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Ich bin im Internat der Berufschule. Mittlerweile 21 Jahre alt. Eine Freundin und ich hocken grad über unseren Heftern. Die Vorprüfungen stehen vor der Tür. Eine haben wir schon geschrieben, die letzten 3 sind die kommenden zwei Tage dran. Ich schweife mit Gedanken ständig ab. Was macht wohl die Kleene grad? Ruf ich sie mal an, ob wir am Wochenende mit ihren Hunden raus gehen? Wobei das eigentlich lustig ist. Als Kind hatte Nana Angst vor allem: Rehe, Katzen, Hunde, Spinnen... Jetzt hat sie mit ihrem Freund selber 2 Hunde. Zwischen mir und meiner Schwester bestand bis vor einiger Zeit eine echte Hassliebe. Zickenterror eben. Ihr Freund und sie haben zusammen eine Wohnung. Mein Freund und ich sind grad 7 Monate zusammen. Mein Freund ist auch Landwirt - wie ich. Aber schon ausgelernt. Ein gutmütiger Riese von fast 2 Metern. Ein Optimist, der schnell mal die Realität vergisst und vieles auf die leichte Schulter nimmt. Das ist sein gravierendster Fehler. Alle anderen Macken finde ich eigentlich ganz ok. Er bringt mich viel zum Lachen und ist ein kluger Bursche, der mir vieles erklären kann und eine riesen Geduld hat. Etwa ein Jahr jünger als ich. Aber bis jetzt haben wir noch jeden Streit geklärt bekommen. Da klingelt mein Handy. Reißt mich völlig aus meinen Gedanken. Es liegt auf dem Schrank. Ich spring auf, gehe ran. Mama. Mit ihrer Stimme stimmt was nicht. "Bist du auf'm Zimmer?"

 "Jaaa...."

Und dann erzählt sie. Meine Schwester hatte einen Unfall! Sie liegt in der Uniklinik in Dresden auf ITS. Im Koma. Mein Herz wird kalt. Meine Beine fühlen sich an, als wollten sie nachgeben, also schwanke ich zum Bett. Mama weint. Tränen steigen in mir auf. Meine kleine Sis liegt im Koma. Schwebt in Lebensgefahr. Mein Blick wird leer, ich sehe aus dem Fenster. Strahlender Sonnenschein. Sommerhitze. Vor mir sehe ich das Gesicht meiner Schwester, wie ich sie zum letzten Mal gesehen habe, auf ihrem zwanzigsten Geburtstag vor 2 Wochen. Mit ihren stahlblauen, großen Augen und den kurzgeschnittenen, dunkelbraun gefärbten Haaren, in dem T-Shirt was ich ihr geschenkt habe. Ich sehe sie lachen, höre sie sogar, höre Mama kaum zu. Dann fange ich mich. Mama fährt jetzt ins Krankenhaus.

 "Ruf mich an, wenn es was Neues gibt!", verlange ich zitternd und lege auf. Da bricht der Schmerz in einer Welle aus. Meine Freundin schaut mich besorgt an. Mit rauer Stimme erzähle ich es ihr. Weine nebenbei, kann es kaum fassen. Wie kann das sein? Vor 3 Tagen hatten wir doch erst telefoniert! Sie ist doch erst 20! Warum sie? Warum nicht ich?

Julia schüttelt den Kopf: "So was darfst du nicht sagen!"

Wenn ich es doch aber denke? Ich rufe zitternd meinen Freund an. Schluchzend berichte ich es auch ihm. Und er nur: "Hey, alles wird gut. Ich komm morgen zu dir." Alles wird gut? Er verspricht mich am Abend noch mal anzurufen. Mehr oder weniger getröstet lege ich auf. Eher weniger. Erinnerungen an meine Schwester stolpern durch meinen Kopf. Am Abend weine ich noch lange, erzähle Julia beinahe alles über Nana und komme nicht zur Ruhe. Es lässt mich einfach nicht los. Die Vorprüfung am nächsten Tag schreibe ich trotzdem mit. Mitten beim Schreiben fällt mir ein Gedicht ein. Ich schreibe es auf. Es heißt "Wach auf". Den Rest des Tages schwebe ich förmlich. Die dummen Sprüche meiner Schulkameraden bekomme ich kaum mit. Der Unterricht rauscht an mir vorbei. Mein Kopf bleibt leer. Manchmal verschwinde ich auf der Toilette, um lautlos ein paar Tränen zu vergießen. Hier soll mich niemand weinen sehen. Noch einen Schultag schaffe ich nicht. Das wird mir jede Stunde bewusster. Ich rufe zuhause an. Mein Vater wird mich auf dem Rückweg vom Krankenhaus abholen. Ich bin froh. Jetzt wird der Frieden zwischen ihm und dem Rest wohl bleiben. Jetzt müssen wir doch alle zusammen halten, für die Kleine. Wir sind doch trotz allem eine Familie. Am folgenden Tag fahre ich ins Krankenhaus. Und stolpre rückwärts wieder aus dem Zimmer heraus. Diese ganzen Schläuche und Geräte machen mir Angst. Ein Heulkrampf schüttelt mich und ich bleibe in der Tür stehen. Sie sieht aus, als würde sie schlafen. Man hat ihr die Schädeldecke entfernt, eine hässliche Narbe zieht sich über ihren Kopf. Zum ersten Mal seit Jahren sieht man wieder ihre Sommersprossen. Man hat sie natürlich abgeschminkt. Die Haare am Hinterkopf wurden nicht mit weg rasiert und liegen verklebt auf dem Kopfkissen. Langsam fasse ich mich. Nanas Freund rückt etwas zur Seite, alle streicheln sie, aber ich kann sie nicht anfassen, hab die irrsinnige Angst, sie zu wecken.

Was bin ich nur für eine große Schwester?!

"Streichle sie ruhig", meint er und zögernd berühre ich ihr Bein, das direkt vor mir liegt. Beginne vorsichtig darüber zu streichen, will sie nicht wecken. Genauso wie Papa, Mama und Chris, der Freund meiner Schwester. Ich weine wieder. Aber das ist ok. Das machen wir alle. Sie zuckt nicht mal. Als wäre sie tot. Aber ihr Herz schlägt zu schnell, also lebt sie... man erkennt sie kaum. Keine Schminke, kein dummer Spruch, kein Lächeln…

Ich beobachte die Anderen, alle sind verstört. Wir erzählen von Lucy ihren Hund… Ob sich Nana daran erinnert? Ob sie uns überhaupt hört? Während unserer Anwesenheit steigen Blutdruck, Temperatur und Hirndruck. Eine Reaktion auf uns? Immerhin sollen die Werte sonst den ganzen Tag stabil gewesen sein… So viele Fragen und keine Antworten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 19. Juni 2011

Es ist für mich eigentlich noch Samstag, aber wir haben schon Sonntag früh 2 Uhr… Komische Zeit, dabei geh ich sonst ziemlich früh zu Bett. Ich war mit einer Freundin draußen, um auf andere Gedanken zu kommen. Jenny ist eine ganz Liebe. Hat mir viel Mut gemacht und glaubt an dich. Das hat mich etwas getröstet.

Hab heute einen Kumpel von dir kennengelernt: Ecki. Komischer Kerl, aber auch lustig.

Auf Facebook kommen unglaublich schöne Dinge für dich zusammen. Viele hinterlassen Einträge an deiner Pinnwand. Eine Freundin hat sogar eine Gruppe für dich gegründet. ALLE deine FB-Freunde schreiben da!

Von Buki soll ich dir ausrichten, dass wenn du aufwachst, er mit dir schoppen geht und dir alles kaufst, was du willst, aber du musst aufwachen dafür! Über die Mail musste ich lächeln. Ich finde DAS sollte ein ziemlich großer Ansporn für dich sein! Also wach auf, die Chance bekommst du nie wieder! ;)

Auch Nadine K. hat mich sehr getröstet.

Bei Mama klingelt pausenlos das Telefon. Alle machen sich Sorgen. Merkst du das? Höst du es, wenn wir dir die Grüße mitbringen?

Ich war dich heute zum letzten Mal vor der Prüfung besuchen. Du hattest heute erhöhte Werte, weil deine Medikamente verringert werden. Weil du Fieber bekommen hast, haben Papa und Chris dir kalte Wickel gemacht. Dabei muss deine Hand kurz gezuckt haben bei Chris. Er war überglücklich. Aber war das bewusst? Wolltest du uns damit etwas sagen? Oder war das einfach nur eine Muskelzuckung und du merkst gar nix von uns?

Wir vermissen dich…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bambi beißt?

Als Kind hatte Nana eigentlich vor fast allem Angst. Auch im Tierpark beim Rehe füttern. Als ein kleines Kitz versuchte, das Futter aus ihrer Hand zu naschen, musste Mama ihre Hand aufhalten und Nana hat bitterlich geweint. Dabei hatte ich ihr doch schon gesagt, dass Bambi gar nicht beißt…

 

 

 

 

 

 

Tag vor der Prüfung, Montag, 20. Juni 2011

Ich habe meine Kleine seit 2 Tagen nicht mehr gesehen. Aber sie ist ständig in meinen Kopf. Jede wache Minute. Da ich kaum noch schlafen und essen kann, also ständig. Alles was ich esse, landet wieder im Klo, mir ist schlecht, ich bin müde und erschöpft. Die Nacht verbringe ich mehr im Bad und kotze, als dass ich schlafe. Ich habe Angst. Vor der Prüfung und um meine Schwester. Die Ärzte machen uns nicht viel Hoffnung. Zu hohes Fieber und eine Lungenentzündung seit gestern. Mir ist total übel. Ich schreibe trotzdem mit. Auch wenn ich grad wieder über der Kloschüssel hänge und mein Magen sich selbst ausräumt.

 

 

 

 

Als wir klein waren

Nana ist etwa eineinhalb Jahre jünger als ich. Als wir noch klein waren, habe ich ihr gern das Fläschchen gegeben. Davon gibt es Fotos, meine Eltern haben es mir erzählt, aber ich habe keine Erinnerung mehr daran. Nana hat gern mit Puppen gespielt. Ich lieber mit Tieren und Autos. Wenn Nana Familie spielen wollte, war ich immer der Papa. Im Kindergarten haben wir viel miteinander gespielt. Einmal sind wir Dreirad gefahren. Auf das Gefährt konnte sich hinten einer draufstellen. Also hampelte ich hinten rum, während Nana brav in die Pedale trat. Bis wir umkippten. Alles fiel auf mich drauf. Es tat weh. Meine Hand blutete. Nana weinte. Ich auch. Das Ende vom Lied war, dass mir die Ärzte die Reste meines Fingernagels zogen. Ich habe das ganze Ärztehaus zusammengebrüllt, obwohl Nana meine Hand streichelte. So war das immer beim Arzt, da war sie mutiger als ich…

 

 

 

 

Tag nach der Prüfung, Mittwoch, 22.Juni 2011

Heut Nachmittag fährt mein Freund mit mir zu Nana ins Krankenhaus. Wir treffen uns dort mit Mama. Im Moment aber liege ich mit Heizkissen im Bett und habe schreckliche Bauchschmerzen. Ich habe jetzt seit 3 Tagen keinen Bissen mehr drin behalten. Wenn's wenigstens der Kleinen helfen würde, aber das tut es auch nicht. Ärgerlich stehe ich auf und zwinge mir in der Küche ein Toast runter. Dann koche ich mir Tee und lege mich wieder ins Bett. Kurz vor Mittag stehe ich auf und koche Nudeln fürs Mittagessen. Heute probiere ich einfach mal aus. Mein Freund kommt von Arbeit. Er ist mir heut einfach zu fröhlich. Seufzend konzentrier ich mich auf meinen Nudeltopf. Das Toast ist noch im Magen. Hoffnungsvoll decke ich den Tisch. Die Autofahrt gefällt meinen Bauch natürlich weniger, aber es geht noch. Mama erzählt mir in Nanas Zimmer, dass die Lungenentzündung abklingt. Das ist gut. Außerdem reagiert sie mit dem einen Auge auf Licht. Während unserer Anwesenheit steigen Blut- und Hirndruck an. Und ich? Ich gerate in Panik weil mich diese ganzen Maschinen völlig irritieren. Das Gepiepe macht mich verrückt. Aber ich bleibe am Bett stehen, halte Nanas Hand und erzähl ihr irgendwas Sinnloses...

Dein Hirndruck liegt konstant bei 8, mir wurde erklärt, alles unter 10 ist gut. Aber wegen deines Fiebers musst du gekühlt werden. Robert hat dir einen Eisbär geschenkt, den hast du die ganze Zeit schon in der Hand. Das sieht echt süß aus. Auf den „Taschenlampentest“ hast du mit zuckenden Lidern reagiert. Papa meint, dir wären bei seinem Besuch ein paar Tränen aus den Augen gelaufen, als Chris sich verabschiedet hat… immer noch Rätselraten, ob das bewusst oder unbewusst passiert…

Sei mir nicht böse, dass ich es nicht schaffe, lange bei dir zu bleiben. 10 Minuten machen mich schon völlig fertig…

 

 

 

Ich stinke!

Unser kleiner Bruder ist 12 Jahre jünger als ich. Dementsprechend war er noch ziemlich klein, als Nana und ich noch zur Schule gingen. Eines Abends hüpfte er fröhlich und  nackig durch die Wohnung (man möge ihm verzeihen- er war erst 4 ;) ). „Ich geh baden… baden…“, quietschte er. Nana fragte ihn: „Warum gehst du denn baden?“

„Weil ich stinke!“ Das fanden wir so lustig, dass er das noch mal sagen sollte und Nana es mit dem Handy aufnahm. Am nächsten Tag vergaß sie, ihr Handy auf lautlos zu stellen und als sie dann eine SMS bekam, rief es quer durch den Klassenraum: „Ich stinke!!!!“

 

 

 

Donnerstag, 23. Juni

Ich bin wieder bei meinem Freund. War dich heute besuchen. Aber du hast ganz komisch dagelegen. Deine Hände, Gelenke und Füße waren sehr dick angeschwollen. Das hat uns ganz schön Sorgen gemacht.

Aber die Ärzte nehmen langsam deine Medikamente runter und sagen, du bist ok. Darum war dein Hirndruck heute aber bei 16.

Lustig fand ich, als ich meinte man müsste von deinem Kumpel Mietho das dumme Gequatsche aufnehmen und dir vorspielen, da schlug dein Hirndruck plötzlich in die Höhe und beruhigte sich dann wieder. War das dein „Lachen“? hattest du uns verstanden?

Heute haben auch deine Augenlider viel mehr gezuckt als sonst. Weißt du, wer wir sind? Hörst du uns? Bekommst du unser Weinen mit? Weißt du auch, warum wir weinen?

Weil wir dich alle sehr lieben. Wir vermissen unsere Nana.

Wie viel wirst du lernen müssen, WENN du aufwachst? Wirst du aufwachen? Woran wirst du dich erinnern?

Die Ärzte sagen, es wird noch lange dauern, bis du wach wirst. Lass uns nicht allzu lange warten…

 

 

 

 

Stephie war’s!

Wir waren etwa 7 und 8 Jahre alt, als unsere Eltern abends ins Kino gehen wollten. Unsere ältere Cousine sollte auf uns aufpassen. Sie war 14, glaube ich. Die Mädels wollten jedenfalls kochen spielen. Das war mir viel zu blöd, also hab ich ferngesehen. Irgendwann merkte ich dass sie Zeug hoch ins Kinderzimmer schleppten, dachte aber gar nicht weiter darüber nach.

Als später unsere Eltern heimkamen, wurden wir zu Bett geschickt. Beim Gute-Nacht-Kussi verteilen fing Mama plötzlich an zu schnuppern. Verwundert tat ich es ihr nach. BÄH das stank!

„Was ist das?!“, fragte sie und ging zur Heizung.

Sie fand ein Tellerhcen vor mit einem Gemisch aus geschmolzener Schokolade und Mehl, das hinter die Heizung gerutscht war.

„Das war Stephie!“, verteidigte Nana sich, ehe ich auch nur verstand, was ich da sah.

„WAS?! Ich hab gar nicht mitgespielt!“, schrie ich wütend. #

Papa hörte unseren Streit und kam rauf. Mama schilderte die Situation und ich bekam eine auf den Hintern, weil ich angeblich log. Ich kochte vor Wut! Kaum war der Schmerz verklungen schimpfte ich meine Schwester eine Lügnerin. Natürlich bekam ich auch dafür eine Tracht Prügel. Irgendwann jedenfalls riss ich ihrer Lieblingspuppe den Kopf ab und drohte, dass mit jeder anderen zu machen, wenn sie nicht unseren Eltern die Wahrheit sagte. Ich bekam noch eine auf den Hintern, weil ich meine Schwester zum Lügen anstiftete. Da fiel mir auch nichts mehr ein. Aber ich habe sehr lange gebraucht, ihr das zu verzeihen…

 

 

 

 

Samstag, 25. Juni

Gestern Abend rief Mama mich an. Sie war mit ihrer Freundin Mechthild bei dir gewesen. Hast du das gemerkt? Hat es dich gefreut?

Die Ärzte haben dich jetzt nochmal operiert. Jetzt hast du so ein komisches Ding zur Beatmung im Hals. Fühlt sich das so schrecklich an, wie es aussieht? Gut ich ekel mich sowieso vor all diesem Zeug. Ist zwar dumm, aber schon der Gedanke schüttelt mich vor Ekel…

Deine Medikamentendosis jetzt so niedrig, dass du theoretisch aufwachen kjönntest. Uns wurde erklärt dass kann Tage bzw. Wochen dauern. Aber es ist ein Fortschritt. Schließlich hieß es doch, dass du vielleicht die ersten zwei Wochen nicht überlebst. Die Nachricht hat mich jedenfalls total gefreut.

Wachst du bald auf? Hat die zeit des Wartens vielleicht bald ein Ende? Nana komm bitte bald zurück zu uns? Wer wirst du sein, wenn du aufwachst?

Unsere Nana, vielleicht nur etwas verwirrt? Oder eine Fremde? Ein Kind aus einer anderen Welt, das erst lernen muss, wieder Nana zu sein?

Eigentlich ist es egal. Du bist willkommen. Wenn du nur aufwachst bekommen wir alles andere auch hin. Du musst es nur wollen. Wenn du nicht mehr leben willst, kann dir keiner helfen. Also wach auf!!!

Woran wirst du dich wohl noch erinnern? Weißt du noch, wo wir gewohnt haben, als wir noch klein waren? Kennst du unseren Kindergarten noch? Erinnerst du dich an unser Kinderzimmer?

Noch bin ich in Bautzen bei meinem Freund, aber ich möchte nachhause. Mama und Robert brauchen mich dringender, als mein Freund. Außerdem hab ich das Gefühl, er versteht das nicht richtig… Eigentlich weiß er, was du mir bedeutest. Aber wer versteht schon, was es bedeutet, dich zu vermissen, wenn man dich nur von ein-/zweimal sehen kennt. Ihr seid euch begegnet. Erinnerst du dich? Nur ganz kurz, aber vielleicht erinnerst du dich an ihn.

Wir sehen uns bald wieder. Vielleicht kann ich Montag schon nach Dresden…

 

 

 

Unser erstes Kinderzimmer

Wir hatten ein großes Kinderzimmer in Süd, weißt du noch? Mit einer blauen Decke. Mama hatte eine Sonne und Wolken daran gemalt. Die Wolken waren verkehrt rum. Ich weiß noch, dass sich Mama darüber geärgert hat, aber wir fanden es toll. Wir hatten Hochbetten. Papa hatte die gebaut. Darüber klebten Sterne und ein Mond an der Decke. Nachts haben die geleuchtet.  Viel weiß ich nicht mehr von damals. Nur dass wir dort ausgezogen sind, als ich in der ersten Klasse war. Wir zogen nur in eine andere Straße, die war aber weiter im Zentrum, deshalb musste ich ab der zweiten Klasse in eine andere Schule. Du wurdest dort eingeschult…

 

 

 

 

Sonntag, 26. Juni

Heute Nachmittag hat mich mein Freund heimgebracht. Mama sieht furchtbar aus. Richtig krank. So hat sie nicht mal ausgesehen, als Papa uns verlassen hat!

Tante Mechthild, ihre beste Freundin, ist noch da, aber sie fährt morgen wieder heim nach Baden-Württemberg.  Normalerweise würde ich das traurig finden, aber momentan verwirrt mich ihre Anteilnahme. Ich will gar nicht ständig Angst um dich haben. Den größten Teil des Tages, schiebe ich die Sorgen nach hinten und versteife mich auf den Funken Hoffnung, den wir haben. Das ständige Bangen macht mich so hilflos.

Ich weiß, sie meint es gut, aber ständig über dich zu reden zermürbt mich.

Papa hat angerufen. Heute hattest du schlimmes Fieber, aber du hast heut zum ersten Mal selbstständig geatmet. Trotzdem sagen die Ärzte, es ist zu früh, um Hoffnung zu schöpfen, weil das mit deinem Kopf nichts zu tun hat und der ist doch so schlimm verletzt. Genau wie das Muskelzucken, kannst du das nicht steuern. Dein Kopf ist das absolute Hauptproblem. Der hat wohl zu viel aufs Mal abbekommen.

Willst du uns nicht bald mal zeigen, dass du wach werden willst? Willst du uns keine Hoffnung geben=? Du kannst uns doch nicht im Stich lassen! Lass uns bitte nicht alleine! Gib uns doch bitte ein Zeichen. Irgendeins. Wir sind alle halb wahnsinnig vor Angst. Mir laufen immer wieder unkontrolliert Tränen übers Gesicht.

Nana SO darfst du nicht gehen. Hörst du? Ich spür doch was, als wärst du noch da. Es fühlt sich verkehrt an, wenn du so abwesend bist. Du kannst doch noch nicht gehen. Du bist noch so jung! Wie sollte ich das deinen Freunden erklären, wenn du nicht zurückkommen würdest? Die schreiben mir so viele E-Mails und jeden Tag fragen sie, wie es dir geht… Sogar Kai und Michi haben angerufen. Unsere Kumpels aus Kindertagen, die in Mecklenburg wohnen. Erinnerst du dich? Sie waren damals so gute Freunde von uns!

Alle wollen Mama helfen. Ständig richten sie Mama Beileid aus und sagen, wenn sie Hilfe braucht, soll sie nur sagen. Nach mir fragen nur die wenigen Freunde, die ich noch habe.

Du hast eine ganze Armee von Freunden. Und die Familie.

Ich scheine auf alle zu wirken, als bräuchte ich keine Hilfe. Warum? Weil ich aufrecht gehe? Das tut irgendwie weh. Ich vermiss dich so sehr. Auch wenn wir gar nicht mehr so viel zusammen waren, wie früher. Aber wenigstens haben wir ab und zu geschrieben oder telefoniert. Keiner kann etwas daran ändern, dass du meine kleine Schwester bist. Das warst du immer und wirst es auch immer sein…

Komm zurück…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Papa geht fremd!

Im Oktober, bevor ich 16 wurde und nachdem Nana 14 geworden war, weckte mich Nana eines Nachts. Ich sollte am nächsten Morgen eine wichtige Klassenarbeit schreiben. In der 10. Klasse sind alle Arbeiten wichtig, glaube ich. Nana saß weinend an meinem Bett. Noch halb verschlafen, fragte ich, was denn los sei.

„Papa geht fremd!“, schluchzte Nana.

WAS? Ich war schlagartig wach. Wie konnte sie nur so etwas behaupten! Mein Papa würde so etwas doch nicht tun! Oder doch?

„Wie kommst du darauf?“, ich setzte mich auf und nahm sie in den Arm. Sie war völlig aufgelöst.

Sie erzählte, dass Papas Handy geklingelt hatte, als sie von der Toilette gekommen war. Das passierte manchmal, wenn Papa Bereitschaft hatte. Also war sie rangegangen. Aber es war gar nicht Papas Arbeit sondern eine fremde Frau, die igrnedwas von „Hi mein Schatz“ ins Handy flötete. Natürlich brach die Frau ab, als sie merkte, dass da mein Schwesterherz dran war. Angeblich muss sie sich verwählt haben. Nana glaubte ihr nicht und sah vorsichtshalber in Papas Nachrichteneingang nach. Da befanden sich viele SMS von dieser Nummer, in denen sie Papa mit irgendwelchen Kosenamen belegte.

„Vielleicht belästigt die ihn!“, warf ich ein. Unser Papa würde doch nicht das glück seiner Familie aufs Spiel setzen wollen!

Nana schüttelte unter Tränen ihr blondes Haar und öffnete mir den Postausgang. Ich war ein absoluter Handy-Idiot, aber lesen konnte ich gut. Und was ich da las, drehte mir fast den Magen um.

„Ich bin ja so durch den Wind wegen dir!“, mein Vater an irgendeine fremde Frau.

„Und nun?“, schluchzte Nana.

Gute Frage. Was nun? Ich wollte bei Mama nicht mit der Tür ins Haus fallen. Also schrieben wir uns die Nummer auf und riefen am nächsten Morgen von einer Telefonzelle aus da an. Wir gaben an, eine Susi sprechen zu wollen, was natürlich der falsche Name war, aber ans Telefon ging ein Mann. Der musste also der Freund der Verdächtigen sein. Wir kamen uns verdammt schlau vor. Also gingen wir mit dem Namen der Frau, ihrer Nummer und den Namen ihres Freundes am Nachmittag zu Mama und beichteten ihr möglichst vorsichtig, was wir entdeckt hatten. Mama suchte daraufhin Papas Handyrechnung raus und entdeckte, dass besagte Nummer ungewöhnlich oft gewählt worden war.

Am Abend stellte sie ihn zur Rede. Angeblich wusste sie nichts, nur dass diese Nummer sehr häufig gewählt worden war und verlangte zu erfahren, wem diese Nummer gehörte, da sie ja die Arbeitsnummern alle kannte. Papa fühlte sich ertappt. Und da ich ja nicht sehr begabt mit Handys war stürmte er sofort in Nanas Zimmer und brüllte sie an. Ich bekam es mit und behauptete, sie hätte mir nur geholfen. Er sah mich so enttäuscht an, dass es fast traurig war und dann erzählte er Mama doch noch alles. Wir hatten also eine SMS-Liebschaft aufgedeckt. Und nun glaubten wir Mädels, dass wir unsere Familie gerettet hatten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Montag 27. Juni

Heute war es komisch im Krankenhaus.. Du zuckst manchmal und das hat mich anfangs immer wieder erschrocken. Aber irgendwie ist das auch gut, es ist ein lebenzeichen.

Du atmest allein. Aber die komische Beatmungsmaschiene bleibt zu deiner Überwachung dran oder zur Unterstützung, wenn du müde bist. Dein Fieber ist auch etwas gesunken. Wenn es so bleibt, wirst du Mittwoch in ein anderes Krankenhaus verlegt. Hab mir Bilder von da angesehen. Eine wirklich schöne Raha-Klinik. Die Gebäude erinnern an Märchenschlösser und ringsherum ist ein richtiger Park. Das solltest du dir unbedingt an sehen. Die Fotos sind ja schon atemberaubend.

Außerdem habe ich da eine Frage. War es Absicht, dass du gegen den Baum gefahren bist? Hat es zwischen dir und Chris wieder gekracht? Sag mir bitte, dass es keine Absicht war. Es war nur ein Unfall oder?

Mir sind merkwürdige Gerüchte zu Ohren gekommen. Ich mache mir ernsthaft Sorgen, dass du geglaubt haben könntest, du hättest keinen Ausweg. Ich hoffe, du kannst das klären, wenn du aufwachst, Süße.

 

 

 

 

 

 

 

Von wegen gerettet

Nur einen Monat nachdem wir unsere Familie gerettet glaubten, kam Papa angetrunken von einer Betriebsfeier. Es war schon spät und wir schliefen. Er sagte Mama, er hätte eine fremde Frau geküsst. Mama erzählte es uns am anderen Tag. Wir waren entsetzt. Von da an kamen oft Besucher, die Mama und Papa Ratschläge geben wollten. Sogar mein Onkel kam die 80 km bis zu uns gefahren, um zu helfen. Eines Abends kam Papa in mein Zimmer und weinte. Er sagte, alles werde gut, er habe sich für uns entschieden. Also weinten wir beide. Ich vor Erleichterung.  

Einige Tage war es ruhig. Es wurde Dezember. Immer noch keine neuen bekannten Ausschläge von meinem Vater. Wir wiegten uns in Sicherheit. An einem Wochenende wollte Mama mit uns zu den Großeltern ins Zittauer Gebirge fahren, weil diese Hochzeitstag hatten. Am selben Tag würde ich 16.  Da Papa Bereitschaft hatte, musste er zuhause bleiben. Also wollte ich nicht mit. Irgendein Gefühl sagte mir, sobald Papa allein ist, macht er was Dummes. Schließlich ließ ich mich doch überreden, mit zu fahren.

Als wir Sonntag heim kamen, saß Papa betrunken in der Stube und mir tat es sofort leid, dass ich nicht geblieben war. Wir Mädels kümmerten uns um unseren kleinen Bruder, während Mama in der Stube mit Papa sprach. Als der Kleine im Bett war, saßen wir in der Küche.

„Was da wohl los ist?“, fragte Nana besorgt.

„Er hat es getan…“, sagte ich und wusste, dass es stimmte.

„Meinst du wirklich?“

„Ja…“

Dann schwiegen wir, bis Mama weinend in die Küche kam.  Ich tauschte einen Blick mit Nana und sie zog die Mundwinkel nach unten.

„Ich muss mit euch reden…“, sie erzählte uns, dass Papa am Vortag, also meinem Geburtstag, mit der Frau, die er geküsst hatte, in unserer Wohnung gewesen sei. Was sie miteinander getan hatten, stand auf der Hand. Ekel und Empörung stiegen in mir auf. In Nanas Miene las ich die selbe Abscheu.

Mama fragte uns, ob wir böse wären, wenn sie Papa bitten würde, aus zu ziehen.

„Ich hätte den schon viel eher raus geworfen!“, war meine Antwort und Nana nickte unsicher.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 28. Juni

Morgen ist dein großer Tag. Du wirst in die Rehaklinik in Kreischa verlegt. Ob sie dir dort wohl helfen können?

Wegen der Verlegung kann ich dich erst am Wochenende besuchen kommen. Fühlt sich mies an. War ich wirklich erst gestern bei dir? Ist heut echt erst Dienstag? Mir kommt der Montag schon wieder eine Ewigkeit lange her vor…

Robert hatte heut Wandertag. Er war mit seiner Klasse im Freiberg und Mama war mit. Nachmittag sind wir dann zu dritt nach Bautzen gefahren. Robert hat jetzt wieder Therapie. Rob spielt zwar den straken Kerl, aber ihn nimmt es doch ziemlich mit.

Während die beiden also beim Psychologen waren bin ich durch die Einkaufsmeile geschlendert auf der Suche nach einer Danke-Karte. Papa hat die Adresse von dem Mann, der dich gefunden hat, nach dem Unfall.

Außerdem habe ich dir ein Gedicht geschrieben. Es heißt „Wach auf“. Wenn ich kann lese ich es dir beim nächsten Besuch vor. Eigentlich habe ich es während meiner Vorprüfung geschrieben. Am Donnerstag nachdem ich vom Unfall erfahren hatte…

Mir fehlt es, einfach SMS mit dir schreiben zu können oder deine lustigen Statuse bei Facebook zu lesen…

 

 

 

 

 

 

Schuld an der Erderwärmung

In der Berufschule sollte ich für Sozialkunde eine Ausarbeitung über die Erderwärmung schreiben. Mir fiel einfach kein passender Einleitungssatz ein. An dem Nachmittag kam Nana nachhause und hat verkündet: „Ich bin schuld an der Erderwärmung, so heiß bin ich!“

Mama und ich haben uns fast gekugelt vor Lachen. Danach hatte ich endlich eine tolle Einleitung: „Laut eigener Aussage ist meine Schwester ja schuld an der Erderwärmung, weil sie so heiß ist, aber in dieser Ausarbeitung möchte ich auf die wirklichen Ursachen eingehen.“

Wir fanden das gut. Meine Lehrerin nicht ganz so :)

 

 

 

 

 

 

Donnerstag, 30. Juni

Mittwoch hatte ich einen tollen Tag. Von der Fachschule in Freiberg habe ich endlich meine Zusage bekommen. Eigentlich wollten wir das zusammen feiern. Erinnerst du dich? Als ich dir von meiner Bewerbung erzählte hast du gegrinst und gesagt: „Endlich machst du was aus dir!“ Deswegen habe ich mich so über das Schreiben gefreut. Jetzt sollte ich für die nächsten 3 Jahre aufgehoben sein. Muss nur noch einen Betrieb finden, in dem ich mein gelenktes praktisches Jahr machen kann.

Am Nachmittag hat mich Jenny mit an den Badesee genommen. Dort trafen wir 2 Kumpels von ihr. Björn und Marco. Die sind total lustig. Marco haben wir ein bisschen aufgezogen. Björn hat sogar mit gemacht. Aber mit Björn hab ich ja auch um einen Wasserball gekämpft… J Dabei haben wir viel gelacht.

Heute morgen habe ich meinen BaFÖG Antrag geholt. In der Zeit hat Mama deine alte Patientenverfügung gefunden. Papa ist ziemlich sauer, weil er denkt, Mutti will ihm schaden. So was Dämliches! Ich steh da irgendwie immer dazwischen. Hab schon gedacht, der geht auf mama los. Das hätte er mal wagen sollen, dann hätte ich ihm gezeigt, dass seine Älteste ziemlich gut in Selbstverteidigung ist!!!

Dieses ewige Gestreite. Können wir nicht wenigstens JETZT Frieden halten?! Du brauchst uns doch!

Sieht zur Zeit wohl nicht gut aus bei dir. Du hast eine herzfrequenz von 102 bis 144 und schon wieder Fieber. Deshalb haben sie dich doch in Dresden behalten. Deine blase pumpt dich total auf und du scheidest mehr Wasser aus, als sie dir zuführen können. Das ist überhaupt nicht gut und kann zu Herzversagen führen. Außerdem ist deine Galle geschwollen. Vielleicht wirst du bald wieder operiert.

Du verkrampfst dich. Dabei verdrehen sich deine Arme nach ihnen. Spastische Lähmungen nennt man das. Sowas ist bleibend. Langsam mache ich mir wieder richtig Sorgen um dich. Stirb mir ja nicht unter der Nase weg!

 

 

 

Früheste Kindheitserinnerungen

Ich kann mich an eine einzelne Szene erinnern. Nana  war noch ein Baby und ich etwa 2 Jahre alt. Während ich bei Mama in der Küche war und helfen wollte, hat Nana im Kinderzimmer geschrien wie am Spieß. Jedenfalls bin ich rüber ins Kinderzimmer und habe geschimpft: „Sei still! Ich will Mama helfen!“

Lustiger Weise kann Mama sich daran gar nicht mehr erinnern. Aber sie hat erzählt, dass ich dir immer Fläschchen geben wollte. Kann ich mir kaum vorstellen. Heute habe ich für Babys einfach nicht viel Geduld…

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 1. Juli 2011

Heute haben wir dir Turnschuhe gekauft, damit du keinen Spitzfuß bekommst.

Mit Papa habe ich mich echt doll gestritten. Ist es denn verkehrt, dass ich deinen Freunden sage, wie es dir wirklich geht, statt es schön zu reden? Papa behauptet das. Aber ich sage ihnen lieber die Wahrheit, als dass alle denken, du  wärst ok und am Ende bekommen sie raus, dass ich gelogen habe. Jedenfalls ist unser Vater jetzt stinksauer auf mich. Angeblich bin ich eine falsche Schlange.

Erst mal hab ich ihn ausgelacht, aber ich ärgere mich trotzdem darüber. Egal, im Moment zählst nur du.

Ich war heute mit Leuten im English Pub, Dart spielen. Rob hab ich mitgenommen, damit ihm nicht langweilig ist und Mama etwas Ruhe hat. Deine Freundin, Nadine war auch mit dabei. Sie findet es gut, dass ich ehrlich zu deinen Freunden war.

 

 

 

 

 

Hinter mir schneits!

Als Jugendliche haben Nana und ich zusammen Zeitung ausgetragen, um unser Taschengeld auf zu bessern. Im Winter hat es einmal ziemlich heftig geschneit. Um Zeitung nach zu laden haben wir die Zeitung immer aus der Garage geholt. Einmal kam Nana rein und mit ihr eine Schneewehe. Da lachte sie: „Ich bin so cool, hinter mir schneits!“

Natürlich hat dieser Spruch seine Runde in der Familie gemacht. Eines Tages kam Mama von Arbeit und erzählte: „Als ich heut Morgen mit einer Ladung Schnee reinkam, hab ich gesagt, dass ich so cool bin, dass es hinter mir schneit. Da haben alle gelacht!“

Und Nana nur: „Na der Spruch kommt ja auch von mir.“

 

 

 

 

 

 

Samstag, 2. Juli

Heut waren wir sogar zweimal bei dir! Am Vormittag haben Mama und ich mit Sybilles Hilfe deine Haare kurz rasiert. Jetzt sieht dein Kopf viel besser aus. Vorher haben diese verfilzten und verklebten Strähnen wirklich unschön ausgesehen.

Nachmittag haben wir deine Fingernägel geschnitten. Mama hat sie dir zurrecht gefeilt und ich habe danach deine Hände schön eingecremt. Hat gut getan, dir etwas Gutes zu tun. Jedes Mal nur hilflos neben deinem Bett zu stehen, macht einen einfach fertig. Aber aktiv zu sein hilft, das besser zu überstehen. Trotzdem war ich danach fix und fertig.

In mir drin ist alles leer und kalt. Nicht mal mein Freund ist eine echte Hilfe. Er versteht nicht, wie ich mich fühle. Es tut so weh, dir nicht helfen zu können und zu wissen, dass man sich nicht hängen lassen darf, weil du uns brauchst. Manchmal überkommt mich trotzdem diese Ohnmacht. Dein weine ich leise vor mir her. Aber ich darf nicht müde werden. Nicht aufgeben. Nicht ausrasten. Nicht einmal einfach traurig sein.

Mein eigener Freund begreift nicht, wie sehr das an den Kräften zehrt. Ist es zu viel verlangt, sich ein wenig Verständnis zu wünschen? Ein bisschen Einfühlungsvermögen? Ich hatte gehofft, er würde es wenigstens versuchen. Aber scheint es gar nicht verstehen zu wollen und ist dann auch noch wütend, weil ich sage, er könnte wenigstens versuchen, sich in meine Lage zu versetzen. Das ganze macht mich beinahe wütender als traurig. Also werde ich ihm eben nicht mehr mit meinen Gefühlen auf die Nerven gehen. Ich kann mich nicht für ihn verbiegen, dann habe ich keine Kraft mehr für dich. Du bist wichtiger.

Morgen habe ich Frühschicht, ich sollte mal langsam schlafen gehen…

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich bin stolz auf dich!

Mama hat sich mit knapp 40 Jahren noch einmal auf die Schulbank gesetzt, um eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation zu machen. Als sie uns das Ergebnis ihrer Zwischenprüfung per SMS schickte, antworteten Nana und ich gleichzeitig: „Ich bin stolz auf dich.“

Mama konnte es kaum fassen und auch ihre Kollegen fanden sehr lustig.  Tja wir sind eben doch einfach nur Schwestern…

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 5. Juli

Am Sonntag habe ich Schluss gemacht mit meinem Freund. Er hat mir den letzten Nerv geraubt mit seinem „Alles wird gut“ und „Du musst ruhiger werden oder „Das bildest du dir bloß ein“. Moment mal, ich bilde mir nur ein, meine Schwester würde im Koma liegen?! Meine Schwester könnte schon an einer Erkältung sterben?! Ich bilde mir alles nur ein? Und ich bin sowie so blöd, mich schlecht zu fühlen, weil es meiner Schwester so mies geht?

Gestern war ich dann bei dir. Heute wurdest du endlich nach Kreischa verlegt. Eigentlich hatte ich auf Donnerstag gehofft, dann hätte ich dich morgen besuchen können. Aber es ist ein Fortschritt, wenn du stabil genug bist, um verlegt zu werden.

Gestern hattest du wiederhohes Fieber (39, 9 °C)  und dann hast du auch wieder so schlimm gekrampft. Nachdem du Samstag so wenige Krämpfe hattest, hatte ich gehofft sie würden nie mehr so schlimm zurückkommen.

Heute hatten wir seit Tagen zum ersten Mal schönes Wetter.  Die letzte Zeit war es immer kalt und nass, hat einem ganz schön die Laune verdorben.

Arbeiten gehe ich auch wieder. Bis morgen darf ich mir meine Arbeitszeiten selbst einteilen, ab Mittwoch hab ich Mittelschicht, das wird dann wieder etwas anstrengender. Aber Arbeit lenkt ab…

 

 

 

 

 

 

Eishöhlen

Als Kinder haben wir Papa immer beim Schneeschieben geholfen. Da wurde der ganze Schnee auf einen großen Haufen zusammen geschoben. Meistens  haben wir das ein paar Tage hintereinander gemacht und dann fingen wir an, in diesen Haufen eine Schneehöhle zu graben. Dazu wurden auch Schaufelchen und Förmchen aus unserem Sandkastenspielzeug verwendet. Ein Schlitten wurde mit größeren Schneebrocken beladen. Wenn unsere Höhle groß genug war, wurden diese Brocken zu Tischchen, Kochstellen und Stühlen.

Oft haben wir dann  noch eine Höhle gebaut. Durch den Schnee auf der Wiese haben wir uns dann „Straßen“ gebaut, auf denen wir uns besuchten oder kleinere Eisbrocken mit einem Schlitten transportierten, die dann in unserem Spiel alles Mögliche darstellten.

Manchmal grabbelten wir auch auf allen Vieren durch den Schnee und spielten, wir wären wilde Tiere, die miteinander spielen oder kämpfen, aber das war Nana irgendwann zu „kindisch“. Unser kleines Brüderchen spielte aber meistens ein kleines Hundebaby. Und die großen Jungs unserer Nachbarn wurden Zeugen unserer kriegerischen Fähigkeiten, denn wir hatten immer Schneebälle hinter der Höhle gelagert, die bei jeder Gelegenheit auf die Jungs geschossen wurden. Leider waren weder Nana noch ich besonders gute Schützen, aber manche Glückstreffer sorgten für Jubelschreie auf unserer Seite und endeten oft in Verfolgungsjagden rings um die Garage.

 

 

Donnerstag, 7. Juli

Am Dienstag wurdest du nach Kreischa verlegt. Seit  heute gehe ich wieder in der Mittelschicht arbeiten. Bin etwas langsamer als sonst, aber das stört nicht. Keine Lust auf Hektik, davon hab ich schon genug….

Ich staune eigentlich, dass  es mir soweit gut geht. Normalerweise  verliere ich bei jedem Problem gleich  den Kopf. Aber du liegst jetzt etwa 3 Wochen im Koma, unsere Eltern stehen total auf Kriegsfuß miteinander und ich habe eben erst meine Beziehung in den Wind geschossen… trotzdem kann ich erstaunlich gelassen darüber nachdenken, was eben um mich herum passiert.  Dennoch fehlst du mir, Nana.

 

 

 

Stajana

Wer kennt es nicht- man will jemanden rufen, fängt mit dem falschen Namen an und berichtigt sich mittendrin? Meinen Eltern passierte das öfter. Sehr zu unserem Verdruss. Denn wer bitte ist denn mit „Stajana“ nun gemeint? Stephie oder Dajana?!

Aber uns verwechselten ja auch ständig alle. Wir haben nie verstanden warum. Nana war schließlich blond und blauäugig, während ich brünett war und dunkelbraune Augen habe. Auch vom Kleidungsstil waren wir völlig verschieden. Nana lief immer in den modernsten, schrill buntesten Klamotten rum, die zu bekommen waren. Mir war das relativ egal, Hauptsache dunkel, meistens fast etwas liederlich- lieber rockig als Girlie. Nana liebte alles pinke und rosane, ich mochte schwarze und hasste rosa aus ganzem Herzen. Wir hatten (unserer Meinung) kaum etwas gemeinsam. Ich hatte zum Beispiel keine Sommersprossen, sie schon. Wenn ich Punk Rock aufdrehte, rappten bei ihr Eminem und Co durchs Zimmer. Wir waren so verschieden und dennoch waren wir ständig „Stajana“…

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 12. Juli

Sonntag war ich dich zum ersten Mal in Kreischa besuchen. Es ist einfach wundervoll! Wach ja bald auf, es ist total schön, das solltest du dir ansehen! Alles ist riesig, elegant und hell. Der Park ist toll und die Gebäude sehen aus wie kleine Schlösser!

Es fühlt sich dennoch schon wieder eine Ewigkeit her an.

Am Sonntag war übrigens auch unser Brüderchen bei dir auf dem Zimmer. Zum ersten Mal hat er dich im Koma gesehen. Hast du es gemerkt? Er findet dich ja so süß mit deinen kurzen, dunkelblonden Haaren und den ganzen Sommersprossen. Ich bin froh, dass er sich nicht eher getraut hat, dich zu besuchen. In Dresden sahst du so… tot aus. Krank. Leblos. Hoffnungslos. Völlig verkabelt. Das hat mich schon immer verstört, wer weiß ob er das verkraftet hätte.

Er hat Freitag übrigens sein Zeugnis bekommen. Ganz tolle Kopfnoten hat der – das hat er ganz bestimmt nicht von mir ;) Aber Mathe und Deutsch… freilich  nicht so toll. Aber egal, jetzt sind Sommerferien. Er schläft bei Tante Ramona die Woche. Der hat’s gut!

In letzter Zeit höre ich viel Rosenstolz, die haben so schöne Texte. Und ich kann gut mit singen J

Manche Lieder passen ziemlich gut zu meinen Gefühlen. Eigentlich sagt fast jedes Lied, das Leben ist scheiße und trotzdem schön…

Rate mal, was ich gestern gemacht hab. Kumpels von mir wollten unbedingt Fußballkarten in Cottbus holen. Nur mal schnell, hieß es. Wir standen 4 Stunden in der Schlange! Wegen Fußball zu gucken so lange anstehen *kopfschüttel* Also sorry das grenzt doch an geistige Umnachtung!

Morgen ist Prüfungsvorbereitung In zwei Wochen ist Prüfung. Ich hab gepaukt wie eine Verrückte. Drillmaschiene: Ein gerät zum Ausbringen der Samen in den Boden. Mein Kopf  fühlt sich an wie leer geblasen…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hals- und …. Armbruch!

Ich kenne keinen Menschen der sich so oft wie Nana die Arme gebrochen hat, vor allem in dem Alter!

Sie war erste Klasse, als sie zum ersten Mal schlimm stürzte. Wir wohnten damals in einer zweigeschossigen Wohnung. Vom Wohnzimmer ins Kinderzimmer nach oben führte eine Raumspartreppe mit dem Geländer an der Wand entlang. Als wir wieder einmal barfuß nach oben rannten, rutschte Nana auf den letzten Stufen aus und fiel die 2 Meter ins Wohnzimmer. Ich sah sie fallen, erst auf den Schreibtisch, dann auf den Drehstuhl und schließlich zu Boden. Wahrscheinlich hab ich lauter geschrien als sie.

Im Krankenhaus fand man zum Glück nur einen Bruch im linken Handgelenk, keine Gehirnerschütterung und nur ein paar blaue Flecken.

In der dritten Klasse stolperte sie im Sportunterricht und brach sich den rechten Oberarm.

Im Laufe der Mittelschulzeit brach sie sich auch den linken Oberarm und das rechte Handgelenk.

In derselben Zeitspanne baute ich mindestens doppelt so viele Unfälle. Aber bei mir gab es immer die merkwürdigsten Prellungen zu bestaunen, nie einen Bruch. Zu mindestens schüttelte ich auf den Spruch „Hals- und Beinbruch“ irgendwann nur den Kopf: Meine Schwester brach sich lieber die Arme…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freitag, 15. Juli

Mama glaubt ich wäre arbeiten. In Wirklichkeit bin ich bei einem Kumpel (vielleicht auch mal irgendwann Freund…?). Mutti macht sich viel zu viel Gedanken und Sorgen also halt ich sie auf Abstand was mein derzeitiges Gefühlsleben angeht. Ich will nicht, dass sie sich jetzt um mich auch noch eine Birne macht.

Vorhin hatte ich ein komisches Gefühl, das was nicht stimmt und hab Mama angerufen. Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht, aber was nicht stimmte war viel besser als gedacht: DU HAST REAGIERT!!! In der Therapie hast du nach Aufforderung dein Augenlied bewegt und die Hand gedrückt. Ich könnte vor Freude heulen und tanzen zu gleich. Das ist der erste Lichtblick! Vielleicht kommst du doch zurück. Noch besteht die Chance dass du nur leichte Behinderungen davon trägst! Also komm bitte bitte zu dir! Wir sind da! Wir erwarten dich! Wir lieben dich! Wach nur endlich auf!

 

 

 

Jenny und Mandy

Als unsere Tante zum ersten Mal schwanger war waren wir Mädels noch ziemlich klein ich ca 10 und Nana 8 oder 9. Ich hab gesagt, mir würde eine kleine Cousine gut gefallen. 3 Cousins hatten wir schließlich schon und Nana fand die Idee gut. Tadaaah: Es wurde eine kleine Jenny.

Bei Jennys Geschwisterchen waren wir schon etwas älter und meine Tante wünschte sich einen Jungen. Wir Mädels: nööö wir wollen noch eine kleine Cousine und tatsächlich hatten wir dann eine kleine Schwester für Jenny: Mandy!

Während Jenny als Baby weinte, wenn ich nur den Raum betrat, lachte Mandy jeden fröhlich an. Nana war völlig vernarrt in die beiden. Sie mochte ja sowieso Kinder. Und als die Mädels älter wurden, wuchs Jenny mir mehr ans Herz, während Nana total Mandy-süchtig wurde… Beide Mädels waren (und sind) Pferdenarren, Jenny ist mittlerweile 14, einen Kopf größer als ich und manchmal schon unglaublich erwachsen. Mandy und unser Bruder Robert verstehen sich super sind auch etwa gleich groß, aber fragt mich nicht, wer älter ist von den beiden, ich bin mir manchmal nicht ganz sicher :D

Faszinierend finde ich, dass sie beide strahlend blaue Augen haben und dunkle Haare. Nana war völlig hingerissen von ihnen und auch ich habe sie sehr ins Herz geschlossen. Aber ich weiß, immer wenn jemand in Mecklenburg bei ihnen gewesen war, lautete Nanas erste Frage: Was machen Jenny und Mandy?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dienstag, 26. Juli

Björn hat mich Sonntag zu dir gefahren. Da war ich zum ersten Mal allein bei dir. Eine Woche kommt ich nicht zu dir und das war fast zu viel für mich. Aber Morgen komme ich wieder. Mit deiner Freundin Tine. Zu mindestens wenn alles klappt, weil ihre Zeit ist bisschen spät. Jedenfalls hab ich dir versprochen, dass ich meine praktische Prüfung heute bestehe und du hast dabei meine Hand gedrückt. Manchmal hast du mit dem rechten Auge meine Bewegungen verfolgt. Sie sagen, das linke ist jetzt blind… Nächste Woche bekommst du auch die künstliche Beatmung ab. Das ist wieder ein kleiner Erfolg.

Und Wunder: Ich hab die Prüfung tatsächlich bestanden! Sogar meine schriftliche Prüfung ist echt gut gewesen, besser als ich dachte, nachdem du uns so erschreckt hast.

Insgesamt hab ich meinen Abschluss zur Landwirtin nun also mit 2,55 bestanden und bin total happy. Zum ersten Mal seit 6 Wochen…………

6 Wochen ohne dich sind eine unheimlich lange Zeit…. Du fehlst uns

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bubi und Peter

Schon von klein auf lag ich unseren Eltern in den Ohren: ich will ein Haustier. Irgendwann bekamen wir einen Wellensittich – das hatte ich eigentlich nicht gemeint... Aber besser als nichts. Unser erster Wellensittich hieß Bubi und war schön blau. Leider knabberte er immer an Mamas Hängepflanzen rum und starb er recht zeitig.

Natürlich waren wir Mädels sehr traurig darüber. Dann fragte eine Bekannte, ob wir nicht ihren Wellensittich wollten. Er war schon 8 Jahre alt, aber weil er sich einsam fühlte, rupfte er sich die federn aus. Natürlich wollten wir. Das war Peter. Beim Mittag saß er immer auf dem Tisch und klaute vom Tellerrand Gemüse oder Nudeln. Manchmal setzte er sich auf Papas Kopf, was wir schrecklich lustig fanden. Mit 12 hatte er einen Tumor am Bauch. Besorgt brachten wir ihn zum Tierarzt. Peter hakte so doll auf den armen Doktor ein, dass der sagte: „So wie der beißt, lebt der noch ‚ne Weile!“

Wir bekamen Medizin und tatsächlich, nach einigen Wochen war das böse Ding weg.

Peter starb mit 18 Jahren. Mittlerweile war er so schwach, dass er oft nicht mehr hoch genug flog und gegen die Schränke stieß, weshalb er nur kurz fliegen durfte, ehe er wieder zu müde war. Nana und ich haben ihn hinter der Garage in einem schattigen Eckchen begraben.

Immerhin hatten wir 10 Jahre lang einen kleinen frechen Vogel zuhause…

 

 

 

Donnerstag, 4. August 2011

Hab schon wieder lange nicht geschrieben. Mittlerweile atmest du alleine.

Gestern habe ich endlich einen Praktikumsplatz für die Fachschule gefunden. Dort steht mir eine Menge Arbeit bevor…

Die Wohnungssuche geht weiter. Nachbars meinten zwar sie hätten eine, aber dann fiel ihnen ein, dass die Baugenehmigung dafür noch nicht durch ist…

Morgen ist schon wieder Freitag. Nach der Arbeit holt Björn mich ab und bringt mich heim. Später gehen wir bowlen. Ich geh nur mit damit jemand anderes nicht verliert.

Wie lange warst du wohl schon nicht mehr? Leider weiß ich auf diese Frage keine Antwort… genauso wie auf alle anderen nicht…

 

 

 

 

 

Alte Vorhänge?!

Über Mode hatten wir Mädels völlig unterschiedliche Auffassungen. Selbst nachdem ich etwas Farbe in meinen Kleiderschrank gebracht hatte. Aber im Allgemeinen konnte Dajana die merkwürdigsten Klamotten kombinieren und sah damit gut genug aus, um Leute zu finden, die später genauso rumliefen. Nana trug solche Kleidung aber auch mit einer Selbstverständlichkeit, dass keiner daran zweifelte, dass es der letzte Schrei war.

Zu einem „Spielenachmittag“ mit meinem Bruder tauchte sie jedenfalls in einem dunkellila Pullover mit Blumenmuster auf. Ich schwöre, genau dieses Muster habe ich auf alten Vorhängen unserer Uroma gesehen! Und deshalb konnte ich auch meine Frage nicht verkneifen, welche Oma sie denn für diesen Pullover überfallen hat.

„Warum?“, fragte Nana völlig verständnislos.

„Waren das nicht Oma Gerdas alte Vorhänge?!“

Wenn Blicke töten könnten, hätte Nana mich erschlagen! Robert und ich fanden es trotzdem extrem lustig….

 

 

 

 

Dienstag, 9. August

Wir waren heute wieder bei dir. Mama, Robert und Linda, meine Freundin. Sie hat uns gefahren.

Irgendwie war es heut besonders schwer, dich so zu sehen. Dabei habe ich mich gestern den ganzen Tag darauf gefreut, dich zu besuchen.

Am Wochenende ist mir die Geschichte mit Atze und Herbert eingefallen. Erinnerst du dich noch?!

Meistens fallen mir die komischen Erinnerungen ein, wenn ich sie nicht aufschreiben kann. Und wenn ich sie dir erzählen möchte sind sie fort…

Unsere kleine Cousine Mandy hat nächste Woche Schuleintritt. Ist das nicht unglaublich? Es ist fast wie gestern, als sie noch so klein war………

 

Atze und Herbert

In der zehnten Klasse kaufte Nana sich zwei Goldhamster. Sie bekamen die Namen Atze und Herbert. Das allein sorgte schon für schallendes Gelächter unter uns Geschwistern. Als Nana dann auf Klassenfahrt ging versprach ich natürlich, mich um die Hamster zu kümmern.

Am Mittwoch vor ihrer Heimkehr steckte Atze den Kopf ins Laufrad während Herbert versuchte seinen Speck darin ab zu arbeiten. Ich hörte ein komisches Geräusch und sah nach da lag Atze offensichtlich schwerverletzt im Käfig. Erschrocken brachte ich das Kerlchen zum Tierarzt. Nach 2 Schmerzspritzen, die mein Taschengeld völlig aufbrauchten, tagelang Rotlicht und Baby Brei starb Atze am Freitag. Wenige Stunde vor der Heimkehr meiner Schwester. Das tat mir furchtbar leid. Also sauste ich in die Stadt, kaufte eine Beileidskarte und einen Kugelschreiber mit diesem Schaaf, wo drauf stand „Ohne dich ist alles doof“.

Als Nana heimkam, brachten Mama und ich Nana so schonend wie möglich bei, dass dein Atze tot war. Und sie? Sie brach in Lachen aus! Sie fand das extrem lustig. Vor allem die Beileidkarte.

Jedenfalls landete der Hamster in der Biotonne und ich war völlig geschockt. All mein Taschengeld! All die Mühe! Sogar ein Grab hatte ich schon hinter der Garage gebuddelt! Und die wirft das Vieh einfach in die Biotonne!

Aber so war Nana eben. Eine Frau der schnellen Entschlüsse. Eine Realistin. Nicht immer nett, aber praktisch veranlagt!

  

2 Wochen später

Schöne Grüße vom Bärwalder See. Hier scheint wieder die Sonne. Heute ist Mittwoch, Montag war ich in Freiberg, um mich an der Fachschule ein zu schreiben. Das ist gar nicht mal weit weg von Kreischa, wo du zur Zeit liegst.Weißt du noch... Du hast immer gesagt, ich soll was draus machen, aus meiner leidenschaft für Landwirtschaft. Du hast esagt, ich kann mehr schaffen, als nur einfacher Facharbeiter sein. Die Bewerbung hast du sogar mit mir zusammen geschrieben. Jetzt mach ich es wirklich, aber du wirst kaum daran teilhaben können. Das macht mich traurig.

Gestern hatte ich frei und war dich besuchen. Ein Freund von dir, Martin, hat mich hingefahren. Aber auf dein Zimmer hat er sich nicht getraut. Manchmal tu ich das auch nicht, aber die Verzweiflung gibt mir die Kraft, dann doch die Tür auf zu amchen. Ich kann dich nicht im Stich lassen, sowas tut eine große Schwester nicht! Aber manchmal würde ich vor der Tür gern wieder umdrehen oder schon nach 5 Minuten wieder das Zimmer verlassen. Wie gestern, wo du wieder so hohes Fieber hattest. Aber dann kam eben die Physiotherapeutin rein, ich durfte dabei bleiben und zusehen, wie sie dich bewegt. Hast du gemerkt, dass ich deine Hand nicht losgelassen habe? Und hast du gehört, wie wir über dich geredet haben? Oder, dass ich dich festgehalten habe, damit sie dir den Rücken abkühlen kann? Es war gut. Endlich etwas tun.

Heute war ich zum ersten mal im Praktikumsbetrieb arbeiten. Früh bin ich mit dem Fahrrad hingefahren. Ich durfte aber schon kurz nach dem Mittag heim, weil ja 14 Uhr die Wohnungsübergabe war. Es ist so warm, dass ich tropfnass zuhause ankam! Jedenfalls habe ich jetzt die Schlüssel zu meiner ersten eigenen Wohnung. Das ist total aufregend! Endlich raus bei Mama, aber ohne dich hat es einen fahlen Beigeschmack. Mit wem soll ich denn jetzt einen trinken gehen und auf die erste eigene Wohnung anstoßen? Wer hilft mir mit der Einrichtung? Dafür hatte ich immer dich fest eingerechnet...

Naja um mich etwas ab zu kühlen ist Björn dann eben mit mir an den See gefahren, aber meine Gedanken sind bei dir.

In Liebe

Deine Steph

 

Glätteisenmissbrauch :)

Nana war ja modisch immer ganz vorn dabei. Natürlich mussten da auch die Haare immer gestylt sein ;)

Einmal hatt sie sich die Haare geglättet (mal wieder) und plötzlich hörten wir einen Schrei aus dem Bad. Mama und ich eilten rüber und sahen erstmal nichts ungewöhnliches. Nana mit Glätteisen vor dem Spiegel. Dann sahen wir dass sie sich ihr Ohr hielt und weinte.

Mutti untersuchte das Ohr und plötzlich grinste sie: „Die hat sich das Ohr mit geglättet!“

Natürlich hab ich mich fast totgelacht und irgendwann musste auch Nana drüber kichern. Haare glätten kann ja auch jeder. Ohrläppchen nicht ;)

 

 

  

Anfang Oktober 2011

Hab dir jetzt fast einen Monat nicht mehr geschrieben. Das tut mir leid. Heute ist irgendwie kein guter Tag. Gestern abend hat Mama angerufen, weil am Montag Arztgespräch war...

Die Chance, dass du wieder aufwachst rückt langsam in unerreichbare Ferne. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn du wieder gesund werden würdest.

Ich vermisse dich. Du fehlst hier. Warum bist du so... weg? Das kannst du mir doch nicht antun! Und auch Mama nicht! Oder Chris! Kann mcih gar nicht mehr beruhigen und weine die ganze Zeit...

Wie soll das gehen? Leben ohne dich? Geht das überhaupt? Ich schaff das nicht! Ich bin schon jetzt total am Boden, was soll das werden, wenn du nie mehr aufwachst?

 

 

 

Wie man Wackelzähne schnell los wird...

Als wir noch ziemlich klein waren (ich glaub 6 und 7) sind wir Bekannte von Mama in Rostock besuchen gewesen. Ich kann mich nur erinnern, dass wir immer eine Treppe hochklettern mussten, um unser Quartier zu verlassen. Jedenfalls kletterte Nana einmal vor mir hoch. Grad eben hab ich noch stolz Papa meinen Wackelzahn präsentiert und plötzlich hatte ich Dajanas Fuß im Gesicht. Da war der Wackelzahn raus und ich hab geschrien wie am Spieß :D

 

Ende Oktober

Heute waren die Ice-Dome-Beats... Ohne dich. Komisch oder? Warst du nicht immer unsere „Ice-Queen“? So cool, dass es hinter dir schneite? Du hast doch auf keiner großen Party heir gefehlt!

Aber du bist nun keine Party-Maus mehr. Bin hingegangen, hab wohl geglaubt, mir ein Stück Nana zurück zu holen, aber der Plan hat nicht funktioniert. Ich war enttäuscht. Irgendwie hatte ich einfach mehr erwartet.

Manchmal kann ich es noch immer nicht glauben, dass du nicht mehr so lebendig bist. Deine große Klappe fehlt mir. Deine frechen Sprüche. Deine tollen Ideen. Deine Kritik, dein Händchen für Deko... Mir fehlen sogar deine Beleidigungen!

Aber was hilft es, wenn ich dir das sage? Das leben geht trotzdem weiter. Irgendwie... oder gerade deswegen? Um der Wlt etwas Hoffnung und Glauben zu geben, dass es sich lohnt, weiter zu machen, selbst wenn uns der Boden unter den Füßen weggerissen wird? Um zu zeigen, dass wir uns nicht von solchem „Bull-Shit“ unterkriegen lassen?

Ich hab dich sehr lieb. Das wird mir jeden Tag deutlicher bewusst. Vergiss das nie! Du bist meine kleine Schwester. FÜR IMMER! Jede Erinnerung an dich rahme ich in meiner Seele ein und strahle sie mit Scheinwerfern an, wann immer ich die Kraft dafür habe. Du bist für immer in meinem Herzen. Egal, was da noch kommt. Ich wäre sehr glücklich, wenn du zurückfinden würdest in unsere Welt. Überglücklich. Aber selbst, wenn dich das Koma weiter festhält werde ich immer bei dir bleiben... Selbst wenn ich dafür alles aufgeben muss.

Blondinenwitze

In der Pubertät hatte ich ein Hobby: Nana mit ihren blonden Haaren auf zu ziehen. Ich hatte ein ganzes Repertoire an Blondinenwitzen! Über einige musste sie auch selbst lachen. Einen unserer Lieblingswitze möchte ich hier erzählen:

Ein LKW-Fahrer wird von einer Blondine im Mercedes ganz fies geschnitten. Wütend rast er hinterher und drängt sie auf einen Rasthof. Dort steigt er wütend aus und zerrt die Blondine aus dem Auto. Dann malt er um sie einen Kreis mit Kreide und sagt: „Wehe, Sie verlassen den Kreis!!!“

Dann beginnt er mit dem Autoschlüssel den Lack zu zerkratzen. Als er in Richtung der Blondine schaut, beißt sie sich auf die Unterlippe, um sich ein Grinsen zu verkneifen. „Das finden Sie also lustig?“, poltert er.

Aus seinem LKW holt er einen Baseballschläger und zertrümmert damit die Scheiben. Jetzt hält sich die blondine den Mund zu, um nicht zu kichern. Wütend nimmt er ein Messer, zerschneidet damit die Ledersitze und schlitzt die Reifen auf. Als er sich umdreht ist die Blondine schon ganz rot im Gesicht und bekommt kaum noch Luft vor Lachen. „Was ist denn daran so komisch?“

„Hihi, immer wenn Sie nicht hingeguckt haben, bin ich aus dem Kreis gehüpft!“

 

 

 

 

 

 

Mitte November

Heute war ich in hannover bei einer Messe. Es war echt anstrengend, weil es die dort nur um Maschienen ging. Und draußen war shclechtes Wetter. Drinnen war es aber stickig und so extrem laut. Jetzt hab ich total Kopfschmerzen. Der Bus war ja auch total unbequem.

Jetzt in ich in Freiberg, wo ich hab nächstes Jahr zur Schule gehe. Mit 2 anderen Mädchen teile ich mir hier ein Gästezimmer. Hier drin würdest du ausflippen! Ich hab nicht mal eine Steckdose am Bett. Also liegt mein Handy zum Laden 3 Meter weit entfernt von mir. Das nervt, dabei ist es eigentlich völlig banal. Wenigstens komm ich gut mit den Mädels klar.

Jenny hat ja mit mir zusammen gelernt und Annehat auch in Löbau gelernt, ihr Freund war in meiner Klasse. Also kennt man sich schon etwas, das ist auch gut so.

der Mini-Kater Nani ist mittlerweile übrigens schon genauso groß wie Toffi und Sunny-Boy, als wir sie bekommen haben. Ein total süßes Energie-Bündel. Wach bald auf, denn der ist für dich ;)

Morgen kann ich endlich wieder heim. Björn hat leider Nachtschicht.

Letztes Wochenende war ich zweimal bei dir. Hast du dich gefreut? Samstag war Tine mit. Sie hat ein ganz schlechtes Gewissen, weil sie so selten zu dir kommt, aber meistens muss sie ja auch arbeiten.

Und Sonntag war Linda mit und das Katzenbaby ;)

Ich hab dich lieb.... Es ist komisch, wenn von dir kein dummer Spruch mehr kommt...

 

Künstliche Intelligenz

Wie schon erwähnt: Nana wurde von mir ständig geärgert, weil sie eben blond war. Irgendwann hat sie das genervt und sie färbte sich die Haare Mokka-Braun.

„Siehst du: Nun bin ich nicht mehr blond!!!“, hat sie gesagt.

Und ich nur: „das ist künstliche Inetlligenz!“

Ihr könnt euch denken, wie sie das geärgert hat! :D

 

 

 

Januar 2012

Der Dezember war ziemlich stressig.. Nani musste leider bei uns ausziehen und wohnt jetzt bei einem Kollegen in Kromlau. Zusammen mit Toffi hat der mir fast die Bude auseinander genommen, Unterlagen unter Wasser gesetzt und so weiter.

Kurz vor Weihnachten rief dann Chris an, ob wir nicht Platz für eine Katze hätten. Die hat eine ziemlich abenteuerliche Biografie.... und jetzt heißt sie Sissi. Sie hat Björn total um die Pfote gewickelt! Chris hat sie auf Arbeit gefunden, am Abend davor muss ein kollege sie für tot gehalten haben und auf den Misthaufen geworfen haben. Genau so hat sie auch gerochen! Klein, graugetiegert und weiße Pfötchen. Wirklich bildhübsch. Zumindest war sie am Nächsten Tag da und ist Chris nicht von der Seite gewichen, also nahm er sie mit heim. Rate mal, was für einen Aufstand eure Hunde da gemacht haben! Also haben wir sie zu uns geholt, gründlich sauber gemacht (echt wie ein Misthaufen hat die gestunken) und aufgepäppelt. Eigentlich wollten wir sie weitergeben, aber Björn liebt sie eben :)

Vor 3 Wochen ist sie jedenfalls vom 2-meter-Kartzbaum gestürzt und hat sich das Knie gebrochen! Deswegen wurde sie vor 14 tagen operiert für 381 €. Ich woltle sie erst einschläfern, die OP war ja kaum bezahlbar, aber Björn hat in der ganzen Familie „spenden“ gesammelt. Jetzt hat Sissi ein sehr lustiges, nacktes Beinchen und hasst mich :D

Wenn alles klappt, kommst du bald ins Kursana-Pflegeheim in bad Muskau. Da sind es nur noch 10 km zu dir, keine 200 mehr. Darauf freu ich mich schon, denn dann kann ich dich auch nahc der Arbeit mal besuchen ohne dass mich immer einer fahren muss.

Gestern war ich in einem Schafstall gucken. Ich muss unbedingt mal fragen, ob ich da mal ein paar Wochen arbeiten darf! Die Familie, die sich darum kümmert ist voll nett und der Schafstall ist schön hell! Und so sauber!

Der Sohn der Familie arbeitet zur Zeit manchmal mit bei uns im Kuhstall, er ist sehr ruhig, aber eigentlich ganz nett. Er ist nicht so dämlich, wie andere Jungs in unserem Alter. Uaßerdem lächelt er imemr still vor sich her, ist doch irgendwie sympatisch oder? Mit Björn bekommen wir ihn dann tatsächlich ab und zu mal dazu, auch mal was zu sagen und das ist dann meistens ein geistreicher Witz. Zumindest durfte ich mir dank ihm gestern mal den Schafstall ansehen.

 

 

 

 

 

Bäuche bügelt man nicht

Als wir in der Pubertät waren gab es die Mode bauchfrei rum zu laufen. Und Nana, die Mode-Queen musste das natürlich auch machen. Auch zuhause. Einmal bügelte sie eine Bluse. Robert und ich haben Fernsehen geguckt und sie hat beim Bügeln auch immer wieder zum TV geschaut. Aufeinmal gabs ein „AU!“. Wir drehten uns um und sahen nur, wie sie das Bügeleisen in den Stände legte und ins Bad rannte. Neugierig folgte ich ihr und sah, wie sie sich mit unterdrückten Shcmerzlauten einen kalten Waschlappen auf den Bauch legte.

„Was ist denn passiert?“, fragte ich.

„Hab mit dem Bügeleisen meinen Bauch verbrannt!“, jammerte sie.

„Aber warum hast du den Bauch gebügelt?“, fragte unser kleiner Bruder Robert.

Da wurde Nana wieder einmal ausgelacht. Irgendwie hätte sie wohl lieber die Finger von heißen Dingen lassen sollen, was?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ende Januar

Ich hab deine E-Mailadresse und dein Facebookprofil gehackt. Dein Profil war nämlich total zugestopft mit dämlichen Kettenposts und so. Außerdem haben einige deiner Facebookfreunde immer noch nicht gewusst, dass du im Koma liegst und machten sich ernsthaft Sorgen. Einige Freunde finden das blöd von mir, aber andere waren froh, dass sie so endlich erfahren haben, warum du nicht mehr antwortest...

Mutti findet es ok. Und was die anderen sagen ist mir egal.

 

 

 

Der Bärenjägerwitz

Als Nana 15 oder 16 war habe ich mal einen Witz gelesen, den wir unheimlich lustig fanden:

Kommt ein Mann ins Krankenhaus und sieht einen anderen, der völlig eingegipst ist. Diesen fragt er: „Was hast du denn gemacht?“

„Ja weißt... Ich bin Bärenjäger. Da war ich letzten Sonntag so im Wald und komme an ein kleines Loch. Da rief ich: Bärli, Bärlilein, ach komm doch mal raus.

Da kam auch ein Bär raus, aber der war noch so klein und niedlich. Den hab ich leben lassen.

Ich ging weiter und kam an ein größeres Loch. Wieder rief ich: Bärli, Bärlilein! Ach komm doch mal raus. Ich tu dir auch nichts!

Ja der Bär war schon bisschen größer, aber das Fell war noch nicht so schön. Den hab ich auch leben lassen.

Und dann kam ich an ein riesiges Loch. Ich rief: Bärli, Bärlilein!

Da kam der Alpenexpress.“

Den Witz erzählte ich, als wir mit Freunden zusammensaßen. Alle am Tisch lachten. Außer nanas beste Freundin Ria. Die grübelte noch, als wir langsam wieder aufhörten zu lachen.

Da fragte sie: „Was ist denn ein Alpenexpress?!“

Und das Gelächter begann von vorne.

 

Mitte März 2012

Im Februar bist du nach Bad Muskau gekommen. Die Fahrt wurde zweimal verschoben, weil deine Temperatur plötzlich wieder anstieg. Als es dann schließlich soweit war schneite es so sehr, dass wir wirklich Angst um dich hatten. Ich musste arbeiten und war total unkonzentriert. Aber du bist gut angekommen.

Bad Muskau ist toll und traurig zu gleich. Jetzt bist du wieder da, wo dein Leben vor fast 21 Jahren begonnen hat. Das alte Krankenhaus steht zwar nicht mehr, aber es war nur ein paar Straßen weiter vom Pflegeheim. Hier hat dein Leben am 29. Mai 1991 begonnen. Es macht mich traurig, dass ich gar nichts für dich tun kann. Meine Besuche sind alles, was ich dir noch schenken kann. Den jede Blume, jedes Bild und jedes Kuscheltier nützt dir nichts. Keiner kann sagen, ob es dir gefällt, ob du dich darüber freust. Wir wissen nur, dass es dir gut tut, wenn wir dich besuchen. Manchmal glaube ich, es ist nicht wahr. Dann wähle ich deine Nummer und stelle fest: Du bist nicht mehr da. Es gibt Augenblicke, da bin ich mir nicht sicher, ob ich mir das alles einbilde. Aber kann man 9 Monate lang träumen?

Manchmal kocht alles hoch. So wie heute. Ich könnte ununterbrochen heulen, aber ich will Björn auch nicht nerven.

Bald ziehen wir um in eine größere Wohnung. Ich bin überfordert. Dein Händchen für Inneneinrichtugn wäre echt nützlich, mir liegt das einfach nicht. Ich hab maximal eine vage Vorstellung, aber kein klares Bild. Dafür habe ich einfach kein Talent.

Mir fehlen deine SMS und blöden Pinnwand-Einträge. Waren wir eigentlich klassische Schwestern? Ich weiß es nicht. Manchmal schon. Oder? Wir hatten uns gern und irgendwie standen wir uns auch nahe, wir sind aber auch miteinander aufgewachsen, da lernt man sich doch ganz gut kennen. Klar haben wir uns auch mal gestritten, welche Schwestern tun das nicht? Aber wir waren nie lange böse miteinander.

Deine Weiber zoffen sich ständig! WARUM? Ich dachte immer, Freunde halten zusammen. Die Mädels zerfleischen sich! Das regt mich echt auf. Nach 9 Monaten herrscht krieg zwischen deinen Freundinnen und ich steh irgendwie dazwischen. Ich mag zumindestens die Meisten von ihnen und möchte nicht, dass sie sich streiten. Du brauchst ALLE deine Freundinnen...

 

 

 

Vanilleduft für alle

Nana hatte mal ein Vanille-Parfum. Sie hat es immer aufgetragen. Manchmal hab ich schon gedacht, eine leinhaftige Vanilleschote läuft vor mir her :) Zumindest liebte sie diesen Duft. Einmal ist ihr der Flacon in ihrem Zimmer runtergefallen und in tausend Stücke zerbrochen. Natürlich hat Nana versucht alles weg zu wischen, aber da die suftende Flüßigkeit in ihren Teppich einsickerte hatte sie mäßigen Erfolg damit. Auch mit viel Lüften und Raumspray war da nichts mehr zu retten. Das Zimmer roch nach Vanille. Eigentlich war es nur die Hälfte eines Zimmer. Denn Mama hat nach Auzug von Papa aus den großen Kleiderschränken einen Raumteiler gemacht und eine Hälfte des Schlafzimmers ist so zu Dajanas Jugendzimmer geworden. Nun roch also auch Mamas Schlafzimmer nach Vanille-Parfum! Und zwar sehr sehr lange, auch nach über einem Jahr konnte man immer noch den Vanille-Duft wahrnehmen. Von dem Zeitpunkt an war Nana jedenfalls nicht mehr besonders scharf auf Vanille ;)

 

 

 

 

Anfang April

Nun liegst du schon fast 10 Monate im Koma. Knapp 9 davon bin ich mit Björn zusammen, 3 liegst du im Kursana.

Seltsam, wie normal das Leben geworden ist, mit Koma und ohne deine Anwesenheit. Und doch kommt es mir oft ziemlich unreal vor. Du hattest und hast immer einen festen Platz in meinem Leben. Jetzt bist du irgendwie wichtiger geworden, als je zuvor. Aber besser fühlt es sich dennoch nicht an.

Das Kursana gefällt mir. Es ist ruhiger und heimischer als kreischa. Vorallem das Pflegepersonal ist viel entspannter. Nur Papa macht schon wieder Probleme. Immer mal wieder müssen wir uns über sein Verhalten ärgern. Das tut mir im Herzen weh...

Du fehlst ganz schön. Unsere „Schwester-zu-Schwester-Gespräche“ habe ich nie so sehr geschätzt, wie jetzt. Denn jetzt weiß ich manchmal nicht, mit wem ich reden soll, wenn wieder was nicht so läuft, wie es sollte. Oft habe ich einen Kloß im Hals, wenn ich daran denke. Unsere Gespräche waren immer so selbstverständlich. Für uns beide. Wir hatten ja immer eine Schwester zum Ausheulen und nun? Nun könnte ich weinen, weil ich es so sehr vermisse, dir von meinen Sorgen und Problemen zu erzählen. Jetzt hab ich keinen mehr. Manchmal versuich ich es auch bei Björn, aber der ist das nicht gewohnt. Deswegen nervt es ihn wohl. Vielleicht überfordere ich ihn auch nur.

Ich wüsste gern, wieviel du wirklich bewusst mitbekommst. Ärgert dich deine Situation? Bist du oft traurig? Vermisst du dein altes Leben? Schmerzen deine Knie noch so schlimm? Kannst du richtig nachdenken über dich? Oder ist auch dieser Bereich deines Gehirns beschädigt? Bist du in dir gefangen oder ist auch dein geist getrübt?

Manchmal zerreißen mich all diese Fragen beinahe. Ich kann sie dir stellen, aber eine Antwort erhalte ich nicht. Es ist traurig. Für uns alle. Wir vergessen nie, wie du warst. Aber wissen wir auch, WER du warst?

 

 

 

 

Unsere erste Katze

Mit 17 lief mir ein hübsches, graugetiegertes Katerchen zu, das ich mit heimnahm. Er war soooo niedlich. Selbst Nana (die ja angeblich keine Katzen mochte) verfiel ihm innerhalb weniger Minuten. Mutti hat in Paulchen genannt. Der kleine Wildfang machte ganz schön viel Unsinn. Leider fanden sich nach 2 Wochen seine Besitzer bei uns ein.

>>> übrigens gehörte er der Schwester des Mädchens, das einige Jahre später Nanas beste Freundin Tine wurde ;)

Robert und ich waren natürlich sehr niedergeschlagen, dass wir unser Paulchen nicht mehr hatten. Da traf es sich gut, dass Mamas Bekannter uns erzählte, er habe eben ein graugetiegertes kleines Kätzchen zuhause, das wir haben könnten. Wir bettelten und flehten. Wir lagen tagelang Mutti in den Ohren. Nana war natürlich dagegen. Und dann nannte sie ihre Bedingung: Wenn sie den Namen aussuchen dürfte, würde sie nichts mehr gegen eine Katze sagen. Na das war es doch wert oder? Natürlich gelobte ich Mama, die Katze mit zu nehmen, wenn ich jemals ausziehen würde. Damit hatte dann auch Mama nicht mehr all zu viel gegen die Katze ein zu wenden. Sie war wunderschön, grau getiegert und total lieb. Robert konnte sogar Tierarzt mit ihr spielen, durfte ihr ins Mäulchen gucken und in die Ohren leuchten. Nana nannte sie Sunny- „ihre sorbische Sonne“. Sie durfte auch raus, begleitete mich frühs immer bis zur ersten Ampel auf dem Weg zur Berufschule. Dann drehte sie um und ging ihrer Wege. Wenn ich nachmittags heimkam, brauchte ich mich nur kurz auf die Bank setzen, dann kam Sunny und spazierte mit mir nach oben.

Sunny lebte leider nur 8 Monate lang. Einer unserer Nachbarn hatte leider etwas gegen unsere Katze. Einmal sperrte er sie ausversehen ein paar Stunden in seine Gerage und die böse Mieze hat doch tatsächlich einige Pfandflaschen umgeworfen und Tapsen auf sein heißgeliebtes Auto gemacht! Seit dem scheuchte er sie ständig weg, wenn er sie sah. Irgendwann scheuchte er sie auf die Straße, direkt vor ein fahrendes Auto.

Selbst Nana hat geweint... Sunny, unsere sorbische Sonne war unter ein Fahrschulauto geraten. Wir haben sie auf meiner Lieblingslichtung beerdigt, unter einer Birke...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Donnerstag, 7. Juni 2012

Heute ist alle Hoffnung gestorben. Ich wollte dich besuchen, doch als ich kam waren da Krankenwagen, Sanitäter und … Papa. Er stand vor deiner Tür und schüttelte weinend den Kopf. Erst dachte ich, du bist aus dem Bett gefallen und hast dir den Arm gebrochen. Wäre doch irgendwie typisch gewesen oder?

Aber dann kam die Notärztin raus und sagte, sie wissen noch immer nicht, ob sie dich retten können. Da hab ich es erst begriffen. Du warst tot! Einfach so. Ganz plötzlich. In dem Moment hat es angefangen zu regnen, ich hab zugesehen, wie dicke Regentropfen auf den Tisch plätscherten, der auf der Verander stand, auf die man vom Eingangsbereich sehen konnte. Als sie uns endlich zu dir ließen, hat mich die Notärztin noch versucht auf zu halten. Ob ich mir sicher sei, dass ich das packe, hat sie gefragt! Ich hab dir ein Jahr lang zu gesehen! Ich war letzte Woche bei dir, als du am 29. Mai 21 wurdest und auch wieder nicht, weil du immer noch im Koma gelegen hast! 12 Monate lang war ich immer an deiner Seite, auch wenn du spastische Krämpfe oder Fieberanfälle hattest. Auch wenn dir deine Stirn einfiel, weil du ja die Schädelplatte nicht drin hattest. Hab mitgeholfen, dir die Haare zu schneiden, dich an zu ziehen und dich in den Rollstuhl zu setzen. Ich war bei dir, als du noch mit Trachialkanüle beatmet wurdest und sie deine Spucke abgesaugt haben! Verdammt, ja ich wollte es packen! Und ich bin ins Zimmer rein, da kam mir mein Mittagessen hoch, aber nachdem ich es auf Toilette gebracht hatte, war ich taub. Ich hab deine kalte Hand gestreichelt, dein Gesicht, deine Haare. Papa ist an deinem Bett total durchgedreht, hat dich geschüttelt und geschrien, du sollst ihn nicht alleine lassen. Aber was wusste er denn schon? Allein gelassen hast du Mama, Robert und mich! Papa war nicht bei dir, wenn es in deinem Leben brenzlich wurde. Er hat sich erst für dich interessiert, als du erwachsen warst. Wo war er denn all die Jahre davor? Wenn dui ihm ein Bild gemalt hast, hat er dich ignoriert!

Es hat mich wütend gemacht, zu sehen, wie er dich schüttelt. Und dann hab ich die Schildkröte gesehen, die Björn und ich dir vor einigen Wochen geschenkt haben. Sie war weiß, hatte einen pinken Panzer und pinke Punkte auf den Kopf. Ich hab sie Papa in die Hand gedrückt, in umarmt und dann aus dem Zimmer gezogen. Da draußen musste er sich erstmal beruhigen. Doch dann sind wir noch mal rein, ich hab dir deine Schildkröte in die Hände gelegt und dir einen letzten Kuss auf die Stirn gegeben, als Mama ankam. Dann sind Björn und ich zu Robert gefahren. Erst auf dem heimweg ist mir bewusst geworden, was eigentlich passiert ist... du warst tot...

Nun würde es keine Besuche mehr auf der Wachkomastation geben.

Dein Gesicht bleibt jetzt für immer leer... nur auf Fotos werde ich dich sehen, während die Erinnerungen verblassen. Genau deswegen hab ich das alles hier geschrieben. Um mich zu erinnern. Du wirst mir fehlen, Schwesterherz....

 

 

 

Nachwort

Am 29. Mai 2012 wurde Dajana 21 Jahre alt. Am 7. Juni 2012 verstarb sie. Am 14. Juni hätte sie genau ein Jahr lang im Koma gelegen. Am 22. Juni 2012 beerdigten wir sie auf dem Friedhof in Weißwasser, meine Mama kümmert sich hauptsähclich um die Gestaltung des Grabes. Es ist wunderschön. Lebendig, fröhlich und aufmunternd. Genau, wie Nana es immer gewesen ist.

Der Spruch auf dem Grabstein war das Einzige, was ich zu der Gestaltung beigetragen habe: „Du hast Spuren der Liebe hinterlassen“

Das „Tagebuch“ habe ich handschriftlich über die 12 Monate hin verteilt. Zeit, Datum, Orte und Namen habe ich nicht verändert. Ich hatte es eigentlich am 27. Mai 2012 schopn einmal als E-book beendet, leider wurde ein großteil des Buches durch technisches Versagen gelöscht, weshalb ich im Dezember 2013 anfing, das Buch „neu-zuschreiben“. Am 24. Mai 2014 war ich damit fertig.

Dieses Buch ist traurig und lustig. Es ist die Geschichte meiner kleinen Schwester und irgendwie auch meine... Sie fehlt mir. Auch heute habe ich noch ein schlechtes Gewissen, wenn ich länger als 14 Tage nicht an ihrem Grab war. Es stehen immer frische Blumen an ihrem Grab, die mir zeigen: Nana bleibt unvergessen. Sie hat mit ihrer fröhlichen und direkten Art, ihren frechen Sprüchen und ihrer Herzensgüte überall im Leben ihrer Freunde und Familienangehörigen Spuren hinterlassen. Spuren der Liebe. Und ich hoffe, dass ihre Geschichte anderen Mut macht. Ihnen Kraft gibt: Denn jetzt, fast 2 Jahre später, kann ich sagen: Egal, wie übel uns das Leben mitspielt, es geht weiter. Wir dürfen uns nur nicht unterkriegen lassen.

 

Einen Monat nach ihrer Beerdigung hat Björn mir einen Heiratsantrag gemacht und im Oktober haben wir geheiratet. Er ist wunderbar. Er ist mein Trost, wann immer ich ihn brauche und ich glaube, wenn ich Nana irgendwann wiedersehe, kann ich ihr stolz erzählen, wie tapfer sie war und wie sehr sie mich verändert hat. Denn ich bin an diesen 12 schweren Monaten gewachsen. Das sind wir alle. Vorallem sind wir enger zusammengewachsen.

 

Hier einen ganz besonderen Dank an alle Freunde von Nana und mir. Einige möchte ich namentlich nennen...

 

Zu Allererst Mama: ich weiß, dass du das Buch gelesen hast, du hast geweint und gelacht und den Kopf geschüttelt. Danke, dass ich auch heute noch zu dir kommen darf, wenn ich jemanden zum reden brauche!

 

Björn. Ohne dich wäre ich vielleicht zwischendurch schon nicht mehr aufgestanden. Auch wenn ich es nicht immer zeige, ich bin dir dankbar für Alles. Vorallem für deine Freundschaft und deine Liebe.

 

Rob. Du bist der tapferste kleine Bruder gewesen, den Nana haben konnte. Ich liebe dich.

 

Tine, Claudi, Nadine und Ilka. Ohne euch hätte ich manchmal den Mut verloren. Ihr bringt mich auch heute noch zum Lachen. Ich glaube, ich darf behaupten, euch durch Nana besser kennengelernt zu ahben und dafür bin ich sehr dankbar. Danke, dass ihr auch heute noch mit mir zusammen an Nana denkt.

 

Linda, auch wenn wir keine Freundinnen mehr sind... Danke dass du damals für mich da warst.

 

Achill: danke für den wundervollen Song, den du Nana an ihrem 21. Geburtstag geschenkt hast. Ihr alle solltet das Lied auf youtube anklicken. Es heißt „Dear Nana“.

 

Martin A., bei der ersten Fassung des Buches warst du mein Ansporn. Jede Woche: „Hast du weitergeschrieben?“ zu lesen, hat mich motiviert und war jetzt auch der Anstoß, es noch einmal zu schreiben. Danke.

 

Marie, du bist die Super-Cousine mit uns gemeinsam ins Krankenhaus gefahren ist und die auch danach eine tolle Freundin war. Danke dass du so wunderbar bist!

 

Falls ich jemanden vergessen habe, sei mir bitte nicht böse. Ich bin jedem dankbar, der Nana Blumen ans Grab legt, der sie besuchen war oder der einfach nur gefragt hat, wie es ihr geht. Danke, dass ihr für Nana da wart!

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei Avena Fatua
Bildmaterialien: Das Cover-Foto zeigt meine Schwester, einige Monate vor dem Koma.
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Nana, du fehlst uns und erinnerst dich vielleicht nicht mehr an alles. Ich erinner mich für dich. In Liebe Deine Schwester Wir hatten immer gehofft, ein Wunder geschieht und du wachst doch noch auf, aber du hast deinen mutigen Kampf endlich beendet. Schlaf gut...

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