Wie immer sind Ashanti und ihre Großmutter eine halbe Stunde zu zeitig, stellt sie fest, als sie ihrer Oma in die große Markthalle folgt. Die einzige Technik, die noch einwandfrei funktioniert, sind Uhren und gleich gegenüber vom Eingang hängt eine riesige Digitaluhr. Ashanti sieht sich um, die Halle war eben erst geöffnet worden und die ersten Händler bauen ihre Stände an den gekennzeichneten Stellen auf. In ihrer Linken trägt Ashanti ein in Tücher gehülltes Ölgemälde. Sie hat es erst diese Woche fertig bekommen.
Es zeigt einen verwunschen Garten mit einem Bächlein, über das eine goldene Brücke führt und auf dessen Wasser Sonnenstrahlen glitzern. Überall blühen seltsame Blumen in allen Farben und Formen, in deren Blüten kleine Lichtpünktlein sichtbar sind. Das Gras ist ungemäht und lang. Hohe, alte Laubbäume umrahmen diesen Garten und durch ihr Laubdach fällt sanftes Licht, das so magisch wirkt, wie der Garten selbst. Und ganz nahe am Wald, halb im hohen Gras versteckt, grast ein weißes, sanft strahlendes Einhorn. Oft sagt man, ihre Bilder seinen lebendig, aber Ashanti findet immer etwas, das ihr nicht perfekt genug ist. Und wenn es nur ist, dass sie das Vorderbein des Einhorn einen Millimeter zu lang gemalt hat und sie einen Strich im Schweif eine Nuance zu dunkel getroffen hatte…
Mit dem Bild im Arm, es ist immerhin einen Meter hoch, steuert sie auf ihrem Lieblingsstand zu. Der Tischler Joko begrüßt sie mit einem breiten Lächeln. Er verkaufe Bilderrahmen oder fertigt sie eben passend an und kleine Bilder rahmt er für Ashanti sogar kostenlos.
„Na, Süße, was ist es denn dieses Mal Schönes?“ Joko ist 27 und hat vor einem Jahr geheiratet, seine Frau Gehja ist eine kleine, zierliche und temperamentvolle Blondine, die wunderbar singen kann. Sie ist eine von Ashantis wenigen Freundinnen.
„Lass Gehja hören, wie du mich nennst…“, sagt Ashanti betont ernst und leise. Dafür erntet sie einen großen, traurigen Hundeblick von Joko. Langsam und vorsichtig, stellt sie ihr Bild auf seine Werkbank und enthüllt es sachte. Sie hört, wie er den Atem anhält und sein Herzschlag kurz aussetzt.
„Das ist magisch, Kleine!“, haucht er hingerissen. „Dass du mir das ja nicht unter 100 Gelden verkaufst!“, fügt er streng hinzu.
Ashanti lächelt verlegen: „Du weißt so viel ist es nicht…“
„Es ist eines der Besten, die du je zu mir gebracht hast! Es sieht aus, als könnte ich es berühren, als wäre ich mitten drin! Es ist mindestens 90 Gelden wert und dann hast du da bestimmt wieder Tag und Nacht dran gesessen!“
„Nein.. nur nach der Schule ein paar Stunden…so 17 Tage lang…?“ Strafend sieht Joko sie an. Er ist fast 2 Meter groß und hat Pranken wie ein Bär. Er sie weiß, dass er ein guter Mensch ist.
„Du bist ein ungebildetes Waisenkind, wärst du studierte Künstlerin könntest du es für 200 Gelden verkaufen! Also sag dem Händler 100, gerahmt 150 und er würd denken: Was für ein Schnäppchen! Was für einen Rahmen hättest du überhaupt gern?
„Hast du Kirschholz da?“
„Ganz dicke… Ich hab’s!“ und schon verschwand er im kleinen Lager, lächelnd setzte Ashanti sich hin, sie sah Joko gern zu, wenn er arbeitete. Nach einigen Augenblicken kam er zurück mit matten, dunkel-rotbraunen, leicht rundlich geschliffenen Holzstücken und legte sie ans Bild.
„Ha, die Höhe stimmt!“, mit einem kleinen Stift, der in seinen Pranken zu verschwinden droht, zeichnet er bei zwei Stücken die Breite an und verschwindet wieder nach hinten. Sie hört ihn Sägen und schleifen. Einige Minuten später hält er einen fast fertigen Rahmen in der Hand.
„Du kannst doch so toll schnitzen….“
„Ja?“, neugierig sieht sie auf.
Joko nimmt aus seiner Werkbank ein kleines Werkzeug und legt es Ashanti in die Hand: „Verzier ihn doch, ehe ich ihn lackiere!“
Begeistert leuchten ihre Augen ganz kurz golden auf. Sie weiß, dass Joko sich seinen Teil dachte, denn er stammt aus einem Dorf am Rande der Berge, in denen die Cugaléh leben. Dort kennen die Menschen zu mindestens die alten Legenden oder haben Verwandte, die ins Pumavolk geheiratet haben. „Kann ich erst ein... Übungsstück haben?“
Joko holt ihr ein Reststückchen, in das sie eine ihrer Fantasieblumen mit einfachen Linien schnitzt. Er sieht ihr neugierig zu und als sie fertig ist, breitet sich ein Lächeln über sein Gesicht aus: „Kann ich das Gehja mitnehmen? Du weißt doch, wie sie deine Blumen liebt!“
„Klar!“, Ashanti grinst und schaut zufrieden ihre Blume an. „In jede Ecke eine?“
Joko überlegt kurz: „Nein, mach doch zwei, die sich diagonal gegenüber liegen…“
„Ja, das ist es! Joko- du bist genial!“
Der Riese lacht leise: „Ich habe ja auch geniale Helfer!“
„Wen denn da?“, hören sie da eine fröhliche Frauenstimme neben sich.
„Gehja!“, glücklich wirbelt Joko seine Frau durch die Luft, bis ihnen schwindelig wird.
„Ich hab was für dich! Das heißt, eigentlich hat Ashi was…“
Stolz zeigt er ihr Ashantis Schnitzerei. Seine Frau grinst glücklich.
Ach, muss Liebe schön sein, denkt Ashanti lächelnd und macht sich an den Rahmen.
Texte: Alle Rechte liegen bei Avena Fatua.
Bildmaterialien: Alle Fotos sind von mir erstellt und auch bearbeitet worden
Tag der Veröffentlichung: 05.06.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Kunst ist eine ganz eigene Sprache zwischen meinem Herzen und deinen Augen