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Auf dem Kriegspfade
Sophie Wörishöffer
Coverbild: Klara Viskova / Shutterstock.com
Auf dem Kriegspfade
Auf der Prärie hinter der letzten europäischen Ansiedelung am oberen Missouri lagerte eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft von Männern, denen man das Leben in den unermesslichen Wildnissen des Westens auf den ersten Blick ansah. Zum größten Teil waren sie Amerikaner, hatten aber auch einige Deutsche in ihrer Mitte, und etwas abseits an einem Baume lehnte ein Indianer in der malerischen Tracht der Schwarzfüße. Seine Gestalt war hoch und geschmeidig, sein Auge glänzend wie das des Adlers und die Gesichtszüge offen und gewinnend trotz jener Zurückhaltung, jener unnahbaren Würde, die den rothäutigen Sohn Nordamerikas dann erst verlässt, wenn er nicht mehr auf seinem eigenen Pferde über die Prärie dahinstreift, sondern mit der Abhängigkeit von den Weißen auch einen Teil ihrer Laster, die Trunksucht und den Geiz, namentlich aber die Heuchelei sich angewöhnt hat.
Der Gelbe Wolf trug Schild und Köcher, Pfeil, Bogen und Lanze wie alle Indianer dieser Gegenden, sein Pferd weidete einige Schritte weit von ihm im hohen Grase.
„Da wären wir denn sämtlich beisammen, nicht wahr?“, fragte einer der Männer, eine hagere, sehnige Gestalt mit nicht mehr ganz europäischem Kleiderschnitt und von einer so dunklen Hautfarbe, dass man über seine Abstammung im ersten Augenblick zweifelhaft sein konnte. „Travers, Pitt, Duncan, Everett, die beiden Deutschen, der Wolf und ich selbst. Es kann losgehen.“
„Etwas scheint noch zu fehlen“, bemerkte ein anderer. „So eine Art von Pferdeknecht, ein Dienstbote – jemand, den man schicken könnte.“
Der erste Sprecher lachte in sich hinein. „Da draußen“, sagte er, mit der Spitze seiner kurzen Pfeife auf die fernen bläulichen Umrisse der Berge deutend, „da draußen gibt es keine Herren und keine Knechte, Mr Everett, und ich denke, auch niemand, zu dem man einen anderen schicken könnte. Ihr werdet schon auf Euren Gaul selbst aufpassen müssen wie wir alle. Vorwärts, Wolf, die Sonne steht hoch, wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Der Schwarzfuß antwortete nicht, aber er rief mit leisem, lockendem Laut sein schönes Tier, das sogleich zu ihm kam und den Kopf an die Schulter des Gebieters schmiegte. Während alle diese Reiter aufsaßen, näherte sich dem jungen Amerikaner, den der Trapper als Mr Everett angeredet hatte, ein etwa fünfzehnjähriger Junge in ärmlichem Anzuge mit einem guten offenen Gesicht, dessen blaue Augen und krauses braunes Haar den Sohn deutscher Eltern verrieten. „Herr“, sagte er halblaut, „auf ein Wort.“
Der junge Kaufmann wandte den Kopf. „Nun, Bursche“, versetzte er, „was gibt’s?“
„Einen Pferdeknecht, Herr, jemand, den Ihr schicken könnt – ich bitte Euch, nehmt mich mit.“
Der New Yorker lächelte. „Du?“, sagte er, „du, Junge? Natürlich ein Ausreißer, ein Tunichtgut, dem es in der Schule nimmer behagt, he?“
„O nein, Sir“, war die freimütige Antwort, „ein Mensch, der trotz seiner großen Jugend schon darauf bedacht sein muss, möglichst viel Geld zu verdienen, das ist alles. Nehmt mich mit, ich bitte schön.“
Der Amerikaner lachte. „Seht diesen jungen Geizhals“, sagte er, „das Bürschlein muss Geld verdienen, sucht ein Plätzchen, wo es schon vor der Zeit den Spekulanten machen könnte. Wollen wir den Burschen mit hinausnehmen, Old Jonathan?“
Der Trapper hatte sich den Jungen schärfer angesehen. „Komm her“, rief er jetzt, „bist du nicht der Sohn des Deutschen von der kleinen Farm da unten am Fluss? Werner heißt dein Vater oder Ferber, nicht wahr?“
Das hübsche Gesicht des Jungen wurde blass. „Er hieß so, Sir! Mein Vater ist vor acht Tagen begraben. Ich selbst heiße Hugo Werner.“
„Aha“, rief eine andere Stimme, „der ist’s also. Guter Leute Kind, Mr Everett. Der Vater kam vor langen Jahren hierher und gründete in dieser Gegend die erste Niederlassung, kämpfte mit wilden Tieren und wilden Menschen, steckte alle seine Kraft und all sein bisschen Kapital in das Unternehmen. Dann, als er endlich die Früchte dieser ausdauernden Anstrengungen zu genießen hoffte, verkaufte plötzlich die Regierung den ganzen Grund und Boden hier herum einem schlauen Spekulanten, der sich die Sache längst schon berechnet und wohl erwogen hatte; Werner musste, da er nur ein Squatter, aber kein Eigentümer war, seine Farm verlassen, ausgeplündert bis auf den letzten Cent, arm wie Hiob – er legte sich hin und starb, das ist die Geschichte.“
„Ich denke, Mr Everett, wir können den Jungen brauchen“, sagte jetzt der Trapper. „Wird doch zugrunde gerichtet an Leib und Seele, wenn er ohne väterlichen Schutz in die großen Städte kommt und dort für sich selber einstehen soll. Was willst du denn verdienen, Bursche, he?“
Hugo sah, auf. „Zwölf Dollar monatlich, Sir“, antwortete er.
„Du tust es auch für acht, Schelm, nicht wahr?“
„Nein, Sir – keinen Cent weniger als zwölf.“
„Komm näher, Junge!“
Der alte Jonathan legte ihm, als Hugo bescheiden herantrat, die Hand auf den Kopf und sprach im Flüsterton einige Worte, dann, als der Junge errötend bejahte, nickte er zufrieden vor sich hin. „Ich gebe meinen Anteil zu den zwölf Dollar, Gentlemen! Tut ihr’s auch?“
„Ich gewiss!“, rief Mr Everett. „Junge, dafür musst du meine Stiefel schmieren und zuweilen den Spiegel halten, wenn ich ihn brauchen sollte.“
Ein schallendes Gelächter klang durch die Frühlingsluft dahin, selbst über das kupferfarbene Antlitz des Wilden glitt ein Schimmer von Heiterkeit, dann wurde noch mit den übrigen Teilnehmern des Zuges ein wenig gefeilscht und gestritten, aber schließlich einigten sich doch alle Parteien, und Hugo Werner erhielt einen blanken Silberdollar als Draufgeld. In zwei Stunden sollte er mit seinem Felleisen unten am Blockhause sein, wo der Händler wohnte, bei dem man für derartige Unternehmungen den Reisebedarf einkaufte: Stiefel, Wolldecken, Munition, Schiffsbrot, Salz und Kaffee, ebenso Tabak und etwas Branntwein.
Hugo lief, während die Reisegesellschaft zum Fluss hinabritt, quer durch die Feldwege bis an ein kleines, zu einer stattlichen Farm gehörendes Nebengebäude, wo ihm eine schwarzgekleidete Frau mit blassem, traurigem Gesicht entgegenkam. „Wo warst du denn, Hugo?“, sagte sie seufzend. „Wir haben schon nach dir ausgespäht, Lenchen und ich.“
Er zog sie in das Zimmer des Erdgeschosses, wo ein kleines achtjähriges Mädchen mit einer kopflosen Puppe spielte.
Der Junge umfasste den Hals seiner Mutter und küsste zärtlich ihr eingefallenes Gesicht. „Du sollst jetzt nicht mehr weinen, Mama“, sagte er, „es ist für den Augenblick geholfen, obgleich ich natürlich lieber – lieber –“
Er verschluckte mutig seine Tränen. „Es gehen Pelzhändler in das Indianergebiet, Mama, sieben Männer mit wenigstens zwanzig Pferden, die begleite ich und verdiene zwölf Dollar im Monat. Du kannst also Lenchen in Kost und Pflege geben, wie du selbst es wünschtest und kannst als Krankenwärterin für dich sorgen, bis dein Sohn seine Mutter zu ernähren vermag. Sieh her, hier ist ein Dollar, den ich als Handgeld erhielt, nimm ihn und ziehe sogleich von hier fort, damit der schlechte Mann nicht länger sagen darf, er schenke der Witwe dessen, den er mordete, das Gnadenbrot.“
Die alte Frau war vor Schreck auf einen Stuhl gesunken. „Hugo, du willst in die Rocky Mountains gehen? Ich sollte dich allen Gefahren eines solchen Zuges schutzlos überlassen? Nie, mein armes Kind, nie!“
Der Junge schüttelte energisch seine kurzen braunen Locken. „Es muss sein, Mama“, versetzte er.
Der Knabe ergriff das Felleisen, in dem einst sein Vater seine geringe Habe über den Ozean getragen hatte, und legte es jetzt auf seine eigenen jungen Schultern. „Adieu, Mutter“, sagte er energisch und doch mit gewaltsam durchbrechender Wehmut, „adieu, wir sehen uns ja bald wieder. Vor Beginn des Winters bin ich zurück und finde dann deine Adresse bei dem Krämer am Fluss, nicht wahr? Adieu Lenchen, sei recht artig, du sollst auch viele schöne Sachen von mir haben!“
Er riss sich gewaltsam los und eilte davon.
Es war eine stattliche Karawane, die an den Ufern des gelben Missouri über die endlosen Prärien mit Reitern und Packpferden dahinzog. In jenen Tagen kannte man keine Dampfschiffe und Eisenbahnen, der ‚Westen‘ mit seinen unerschlossenen Geheimnissen war erst von wenigen kühnen Reisenden durchstreift worden, es gab noch keine bequemen Transportmittel. Wer die Indianer sehen und mit ihnen handeln oder gegen einen Stamm den Schutz des anderen in Anspruch nehmen wollte, der musste sich zu Pferde den fünfhundert deutsche Meilen lang ausgedehnten Wildnissen der Prärien und Wälder, auf seine und seiner Genossen Körperkraft bauend, ohne Schirmherrn oder irgendwelches Geleit anvertrauen; er suchte also zuerst die Bekanntschaft weißer Trapper, welche ihrerseits mit den Indianerhäuptlingen auf befreundetem Fuße standen und so eine Art von Sicherung gegen die Überfälle anderer Stämme bildeten, nebenbei aber auch die Wildnis in ihren geheimsten Schlupfwinkeln kannten und dadurch imstande waren, den Fremden als Wegweiser zu dienen.
Auch die Gesellschaft der Pelzhändler hatte es so gemacht, und indem sie den alten Jonathan für sich zu gewinnen wusste, gewiss keinen schlechten Führer erhalten. Mit ihm kam der Gelbe Wolf, sein Jagdgenosse und unzertrennlicher Gefährte, an die Grenze der Prärien, um dort die Weißen in Empfang zu nehmen, alle Vorräte waren eingekauft, die Packpferde beladen, und fort ging es in den frühlingsgrünen Wald, in die offene Prärie oder das Tal an den flutenden Missouriquellen, immer neuer Abwechselung, neuen Schönheiten entgegen.
Voran ritten der Trapper und der Häuptling, dessen sonderbarer Kopfputz, die verkleinerten und glattpolierten Büffelhörner, bei jedem Schritt des Pferdes in seinen Gelenken schwankte. Der Indianer sprach nur selten zu seinem Begleiter wenige Worte, zu den anderen überhaupt keine Silbe. „Der Gelbe Wolf hat nachgedacht“, sagte er langsam in tiefen melodischen Tönen, „und der Große Geist hat ihm geantwortet. Es ist nicht gut, den weißen Mann hineinzuführen in das Land der roten Krieger, er wird seine Büffel ausrotten und seine Wigwams vom Boden vertilgen. Mein Bruder weiß, dass da, wo heute die Farmen der Weißen stehen, vor vierzig Jahren noch die Weideplätze der Antilope und des Büffels waren. Ist das recht so?“
Der Trapper schüttelte den Kopf. „Du und ich, wir können es nicht hindern, Wolf. Wir müssen nehmen, was uns der Große Geist schickt. Sollen nur die Krähenindianer ihre Pelze verkaufen und dafür Feuerwaffen erlangen, um unsere jungen Krieger von ferne zu töten wie die Tiere des Waldes? Müssen wir nicht eben so gerüstet sein, Sagamore? Und kannst du Feuerwaffen bekommen, ohne mit den Weißen zu handeln? Die Squaws der Krähenhorde würden Spottlieder singen, würden uns Memmen und Feiglinge nennen!“
Der Gelbe Wolf vollführte eine so ungestüme Bewegung, dass sein Pferd sich plötzlich bäumte. „Auf!“, sagte er mit unterdrückter Stimme, „die Squaws haben das Lager abgebrochen, wir dürfen keine Zeit verlieren. Der Büffel ist seltener geworden um die Wigwams der roten Männer, seine Spuren zeigen nach Westen.“
Die beiden ersten Pferde verfielen in schnellere Gangart, und alle übrigen folgten. Das zerbröckelte malerische Ufer des Missouri mit seinen Hügeln aus Ton und reichlichen Adern von Bergkristall erglänzte im Sonnenlicht.
Eine Herde schlanker, fleckiger Antilopen brach in großen Sprüngen hervor aus den für Menschen und Raubtiere unzugänglichen Klüften des Ufers. Bergschafe mit gewundenen Hörnern folgten ihnen nach, und die ganze Gesellschaft setzte flüchtig wie der Wind über zackige Abhänge und ebene weite Flächen dahin, den Augen der Jäger entschwindend, noch ehe sie das hübsche Bild ganz erfasst hatten.
„Solch ein schöner Braten“, knurrte Mr Duncan, der nicht zum ersten Male das Indianergebiet bereiste, „aber man kann sie eben nur mit List einfangen, diese Antilopen, nicht wahr, Old Fellow? Das Schießen in die Herde hinein nützt nichts.“
Jonathan nickte. „Ich wette, Mr Everett hat irgendeine buntfarbige Krawatte oder mindestens einige indische Taschentücher bei sich“, sagte er scherzend, „dergleichen bindet man an einen Stock und legt sich in den Hinterhalt, die neugierige Antilope kommt dann sogleich herbei, um es aus der Nähe zu besehen, und man braucht nur noch zu bestimmen, ob das Fleisch als Braten oder in der Suppe verzehrt werden soll.“
„Aber hier herum müssen wir unser Lager aufschlagen“, setzte er hinzu. „Es gibt heute keinen Mondschein, und wir würden möglicherweise in ein Revier der Präriehunde hineingeraten.“
Der Gelbe Wolf deutete auf ein vielzackiges Geschiebe von Klüften und Ausläufern, das in einiger Entfernung aus dem schlangenartig gewundenen Ufer hervorsprang. „Dort!“, versetzte er. „Die Wolken haben dunkle Ränder, es gibt Regen.“
Die Pelzjäger sahen hinüber. „Aber wohnt nicht Kaleb (der graue Bär) in diesen Höhlen?“, fragte Pitt. „Ich denke doch!“
„Well! Und haben wir nicht sechs gute Kugelbüchsen, die Pfeile des Gelben Wolfes ungerechnet? Kaleb soll kommen, wenn er Lust hat.“
Der Bär ließ auch nicht lange auf sich warten. Die Pelzjäger hatten noch keine Stunde an einer geschützten Stelle des Ufers gerastet, da zeigte der Indianer zum Ruheplatz der Pferde hin, die plötzlich unruhig wurden und zu schnaufen begannen. Etwas vor ihnen saß auf dem Grase ein riesiger grauer Bär, das gefährlichste Raubtier dieser Gegenden; er schien den Augenblick zum Angriff sorgfältig erwarten und im Fluge erhaschen zu wollen, aus dem offenen Rachen floss der Geifer, die Augen glänzten tückisch.
„Old Jonathan“, rief der unverwüstliche Everett, „ist das Monsieur oder Madame von der Familie Kaleb? Wahrhaftig, ich sehe im Geiste die appetitlichen Scheiben schon braten.“
Der Trapper wendete von dem wütenden Bären keinen Blick, auch der Indianer kroch Zoll um Zoll, immer den Pfeil auf der Sehne haltend, näher zu seinem alten Waffengefährten hinüber; die beiden Männer fixierten unausgesetzt das Auge des Raubtiers, sie bewachten auch die leiseste Bewegung, während hinter ihnen die Kugelbüchsen sämtlicher Jäger im Anschlag lagen. Nur Everett konnte es nicht über sich gewinnen, der Klugheit Gehör zu geben.
„Ich schieße!“, rief er. „Wir können gar nicht fehlen!“
„Lasst das“, warnte Pitt. „Menschen und Pferde wären in größter Gefahr. Dies ist der männliche Bär, jedenfalls aber liegt das Weibchen mit ihren Jungen in irgendeiner Höhle ganz nahe bei. Schießt um des Himmels willen nicht!“
Aber die Warnung kam zu spät. Everetts Kugel zischte durch die Luft und der getroffene Bär sprang fußhoch über den Boden empor. Aus einer Wunde in der Schulter floss das Blut, die gewaltigen Pranken schlugen nach allen Seiten, dass Gras und Erde in großen Klumpen umhergeschleudert wurden, die Pferde flüchteten, und das Feuer erlosch mehr als halb. Mit einem einzigen Satze näherte sich, vor Wut und Schmerz brüllend das Untier seinen Angreifern.
Ein Hagel von Kugeln empfing es, sein schönes graues Fell wurde durchlöchert, sein Fleisch in Stücke zerrissen, aber noch war keineswegs die riesige Kraft gebrochen, noch taumelte es nur, ohne zu stürzen oder gar zu sinken.
„Zurück! Zurück!“, rief der Trapper. „In die innere Höhle, oder wir sind alle verloren.“
Ein Pfeil vom Bogen des Häuptlings traf das Tier ins Auge und blieb schwankend im Kopfe stecken – halb geblendet übersprang es die Reste des Feuers.
Everett allein erwartete festen Fußes sein Kommen, die Übrigen hatten sich hinter den Schutzwall der Felsenmauern begeben und schossen von dort aus dem Dunkel hervor, so schnell sie ihre Büchsen wieder zu laden vermochten. Jeder gab den tollkühnen New Yorker verloren.
Dieser behielt indessen seine vollste Kaltblütigkeit. Auf einem etwas erhöhten Punkte stehend, ließ er den Bären nahe genug herankommen, um mit Sicherheit zielen zu können, dann flog die Kugel aus nächster Nähe in den Rachen der Bestie und machte ihr dadurch auf einen Schlag den Garaus. Zuckend wälzte sie sich am Boden, um in der folgenden Minute zu verenden.
„Hurra!“, rief Everett, „Mrs Kaleb, Sie sind Witwe!“
Der Indianer trat aus der Höhle hervor, sein ernstes Gesicht war von einem Schimmer des Lächelns erhellt.
„Mein weißer Bruder ist ein Tapferer“, sagte er wohlgefällig, „er wäre würdig, die Adlerfeder zu tragen.“
Auch der Trapper nickte zufrieden. „Es ist um den Mut eine schöne Sache“, sagte er, „aber man soll nichts übertreiben. Mr Everett hat mit dem, was er tat, das Leben von acht Menschen aufs Spiel gesetzt. Kommt dergleichen nochmals vor, dann würden wir uns genötigt sehen, Mr Everett in der Wildnis allein zu lassen und uns von ihm zu trennen. Es ist gegen alle Regeln der Jagd, den grauen Bären anzugreifen.“
„Aber doch nicht, sich sein Fleisch schmecken zu lassen, he? Kommt her, alter Knabe, und weidet kunstgerecht den Fang aus. Das delikate Roastbeef werde ich selbst zubereiten.“
Er holte unbekümmert um die sehr verständlichen Ermahnungen, die ihm auch von den übrigen Reisegefährten zuteil wurden, eine Blechpfanne und einige Büchsen mit Gewürz hervor.
Bis zur ersten Hälfte der Nacht mussten Jonathan und Hugo den Schlaf ihrer Genossen behüten. Sie hüllten sich, so gut es ging, in die Wolldecken und legten die geladenen Büchsen neben sich.
Obgleich Jonathan eine Kugelbüchse und ein Jagdmesser trug, obgleich die Putzgegenstände der Wilden und namentlich der bei keinem Indianer fehlende Medizinbeutel an seiner Person nicht zu entdecken waren, so hatte er doch aus der Haut des schwarzen Hirsches seinen ganzen Anzug selbst gefertigt und auch die Gewohnheiten des roten Volkes alle so ziemlich angenommen. Mit der selbstgefertigten Pfeife aus Speckstein zwischen den Zähnen sah er vorsichtig auf die Prärie hinaus und kehrte dann, als ihm nichts Verdächtiges begegnete, zu seinem jungen Gefährten zurück.
„Du bist ein guter Junge“, sagte er, „nicht wahr, es ist doch für deine Mutter, dass du dich so den Gefahren der Prärie aussetzt? Erzähle mir einmal deine Geschichte, mein Sohn – vielleicht kann ich dir früher oder später nützlich werden.“
Der Junge sagte ihm alles, froh, sich gegen jemand aussprechen zu können, und erklärte zum Schluss, dass auch er Trapper werden wolle, wenn ihm diese Beschäftigung früher als irgendeine andere erlauben würde, seiner verwitweten Mutter die Sorgen zu erleichtern. Aber der alte Jonathan schüttelte dazu den Kopf. „Ein Leben ohne Heimat, ohne Familie“, sagte er mit einem halben Seufzer, „ein verlorenes Leben, mein Junge. Wir Weißen lernen doch niemals ganz wie die Rothäute fühlen, der Wandertrieb steckt nicht so in Fleisch und Blut, selbst bis in das Herz der Wildnis hinein verfolgen uns jene Stimmen, die von etwas Besserem als Jagd und Pelzhandel reden – du musst Landwirt werden, wie es dein Vater war.“
„Aber Ihr seid doch auch ein Weißer – und ein Trapper!“, wagte Hugo zu sagen.
„Freilich – nur hat mich mein Geschick in diese Verhältnisse gewaltsam hineingeworfen, ich konnte nicht anders, denn meine Wiege stand in einem indianischen Wigwam oder, besser, hing auf dem Rücken einer barmherzigen indianischen Squaw. Du sollst hören, wie es mir erging, Junge, damit du siehst, dass auch andere Leute ihre Bürden zu tragen hatten!
Vor fünfundfünfzig Jahren stand da, wo heute die Straßen einer Stadt sich dehnen meines Vaters Blockhütte, ich selbst lag neugeboren, kaum einige Tage zählend, in der Wiege, als in einer Nacht die Krähenindianer kamen und alles mordeten, was auf der Farm lebte, alles stahlen, was sie brauchen konnten, selbst mich, da sie annahmen, dass ihnen ein weißes Kind Glück bringen würde! Der Häuptling hat mich in seine Büffelhaut gehüllt und in die Hütte seiner Squaw gebracht, wo ich eine Zeit lang blieb, bis mein Schicksal abermals eine unerwartete Wendung nahm. Die Schwarzfüße, mit den Krähen im beständigen Kriege, schickten, während sich die Männer des Stammes im Felde befanden, heimlich Kundschafter, die das kleine Kind des Krähenhäuptlings stehlen sollten, um es nachher gegen ein hohes Lösegeld von Pferden und Pelzen wieder zurückzugeben. Die Abgesandten wussten nichts von dem weißen Knaben, der ahnungslos in seiner Wiege schlief; im Dunkel der Nacht ergriffen sie ihn und brachten ihn den Schwarzfüßen, fest überzeugt, das Fürstenkind geraubt zu haben. Taubenauge, die Großmutter des Gelben Wolfes, legte mich mit ihren eigenen Kleinen an die ernährende Brust, ich zog mit dem Stamme viele Jahre lang durch die Prärien hinter den Spuren des Büffels nach Westen, ich war in allen meinen Gewohnheiten, meinen Anschauungen der Sohn des roten Volkes geworden, ehe ich überhaupt wusste, dass es auf Erden weiße und farbige Menschen gibt. Erst später, nachdem um mein Kinn der Flaum zu sprossen begann, erfuhr ich das, was ich dir jetzt erzähle, mehr aber auch nicht, denn die Familie, bei der ich lebte, wusste selbst nichts anderes als nur dies. Die Krähen hatten mich als neugeborenes Kind gestohlen, ich war der Sohn weißer Eltern, und alle die meinigen mussten in jener Mordnacht ihr Leben den räuberischen Indianern lassen, das berichteten später einmal einige Gefangene der Krähen – wer jedoch mein Vater gewesen, wie er hieß und aus welchem Lande er stammte, das wusste niemand. Zwanzig Jahre an der Grenze der Wildnis mit ihren steten großen Umwälzungen sind mehr als ein Jahrhundert in geordneten bürgerlichen Verhältnissen.“
Hugo hatte mit großer Teilnahme die Erzählung des alten Trappers angehört. „Und seitdem habt Ihr Euch taufen lassen, Mr Jonathan“, fragte er, „lebt nicht mehr bei den Indianern?“
Der Alte schüttelte den Kopf. „Ich bin kein Christ in dem Sinne, wie du es meinst, Kind, ich könnte auch mein Herz von den Rothäuten und ihren Sitten niemals ganz losmachen, aber meinen indianischen Namen änderte ich so allgemach um in ‚Jonathan‘, und gegen die Weißen habe ich mein Leben nicht kämpfen mögen. Du siehst, an meinem Gürtel hängt keine Skalplocke – ich konnte mit den Bleichgesichtern niemals streiten, da sie ja meine Familie sind. Jeder junge Krieger kann meines Bruders Sohn, jeder alte am Beratungsfeuer ein Blutsverwandter sein – der Gedanke hält den Pfeil im Köcher, den Tomahawk im Gürtel zurück.“
„Ihr lebt also noch in den Indianerdörfern, Mr Jonathan?“, fragte blitzenden Auges der Junge. „O wie gern möchte ich ein solches sehen.“
Der Trapper lächelte. „Morgen Abend rasten wir im Lager der Schwarzfüße, mein Sohn. Der Stamm verlässt seinen bisherigen Wohnort und zieht gegen Westen, der Spur des Büffels nach.“
„Schau!“, unterbrach er sich plötzlich, „da sind Antilopen.“
Die schlanken Tiere kamen in der tiefen Stille der Nacht ganz nahe heran zum Feuer und drängten sich staunend bis in den hellbeleuchteten Umkreis. Hugo sah die schönen Köpfe mit ihren oft beschriebenen Wunderaugen, die anmutigen Bewegungen aus nächster Nähe.
„Jetzt pass auf“, raunte der Trapper. „Sie verschwinden wie in den Boden hinein.“
Er klatschte in die Hände, und gleich einem Schwarm aufgescheuchter Tauben flohen die scheuen Tiere nach allen Richtungen; nur Sekunden währte es, dann war der Platz leer.
In der inneren Höhle regte sich’s, der Gelbe Wolf sah hinaus auf die Prärie. ,.Hugh!“, stieß er leise, kaum hörbar, hervor.
Der Trapper wandte den Kopf. „Nichts, Sagamore!“, flüsterte er lächelnd.
Und dann legte er Hugos Decke näher zum Feuer. „Schlaf, Kind, ich kann mit meinen alten Augen für uns alle wachen. Die Krähenindianer kommen nicht in diese Gegenden, es naht keine Gefahr irgendeiner Art. Schlaf und stärke dich für morgen.“
Am folgenden Morgen saß die ganze Reisegesellschaft mit Sonnenaufgang im Sattel. Das Bärenfleisch wurde mitgenommen, ebenso das zottige Fell des alten Kaleb; die Sonne schien warm herab auf tausend Knospen und treibende keimende Blätter, auch Hugo fühlte sich heute schon viel freier als gestern, und Mr Everetts Laune war geradezu unübertrefflich. „Die Wildnis lässt sich ganz gut an“, sagte er, „ich erwachte in dieser Nacht nur zwölf Mal und habe kaum ein halbes Schock Käfer und Eidechsen in meinen Kleidern gefunden. Wann werden wir Büffel schießen, Old Jonathan?“
„Wenn uns welche begegnen“, war die trockene Antwort. „Vorerst müssen wir jetzt absteigen und die Pferde am Zügel führen. Es kommt ein Hundedorf.“
Der Gelbe Wolf stand schon auf dem Fußboden und zog sorgfältig spähend sein Tier hinter sich her, alle Übrigen folgten diesem Beispiel, und nun zeigte sich auch die Kolonie jener kleinen Vierfüßler, die in den nordamerikanischen Prärien zu Hunderttausenden leben. In je zwanzig bis dreißig Fuß Entfernung hoben sich vom Grau der Erde kleine Hügel, deren jeder oben auf seiner höchsten Höhe einen Eingang für die bewohnende Familie erkennen ließ. Regelmäßige Straßen hatte indes dieses seltsame Dorf nicht, sodass die Reisenden ihre Pferde hindurchziehen mussten. Wäre eines der Tiere mit dem Huf in eine derartige Vertiefung geraten, so hätte es unfehlbar die Beine gebrochen.
„Wisch-ton-Wisch schläft noch“, sagte der Gelbe Wolf.
„Seine Frau Base wird ihn schon wecken!“, lachte Mr Duncan. „Ich habe diese vermaledeiten Dörfer häufig genug passiert, um die seltsamen Neigungen des Präriehundes zu kennen. Seht ihr da an jedem Eingang eine kleine Eule sitzen, meine Herren? Das ist die Schildwache der Familie, zu der auch große gehörnte Eidechsen und Landschildkröten gehören. Aha, da erscheint der Hausherr.“
Aus allen Erdlöchern erhoben sich die Köpfe des amerikanischen Hamsters, eines kleinen hundeähnlichen Tieres, das braun mit weißem Bauche die Größe eines Eichhorns erreicht und das jetzt schweifwedelnd, äußerst wohlgenährt, in aller Gemütlichkeit vor seiner Haustür saß und jenen Laut hervorstieß, der mit der Hundestimme verwandt ist, aber trotzdem entschieden wie „Tschirp! Tschirp!“ klingt. Dieses Gebell verbreitete sich von Hütte zu Hütte; wohin das Auge sah, wimmelte es von den kleinen zutraulichen Tieren, von denen keins die geringste Furcht zu empfinden schien. Aus dem Verein dieser Tausende heller und lustiger Stimmen wurde ein Konzert, das selbst die stärksten Nerven erschüttern musste.
„Hilf Himmel“, rief Mr Everett, „sollten wir denn nicht wenigstens als Belohnung für diese Folter einige Höhlen aufgraben und die Schildkröten herausnehmen?“
„Das ist des Fleisches wegen zu gefährlich, Sir, es wohnen oft bei den Präriehunden und Eulen auch Klapperschlangen.“
„O weh – dann verzichte ich. Das kalte Gewürm ist mir verhasst.“
Und langsam ging es weiter durch die zwischen den unregelmäßig verstreuten Hügeln sich hinziehenden Gassen der Hundestadt, immer begleitet von dem tausendstimmigen „Tschirp! Tschirp!“ des lustigen Völkchens. Plötzlich bäumte eins der Packpferde hoch auf, es schlug wild mit den Hufen und schnob. Mr Everett, der es hielt, hatte genug zu tun, um nicht von dem erschreckten Tier zu Boden gerissen zu werden.
Der Indianer und der Trapper standen, als sie diesen Laut hörten, wie auf Verabredung plötzlich still.
„Die Schlange!“, murmelte der Gelbe Wolf. „Die Schlange!“
Er bückte sich und glitt unter und zwischen den Pferden dahin bis an das Tier des jungen New Yorkers; es zitterte immer noch am ganzen Körper, seine Mähnen waren gesträubt, seine Augen mit Blut unterlaufen. Mr Everett suchte vergeblich, es zu beruhigen. „Häuptling“, rief er, „was hat nur der Coriolan plötzlich?“
Eine schnelle Bewegung des Indianers antwortete ihm, blitzschnell, aber trotzdem um Sekunden zu spät. Ein Schrei brach aus der Kehle des Pferdes hervor, es taumelte, wand sich und fiel in Zuckungen zu Boden, während durch die Reihen aller seiner Genossen das Stampfen und Sichsträuben fortlief, während die Präriehunde bellten und der Trapper seinem Genossen in der Sprache der Schwarzfüße einige Worte zurief.
Gleich darauf befand er sich neben dem gefallenen Tier, von dessen rechtem Hinterfuß der Indianer soeben mittels seines Messers den Körper einer Klapperschlange in Stücken lostrennte und dann die hornige Schwanzspitze, eben die Klapper, sorgfältig in die Weidtasche schob. Ein einziger Blick reichte hin, um dem erfahrenen Jäger die Lage der Dinge zu zeigen.
„Euer Pferd hat unglücklicherweise auf eine im Gras versteckt liegende Schlange getreten, Mr Everett“, sagte er, „es ist unrettbar verloren und muss daher sogleich getötet werden. Steigt ab, Herr – was beschließt Ihr über das Gepäck, welches der Coriolan trug?“
Der New Yorker schien zum ersten Mal betroffen. „Aber ist denn das alles gewiss?“, fragte er unentschlossen, „sollte der Häuptling kein Gegengift kennen?“
„Steigt ab, Herr“, wiederholte energisch der Trapper, „ich sage Euch, es geht nicht anders. Wenn man auch zuweilen das Schlangengift durch Saugen und Brennen entfernen kann, so doch gewiss nicht bei einem Pferde und nicht in solcher Lage wie die gegenwärtige. Jeden Augenblick steckt eine andere Klapper den Kopf hervor – alle diese Erdlöcher sind von ihr bewohnt.“
Mr Everett sprang aus dem Sattel, seine Reitgerte traf ungestüm den nächsten kleinen Präriehund, der sich schleunigst mit einem Wehegeheul in seine unterirdische Klause zurückzog, dann fuhr er unschlüssig mit der Hand durch das Haar. „Ich kann von diesen Sachen durchaus nichts entbehren“, sagte er verdrossen. „Taschentücher, Hemden, Westen und Handschuhe, mein Pelz, mein –“
„Schweigt jetzt, Herr und helft uns. Die Hundestadt zieht sich in einer Ausdehnung von drei Stunden dahin – wir haben wirklich keine Zeit zu verlieren.“
Mehrere Männer hatten ziemlich rücksichtslos das Gepäck vom Rücken des sterbenden Tieres abgeschnitten und zogen jetzt den Körper aus den Reihen der Übrigen hervor. Eine Kugel von der Hand des Trappers machte seinen Qualen ein Ende; Jonathan nahm das Geschirr und näherte sich dem verzweifelten Stutzer. „Lasst den Kram liegen, Sir“, sagte er verächtlich, „für den Wald passt doch das feine Gewebe nicht. Wenn Eure Kleider reißen, so werden euch die Squaws der Schwarzfüße neue anfertigen.“
„Hugh!“, rief der Indianer, nachdem die Pelzjäger das Dorf der Präriehunde hinter sich hatten, „ich höre das Stampfen der Pferde.“
„Hugo!“, rief Jonathan dem Jungen zu, „jetzt pass auf, wir kommen in das Lager der Schwarzfüße, oder besser, wir sehen sie umziehen.“
Der Junge hob sich im Sattel und sah vor Verlangen bebend in die angedeutete Richtung hinaus. Wie viel war ihm nicht auf der Farm von den gefürchteten Wilden erzählt worden, wie lange und wie sehnlich hatte er nicht gewünscht, einmal von Angesicht zu Angesicht die Rothäute kennenzulernen, mit denen sein verstorbener Vater vor Jahren so harte und blutige Kämpfe bestanden! Jetzt nahten sie, das Bellen ihrer zahllosen Hunde klang schon herüber, und bald zeigten sich auch in den Gebüschen zur rechten und linken Seite des Weges die funkelnden Augen versteckter Krieger, später sogar ganze Scharen. Aber weder der Häuptling noch der Trapper nahmen von ihnen die mindeste Notiz. Es wäre nach ihren Begriffen höchst unpassend gewesen, sich auf offener Heerstraße zu begrüßen.
Und jetzt zog es über die grüne sonnenglänzende Prärie heran mit mehr als tausend Pferden und wenigstens ebenso vielen Hunden. Zu beiden Seiten eines malerischen, aus Frauen und Kindern bestehenden kleinen Heeres schwärmten auf flinken, vortrefflich dressierten Pferden etwa sechshundert Indianer, alle mit Büchsen oder Pfeilen und Bogen bewaffnet, alle in Hirschleder gekleidet und mit der größeren oder geringeren Anzahl von Skalplocken an der überreich verzierten Kleidung. Sie bildeten die Schutzwache der Frauen und Kinder, die sämtlich zu Fuß gingen, nur begleitet von jenen Hundescharen, die hier auf das Sinnreichste zum Nutzen der Haushaltung verwendet wurden.
Jede Squaw mit ihrem faltigen Rock aus Hirsch- oder Antilopenfell, ihren Perlen und Schnüren, ihren sonderbaren Gesichtsmalereien, jede einzelne Squaw führte am Zügel ein Pferd, auf dessen Rücken die Zeltstangen, durch Querhölzer verbunden, das Gerät der Hütte und ihre Fellbedachung trugen. Oben auf diesem schwankenden Bau saßen die Alten und Schwachen sowie diejenigen Kinder, die zum Gehen noch zu klein waren, sodass bei einzelnen besonders zahlreichen Familien das Pferd drei bis vier Personen neben der ganzen beweglichen Habe seines Eigentümers zu tragen hatte. Neben dem Pferde gingen die größeren Hunde, ebenso eingeschirrt und beladen, während ihre weniger kräftigen Genossen bellend und tobend den ganzen Zug umsprangen.
Die Weißen mit ihren Begleitern hielten auf dem Wege, den der indianische Stamm verfolgen musste, aber vergebens erwartete Hugo, dass das braune Völkchen irgendein Erkennungszeichen oder die Freude des Wiedersehens an den Tag legen werde, vergebens spähte er aus nach den Begrüßungen zärtlicher Verwandtenliebe, ja nur der Überraschung.
„Ein seltsamer Empfang“, sagte kopfschüttelnd Mr Everest. „Selbst nicht einmal der Häuptling wird in der Person unseres vortrefflichen Führers begrüßt.“
Duncan lächelte. „Zuerst muss die Pfeife angezündet und das Lagerfeuer in Brand gesetzt sein“, sagte er. „Die Wilden verraten ihr Gefühl erst nach diesen beiden unerlässlichen Zeremonien.“
Jetzt hielten die vordersten Reiter, leise murmelnd plätscherten blaue Fluten gegen das Ufer, überall dehnten sich weite Futterplätze, auf denen man die wie Hunde dressierten Pferde nach Belieben herumlaufen ließ. Während sich die Männer in den Schatten der jungen Blätter lagerten, begannen die Frauen das Zeltdorf herzurichten. Selbst nicht einmal von Seiten der größeren Knaben wurde ihnen hierbei die mindeste Hilfe geleistet, sie mussten sowohl die schweren Zeltstangen allein aufrichten als auch die Steine zum Feuerherd suchen und herbeischleppen, trotzdem aber war in weniger als einer Stunde alles dieses getan, und von über hundert Feuerstätten drang lustig der Rauch zum Himmel empor. In den Zeltgassen tummelten sich die Kinder mit ihren zahllosen Hunden, vor den niedrigen, zum Kriechen eingerichteten Türen waren Frauen und Mädchen beschäftigt, zum ‚Sakkatusch‘, dem beliebten Gemüse der Rothäute, die Bohnen und Maiskörner zwischen großen Steinen zu zerquetschen, andere holten in Kürbisflaschen aus dem See das klare Wasser herbei, und wer alles dieses besorgt hatte, der richtete in flachen hölzernen Schüsseln das Abendessen her.
In der Mitte des freien Platzes standen abgesondert von den übrigen zwei Zelte, deren eines, das Beratungszelt, den Männern zum Versammlungsort diente, während das andere, die Medizinhütte, gewissermaßen das Allerheiligste war, den Frauen strengstens verschlossen und auch nur zu bestimmten seltenen Stunden den Häuptlingen geöffnet, der Wohnort des Medizinmannes oder Zauberers. Hier lagen unter Haufen von Häuten versteckt die seltsamen Schmuckgegenstände des Medizinmannes, seine Tierköpfe, Felle, Federn und Krallen, seine getrockneten Insekten und ausgestopften Vögel oder Reptilien, kurz, alle solche Erscheinungen des Tierlebens, die selten gefunden werden, und allein aus diesem Grunde ‚Medizin‘ oder Geheimnis, etwas Wunderbares sind. Nur derartige Dinge verwendet der Zauberer für seinen Anzug – hätte er Federn oder Bälge ganz gewöhnlicher Tiere, so würde kein Mensch an eine höhere Bedeutung glauben.
Allmählich wanderten von allen Seiten die Krieger mit ihren langen Pfeifen zur Versammlungshütte, auch unsere Reisenden fanden sich ein, und nachdem noch eine Zeit lang geraucht und geschwiegen worden war, ergriff ein alter Häuptling das Wort, um den Gelben Wolf inmitten seiner Krieger willkommen zu heißen und zugleich den Fremden die Gastfreundschaft des Stammes anzubieten.
„Wi-ju-jon will unseren Freunden, den Blassgesichtern, seine Felle verkaufen?“, fragte er. „Die Verstecke, in denen er sie vor den Blicken der räuberischen Krähen und Assiniboins verbirgt, liegen an den oberen Wasserfällen des Missouri?“
„So ist es, mein Bruder“, versetzte der Trapper. „Hat der ‚Büffeltöter‘ gegen diesen Plan etwas einzuwenden?“
Der Häuptling schwieg eine Zeit lang. „Wi-ju-jon ist ein weiser Mann und hoch geachtet von dem Volke der Schwarzfüße“, sagte er dann, „er möge hören und urteilen. Meine jungen Krieger haben in der Umgebung der Missourifälle die Spuren des Krähenstammes gefunden – mit den roten Männern waren zwei Weiße, ein Mann und ein Knabe.“
„Hugh!“, rief plötzlich der Gelbe Wolf. „Wi-ju-jon hört!“
Der Trapper hob den Kopf. „Weiße?“, wiederholte er überrascht. „Hat der Büffeltöter von seinen jungen Leuten erfahren, wer diese waren?“
Der Häuptling verneinte. „Meine Krieger haben das Blassgesicht vorher niemals gesehen“, versetzte er. „Wi-ju-jon muss wissen, was ihm zu tun obliegt.“
Jetzt mischten sich mehrere der Pelzhändler zugleich in das Gespräch. „Hat Euer Stamm mit den Krähen im Augenblick Krieg, Old Jonathan?“
„Aber Mann, wenn die Felle gestohlen wären!“
„Wenn wir erst – ja, ich meine, wenn es da erst zu Scharmützeln käme!“
„Old Jonathan, ich ziehe mit Euch!“, ließ sich Mr Everett vernehmen. „Je toller, desto besser. Meiner Mutter Sohn fürchtet sich vor nichts als vor der Langeweile!“
„Wi-ju-jon!“, ermahnte der Gelbe Wolf.
Ein Blick aus den freundlichen Augen des Trappers dankte ihm. „Die weißen Männer mögen selbst entscheiden“, sagte er dann, „wollen sie mich mit ihren Packpferden nicht bis zu den Missourifällen begleiten, so ist es mir auch unmöglich, ihnen meine Felle zu verkaufen. Auf Streit mit den Indianern muss jeder gefasst sein, der sich überhaupt in ihr Gebiet begibt.“
„Abgemacht!“, rief Mr Duncan, der Erfahrenste unter den Versammelten, „wir wollen die Sache wagen, selbst auf die Gefahr eines Scharmützels hin. Habe schon mehr als eins überstanden, bin nicht der Mann, auf halbem Wege wieder umzukehren.“
Früh am nächsten Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen den Rand des Horizonts färbten, saß die ganze Reisegesellschaft, jetzt um etwa sechzig braune Krieger verstärkt, im Sattel, und während die indianischen Frauen das Zeltlager abbrachen, verschwanden die letzten des Zuges hinter den Gebüschen am See.
Vor ihnen lag das wilde weite Indianergebiet, das felsige Land voller Hindernisse und Gefahren, hinter ihnen, unerreichbar, meilenfern, der Schutz der Zivilisation. Was würden die nächsten Wochen, ja vielleicht schon die nächsten Stunden bringen?
„Ungeheuer romantisch!“, rief Mr Everett. „Hurra, der Westen soll leben!“
Tage und Nächte vergingen während eines angestrengten Rittes über die Prärie und durch den schweigenden frühlingsgrünen Wald. Je weiter die Reisenden vordrangen, desto mehr häuften sich für die Augen der erfahrenen Indianer alle jenen kleinen, kaum erkennbaren Zeichen, aus denen die kürzliche Anwesenheit mehrerer Personen klar hervorging. Hier war ein Hirsch erlegt worden, dort hatten Pferde einen seichten Fluss passiert, und einmal fand sich sogar die Spur eines Nachtquartiers.
Der Indianer bückte sich tiefer herab und betrachtete die Asche in der Mitte des Lagerplatzes, vorsichtig hoben die braunen Finger eine starke Schicht lehmiger Erde empor, und nun kräuselte sich leichter blauer Rauch aus den Fugen herauf. „Die Krähen waren in dieser Nacht hier!“, rief er. „Sie haben nur einen Vorsprung von etwa acht Stunden.“
„Ihnen nach!“, rief Mr Everett. „Ihnen nach, Leute. Die Bekanntschaft ist ein unbezahlbarer Spaß – wir müssen jedenfalls diese Burschen einholen.“
Die Pelzhändler wechselten unruhige Blicke, auch der Trapper war ernster als sonst. „Es ist kein Zweifel“, sagte er, „die Krähen haben an der Grenze einen Aufkäufer in Empfang genommen und führen diesen in das Gebirge, um ihm Felle und Häute anzubieten – es fragt sich nur, ob darunter ihre eigenen zu verstehen sind oder meine.“
Die Pelzhändler flüsterten miteinander. „Wüsste man nur, wer der Weiße ist!“, seufzte Mr Travers, „dann gäbe es wenigstens eine Vermutung.“
„Jonathan“, rief Pitt, „habt Ihr da an den Fällen ein Boot versteckt?“
Der Trapper nickte. „Das wohl, Sir, aber denkt an keinen Widerstand – es wäre vergeblich, noch auf ein Geschäft zu hoffen, wenn wirklich die Krähen dort gewesen sind. Ohne Zweifel befanden sich dann die Krieger des Stammes mit vielen Pferden in der Nähe, es war alles wohl vorbereitet; und mir bleibt nur übrig, neue Beute in einem neuen Versteck besser unterzubringen.“
„Aber mittlerweile sind Tausende von Dollars weggeworfen. Der Böse hole die Langzöpfe!“
Das Feuer wurde wieder angezündet, ein Abendessen bereitet und diejenigen Indianer ausgewählt, die morgen den Häuptling und die Weißen über das Gebirge begleiten sollten, während ihre Genossen mit sämtlichen Pferden auf anderem Wege nachkommen sollten. Zwanzig rote, bis an die Zähne bewaffnete Männer malten im Zwielicht des Abends auf ihre Gesichter, ihre Arme und Hände die vielfach verschlungenen und schreckenerregenden Zeichnungen, die den Kriegszustand zu verkünden pflegen, sie übten sich im Werfen ihrer gefährlichen Tomahawks und tanzten schließlich wie alle wilden Völker unter dem ohrenzerreißendsten Geschrei den Kriegstanz der Schwarzfüße, während die Pelzhändler halblaut Gewinn und Verlust überschlugen und in ärgerlichster Stimmung einen bösen Ausgang des morgigen Unternehmens prophezeiten.
Das Essen blieb beinahe unberührt, nur Mr Everett ließ sich die gute Laune durch nichts verderben, sondern speiste und schlief wie in seinem sicheren Hause in New York, obgleich hart neben ihm die Indianer Wachen ausgestellt hatten und bronzenen Statuen gleich die Zugänge des Felsenpasses beobachteten.
Der Gelbe Wolf lag unter dem Schutz eines fußbreiten vorspringenden Felsstückes in seine Büffelhaut gehüllt.
Jonathan kroch hinter der höher gelegenen Felswand zu ihm. „Erwartest du sie, Sagamore?“, flüsterte er.
„Hugh!“, scholl es zurück. „Die Krähen sind schlau und falsch, vielleicht suchen sie uns durch einen Angriff von der Fährte zu bringen.“
„Demnach hältst du meine Felle für verloren, Wolf? Du denkst, dass sie gestohlen werden, während wir hier tatenlos ruhen müssen.“
„Ja. Es ist, wie mein Freund spricht. Der Böse Geist hat es den Krähen zugeraunt, wo Wi-ju-jons Beute liegt, und diese sind gekommen, um sie an sich zu nehmen. Ehe eine Stunde vergeht, haben wir ihre Kundschafter hier im Engpass. Wi-ju-jon und die Seinigen sind verraten.“
Der Häuptling drehte plötzlich den Kopf. „Hugh!“, flüsterte er.
Wie durch einen Zauberschlag kehrten die Gedanken des Trappers zur Wirklichkeit zurück. Die Büchse schussgerecht, mit pochendem Herzen näherte er sich dem Häuptling. „Siehst du sie, Sagamore?“
Der Gelbe Wolf lächelte. „Die Krähen sind Weiber“, sagte er verächtlich, „in ihren Köpfen tragen sie Stroh. Pass auf – jetzt kommt’s!“
Im selben Augenblick ertönte von mehreren Seiten zugleich das gellende Kriegsgeschrei, so laut, so durchdringend, als nahten Hunderte von Feinden, ein paar Büchsenkugeln pfiffen durch die Luft, die Pferde wieherten und stampften, rote bemalte Gestalten huschten rechts und links vom Eingang der Schlucht vorüber, höhnende Zurufe, Kreischen und Toben klangen durcheinander. In all diesen Aufruhr mischten sich die Stimmen erschreckter Tiere, Vögel eilten flügelschlagend und ängstlich schreiend davon, ein paar Hirsche durchbrachen in großen Sätzen das Dickicht.
Die Schwarzfüße blieben vollkommen stumm, keiner unter allen regte sich. Ein Wink des Häuptlings hatte genügt, um diese vortrefflich geschulten Krieger zu verständigen. Sie hielten ihre Bogen und Pfeile im Anschlag, aber kein Laut kam über ihre Lippen.
Nicht so Mr Everett. „Hallo!“, rief er, „was –?“
Aber weiter kam er nicht. Eine rote Hand legte sich schwer auf seine Lippen, zwang ihn, ins Innere der Felsspalte zurückzukehren. „Nicht sprechen!“, raunte der Indianer, „sonst …“
Und die Handbewegung gegen den Tomahawk vervollständigte unangenehm deutlich den Satz, zugleich näherten sich von beiden Seiten die Pelzhändler, um flüsternd ihren Gefährten zum Stillschweigen zu ermahnen.
„Ruhig, Everett, man muss die farbigen Kerle gewähren lassen; das ist kein Kampf wie bei uns Weißen, Auge in Auge, mit offenem Visier. Der Indianer bleibt im Hinterhalt, seine stärkste Waffe ist die List!“
„Sehen Sie nur, der Häuptling lässt die Herausforderung unbeachtet!“
Wirklich wurde alles still, unten wie oben. Ein leises Wehen zog durch die Luft, die Baumwipfel rauschten – kein Zeichen verriet, dass vor der Schlucht erbitterte Feinde des Augenblicks harrten, wo sie ihre Gegner ohne Gefahr überfallen konnten.
Der Häuptling wandte sich zu dem Alten. „Das ganze Spiel liegt offen vor den Augen des Gelben Wolfes“, raunte er, „es ist von Anfang her Verrat dabei gewesen. Das Fließende Feuer, der Sagamore des Krähenstammes, wusste, wohin Wi-ju-jon die weißen Kaufleute führen wollte, er konnte aber nicht voraussehen, dass ihm die jungen Krieger der Schwarzfüße auf seinem Raubzuge begegnen und ihre Brüder warnen würden. Anstatt eines Tapferen sind deren sechzig unterwegs, das Fließende Feuer hat es durch seine Kundschafter erfahren, daher sendet er Leute, um sie auf falsche Fährte zu locken. Hugh, das Versteck der Felle ist noch nicht gefunden – die Krähen sind hier, um ihrem Volke Zeit zum Suchen zu verschaffen – Zeit zur Bergung des Raubes!“
„O“, murmelte der Trapper, „o, wären wir um einen einzigen Tag früher gekommen! Was denkst du, Wolf, sind viele Krähen am Missouri?“
„Wenige!“, versetzte der Indianer, „nicht genug, um es mit den Schwarzfüßen aufzunehmen. Die Krähen verstehen es, heimlich über den Schatz eines anderen Stammes herzufallen, aber sie wollen sich dabei nicht ertappen lassen. Wahrscheinlich sind die Krieger, welche da unten lauern, ausgesandt, um Wi-ju-jons Skalp zu nehmen! Das Fließende Feuer will den rechtmäßigen Eigentümer aus dem Wege schaffen, um sich desto leichter seines Besitzes zu versichern.“
Jonathans muskulöse Gestalt hatte sich straffer aufgerichtet. „Mag er kommen!“, klang es über seine Lippen, „mag er kommen, Sagamore! Der Großvater dieses Mannes erschlug meine Eltern, meine Geschwister – ich liebe sie nicht, die Krähen.“
Während aller dieser Worte hatte der Indianer unausgesetzt den Engpass beobachtet, ohne jedoch auch nur einen Fingerbreit seiner Person den spähenden Blicken des Feindes preiszugeben; unten war alles totenstill, vielleicht beratschlagten die Krähen, auf welche Weise es am ersten gelingen möchte, das Häuflein des Gelben Wolfes aus der Festung hervor und auf falsche Fährte zu locken.
In diesem Augenblick fiel über die höher gelegene Felswand zur Rechten ein Schatten auf die kleine freie Fläche in der Mitte, wo das Feuer längst erloschen war. Ein dunkler, mit Adlerfedern geschmückter Kopf erhob sich lautlos, wie aus der Luft heraufsteigend, nackte Schultern folgten nach und dann zwei Arme, die den Bogen zum tödlichen Schusse erhoben hielten – keiner der Anwesenden schien den Eindringling bemerkt zu haben, selbst der Gelbe Wolf lag ahnungslos einige Schritte von ihm entfernt an der vorderen Mauer. Jonathan hatte sich dicht daneben zusammengekauert und berechnete im Stillen die geringe Möglichkeit, sein Eigentum vor den Räuberfäusten der Krähen zu schützen; es war ringsumher still wie im tiefsten Frieden der frühlingsfrischen Natur.
In der nächsten Sekunde musste der Pfeil mit vergifteter Spitze die Brust des Alten durchbohren, schon leuchteten jene dunklen Augen auf der Höhe des Felsens in satanischem Frohlocken.
Da schwirrte plötzlich durch die Luft das Geschoss aus der Hand eines der Schwarzfüße, ein erschrecktes „Hugh!“ zeigte allen die Gestalt auf der Mauer, und schwer fiel aus durchbohrter Faust der Bogen hinab in den kleinen Kreis der Belagerten. Taumelnd, doppelt verwundet, hielt sich der Angreifer mit seiner linken Hand krampfhaft an dem bröckelnden Gestein, das Blut floss in Strömen, die Zähne knirschten, aber kein Schrei, keine Bitte um Gnade wurde gehört. Der Unglückliche hing sterbend, den vergifteten Pfeil in der Brust, buchstäblich zwischen Tod und Leben am Felsrand.
„Die Krähen sind Weiber!“, wiederholte der Gelbe Wolf seinen früheren Ausspruch. „Sie sollen ihren Abgesandten zurückerhalten.“
Er näherte sich kriechend wie eine Schlange dem Schlauen Fuchs und flüsterte mit ihm. Schon hing der Skalp des Erschlagenen, noch rauchend und warm vom eben vergossenen Blute, am Gürtel des Siegers, beide Häuptlinge ergriffen den toten Körper und warfen ihn, ohne sich selbst aus ihrer gebückten Stellung aufzurichten, plötzlich über den offenen Rand hinab in das Gebüsch unten am Fuße der Schlucht. Dumpf kollernd, hier und da aufschlagend, stürzte die Leiche durch Schutt und Geröll in die Tiefe.
Ein Wutgeheul, wie es nur indianische Kehlen auszustoßen vermögen, beantwortete diese schauerliche Botschaft, es war, als kreischten und brüllten da unten keine Menschen, sondern eine Horde entfesselter Teufel.
Hugo fühlte, wie es ihm kalt über den Rücken herablief. Das, was sich vor seinen Augen bis jetzt entwickelt hatte, war nur der Anfang – wie mochte die Fortsetzung werden?
Überall lagen und saßen wie bronzene Statuen die Indianer, niemand dachte an Schlaf oder Speise, der Nachtwind wehte kalt um heiße Stirnen, und lange, lange Stunden vergingen, bevor die ersten Strahlen der Morgenröte den Horizont erhellten. Soweit das Auge reichte, war kein lebendes Wesen zu entdecken, die ausgesandten Späher kehrten zurück mit der Nachricht, dass sich die Krähen heimlich entfernt haben müssten, und zwar in der Richtung der Missourifälle.
„Auf!“, rief der Gelbe Wolf, „jetzt ist keine Zeit zu verlieren.“
Ein Mahl aus Kaffee, Zwieback und Bärenfleisch wurde in aller Eile eingenommen, die Reisegesellschaft trennte sich verabredetermaßen, und dann begannen, die Weißen unter Führung des Trappers und ihrer roten Freunde den beschwerlichen Marsch über das Gebirge. Die ersten bedeutendsten Verstecke des alten Jägers lagen von hier aus in der Entfernung einer Tagereise, gegen Abend konnten sie erreicht sein.
Die stattlichen Hirsche dieser Gegend, die Antilopen und Bergschafe blieben heute unbeachtet, keiner der Männer fühlte sich versucht, sie zu jagen.
Nahe und immer näher ertönte gegen das Ende der Wanderung ein einförmiges unaufhaltsames Rauschen, das nach und nach in die Stimme des grollenden Donners, in sein gewaltiges Brüllen und Toben überzugehen schien. Die Missourifälle, nach denen des Niagara die schönsten der Erde, waren beinahe erreicht, und da ihr starkes Getöse jeden anderen Laut verschlang, so wurde doppelte Wachsamkeit den Reisenden zur unerlässlichen Pflicht; sie gingen einer hinter dem anderen, und jeder trug die Waffe schussgerecht, alle roten Krieger hatten ihre vergifteten Pfeile aufgelegt.
Von Augenblick zu Augenblick wuchs die Spannung. Dort, auf höchster Höhe, verborgen unter dichtem Gebüsch und in den Windungen weitverzweigter Schluchten, tief im Herzen der Kalksteinwände, lagen des alten Jägers Verstecke. Wie würde man sie finden?
Von Indianern war keine Spur zu sehen.
Der Gelbe Wolf streckte plötzlich den Arm aus: „Siehst du ihre Spuren?“
Die Fersen und Zehen mehrerer Personen waren im losen bröckelnden Kalkboden deutlich abgedrückt, man sah, dass hier Rothäute des Weges gekommen waren, sowohl bergauf als bergab, je weiter man vordrang, in desto größerer Anzahl und immer begleitet von den Spuren zweier Weißen, eines Erwachsenen und eines Knaben.
Der Gelbe Wolf und der Schlaue Fuchs verfolgten mit den Köpfen fast am Boden, langsam kriechend, die Fährte.
Plötzlich bückte sich Jonathan, und alle Übrigen taten es ihm nach. Ein enges Tor, kaum so viel Platz bietend, dass ein Mann hindurchkriechen konnte, eine steinerne Wölbung führte in eine offene weite Halle. Grüne Moose hatten alle Wände überzogen, Käfer und Schmetterlinge spielten hier, aber – der Platz war leer, ganz leer.
Jonathan mochte längst schon alle Hoffnung aufgegeben haben, aber trotzdem traf ihn die Gewissheit des Verlustes mit erneuter Schärfe. Von allen den Tausenden wertvoller Pelze, die sich als Ertrag seines jahrelangen Fleißes hier bis zur Decke speicherten, war auch kein einziger mehr vorhanden, die Krähen hatten nichts liegen lassen, auch nicht das kleinste Stückchen.
„Verdammt!“, rief Mr Duncan, „und diese ganze Halle war vollkommen gefüllt, Alter? Das ist ein Schade von mehr als fünftausend Dollar.“
„Aber haben sie denn einen so weiten Vorsprung, dass es unmöglich wäre, ihnen die Beute wieder zu entreißen? Alle Teufel, es wäre doch schändlich, wenn dieser Raubzug unbestraft bliebe.“
Der Schlaue Fuchs meinte: „Für jedes gestohlene Fell sollen die Krähen den Skalp eines der Ihrigen verlieren. Mit Sonnenaufgang müssen die Ihrigen die Schwarzfüße im Sattel sitzen.“
Auch Jonathans Meinung ging dahin, dass es eines Mannes unwürdig sei, sich ohne Gegenwehr berauben zu lassen, aber die drei Hauptanführer des Zuges wurden dennoch überstimmt von den Pelzhändlern, die keine Neigung fühlten, sich um einer Züchtigung willen in alle Gefahren der Wildnis zu stürzen. Für sie existierte nur der Begriff des Vorteils. Die Rückreise wurde beschlossen.
Unten am Fuße des Gebirgszuges unter Bäumen standen die Pferde; ziemlich einsilbig und verstimmt machten sich sämtliche Männer auf den Weg, um sie zu besteigen. Schon ordnete sich im Scheine des Mondes der stattliche Reiterzug, als urplötzlich aus den Gebüschen der seitwärts gelegenen Inseln ein lautes durchdringendes Hohngeschrei hervorklang, jenes teuflische Gebrüll, das nur der Indianer auf dem Kriegspfade ausstößt, das gellend und erschütternd aus dem Versteck herübertönt, in seiner Bedeutung unverkennbar – kurz, aber mit der vollen Wirkung des Grässlichen.
Aller Blicke suchten voll Überraschung die Inseln, da tanzten zwischen den Gebüschen, am Ufer und auf den Rasenflecken buntbemalte nackte Gestalten, Bogen und Pfeile schwingend, hüpfend in den abscheulichsten Verrenkungen, hohnlachend, wie tolle, von der Kette gelöste Affen.
Aber nur sekundenlang währte das schreckliche Schauspiel, dann waren alle Indianer verschwunden. Wo eben noch mit fünfzig Stimmen zugleich geschrieen und getobt wurde, da herrschte jetzt Stille – nur einige Enten flatterten erschreckt durch das Schilf.
Nach dem ersten Erstaunen löste sich von den Seelen der Weißen und ihrer Begleiter jener Bann, unter dessen Eindruck der Mensch zu schweigen pflegt – jetzt sprachen zehn, zwanzig Stimmen
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
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Tag der Veröffentlichung: 20.02.2013
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