Es steht ein klarer Neumond am nachtschwarzen Himmel. Unbemerkt schleich sich Ashanti aus dem Haus. Sie trägt nur ein schlichtes, schwarzes Kapuzen-T-Shirt und eine dunkle Jogginghose. Kühler Wind streichelt ihre Haut und ihre Augen glühen leicht golden in der Nacht. Sie muss raus, laufen, rennen, jagen. Sie ist aufgewacht nach dem sie in einer Endlosschleife von dem Moment geträumt hat, als Nachtherz seinen Kopf hochwarf und sie ansah. Und dann hatte sie ihn ständig unter Javeds Sattel gesehen. Oh, wenn sie könnte würde sie diesem verzogenen, reichen Bengel die Krallen ins Gesicht schlagen! Der hatte ganz sicher gesehen, wie es ihr ergangen war!
Mit einem leisen Fauchen beschleunigt sie ihre Schritte, hier kann sie sich noch nicht wandeln. Die Wächter patrouillieren nahe am Waldrand und könnten sie sehen, wenn sie vorbei kämen. Und hier würde ein schwarzer Puma schon auffallen, 200 km entfernt von den Bergen.
Der Wald wird immer dichter und langsam beginnt sich die Zeichnung auf ihrem Gesicht zu zeigen. Sie muss sich beeilen. Schließlich erreicht sie den See von der dichtbewaldeten Seite aus. Das andere Ufer besteht aus feinem, gelben Sand und einer Lichtung. Getränkt wird der See von einem Bach, der sich über einen niedrigen Wasserfall in den See ergießt und die westliche Grenze vom Wald zur Lichtung bildet. Auf der anderen Seite ist sie durch einen Sumpf begrenzt. Ashanti klettert auf einen dicht belaubten Kastanienbaum und setzt sich auf einen Ast. Gleich ist sie frei! Schnell zieht sie ihr Shirt und ihre Jacke aus. Die Sachen versteckt sie in einem Astloch. Elegant springt sie ab und verwandelt sich noch im Flug zu einer schwarzen Raubkatze.
Langsam streift sie als schwarzer Puma durch den Wald. Sie erbeutet ein junges Wildkaninchen und sucht sich bald einen Baum zum Krallenwetzen. Plötzlich hört sie ein Geräusch und ihre Ohren zucken. Ein Trommeln, begleitet von knackenden Ästen. Ein Pferd? Sie wittert, aber der Wind steht ungünstig. Plötzlich bricht ein großer, dunkler Schatten in halsbrecherischem Tempo an ihr vorbei in Richtung des Sees. Ein wildes Schnauben begleitet das Ungetüm und der Duft des Pferdes bleibt zurück, als es in der Nacht verschwindet. Ashanti läuft dem Pferd hinterher, das eben ins Wasser planscht und dabei seine Schritte verlangsamt.
Langsam schleicht Ashanti an den Rand der Lichtung und verwandelt sich zurück in Menschengestalt. Nackt steht sie auf der Lichtung und betrachtet das Pferd, das bis zum Bauch im Wasser steht. Ihr Herz erkennt den Hengst: Nachtherz!
Leise ruft sie ihn: „Nachtherz, mein Schöner. Was tust du nur hier?“
Ihre ist leise und melodiös. Wie in einem geflüsterten Singsang spricht sie zu dem großen Pferd und nähert sich dem stolzen Hengst. Langsam geht sie ins Wasser, ist sich bewusst, dass die steinharten Hufen ihren Körper zertrampeln könnten, sollte sie ihn erschrecken. Aber das Pferd nähert sich ihr neugierig und zutraulich. Kann es wahr sein, dass dieses wilde, kraftvolle Tier ihr vertraut?
„Du bist wohl ausgerissen?“, lächelt Ashanti den Hengst an und hält ihm die Hand unter die Nüstern. Er stupst sie mit seinem großen Kopf sanft an und prustet ihr seinen warmen Atem ins Gesicht. Freundlich schaut er sie an und lässt sich brav von ihr streicheln. Glücklich umarmt sie seinen Hals, den sie nicht umfassen kann, weil sie kaum heran kommt. Ihre Wange legt sie an seine starke Schulter und flüstert tränenerstickt: „Du hast mir gefehlt, Nachtherz…“
Er legt seinen Kopf über ihren Rücken und prustet leise.
Texte: alles meins ;)
Bildmaterialien: Die Collage besteht aus Fotos, die ich selbst gemacht und bearbeitet habe.
Tag der Veröffentlichung: 13.06.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Weinen ist keine Schwäche, manchmal ist es das einzigste, was man überhaupt noch tun kann.