflügen, dass seine Wechsel auf allen Kontoren in den Hafenstädten der fünf Erdteile so gut gelten wie bares Geld; es gleicht besonders darin dem mächtigen Hause der weiland Welser, welche damals das heutige Venezuela mit eigenen Feldhauptleuten und Truppen besetzen und kolonisieren ließen, dass es auch seinerseits und zwar auf einer Inselgruppe des Stillen Ozeans sich eine Herrschaft geschaffen hat, die einem Königreiche gleichkommt.

Aus diesem Gottfriedschen Handelsreiche holen die Schiffe des Hauses die Landesprodukte, hierhin bringen sie wieder zum Austausch europäische Waren.

Aber nicht bloß dem Gewinn dienen die großartigen Unternehmungen und Verbindungen des Hauses Gottfried, auch der Wissenschaft kommen sie zu gute, für welche der Handelsherr offenen Blick und offene Hand hat.

Das »Museum Gottfried« ist Zeuge davon. In ihm findet sich vereinigt, was Forscher und Gelehrte im Auftrage des Prinzipals auf der Inselwelt der Südsee gefunden haben. Seine Schiffe führen junge Gelehrte mit, welche die Tierwelt der Tiefsee und des Landes, die Flora des Meeres und des Innern, die Rassen und Gebräuche der Einwohner erforschen, und kostbare Werke mit prachtvollen Abbildungen berichten von den Schätzen des Museums Gottfried.

Dem jüngeren Sohne des weltbekannten hamburgischen Reeders war von den Ärzten eine Luftveränderung, namentlich ein Aufenthalt in tropischen Klimaten verordnet; Herr Gottfried bestimmte daher sein neuerbautes Schiff, die Hammonia, zur Reise nach den Südseeinseln und gestattete, dass dem langgehegten Wunsche des ältesten Knaben, einen wissenschaftlichen Ausflug ins Innere von Afrika zu machen, bei dieser Gelegenheit unerwartete Erfüllung zuteil wurde.

Franz bezeigte bis jetzt für das Stillleben hinter dem Kontorpulte nur außerordentlich geringe Neigung, er schien mit seinem Wandertrieb und seiner regen Teilnahme für alle naturwissenschaftlichen Entdeckungen zum Kaufmann nicht so recht geschaffen; der Vater beschloss daher, ihn die Welt jenseits des Ozeans und jenseits europäischer Kultur durch eigene Anschauung kennen lernen zu lassen und dann erst über seine fernere Zukunft zu entscheiden; für diese Reise waren zwei bis drittehalb Jahre bestimmt und den beiden Knaben nicht allein zuverlässige Begleiter, sondern auch an die geachtetsten Handelshäuser aller Häfen schon vorausgesandte Empfehlungen mitgegeben, sodass nach menschlichen Kräften überall bestens gesorgt schien und das Unternehmen die schönsten Früchte versprach.

Auf Madeira war die Hammonia nach zwölftägiger Fahrt angelangt; hier wurden die jungen Leute einstweilen abgesetzt, und während der Dampfer aus Rio eine Ladung Reis holte, vollendete Hans, der zweite Sohn des Reeders, eine vom vortrefflichsten Erfolg begleitete Kur, die ihn so glücklich genesen ließ, dass schon jetzt im Beginn der Weiterreise fast alle Spuren des schleichenden wie eine Art von beginnendem Brustleiden aufgetretenen Fiebers beseitigt waren.

Die Hammonia war inzwischen von Rio zurückgekehrt, hatte die Gesellschaft an Bord genommen, und nach einem dankbaren Abschiede von dem schönen Madeira trat das wackere Schiff die Fahrt nach Lagos an, wo wir unsere Freunde soeben wohl und munter angekommen fanden.

An Bord herrschte Lust und Leben, alles freute sich des wundervollen, wolkenlosen Himmels und der balsamischen Luft, deren Durchsichtigkeit die Stadtbewohner früher auch nicht einmal geahnt, viel weniger für möglich gehalten hätten.

Während der Dampfer mittels kleiner Schleppschiffe, die allein über das Riff vor dem Hafen den Weg finden, seine Ladung löschte, wurde das große Boot herabgelassen und für die Fahrt nach dem einige Seemeilen entfernten kleinen Örtchen Palma mit Proviant und Munition hinreichend versehen.

Das Wetter gestattete diese Fahrt längs der Küste, und so hatten sich denn sämtliche Teilnehmer der Reise, ganz afrikanisch gekleidet, aufgemacht, um voll Erwartung kommender Abenteuer den sechs Matrosen nachzuklettern.

Der alte Doktor ging voran. Er war ein sehr rüstiger, wohlerhaltener Fünfziger mit ebenso milden wie intelligenten Zügen, von Kopf bis zu den Füßen gleich den Übrigen bewaffnet und vielleicht zum ersten Mal seit seinen Knabenjahren in weißes Leinen gehüllt. Jeden Augenblick ermahnte er die jungen Leute zur Vorsicht, ohne indessen viel Gehör zu finden; die lustige Schar sprang und kletterte ihm nach, ehe seine Worte von allen verstanden worden waren.

Auf den Köpfen die breitrandigen Strohhüte mit herabflatterndem leinenen Schirm zum Schutz des Nackens, im Gürtel die breiten dolchartigen Messer und am Riemen über der Schulter die Botanisierkapseln nebst Fangnetz, so präsentierten sich der sechsundzwanzigjährige Karl Holm, und die beiden Brüder Gottfried, Franz von sechzehn, Hans von vierzehn Jahren, hübsche schlanke Knaben, auf deren jugendlichen Gesichtern die wärmere Sonne des Südens schon anfing, ihren Einfluss zur Geltung zu bringen.

Außer diesen vier Hauptpersonen und den Matrosen befand sich im Boote noch ein Kommis der in Lagos ansässigen Zweigniederlassung des hamburgischen Handelshauses Geiser und Kopp, von seinen Prinzipalen den Söhnen des befreundeten Reeders als Dolmetscher beigegeben, ein junger Hamburger, den die Knaben persönlich kannten und der mit Land und Leuten durch längeren Aufenthalt vollkommen vertraut geworden war.

Vom Bord grüßen der Kapitän und Papa Witt, der Obersteuermann, ein alter Freund der Brüder, die er schon als ganz kleine Kinder gekannt und denen er jahraus jahrein von seinen Reisen die schönsten ausländischen Seltenheiten mitgebracht hatte.

Wenn er zu Hause war, dann gab es gewiss für die Jungen an Sonntagnachmittagen ein Jagdvergnügen auf den kleinen umbuschten Elbinseln, eine Erzählung von fremden, geheimnisvollen Gegenden, der sie mit atemlosem Interesse horchten, oder einen Besuch in seiner Kajüte, wo dann aus Kisten und Kasten die verlockendsten Spielereien hervorkamen, genug, der Alte, selbst unverheiratet und im Dienste des Gottfriedschen Hauses ergraut, hatte seine ganze Zuneigung den beiden Knaben geschenkt, daher sah er ihnen auch jetzt so wohlgefällig nach und schwenkte den Strohhut, als die Matrosen ihre Ruder einlegten.

»Hübsch langsam!«, ermahnte er zum zehnten Mal und mit dem ganzen Abscheu des Seemanns vor Fußwanderungen. »Nichts übereilt, ihr habt Zeit genug.«

Der Kapitän nickte lächelnd. »Hofft nur von dem Anblick der Küste nicht zu viel Schönes«, warnte er. »Das meiste ist Busch!«

Ein Grüßen herüber und hinüber, ein Hurra der Matrosen auf dem Dampfer, und die wissenschaftliche Expedition hatte in aller Form begonnen.

Bisher war man nur in den Häfen zivilisierter Völker gewesen oder schwamm in bequemer, ja eleganter Kajüte über das Meer, hier aber, hinter der Ansiedelung Palma, in dem kleinen Dorfe L'epée, entfaltete sich das geheimnisvolle, unbekannte Naturleben der Neger, hier wohnten die Schwarzen, unbeeinflusst von Kultur und Sitte, ganz wie seit Anbeginn der Schöpfung, eben darum aber das Sehenswerteste, Interessanteste, was es für die jungen abenteuerlustigen Reisenden überhaupt geben konnte.

Die Knaben sahen immer wieder nach ihren Gewehren. Sollte sich denn nicht bald am Strande irgendein »wildes Tier« erspähen lassen, und wäre es auch nur ein ganz bescheidener Vogel oder eine Fledermaus?

Aber nichts Dergleichen zeigte sich. Bis nach Palma hin erglänzte die baumlose sandige Küste in unangenehm blendendem Weiß, nur verkrüppeltes Buschwerk reckte seine niederen Äste, und ohne Weg oder Steg erhob sich steil abfallend das wüste Gestade.

Doktor Bolten sah durch die Brille. »Wahrhaftig«, sagte er, »auf den ersten Anblick hin erscheint Afrika äußerst hässlich.«

»Das ist die Küste beinahe überall«, antwortete der junge Kaufmann. »Erst etwa eine halbe Stunde von der See entfernt beginnt die eigentliche tropische Vegetation. Hier herum lebt auch außer den Strandvögeln kein Tier.«

Auf eine Jagdbeute vom Boot aus war also nicht zu hoffen, und erst als das kleine Palma erreicht wurde, sahen unsere Freunde in ziemlicher Entfernung bewaldete Höhenzüge. Hier standen zwei oder drei steinerne wie Speicher erscheinende Gebäude, zwischen denen sich Negerhütten vereinzelt erhoben und wo auch mehrere schwarze Gesichter den Reisenden begegneten, obwohl doch kein eigentliches Dorf vorhanden war. Das Negerreich L'epée lag hinter einem breiten, mit geringem Pflanzenwuchs bestandenen Landstrich, dahin ging es in Begleitung von mehreren als Gepäckträger gemieteten Krunegern ohne Aufenthalt vorwärts.

Mit jeder Viertelstunde wurde die Gegend hübscher und die Vegetation üppiger. Hier flog ein bunter, farbenprangender Schmetterling, dort blühten nie gesehene Blumen oder reiften Früchte an saftigen Stielen, sodass die Knaben voll Entzücken bald hierhin, bald dorthin sprangen.

»Langsam! langsam!«, ermahnte Doktor Bolten. »Jede Anstrengung kann für den Weißen in diesem Klima tödlich werden. Der Weg ist ohnehin beschwerlich genug!«

Und das war er wirklich. Die Luftwurzeln der Bäume erstreckten sich in mächtigem Umfang Hunderte von Schritten weit in die Umgebung hinaus, Rankengewächse flochten grüne, hängende Mauern, und Sumpfstellen nötigten oft zu weiten, zeitraubenden Bogen.

Man wollte eine breite Lagune erreichen, sich dort übersetzen lassen und dann jenseits des Wassers das Negerdorf besuchen.

Als nach vieler Mühe der Rand des Gewässers sichtbar wurde, fand sich auf den Fluten desselben ein äußerst reges Treiben. Einige zwanzig bis dreißig Rindenkähne mit Balancierstangen, aber ohne Mast oder Segel, voll von schwarzen Gestalten, strebten sämtlich dem Mittelpunkt der Lagune zu, und vom anderen Ufer her kamen immer noch mehr nach.

Kaum gelang es dem Dolmetscher, durch wiederholte Zurufe endlich einen der Schiffer zur Umkehr zu bewegen und ihn an das Land zu locken.

Erst nachdem der Schwarze Geld gesehen, ruderte er schnellstens herbei, trieb aber mit rückwärts gewandten Blick fortwährend zur Eile und ermahnte seine Genossen, durch verdoppelte Arbeit die verlorene Zeit wieder einzuholen.

Die vier Kruneger warfen das Gepäck ins Boot, nahmen ohne Weiteres ihr einziges Kleidungsstück, einen Streifen Baumwollenzeug, von den Hüften, banden ihn um die Köpfe und schwammen wie Fische dem leichten Fahrzeug voran. Es war, als sei die ganze Bevölkerung plötzlich toll geworden.

Nur ein einziges Wort rief jeder dem anderen zu: »Manati!«

»Sie haben wahrhaftig Glück, meine Herren!«, sagte der jugendliche Dolmetscher. »Es wird sich Ihnen eine äußerst interessante, sehr seltene Jagd zeigen.«

Die beiden Knaben griffen wie elektrisiert zu ihren Gewehren. »Ein Haifisch?«, rief der eine, »Ein Krokodil?«, der andere.

»Keines von beiden, auch darf niemand an dem Fang des Tieres teilnehmen. Tun Sie das nicht, meine Herren, es könnte uns alle in Gefahr bringen. Jetzt aber sehen Sie selbst!«

Ganz in der Nähe erschien jetzt ein Boot, in welchem drei Männer Platz genommen hatten, zwei gewöhnliche Neger und ein dritter von ebenso komischem wie abscheulichem Aussehen.

Die nackten Glieder waren wie das Gesicht mit feuerroter, dick aufgepinselter Farbe so bemalt, dass Flammen und Zacken, Tierköpfe und geringelte Schlangen überall die schwarze Haut zu bedecken schienen; das Haar hatte dieser Mann durch hineingeflochtene Massen von Pflanzenfasern zu einem nach allen Seiten weit abstehenden, den Kopf ellenbreit umgebenden Wulst gestaltet und die Zähne spitz gefeilt.

Um Hals und Handgelenke, aus dem Haar, an den Füßen und vom Gürtel starrten die Posen des Stachelschweines, Federn von allen Farben flatterten im Winde und ganze Gehänge von Muscheln klapperten und rasselten bei jeder Bewegung. In der Hand trug der Neger eine Büchse aus Bambus. Seine beiden Begleiter hatten außer den Rudern noch starke eiserne Harpunen.

»Das ist der Zauberer des Stammes«, erläuterte der Dolmetscher. »Er spielt den Oberpriester im Schlangentempel, den Arzt und nicht selten auch den unmittelbaren Botschafter der Götter, Letzteres besonders, wenn auf Befehl derselben dieser oder jener Neger gemaßregelt werden soll. Mit einem Wort, er ist der König des Königs.«

»Aber wo bleibt das Wild?«, rief Franz. »Ich sehe nur Wasser und Menschen.«

»Gleich, gleich«, beruhigte lächelnd der junge Kaufmann. »Wenn ich es Ihnen erzähle, so ist ja der Spaß verdorben.«

Die Negerboote hatten jetzt einen Kreis gebildet, und in der Mitte befand sich das Fahrzeug des Zauberers. Unsere Freunde sahen aus nächster Nähe, was vorging. Der rotbemalte Neger nahm vom Boden des Kahnes eine große Muschel und begann nach der ohrenzerreißenden, von ihm selbst vollführten Musik dieses wunderlichen Instrumentes einen Tanz, wobei er sich wie rasend auf einem Beine drehte. Die Zierraten rasselten, die Federn flogen und die Spitzen der Posen glänzten im Sonnenlicht wie feurige Reifen, die von allen Seiten den Körper umgaben. Unter den Negern herrschte lautlose Stille.

»Es muss doch ein Krokodil sein«, raunte Franz, den die Ungeduld fast verzehrte.

»Das hier ist ja alles süßes Wasser, also –«

»Ach, was tut der Spitzbube jetzt?«

Alle Hälse reckten sich. Der Zauberer hatte Musik und Tanz beendet und nahm nunmehr aus seiner Bambusdose ein Pulver, das er unter fortwährendem Murmeln neben dem Boot ins Wasser streute. Die beiden ihn begleitenden Neger hatten ihre Harpunen handgerecht erfasst.

»Jetzt geben Sie Acht!«, flüsterte der Dolmetscher.

Das stille Wasser begann sich zu kräuseln, leichte Schaumwellen schlugen gegen den Kahn, und vom Grunde herauf leckte eine breite, rote Zunge begierig das Pulver.

In diesem Augenblick schüttete der Zauberer den ganzen Inhalt der Büchse aus, und sofort kam ein plumper, schwarzer Kopf mit kleinen Schlitzaugen zum Vorschein. Das Tier stürzte sich, alle Vorsicht vergessend, auf den ihm gespendeten Leckerbissen und schluckte aus allen Kräften; ebenso schnell aber hatten auch die Neger ihre Harpunen gehandhabt. Die langen Holzschäfte zitterten und verschwanden ruckartig unter der Oberfläche; das Wasser, dunkelrot gefärbt, schlug hohe Wellen, und von den im Boot befestigten Rollen liefen rauschend die starken Bastseile in die Tiefe hinab.

Ein rasender Beifallssturm ertönte jetzt von allen Booten. Die Neger klatschten in die Hände, trampelten mit den Füßen, jauchzten und schrieen um die Wette. Von allen Seiten stürzten sich schwarze Gestalten in das Wasser und tauchten wie Enten, um die Todeszuckungen des erlegten Tieres zu beobachten; ein lauter Zuruf begrüßte die Spitzen der wiedererscheinenden Harpunen. Nun war das Wild tot und konnte ans Land geschafft und verzehrt werden.

Zehn Hände befestigten unter der Oberfläche des Wassers Schlingen von Bast; der Zauberer saß wieder in seiner früheren unbeweglichen Ruhe, und unter allgemeiner Fröhlichkeit ruderte man dem Dorfe zu.

Das gefangene Tier glitt schwimmend durch die Fluten. Als es an das Ufer gezogen wurde, zeigte sich ein sonderbarer, nur wenigen Gattungen eigener Körperbau. Bei einer Länge von vier Metern und einem Durchmesser von mehr als einem halben Meter war es beinahe zwei Meter breit und spindelförmig gestaltet. Der ungeheure Körper fand sich mit einzelnen straffen Borsten besetzt und war bläulich grau, auf dem Rücken fast schwarz.

»Ein Lamantin!«, rief Holm. »Nun erkläre ich mir diese allgemeine Jagdfreude. Die Tierart ist fast ausgestorben; wir können uns Glück wünschen, noch ein Exemplar gesehen zu haben.«

Die vier treulos gewordenen Kruneger fanden sich jetzt auch wieder vor, das Gepäck wurde ans Land geschafft, und nun konnte man nach Herzenslust ein echtes, wirkliches Negerdorf in Augenschein nehmen.

Vorher aber beobachteten die Reisenden, wie das getötete Tier in aller Eile seiner Haut entkleidet und ausgenommen ward.

Nachdem das geschehen, drängten sich die Neger schnatternd und schreiend, nicht selten sogar unter Anwendung von Faustschlägen scharenweise herzu, und nach ganz kurzer Zeit lag an der Schlachtstelle nur noch das blutige Gerippe; alles Fleisch dagegen kochte in eisernen, auf drei oder vier zusammengelegten Steinen stehenden Töpfen, und um die fortgeworfenen Eingeweide balgten sich zahlreiche Hunde.

Unsere Freunde wurden in aller Form bewillkommnet. Der alte König, dem schon mehr als ein weißer Reisender vorgestellt sein mochte, empfing sie sitzend mit der ganzen Würde seiner nackten, nur von einem schmalen Lendenschurz verhüllten Persönlichkeit. Er stellte in schwerfälliger Rede das Dorf mit allem, was darin war, den Gästen zur Verfügung und bat sie, jede Hütte als ihr Eigentum zu betrachten. Beim Abschied fragte er aber etwas verstimmt, ob man ihm denn nichts mitgebracht habe.

Und nun kamen die Geschenke zum Vorschein; die Fremden hatten sie nur des Spaßes halber versteckt, um zu sehen, wie weit die königliche Selbstverleugnung gehen würde.

Spiegel und Scheren, Metallknöpfe und brennend roter Kattun wanderten in die unersättlichen Hände der schwarzen Majestät, Kopf an Kopf standen im Kreise die Dorfbewohner und schnalzten mit den Zungen oder schlugen sich vor Entzücken auf die Brust, wenn wieder ein neuer glänzender Tand ausgepackt wurde, aber ihr Herr und Gebieter teilte mit keinem, sondern knurrte wie ein angeketteter Vierfüßler, sobald sich nur seine Frauen oder Kinder begehrlich näherten.

Als er endlich den letzten Gegenstand hinter sich verborgen, streckte er die Hand aus und bat auch noch um Doktor Boltens Uhrkette.

Nachdem ihm aber der Besitzer derselben die daran befindliche Uhr gezeigt und diese an das königliche Ohr gehalten hatte, da veränderte sich die Sache plötzlich.

Seine Majestät mochte höchstwahrscheinlich einen solchen lebenden Fetisch früher schon gelegentlich einmal gesehen haben, aber weit davon war doch gut vorm Schuss.

Er murmelte noch einige verworrene Laute, dann aber verschwand er hinter einer Matte, vorsichtig mit der schwarzen Hand einen seiner erbeuteten Schätze nach dem andern in das Versteck ziehend.

Unsere Freunde verteilten, nach Herzenslust lachend, draußen noch den Inhalt eines zweiten Packens an das Volk, und zwar zumeist an Frauen und Kinder, die sich dafür mit den Gesichtern in den Sand warfen und durchaus den Gästen die Füße küssen wollten.

Nachdem sich der König von seinem jähen Schrecken einigermaßen erholt hatte, schickte er Abgesandte, welche die üblichen Gegengeschenke brachten, Straußfedern, Elfenbein und zum großen Ergötzen der Knaben auch zwei mit Bastseilen gefesselte, hübsche kleine Äffchen, die neugierig und beweglich umhersahen und, als ihnen versuchsweise eine Vorderhand gelöst wurde, sogleich die kräftigsten Ohrfeigen verteilten.

Der Dolmetscher wollte sie nach Palma mitnehmen, zumal Holm versicherte, dass sich diese Art sehr leicht zähmen lasse. Möglicherweise konnten ja die drolligen Tiere während der ganzen Reise als unterhaltende Gesellschafter dienen; die Knaben tauften sie wenigstens zu diesem Zweck schon jetzt.

Schwarznase wurde dem älteren der beiden Brüder, Wickelschwanz dem jüngeren zugesprochen.

Dieser war der drolligste. An allen vier Händen gefesselt, glaubten ihn die Knaben zur Flucht unfähig, aber ehe sie sich dessen versahen, hatte er den langen Schweif um einen herabhängenden Baumast geschlungen und blickte von dort zähnefletschend auf seine Bändiger hinab.

Nach dieser schnellen Tat erhielt er seinen Namen, und da nun doch auch der andere benannt werden musste, so hieß man ihn Schwarznase.

Der Dolmetscher hatte einen Neger, welcher geläufig Englisch sprach, an seiner Stelle als weiteren Führer gemietet, und nun nahm er selbst, beladen mit den fürstlichen Geschenken, Abschied, ohne erst den Lamantinbraten kosten zu wollen.

»Essen Sie nur nicht zu viel von den schwarzen Kugeln aus Maniokmehl, die hier als Brot gelten«, warnte er. »Dergleichen kann nur ein Negermagen überwinden. Und schlafen Sie unter keinen Umständen auf dem Erdboden, trinken Sie auch kein Wasser, ohne etwas Chinin hinterher zu nehmen.«

Nachdem man versprochen, alle diese Anordnungen pünktlich zu befolgen, ruderten ein paar Neger den jungen Hamburger wieder über die Lagune zurück.

Das Boot der Hammonia sollte in Palma liegen bleiben und die aus Lagos mitgebrachten Kruneger den kleinen Zug als Gepäckträger begleiten.

Es war den Reisenden ein etwas seltsames Gefühl, als sie nun unter der schwarzen Horde im afrikanischen Urwalde allein blieben, aber dem ließ sich doch bei dem ganzen Unternehmen nicht aus dem Wege gehen und musste daher überwunden werden.

Überdies war auch das Verhalten der Neger ein durchaus vertrauenerweckendes, freundliches. Sie kamen von allen Seiten mit dampfenden Fleischstücken herbei, brachten das kugelförmige Maniokbrot und noch verschiedene landesübliche Gerichte außerdem, die zum Teil gar nicht schlecht schmeckten, so zum Beispiel halbreife Maiskörner, unzerquetscht mit Fett, Pfeffer und Salz geschmort, Bataten, Melonen und ein Getränk wie Kaffee aus den Früchten der Kolanuss.

Die vier Weißen saßen auf ihren mitgebrachten Schlafdecken unter den wogenden Kronen der großen, vielgestaltigen Waldbäume, deren Arten nicht zu zählen waren, und in deren Blättergewirre die verschiedensten Vögel ihre Nester bauten. Papageien, besonders der schöne aschgraue mit purpurnen Schwanzfedern, die prachtvollen Whaidafinken, deren Schweif sechsmal so lang ist wie der Vogel selbst, Mandelkrähen mit blauem Gefieder, Bienenfresser und Halmvögel, alles rauschte und schwirrte durcheinander; dazwischen stolzierten zahme Perlhühner, und ringsum blühte es in nie gesehener Schöne.

Unsere Freunde führten natürlich Blechteller, Löffel, Messer, und Gabel mit sich, sonst hätten sie wie die Wilden das Fleisch mittels der Zähne zerreißen und es aus dem Kochtopf weg ohne Teller verzehren müssen.

Der Manati schmeckte leidlich, fast wie ein feiner Schweinebraten, desto weniger aber wollten die Maniokkugeln munden. Bleischwer, noch feucht, ohne Fett oder Hefe gebacken, glichen sie rohem, festen Teig und wurden daher dankend abgelehnt. Die in Blechbüchsen von Hamburg mitgebrachten Cakes schmeckten denn doch besser.

»Warum wohl die Neger über den Lamantin so begierig herfielen?«, fragte Hans. »Ein besonderer Leckerbissen ist er keineswegs?«

»Für uns«, versetzte Holm, »aber für die Neger ist alles Fleisch ein Leckerbissen. Sie betreiben keine Landwirtschaft, also gibt es auch kein Schlachtvieh. Das, was an genießbarem Wild frei herumläuft, verzehren größtenteils die Raubtiere; es bleiben den Menschen daher nur die Affen, deren zähes Fleisch einen außerordentlich schlechten Braten gibt. Bisweilen steigt die Not so sehr, dass eine schreckliche Krankheit, der Guambo oder Fleischhunger, sich der Unglücklichen bemächtigt; sie werden tiefsinnig und fallen über Tiere her, um sie roh zu verzehren. Viele Gelehrte behaupten, dass daraus die ersten Anfänge des Menschenfressens entstanden sind.«

»Findet man denn auch den Lamantin nur selten?«, fragte Franz.

»Sehr selten. Die Gattung der Fischsäugetiere besitzt in der Familie der Seekühe oder Sirenen einen aussterbenden Zweig. Lamantin und Dugong werden noch zuweilen, das Borkentier gar nicht mehr angetroffen. Dieser Seeriese wurde acht Meter lang und lieferte, an den Grenzen des Eismeeres lebend, den Walfischfahrern einen so vortrefflichen, frischen Braten, dass er ausgerottet worden ist. – Dabei fällt mir übrigens ein, dass ich den Zauberer doch um ein wenig von seinem Pulver bitten will. Was bieten wir ihm nur als Tauschmittel?«

»Ein Rasiermesser!«, riet Hans. »Niemand trägt hier einen Bart, daher sind alle diese Messer übrig geblieben.«

»Eine Pistole«, meinte Franz. »Dann tut er es sicher.«

»Aber er schießt vielleicht später auf uns selbst«, zögerte Holm, »alle diese schwarzen Kerle sind falsch oder wenigstens doch unzuverlässig.«

»Ich habe es!«, rief Doktor Bolten. »Ein Hundehalsband aus Messingdraht mit kleinen Glocken, das kann er zur Erhöhung seines Ansehens persönlich tragen.«

Alle lachten, und nun wurde das Dorf besichtigt, um die Höhle des Zauberers zu finden. Sämtliche Bambushütten ruhten etwa einen halben Meter hoch über dem Erdboden auf Pfählen, waren spitz wie Bienenkörbe, mit Pflanzenfasern nach Art deutscher Bauernhäuser gedeckt, fensterlos und mit einer niedrigen, zum Kriechen eingerichteten Tür versehen.

Eng gedrängt in ununterbrochener Reihe lagen diese elenden Wohnstätten nebeneinander und bildeten zusammen ein geschlossenes Viereck, dem kein Feind vom Rücken her sich nähern konnte.

Vor jeder Tür lagen Feldsteine zum Gebrauch als Feuerherd, und an den untersten Baumzweigen hing eine Art von aufgeklappter, einem Feigenkorb ähnlicher Matte – die Wiege der schwarzen Säuglinge, deren lautes Geschrei erst den Reisenden das Geheimnis verriet. In den Hütten selbst waren nirgends Mobilien zu finden, nur ein Lager aus trocknen Bambusblättern und ein ausgehöhlter Kürbis, als Wassereimer dienend.

Der schwarze Dolmetscher schüttelte zweifelnd den Kopf. Er glaubte nicht, dass es gelingen werde, den Zauberer zur Herausgabe seines Mittels zu bewegen, aber er fragte nach der Hütte desselben und führte dann die Gäste dorthin.

Am äußersten Ende der ganzen Reihe stand ein etwas größeres Gebäude, das nach allen Seiten offen, nur von Pfeilern getragen wurde und dessen Dach nicht so steil herabging.

Ein seitwärts belegener Anbau erwies sich als die Behausung des Zauberers, das offene Rondell aber war der Tempel.

An den Wänden standen Fetische aus Holz, Elfenbein und Ton, sämtlich Tier- oder Menschenbilder in zwerghafter Form und mit der bekannten, keinem heidnischen Götzen fehlenden, scheußlichen Fratze; es waren aber auch lebende, als göttlich verehrte Wesen vorhanden und zwar Schlangen sonder Zahl. An den Wänden, um die Pfeiler geringelt, unter dem Dach, auf dem Fußboden und den nächsten Baumzweigen, überall kroch und schlüpfte es, hatte sich sogar um die Fetische geringelt oder lag zusammengerollt wie eine schleimige Masse im Winkel.

Aus der niederen Tür sah das verschmitzte Gesicht des Zauberers. Er streckte den Ankömmlingen gebieterisch die Rechte entgegen und rief ein befehlendes Wort, natürlich das Verbot, den Tempel zu betreten; das verstanden alle.

»War wahrhaftig nicht nötig!«, sagte lebhaft Doktor Bolten. »Man hätte Lust, das Schlangengezücht mit dem Absatz zu zertreten.«

»Giftige sind nicht darunter«, versicherte der Dolmetscher. »Sie werden gleich sehen, dass sich die Tiere um des Zauberers ganzen Körper ringeln.«

Er rief nun den listigen Patron aus seiner Hütte hervor und sobald dieser kam, krochen ihm die Schlangen überall an den nackten Gliedern empor, legten sich um Hals und Arme, hingen in den Stacheln des Gürtels und bedeckten förmlich die schwarzen Beine, ohne dadurch den Neger aus seiner künstlich angenommenen Würde irgendwie herausschrecken zu können. Er fragte, was die Weißen von ihm verlangten, und nachdem er es erfahren, schüttelte er den Kopf. »Nein, durchaus nicht. Das Zauberpulver wollte er behalten.«

Dann aber kam das Lockmittel zum Vorschein. Franz nahm den Strohhut ab und setzte sich das Hundehalsband auf den Kopf. Die kleinen Glöckchen klangen lustig.

Der Schwarze reckte den Hals. Erst bot er Pfeffer, Palmöl und Elfenbein, als aber alles verschmäht und zugleich das begehrte Band wieder in die Tasche spediert wurde, da kroch er trotz Schlangen und rasselndem Muschelputz eilends in das Innere der Höhle und kam gleich darauf mit der Bambusdose zurück. Der Dolmetscher musste den Tausch vermitteln, und nun wurde die niedere Tür der Wohnung auffallend schnell geschlossen. Es schien als fürchte er, dass die Weißen den Handel bereuen könnten.

Holm steckte sehr erfreut die Büchse zu sich. »Jetzt müssen wir beraten, wo unser Nachtlager aufgeschlagen werden soll«, sagte er, »hier im Dorfe oder im freien Walde. Was meint ihr dazu? Ich bin dafür, dass wir einen Ausflug machen und dann zurückkehren, um unsere Matten an diese Bäume zu hängen.«

Alle stimmten bei, und so ließ man denn einen der Neger mit dem Gepäck im Dorfe zurück, nahm nur etwas Lebensmittel und machte sich auf den Weg, tiefer und tiefer in den Urwald hinein.

»Jetzt denkt daran, eure Kapseln und Behälter zu füllen«, ermahnte Holm. »Einer sammelt Pflanzen und der andere Insekten. Die Gewehre schussfertig.«

»Aber wenn uns ein Löwe begegnet!«, rief Hans, dem doch in so weiter Entfernung von der Küste etwas zaghaft zu Sinn wurde. »Dann sind wir alle verloren.«

»Löwen gibt es im äquatorialen Afrika nicht, Hänschen. Nur rechts und links von diesem mittleren Erdgürtel werden sie angetroffen – in Sierra Leone sehen wir vielleicht späterhin den König der Tiere.«

Man schritt vorwärts, bis plötzlich ein Ausruf des Erstaunens die Schritte hemmte. Vor den Reisenden erhob sich ein Baum von sonderbarem Aussehen. Kein grünes Blatt war zu bemerken, keine Frucht und in den Zweigen nicht das mindeste Leben. Wie mit schwarzgrauen, starren Klumpen bedeckt, stand der Riese inmitten seiner grünenden, farbenprangenden Umgebung da.

Der Dolmetscher nahm das Gewehr und feuerte mitten in die anscheinend kahlen Äste hinein. Was nun folgte, lässt sich kaum beschreiben. Tausende und Abertausende von Fledermäusen schwirrten empor, etliche fielen tot oder verwundet auf den Boden, die Luft schien im Augenblick beinahe verfinstert von all diesen Flügelschlägen, und als sich die unheimliche Sippschaft entfernte, da stand der Baum völlig abgestorben da.

Die Knaben sammelten einige der verendeten Fledermäuse, aber Holm wollte kein Exemplar ausstopfen. »Es ist die gewöhnliche Art«, sagte er, »nur hier etwas größer wie bei uns im Norden. Wir werden für das Museum zu Hause in Hamburg schon noch einen echten Vampir auftreiben.«

Man ging weiter und blieb bald hier stehen, bald dort. Von einem Zweige, der unvorsichtig berührt wurde, fielen prachtvolle, purpurrote Blüten, fein wie Haare, auf den Hals und das Gesicht des jüngeren Knaben herab. Hans schrie, als werde er gespießt. »Ich verbrenne! Ich verbrenne!«

Das waren Dolichesranken, ein wundervoller Baumschmuck, so farbenreich wie wenige andere, aber auch ebenso heimtückisch wie schön. Die getroffenen Hautstellen schwollen an wie von der Berührung unserer Brennnessel und empfanden dabei ein quälendes, schmerzendes Jucken, dem indessen die Neger einigermaßen abzuhelfen wussten.

Sie zerquetschten eine breitblätterige, hellgrüne Pflanze und legten die Masse auf Hände und Nacken des Knaben, der denn auch mannhaft den Schmerz verbiss und sogar mit dem Taschentuch eine Ranke des verräterischen Gewächses behutsam pflückte und in die Trommel legte, nachdem er sie für sich in festes, dünnes Papier eingewickelt hatte, damit ihre Brennhaare sich nicht unter die noch zu sammelnden Pflanzen mischten.

Franz hatte während dieser Zeit einige große, prachtvolle Schmetterlinge eingefangen, die er in viereckige Schachteln tat, jetzt hielt er zwischen den Fingern einen rotbraunen Käfer von etwa, anderthalb Zentimeter Länge. Das kleine Geschöpf hatte hinten am Körper ein paar respektable Kneipzangen und strampelte außerordentlich, um seine Freiheit wieder zu gewinnen. »Karl,« rief er, »wie heißt der Bursche?«

Einer der Neger hatte das Tier gesehen. Sein durchdringender Schreckensruf lockte die anderen herbei und veranlasste sie zu gleichen Äußerungen des Entsetzens.

Die kindische, unselbständige, ratlose Natur der schwarzen Menschenrasse trat blitzschnell zu Tage, indem einer der Neger hierhin sprang, der andere dorthin, aber alle sinnlos, zitternd, wie aufgeschreckte Schafe, wenn der Wolf in die Hürde eingebrochen ist. »Baschikuays!«, schrieen sie jämmerlich lamentierend und heulend, »Baschikuays!«

Franz hatte im ersten Schrecken den für giftig gehaltenen Käfer fallen lassen, Holm aber suchte ihn wieder auf und schien nun selbst etwas bedenklich auszusehen. »Ein Heerwurm!«, rief er, »aber möglicherweise war das Tier versprengt.«

Der Dolmetscher schüttelte den Kopf. »Das kommt bei den Baschikuays nie vor, Sir! Der Heerwurm ist in der Nähe, und wenn er zufällig auf seiner Wanderung einen Kreis beschreibt, so sind wir verloren.«

»Aber man klettert in diesem Fall auf die Bäume!«

»Das können Sie nicht, Sir. Der Zug hat eine Länge von zwölf bis zwanzig Stunden und ist zu breit, um ihn zu überspringen.«

»So wollen wir die Sache untersuchen, aber doch nicht gleich den Mut verlieren!«, rief Holm. »Gehen die Baschikuays über das Wasser?«

»Nie!«, versicherten einstimmig die Neger.

»Gut, so halten wir uns am Rande dieses Flüsschens. Kommt uns dann der Heerwurm auf einer Seite entgegen, so waten wir hinüber auf die andere.«

Er sprang bei diesen Worten voran auf einen schmalen Fußweg, den Bäume und Gesträuch fast verdeckten. »Mir nach,« rief er, »die Sache muss sich ja doch in ganz kurzer Zeit ausweisen.«

Er hatte kaum die Worte gesprochen, als schon einer der Neger jubelnd auf das andere Ufer hinüber deutete und vor Vergnügen hüpfte und tanzte. Unsere Freunde sahen nun ganz aus der Nähe das gefürchtete Ungeheuer aufmarschieren.

In einer Breite von wenigstens fünf Fuß wälzte der Heerwurm seine braunen Massen heran. Solche Käfer, wie einer durch irgendeinen Zufall, wahrscheinlich indem ihn ein Vogel herübergetragen, in Franzens Hände gelangt war, wanderten zu vielen Millionen in gerader Linie vorwärts. Dabei waren die Reihen so dicht bevölkert, dass man vom Erdboden nichts sah, und die einzelnen Glieder hielten sich in streng geschlossener Form.

Zu beiden Seiten des Zuges gingen in bestimmten Entfernungen je zwei der größten Exemplare dieser Tiere, gewissermaßen wie Offiziere und Häuptlinge, und ganz inmitten der Reihen sah man Geschöpfe von hellerer Farbe, vermutlich also der junge Nachwuchs.

»Und davor ergreift ihr das Hasenpanier?«, rief Franz. »Was ist es denn mit diesen harmlos aussehenden Tieren?«

»Geben Sie Acht!«, rief der Dolmetscher, indem er aus seiner Basttasche eine der getöteten Fledermäuse hervorzog und mit schneller Bewegung über den Fluss warf. »In einer Minute wird nur noch das Skelett übrig sein.«

Alle sahen gespannten Blickes auf die Stelle, wo sich eben der Knäuel für kurze Zeit sammelte, die braunen Gesellen schossen neben- und übereinander her, es entstand eine Art von Getümmel oder Kampf, und dann wurde eine weiße Masse aus den Reihen hinausgedrängt, – der Zug ordnete sich und marschierte weiter.

Einer der Neger sprang ins Wasser, watete hinüber und ergriff vorsichtig die abgenagte Fledermaus. Nur das Knochengerüst war zurückgeblieben, nicht eine einzige Fleischfaser hing mehr daran.

»So ergeht es allen lebenden oder toten Geschöpfen, welche diesem Heerwurm in den Weg kommen und ihm nicht ausweichen können«, erläuterte Holm. »Selbst Elefanten werden von den blutgierigen Käfern angefallen und durch Hineinkriechen in den Rüssel vor Schmerz rasend gemacht.

Wirft sich dann das riesige Tier, um seinen Qualen zu entgehen, ins Gras, so nehmen Legionen der winzigen Gegner von dem gestürzten Koloss Besitz, und in längerer oder kürzerer Zeit wird auch er skelettiert.

Menschen, die zum Beispiel im Schlafe von dem Heerwurm überfallen werden, sind verloren, wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Kleider rechtzeitig abzuwerfen und, wie sie Gott geschaffen hat, zu flüchten.

Dreht sich die furchtbare Kette, durch Hindernisse gezwungen, zufällig im Kreise, so gibt es daraus kein Entrinnen. Sechs bis acht dieser Geschöpfe auf der bloßen Haut genügen, um ein lebendes Wesen zur Verzweiflung zu bringen.«

»Und die gräulichen Gesellen fressen nur Fleisch?«, fragte Franz.

»Alle Lebensmittel überhaupt. Eine verwandte Art dagegen zieht das trockene Holz und namentlich das Papier vor. Ganze Bambusgebäude, Bücherkisten und Möbel verschwinden über Nacht.

Diese letztere Sorte bildet die euch dem Namen nach bekannten Termiten, sie marschiert auch in Zügen, aber nur während der Dunkelheit und unter der Erde, indem sie maulwurfsartige Gänge aufwirft.

Ferner lebt in den Blättern niederer Bäume eine rote Art, die sich in ganzen Wolken herabfallen lässt, und im Sande eine graue, die von unten her ihr Opfer angreift.

Zu dieser entsetzlichen Familie gehört auch die bei uns in Europa leider neuerdings wieder aufgetauchte Wanderheuschrecke.

Termitenbauten möchte ich übrigens doch gern in Augenschein nehmen«, setzte er hinzu. »Achilles, gibt es hier herum Dergleichen?«

Der Dolmetscher nickte. »Es ist ein ganzes unbewohntes Termitendorf in der Nähe, Sir«, versetzte er. »Wir können es in einer Stunde erreichen.«

»In Papas Museum sind übrigens auch solche Bauten!«, warf Franz ein. »Hast du sie nicht gesehen, Karl?«

»O ja, mein Lieber, aber ebenso gut könntest du einen Riesen und einen Zwerg ohne Weiteres vergleichen, indem du beide einfach Menschen nennst. Die Exemplare von Termitenbauten, welche Papas Kapitäne ihm für sein Museum aus Afrika mitgebracht haben, sind vielleicht so groß wie ein Wassereimer, die völlig fertigen, bewohnt gewesenen Höhlen dagegen sind höher, geräumiger und besser erbaut als Negerhütten.«

»Man könnte also ordentlich hineingehen?«, riefen voll Neugier die Knaben.

»Das natürlich nicht, ihr Voreiligen! Die Termiten haben sämtliche Gänge für den eigenen Bedarf, aber weniger für die Höhe junger, wissensdurstiger Naturforscher eingerichtet.«

»Freund Achilles«, setzte er gegen den Dolmetscher hinzu, »könnten Sie mir einen jener Generale, die dort an den Seiten des Zuges marschieren, herüberlangen? Ein recht großes Exemplar möchte ich gern haben und ein unausgewachsenes Junges außerdem.«

Man blieb an geeigneter Stelle stehen, und der Neger brachte zuerst einen der stattlichsten Braunröcke, ein Tier von 1½ Zentimeter Länge; dann aber musste er, um ein Junges zu erreichen, in die Mitte des Zuges hineingreifen, und das konnte er nur, indem er auf den äußersten Rand der lebenden Masse trat. Binnen Sekunden war das unbekleidete Bein bis zum Knie mit den blutsaugenden Geschöpfen bedeckt, ebenso schnell aber tauchte der Neger das gefährdete Glied ins Wasser und entledigte sich dadurch der sofort verendenden Quälgeister.

Ohne die mindeste Unterbrechung, geräuschlos, unabsehbar wanderte mit Milliarden von Füßen der scheußliche Heerwurm. Die eingefangenen Exemplare wanderten in ein weithalsiges, halb mit starkem Spiritus gefülltes Glas, in welchem sie nach wenigen Zuckungen verendeten.

Unsere kleine Reisegesellschaft brach auf. Wenn das nahe Termitendorf besehen war, so musste man den Heimweg antreten, um noch vor Nacht wieder bei den Negerhütten zu sein. Erst morgen sollte ein größerer Ausflug in aller Frühe unternommen werden.

Eine weite Lichtung dehnte sich vor den Blicken, ordentlich wohltuend nach so viel undurchdringlichem Gewirre von Stämmen und Ranken, Blumen und Gebüsch, aber ungleich heißer freilich als unter dem Blätterdach. »O, was doch der Schatten tut!« rief Hans.

»Freilich, mein lieber Junge«, lächelte Holm. »Die Pflanzen wehren den Sonnenstrahlen, sodass nur ein Bruchteil bis auf den Boden gelangt. Das ist das Geheimnis der Waldkühle und zugleich das der regenlosen Gegenden, wie zum Beispiel der Wüste Gobi, der Kergueleninsel und anderer Landstrecken. Die bewaldeten Höhenzüge stehlen dem Wind alle und jede Feuchtigkeit, sodass er auf der entgegengesetzten Seite völlig trocken ankommt. Ich will euch –«

Ein gellender Schrei, ein Rauschen und Krachen in den nächsten Zweigen unterbrach plötzlich die angefangene Rede. Papageien flogen kreischend in die höchsten Spitzen der Bäume, Früchte, dürre Äste und Schalen prasselten, offenbar als Geschosse verwendet, auf den Boden herab, und eine Schar ganz kleiner Affen floh behände über die Wipfel dahin.

Einen Augenblick schien es, als husche an einem der Stämme ein dunkles, seltsam gestreiftes und geflecktes größeres Tier hinauf, dann war im Augenblick alles still.

»Schleichkatzen!«, sagten die Neger und darauf umringten sie von mehreren Seiten den Baum, indem zugleich die Weißen mit geladenen Gewehren Posto fassten und alles, was ihre Führer taten, scharf beobachteten.

»Ein Jagd in aller Form!«, flüsterte Doktor Bolten. »Wer hätte gedacht, dass man in seinen alten Tagen noch am Äquator Zibetkatzen schießen würde!«

»Pst! Klang das nicht ganz wie Kindergeschrei?«

»Die jungen Kätzchen sind also in unmittelbarer Nähe!«, raunte Holm. »Auf, ihr beiden, sucht das Nest!«

Mit Mühe einen lauten Jubelschrei unterdrückend, verschwanden die Knaben am Rande des Unterholzes, und nun wurde minutenlang alles so totenstill, dass man sein eigenes Herz schlagen hörte und das leichte Flüstern der Blätter im Winde.

Achilles schlich an den Doktor heran, zwei Finger auf die Lippen gelegt und so leise, als sei er selbst ein Kater, der das Wild überrumpeln wolle. Die anderen Neger folgten ihm. »Pythonschlange!«, hauchte er. »Dort!«

Aller Blicke folgten dem ausgestreckten Finger. Durch das meterhohe, üppig wachsende Gras der Lichtung wand sich's braunschillernd, gelbgefleckt mit schuppigen Ringeln dahin, wenigstens zehn Meter lang und vom Durchmesser eines tüchtigen Baumstammes.

Lautlos glitt die Schlange bis an den Stamm, darauf die Zibetkatze saß, und begann denselben zu umschlingen, indem sie sich dabei auf die Stummelfüße des Schwanzes stützte.

Ein Schnaufen und Prusten der überlisteten Katze bewies, wie sehr sich das Tier fürchtete. – Die nächsten, stärkeren Zweige konnte es springend nicht erreichen, an den Erdboden gelangen auch nicht; was blieb ihm also übrig, als widerstandslos auszuharren, bis sein Körper durch die kalten, glatten Schlangenglieder umstrickt und ihm alle Knochen im Leibe zerbrochen sein würden?

»Wollen wir die Schlange erobern oder die Katze?«, fragte Doktor Bolten. »Eins ist nur denkbar!«

»Die Bälge beider Tiere«, gab Holm zurück. »Die Schlangen können ihre Beute nicht kauen, sondern verschlucken sie ganz. Wenn die Katze zermalmt, mit Geifer überzogen und verschlungen ist, lässt sich die Schlange träge herabsinken und leicht durch einen Schuss in den Kopf töten.«

Wieder wurde alles still, nur ein Angstschrei aus den Zweigen gellte zuweilen herab, und einige Papageiennester mit Eiern oder erwürgten, halbflüggen Jungen fielen ins Gras.

Dann aber folgte ein Knirschen und Krachen, der ganze Baum zitterte unter den heftigen Bewegungen da oben, und endlich sank die Schlange unförmlich angeschwollen wie ein Klumpen auf den Boden herab.

Ehe einer der Männer Zeit bekam, das Gewehr an die Wange zu legen, krachte von der Seite her ein Schuss, und Franz sprang mit lautem Hurra der erlegten Riesin näher, um durch einen Kolbenschlag sein Werk zu vollenden – Holm konnte ihm kaum zur rechten Zeit in den Arm fallen. »Um des Himmels willen nicht, du tapferer Nimrod!«, rief er. »Ich will ja die Bestie für das Museum ausstopfen, also muss mir der Kopf heil bleiben.«

»Ihr Teil hat sie!«, nickte der Doktor. »Die wütenden Schwanzschläge verraten es.«

»Aber wo ist Hans?«, rief in diesem Augenblick der junge Naturforscher. »Mein Himmel, er wird doch nicht –«

»Hier!«, antwortete die Stimme des jüngeren Knaben. »Hier!«

Und Hans trat aus dem Gebüsch hervor, in jedem Arm ein spielendes, braunfleckiges Kätzchen, das er fest an die Brust drückte. »Du darfst sie nicht töten, Vetter Karl«, rief er, »ich habe sie gefunden und kann es nicht sehen, dass ihnen ein Leides geschieht!«

Der junge Gelehrte lachte. »Bewahre«, rief er. »Hans, wohin denkst du? Die sollen mit hoffentlich noch manchem anderen Tropenbewohner als Erinnerung an die wissenschaftliche Reise des Naturforscherschiffes den Hamburger Zoologischen Garten verherrlichen helfen. Wir nehmen alles hier Erbeutete, lebende oder tote Schätze, mit nach Lagos und schicken es von da durch den nächsten Postdampfer nach Hause. Papa wird sich freuen, wenn für die großen Kosten dieses Unternehmens schon so bald Erfolge einlaufen.«

Die beiden niedlichen Kätzchen gingen von Hand zu Hand. Sie waren noch sehr jung, konnten nicht essen und nicht so recht laufen, daher verursachte es wenig Schwierigkeit, sie fortzubringen.

In dem Lendentuch des einen Negers, der es hier im Urwalde mit der üblichen Sitte der Bekleidung nicht so genau nahm, wurden sie weich gebettet, und während nun die Schwarzen sich daran machten, die unterdes verendete Schlange abzuhäuten und auch die alte Zibetkatze wieder ans Tageslicht zu befördern, gingen die vier Weißen mit dem Dolmetscher über die Lichtung, dem nahe belegenen Termitendorfe zu.

Als man den zerstreut liegenden Pyramiden bis auf wenige Schritte gegenüberstand, erhoben sich aus dem Gebüsch mehrere kleine, zwerghafte Gestalten von gelbgrauer Farbe, nur einen bis anderthalb Meter hoch, kränklich aussehend und vollkommen unbekleidet, von erschreckender Hässlichkeit. Sie streckten mit einer Art von Bettlergebärde und kläglich wimmerndem Tone den Schwarzen sowohl wie den Weißen ihre Hände entgegen.

»Zwerge!«, rief voll Erstaunen der Doktor. »Es ist also doch wahr, dass im Innern Afrikas ganze Zwergvölker leben.«

Achilles musste nun die kleinen, schmutzigen Menschen ausfragen, und was er erfuhr, war Folgendes: Die Zwerge nannten sich Obongos, sprachen von ihren Verwandten, den Akkus und Dokos, aber sie hatten, so lange sie lebten, nie ein Dorf bewohnt, einen König gehabt oder zu ihrem Lebensunterhalt durch Arbeit das Geringste beigetragen, ja sie waren daran gewöhnt, auf Bäumen zu schlafen und ohne alle Kleidung einherzugehen. Ihre Nahrung bestand aus Wurzeln, Beeren und Heuschrecken, die roh in zerquetschtem Zustande verzehrt wurden.

»Ob es viele von ihnen gebe?«, fragte begierig der Doktor durch den Mund des Dolmetschers.

Sie schüttelten die Köpfe, und ihre trübseligen Mienen wurden immer trübseliger. Die Sonne versank unzählige Male, bevor sie in den Wäldern einen Einzigen ihrer Brüder antrafen.

Man schenkte ihnen von den mitgebrachten Cakes und Fleisch und sah dann die kleinen Gestalten wie in den Boden hinein verschwinden. Diese ganze Art stand offenbar auf der niedrigsten Stufe menschlicher Entwicklung.

Jetzt waren auch die Termitenbauten erreicht. Schwarze, spitze Hütten, an den Außenseiten vielfach höckerig und wie mit Stufen, zahllosen Einschnitten und Erhöhungen versehen, so zeigten sie sich den Beschauern, die vergeblich versuchten, mittels ihrer Messer Stücke dieser Wände loszubrechen.

Das Gemäuer war von fester Tonerde, und erst als Franz einen schweren Stein aufhob und ihn gegen die höchste Spitze warf, fiel ein schwarzer Klumpen zu Boden. Inwendig zeigten sich solche Gänge oder Rinnen, wie man sie als die Zerstörungswege der Maden im Käse kennt, natürlich nur bedeutend breiter.

Die Beute wurde der anderen zugefügt, und dann wanderte man dem Saume des Waldes wieder zu. Die schillernde Schlangenhaut sowohl als auch der Balg der Zibetkatze lagen schon zum Trocknen auf dem Rasen und waren nach Holms zufriedener Bestätigung wie vom besten Kürschner abgezogen worden.

Das Fell des Raubtieres hatte eine schöne graue Grundfarbe mit launenhaft und unregelmäßig darüber hergestreuten schwarzen Flecken und Streifen; es zeigte die starke, schwarze Rückenmähne, den spitzen Kopf und den schlanken Körperbau der Gattung und maß von der Schnauze bis zur Schwanzspitze etwas mehr als einen Meter.

Holm sagte, dass man eine afrikanische, eine amerikanische und eine asiatische Zibetkatze kenne, ebenso eine sehr selten gefundene europäische, und dass diese Tiere den in der Medizin bekannten Zibet lieferten. Die Nubier und Abessinier zähmen sie und drücken ihr wöchentlich zweimal den in einer Blase am Bauch befindlichen Zibet heraus – in der Freiheit tut es das Tier selbst.

Mit Schlangenhaut, Balg und Kätzchen beladen, wanderte die Jagdgesellschaft zum Dorf zurück, nicht ohne jenseits des Baches nochmals den braunen Heerwurm ziehen zu sehen. Gottlob ließ er die Negerhütten weit links liegen.

Als man ankam, war die Sonne fast versunken, und um das Dorf herum lagerte eigentümliche Stille. Alle Feuer schienen erloschen, alle Bastvorhänge waren geschlossen und auf den Straßen niemand zu sehen, obgleich noch die letzten Sonnenstrahlen den Waldrand umsäumten.

»Wie kommt das?«, fragte Holm.

Die Neger taten sehr geheimnisvoll. »Ilogo!«, flüsterten sie und beeilten sich, so rasch wie möglich die Hängematten der Weißen an den Bäumen zu befestigen. Dann waren sie über alle Berge, und kein Rufen oder Bitten brachte sie zurück.

Die Weißen sahen einander erwartungsvoll an. Was mochte jetzt bevorstehen und was konnte das Wort »Ilogo« bedeuten?

Sie sollten es sehr bald erfahren. Immer tiefer senkte sich die Nacht, am Himmel glänzte mit hellem Schein der Vollmond und weiß und silbern lag auf den Hütten das milde Licht.

Aus der Wohnung des Königs hervor trat in diesem Augenblick ein Mann, dessen schwarzer Körper vom Kopf bis zu den Füßen mit abwechselnd weißen und roten runden Flecken übermalt war.

Die Arme gekreuzt, den Kopf zurückgebeugt und die Blicke zum Himmel erhoben, so begann der schwarze Monarch langsam die Dorfstraße hinabzutanzen. Kein Laut begleitete dies sonderbare Vornehmen, tiefe Totenstille lag auf der ganzen Umgebung, und selbst unsere Freunde unterhielten sich nur flüsternd.

Was da der arme, unwissende Neger tat, das war zwar für den ersten Anblick komisch genug, aber trotzdem schimmerte immer hindurch eine Ahnung von höheren Gewalten, der er diesen seltsamen Ausdruck verlieh.

»Alle Naturerscheinungen finden unter diesen Heidenvölkern göttliche Verehrung«, belehrte der Doktor. »Die für böse gehaltenen werden gefürchtet, und die guten denkt man sich gewissermaßen wie Heilige.

Gott selbst heißt: »Mawu«, der Himmel »Osi«, die Sternschnuppen »Nyikpla«, der Blitz »Nebroso«, der Donner »Agtui«, die Erde »Anyigba«, die Luft »Thama« und endlich der Fürst der Finsternis »Abosam«. – Ilogo wird also wohl der Mond sein; ich finde diese Art von Naturkultus zum Mindesten poetischer als die Anbetung von Götzenbildern.

Ist er nicht eine ›Stimme von oben‹, der alte lächelnde Geselle, dessen Rund jetzt über der Villa eurer Eltern in Dockenhuden ebenso hell glänzt wie hier unter dem Äquator, Tausende von Meilen weit?«

»Oder auch tief unter grauen, nordischen Wolken versteckt ist«, sagte etwas erzwungen der junge Gelehrte, und damit war glücklich die ernst gewordene Stimmung verscheucht. Man schlief, als der tanzende König den Blicken entschwunden war, sanft von linden Lüften geschaukelt, ruhig und ungestört bis an den hellen Morgen.

Hans erkundigte sich, sobald er aufgestanden, das heißt fünf Fuß tief auf den Erdboden hinabgesprungen war, zuerst nach seinen Kätzchen.

Achilles hatte sie einer säugenden Hündin in die Mutterpfoten gelegt, und hier teilten sie brüderlich mit einer Schar krabbelnder, noch blinder Hündchen, ihren Erzfeinden, die labende Milch; der jugendliche Eigentümer wusste also seine Jagdbeute vollkommen in Sicherheit und konnte sich mit Muße anderen Angelegenheiten widmen, namentlich der komischen Verzweiflung des Doktors, welcher Kaffee, Handtücher und warmes Wasser äußerst schmerzlich vermisste. Den Trank der Kolanuss erklärte er für Lehmwasser und die Maniokkugeln für Steine; erst als der grüne Wald ihn wieder umgab, und der Blick des Botanikers in ihm so viele neue Schätze entdeckte, da taute er auf.

Heute sollte das Mittagsmahl aus eigenen Vorräten im Freien gehalten werden, man wollte den ganzen Tag jagen und hatte noch zu aller Vorsicht ein halbes Dutzend Neger mehr mitgenommen. Der Ausflug versprach daher eine Reihe von Genüssen, vielleicht auch von Gefahren, aber das schreckte nicht. Wer eine wissenschaftliche Weltreise mitmachte, der musste die Furcht zu Hause lassen.

Heute ging es nach völlig veränderter Richtung vorwärts; man wandte sich einer schilfumwachsenen Sumpffläche zu, und zwar um womöglich ein paar Krokodile aus der Nähe zu sehen.

Hier war nun zum ersten Male der wirkliche Urwald zu durchklettern. Schönheit überall, mehr Formenfülle und Farbenpracht als sonst irgendwo beieinander sind, aber dafür nirgends jener majestätische, ruhige Zauber des deutschen Hochwaldes.

Aus ungezählten Baumarten bestehend, hier hoch, dort niedrig, hier mit breiten, dunklen, lederartigen Blättern, dort hellgrün und kraus wie Riesenfarne im ersten Frühlingsschmuck, so erglänzte das Laub in allen erdenklichen Schattierungen.

Orchideen mit ihren zierlichen Luftwurzeln, purpurrot und violett, die Blütentrauben der Fuchsie, Magnolien, ungeheure Lilien und Kommelinen, alles kletterte von Stamme zu Stamm schaukelte in den Lüften und hing wie ein dichter, bunter Teppich, von den Ästen herab. Tausend kleine Singvögel schwirrten dazwischen, alle Farben glänzten im Sonnenlicht, alle Formen zeigten die reiche tropische Vollentfaltung.

Besonders erschwerten die überall zu Tage tretenden Luftwurzeln das Gehen. So ein einziger Armleuchter-Pandang verursachte für sich allein einen weiten Umweg. Etwa zwei Meter vom Erdboden schlossen sich die strahlenförmigen Ausläufer wie ein ungeheurer Hühnerkorb zusammen und bildeten den glatten Stamm, dessen Äste erst ganz in der Krone begannen. Sechs bis zehn regelmäßig stehende Arme trugen wie die eines Kronleuchters je einen Büschel steifer, dunkelgrüner, geradeausstehender Blätter, und zwischen diesen befand sich die Blüte, eine weiße, länglichrunde, große Blume, die genau wie eine Lampenglocke aussah.

Der Baum war hübsch und eigentümlich, aber die Mühe ihn zu umgehen desto unangenehmer. Überall stolperte der Fuß, überall blieben die Kleider in Fetzen an den Gebüschen hängen, und zuweilen versank man bis ans Knie jählings in einen vermoderten, außen mit den verlockendsten Blüten überzogenen, alten Baumstamm.

Dabei füllte sich die Luft mehr und mehr mit einem Etwas, das sich die Wanderer durchaus nicht erklären konnten. Bald kam es, bald verschwand es, aber was es eigentlich war, das wusste keiner, bis endlich Holm ausrief: »Das ist Rauch!«

»Ich dachte es längst«, nickte Franz, »und wollte nur das Wort nicht aussprechen, um keine Dummheit zu Markt zu bringen. Woher sollte im Urwald Rauch kommen?«

»Freund Achilles, weißt du es?«

»Gallinas!«, antwortete der Dolmetscher. »Elefantenjäger. Sie treiben die umzingelte Herde bis an den versumpften See und stecken hinter ihnen das Gras in Brand. Die Tiere, vom Feuer auf das Äußerste erschreckt, sind dann leichter zu töten.«

»Der Rauch kommt von Osten her«, rief Franz. »Achilles, gibt es eine Stelle, von wo wir die Jagd mit ansehen könnten?«

»Aber, aber«, wehrte Doktor Volten, »kann man den Gallinas trauen?«

»Sie greifen uns wenigstens nicht an«, versetzte der Dolmetscher.

Obgleich die Antwort etwas seltsam klang, war doch das Verlangen nach dem aufregenden Jagdgenuss zu groß, um lange Bedenken zu hegen.

Achilles glitt voran, die Übrigen folgten, und nach einer halben Stunde anstrengenden Marschierens war der Rand des Sumpfes erreicht.

Ein unbewachsener, von Büffel- und Elefantenspuren bedeckter freier Platz, gedörrt fast durch die senkrecht fallenden Sonnenstrahlen, lehmfarbig und fahl, abstechend von der farbenprächtigen Umgebung, lag genau in der Mitte eines halbmondförmigen Sees, dessen trübe, grünliche Wellen ihn bis auf einen schmalen Zugang völlig einschlossen.

Vor diesem Platz dehnte sich grasüberwuchert in den stechenden Sonnengluten eine kahle nur hier und da mit Reis oder Zuckerrohr bestandene Fläche.

Am jenseitigen Ufer lagerten unter den schattenspendenden Stammkolonien des in mehr als fünfzig Säulen aus einer Wurzel aufschießenden Dubabelbaumes unsere Freunde. Der Rauch schlug jetzt in hohen, blaugrauen Wellen über die Lichtung dahin, und zuweilen war es auch, als höre man fernes Donnern.

»Das sind die Elefanten«, sagte Achilles. »Sie kommen hierher, weil ihnen jeder andere Weg abgeschnitten wird. Hinein in den See wagen sie sich aber nicht – die Gallinas machen sich ihre Furcht vor den Alligatoren zur Verbündeten.«

»Welche Waffen führen diese Leute?«, fragte Franz.

»Vergiftete Pfeile«, antwortete der Dolmetscher. »Man trifft den Elefanten ins Auge, und er verendet sofort. Die Gallinas sind vortreffliche Schützen.«

Jetzt stampfte die Schar der Kolosse heran. Helles, offenbar angstvolles Trompeten mischte sich mit dem kläglichen Geschrei anderer Tiere, die ungeheuren Füße ließen den Boden erdröhnen, und das Knistern der Flammen wurde hörbar.

Am Himmel sammelte sich währenddessen eins der in den Tropenländern so zahlreich und so überaus schnell entstehenden Gewitter. Schwarze Wolken hingen tief herab, Blitze zuckten über den Horizont dahin, und krachende Donnerschläge übertönten allen andern Lärm.

Jetzt entstand ein Durcheinander, dessen tausendstimmiger Chor alles in sich schloss, was an Tönen überhaupt gedacht werden kann. Schwere Regentropfen schmetterten die Früchte von den Zweigen, ein sausender Wind bog und schüttelte die Laubkronen, Tiere flüchteten und schrieen, Affen in ganzen Scharen duckten sich zitternd aneinander, Insekten suchten ihre Schlupflöcher, und scheue Vögel verbargen sich im Dickicht.

Jetzt erschienen auch in fliegender Eile die vom Feuer aus dem hohen Gras vertriebenen Tiere; wenigstens zwanzig Elefanten, große Männchen mit den gewaltigen Zähnen und der Trompetenstimme, säugende Kühe mit noch kleinen Kälbern, ein paar Büffel und Antilopen, grunzende Warzenschweine und eine schlanke, scheue, vor Angst zitternde Giraffe.

Neben- und durcheinander, sich überstürzend, drängend, schossen sie vorwärts, und hinterher wälzte sich die Flammenwoge, niedergepeitscht, raucherfüllt, mit gierigen, roten Zungen nach allen Seiten leckend, ein Ungeheuer, raublustiger und gefährlicher als irgendein Tier der Schöpfung.

Es war ein schrecklicher und doch schöner Anblick. Zitternd in grenzenloser Angst die Riesen der vierfüßigen Gattung, vergessen aller Vernichtungskampf der Geschöpfe untereinander, gelöst alle Bande und machtlos der drohende Blick des Todfeindes, des sonst so gefürchteten. Schleichkatze und Antilope stehen nebeneinander, die gefleckte falsche Hyäne, das treuloseste Tier der Schöpfung, duckt sich unter die bebende Giraffe, und ein versprengter Strauß huscht hier und dort zwischen den großen Elefanten umher.

Nur die Krokodile lauern. Träge im Uferschlamme liegend, wissen sie, dass es ihnen nicht gelingt, auf festem Boden die Beute zu besiegen. List allein kann ihnen helfen, in offenbarem Angriff ziehen sie den Kürzeren. Die raublustigen Augen blinzeln, die schmutzfarbenen, altem Holze nicht unähnlichen Körper schieben sich mehr und mehr aus dem Wasser heraus.

Vielleicht kommt ja eines der Tiere dem Gefahr bringenden Ufer zu nahe, vielleicht lässt sich ein in seiner Todesangst wehrloses Geschöpf im Rücken fassen und hinabziehen in das nasse Grab.

Abgesondert von dem eigentlichen Waldrande, der brennenden Grasfläche ganz nahe, steht ein hoher, alter Tamarindenbaum. Zehn Fuß hoch über dem Erdboden, hinaushängend auf den See, beugt sich ein schlanker, starker Ast. Jetzt hat ihn die rote Lohe beinahe erreicht – wird der Riese unter seiner Umgebung, der Uralte des Waldes, dem gefräßigen Elemente zum Opfer fallen?

Da zuckt ein Blitz herab, greller und stärker als alle früheren, blendend und purpurn, zischend und vom betäubenden Donner gefolgt. Das ist, als wolle die Erde in ihren Tiefen bersten, als breche furchtbar und urplötzlich der jüngste Tag herein.

Weit zurück geschleudert in das Feuermeer ist die Krone des Tamarindenbaumes, in der Mitte geknickt der Stamm, und nur noch jener starke, untere Ast ragt über das Wasser dahin. Glut mischt sich mit Glut; jetzt schlägt eine Feuergarbe hoch empor, es bäumt und regt sich rauchverhüllt und von Blättern bedeckt, der Ast schwankt und auf ihm sitzt geduckt, glänzende Augen rollend, mit schweratmenden Flanken ein Leopard.

Hinter dem Feuer, vom Waldrande kommend und über die rotglühenden Stoppeln dahinblickend, erscheinen schwarze Gestalten in arabischer Kleidung, weiß beturbant und mit langen Wurfspießen, mit Bogen und vergiftetem Pfeil.

Hin und her über die Angehörigen der vernunftlosen Schöpfung messen sich die Blicke erstaunter Menschen.

Sind sie Feinde, die Gallinas?

 

Franz sah nur den Leopard. Von diesem Ast konnte er nicht fort, weder in die brodelnde Glut noch in den See hinein! Das Herz des jugendlichen Jägers schlug mit verdoppelter Eile, er sprach nicht, dachte nicht einmal, sondern handelte unter dem Eindruck des Augenblickes.

Das Gewehr an die Backe legend, zielte er sekundenlang, der Schuss krachte – und der Leopard fiel, sich überschlagend, bis ganz nahe an den Sumpf. Obwohl seine hastigen Bewegungen zeigten, dass er noch lebte, so war doch jedenfalls sein baldiger Tod gewiss.

Zwei Gallinas sprangen herzu, um die Beute den Krokodilen zu entreißen. Die anderen berieten flüsternd, offenbar mit Bezug auf die Weißen.

Doktor Bolten und Holm waren von dem Jagdeifer ihres jungen Gefährten unterdessen angesteckt worden, ebenso Hans. Schuss krachte auf Schuss, zwei der größten Elefanten wälzten sich in ihrem Blute, ein Büffel hatte schon mehrere Kugeln auf den Pelz bekommen, doch ohne sich sonderlich darum zu kümmern, und auch eine Antilope war getötet.

Die Wilden schossen ihrerseits gar nicht. Es schien ihnen offenbar bequemer, sich das Wild vor die Füße legen zu lassen, als selbst ihre wertvollen Pfeile zur Erlegung desselben zu verschwenden; ganz in aller Stille aber teilte sich der Trupp, und ohne dass es die Weißen merkten, waren sie eingeschlossen.

Das Getümmel vor dem See nahm indessen zu. Einer der Elefanten stürzte ganz in der Nähe der Giraffe, und diese trat erschreckend zurück bis an den Rand des Sumpfes. Sofort erhoben sich zwei der scheußlichen Ungeheuer halben Leibes aus dem Schlamm und packten mit ihren fürchterlichen Rachen das lautschreiende Tier, welches sich aus allen Kräften, aber natürlich vergebens, gegen diese Übermacht zu sträuben versuchte.

Ehe eine Minute verging, gurgelte das grünliche Wasser und trieb Blasen, dann aber schloss es sich über dem Opfer, dessen Verderben die Schützen nicht gewollt hatten und das nun von den blutdürstigen Räubern der Tiefe in Stücke zerrissen wurde.

Zuweilen tauchte aber bei dem erbitterten Kampfe, welcher ohne Zweifel auf dem Grunde des Sees entstanden war, der Kopf des einen oder anderen Krokodils plötzlich hervor, und um einen solchen Augenblick zum wohlgezielten Schusse zu verwenden, schlich Franz mit leisen Schritten in das Gebüsch hinein. Die hintere Mitte des Halbmondes war bedeutend breiter als die beiden Ausläufer, daher hoffte er am Rande der Letzteren im gegebenen Fall sicherer zielen zu können.

Die Gallinas waren um den glücklich geretteten Leoparden so beschäftigt und so eifrig dabei, die Antilope auf dem Fleck auszuweiden und am Spieß zu braten, dass sie vielleicht, auf die Feuerwaffen der Europäer allzu sicher vertrauend, für sich selbst die nötige Vorsicht ein wenig außer Augen ließen.

Einer der großen, männlichen Elefanten, angeschossen aber nicht getötet und aus diesem Grunde vor Schmerz rasend, drehte sich plötzlich gegen die zur Seite befindliche Negerschar, erhob herausfordernd den Rüssel und stürzte mit lautem Wutgeheul den vermeintlichen Feinden entgegen.

Die erschreckte Schar empfing ihn mit Schüssen und wohlgezielten Würfen – drei Pfeile zitterten am langen Schaft in seiner Hornhaut, das Blut rann stromweise von dem kolossalen Körper herab, aber dennoch gelang es ihm, mit schwindenden Kräften den nächsten der Neger zu erfassen. Er hob ihn hoch über den Kopf und schleuderte ihn dann mit solcher Kraft auf den Erdboden, dass sich die Glieder des Unglücklichen zuckend dehnten und ohne weitere Bewegung liegen blieben.

Der Sieger überlebte aber seine Rachetat nur um einige Minuten, die Riesengestalt drehte sich schwindelnd im Kreise und stürzte mit dumpfem Dröhnen zu Boden.

Jetzt nahm der ganze Vorgang einen abschreckenden Charakter an. Das war keine Jagd mehr, sondern ein Blutbad. Die Krokodile, halben Leibes an das Ufer kletternd, bemächtigten sich lebender und toter Körper, die Elefanten wurden von den Gallinas ihrer Zähne beraubt und abgebalgt, das halbgare Antilopenfleisch mit den Fingern zerrissen und der getötete Neger nicht mehr beachtet, als sei er eins der gefallenen Tiere.

Unsere Freunde erhoben sich, um diese Stätte sich entfaltender Barbarei zu verlassen, und jetzt erst bemerkten die Übrigen, dass Franz noch immer fehlte.

Holm pfiff auf zwei Fingern. »Hallo, Franz, wo steckst du?«

Keine Antwort.

Holm und Doktor Bolten sahen einander an; das Gesicht des alten Herrn war entsetzlich blass geworden.

»Die Verantwortung!«, sagte er fast stammelnd. »Ich habe dem Vater gegenüber die volle Verantwortung auf mich genommen!«

»Nun, nun«, tröstete Holm, dem selbst das Herz heimlich schlug, »er wird ja wiederkommen. Was sollte ihm geschehen sein?«

Noch einmal erschallte der laute Ruf über die Waldwipfel dahin, noch einmal legten alle drei Zurückgebliebenen in diesen kurzen einen Laut die ganze Unruhe, die stärker und stärker werdende innere Furcht ihrer Seelen. »Franz! – Franz! –«

Wieder keine Antwort.

»Achilles«, sagte Holm, »was kann das bedeuten?«

Der Neger zuckte die Achseln. »Vielleicht Gallinas!«, antwortete er.

»Hilf Himmel, sie sollten ihn getötet haben?«

»O – auf keinen Fall. Gallinas handeln in Lagos mit Geiser und Kopp, viel zu klug, um die Buchmänner zu erzürnen. Aber Gallinas Diebe.«

Holm atmete auf. »Es handelt sich also im schlimmsten Fall um ein Lösegeld, Achilles? Die Schwarzen werden den armen Knaben doch nicht töten?«

Der Neger schüttelte den Kopf. »Wollen Feuerwaffen haben und Fetisch«, antwortete er, auf Holms Uhr deutend.

»Herr Gott, so lasst uns eilen.«

Und in stummer Hast drängte alles vorwärts.

Doktor Bolten konnte sich von dem Schauplatz des geschehenen Unglückes anfangs durchaus nicht trennen. »Weggehen und den unglücklichen Jungen so gewissermaßen treulos verlassen«, presste er hervor. »Es ist zu schrecklich. Wenn er nun in das Wasser gefallen und von den Krokodilen –«

»Pah, das ist ganz unmöglich. Der Junge ist doch kein Wickelkind, dass er in den See plumpsen und sich fassen lassen sollte, ohne zu seiner eigenen Rettung das Allermindeste zu unternehmen? – Die Gallinas haben ihn, und wir müssen sehen, mit dem Raubgesindel tunlichst zu unterhandeln.«

Das war ein schlimmer, aber doch der einzig mögliche Trost, und nachdem noch die Neger zur Vorsicht festgestellt hatten, dass nirgends im Umkreis des Sees ein Unglück geschehen sein könne, beeilte man sich, die vordere Seite zu erreichen.

Hier waren auch die Gallinas mit dem Aufbruch beschäftigt; sie ließen den Dolmetscher äußerst gleichmütig an sich herankommen und beantworteten seine Fragen nach dem verschwundenen Knaben fast nur durch Achselzucken. Vielleicht hatte er ihre vorangegangenen Gefährten begleitet, sie wussten es nicht.

Aber nicht allein Achilles, sondern auch die Weißen waren durch den Ton dieser Antworten in ihrem anfänglich gehegten Verdacht vollkommen bestärkt worden, sie folgten daher ohne Weiteres den nach Hause gehenden Gallinas, und nur einmal fragte Holm den Dolmetscher, ob denn das Dorf derselben in der Nähe liege.

Die Antwort traf wie ein Kanonenschuss, – man musste acht bis zehn Stunden marschieren und dann natürlich während der Nacht im Walde bleiben.

Neue Verwirrung, neues Entsetzen bemächtigte sich der beiden Männer.

»Achilles«, rief Doktor Bolten, »machen Sie doch Ihren Landsleuten den Vorschlag, uns den Knaben hierher zurückzuliefern. Wir wollen alles, was wir besitzen, mit Vergnügen hergeben.«

Der Dolmetscher schüttelte den Kopf. »Gallinas klug«, antwortete er, »fürchten Feuerwaffen. Achilles allein gehen mit Fetisch und Gewehren.«

Das aber konnten wieder die beiden anderen nicht zugeben, auch Hans wollte sich trotz aller Vorstellungen nicht mit einem der Neger auf den Rückweg machen, und so zog denn die kleine Gesellschaft in tiefstem Schweigen, verstimmt und unruhig durch den Wald dahin. Die Gallinas in ihren weißen Turbanen und Burnussen gingen gewissermaßen als Wegweiser voran, und sobald sie Halt machten, lagerten auch die Weißen mit ihrer Begleitung, um scheinbar wenigstens ein Mahl einzunehmen. In der Tat aber sprachen nur die Kruneger den mitgebrachten Vorräten tapfer zu.

»Wie wäre es«, meinte Holm, »wenn wir alle mit dem Gewehr auf dem Rücken, also in ganz friedlicher Absicht, jetzt zu den Gallinas gingen und ihnen vor die Füße legten, was sie zu besitzen wünschen? Wo das geschieht, ist doch gleichviel.«

Aber Achilles wies den Vorschlag durchaus zurück. »Gallinas lassen den weißen Knaben frei, ohne ihm Waffen oder Führer zu geben«, sagte er. »Gallinas falsch, weißer Knabe von Raubtieren zerrissen.«

»Und warum hat man uns nicht gleich an Ort und Stelle den ganzen spitzbübischen Handel vorgeschlagen?«, rief Holm.

»Zehn Feuerwaffen«, lächelte Achilles, die Gewehre überzählend, »zehn entschlossene Männer. Gallinas klug – den Gegner müde machen.«

»Diese Spitzbuben! Sie wussten also, dass wir bis an das Ende der Welt dem armen Jungen nachgehen würden?«

Und man brach wieder auf, bis der Abend herabsank und die Schatten länger wurden. Plötzlich an einer Waldlichtung waren die Weißmäntel wie in den Boden hinein verschwunden – auch nicht ein einziges Zeichen verriet, wohin sie sich gewendet.

Die Kruneger berieten heimlich, und dann wandte sich der Dolmetscher zu den Weißen.

Eine Viertelstunde von hier läge das Dorf, versicherte er, sie wüssten es ganz gewiss. Zwei von ihnen wollten die Zugänge desselben bewachen und die Übrigen hier aus den mitgenommenen Decken ein Zelt errichten. Der Plan der Gallinas sei ihm und seinen Genossen jetzt ganz klar.

»Und wenn uns die schwarze Bande in Gemeinschaft verrät?«, flüsterte Bolten.

»Dann sind wir unter allen Umständen verloren. Unserer drei gegen ebenso viele Hunderte.«

»Aber wir haben die Gewehre!«

»Dem Himmel sei Dank dafür! Die Schurken fürchten uns wie den bösen Feind, weil eben die Feuerwaffen aus so weiter Entfernung zu schaden vermögen.«

Achilles und seine Genossen bauten mit flinken Händen das Zelt, reinigten den Boden von Moos und Insekten und zündeten bei einbrechender Dunkelheit ein riesiges Feuer an, welches die Raubtiere verscheuchen sollte.

Zwei Neger verschwanden ganz in der Stille, die anderen trugen Wasser herbei, kochten Kaffee und rösteten Mais zwischen rohen Feldsteinen, dann aber mussten auf ihren Rat die Gewehre, auch die der fortgeschlichenen Krumänner, vor dem Zelt zusammengestellt werden.

Nachdem das geschehen, begaben sich scheinbar alle zur Ruhe, die Weißen im Zelt, die Neger davor.

Stunde nach Stunde verrann; von fern brüllten mit ihren gräulichen Stimmen die wilden Tiere; im Gebüsch raschelte und krachte es wie von glatten Schlangenleibern, vom Fuß schleichender Raubkatzen; das Feuer hüllte alles in seine purpurnen Gluten; nagende, quälende Unruhe hielt die drei leise flüsternden Deutschen wach.

So ganz allein am Rande der Zivilisation, nahe jener Gegend, die noch kein weißer Mann betreten, den Schwarzen und den reißenden Tieren wehrlos preisgegeben – das konnte mit Recht eine böse Lage genannt werden.

Und Doktor Bolten flüsterte kaum hörbar: »Vater, wenn es möglich ist, so lass diesen Kelch vorübergehen.«

»Amen!«, schluchzte Hans, der wohl fühlte, dass dies Gebet seinem verschwundenen Bruder galt.

Achilles, der vor dem Eingang des Zeltes saß, hob in diesem Augenblick die Hand.

Vom Schein des Feuers hell bestrahlt, warf die schwarze Hand einen Riesenschatten – unwillkürlich erstickte ihr Erscheinen jeden Laut.

Der Neger streckte sich, als schlafe er; tiefe Totenstille beherrschte die Umgebung, dann hoben von hinten mehrere Hände den Zeltvorhang auf. Gallinas in starker Anzahl hielten das Lager umzingelt, hatten die Gewehre ergriffen und die Messer der drei Deutschen an sich gerissen, ehe viel Zeit verging; jetzt untersuchten sie sogar die Taschen und bemächtigten sich der Uhren – nur die Bambusbüchse des Zauberers wurde verächtlich bei Seite geworfen.

So schnell wie sie gekommen, verschwanden die unheimlichen Gäste.

»Und nun?«, fragte Bolten. »Sie haben den Jungen doch sicher ermordet.«

Achilles schüttelte lachend den Kopf. »Wozu?«, sagte er. »Bald genug hier sein – sehr bald.«

Und wirklich war kaum eine Viertelstunde vergangen, als aus dem nächsten Gebüsch die beiden Kruneger hervortraten, in ihrer Mitte den Knaben, grinsend von einem Ohr zum andern, äußerst vergnügt, dass sie List mit List vergolten hatten.

Franz war unversehrt, er flog den anderen entgegen und warf sich stürmisch in ihre Arme. Minuten verflossen, bis einer der Männer sprechen konnte.

»Kinder,« stammelte endlich Doktor Bolten, »Kinder, lasst mich unserm Gott danken und diesen beiden braven schwarzen Menschenbrüdern hier –«

Aber weiter kam der alte deutsche Theologe nicht, sondern ging mit offenen Armen zu den beiden fettglänzenden, schwarzen Wilden und küsste die erstaunten Gesichter – und das war ein echter, wahrhaftiger Gottesdienst, wie er tief aus dankbarem Herzen heraufquoll.

»Nur mein kostbares Zauberpulver ist gerettet!«, rief Holm. »Sonst alles dahin. Aber gerade dieses ... – O nein!«, unterbrach er sich plötzlich. »Das ist denn aber doch empörend!«

Man umringte ihn und sah in die offene Schachtel hinein. Sand, purer grauer Sand, weiter war nichts darin. Der Zauberer hatte das vielbegehrte Hundehalsband erlangt, sein Geheimnis aber daneben schlau bewahrt.

Ein dröhnendes, nicht enden wollendes Gelächter stellte die urgemütliche Reiselaune wieder her.

»Gib nur Acht, Karl«, rief Franz, »ich will den Betrüger mit seinen eigenen Waffen schlagen. Er soll mich für einen noch größeren »Medizinmann« halten, wie er selbst es ist und schon Respekt bekommen. – Jetzt aber lasst uns wandern! Auf, hinaus in den Mondschein!«

»Aber ohne Waffen!«, rief Hans.

»Nicht ganz!«, lächelte Holm. »Meine Taschenpistolen hatte ich in Sicherheit gebracht.«

Er zog die Waffen unter dem Moos hervor und lud beide Läufe. Auch einer der Neger brachte grinsend vor Vergnügen Bogen und Pfeile herbei, die er im Dorfe der Gallinas stibitzt hatte und die Franz sogleich für Papas Museum mit Beschlag belegte.

Das kaum errichtete Zelt wurde seiner Decken wieder beraubt und dann im Freien am Wachtfeuer eine köstliche Mahlzeit gehalten; jetzt machte, nachdem Angst und Sorge vorüber waren, die Natur ihre Rechte doppelt geltend, und namentlich Franz schmauste wie ein Halbverhungerter. »Die Gallinas haben mir Heuschrecken vorgesetzt«, schauderte er, »und einen halb rohen, halb verbrannten Affenbraten.«

»Aber wie war es eigentlich möglich, dass sie dich wegfangen konnten, ohne unsere Aufmerksamkeit zu erregen, Junge? Ich begreife es nicht.«

»Sie warfen mir von hinten eine Decke über den Kopf«, erklärte Franz, »und wenn nur nicht gerade der eine große Elefant so fürchterlich trompetet hätte, dann müsstet ihr auch meinen Schreckensschrei und das Zerren und Schleifen durch die Gebüsche gehört haben. Aber darauf war vielleicht gerade gerechnet worden.«

Man brach nun auf und hatte das Glück, im hellen Mondschein ungefährdet das Dorf Lope zu erreichen. Nur ein paar kleinere Tiere liefen über den Weg, aber die wurden verschont, teils um keine Zeit zu verlieren, teils weil man gar nicht in der Stimmung war, irgendein Geschöpf zu töten. Die Botanisierkapseln waren dafür bis an den Rand gefüllt.

Am folgenden Morgen begab sich Franz, mit einem kleinen Brennspiegel ausgerüstet, in die Nähe des Tempels und nahm seinen Platz so, dass er gerade vor der Tür der Hütte saß. Der Zauberer lag wie immer faul im Innern derselben.

Alle Übrigen hatten sich in der Nähe versteckt.

Jetzt drehte Franz das Glas so, dass der Sonnenstrahl versengend die Hand des Zauberers traf und dieser erschreckt zurückfuhr. Er lugte durch eine Spalte der Bambuswand und gab so sein schwarzes Ohr preis – husch, hatte der Strahl es erfasst.

Nun ging ihm die Geschichte über den Spaß. Er kam heraus, offenbar um das Ansehen seiner Person geltend zu machen; die Augen rollten vor Zorn, und die Fäuste waren geballt. Er schrie einige Worte in der Negersprache.

Franz drehte heimlich das Brennglas und hielt es jetzt so, dass es der Schwarze deutlich sehen konnte. Im Zickzack stach es und prickelte Brust und Kopf, Schultern und Beine.

Der Zauberer stieß ein sehr natürlich klingendes Geheul aus, schoss in die Hütte und erschien wieder mit dem Halsband, das er weit fortschleuderte. Sein Ruf klang jetzt unverkennbar wie »Gnade! Gnade!«

Franz trat mit der ernsthaftesten Miene vor und nahm das Halsband vom Boden. »Betrug ist Betrug, auch wenn er komischer Natur wäre, nicht wahr, Herr Doktor? Damit durfte der graue Sünder nicht durchkommen.«

Und lachend zogen alle von dannen. Die beiden Neger, welche Franz aus dem Dorf der Gallinas sicher zu den Seinigen gebracht hatten, sowie Achilles erhielten in Lagos namens der Eltern des Knaben von den Herren Geiser und Kopp eine ansehnliche Belohnung und dann ging es, von ihren Segenswünschen begleitet, beladen mit allen Schätzen dieser kleinen Reise, an Bord der Hammonia zurück.

Trotz der mannigfachen Gefahren, die der kleine Trupp der Naturforscher mit Mut und Glück bestanden hatte, war die Ausbeute an Naturalien aller Art keine geringe geworden, nun galt es die gewonnenen Schätze vor dem Verderben zu bewahren, damit sie wohlerhalten in Europa anlangten, um den Gelehrten als Material zum Studium oder zur Vervollständigung der Sammlungen zu dienen.

Zunächst wurden daher jene Gegenstände in Angriff genommen, die dem Verderben am meisten ausgesetzt waren, und da vier rüstige Arbeiter zur Verfügung standen, machten sich alle an die Arbeit, deren Einteilung Holm, als der Führer der Expedition anordnete.

Dem Doktor Bolten war die Aufgabe zugefallen, das Tagebuch zu führen, in welches alle Erlebnisse niedergeschrieben wurden. Hans wurde der botanische, Franz der zoologische Teil zugewiesen, während Holm die nötigen Anleitungen gab und bald dem einen bald dem andern half, wenn besondere Schwierigkeiten zu überwinden waren.

Es galt nun vor der Hand die Schmetterlinge zu präparieren, damit dieselben schön ausgebreitet die Pracht ihrer Flügel, die bunte Zeichnung derselben und ihre ganze Form auf das Deutlichste erkennen lassen konnten.

Zu diesem Zwecke waren einige dreißig Zentimeter lange und fünf Zentimeter breite glatte Bretter mitgenommen worden, die der Länge nach eine zwei Zentimeter breite Furche enthielten, deren Tiefe fast ebenso viel betrug. Aus einer der Schachteln wurde der eingesperrte Schmetterling nun vorsichtig herausgenommen und zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand festgehalten.

»Ehe wir das Tier spießen«, sagte Holm, »wollen wir es vergiften, damit es keine zu großen Qualen leide. Wir könnten hierzu von dem Chloroform aus der Reiseapotheke nehmen. Allein, wer weiß, ob wir dasselbe nicht noch zu anderen, wichtigeren Zwecken gebrauchen werden.«

»Haben wir denn noch ein anderes Gift, das uns dieselben Dienste leistet?«, fragte Franz.

»Ich bin soeben im Begriff einiges zu bereiten«, antwortete Holm mit scheinbar wichtiger Miene.

»Wo denn?«, fragte Franz verwundert. »Ich sehe keine Retorte noch sonst einen chemischen Apparat.«

»Hier, dies ist mein großes Laboratorium«, erwiderte Holm lächelnd, indem er auf die kleine Tabakspfeife deutete, die er vor Kurzem in Brand gesetzt hatte. »In dem unteren Behälter«, fuhr er fort, »sammelt sich der Tabakssaft an, der beim langsamen Verbrennen des Tabaks entsteht und jenen Giftstoff enthält, den die Chemiker Nikotin nennen. Dieses Nikotin ist ein Gift für alle Insekten, die deshalb den Tabaksrauch auch ängstlich meiden.«

Holm goss den Tabakssaft in eine kleine Muschelschale, tauchte eine Nadel in denselben und feuchtete den Rüssel des Schmetterlings, den er vorsichtig aber doch sicher in der angegebenen Weise festhielt. Nachdem der Schmetterling einige kleine Tropfen des ihm tödlichen Giftes gekostet hatte, war er vollkommen leblos geworden.

Nun wurde ihm eine lange Insektennadel durch das Rückenschild gestoßen und dieselbe in der Furche eines der vorhin erwähnten Bretter derart festgesteckt, dass der Rumpf des Schmetterlings sich in der Furche befand.

Leicht war es nun möglich, die Flügel auf der glatten Fläche des Brettes schön und eben auszubreiten, Streifen von starkem Papier wurden über die Flügel gelegt und an ihren äußeren Enden mit kleinen Nadeln ebenfalls befestigt, sodass die Flügel in der ihnen einmal gegebenen Lage verharren mussten.

Ein Schmetterling nach dem andern wurde in gleicher Weise behandelt, bis kein Platz auf dem Brette mehr vorhanden war und die noch leeren an die Reihe kamen.

»Was machen wir mit den übrigen Schmetterlingen?«, fragte Franz, als auch diese besetzt waren.

»Wir lassen sie bis morgen leben«, antwortete Holm, »denn dann sind in dieser tropischen Hitze die jetzt ausgebreiteten soweit trocken, dass wir sie abnehmen und in eine Schachtel bringen können, deren Wände aus Kork bestehen, in welchen wir die Nadeln mit leichter Mühe spießen. Ist die Schachtel voll, so befestigen wir ein Stück Kampfer in derselben, setzen den Deckel auf und kleben die Fugen gut zu.«

»Wozu dient der Kampfer?«, fragte Franz.

»Um den Motten und anderen Insekten die Lust zu nehmen, unsre mühevoll präparierten Schmetterlinge zu zerstören. Ohne diese Vorsichtsmaßregeln würden wir nur Staub und Moder nach Hamburg mitbringen.«

»Das wäre ein übler Lohn für unsere Arbeit und ein Resultat unserer Expedition, auf das wir nicht stolz sein dürften«, entgegnete Franz.

»Das Einsammeln der Naturalien ist nicht minder schwer als das Schützen derselben vor Zerstörung«, erwiderte Holm. »Es ist daher dem Forscher mitunter unmöglich, seine kostbare Beute in die Heimat zu transportieren, weil es ihm in der Wildnis an den Mitteln zur Erhaltung derselben gebricht.

Nun wollen wir noch jede Nadel mit einem Stückchen Papier versehen, auf das wir eine Nummer schreiben. Diese Nummer wird in einem kleinen Büchlein ebenfalls notiert und dahinter schreibst du den Fundort des Tieres und sonstige Bemerkungen, Datum des Fanges und Beobachtungen, die wir an dem lebenden Tiere machten.«

Franz versprach die gewissenhafte Ausführung des Auftrages und sagte: »Man soll nicht von uns behaupten, dass wir des Vergnügens wegen reisten, sondern dass wir der Wissenschaft zu nützen suchten, so viel in unseren Kräften stand.«

»Bravo!«, sagte Doktor Bolten. »Diesen Ausspruch will ich mir für unser Tagebuch merken.«

Holm zeigte nun Hans, wie er mit den Pflanzen verfahren müsse, um dieselben in ihrer Form möglichst gut zu erhalten.

Zu diesem Zwecke wurden die Pflanzen auf einen Bogen weichen Löschpapiers sorgfältig ausgebreitet, die Blumenblätter so gelegt, dass die Form der Blüte nicht verzerrt, sondern, soweit dies möglich, in ihrer natürlichen Gestalt erschien.

Sobald ein Blatt, eine Blüte, oder sonst ein Teil der Pflanze in die geeignete Lage gebracht worden war, setzte Holm einen ziemlich schweren Kieselstein auf denselben, damit er in seiner ihm einmal gegebenen Stellung verharrte.

Als dies geschehen, wurde ein zweiter Bogen Löschpapier auf den ersten gelegt, unter gleichzeitiger gewandter Entfernung der Kieselsteine, worauf die derart eingelegte Pflanze unter eine Presse kam, die ganz einfach aus einem Kistendeckel bestand, den einige Steine nicht allzu sehr beschwerten, um die zarten Teile, wie Stängel, Fruchtboden usw. nicht zu zerquetschen.

»Werden die Insekten auch die Pflanzen angreifen?«, fragte Franz.

»Ihnen ist einerlei, was ihnen vor die Fresswerkzeuge kommt«, antwortete Holm. »Die tropischen Insekten, namentlich die Ameisen, schonen nichts, was ihnen nur irgendwie schmackhaft vorkommt.«

»Dann müssen wir auch hier Kampfer anwenden«, meinte Franz.

»In diesem Falle nutzt uns derselbe nichts«, entgegnete Holm, »denn es wird uns schwer werden, ein großes Paket gesammelter und zwischen Papier liegender Pflanzen luftdicht einzuschließen, denn in nicht luftdichten Kasten verdunstet der Kampfer. Wir haben jedoch ein anderes Mittel, das freilich sehr giftig ist, mit dem wir die trockenen Pflanzen einpinseln. Es ist dies in Weingeist aufgelöster Sublimat, eine Verbindung von Chlor und Quecksilber, die fast alles Lebende tötet.«

Sobald die Pflanzen getrocknet wären, wollte Holm das Einpinseln derselben mit dem Gifte selbst vornehmen.

Hans meinte, dass das Einlegen der Pflanzen viel einfacher sei als das Präparieren der Schmetterlinge und dass gar keine Schreibereien damit verknüpft seien.

»Da irrst du dich gewaltig«, rief Holm lachend. »Nein, es wird ebenso wie bei den Tieren der Fundort angemerkt, ferner die Beschaffenheit des Bodens, ob derselbe sandig, felsig, trocken oder sumpfig. Dann, ob die Pflanze im Schatten wächst, oder in der Sonne, ob sie an anderen Gewächsen emporrankt oder gar auf ihnen schmarotzt, wie viele der prachtvollen Orchideen, zu denen auch die Vanille gehört.«

»Ich wollte, ich hätte einen Becher Vanille-Eis«, sagte Franz, »der sollte mir in der Hitze hier schmecken!«

»Und was für Gesichter die Eingebornen wohl machen würden, die nie in ihrem Leben Eis gesehen, noch viel weniger solches gegessen haben«, fiel Hans ein.

»Sie würden glauben, sich den Mund verbrannt zu haben«, erklärte Holm, »denn diese Empfindung würde sich ihnen zunächst aufdrängen. Auch erzeugt sehr große Kälte ebenso wohl Brandblasen auf der menschlichen Haut wie eine hohe Temperatur.«

Dann wandte er sich wieder zu Hans und fuhr fort: »Ferner müssen die Früchte und Samen von den Pflanzen gesammelt und in Papier aufbewahrt und genau bezeichnet werden, teils für den Forscher und teils für den Gärtner, der dann versucht, sie im Gewächshause zum Keimen zu bringen.«

»Ich verstehe schon«, fiel Hans ein. »Wenn der Gärtner nicht erfährt, wo und wie die Pflanze wächst, dann säet er am Ende den Samen einer Sumpfpflanze in trocknen Sand, als stammte er von einem Steppengewächs und steckt den Samen einer Kletterpflanze ins Wasser. Ich will alles genau notieren.«

»Wo aber bleiben der Heerwurm und die anderen Käfer, die noch im Spiritus sitzen?«, fragte Franz.

»Die nehmen wir aus ihrem nassen Grabe und spießen sie ebenso auf wie die Schmetterlinge. Die Größeren derselben wickeln wir in Papier und bezeichnen sie mit Nummern. Nur die Mücken, die Fliegen, die bienenartigen, die Stechfliegen und Schlupfwespen lassen wir im Spiritus, in welchem sie sich am besten halten.«

Material war genügend vorhanden und somit fehlte es nicht an Arbeit. Bald wurden die Gegenstände präpariert, bald gab es Notizen zu machen und zu schreiben, und die Knaben erlangten schon in kurzer Zeit eine große Geschicklichkeit in der Handhabung der einzelnen Gegenstände.

Als aber Holm ihnen sagte, dass noch schwierigere Aufgaben zu bewältigen seien als diese, verloren sie den Mut durchaus nicht, sondern meinten: »Dann wird uns die Sache erst recht interessant.«

Während sie so arbeitend plauderten und über dem oft heiteren Gespräch die Arbeit nicht versäumten, rief Franz plötzlich: »Womit soll ich die Nummern an die Pflanzen kleben? Wir haben das Gummi arabikum vergessen.«

Holm lachte. »Wir werden in die Apotheke schicken!«

Als die Knaben ihn ungläubig ansahen und riefen: »Hier in der Wildnis gibt es keine Apotheke«, sagte er:

»Auf dem nächsten Ausfluge werden wir schon jemand finden, der uns das Gewünschte gibt.«

2. Fischfang mit dem Licht. Flusspferdjagd mit der »Hansa«. Der Uralte der Gewässer. Dr. Bolten in Lebensgefahr. Heuschreckengenüsse und Hippopotamusbraten. Der Nashornvogel. Naturwissenschaftliche Beschäftigungen an Bord.

Nichts vergisst sich schneller als Mühe und Gefahr, nachdem beide glücklich überstanden sind. Kaum waren die mitgebrachten Insekten und Pflanzen in die verschiedenen Sammlungen gehörig eingereiht und Geist und Körper durch etwas Ruhe neu gestärkt, als sich die Knaben auch schon nach weiteren Abenteuern umsahen.

Zehn Tage lang musste das Schiff noch vor dem Hafen von Lagos liegen, um dort seine Ladung Palmöl einzunehmen. Diese ganze kostbare Zeit konnte man unmöglich an Bord verbringen und ebenso wenig in der Umgebung von Lagos, die nur aus Busch und Flachland besteht und außer dem Krokodil kein jagdbares Wild mehr aufweist.

»Wir wollen das Schleppnetz auswerfen«, entschied Holm. »Heute Abend nach Eintritt der Dunkelheit sollt ihr ein nie gesehenes Schauspiel erleben, den Fischfang vermittels einer großen Laterne, die das Meer in einer Tiefe von etwa fünfzehn Metern weit umher erhellt und von allen Seiten die neugierigen Bewohner desselben herbeilockt.

Morgen machen wir dann vielleicht bei günstigem Wetter mit dem kleinen Bugsierdampfer Hansa, der uns des Sonntags wegen von seinen Eigentümern zur Benutzung überlassen werden kann, eine Fahrt stromauf in das Innere hinein. Ich möchte ein paar Flusspferde schießen oder harpunieren.«

»Wenn wir ein Junges fangen und nach Hamburg bringen könnten!«, rief Franz.

»Das wird uns nicht so leicht gelingen«, antwortete Holm, »denn die Flusspferde sind äußerst scheu und dabei im gereizten Zustande sehr gefährlich. Außerdem macht der Transport des lebenden Tieres große Schwierigkeiten.«

»Einerlei«, riefen die Knaben. »Auf dem Dampfer befinden wir uns überdies auch in voller Sicherheit. Ist es gewiss, dass wir ihn benutzen dürfen?«

»Ganz gewiss, ich habe heute Morgen mit dem Kapitän gesprochen. Nun aber lasst uns das Schleppnetz herrichten,«

Die Kiste wurde geöffnet und das aus Hamburg mitgebrachte Netz hervorgeholt. Im bedeutenden Umkreis mehrere eiserne Ketten, die den Mittelpunkt bildeten, einrahmend, war es ein großes, starkes Fischernetz aus Flechtwerk, das flach auf das Wasser gelegt wurde, und von dessen Zentrum die Lampe herabhing, natürlich vom Bord des Schiffes mittels eines starken hölzernen Hebebaumes in ihrer richtigen Stellung erhalten.

Über den betörten, durch eigene Neugier verlockten Fischen musste sich das Netz sehr leicht zusammenziehen und oben an den Ketten befestigen lassen.

Die Lampe selbst war ganz aus Schiffsglas, sehr groß und für vier starke Wachslichter bestimmt; sie hatte am oberen Ende einen wasserdichten Schraubenverschluss, während ihr durch Schläuche Luft zugeführt wurde.

Ohne die Lampe folgt ein solches Schleppnetz dem Laufe des Schiffes und wird von Zeit zu Zeit seiner Gefangenen entledigt, mit derselben kann es natürlich nur gebraucht werden, wenn das Fahrzeug völlig still liegt.

Als bei hellem Mondschein und durchaus ruhigem Wetter die Lichter entzündet waren, sammelte sich die ganze Besatzung auf dem Verdeck, und alles sah gespannten Blickes hinab in die Tiefe.

Müde von der schweren Arbeit des Tages, nachdem die Ölspuren einigermaßen beseitigt und die Rationen verteilt waren, pflegten jetzt diese lebensfrohen, an Leib und Seele gesunden jungen Leute der Ruhe, indem sie ihren Gedanken nachhingen und müßig die kühlere Nachtluft einatmeten.

Einer von ihnen spielte Harmonika, deutsche Weisen klangen über das Wasser hin, und deutsches, gemütliches Beieinander verwischte den Unterschied von Stand und Rang.

Wo Hunderte von Meilen zwischen dem Menschen und seiner Heimat liegen, da schließt er sich fester an die Nächsten, da bildet er in weiter Ferne mit dem Genossen der unsicheren Fahrt nur mehr eine einzige, große Familie.

Weitab schimmerten die Lichter der Stadt, zuweilen klang von anderen Schiffen her Gesang und Rufen, sonst war alles still, alles dunkel – nur da unten regte sich mehr und mehr das geheimnisvolle Leben der Tiefe.

Im Umkreis von zehn Schritten hell beleuchtet, bildete das Wasser den Tummelplatz ungezählter Fische und anderer Geschöpfe. Was nie an der Oberfläche erschien, sich nie dem Menschenauge am hellen Tage preisgab, das schwamm jetzt vorsichtig herbei, um den ungewohnten Anblick des Lichtes aus der Nähe zu genießen.

Rundlich und platt, größer und kleiner, bald zierlich schlank, bald von außerordentlicher Hässlichkeit, so scharte sich's um den kleinen, hellbeleuchteten Glaspalast da unten in der Tiefe.

Zitternde Strahlen umgaben den Mittelpunkt, halbverwischt spiegelten sich Mond und Sterne, und lautlos glitt und krabbelte es in dem beweglichen Element. Zwischen Felsspitzen, deren höchste Ausläufer vielleicht bis zu sechs Metern unter dem Schiffskiel heraufragten, öffnete sich eine Art von Tal, das unzählige lebende Geschöpfe und Organismen bewohnten.

Große Einsiedlerkrebse, die sich im heftigsten Kampfe befanden, kleine mit dem Schneckenhause, in dem sie leben, Ringelwürmer, Wasserspinnen, dazwischen die zierlichen Seesterne, Muscheln und Schnecken ohne Zahl – so bevölkerte es, sich mit tausend Gliedern regend, aufgeschreckt durch die plötzliche ungewohnte Helle, den Grund, während weiter oben in den Strahlen der Lampe die verschiedensten Fische herbeieilten.

»Sieh diesen!«, rief Franz. »Er will das Licht verschlingen!«

Ein lautes Gelächter aller Zuschauer begleitete das komische Gebaren des Fisches. In Kugelform, scheinbar ohne Kopf, hässlich und plump schoss er heran und ebenso schnell wieder zurück, wenn sich die Nase an der Glaswand stieß.

Seine Sprünge im Wasser, sein halb keckes, halb furchtsames Vorgehen erregten immer aufs Neue die Heiterkeit der Versammelten, dennoch aber konnten sie ihre Aufmerksamkeit nicht diesem, dem Kofferfisch allein zuwenden.

Der anderthalb Meter lange und dabei nur daumendicke fliegende Drache mit Fledermausflügeln, der Drachenkopf mit seinem hässlichen Gesicht und hahnenkammartigen Flossen, der Flughahn mit förmlichen Flügeln, der Seeskorpion mit Hörnern auf dem Kopfe, der Seehase mit breitem Maul und großen Kuhaugen, alle drängten sie sich herbei, um zu staunen.

»Wollen wir nicht jetzt das Netz heraufziehen?«, fragte Hans.

»Noch nicht«, wehrte Holm. »Es müssen ein paar Größere mit hinein.«

»Rochen, nicht wahr, Doktor? Ich habe gerade die längste Art hier zahlreich vertreten gefunden.«

»Ah! – Da ist schon einer und zwar ein stattlicher Kerl, ein Hairoche von drei Meter Länge! – Und dort noch einer. Nun gibt es Krieg.«

Von zwei Seiten näherten sich die ungeschlachten Tiere mit scheibenförmigem Körper und kaum erkennbarem Kopfe, an dem sich Mund und Kiemenspalten unten, und Augen und Spritzlöcher oben befinden. Die stachligen Schwänze peitschten das Wasser, die Augen funkelten raublustig; so viel Beute auf einen Schlag, das mochten sie nie erlebt haben.

»Der kleine mit dem kreisrunden Körper ist ein Zitterroche!«, rief Holm. »Nun gebt Acht, was folgen wird!«

Wirklich schossen auch die beiden großen Fische aufeinander zu und begannen sogleich einen erbitterten Kampf. Sich von der Seite her begegnend, versetzten sie einer dem andern die kräftigsten Schwanzschläge, bis endlich der Zitterroche Gelegenheit fand, seinem Gegner einen elektrischen Schlag beizubringen und dadurch den Streit zu entscheiden. Völlig betäubt fiel der Hairoche auf den Grund des Netzes zurück.

Die kleineren Fische hatten unterdessen versucht, nach allen Richtungen zu entfliehen; einigen gelang dies auch, die meisten wurden freilich durch das zur rechten Zeit emporgehobene Netz erfolgreich am Entweichen verhindert, und als endlich mit Hilfe mehrerer Matrosen das ganze schwere Netz an Bord geholt war, da zappelte in den Maschen desselben noch eine hübsche Anzahl von Flossenträgern; der kecke Kofferfisch, der arme Geselle, sogar im Maule des Zitterrochens, halbzerquetscht und ängstlich schwanzschlagend wie sein Besieger selbst.

»Das war ein reicher Fang!«, rief Holm. »Besonders die Rochen sind ihres Fleisches wegen viel wert, ebenso die meisten kleineren Fische um ihrer Seltenheit willen. Wenn wir sie aus der Nähe besehen haben, mögen sie weiterschwimmen.«

Und so geschah es. Verschiedene gewöhnliche Arten wanderten in die Schiffsküche, während man jene ungenießbaren Fremdlinge der Tiefe barmherzig verschonte und nur einige besonders wertvolle Exemplare zum Ausstopfen vorbereitete.

Der Zitterrochen wurde geschlachtet, um morgen den Mittagstisch in der Kajüte auszustatten. Den gänzlich betäubten Hairochen legte man in die große Deckwaschbalje, um zu beobachten, wann das Leben zurückkehren werde, und nachdem nun in dieser Weise der Fang besorgt war, sprach Holm noch über das Fischgeschlecht im Allgemeinen einige belehrende Worte, dass es nämlich nicht weniger als achttausend lebende Arten gibt, dass die meisten davon essbar sind und dass nur wenige giftige Gattungen bekannt sind.

»Wir werden Schleppnetz und Lampe im großen Ozean erst eigentlich zur Verwendung bringen«, schloss er, »und dort jene interessanten Geschöpfe kennen lernen, die zwischen dem Pflanzen- und Tierreich gleichsam einen Übergang bilden, die Quallen in unzähligen Formen die Korallen und Schwämme – das alles hat da seine wahre Heimat. Ebenso habe ich für seichte und vor den Haien geschützte Buchten auch einen Taucherapparat mitgenommen.

Gewiss sind mehrere unter Ihnen, die sich auf die Anwendung desselben verstehen?«, fragte er die Matrosen.

Ein mehrstimmiges »Ich, Herr!«, beantwortete diesen Satz, und der alte Steuermann fügte sogar bei, dass auf den Inseln des Stillen Ozeans jeder Mann ein geborner Taucher sei.

»Ich habe oft gesehen, wie sie sich dem auf dem Grunde der Bucht behaglich liegenden Hai im Fluge nähern und ihn mit einem Stock oder wohl gar mit der ausgestreckten Hand zum Zorn reizen, damit er an die Oberfläche kommen und sich harpunieren lassen möge«, sagte er.

»Essen denn diese Menschen das Raubtier?«, fragten erstaunt die Knaben.

»O, das essen auch wohl noch andere«, meinte der Alte. »Ich habe manchen Hai mit eingefangen und verzehrt, namentlich bei langen Reisen, wo das Trinkwasser faul und das Fleisch knapp wurde. Da nimmt es der hungrige Magen nicht so genau.«

»Aber wenn nun der Hai vielleicht am Tage zuvor einen Menschen gefressen hatte«, rief voll Entsetzen Franz.

»Das mag häufig genug vorgekommen sein, mein Junge. Früher gab es aber auf Schiffen kein Fleisch in luftdichten Blechdosen, wie jetzt, kein eingemachtes Gemüse und keinen Apparat, um das Salzwasser genießbar zu machen – die Naturwissenschaften haben in den letzten fünfzehn Jahren das Los der Seeleute zu einem vollständig anderen, besseren umgeschaffen.«

»Und wir sind Naturforscher!«, rief Hans.

Alles lachte. Der Abend war so schön und die Gemüter so angeregt, dass man an diesem Tage später als sonst die enge, heiße Koje aufsuchte.

Früh morgens brachte ein Boot die beiden Knaben mit Holm und ihrem Erzieher sowie einer Anzahl Matrosen von der Hammonia an Bord des kleinen Bugsierdampfers Hansa, der vor Lagos liegt und die größeren Schiffe über die den Eingang sperrende Barre hinüberschleppt.

Des Sonntags wegen war er von den hamburgischen Reedern, denen er gehörte, den jungen Söhnen ihrer Vaterstadt gern zur Verfügung gestellt worden, und so dampfte man denn nach kurzer Küstenfahrt lustig in den stark bewegten Strom hinein.

Wahre Riesenstämme erhoben sich zur Rechten und Linken. Mangrovengebüsche drängten sich zuweilen bis weit in das Fahrwasser vor, und ein vielgestaltiges Tierleben begann die Ufer zu schmücken.

»Zuerst beseht euch die Mangroven«, ermahnte Holm. »Sie werden nur in den Tropen getroffen und sind immer grün; gerade diese Baumgattung ist es, die an der afrikanischen Küste das Landen so sehr erschwert. Jeder Busch bildet für sich ein kleines Wäldchen.«

»Wie langes Haar hängt es von den Zweigen herab!«, rief Franz.

»Das sind die Wurzelfasern. Jede Einzelne treibt, sobald sie den Schlamm berührt, neue Schösslinge und wächst, selbst noch zum Mutterstamme gehörig, wieder als faserbildender Busch empor, Dadurch entstehen die gefährlichen tropischen Sümpfe, welche, weder Land noch Wasser, pestartige Dünste aushauchen und den wilden Tieren als Aufenthalt dienen. Unter und zwischen den engverbundenen Stämmen bilden sich ganze Moräste sowohl als auch Grasflächen.«

Immer dichter und üppiger wurde das Gewirre. Schlanke Stechpalmen ragten daraus hervor, himmelhohe Farne wiegten sich im Wind, und ungezählte Blumen durchflochten das Ganze.

Auf den Wipfeln der Bäume nisteten zu ganzen Scharen Fischaare und Eisvögel, im Gras unter denselben lagen Wasserböcke, Rohrböcke und Buschböcke.

Andere wilde Tiere zeigten sich nicht, nur einmal ein Leopard, der aber schleunigst das Weite suchte.

Der Strom wurde zuletzt immer schmäler und mündete in einen See, von welchem mehrere Arme in verschiedene Richtungen ausliefen. Einen davon bezeichnete der Kapitän des Dampfers als den Hauptaufenthalt der vielen in dieser Gegend lebenden Flusspferde.

»Sie stecken im Schilf«, sagte er, »und betreten am Tage nur selten das Ufer. Man hört sie wie Ochsen brüllen und sieht sie das Wasser aufblasen, aber ganz nahe kommt man ihnen fast nie.«

Das größte Boot wurde nun ausgesetzt und bemannt, unsere Jäger nahmen Platz und fort ging es in den schmalen Flussarm, mitten in das Herz der grünen Wildnis hinein.

Die Ruderer mussten natürlich oft mit den Rudern gegen das Schilf stoßen, mussten die Mangrovenfasern zurückschlagen oder durch natürliche Laubgänge fahren, sie hielten zuweilen auf Holms Bitte gänzlich an und entdeckten auch selbst an manchen Stellen Neues und Schönes, das erst besehen wurde. Hier ein Dorf oder eine Kolonie der kleinen fleißigen Webervögel, die ihre Nester aus Halmen glockenförmig und enggedrängt nebeneinander unter die Baumzweige hängen, dort Nashornvögel in der ganzen Pracht ihrer Farben und etwas weiter hin Herden gefleckter scheuer Antilopen.

Wohin das Auge traf, begegnete ihm Schönheit, lockte der Zauber des Waldes zum Ausruhen, zum Genießen – nur die gewünschten Flusspferde zeigten sich nicht.

Plötzlich – horch! Unter den Mangroven zur Linken regte sich's. Das Wasser kräuselte, die Zweige rauschten, und einige kleine Vögel flogen erschreckt davon, dann wurde wieder alles still. Die Reisenden sahen einander an. »Was war das?«

»Vorsichtig!«, ermahnte Doktor Bolten. »Jede Art gefährlicher Raubtiere lebt hier herum«

»Aber in das Boot hinein kann keines kommen. Ich will einmal nachsehen, was sich da bewegte!«

Und Franz fuhr mit dem Ruder in die Gebüsche hinein. Ein Pistolenschuss, den Holm abfeuerte, begleitete diese energische Nachforschung, aber der Erfolg war anders, als man es erwartete.

Ein Schrei aus Menschenkehlen durchzitterte die Luft, ein schwarzes Gesicht, bis an den Mund im Schilf verborgen, sah mit dem Ausdruck der Todesangst zu den Weißen hinüber, während gleichzeitig ein Boot mit etwa zehn Negern an dem der Europäer vorbei dass Weite zu gewinnen suchte.

Kaum sahen aber die Schwarzen den in bedeutender Entfernung quer vor den Flussarm liegenden Dampfer, als sie mutlos die Ruder sinken ließen und sich hockend im Kahn zusammendrängten. Die Feuerwaffen schienen ihnen den entsetzlichsten Schreck eingeflößt zu haben.

Erst jetzt entdeckte man, dass der im Schilf stehende Schwarze mittels eines Riemens aus Wurzelfasern am Boot befestigt war. Zwischen seinem Körper und dem Fahrzeug befand sich eine Schnur von etwa sechs Meter Länge.

Die Weißen sahen einander an. Was mochte das zu bedeuten haben?

»Versteht keiner unter Ihnen die Sprache dieser Leute?«, fragte Doktor Bolten die Matrosen.

»Ein paar Worte kann ich schon«, meinte einer, »aber viel ist es nicht. Wir müssen die Mohrenkerle zutraulich machen.«

Er nahm aus dem Vorratskasten eine Branntweinflasche und trank etwas von dem Inhalt derselben, dann reichte er sie den Schwarzen hinüber. »Prosit, ihr Affengesichter! Nun laß dir's wohlschmecken, altes Haus.«

Der Mund des Negers verzog sich von einem Ohr zum anderen. Ein Schnalzen mit der Zunge, ein Schlagen beider Hände auf die Knie bewies nur allzu deutlich, dass er das Feuerwasser der Weißen nicht erst in dieser Stunde kennen lernte. Die Flasche nehmen und sie an die Lippen setzen war eins.

Und nun schien der Bann gebrochen. Die Neger, offenbar auf der untersten menschlichen Bildungsstufe stehend, duldeten es, dass sich das Boot der Weißen seitlängs legte und dass der Matrose, welcher ihre Sprache verstand, einige Fragen stellte, besonders weshalb denn einer unter ihnen neben dem Fahrzeug her schwimmen müsse.

Die Wilden kamen, nachdem sie etwas zutraulicher geworden, hinüber in das andere Fahrzeug, sie betasteten jeden Gegenstand mit alleiniger Ausnahme der Gewehre, denen sie einen heillosen Respekt entgegen zu bringen schienen, sie ließen sich mit Entzücken Knöpfe, Münzen und sonstige Kleinigkeiten schenken, flüchteten aber vor einer Spieluhr, welche Franz heimlich aufzog und ihnen zeigte, bis in den fernsten Winkel ihres eigenen Bootes hinüber.

Erst als sich in ziemlicher Nähe ein lautes, langgezogenes Brüllen hören ließ, griffen sie schleunigst zu ihren Harpunen; der Schwimmende sprang schnellstens in das Wasser zurück, und binnen wenigen Minuten wäre die ganze Gesellschaft verschwunden gewesen, wenn sich nicht unterdessen der Matrose mit dem Häuptling derselben verständigt hätte.

»So ist die Geschichte!«, rief er. »Na, dann spanne sich nur einer von euch schwarzen Teufeln vor unser Boot; wir nehmen's gar nicht übel, bedanken uns vielmehr ganz ergebenst, denn für uns wäre es durchaus kein Vergnügen, im Schlamm zu krabbeln, aber Flusspferde schießen wollten wir doch gern. Allons! Ihr seid waschecht, euch schadet das bisschen Schmutz nichts!«

Während dieser Rede hatte er durch einzelne Worte und durch Bewegungen die Neger dahin verständigt, dass sie auch die Führung des zweiten Bootes übernahmen.

Seinen Reisegenossen dagegen setzte er auseinander, was ihm der Häuptling mitgeteilt. Die Schwarzen waren Flusspferdjäger und ihr Verfahren, um diese Tiere aufzutreiben, ein höchst eigentümliches:

Der Schwimmer an der Leine reizt den im Uferschilf verborgenen oder gar auf dem Grunde liegenden Koloss zum Zorne, sodass er an die Oberfläche kommt und harpuniert werden kann.

Die Jäger im Boote müssen dann aber mit vereinten Kräften den gefährlichen Widerstand des Tieres zu bewältigen suchen, sodass diese Jagd immer eine

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 21.03.2013
ISBN: 978-3-7309-1583-7

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